Begegnungen Situationen Phantasien

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Begegnungen Situationen Phantasien
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Elke E. Ring

Begegnungen

Situationen

Phantasien

Kurzgeschichten Lyrik Prosa

Die Autorin, Elke E. Ring, 1948 geboren, entdeckte die Freude am Schreiben Ende der 1980er-Jahre mit einem Fernstudium für belletristisches Schreiben. In der Zeit entstanden erste Geschichten. Danach schrieb sie weitere Texte und Gedichte spontan sporadisch nieder. Mehr als zwanzig Jahre lang war es ihr großer Wunsch, ihre Geschichten und Gedichte einem breiten Publikum zu präsentieren. Mit dem Ende ihrer beruflichen Laufbahn und nach Zusammenstellung einiger Texte aus ihrer Schublade und neu Geschriebenem ist es nun soweit: Ein erstes Büchlein, mit leichter Lektüre zur Unterhaltung, ist fertig.

Imprint

Begegnungen Situationen Phantasien

Kurzgeschichten, Lyrik, Prosa

Elke E. Ring

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2014 Elke E. Ring

Covergestaltung und Foto: Elke E. Ring

ISBN 978-3-8442-8569-7

Auch als Printversion erhältlich: ISBN 978-3-8442-8349-5

Inhalt

Vorworte

Meilenfresser erzählt

Polaritäten des Lebens

Die Umkehr

Von Alt zu Neu

Tagesbeginn mit Beilage

Mond

Die Radtour

Geliebter

Platzwechsel

Verstehen

Leichtes

Maria

Kann es sein

Ein ganz normaler Vorfall?

Zwei Seiten

Ein nicht alltägliches Erlebnis

So wird gesagt

Eine halbe Stunde bewacht

Kreisende Gedanken

Gedankensplitter

Keine Dummheiten!

Wunderbares Leben

Einsicht

Der unheimliche Alte

Aufbruch

Ein ungewöhnliches Ereignis

Zehn -ungs und ein Ergebnis

Gemeinsamkeit

Die Fernsehlaus

Lebensleiter

Der unerwartete Besuch

Für dich

Der Fall Eddi

Ein Augenblick

Das Wiedersehen

Wo ist er?

Der Anruf

Vorworte

Begegnungen, Situationen, Phantasien – diese Mischung, bestehend aus Kurzgeschichten, Lyrik und Prosa vermittelt einen kleinen Einblick in die Welt meiner Gedanken. Teilweise fiktiv entstanden, teilweise aus dem Leben gegriffen und teilweise selbst erfahren habe ich aufgeschrieben, was mir in den Sinn kam und was mich bewegte und bewegt.

Die Texte sind eine Mischung verschiedener Rubriken; von Liebesgeschichten über Erlebniserzählungen bis zu Kriminalgeschichten, und manche erinnern daran, dass es einmal eine Zeit ohne Mobiltelefon und durchlaufendes Fernsehprogramm gab. Diese habe ich so gelassen, wie sie einmal entstanden sind. Vielleicht entlocken sie so mancher Leserin und manchem Leser ein kleines Schmunzeln.

Vielleicht entdecken einige Leserinnen und Leser in dem einen oder anderen Text, ob Erzählung oder Gedicht, Parallelen zu ihrem Leben; vielleicht können sie sich mit manchem Text identifizieren und fühlen sich bestärkt in ihrem Befinden, vielleicht sogar Verhalten und Handeln; vielleicht erleben sie auch nur ein wenig Kurzweil beim Lesen - egal wie: Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern Freude und Vergnügen mit diesem Büchlein.

E. E. R.

Meilenfresser erzählt

Einst begehrt und beliebt liegt er nun, man nennt ihn Meilenfresser, unbeachtet im Straßengraben. Sein Dasein geht dem Ende entgegen, das kann auch ein vierbeiniger Interessent, der ihn beschnuppert, nicht verhindern. In diesem Bewusstsein wandern Meilenfressers Gedanken zurück in die Vergangenheit, in die Zeit seiner Blüte.

