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Lebensansichten des Katers Murr

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Märgi loetuks
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Der Leibarzt dachte an Prinz Hektor's schnelle Abreise, an der Prinzessin übermäßige krankhafte Reizbarkeit, an die leidenschaftliche Art, wie sie sich (so hatte er es vernommen) gegen den Prinzen betragen haben sollte, und so schien es ihm gewiß, daß irgendein plötzlicher Liebeszwist die Prinzessin bis zu jäher Krankheit verletzt. – Man wird sehen, ob des Leibarztes Vermutungen Grund hatten oder nicht. Was die Fürstin betrifft, so mochte sie Ähnliches vermuten und eben deshalb alle Nachfrage, alles Forschen des Arztes für unschicklich halten, da der Hof überhaupt jedes tiefere Gefühl als unstatthaft verwirft und gemein. – Die Fürstin hatte sonst Gemüt und Herz, aber das seltsam halb lächerliche, halb widrige Ungeheuer, Etikette genannt, hatte sich auf ihre Brust gelegt wie ein bedrohlicher Alp, und keine Seufzer, kein Zeichen des innern Lebens sollte mehr hinaufsteigen aus dem Herzen. Gelingen mußt' es ihr daher selbst Szenen der Art, wie sie sich eben mit dem Prinz und der Prinzessin begeben, zu verwinden und den stolz abweisen, der nichts wollte als helfen.

Während sich dies im Schlosse begab, ereignete sich auch im Park manches, was hier beizubringen ist.

In dem Gebüsch links bei dem Eingange stand der dicke Hofmarschall, zog ein kleines goldenes Döschen aus der Tasche, wischte, nachdem er eine Prise Tabak genommen, mit dem Rockärmel einigemal darüber weg, reichte es dem Leibkammerdiener des Fürsten hin und sprach also: Schätzenswerter Freund, ich weiß, Sie lieben dergleichen artige Pretiosen, nehmen Sie gegenwärtiges Döschen als ein geringes Zeichen meines gnädigen Wohlwollens an, auf das Sie stets rechnen können. – Doch sagen Sie, Liebster! wie kam das mit dem seltsamen ungewöhnlichen Spaziergange?

Mich untertänigst zu bedanken! erwiderte der Leibkammerdiener indem er die goldne Dose einsteckte. Dann räusperte er sich und fuhr fort: Versichern kann ich, hochgebietende Exzellenz, daß unser gnädigster Herr sehr alarmiert sind, seit dem Augenblick, als der gnädigsten Prinzessin Hedwiga, man weiß nicht wie, die fünf Sinne abhanden gekommen. Heute standen sie am Fenster ganz hoch aufgerichtet wohl eine halbe Stunde und trommelten mit den gnädigsten Fingern der rechten Hand schrecklich auf die Spiegelscheibe, daß es klirrte und krachte. Aber lauter hübsche Märsche von anmutiger Melodie und frischem Wesen, wie mein seliger Schwager der Hoftrompeter zu sagen pflegte. – Exzellenz wissen, mein seliger Schwager der Hoftrompeter war ein geschickter Mann, er brachte sein Flattergrob heraus wie ein Däuschen, seine Grobstimme, seine Faulstimme klang wie Nachtigallschlag, und was das Prinzipalblasen betrifft. – Alles weiß ich, unterbrach der Hofmarschall den Schwätzer, mein Bester! Ihr seliger Herr Schwager war ein vortrefflicher Hoftrompeter, aber jetzt, was taten, was sprachen Durchlaucht, als sie die Märsche zu trommeln geruht hatten?

Taten, sprachen! fuhr der Leibkammerdiener fort, hm! – eben nicht viel. Durchlaucht wandten sich um, sahen mich starr an mit recht feurigen Augen, zogen die Klingel auf furchtbare Weise und riefen dabei laut: François – François! Durchlaucht ich bin schon hier, rief ich. Da sprachen aber der gnädige Herr ganz zornig: Esel, warum sagt er das nicht gleich! Und darauf: Mein Promenadenkleid! Ich tat wie mir geheißen. Durchlaucht geruhten den grünseidenen Überrock ohne Stern anzulegen und sich nach dem Park zu begeben. Sie verboten mir ihnen zu folgen aber – hochgebietende Exzellenz, man muß doch wissen wo sich der gnädigste Herr befinden, wenn etwa ein Unglück – Nun! – ich folgte so ganz von weitem und gewahrte, daß der gnädigste Herr sich in das Fischerhäuschen begaben. —

Zum Meister Abraham! – rief der Hofmarschall ganz verwundert. „So ist es, sprach der Leibkammerdiener und schnitt ein sehr wichtiges geheimnisvolles Gesicht.“

