Moderationstraining

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Checkliste zur Ermittlung des Veranstaltungsziels

(mit einem konstruierten Beispiel)


Die Fragen Die beispielhaften Antworten
Wer ist der Veranstalter? Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Welche politische oder weltanschauliche Richtung vertritt der Veranstalter? liberal
Steht der Veranstalter einer politischen Partei oder gesellschaftlichen Gruppe (Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeber etc.) nahe? Ja, der FDP
Wie ist der Veranstalter strukturiert? Wer finanziert ihn? Wer sitzt im Vorstand, Präsidium, Beirat oder ähnlichen Gremien? Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, die Gremien sind mit FDP-Politikern besetzt
Was ist das Thema der Veranstaltung? „Das Transatlantische Handelsabkommen TTIP – letzte Chance für Europa“
Wie ist der Veranstalter zu diesem Thema positioniert? Befürwortet den Abschluss des Abkommens mit den USA (TTIP), unterstützt Wirtschafts- und Handelsfreiheit generell
Welche anderen Interessen des Veranstalters spielen eine Rolle oder könnten eine Rolle spielen? Profilierung der nahestehenden Partei FDP im Hinblick auf die Landtags- und Bundestagswahlen
Für welche Position steht Redner/​in A? vertritt die Inititative „TTIP never“, lehnt TTIP ab, da er Standardabsenkungen im sozialen und ökologischen Bereich befürchtet
Für welche Position steht Redner/​in B? ist Wissenschaftler, wägt die ökonomischen Vorteile gegen die Nachteile für den europäischen Markt ab
Für welche Position steht Redner/​in C? Befürwortet TTIP eindeutig, sieht darin die Chance für Europa, den Globalisierungsprozess durch Standardsetzungen mitzubestimmen
Ist eine(r) der Redner(innen) erkennbar stärker oder bekannter als die anderen? Ja, Redner C ist Mitglied des Europäischen Parlaments
Falls ja: Für welche Position steht diese(r) Redner(in)? Befürwortet TTIP (s. o.)
Was sind die formulierten Erwartungen des Veranstalters an die Veranstaltung? Versachlichung der Debatte über TTIP
Was sind die Intentionen des Veranstalters? Profilierung des Kandidaten und seiner Partei Entemotionalisierung der Debatte und Fokussierung auf die positiven ökonomischen Folgen von TTIP

1. Kapitel kompakt:

– Informieren Sie sich vor Übernahme der Moderationsverpflichtung über den Veranstalter und die Ziele der Veranstaltung.

– Behalten Sie dabei im Auge, dass jede Diskussion offizielle und inoffizielle Ziele verfolgt – und dass die inoffiziellen für die Veranstalter mindestens so wichtig sind wie die offiziellen, dass sie in der Regel sogar der Antrieb sind, die Debatte überhaupt durchzuführen.

– Schauen Sie sich die Zusammensetzung des Podiums an und klären Sie, ob es eine herausgehobene Persönlichkeit gibt, für die eine Sonderrolle während der Diskussion vorgesehen ist.

– Prüfen Sie vor Ihrer verbindlichen Zusage, die Moderation zu übernehmen, ob Sie mit den Zielen und der Konstruktion der Podiumsdiskussion „leben“ können, andernfalls sagen Sie ab.

2. KAPITEL
Die Vorbereitung

Der Moderator muss nicht der Oberexperte für das zu diskutierende Thema sein – und er sollte sich auch nicht so aufführen. Vorbereiten muss er sich allerdings schon. Er sollte sich mit dem Thema, den Podiumsteilnehmern, dem Publikum und dem Veranstaltungsort beschäftigen.

Eine gute Moderation beginnt mit einer umsichtigen Vorbereitung. Der Moderator ist nicht der größte Experte für das zu diskutierende Thema. (Wäre das der Fall, sollte er einer der Diskutanten sein und seine Expertise einbringen.) Weder sollte er sich so gerieren – unerträglich die Moderatoren, die erst einmal eine Viertelstunde lang das Thema explorieren, um zu zeigen, dass sie selbst eigentlich am meisten davon verstehen –, noch sollte er den Anspruch an sich stellen. Allerdings darf der Moderator auch nicht ahnungslos sein, er muss sich in das Thema einarbeiten. Bei der systematischen Erarbeitung kann eine kleine Checkliste hilfreich sein.

