Der Nackt-Scanner

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Der Nackt-Scanner
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Ernst von Wegen

Der Nackt-Scanner

eine Sexnovelle für Kopfmenschen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Nackt-Scanner

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Impressum neobooks

Der Nackt-Scanner

Ernst von Wegen

Eine Sexnovelle für Kopfmenschen

Kapitel 1

Liebe Leserinnen, liebe Leser, seien wir doch mal realistisch: wieviel Lebenszeit verbringen wir mit Sex? Nehmen wir an, ein Durchschnittsmensch hat einmal am Tag Sex. Wir alle wissen, das ist eine sehr optimistische Annahme, selbst wenn man die Onanie hinzurechnet. Und nehmen wir weiterhin an, der Durchschnittsbürger wendet dafür 24 Minuten auf. Auch das ist, wie wir wissen, ausgesprochen hoch gegriffen, aber es lässt sich leichter rechnen. Bei 24 Stunden pro Tag wären 24 Minuten ein Sechzigstel. Der schmeichelhaftesten Schätzung zufolge verbringen wir also knapp 1,7 % unserer Zeit tatsächlich mit Sex. Unsere Öffentlichkeit dagegen ist voll davon. Von den Werbeflächen, digital wie analog, strahlen uns meist junge, aber immer attraktive Körper entgegen, keine Zeitschrift verzichtet auf erotische Komponenten, wir selbst machen uns bestmöglich zurecht, auch wenn wir nur vor die Tür gehen: überall wollen wir optimal auf das andere Geschlecht wirken. Auch in Fernsehfilmen, Kino und Literatur sind Sex und Erotik omnipräsent und durch die Abflusskanäle des Internets schwappt eine Flut aus Pornografie. Gemessen an der öffentlichen Präsenz müsste man also annehmen, wir wären neben dem Broterwerb fast ausschließlich mit Sex beschäftigt. Ich hatte dieses krasse Missverhältnis immer belächelt - bis ich selber in diese Sexspirale geriet und in die archaischen Urgründe des Lebens hinabgezogen wurde.

Ich heiße Immanuel Polcas, bin Publizist und Schriftsteller und habe schon einige Bücher geschrieben: philosophische Traktate, Essays, soziologische Aufsätze, aber auch zwei Romane, die den geistigen und moralischen Zustand der Gegenwart beleuchten sollten. Bücher, die manche Verlage als Feigenblatt der Bildung benutzen: Seht her, wir haben auch Anspruch im Programm! Das große Geld verdienen sie mit anderen Werken. Ich schrieb also Bücher, die den Verfasser kaum ernährten, und den Verleger eher Geld kosteten, als einbrachten. Jedenfalls behauptete der das ständig. Die schöne Wohnung und ein Leben über der Armutsgrenze hatte ich weitgehend meiner Frau zu verdanken, die im höheren Management durchaus erfolgreich war.

Vor etwa zweieinhalb Jahren hatte ich eines der nervigen Gespräche mit meinem Verleger Edgar Hugenbach, aber diesmal war es mehr als nur ein Gespräch über die alltäglichen Tücken des Verlagswesens, diesmal ging es um das nackte Überleben. Hugenbach hatte schon zu lange keinen „Bringer“ mehr, der letzte nennenswerte Verkaufserfolg lag mehr als ein Jahr zurück: der Historienschinken einer akribischen Autorin, die fünf Jahre und längerr an einem Buch schrieb. Bis zu ihrem nächsten Erfolg wollte und konnte Hugenbach nicht warten:

„Uns steht das Wasser bis zum Hals“ sagte er bedrückt, „wenn wir in den nächsten Monaten keine Granate zünden, können wir dicht machen.“

Hugenbach haute mir kumpelhaft auf die Schulter:

„Ihre erlesenen Werke liegen in den Regalen wie schimmeliges Brot. Selbst ihre zwei Romane waren keine richtigen Hits. Und dieser Romanversuch hier“, er wies abwertend auf mein Typoskript, das ich ihm auf den Tisch gelegt hatte, „das wird auch kein Renner.“

Romanversuch! Allein für diese Frechheit hätte ich ihm eine reinhauen müssen.