Ins Fischerhäuschen, wiederholte der Hofmarschall, zum Meister Abraham! – Nie haben Durchlaucht den Meister aufgesucht im Fischerhäuschen! —

Ein ahnungsvolles Stillschweigen folgte, dann sprach der Hofmarschall weiter: und sonst äußerten Durchlaucht gar nichts? „Gar nichts, erwiderte der Leibkammerdiener bedeutungsvoll. Doch, fuhr er schlaulächelnd fort, ein Fenster des Fischerhäuschens geht heraus nach dem dicksten Gebüsch, es ist dort eine Vertiefung, man versteht jedes Wort, was drinnen im Häuschen gesprochen wird – man könnte – Bester, wenn Sie das tun wollten, rief der Hofmarschall entzückt! – Ich tue es, sprach der Kammerdiener und schlich leise fort. Doch als er aus dem Gebüsch hervortrat, stand der Fürst, der eben nach dem Schloß zurückkehrte, dicht vor ihm, so daß er ihn beinahe berührte. In scheuer Ehrfurcht prallte er zurück: „Vous êtes un grand Tölpel!“ donnerte ihn der Fürst an, rief den Hofmarschall ein kaltes dormez bien! zu und entfernte sich mit dem Leibkammerdiener, der ihm folgte, ins Schloß.

Ganz bestürzt blieb der Hofmarschall stehen, murmelte, Fischerhäuschen – Meister Abraham – dormez bien – und beschloß sogleich zu dem Kanzler des Reichs zu fahren, um sich über die außerordentliche Begebenheit zu beraten, und womöglich die Konstellation herauszufinden, die am Hofe ob dieses Ereignisses sich erzeugen könne. —

Meister Abraham hatte den Fürsten bis eben an das Gebüsch begleitet, in welchem sich der Hofmarschall und der Leibkammerdiener befanden, hier war er umgekehrt auf Geheiß des Fürsten, der nicht wollte, daß man ihn aus den Fenstern des Schlosses in Gesellschaft des Meisters bemerke. – Der geneigte Leser weiß, wie gut es dem Fürsten gelungen, seinen einsamen geheimen Besuch bei dem Meister Abraham im Fischerhäuschen zu verbergen. Aber noch eine Person außer dem Kammerdiener hatte den Fürsten, ohne daß er es ahnen konnte, belauscht.

Beinahe war Meister Abraham angelangt in seiner Wohnung, als ihm ganz unvermutet, aus den Gängen, die schon zu dunkeln begannen, die Rätin Benzon entgegentrat.

Ha, rief die Benzon mit bittrem Lachen: der Fürst hat sich bei Euch Rats erholt, Meister Abraham. In der Tat, Ihr seid die wahre Stütze des fürstlichen Hauses, dem Vater und dem Sohne laßt Ihr Eure Weisheit und Erfahrung zufließen, und wenn guter Rat teuer oder gar nicht zu haben ist – So, fiel Meister Abraham der Benzon ins Wort, so gibt es eine Rätin, die eigentlich das glanzvolle Gestirn ist, das hier alles erleuchtet, und unter dessen Einfluß auch nur ein armer alter Orgelbauer bestehen, und sein einfaches Leben ungestört durchfristen kann.

Scherzt nicht so bitter, sprach die Benzon, Meister Abraham, ein Gestirn, das glanzvoll geleuchtet, kann unserm Horizont entfliehend schnell verbleichen, und endlich ganz untergehen. Die seltsamsten Ereignisse scheinen sich durchkreuzen zu wollen, in diesem einsamen Familienkreise, den eine kleine Stadt und ein paar Dutzend Menschen mehr, als eben darin wohnen, Hof zu nennen gewohnt sind. – Die schnelle Abreise des sehnlich erwarteten Bräutigams – Hedwiga's bedrohlicher Zustand! – In der Tat, tief niederbeugen mußte dies den Fürsten, wäre er nicht ein ganz gefühlloser Mann. – Nicht, nicht immer waren Sie dieser Meinung, unterbrach der Meister Abraham die Benzon, Frau Rätin. —

Ich verstehe Euch nicht, sprach die Benzon mit verächtlichem Ton, indem sie dem Meister einen stechenden Blick zuwarf und dann schnell das Gesicht abwandte. —

Fürst Irenäus hatte im Gefühl des Vertrauens, das er dem Meister Abraham schenken, ja der geistigen Übermacht, die er ihm zugestehen mußte, alle fürstliche Bedenklichkeiten beiseite gestellt, und im Fischerhäuschen sein ganzes Herz ausgeschüttet, auf alle Äußerungen der Benzon über die verstörenden Ereignisse des Tages aber geschwiegen. Dies wußte der Meister, und um so weniger durfte ihm die Empfindlichkeit der Rätin auffallen, wiewohl er sich verwunderte, daß, kalt und in sich verschlossen, wie sie war, sie diese Empfindlichkeit nicht besser zu verbergen vermochte.