»Wie war ich doch einmal stattlich und würdevoll«, denkt er bei sich. »Alle Leute sahen sich nach mir um. Sie blieben stehen und schauten durch die Scheiben, wenn ich irgendwo auf einem Platz stand. Nur bestaunt und bewundert haben sie mich.«

Meilenfresser war wirklich ein schmuckes Auto.

»Ja«, schwelgt er in seiner Erinnerung weiter, »so war das damals. Und heute? - Niemand sieht mich mehr an.«

Meilenfresser ist sehr traurig.

»Ich erinnere mich auch noch genau an meinen ersten Besitzer.« Meilenfressers Motorherz füllt sich sogleich bei diesem Gedanken für einen Augenblick mit Freude.

»Viel ist er mit mir durch die Gegend gefahren. Manchmal hörte ich ihn reden: ›Bitte mein Freund, fahre so schnell du kannst. Ich muss helfen. Herr Müller führt einen Lebenskampf. Es geht um Sekunden‹, und mein Herz musste Schwerstarbeit leisten. Viel Fressen aus dem großen Tank brauchte ich dafür. Aber hinterher, wenn alles gut gegangen war, und mein Besitzer mit mir ruhig an der Tankstelle stand, bedankte er sich bei mir, und ich wurde gelobt«, entsinnt sich Meilenfresser bei anschwellender Motorhaube. Noch heute erfüllt ihn diese Erinnerung mit Stolz.

»Dann, bei meinem zweiten Besitzer, musste ich sehr lange Fahrten durchstehen. Immer das gleiche Tempo, stundenlang. Aber ich war sehr geduldig. Mein Fahrer konnte sich immer auf mich verlassen. Nie ließ ich ihn bei seinen Geschäftsreisen im Stich, ob bei Regen, Schneefall oder Sonnenschein, er kam immer pünktlich an sein Ziel.«

Meilenfresser versinkt in eine Erinnerungspause. Er kann bis heute nicht verstehen, warum ihn der Geschäftsreisende verlassen hatte.

»Und dann war es eine Frau, der ich treue Dienste erweisen musste«, erinnert sich Meilenfresser weiter. »Sie fuhr täglich ihre Kinder zur Schule und erledigte dann ihre Einkäufe. Ich weiß noch sehr gut wie das war: Entweder traten mich Kinderschuhe oder ich musste große, schwere Taschen tragen. Das war nicht immer leicht, aber ich war ein ruhiger und geduldiger Diener.«

»Nun liege ich hier und habe nichts zu tun.« Seine Gedanken sind wieder in der Gegenwart.

»Schuld an meinem Unglück ist nur der Kerl, der nicht gerade liebevoll mein Türschloss behandelte«, denkt Meilenfresser wütend und ist dem Weinen nahe. »Dann fuhr er mit mir los, und auf einmal gab er richtig Gas. Ich glaube er wollte jemandem entfliehen. Ständig blickte der Kerl nach hinten. Ich musste sehr darauf Acht geben, in der Spur zu bleiben. Plötzlich gab es an meiner linken Seite einen kräftigen Stoß, und gleich danach noch einen und wieder und wieder. Der Kerl an meinem Lenkrad brachte mich zum Glück immer wieder in die Spur und er fuhr und fuhr bis ich kein Fressen mehr hatte. Er stieg aus und schob mich an die Seite. So rollte ich hier in diesen Graben. Fast wäre ich noch umgekippt«, möchte Meilenfresser aus sich herausschreien. Niemand würde ihn jedoch hören.

»Der Kerl rannte los, hinein ins dichte Gebüsch«, denkt Meilenfresser weiter, unendlich traurig. »Einfach liegengelassen hat er mich.«

 

Meilenfresser bleibt nur noch ein Schicksal: das Ende.

Und wenn ihn niemand findet, werden ihn eines Tages die Gräser so umwachsen haben, dass ihn kein Mensch mehr sieht. Er wird von der Natur umschlungen sein.

Polaritäten des Lebens

Meine Augen sehen die Schönheit und

die Hässlichkeit der Welt.