„Ach ja“ sagte ich beleidigt, „und welchen Bringer soll ich ihrer Meinung nach schreiben?“

Da grinste er mich schief an und sagte:

„Sex sells!“

„Wie bitte, ich soll...?“

„Ja, wer sonst? Sie sind ein glänzender Stilist, Polcas, wer Worte so tanzen lassen kann wie Sie, der kann auch einen prickelnden Roman für ein breites Publikum schreiben.“

Ich musste ihn wie ein Vollidiot angesehen haben, denn er schien mich trösten und ermutigen zu wollen, wie ein dreijähriges Kind. Er drehte meinen Stuhl vom Schreibtisch weg, hockte sich vor mich hin, nahm meine Hände und flehte:

„Polcas! Sie können das und wir brauchen das! Immo, helfen Sie mir, helfen Sie uns den Verlag zu retten!“

„Ich kann das nicht“, sagte ich, stieß ihn weg, sprang auf und verließ wie ein Traumwandler sein Büro.

„Und wie Sie das können“ rief Hugenbach mir hinterher, „und wie! Denken Sie darüber nach!“

Eine Stunde später schaute ich ratlos aus dem Fenster meines Schreibzimmers und dachte über das Gespräch nach, das ich hier nur arg verkürzt wiedergegeben habe.

Sex sells?

Früher vielleicht, dachte ich. Das Thema ist doch längst durch- und durchgenudelt. Ausgelaugt und ausgelutscht. Will das wirklich noch jemand lesen? Wo sich doch heute jeder überall mit einschlägigen Bildern und Filmen versorgen kann?

„Vor allem lesen“ hatte Hugenbach in dem Gespräch bemerkt, „das Foto, der Film, da gebe ich Ihnen Recht, Bilder erschöpfen sich rasch, weil sie alles zeigen und dem Betrachter kaum Spielraum lassen. Geschickt gesetzte Worte dagegen sprechen nicht alles direkt aus, sie deuten nur an und reizen damit die Fantasie. Geschickt gesetzte Worte lösen mehr aus im Kopf als Bilder, die kein Geheimnis mehr übrig lassen. Sie haben das Zeug dazu, den Trieb über den Intellekt zu anzusprechen. Verbinden Sie Anspruch und Lust miteinander! Auch Kopfmenschen...“

Nein, ich glaube er sagte nicht „Kopfmenschen“, er sagte Klugscheißer, ja, „...auch Klugscheißer haben Überdruck in der Hose, den sie irgendwie abbauen müssen. Denen müssen Sie den Schweinkram intellektuell auftakeln, verstehen sie?“

Ja, wie sollte ich das denn verstehen? Bumsen für Bildungsbürger? Adorno meets Porno, oder was?

Ich schaute noch immer ratlos aus dem Fenster, als ob da draußen irgendein Stoff für dieses Vorhaben zu finden wäre. Die Tante von „Essen auf Rädern“ fuhr in den Innenhof, brachte meinem alten Nachbarn, Herrn Stein aus dem Parterre das Mittagessen.

‚Angenommen, die da’, dachte ich in meiner Verzweiflung, Hugenbachs Stimme noch im Ohr:

„Bringen Sie mir eine saftige Geschichte und zwar zügig, oder wir müssen unser Brot bald mit richtiger Arbeit verdienen!“

Das war deutlich genug.

Meine Frau hatte sich längst daran gewöhnt, dass ein vom Erfolg verhöhnter Schriftsteller ihr auf der Tasche lag, Hugenbach konnte das nicht. Wollte ich mir nicht die Mitschuld am Ruin eines renommierten Kleinverlages aufladen, musste ich mein Wolkenkuckucksheim verlassen und zwischendurch für eine gute Auflage schreiben. Nun denn, dachte ich trotzig-wütend, wenn ihr Schweinkram haben wollt, sollt ihr Schweinkram kriegen!