Wohl mußte es aber die Rätin tief schmerzen, daß sie das Monopol der Vormundschaft über den Fürsten, das sie sich angeeignet, aufs Neue, und zwar in einem kritischen, verhängnisvollen Augenblick, gefährdet sah.

Aus Gründen, die sich vielleicht später klar entwickeln dürften, war die Verbindung der Prinzessin Hedwiga mit dem Prinzen Hektor der Rätin feurigster Wunsch. Auf dem Spiele stand diese Verbindung, so mußte sie glauben, und jede Einmischung eines dritten in diese Angelegenheit ihr bedrohlich erscheinen. Überdies sah sie sich zum erstenmal von unerklärlichen Geheimnissen umringt, zum ersten Mal schwieg der Fürst, konnte sie, die gewohnt das ganze Spiel des phantastischen Hofes zu regieren, tiefer gekränkt werden?

Meister Abraham wußte, daß einem aufgeregten Weibe nichts besser entgegenzusetzen ist als unüberwindliche Ruhe, er sprach daher kein Wörtchen, sondern schritt schweigend daher neben der Benzon, die sich in tiefen Gedanken nach jener Brücke wandte, die der geneigte Leser schon kennt. Sich auf das Geländer stützend schaute die Rätin hinein in die fernen Büsche, denen die sinkende Sonne, noch wie zum Abschiede, goldene leuchtende Blicke zuwarf.

„Ein schöner Abend“, sprach die Rätin, ohne sich umzuwenden. Gewiß, erwiderte Meister Abraham, still, ruhig, heiter wie ein unbefangenes, unverstörtes Gemüt.

„Sie können, fuhr die Rätin fort, das vertraulichere Ihr, mit dem sie sonst den Meister anredete, aufgebend, mein lieber Meister, es mir nicht verargen, daß ich mich schmerzhaft berührt fühlen muß, wenn der Fürst plötzlich nur Sie zu seinem Vertrauten macht, nur Sie zu Rate zieht, in einer Angelegenheit, über die eigentlich die welterfahrene Frau besser zu raten, zu entscheiden weiß. Doch vorüber, ganz vorüber ist die kleinliche Empfindlichkeit, die ich nicht zu bergen vermochte. Ich bin ganz beruhigt, da nur die Form verletzt ist. Der Fürst selbst hätte mir das alles sagen sollen, was ich nun erfahren habe auf andere Weise, und ich kann in der Tat alles, was Sie, lieber Meister, ihm erwiderten, nur höchlich billigen. – Selbst will ich gestehen, daß ich etwas tat, was eben nicht lobenswert ist. Mag es nicht sowohl weibliche Neugierde, als die tiefste Teilnahme an allem, was sich in dieser fürstlichen Familie begibt, entschuldigen. Erfahren Sie es, Meister: ich habe Sie belauscht, Ihre ganze Unterredung mit dem Fürsten angehört, jedes Wort verstanden —

 

Den Meister Abraham erfaßte bei diesen Worten der Benzon ein seltsames, von höhnender Ironie und tiefer Verbitterung gemischtes Gefühl. Ebensogut wie jener Leibkammerdiener des Fürsten, hatte Meister Abraham bemerkt, daß man in der buschichten Vertiefung, dicht vor dem einen Fenster des Fischerhäuschens versteckt, jedes Wort vernehmen konnte, was drinnen gesprochen wurde. Durch eine geschickte akustische Vorrichtung war ihm indessen gelungen, es zu bewirken, daß jedes Gespräch im Innern des Häuschens dem draußen Stehenden nur wie ein verwirrtes unverständliches Geräusch klang und es schlechterdings unmöglich blieb, auch nur eine Silbe zu unterscheiden. – Erbärmlich mußte es daher dem Meister erscheinen, wenn die Benzon zu einer Lüge ihre Zuflucht nahm, um hinter Geheimnisse zu kommen, die sie zwar ahnen mochte, aber nicht der Fürst, und die dieser daher auch nicht wohl dem Meister Abraham vertrauen konnte. – Man wird erfahren, was der Fürst mit dem Meister im Fischerhäuschen verhandelte.

O! rief der Meister, o meine Gnädige, es war der rege Geist der lebensweisen, unternehmenden Frau selbst, der Sie an das Fischerhäuschen führte. Wie kann ich armer, alter, jedoch unerfahrner Mann mich in allen diesen Dingen zurechtfinden, ohne Ihren Beistand! Eben wollt' ich alles, was mir der Fürst vertraut, weitläuftig hererzählen, aber es bedarf keiner fernern Erläuterungen, da Ihnen schon alles bekannt. Möchten Sie, Gnädige, mich würdig achten, sich über alles, was vielleicht schlimmer sich darstellen mag, als es wirklich ist, recht von Herzen auszusprechen.