1 Wie lautet das Thema?

2 Warum lautet es so? Steckt im Titel schon eine Aussage?

3 Was sind die wichtigsten Inhalte?

4 Welche Kontroversen birgt das Thema?

5 Wie und durch wen ist das Thema im öffentlichen Raum schon diskutiert worden?

Ad 1. Die Frage klingt natürlich sehr banal, ist sie aber leider nicht. Immer wieder gehen Moderatoren in die Diskussion, ohne das Thema genau wahrgenommen zu haben. Sie wissen zwar den Themenbereich, sind aber erstaunt, wenn im Laufe der Diskussion auf den Titel Bezug genommen wird. Nicht selten fängt der Moderator dann an, in seinen Unterlagen zu wühlen – und zum ersten Mal den Titel aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen.

Ad 2. Thema und Titel, zu denen ja schließlich das Publikum eingeladen wird, drückt die Haltung der Veranstalter aus und führt auch beim Publikum zu Erwartungen. Sehr oft steht im Titel schon eine Aussage, die man als Moderator beachten sollte. Heißt die Veranstaltung

„Die aktuelle Situation der Europäischen Union“ oder

„Scheitert Europa?“ oder

„Das Scheitern der Europäischen Union“?

Das ist schon ein Unterschied. Während der erste Titel neutral ankündigt, sich mit der EU zu befassen, alarmiert der zweite das Publikum und drückt die Möglichkeit eines Scheiterns der EU aus. Der dritte Titel lässt für Zweifel keinen Raum, er ist eine klare Aussage. Die Erwartungen, die aus den Titeln resultieren, sind unterschiedlich. Der erste Titel verspricht eine Zustandsbeschreibung der EU, der zweite eine Pro- und Contra-Abwägung in Bezug auf den Erfolg der EU, der dritte die Begründung einer eindeutigen Feststellung.

Da der Moderator der Veranstaltung auch der Moderator der Erwartungen ist, sollte er sich den Titel genau anschauen. Oftmals gibt es im Titel auch bereits klare Wertungen oder politische Positionierungen. Ein Titel wie „Der Gender-Wahnsinn in deutschen Behörden“ macht klar, dass der Absender von der Gleichstellungspolitik im öffentlichen Dienst nichts hält. Ist in der Einladung von der „Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien“ die Rede, wird damit im griechisch-mazedonischen Streit die griechische Position unterstützt, spricht der Titel von der „Republik Makedonien“ wird die mazedonische Position unterstützt. Hier ließen sich viele andere Beispiele nennen. Also, Vorsicht, ein Titel kann bereits Wertungen enthalten. Damit kann man als Moderator leben, man sollte es aber wissen – und unter Umständen auch dem Publikum transparent machen.

Ad 3. Der Moderator muss sich einen Überblick über das Thema verschaffen, ohne dass er alle Details kennen und verstehen muss. Im Gegenteil: Eine gewisse Unbefangenheit des Moderators kann der Veranstaltung sehr zugute kommen, weil der Moderator dann die Fragen stellt, die auch das Publikum interessieren, das ja in aller Regel auch nicht aus Fachleuten des jeweiligen Themas besteht. Wie man sich die Information verschafft, ist ganz unterschiedlich. Manchmal kann der Veranstalter einen in das Thema einweisen oder entsprechende Literatur empfehlen. Ansonsten hilft am schnellsten eine Internetrecherche. Das zu Unrecht geschmähte Wikipedia gibt oftmals eine gute Einführung.

Ad 4. Allerdings sollte man verschiedene Positionen noch zusätzlich recherchieren. Nehmen Sie ein kompliziertes Thema wie Sterbehilfe. Schon eine oberflächliche Recherche im Internet zeigt, dass es hier sehr unterschiedliche Standpunkte gibt, und da es bei diesem Thema buchstäblich um Leben und Tod geht, wird die Debatte auch sehr emotional geführt. Wenn Sie nun in einer Internetsuchmaschine nicht nur „Sterbehilfe“ eingeben, sondern „Befürwortung Sterbehilfe“ bzw. „Ablehnung Sterbehilfe“ werden sie die verschiedenen Standpunkte schnell herausfiltern können. Wie gesagt, der Moderator muss nicht jede Einzelheit kennen, aber die grundsätzlichen Positionen, die in einer Kontroverse vertreten werden, sollten ihm geläufig sein.