Also angenommen, die da. Die Frau von Essen auf Rädern. Ich hatte sie schon oft gesehen, aber nun fiel mir zum ersten Male mal auf, dass sie eine schöne, schlanke Figur hatte. Meine neue Aufgabe veränderte und verschärfte also bereits meine Wahrnehmung, das war doch schon ein Anfang.

Bloß: wie konnte ich sie zu meinem Stoff machen, wie konnte ich sie zu mir heraufschreiben? Ich könnte sie klingeln und sagen lassen:

„Entschuldigen Sie bitte, Herr Stein ist nicht zu Hause, könnte Sie ihm sein Essen...“

Und dann? Wie weiter? Sie könnte fragen, ob sie meine Toilette benutzen darf, und danach meine Dusche. Und ich reiche ihr das Handtuch und... und wo blieb dabei der höhere Anspruch? Dafür müsste sie eine Studentin sein, die Essen ausfährt, um ihr Philosophiestudium zu finanzieren. Oder vielleicht Germanistik? Oder noch besser: Literatur! Ja, so vielleicht: Sie hat eine Reifenpanne, ich helfe ihr, wir kommen ins Gespräch, ich gebe mich als Schriftsteller zu erkennen, sie erzählt, dass sie mitten in der Doktorarbeit steht, Thema: Darstellung und Zweck der Sexualität im Werk von Henry Miller! Ihr fehlt von der Trilogie Sexus, Nexus, Plexus, ausgerechnet Sexus, der selbstverständlich in meinem Regal steht. Sie kommt mit in die Wohnung, wir trinken Kaffee und plaudern über Millers teilweise sehr derben Sexszenen, wir reden uns heiß, sie sieht, wie meine Hose sich spannt, packt aus, packt zu, fährt aus den Klamotten, setzt sich auf mich und reitet uns ins Nirwana! Na, wie wär’ das? Albern, oder? Nein, dachte ich, so wird das nichts. Das wird nie was, ich kann so was nicht!

 

Kapitel 2

Am nächsten Vormittag trieb mich ein geheimer, innerer Impuls oder ein Zufall, wahrscheinlich war es nur der Abfall, in die Garage, als das Essen auf Rädern in den Hof rollte. Aus dem Auto stieg nicht die schlanke Langhaarige, aus dem Auto stieg – Claudia! Claudia Springer war eine heitere, etwas pummelig gewordene Mittdreißigerin aus dem weiteren Bekanntenkreis. Unsere und Springers Freundeskreise überschnitten sich, wir sahen uns vielleicht fünf Mal im Jahr. Claudia war hübsch, aber ohne Selbstvertrauen, nett, aber ein bisschen langweilig. Sie arbeitete in der Edelboutique ihres Mannes, dem teuersten Laden in der ganzen Stadt, deshalb wunderte es mich, sie Essen ausfahren zu sehen.

„Claudia, du? Springst du für eine Freundin ein?“

„Wie? Ihr wisst es noch nicht?“

„Nö, was denn?“

Sie lächelte verlegen.

„Othmar und ich haben gerade eine Krise, ich nehme mir eine kleine Auszeit, du verstehst?“

„Nein!“

„Ich bin ausgezogen, wir brauchen Abstand um ins Reine zu kommen.“

‚O je‘ dachte ich und sagte:

„Hast zu Zeit für eine Tasse Kaffee oder warten noch Leute auf ihr Essen?“

„Ja, gerne“ sagte sie, „dein Nachbar ist mein letzter Kunde, es kann nichts mehr kalt werden; es kann auch nichts mehr anbrennen...“

*

Kaum hatte Claudia den ersten Schluck getrunken und die Kaffeetasse abgesetzt, brach auch schon der Damm der Selbstbeherrschung kläglich in sich zusammen und ein Strom der Tränen quoll aus ihren Augen:

„Es ist alles so eine elende Scheiße! Von wegen Abstand und Auszeit – nichts mehr kommt ins Reine, es ist vorbei! Er hat eine andere, der Sauhund!“