Meister Abraham traf den Ton der biederen Zutraulichkeit so gut, daß die Benzon, all' ihrer Scharfsichtigkeit unerachtet, nicht gleich zu entscheiden wußte, ob es hier auf eine Mystifikation abgesehen sei oder nicht, und die Verlegenheit darüber schnitt ihr jeden Faden ab, den sie erfassen und zur für den Meister verfänglichen Schlinge hätte verknüpfen können. So geschah es aber, daß sie vergebens nach Worten ringend, wie festgebannt auf der Brücke stehen blieb, und hinabschaute in den See.

Der Meister weidete sich einige Augenblicke an ihrer Pein, dann richteten sich aber seine Gedanken auf die Begebnisse des Tages. Er wußte wohl, wie Kreisler in dem Mittelpunkt eben dieser Begebnisse gestanden, ein tiefer Schmerz über den Verlust des teuersten Freundes erfaßte ihn, und unwillkürlich entfloh ihm der Ausruf: Armer Johannes!

Da wandte sich die Benzon rasch zu dem Meister und sprach mit losbrechender Heftigkeit: Wie, Meister Abraham, Ihr seid doch nicht so töricht, an Kreislers Untergang zu glauben? Was kann ein blutiger Hut beweisen? – Was sollte ihn auch so plötzlich zu dem schrecklichen Entschluß gebracht haben, sich selbst zu töten – man hätte ihn ja auch gefunden. —

Nicht wenig erstaunte der Meister, die Benzon von Selbstmord sprechen zu hören, hier, wo ein ganz anderer Verdacht sich zu regen schien, ehe er indessen antworten konnte, fuhr die Rätin fort: Wohl uns, wohl uns, daß er fort ist, der Unglückliche, der überall, wo er sich blicken läßt, nur verstörendes Unheil anrichtet! Sein leidenschaftliches Wesen, seine Verbitterung, nicht anders kann ich seinen hochgepriesenen Humor bezeichnen, steckt jedes reizbare Gemüt an, mit dem er dann sein grausames Spiel treibt. Zeugt die höhnende Verachtung aller konventionellen Verhältnisse, ja der Trotz gegen alle üblichen Formen von Übergewicht des Verstandes, so müssen wir alle unsere Knie beugen vor diesem Kapellmeister, doch soll er uns in Ruhe lassen und sich nicht auflehnen gegen alles, was durch die richtige Ansicht des wirklichen Lebens bedingt, und als unsere Zufriedenheit begründend anerkannt wird. Darum! – dem Himmel sei gedankt, daß er fort ist, ich hoffe ihn nie wiederzusehen.

Und doch, sprach der Meister sanft, waren Sie sonst die Freundin meines Johannes, Frau Rätin, und doch nahmen Sie sich seiner an, in einer bösen kritischen Zeit und führten ihn selbst auf die Bahn, von der ihn nur eben jene konventionellen Verhältnisse, die Sie so eifrig in Schutz nehmen, wegverlockt hatten? – Welch ein Vorwurf trifft jetzt so plötzlich meinen guten Kreisler? – Was für Böses hat sich aus seinem Innern aufgetan? Will man ihn darum hassen, weil in den ersten Augenblicken, da der Zufall ihn in eine neue Region geworfen, das Leben feindlich auf ihn zutrat, weil das Verbrechen ihn bedrohte, weil – ein italienischer Bandit ihm nachschlich? —

Die Rätin fuhr bei diesen Worten sichtlich zusammen. Welch', sprach sie dann mit zitternder Stimme, welch einen Gedanken der Hölle, hegt Ihr in der Brust, Meister Abraham? – Aber wäre es so, wäre Kreisler wirklich gefallen, so wurde in dem Augenblick die Braut gerächt, die er verdorben. Eine innere Stimme sagt es mir, Kreisler allein ist schuld an dem fürchterlichen Zustande der Prinzessin. Schonungslos spannte er die zarten Saiten im innern Gemüt der Kranken, bis sie zersprangen. So war, erwiderte Meister Abraham giftig, der italienische Herr ein Mann von raschem Entschluß, der die Rache der Tat vorausschickte. Sie haben ja, Gnädige, alles angehört, was ich mit dem Fürsten gesprochen im Fischerhäuschen, Sie wissen daher auch, daß Prinzessin Hedwiga in demselben Augenblick, als der Schuß im Walde fiel, zur Leblosigkeit erstarrte.