Meine Ohren hören die Musik und

den Lärm der Welt.

Meine Nase riecht den Duft und

den Gestank der Welt.

Meine Zunge schmeckt das Süße und

das Saure der Welt.

Meine Hände spüren die Weichheit und

die Härte der Welt.

Meine Sinne nehmen die Welt wahr,

so,

wie ich sie erleben möchte,

so,

wie ich sie mir wünsche,

für den Augenblick,

für die Minute,

für die Stunde;

für den Tag,

den Monat,

das Jahr.

Für mein Leben.

Die Umkehr

Eine wunderschöne Reise hatte sie hinter sich. Ihre Gedanken waren nur von den Erlebnissen ausgefüllt, die sie nicht los ließen, als sie die letzten Schritte zu ihrer Haustür ging. Sie schloss die Tür auf, trat in das Haus ein und suchte zwischen den vielen Schlüsseln an ihrem Bund den einen kleinen für den Briefkasten.

Nach dem Öffnen des Kastens, was immer mit Spannung geschah und heute mit besonders großer, denn es waren einige Tage vergangen, entnahm sie ihm den Inhalt. Sie überflog die zu lesenden Worte.

Zwei Kartengrüße von guten Bekannten, einen Brief von der Bank und einen kleinen Zettel, auf dem sie lesen konnte: »… liegt zur Abholung bereit«, hielt sie in der Hand, während sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufging. Das Einschreiben, das laut Benachrichtigung zur Abholung bereit liegt, brachte sie ins Grübeln. Neugier und Unruhe vermischten sich so sehr, dass sie, in der Wohnung angekommen, schnell ihre Gepäckstücke abstellte und sofort wieder die Wohnung verließ. Sie eilte zur Post, nahm den Brief in Empfang und las auf der Rückseite als Absender den Namen des Eigentümers ihrer gemieteten Wohnung. Wieder in der Wohnung angekommen, öffnete sie den rätselhaften Brief sofort.

»... bis zum genannten Zeitpunkt zu verlassen«, las sie völlig verwirrt. Sie trat ans Fenster, sah auf die kahlen Bäume und konnte es nicht glauben. Sie las den Brief noch einmal. Alles war rechtens, die Kündigung musste sie akzeptieren.

Diesen letzten Februartag wird Angelika, eine lebensfrohe Frau, geschieden, Mitte vierzig, nie vergessen. Sie lebte allein und wusste, was ihr bevorstand. Für den Moment war sie fix und fertig.

»Das wird ein Problem - oh Mann!«, dachte sie. »Anzeigen aufgeben, Anzeigen beantworten, Wohnungen ansehen und die richtige finden; sie muss ja nicht groß sein, aber gefallen soll sie mir schon und die Miete muss passen.«

Drei Wochen waren vergangen, da entdeckte Angelika an einem Donnerstag zum Feierabend in der Zeitung eine interessante Anzeige.

»... Wohnung in einem Reihenhaus am Stadtrand, mit separatem Eingang und Wald vor der Tür«, las sie und dachte: »Das gefällt mir.«

Sie rief sofort die angegebene Nummer an.

»Hallo, ich begrüße dich. Bin gerade nicht zu Hause, doch du kannst deinen Wunsch nach dem Piepton aufs Band sprechen. Ich rufe garantiert zurück. Tschüss!«, hörte sie, legte sofort den Hörer auf und begann laut zu lachen.

Wieder beruhigt trat Angelika an ihr Fenster und sah auf den Hof. Noch waren die Bäume kahl, doch bald würden sie grün sein.

»Und wenn der Holunder erst wieder blüht«, freute sie sich, »wie liebe ich diesen Busch.« Es war Angelikas liebstes Stück vor ihrem Balkon. Doch in diesem Jahr wird sie wohl nur die Zeit der Knospen erleben können.