„Nun komm“ versuchte ich sie zu trösten, „das ist ja so ungewöhnlich nicht. Nach einigen Jahren tritt eben eine gewisse Gewöhnung ein, die Beziehung nutzt sich etwas ab. Dann suchen sich manche Kerle ein junges Püppchen um sich zu beweisen, und wenn ihnen dann die Luft ausgeht, kommen sie reumütig wieder zurück.“

„Wenn’s bloß so einfach wäre“, heulte Claudia, „er hat sich eben kein junges Püppchen geschnappt, sondern den hässlichen Hungerhaken aus dem Reformhaus. Weil sie sich so gut verstehen! Weil er mit ihr so gut über alles reden kann! Das geht nicht nur gegen mich als Frau, das geht gegen mich als Mensch, verstehst du?“

Wie bitte? Der Kunstfreund Othmar Springer, der Ästhet, ging fremd mit einer hässlichen Bohnenstange? Dazu fiel mir allerdings auch nichts mehr ein.

Weil es für einfache Leute oft schon ein Trost ist, wenn auch andere leiden, sagte ich:

„Dann sind wir schon zwei, denen es heute beschissen geht.“

„Wie? Ihr zwei etwa auch, Hat Katja...?“

„Nein, nein, aber der Verleger hat meinen Roman abgelehnt. Romanversuch, wie er verächtlich sagte. Zwei Jahre harte Arbeit, und der Idiot sagt nur: Tut mir leid, viel zu verkopft, das Ganze! Zwei Jahre Arbeit mit einem Satz in den Papierkorb geschoben: Sowas will keiner lesen, Polcas! Und das Beste kommt erst noch, weißt du, was er sagte: Verbinden Sie Anspruch und Lust miteinander. Sex sells! Ich, verstehst du, ausgerechnet ich soll erotische Geschichten schreiben. Kannst du mir sagen, wie ich an erotische Geschichten kommen soll?“

Claudia lächelte sich die Tränen weg.

„Nimm meine Geschichte“ sagte sie, „schreib: Sie rächte sich bitter, sie zog alles, was nach Mann aussah, ob jung oder alt, in ihr Bett, Hauptsache verheiratet. Sie zerstörte alle Ehen, die in ihre Nähe kamen...“

„Ach Claudi, du weiche Seele schaffst sowas ja gar nicht. Nein, ich sollte eher schreiben: Plötzlich lag sie in den Armen ihres Trösters, er küsste ihre Tränen von den Wangen...“ Claudias Augen bekamen einen seidigen Glanz, innerhalb von Sekunden war aus dem unsicheren, enttäuschten Wesen eine Frau geworden, die wusste, was sie wollte. Sie kam auf mich zu, setzte sich rittlings auf mich,

„Nun“ sagte sie, „schreib es genau so! Mach es genau so!“

Und dann tat ich es, genau so, ich holte ihre Tränen von den Wangen, die erste nahm ich zwischen meine Lippen, die nächsten angelte ich mir mit der Zungenspitze, sie spürte meine Erektion, ihr Unterleib begann zu wippen, sie nahm meinen Kopf zwischen ihre Hände und küsste mich, bis wir nach Luft schnappten, ich streifte ihr T-Shirt hoch, sie knöpfte mein Hemd auf, sie stand auf, riss mir die Hose runter, fuhr aus ihrem Schlüpfer, schob den Rock hoch und setzte sich auf mich und schaukelte sanft, dann heftiger, dann ganz wild, ich grub meine Hände in ihre wunderweichen Hinterbacken, so segelten wir Stunden, Minuten, oder auch nur Sekunden lang dahin, bis ich explodierte und fühlte, dass sie in dem selben Augenblick den Höhepunkt erreichte.

‚Wahnsinn‘, dachte ich, ‚wie lange ist es her, dass ich zugleich mit meiner Frau einen Orgasmus hatte‘.

„Wahnsinn“ hauchte Claudia, „ich hatte noch nie vorher zeitgleich mit einem Mann einen Orgasmus“.