In der Tat, sprach die Benzon, man möchte an all' das schimärische Zeug glauben, das uns jetzt aufgetischt wird, an psychische Korrespondenzen und dergleichen! – Doch! noch einmal, wohl uns, daß er fort ist, der Zustand der Prinzessin kann und wird sich ändern. – Das Verhängnis hat den Störer unserer Ruhe vertrieben und – sagt selbst, Meister Abraham, ist nicht unser Freund im Innersten zerrissen auf solche Weise, daß das Leben ihm keinen Frieden mehr zu geben vermag? – Gesetzt also wirklich daß —

Die Rätin endete nicht, aber Meister Abraham fühlte den Zorn, den er mit Mühe unterdrückt, hoch aufflammen.

Was habt Ihr alle gegen diesen Johannes, rief er mit erhöhter Stimme, was hat er euch Böses getan, daß Ihr ihm keine Freistatt, kein Plätzchen gönnt auf dieser Erde? – wißt Ihrs nicht? – Nun so will ich es Euch sagen. Seht, der Kreisler trägt nicht Eure Farben, er versteht nicht Eure Redensarten, der Stuhl, den Ihr ihm hinstellt, damit er Platz nehme unter Euch, ist ihm zu klein, zu enge! Ihr könnt' ihn gar nicht für euresgleichen achten, und das ärgert Euch. Er will die Ewigkeit der Verträge, die Ihr über die Gestaltung des Lebens geschlossen, nicht anerkennen, ja er meint, daß ein arger Wahn, von dem Ihr befangen, Euch gar nicht das eigentliche Leben erschauen lasse, und daß die Feierlichkeit, mit der Ihr über ein Reich zu herrschen glaubt, das Euch unerforschlich, sich gar spaßhaft ausnehme, und das alles nennt Ihr Verbitterung. Vor allen Dingen liebt er jenen Scherz, der sich aus der tiefern Anschauung des menschlichen Seins erzeugt und der die schönste Gabe der Natur zu nennen, die sie aus der reinsten Quelle ihres Wesens schöpft. Aber Ihr seid vornehme ernste Leute und wollet nicht scherzen. – Der Geist der wahren Liebe wohnt in ihm, doch vermag dieser ein Herz zu erwärmen, das auf ewig zum Tode erstarret ist, ja in welchem niemals der Funke war, den jener Geist zur Flamme aufhaucht? Ihr möget den Kreisler nicht, weil Euch das Gefühl des Übergewichts, das Ihr ihm einzuräumen gezwungen, unbehaglich ist, weil Ihr ihn, der Verkehr treibt mit höheren Dingen als die gerade in Euern engen Kreis passen, fürchtet. —

Meister Abraham, sprach die Benzon mit dumpfer Stimme, der Eifer, mit dem Du für Deinen Freund sprichst, führt Dich zu weit. Du wolltest mich verletzen? – Nun wohl, es ist Dir gelungen, denn Du hast Gedanken in mir geweckt, die lange, lange schlummerten! – Todstarr nennst Du mein Herz? – Weißt Du denn, ob jemals der Geist der Liebe freundlich zu ihm gesprochen, ob ich nicht allein in konventionellen Verhältnissen des Lebens, die der überspannte Kreisler verächtlich finden mag, Trost und Ruhe fand? – Glaubst Du denn nicht überhaupt, alter Mann, der auch wohl so manches Leid erfahren, daß es ein gefährliches Spiel ist, sich über jene Verhältnisse erheben, und dem Weltgeist näher treten zu wollen in der Mystifikation des eigenen Seins? Ich weiß es, die kälteste, regungsloseste Prosa des Lebens selbst, hat mich Kreisler gescholten und es ist sein Urteil, das sich in dem Deinigen ausspricht, wenn Du mich todstarr nennst, aber habt Ihr jemals dieses Eis zu durchblicken vermocht, das meiner Brust schon längst ein schützender Harnisch war? – Mag bei den Männern die Liebe nicht das Leben schaffen, sondern es nur auf eine Spitze stellen, von der herab noch sichre Wege führen, unser höchster Lichtpunkt, der unser ganzes Sein erst schafft und gestaltet, ist der Augenblick der ersten Liebe. Will es das feindliche Geschick, daß dieser Augenblick verfehlt wurde, verfehlt ist das ganze Leben für das schwache Weib, das untergeht in trostloser Unbedeutsamkeit, während das mit stärkerer Geisteskraft begabte sich mit Gewalt emporrafft, und eben in den Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens eine Gestaltung erringt, die ihm Ruhe und Frieden gibt. – Laß es Dir sagen, alter Mann – hier in der Dunkelheit der Nacht, die das Vertrauen verschleiert, laß es Dir sagen! – Als jener Moment in mein Leben trat, als ich den erblickte, der alle Glut der innigsten Liebe, deren die weibliche Brust nur fähig, in mir entzündete – da stand ich vor dem Traualtar mit jenem Benzon, der ein guter Ehemann wurde wie kein anderer. Seine völlige Bedeutungslosigkeit gewährte mir alles, was ich, um ein friedfertiges Leben zu führen, nur wünschen konnte, und nie ist eine Klage, ein Vorwurf meinen Lippen entflohen. Nur den Kreis des Gewöhnlichen nahm ich in Anspruch, und wenn dann selbst in diesem Kreise sich manches begab, das mich unvermerkt irre leitete, wenn ich manches, das strafbar erscheinen möchte, mit nichts anderm zu entschuldigen weiß als mit dem Drange des augenblicklichen Verhältnisses, so mag das Weib mich zuerst verdammen, die, so wie ich, den schweren Kampf durchkämpfte, der zu gänzlichem Verzicht auf alles höhere Glück führt, sollte dies auch nichts anders sein, als ein süßer träumerischer Wahn. – Fürst Irenäus machte meine Bekanntschaft. – Doch ich schweige von dem, was längst vergangen, nur von der Gegenwart soll noch die Rede sein. – Ich hab es Dir vergönnt in mein Innerstes zu schauen, Meister Abraham, Du weißt nun, warum ich, so wie die Dinge sich hier gestalten, jedes Hineindrängen eines fremdartigen exotischen Prinzips als bedrohlich fürchten muß. Mein eigenes Geschick in jener verhängnisvollen Stunde grinset mich an, wie ein furchtbar warnendes Gespenst. Retten muß ich die, die mir teuer sind, ich habe meine Pläne gemacht. – Meister Abraham, seid mir nicht entgegen, oder, wollt Ihr in den Kampf treten mit mir, so seht Euch vor, daß ich Eure besten Taschenspielerkünste nicht zu Schanden mache!