Erneut dachte sie an die Stimme, die sie vor ein paar Minuten durch den Telefonhörer gehört hatte und schmunzelte: »Irgendwie gefällt mir das, locker gesprochen, es wirkt so vertraulich, verbindlich und freundlich dazu.«

Sie ging zurück zum Telefon und drückte die Wiederholtaste. Die Nummer lief hörbar durch und da war es, das Rufzeichen. Zweimal hörte sie es, dann wieder die dieselbe Stimme mit den gleichen Worten. Angelika wartete bis ans Ende der Ansage. Dann sprach sie schnell, um viel unterzubringen, denn sie wusste, dass es bei diesen Automaten nur eine begrenzte Aufzeichnungsdauer gab.

»Mein Wunsch ist es, deine Wohnung zu sehen. Ich glaube sie könnte mir gefallen. Ruf mich schnell an, dass der Wald nicht so lange auf mich warten muss.«

Dann sagte sie noch ihren Namen und ihre Telefonnummer und gerade als sie »Tschüss« sagen wollte, hörte sie, die jetzt schon ihr bekannte Stimme mit den Worten: »Danke für deinen Anruf. Bis bald!«

»Nun, das hat geklappt«, dachte Angelika zufrieden.

Sie widmete sich ihren Beschäftigungen und bereitete sich anschließend ein leckeres Abendessen. Danach lauschte sie den Klängen einer Violine im Radio und tat dies und das in der Wohnung.

Einige Stunden waren vergangen, da klingelte das Telefon. Es war abends, einundzwanzig Uhr. Der Anrufer entschuldigte sich und gab sich zu erkennen.

»Mein Name ist Rolf. Der Wald erwartet Sie.«

Es entwickelte sich ein lockeres Gespräch über die Wohnung und die Umgebung. Dem folgte eine Wegbeschreibung, und schon hatte Angelika für Samstag eine Verabredung.

Der Weg dorthin erforderte viel Zeit. Erst fuhr sie ein langes Stück mit der Straßenbahn, dann musste sie in den Bus umsteigen. Angelika brauchte zwei Stunden, einschließlich Wartezeiten, um ans Ziel zu kommen. Auf dem kurzen Stück Fußweg überlegte sie sich, wieviel Zeit sie brauchen würde, um täglich an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Und bei dieser Überlegung reifte in ihr ein Entschluss.

Dann endlich stand sie in einer kleinen Straße vor dem Haus mit der Nummer, die sie suchte. Auf der anderen Straßenseite war der Wald, mit vielen Laubbäumen. Es war traumhaft ruhig. Nur die Vögel waren zu hören. Angelika genoss die gute Luft und den Augenblick vor dem Klingeln. Dann drückte sie zaghaft auf den Knopf und hörte ein leises Summen.

Ein junger Mann mit freundlicher Ausstrahlung öffnete die Tür. Angelika war sofort berührt.

»Hallo und Guten Tag«, begrüßte er sie. »Sie sind Frau Koch?«

»Ja, das bin ich.« Angelika reichte ihm die Hand.

»Rolf Sander«, stellte er sich vor.

Angelika verspürte ein bekanntes, doch auch neues, überraschend angenehmes Gefühl. Es war unbeschreiblich schön. Sie sah Rolf Sander an. »Das ist er also, dessen Worte mir so gefallen haben«, dachte sie.

Ein großer, gut aussehender Mann, vielleicht Ende zwanzig, mit sportlicher Figur zeigte ihr die Geste zum Eintreten. Sein dunkelblondes Haar war sehr kurz geschnitten, seine Haltung war aufrecht, und seine blauen Augen leuchteten. Sie trafen Angelika tief. Pulli und Jeans kleideten ihn freizeitmäßig. Angelika dachte sofort an ihren Sohn, so jung erschien er ihr gegenüber ihrem Alter. Er gefiel ihr ausnehmend gut.

Angelika trat ein.

»Ich fühle mich wie in einem Einfamilienhaus und nicht wie in einer gemieteten Wohnung«, sagte sie im Flur stehend etwas verlegen.

»Ja, so erlebe ich es hier auch.«

Angelika sah sich um. Der Eingangstür gegenüber war eine kleine Tür, links daneben sah sie durch eine offene Tür ein Fenster. Rechts neben Angelika war eine dritte Tür und zu ihrer linken Seite führte eine Treppe direkt in den Keller. Eine Treppe nach oben gab es nicht.