Wir saßen noch minutenlang zeitlos umarmt und küssten uns kraftlos, aber innig, ehe wir in die Wirklichkeit zurückglitten und etwas verschämt, aber unglaublich glücklich in unsere Kleider schlüpften.

Claudia hatte aber noch viel mehr vermocht, als einen gleichzeitigen Orgasmus, sie hat etwas bewirkt, was ich nie für möglich gehalten hätte: nämlich, dass mein Verstand Pause machte! Dass das Denken aussetzte und ich mich völlig dem Gefühl überließ! Seit ich denken konnte, tat ich alles mit vollem Bewusstsein, alles, auch das, jawohl! Und nun reichte eine pummelig-süße Claudia und meine Lust schaltete den Verstand komplett aus.

Das war nicht gut fürs Schreiben, oder doch? Ich schrieb drauflos, einfach um alles einigermaßen so festzuhalten wie ich es erlebt hatte. Eine erste Skizze, mehr war noch nicht drin.

*

‚War das nun Zufall‘ dachte ich, ‚war es ein Ausrutscher? Oder nur ein dümmlich-süßer Traum? Was genau war das heute Mittag‘? Für eine Antwort blieb keine Zeit mehr, ich hörte das Auto meiner Frau über den Kies im Hof rauschen und freute mich wie immer auf sie.

Als Katja zur Tür herein kam, war ich mir beinahe sicher, dass die Episode mit Claudia bloß meiner schriftstellerischen Phantasie auf den Leim gegangen war. Es musste Phantasie gewesen sein, denn was da alles haarklein auf meinem Schreibblock geschrieben stand, konnte nicht geschehen sein. So bin ich nicht. Und Claudia auch nicht. Und hätte ich so eine heiße Nummer real erlebt, ich wäre unfähig gewesen, es wiederzugeben.

Hinter solchen Überlegungen versteckte sich mein schlechtes Gewissen, um Katja in die Augen sehen zu können.

Katja kam müde aber gut gelaunt zur Tür herein. Sie hatte einen guten Abschluss gemacht und konnte mit dem Rückenwind dieses Erfolges in Ruhe ihr nächstes Projekt vorbereiten. Wir knackten eine Flasche Dietrich Sauvignon Blanc (ein Geheimtipp von der Südsteirischen Weinstraße) und stießen auf ihren Erfolg an. Das war unser Ritual: wenn Katja einen dicken Fisch an Land gezogen, oder ich ein Buch oder einen wichtigen Artikel veröffentlicht hatte, machten wir einen besonders guten Wein auf und ließen uns was zu essen kommen. Dabei besprachen wir das Erreichte und planten die nächsten Schritte.

Als wir den edlen Tropfen geleert hatten und ins Bett gingen, war ich plötzlich so wild auf Katja, wie lange nicht. Sie war glücklich und gab sich willig hin. Hinterher hauchte sie:

„Na, du scheinst ja auch einen guten Tag gehabt zu haben?!“

„Nun“ sagte ich, „eine nette Idee, mehr ist es noch nicht.“

„Eine Idee, die dich zu solch erotischen Ausbrüchen anspornt? Davon will ich mehr hören, erzähl!“

„Da gibt’s noch nicht viel zu erzählen, außerdem ist es nicht meine, sondern die Idee von Hugenbach...“

„Wie bitte? Dein Verleger sorgt dafür, dass wir nach mehr als zwei Wochen endlich wieder Sex haben?“

„Nein! Ja, irgendwie schon, hör zu: Der Verlag steht vor der Pleite, wir brauchen dringend einen Verkaufserfolg. Erotik! Sex! Stell dir vor, ich solle eine Art Intellektuellenporno schreiben! Klugscheißer hätten auch ein Triebleben, so seine Theorie!“

„Und was für eines!“ lachte Katja, „das hast du gerade gezeigt. Aber was war das für eine Idee, die dich so beflügelte?“

„Ja, Mensch, wo soll denn einer wie ich einen Stoff dafür hernehmen, wenn nicht stehlen? Also habe ich aus dem Fenster geschaut, wie immer, wenn ich nachdenke. Und was glaubst du, wen ich sah, na?“