Unglückliche Frau, rief Meister Abraham.

Unglücklich nennst Du mich, erwiderte die Benzon, mich, die ich ein feindliches Geschick zu bekämpfen wußte und mir da, wo alles verloren schien, Ruhe und Zufriedenheit gewann?

Unglückliche Frau, rief Meister Abraham nochmals mit einem Ton, der von seiner innern Bewegung zeugte, arme, unglückliche Frau! Ruhe, Zufriedenheit vermeinst Du gewonnen zu haben, und ahnst nicht, daß es die Verzweiflung war, die – ein Vulkan, – alle flammenden Gluten aus Deinem Innern hinausströmen ließ, und daß Du nun die tote Asche aus der keine Blüte, keine Blume mehr sproßt, in starrer Betörung für das reiche Feld des Lebens hältst, das Dir noch Früchte spenden soll. – Ein künstliches Gebäude willst Du aufführen auf dem Grundstein, den ein Blitzstrahl zermalmte und befürchtest nicht, daß es einstürzen wird in dem Augenblick, da lustig bunte Bänder wehen von der Blumenkrone, die den Sieg des Baumeisters verkünden soll? – Julia – Hedwiga – ich weiß es, für sie wurden jene Pläne künstlich gewoben! – Unglückliche Frau, hüte Dich, daß jenes unheilbringende Gefühl, jene eigentliche Verbitterung, die Du mit großem Unrecht meinem Johannis vorwirfst, nicht aus Deinem eignen tiefsten Innern hervortritt, so daß Deine weisen Entwürfe weiter nichts sind, als das feindliche Auflehnen gegen ein Glück, das Du niemals genossest, und das Du nun selbst Deinen Lieben mißgönnst. – Ich weiß mehr von Deinen Entwürfen als Du es glauben magst, mehr von Deinen gerühmten Verhältnissen des Lebens, die Dir Ruhe bringen sollen und die – Dich verlockten zu strafbarer Schande!

Ein dumpfer, unartikulierter Schrei, den die Benzon bei diesen letzten Worten des Meisters ausstieß, verriet ihre tiefe Erschütterung. Der Meister hielt inne, da aber die Benzon ebenfalls schwieg ohne sich von der Stelle zu rühren, fuhr er gelassen fort: Zu nichts wenigerm habe ich Lust, als mich in irgendeinen Kampf mit Ihnen zu begeben, Gnädige. Was aber meine sogenannten Taschenspielerkünste betrifft, so wissen Sie ja recht gut, werteste Frau Rätin, daß seit der Zeit, da mein unsichtbares Mädchen mich verlassen – In dem Augenblick erfaßte den Meister der Gedanke an die verlorne Chiara mit einer Gewalt, wie seit langer Zeit nicht mehr, er glaubte ihre Gestalt zu erblicken in der dunklen Ferne, er glaubte ihre süße Stimme zu vernehmen. O Chiara! – meine Chiara! So rief er in der schmerzlichsten Wehmut! —

 

Was ist Euch, sprach die Benzon sich schnell nach ihm umwendend, Meister Abraham! – welchen Namen nanntet Ihr? – Doch noch einmal, laßt ruhen alles Vergangene, beurteilt mich nicht nach jenen seltsamen Ansichten des Lebens, die Ihr mit Kreislern teilt, versprecht mir das Vertrauen nicht zu mißbrauchen, daß Euch Fürst Irenäus geschenkt, versprecht mir nicht entgegen zu sein, in meinem Tun und Treiben.