 

Ad 5. Ebenfalls wichtig zu wissen ist, wie die moderierte Diskussion in den gesellschaftlichen Diskurs eingebettet ist. Wird das Thema gerade breit in den Medien diskutiert, gab es dort oder im wissenschaftlichen Raum bereits eine Debatte, aus der man auch Ergebnisse in die eigene Diskussion einfügen kann? Nehmen Sie ein Thema wie, ,100 Jahre Erster Weltkrieg“, das uns 2014 beschäftigt hat. Vielerorts gab es Diskussionen darüber, aber auch in den Medien und im akademischen Raum ist das Thema breit behandelt worden. In einem solchen Fall trifft man natürlich auf ein anders vorbereitetes Publikum als wenn das Thema bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Entsprechend muss der Moderator die Diskussion strukturieren und die Erwartungen an die Redner formulieren.

Zu Beginn der Veranstaltung stellt der Moderator die Podiumsgäste vor. Da man die Diskutanten im Allgemeinen nicht persönlich kennt, muss man auf einen Lebenslauf zurückgreifen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Am besten ist es immer, sich von den Diskussionsteilnehmern einen Lebenslauf (oftmals Curriculum Vitae oder CV genannt) schicken zu lassen. Dann weiß man schon einmal, wie sie gerne vorgestellt würden. Bei prominenteren Gästen genügt in der Regel ein Anruf in deren Büro, dort wird ein jeweils aktualisierter Lebenslauf bereit gehalten und ohne Probleme zur Verfügung gestellt. Abgeordnete und andere in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten veröffentlichen in der Regel einen Lebenslauf im Internet, sei es auf ihrer persönlichen Website, sei es auf der Internetseite der Institution. Zu Politikern halten auch die Kürschners Handbücher wie Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag wichtige Informationen bereit. Eine weitere, meist gute Quelle ist Wikipedia, da viele die Artikel über sich dort selbst schreiben oder schreiben lassen. Allerdings gibt es gelegentlich Ergänzungen, die der vorzustellenden Persönlichkeit nicht besonders gefallen dürften (, , … ist 2015 nach Bestechungsvorwürfen von seinem Amt zurückgetreten …“).

Ein Problem für den Moderator ist es oftmals, dass die Lebensläufe, die er erhält, sehr unterschiedlich lang sind. Während der eine Referent noch sein Freischwimmerzeugnis und seine Urkunde von den Bundesjugendspielen erwähnt, gibt der andere nur ganz knapp Auskunft. Die Vorstellung aller Referenten sollte jedoch im Wesentlichen gleich lang und gleich substanzreich sein. Es wäre sehr unglücklich, Herrn Professor Huber mit seinem gesamten Werdegang, seinen gegenwärtigen Funktionen, seinen Publikationen und Ehrenämtern vorzustellen, und bei Frau Professorin Meier nur zu sagen, dass sie an der XY-Hochschule Politische Wissenschaft lehrt. Man sollte daher Lebensläufe für sich aufarbeiten. Ein Schema, wie das gehen kann, ist nachfolgend dargestellt.

Gut für das Publikum ist es, auch etwas Persönliches und Besonderes über die Person zu sagen. Das freut übrigens auch den vorgestellten Referenten, der dadurch merkt, dass man sich wirklich mit ihm beschäftigt hat. Die entsprechenden Informationen findet man manchmal nicht im offiziellen Lebenslauf, aber im Internet. Es muss mit der Sache nichts zu tun haben, sollte aber durch eine Bemerkung mit ihr verbunden werden. Nehmen Sie als Beispiel eine politische Diskussion. Einer der Gesprächspartner ist Präsident eines Segelclubs. Wenn man das einfach erwähnt, verpufft es. Wenn man es verpackt, ist es unterhaltsam und ehrt den Sprecher: „Staatssekretär Müller weiß, wie man Rückenwind ausnutzt, um voran zu kommen, aber er hat auch Erfahrung mit Gegenwind, er ist nämlich der Präsident des Segelclubs XY.“ Findet man im Internet eine besondere Begebenheit, hat der Redner ein interessantes Interview gegeben, ist er Schützenkönig geworden, was auch immer: Man kann es einbinden. Aber: Was immer man bei einer Vorstellung sagt, muss positiv sein. Es wäre ein Missbrauch der Moderatorenposition, einen Redner schlecht oder lächerlich zu machen. Wenn man locker und gar etwas flapsig sein will, ist das eine Gratwanderung, vor allem, wenn man den Betreffenden nicht kennt. Man sollte sich daher nicht der Spontaneität hingeben, sondern solche Äußerungen vorbereiten und reflektieren, wie sie auf den jeweiligen Panelisten wirken könnten. Die Gäste haben nicht zwangsläufig denselben Humor wie der Moderator.