„Nun sag schon, wen denn?“

„Weißt du, wer neuerdings Essen auf Rädern ausfährt? Claudia Springer!“

Ich erzählte ihr das Beziehungschaos unserer gemeinsamen Bekannten. Katja meinte:

„Ja, ich hab‘ davon gerüchteweise gehört, es aber nicht glauben wollen. Ist ja irre traurig, aber was hat deine Idee mit Claudias kaputter Ehe zu tun? Nee, oder?“

„Ja nun, in meiner Verzweiflung habe ich mir einfach vorgestellt, sie käme mit rauf und wir schöben eine flotte Nummer, so eine Art Trostvögeln, verstehst du?“

Katja verschluckte sich fast vor Lachen:

„Erstaunlich, was so eine drohende Pleite alles bewirken kann. Not macht tatsächlich erfinderisch. Erzähl es mir, erzähl mir alles haarklein.“

Ich holte meinen Schreibblock und las ihr vor, wie ich ihre Freundin getröstet hatte, so als wäre es bloß eine geistige Schöpfung gewesen.

„Immanuel, mein Genie!“ sagte Katja verzückt, „Es steckt ja doch mehr in dir als nur die reine Vernunft!“

In der Nacht aber trat das schlechte Gewissen offen auf und die Angst schüttelte mich: so leichtfertig hatte ich unsere wirklich gute Ehe aufs Spiel gesetzt - wofür? Um Stoff für ein unmögliches Buch zu sammeln? Oder gar aus Geilheit? Oder beides? Wie auch immer, mir zitterten die Glieder wie nach einem knapp vermiedenen Verkehrsunfall. Im übertragenen Sinne war’s ja auch einer. Schweißgebadet warf ich mich im Bett hin und her. Katja störte das nicht, sie schlief den tiefen Schlaf der Tüchtigen.

*

Auch tags darauf hatte ich „zufällig“ im Hof zu tun, als Claudia kam. Sie ließ sich wieder zu einer Tasse Kaffee einladen. Sie bedankte sich für das schöne Erlebnis gestern und fragte:

„Wir können doch ganz offen miteinander reden?“

Sicher, das konnten wir.

„Worum geht’s denn?“

Ja, sie hätte gestern erst so richtig erfahren, was Frau zu sein alles bedeuten konnte:

„Ich hatte ja nie den Mut, was zu äußern, und mein Othmar, oh Gott, der wollte ja, wenn er überhaupt wollte, immer nur...“

Othmar wollte immer nur die Missionarsstellung: rauf auf die Mutti, ein bisschen rumjuckeln, ejakulieren, fertig. Nie was anderes ausprobieren. Claudia dagegen wollte einmal „so richtig von hinten gefickt“ werden! Sorry, genauso sagte sie es. Für mich auch sprachlich interessant. Man benutzt vor allem dann drastische Ausdrücke, wenn man zu arg unter Druck gerät und sich aus der Defensive befreien möchte: der wütende Vorgesetzte, der sich „nur noch von Idioten umgeben“ sieht, der kleine Mann, der „alle Politiker in einen Sack stecken und mit dem Knüppel draufschlagen“ möchte. Und nun die frustrierte Ehefrau, die bislang bei dem Ausdruck „vögeln“ schon errötet war und nun plötzlich „so richtig von hinten gefickt werden“ wollte.

‚Ich werde bei Gelegenheit einen Essay über verbalen Gefühlsabbau schreiben‘, dachte ich.

Othmar also war „von hinten“ immer zu tierisch gewesen, unchic, irgendwie. Vielleicht sah er in dieser Stellung, was er nicht sehen wollte, wer weiß. Jedenfalls wollte Claudia das mit mir nachholen, nach dem gestrigen Erlebnis traute sie mir offenbar alles zu. Sie hatte einen runden, niedlichen Hintern, wirklich reizend, aber als sie sich auszog und in Stellung brachte, konnte ich Othmar schon verstehen: tatsächlich ein bisschen wie eine Kuh.