So ganz vertieft in das schmerzliche Andenken an seine Chiara war Meister Abraham, daß er kaum vernahm was die Rätin sprach und nur unverständliche Worte zu erwidern vermochte.

Weiset mich nicht zurück, Meister Abraham, fuhr die Rätin fort, Ihr seid, wie es scheint, in der Tat mit manchem mehr bekannt, als ich vermuten durfte, doch ist es möglich, daß ich auch noch Geheimnisse bewahre, deren Mitteilung Euch sehr viel wert sein würde, ja, daß ich Euch vielleicht einen Liebesdienst erzeigen könnte, an den Ihr gar nicht denkt. Laßt uns zusammen diesen kleinen Hof beherrschen, der in der Tat des Gängelbandes bedarf. – Chiara rieft Ihr mit einem Ausdrucke des Schmerzes der – Ein starkes Geräusch vom Schlosse her unterbrach die Benzon. Meister Abraham erwachte aus Träumen, das Geräusch – —

(M. f. f.) – ich folgendes beibringen. Ein Katzphilister beginnt, ist er auch noch so durstig, die Schüssel Milch vom Rande rundumher an aufzulecken, damit er sich nicht Schnauze und Bart bemilche und anständig bleibe, denn der Anstand gilt ihm mehr als der Durst. Besuchst du einen Katzphilister, so bietet er dir alles nur mögliche an, versichert dich aber, wenn du scheidest, bloß seiner Freundschaft, und frißt nachher heimlich und allein die Leckerbissen, die er dir angeboten. Ein Katzphilister weiß vermöge eines sichern untrüglichen Takts überall, auf dem Boden, im Keller usw. den besten Platz zu finden, wo er sich so wohlbehaglich und bequem hinstreckt, als es nur geschehen kann. Er erzählt viel von seinen guten Eigenschaften und wie er, dem Himmel sei Dank, nicht klagen könne, daß das Schicksal diese guten Eigenschaften übersehen. Sehr wortreich setzt er dir auseinander, wie er zu dem guten Platz gekommen, den er behaupte, und was er noch alles tun werde, um seine Lage zu verbessern. Willst du nun aber auch endlich von dir und deinem geringer günstigen Schicksal etwas sagen, so kneift der Katzphilister sofort die Augen zu und drückt die Ohren an, tut auch wohl, als wenn er schliefe oder spinnt. Ein Katzphilister leckt sich fleißig den Pelz rein und glänzend, und passiert selbst auf der Mausjagd keine nasse Stelle, ohne bei jedem Schritt die Pfoten auszuschütteln, damit er, geht auch das Wild darüber verloren, doch in allen Verhältnissen des Lebens ein feiner, ordentlicher, wohlgekleideter Mann bleibe. Ein Katzphilister scheut und vermeidet die leiseste Gefahr und bedauert, befindest du dich in solcher und sprichst seine Hilfe an, unter den heiligsten Beteuerungen seiner freundschaftlichen Teilnahme, daß gerade in dem Augenblick es seine Lage, die Rücksichten, die er nehmen müsse, es ihm nicht erlaubten dir beizustehen. Überhaupt ist alles Tun und Treiben des Katzphilisters bei jeder Gelegenheit abhängig von tausend und tausend Rücksichten. Selbst z. B. gegen den kleinen Mops, der ihn in den Schwanz gebissen auf empfindliche Weise, bleibt er artig und höflich, um es nicht mit dem Hofhunde zu verderben, dessen Protektion er zu erlangen gewußt, und er nutzt nur den nächtlichen Hinterhalt, um jenem Mops ein Auge auszukratzen. Tages darauf bedauert er den teuern Mopsfreund gar von Herzen und schmält über die Bosheit arglistiger Feinde. Übrigens gleichen diese Rücksichten einem wohlangelegten Fuchsbau, der dem Katzphilister Gelegenheit gibt, überall zu entwischen in dem Augenblick, als Du ihn zu fassen glaubst. Ein Katzphilister bleibt am liebsten unter dem heimischen Ofen, wo er sich sicher fühlt, das freie Dach verursacht ihm Schwindel. – Und seht ihr nun wohl, Freund Murr, das ist euer Fall. Sage ich euch nun, daß der Katzbursch offen, ehrlich, uneigennützig, herzhaft, stets bereit dem Freunde zu helfen ist, daß er keine andere Rücksichten kennt, als die Ehre und redlicher Sinn gebieten, genug, daß der Katzbursch durchaus der Antipode des Katzphilisters ist, so werdet Ihr keinen Anstand nehmen, euch zu erheben aus dem Philistertum, um ein ordentlicher, tüchtiger Katzbursch zu werden. —