Auf jeden Fall sollte man alle Lebensläufe vorher genau lesen und eine Auswahl der präsentierten Lebensdaten treffen. Es ist für das Publikum unattraktiv, wenn ganze Lebensläufe vorgelesen werden, die im Zweifelsfall auf zwei Seiten stehen, zwischen denen der Moderator dann noch hin und her blättern muss.

Live klingt das so:

„Ganz links von mir sitzt Professorin Sabine Müller. [Name] Sie ist die Inhaberin des Lehrstuhls für europäische Fragen an der Universität Kassel. [Funktion] Die Universität Kassel ist aus der 1971 gegründeten Gesamthochschule hervorgegangen und hat sich im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften in den letzten Jahren intensiv mit den europäischen Integrationsstrukturen befasst. [Institution] Frau Müller hat Politische Wissenschaft, Geschichte und Philosophie studiert. Dabei war Europa nicht nur ihr Schwerpunkt, sondern auch ihre Studierstube. Den Bachelor hat sie in Paris absolviert, den Master an der London School of Economics. Promoviert hat sie an der FU Berlin über das Thema „Dysfunktionale Aspekte des europäischen Mehrebenensystems am Beispiel der Rechts- und Innenpolitik“. [Werdegang] In Berlin war sie auch als wissenschaftliche Assistentin tätig, aber vielleicht war ihr die Stadt zu laut und zu hektisch, so dass sie den Ruf nach Kassel angenommen hat. Dort kann sie auch besser ihrem ehrenamtlichen Engagement frönen, Frau Müller ist nämlich im Bund für Naturschutz aktiv und die stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes Hessen dieser Vereinigung.“ [Persönliches]

Checkliste zur Vorstellung von Sprecherinnen und Sprechern


Hier ausfüllen: Bemerkungen
Name (mit Titeln) Auf richtige Aussprache achten, ggf. in Lautschrift zusätzlich aufschreiben Titel: Akademische Titel und politische wie z. B. Staatssekretär etc.
Gegenwärtige Funktion Eventuell ein bis zwei Sätze zur Vorstellung der Institution durch Moderator
Ausbildung Ausbildungsorte nennen, vor allem, wenn interessant (Ausland, herausgehoben)
Wichtigste berufliche Stationen
Letzte Station vor der gegenwärtigen
Zwei bis drei weitere wichtige Stationen
Persönliches/​Besonderes Ehrenamtliche Funktionen, Auszeichnungen, Anlass für öffentliche Aufmerksamkeit (immer positiv)

Der Sinn einer Podiumsdiskussion liegt darin, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Deshalb hat man auch mehr als einen Sprecher auf dem Podium. Allerdings gilt hier der Grundsatz: Mehr ist nicht unbedingt besser. Soweit Sie können, sollten Sie bei den Veranstaltern darauf hinwirken, dass nicht mehr als vier oder fünf Diskutanten an der Debatte teilnehmen. Schließlich sind die Eingeladenen alle Persönlichkeiten, die etwas zu sagen haben. Dafür muss auch die nötige Zeit für jeden Einzelnen zur Verfügung stehen. Manchmal gibt es allerdings Formate, die zwangsläufig eine größere Anzahl von Sprechern zur Folge haben. Wenn der Bundesaußenminister und sein britischer Kollege eine gemeinsame Bosnien-Initiative mit ihren Kollegen aus den Westbalkan-Staaten diskutieren wollen, sind das schon neun Personen. Aus politischen Gründen wird man keinen Repräsentanten eines Landes ausschließen können.