»Kommen Sie, ich zeige Ihnen zuerst die Kellerräume. Zwei sind es an der Zahl«, sagte Rolf Sander. Das Lächeln auf seinen Lippen ließ Angelikas Herz höher schlagen. Es ging ihr durch und durch.

»Einer könnte auch als Zimmer genutzt werden. Beide haben oben ein kleines Fenster. Die Wände sind vor einer Wochen geweißt worden.« Rolf Sander ging die Treppe hinunter. Während Angelika ihm folgte, umwehte ein betörender Hauch ihre Nase.

»Sehen Sie, schöne große Räume. Und über uns ist die Wohnung: Zimmer, Küche und Bad«, sagte Rolf Sander mit Blick nach oben. Angelika sah sich um und hörte ihm zu. Sie hatte Mühe, aufmerksam zu sein und ihre Gefühle zu verbergen.

Dann wurde Angelika wieder hinauf, und durch die gegenüberliegende Tür in die Küche, geführt. Diese war recht groß und als Wohnküche modern eingerichtet. Anschließend zeigte ihr Rolf Sander das Bad, und danach betraten sie daneben den zweiten Raum dieser Etage, ein großes Zimmer mit Wohn- und Schlafecke, das sehr gemütlich eingerichtet war. Das Fenster, das Angelika gleich beim Eintreten in die Wohnung durch die offene Tür dieses Zimmers wahrgenommen hatte, war ein Ausgang auf eine kleine Terrasse.

Angelika war begeistert. Die Ruhe faszinierte sie ebenso, wie der junge Mann, der ihr die Wohnung zeigte. Letzteres wollte sie jedoch geschickt verbergen. Nach einem Augenblick der stillen Freude sagte Angelika: »Herr Sander ...«

»Bitte sagen sie Rolf«, unterbrach er sie.

»In Ordnung. Rolf, ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll; mir gefällt das hier alles sehr gut. Zur einen Seite des Hauses der Wald, zur anderen Seite ein schöner Garten. Und diese Stille. Ist es hier immer so ruhig, wie gerade jetzt, seit ich hier bin?«

»Ja, ich habe in den fünf Jahren, die ich hier lebe, nichts anderes kennengelernt. Wenn Sie Lust und Zeit haben, verweilen Sie noch ein wenig. Dann können Sie die Atmosphäre intensiver erleben. Vielleicht fällt Ihnen damit die Entscheidung leichter.«

Angelika nahm das Angebot gern und dankend an. Sie trat an die Tür zur Terrasse und sah in den Garten, in dem die vergangene Jahreszeit hier und da noch allerletzte weiße Spuren zeigte. Rolf ging in die Küche.

Während Angelika gedankenversunken aus dem Fenster sah, hörte sie Wasser laufen und Geschirr klappern.

»Sie trinken doch Kaffee?«, fragte Rolf aus der Küche.

»Ja, danke, gern«, rief Angelika zurück, und sie war gespannt auf das was kommen wird. »Darf ich die Terrassentür öffnen?«

»Ja, natürlich«, hörte Angelika als Antwort.

Sie trat einen Schritt hinaus und schnupperte die kühle Märzluft, schloss die Augen und sog diesen Moment in sich hinein. Sie verspürte ein ungewohnt gutes, kribbelndes Gefühl. In die letzten Strahlen der Sonne dieses Märztages mischte sich lieblicher Vogelgesang. Angelika lauschte diesen Tönen. Plötzlich mischte sich ein anderes Geräusch dazu. Auch das war für Angelikas Ohren angenehm. Sie betrat wieder den Raum, schloss die Tür und sah durch die sauber geputzte Scheibe.

»Sie lieben Chopin?«, fragte Angelika fast flüsternd.

Rolf, der inzwischen leise zu ihr getreten war, stand hinter ihr.