Lebhaft fühlte ich die Wahrheit in Muzius Worten. Ich sah ein, daß ich nur das Wort Philister nicht gekannt, wohl aber den Charakter, da mir schon manche Philister, d. h. schlechte Katzkerle vorgekommen waren, die ich herzlich verachtet hatte. Um so schmerzhafter fühlte ich daher den Irrtum, von dem befangen ich in die Kategorie jener verächtlichen Leute hätte geraten können und beschloß, Muzius Rat in allem zu folgen, um so vielleicht noch ein tüchtiger Katzbursche zu werden. – Ein junger Mensch sprach einst zu meinem Meister von einem treulosen Freunde, und bezeichnete diesen mit einem sehr seltsamen, mir unverständlichen Ausdruck. Er nannte ihn einen pomadigen Kerl. Nun war es mir, als sei das Beiwort: pomadig, sehr passend dem Hauptwort Philister hinzuzufügen, und ich befragte Freund Muzius darum. Kaum hatte ich aber das Wort pomadig ausgesprochen, als Muzius laut jauchzend aufsprang, und, mich kräftig umhalsend rief: Herzensjunge, nun gewahre ich, daß du mich ganz verstanden hast – ja, pomadiger Philister! das ist die verächtliche Kreatur, die sich auflehnt gegen das edle Burschentum und die wir überall, wo wir sie finden, tothetzen möchten. Ja, Freund Murr, du hast jetzt schon dein inneres, wahrhaftes Gefühl für alles Edle, Große, bewiesen, laß dich nochmals an diese Brust drücken, in der ein treues, deutsches Herz schlägt. – Damit umhalste mich Freund Muzius aufs neue und erklärte, wie er in der nächstfolgenden Nacht mich einzuführen gedenke in das Burschentum, ich möge mich nur in der Mitternachtsstunde einfinden auf dem Dache, wo er mich abholen werde zu einem Fest, das ein Katzsenior veranstaltet, nämlich der Kater Puff.

Der Meister trat ins Zimmer. Ich sprang wie gewöhnlich ihm entgegen, schmiegte mich, wälzte mich auf dem Boden, um ihm meine Freude zu bezeugen. Auch Muzius glotzte ihn an mit zufriedenem Blick. Nachdem der Meister etwas weniges mir Kopf und Hals gekraut, sah er sich um im Zimmer und sprach, da er alles in gehöriger Ordnung fand: Nun das ist recht! Eure Unterhaltung ist still und friedlich gewesen, wie es anständigen, gut erzogenen Leuten geziemt. Das verdient belohnt zu werden.

Der Meister schritt zu der Türe heraus, die nach der Küche führte, und wir, Muzius und ich, seine gute Absicht erratend, schritten hinter ihm her mit einem fröhlichen Mau – Mau – Mau! Wirklich öffnete auch der Meister den Küchenschrank und holte die Skelette und Knöchelchen von ein paar jungen Hühnern hervor, deren Fleisch er gestern verzehrt hatte. Es ist bekannt, daß mein Geschlecht Hühnerskelette zu den allerfeinsten Leckerbissen rechnet, die es geben kann, und daher kam es, daß Muzius Augen in glanzvollem Feuer strahlten, daß er den Schweif in den anmutigsten Windungen schlängelte, daß er laut schnurrte, als der Meister die Schüssel vor uns hinsetzte auf den Boden. Des pomadigen Philisters wohl eingedenk, schob ich dem Freunde Muzius die besten Bissen hin, die Hälse, die Bäuche, die Steiße, und begnügte mich mit den gröbern Schenkel- und Flügelknochen. Als wir mit den Hühnern fertig waren, wollte ich den Freund Muzius fragen, ob ihm vielleicht mit einer Tasse süßer Milch gedient sei. Doch den pomadigen Philister stets vor Augen, unterließ ich es und schob statt dessen die Tasse, welche, wie ich wußte, unter dem Schrank stand, hervor und lud Muzius freundlich ein zuzusaufen, indem ich ihm Bescheid tat. – Muzius soff die Tasse rein aus, dann drückte er mir die Pfote und sprach, während ihm die hellen Tränen in die Augen traten: Freund Murr, ihr lebt lukullisch, aber ihr habt mir euer treues, biederes und edelmütiges Herz kund getan, und so wird die eitle Lust der Welt euch nicht verlocken zum schnöden Philistertum! Habt Dank, habt innigen Dank! —