Für den Moderator bedeutet eine solche Diskussion eine besondere Herausforderung. Er muss zum einen die Teilnehmer verpflichten, sehr kurze Antworten zu geben. Das ist bei solchen politischen Persönlichkeiten nicht einfach. Ich habe dieses Format zweimal moderiert und meine Bitte um zweiminütige Statements mit einem Hinweis auf die öffentlichen Debatten im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf verbunden. Wenn man den Präsidenten der USA verpflichten kann, sich auf zwei Minuten zu beschränken, kann man auch andere Spitzenpolitiker darum bitten. Schließlich kann keiner der Anwesenden sagen, er sei bedeutender als der US-Präsident. Zum anderen muss man die Fragen ein wenig anspitzen, um in kurzer Zeit pointierte Antworten zu erhalten. Meine Erfahrung ist: Ja, es ist möglich und Politikern mit Selbstbewusstsein macht so etwas auch mehr Spaß als das übliche Ablesen von Stellungnahmen, die sie nicht selbst geschrieben haben. Die wirkliche Hürde sind meistens nicht die Spitzenpolitiker, sondern deren Apparate und Helfer, die jedes „Risiko“ für den Chef ausschließen wollen und oftmals am liebsten hätten, dass ein fertiges Drehbuch wortwörtlich aufgeführt wird.

Allerdings muss man als Moderator auch darauf gefasst sein, selbst angegriffen zu werden. 2014 wurde ich von dem Außenminister eines Staates der Westbalkan-Region als ahnungslos und deutsch-überheblich beschimpft. So etwas darf man nicht persönlich nehmen, es ist Teil des „Spiels“. Immerhin hat dieser Wortwechsel die Veranstaltung belebt und uns, dem Außenminister und mir, ein zehnminütiges Radio-Feature eingetragen. Also: Alles gut gelaufen. Der Moderator muss zu jedem fair und freundlich sein, aber er sollte nicht versuchen, jedermanns Liebling zu werden.

Viele Diskussionen sind so vorprogrammiert, dass die Teilnehmer zuerst ein Statement abgeben und es anschließend zum Gespräch kommt. Wenn Sie Einfluss darauf haben, versuchen Sie, dieses Format zu vermeiden. Die Stellungnahmen der Diskutanten sind ja vorher vorbereitet und von daher nicht aufeinander abgestimmt. Oftmals werden sie schriftlich ausformuliert und dann gnadenlos vorgelesen. Wenn Sie einen Redner darauf hinweisen, dass seine Redezeit zu Ende geht, liest er nicht weniger vor, sondern nur schneller – was die Sache nicht besser macht. Viele Persönlichkeiten in öffentlichen Funktionen erarbeiten die Stellungnahme darüber hinaus nicht selbst, sondern lassen sie von ihren Mitarbeitern erstellen. Sie lesen dann einen Text vor, der nicht ihr eigener ist, dadurch wird das Gespräch nicht flüssiger.

Versuchen Sie, auf die Veranstalter einzuwirken, die Debatte gleich im Talkshow-Format durchzuführen. Das bedeutet: Der Moderator stellt jedem Podiumsteilnehmer eine Frage, die er dann – durchaus auch etwas ausführlicher – beantworten kann. Der Moderator greift den Ball auf und stellt dem nächsten die nächste Frage. Dabei sollte er natürlich das berücksichtigen, was die Podiumsteilnehmer sagen wollen. Von daher empfiehlt sich eine vorherige Kontaktaufnahme per Email oder Telefon. Der Moderator stellt sich vor und skizziert den Ablauf der Veranstaltung aus seiner Sicht. Dann fragt er die Diskutanten, welche Themen sie gerne ansprechen würden.

 

Eine Kontaktaufnahme kann so aussehen:

„Sehr geehrte Frau Müller,

ich melde mich bei Ihnen wegen der Podiumsdiskussion am 31. August 2016 in Berlin und möchte Ihnen herzlich dafür danken, dass Sie sich bereit erklärt haben, daran teilzunehmen. [Betreff]

Mein Name ist Heinz Meier. Ich bin Leiter der Akademie für Gesellschaftsfragen und werde die Diskussion moderieren. [Eigene Vorstellung]

Das Thema lautet: „Der lange Weg Bosnien-Herzegowinas in die europäischen Strukturen“. [Thema]

Die Veranstaltung wird von der Western Balkan Foundation in Zusammenarbeit mit der Botschaft von Bosnien-Herzegowina organisiert. [Veranstalter]

Wir erwarten ungefähr 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die vermutlich mit dem Thema im Groben vertraut sind. Für die Diskussion stehen uns circa 90 Minuten zur Verfügung. Die erste Dreiviertelstunde sollte auf dem Podium diskutiert werden, in der zweiten Hälfte möchten wir das Publikum mit Fragen und Stellungnahmen einbeziehen. [Struktur der Veranstaltung]