»Ja, sehr sogar. Diese Musik ist ein Teil meines Lebens.«

Angelika drehte sich um. Sie sah ihm in die Augen. Ihr Blick sprang schnell hin und her. Sie verspürte innerlich einen tiefen Wunsch, den sie verdrängen wollte, doch sie genoss ihn.

Rolf bemerkte das. Er zog sie an den Oberarmen leicht an sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Angelika legte, dem inneren Wunsch nachgebend, ihre Hände auf seine Schultern und spürte tausend innere, sinnliche Gefühle. Nur ganz langsam lösten sie ihre lockere Umarmung und lächelten sich für einen Augenblick der Nähe an. Sie schwiegen.

»Als Kind habe ich versucht, diese Klänge selbst auf dem Klavier zu erzeugen«, unterbrach Rolf das Schweigen. »Doch wie das so ist, es kam alles anders. Andere Interessen waren plötzlich da, und aus war es mit dem Klavierspielen.« Er bat Angelika an den Tisch.

Der Kaffee wartete. Rolf stellte eine kleine Schale mit Gebäck dazu.

»Warum wollen Sie diese Wohnung aufgeben?«, fragte Angelika.

»Ich gehe beruflich nach Kenia. Fünf Jahre sollen es erst einmal sein. Da ich jedoch nicht weiß, ob es bei diesem Zeitraum bleibt oder mehr wird, will ich den Haushalt auflösen. In diesem Zusammenhang habe ich eine Bitte an Sie.« Rolf wollte den halben Teil eines Kellerraumes für seine Möbel nutzen, da er keine andere Abstellmöglichkeit hatte.

»Das können Sie gern tun, einverstanden«, sagte Angelika, und dass sie sich für die Wohnung entschieden hat, musste sie Rolf nicht mehr sagen. Er hat das gespürt, ohne ein Wort von ihr gehört zu haben.

»Frau Koch...«

 

»Sie dürfen Angelika zu mir sagen.«

»Angelika, darf ich raten, wo Sie wohnen?«

»Ja, na klar. Sie treffen es sicher richtig. Bitte sagen Sie’s mir.«

»Sie wohnen in der Stadt, mitten in Lärm und Gestank.«

»Das stimmt nur zum Teil. Ich wohne in der Stadt, ja, doch ich habe Grün vor dem Fenster, und der Lärm ist erträglich.«

»Warum wollen Sie dann die Belastung eines Umzugs auf sich nehmen?«, fragte Rolf erstaunt.

»Mir wurde die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt.«

»Das kann Ihnen hier nicht passieren.«

Angelika wurde neugierig. »Wie ist das möglich?«

»Ganz einfach: Im Mietvertrag stehen nur zwei mögliche Kündigungsgründe …« und Rolf berichtete darüber. »Sicher können Sie den Mietvertrag so übernehmen«, schloss er ab. Dann fügte er noch hinzu, dass es überhaupt mit dem Hauseigentümer ein sehr gutes Auskommen sei.

Als Angelika das hörte, fühlte sie sich noch glücklicher, diese Wohnung mieten zu können. Sie sollte für Angelika in drei Monaten frei sein. Dieser Zeitraum reichte ihr für die Einhaltung der Kündigungsfrist.

Langsam war es dunkel und Angelika wollte nach Hause. Rolf begleitete sie zur Haltestelle. Nach wenigen Minuten kam der Bus. Freundlich, ja fast zärtlich verabschiedeten sich beide, wünschten sich alles Gute und wollten in den nächsten Tagen miteinander telefonieren.

Zufrieden und beschwingt ging Rolf zurück in seine Wohnung. Angelika hatte es ihm angetan. Er war sehr überrascht doch auch erfreut.

Im Bus dachte Angelika an die vergangenen schönen Stunden zurück. Sie hatten ihr gefallen, und tief in sich spürte sie ein unbeschreibliches Gefühl. Glücklich fuhr sie nach Hause.