Um die beste Verwendung von der knappen Zeit zu machen, möchte ich Sie bitten, von einer einleitenden Stellungnahme abzusehen, so dass wir gleich im Talkshow-Format in die Diskussion gehen können. [Format der Diskussion]

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dabei vor allem auf die regionalen Aspekte des Annäherungsprozesses Bosnien-Herzegowinas an die EU zu sprechen kommen könnten. [Ablauf der Diskussion]

Mit Ihnen wird der für den Westbalkan zuständige Referatsleiter der Europäischen Kommission auf dem Podium sitzen, den ich bitten möchte, auf den Verhandlungs- und Assoziierungsprozess im Einzelnen einzugehen. Die innenpolitischen Aspekte können dann von der ebenfalls teilnehmenden bosnischen Bürgerrechtlerin beleuchtet werden.

Meine erste Frage an Sie auf dem Podium wäre daher: Wie sehen Sie die Auswirkungen eines forcierten Annäherungsprozesses auf das Verhältnis Bosnien-Herzegowinas zu Serbien einerseits und zu Kroatien andererseits? [Thematische Fokussierung]

Falls Sie Punkte haben, die Sie in jedem Fall während der Debatte thematisieren möchten, lassen Sie mich diese bitte wissen, so dass ich das entsprechend einbeziehen kann. [Angebot] Bitte lassen Sie mir einen Lebenslauf zukommen, damit ich Sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorstellen kann. [Lebenslauf]

Ich freue mich darauf, Sie im August kennenzulernen, und grüße Sie freundlich aus Berlin.

Daraus erarbeitet der Moderator dann seinen Fragenkatalog. So kommt jeder zu Wort und kann sagen, was ihm wichtig ist (und weshalb er an der Diskussion teilnimmt). Für die Zuhörer im Publikum ist das wesentlich besser als eine Abfolge von vorgelesenen Stellungnahmen, da sie erst einmal über einen längeren Zeitraum Informationen speichern müssten, bevor sie einen Kontext herstellen können. Gelingt es Ihnen nicht, das Stellungnahmenformat zu verhindern, müssen Sie damit leben. Nach den Statements sind normalerweise ein bis zwei Runden Diskussion auf dem Podium vorgesehen, bevor das Publikum eingeladen wird, sich zu beteiligen. Für diese Runden müssen Sie aber Fragen vorbereitet haben. Es kann sein, dass diese sich aus den Beiträgen ergeben, manchmal ist das aber nicht so. Sie müssen auf jeden Fall für jeden Teilnehmer zwei Fragen vorbereitet haben. Mag sein, dass Sie gar nicht mehr dazu kommen, die zweite Fragerunde durchzuführen. Aber es ist besser, eine Frage vorbereitet zu haben und sie nicht zu stellen, als eine stellen zu müssen und nicht vorbereitet zu sein.

Sollten Sie das Stellungnahmenformat nicht verhindern können, sollten Sie sich bemühen, von den Referenten die Skripts vorher zu bekommen, damit Sie sich besser vorbereiten können. Zwar hören Sie auch zu, während die Sprecher reden, aber es gibt immer viele Ablenkungen, die Ihre Konzentration stören können. Da kommen beispielsweise noch Zuhörer und es gibt keine Sitzplätze mehr. Eine wichtige Persönlichkeit betritt den Raum, während die Diskussion schon läuft, und Sie überlegen, wie Sie sie begrüßen können. Der Lautsprecher schnarrt – und vieles mehr. Besser, man ist vorbereitet als dann ins Schleudern zu kommen. Sie sollten die Diskussion vorher in Ihrem Kopf einmal ablaufen lassen und daraus ein Drehbuch entwickeln. Dieses nutzen Sie für die oben beschriebene Ansprache der Diskussionsteilnehmer, aber auch, um die Diskussion zu steuern.