Gleich am darauf folgenden Montag begann Angelika ihren gefassten Entschluss in die Tat umzusetzen. Um möglichst schnell und ohne Umsteigen von der zukünftigen Wohnung zum Arbeitsplatz zu gelangen, gab es nur eine Lösung: Sie brauchte ein Auto und damit einen Führerschein. Das Auto sollte nicht das Problem sein, jedoch der Führerschein. Schließlich war sie nicht mehr die Jüngste und hatte auch neben ihrer Arbeit nicht viel Zeit übrig. Sie holte sich telefonisch Auskünfte von verschiedenen Fahrschulen ein und fand eine günstige Variante. Sie nutzte für die Ausbildung einen großen Teil ihres Urlaubs, und vier Wochen später hatte sie es geschafft. Als neue, glückliche Führerscheinbesitzerin erwarb sie preisgünstig ein gebrauchtes, doch gut erhaltenes Auto, ganz nach ihrem Wunsch, gelb und klein.

Ihre erste längere Fahrt wollte sie zu ihrer zukünftigen Wohnung machen. Kurz entschlossen rief sie bei Rolf an. Sie wollte ihn besuchen und mit dem Auto überraschen, denn davon hatte sie ihm bisher nichts erzählt. Ihn besuchen zu wollen, das war nicht neu. Sie hatte dies seit der Wohnungsbesichtigung bereits mehrmals getan, jedoch immer per Straßenbahn und Bus.

Rolf war nicht zu Hause. Nur seine Stimme konnte sie hören. Erst drei Tage später erreichte sie ihn persönlich.

»Hallo, was hast du? - Einen Führerschein? - Und auch ein Auto? In so kurzer Zeit? Gratuliere!« Auf ihre Frage antwortend sagte er: »Natürlich kannst du kommen ... Samstag? ... o.k.«

Bei strömendem Regen fuhr Angelika am Samstag nach dem Frühstück los. Die Fahrt wurde für sie trotz großer Freude sehr anstrengend. Solch ein Wetter hatte sie bisher hinter dem Lenkrad noch nicht erlebt.

»Dieser Regen, das ist kein gutes Zeichen«, dachte Angelika, denn die Tage zuvor hatte die Sonne sie sehr verwöhnt. Und jetzt das.

Angelika fuhr sehr konzentriert. Zum Glück ließ der Regen bald nach. Eine Stunde später, am Ziel angelangt, stieg sie aus und sog die feucht duftende Waldluft mit geschlossenen Augen in ihre Lungen.

»Herrlich«, dachte sie, öffnete die Augen und ging vergnügt auf Rolf zu, der sie bereits erwartete. Liebevoll umarmend begrüßten sich Beide. Dann sah Rolf sie mit ungewohnt ernsten Augen an.

»Was ist los«, fragte Angelika, »freust du dich nicht?«

»Aber ja, ich freue mich sehr, dich zu sehen. Und dein Auto - es ist schön - die Farbe gefällt mir.« Und er gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Es folgte eine kurze Pause.

»Ich muss dir etwas Trauriges sagen«, kam es zögernd als Nächstes über seine Lippen, »die Wohnung ...«

»Ja, was ist mit der Wohnung?«, wurde Angelika neugierig.

»Die Wohnung wird nicht frei. Ich bleibe hier. Vor zwei Tagen habe ich das erfahren. Bei aller Traurigkeit für dich, mich freut es.«

»Aha«, sagte Angelika leise und schwieg für einen Moment. Dann fuhr sie noch leiser fort: »Nun, dann muss ich eben weiter suchen«, und dann laut, »doch du bleibst hier, und das ist schön.«

»Ja, und bei der Suche werde ich dir helfen«, sagte Rolf erleichtert. Er legte seinen Arm um ihre Schultern und fragte: »Ist das o. k.?«

Angelika sah Rolf lächelnd an und im nächsten Augenblick berührten sich ihre Lippen, begleitet von einer liebevoll innigen Umarmung. Rolf führte sie ins Haus, und wunderschöne Stunden schlossen sich an.

Angelika war glücklich, diesen Menschen kennengelernt zu haben, und sie freute sich, dass er blieb. Das Wohnungsproblem verlor für sie an Bedeutung. Diesbezüglich war sie sehr zuversichtlich.

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