Der Moderator braucht also eine Vorbereitung und diese muss er schriftlich festhalten. Hier empfehlen sich DIN-A-5-Karten, und zwar quer. Das Format ist groß genug, dass man auch in größerer Schrift Informationen aufbringen kann, es ist klein genug, dass man auch damit hantieren kann, wenn für den Moderator und die Sprecher nicht so viel Platz zur Verfügung steht, wenn die Podiumstische schmal sind, wenn die Diskussionsteilnehmer eng sitzen oder wenn es für die Diskutanten überhaupt keinen Tisch gibt und sie beispielsweise auf Sesseln – manchmal Sesselchen – sitzen. Deshalb sind auch Karten wichtig: sie sind fest, klappen nicht um und können leicht sortiert werden. Bringen Sie auf einer Karte nur so viel Information unter, dass Sie sie auch bei schlechtem Licht gut lesen können. Ihr Blick auf die Karten muss beiläufig und nicht angestrengt sein. Sparen Sie nicht an Karten! Ob Sie fünf oder zehn oder 15 Karten in der Hand haben, ist völlig gleichgültig. Ob Sie diese leicht erfassen können oder mühsam entziffern müssen, ist es nicht. Ganz schlimm ist Handschrift, die Sie dann selbst nicht mehr lesen können. Sie sollten die Karten auch so gestalten, dass noch Platz ist, um im letzten Augenblick, während die Diskussion schon läuft, noch Ergänzungen aufschreiben zu können.

Die Karten sind eine Gedächtnisstütze. Wesentlich besser für die Diskussion ist natürlich, wenn Sie nichts ablesen, sondern die Daten und Fragen im Gedächtnis haben. Während andere sprechen, können Sie dann wieder durch einen Blick auf die Karten „nachtanken“.

Eine gute Vorbereitung einer Diskussion ist wichtig, Sie sollten sich aber nicht zum Sklaven der Vorbereitung machen. Man erlebt das oftmals bei Fernseh-Talkshows. Da werden Einspieler vorbereitet und egal, ob das dann passt oder nicht, werden sie abgespult. Dadurch wird die Diskussion aber nicht beflügelt, sondern häufig geknebelt.

Im Zweifelsfall läuft jede Diskussion, die Sie moderieren, anders als Sie sich das bei der Vorbereitung gedacht haben. Das ist auch nicht schlimm, es soll ja schließlich ein lebhaftes Gespräch unter engagierten Menschen stattfinden. Auch wenn die Diskussion vom Konzept abweicht, war die Vorbereitung jedoch nicht umsonst. Sie gibt Ihnen vielmehr die Sicherheit, den Gesprächsverlauf variieren zu können. Hierfür müssen Sie allerdings auch die nötige Offenheit mitbringen. Sie müssen bereit sein, von Ihrem Plan abzugehen, wenn die Diskussion sich anders entwickelt. Die Vorbereitung ist wie die Navigationsanlage im Auto. Sie sagt Ihnen, wie es gehen kann. Aber wie es wirklich läuft, welche Straße sie befahren – um im Bild zu bleiben –, das müssen Sie in der Situation flexibel entscheiden.

Gibt es Dinge, die nicht gesagt werden dürfen? Auch bei dieser Frage bestehen wieder mögliche Konflikte zwischen dem Anspruch der Offenheit und den tatsächlichen Gegebenheiten. Tatsächlich sind wir ja täglich in Situationen, in denen wir nicht sagen, was wir denken oder wissen. Niemand wird seine Kollegin mit dem Satz „Mensch, Sie sind aber dick geworden!“ begrüßen, selbst wenn ihm das als erstes auffällt, wenn er die Kollegin nach einiger Zeit wieder trifft. Auch bei Diskussionen kann es solche „no go-areas“ geben. Dabei kann es sich zum einen um vertrauliche Informationen handeln. Nehmen wir als Beispiel eine Diskussion mit Außenministern der Westbalkan-Staaten. Sie wissen aus ihrem Vorgespräch mit dem Auswärtigen Amt, dass die Bundesregierung eine neue Initiative vorbereitet, die jedoch noch nicht mit allen Partnern abgestimmt ist. Wenn Sie das als Journalist erführen, würden Sie darüber berichten. Als Moderator sollten sie dieses Wissen nicht verwenden und den Bundesaußenminister vor seinen Kollegen bloßstellen, indem Sie die Initiative ansprechen.

Auch sonst kann es Tabuthemen geben. Sie wissen, dass eine Sprecherin auf dem Podium sich demnächst verändert, zum Beispiel aus dem Bundestag in die Privatwirtschaft wechselt. Das ist aber noch nicht offiziell. Wenn Sie die Betroffene nun auf dem Podium darauf ansprechen, stellen Sie sie vor den Menschen bloß, die das noch nicht wissen, und entwerten unter Umständen ihre Aussagen während der Diskussion, da die Zuhörenden denken:

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