 

„Claudi“ sagte ich, „nicht so! Du musst deinen Po wie eine Zielscheibe anbieten. Und vergiss den Rest deiner Reize nicht.“ Mit einigen sanften Handgriffen verhalf ich ihr zur Verführerpose. Sie kapierte rasch, schon drückte sie mir ihr Hinterteil entgegen, ich streichelte ihre Hüften und drang ein. Meine Hände glitten vor zu ihren Schultern, ich zog langsam ihren Oberkörper hoch, Claudi stützte sich mit den Händen an der Wand ab, so dass ich ihren Bauch, ihre Brüste streicheln, ihre Kugelbrüste in meinen Handschalen wiegen konnte, Claudi stöhnte, jaaaah!, das war zu viel des Guten, schon nach wenigen Schüben entleerte ich mich.

„Oooh!“

Claudia war zu recht enttäuscht. Sie hatte gehört, in solchen Fällen würde reden helfen, aber ich legte ihr einen Zeigefinger auf die Lippen, küsste ihre Brüste und streichelte ihr Becken, bis ich wieder bereit war für ihren Wunsch, sie „von hinten zu ficken“. Nach sanft und weich vorhin, nun rasch und hart, bis auch sie ihr Ziel erreichte.

*

Am Abend wollte Katja den „Stand der Dinge“ erfahren.

„Wie meinen?“

Ja, nun, wie weit die Geschichte gediehen sei?

„Ach“ sagte ich, „irgendwie ist das doch nicht mein Ding. Mangels anderer Einfälle musste ich wieder auf Claudia zurückgreifen.“

„Nun spann mich nicht auf die Folter, lies vor!“

Katja lachte sich schlapp:

„Die hüftsteife Claudia von hinten, entzückend!“

‚Von wegen Hüftsteif‘ dachte ich, ‚Wenn du wüsstest! ‘

„Nun lies schon vor“ sagte Katja, „ich bin gespannt, wie du das aufgelöst hast.“

Lachend über die „arme Claudi“ die nicht wüsste, wie wir sie durch den Kakao zögen, spielte Katja die hüftsteife Claudia, bot mir ihren Hintern und gluckste vergnügt:

„Lass uns das eins zu eins nachvögeln“. Ich nahm all meine Kräfte zusammen und vögelte die Szene nach, eins zu eins. Danach war mein Pulver vollends verschossen, todmüde fiel ich in den Schlaf, zwei, drei Stunden lang - bis das schlechte Gewissen wieder seine Nachtschicht begann.

*

In den nächsten Tagen lauerte ich schon im Hof oder in der Garage auf den Wagen, der Nachbars Essen brachte. Ich schob es darauf, dass ich unsere Affäre weiterhin „literarisch“ verarbeiten wollte, auch auf den Reiz des Neuen, tatsächlich aber suchte ich insgeheim was ganz anderes: diese verstörende Selbstvergessenheit unseres ersten Seitensprungs, das zeitweilige Aussetzen des Verstandes! Das erschreckte und reizte mich gleichermaßen.

Aber auch Claudia kam auf den Geschmack, mit jeder Nummer wurde sie selbstsicherer. Nach einer Woche hatten wir alles durchgenudelt, wofür der arme Othmar nicht zu haben war, alles, was mit unseren nicht eben zirkusreifen Körpern möglich war, aber den Wahnsinn des ersten Mals haben wir nie wieder erreicht: nicht den gleichzeitigen Orgasmus und auch der Kontrollverlust, diese völlige Auslieferung ans Gefühl gelang mir nicht mehr. Vorerst nicht mehr.

Erreicht hatten wir immerhin etwas anderes: Aus der pummelig-süßen Claudia, aus everybody‘s Darling, die es immer allen und jedem hatte recht machen wollen, so dass sie selbst stets zu kurz gekommen war, aus jener naiven Claudia wurde eine selbstsichere Frau, die endlich wusste, was sie wollte und ihren Weg ging. Sie ließ sich scheiden zog in eine große Stadt in den Süden, machte dort ihren eigenen Erotikshop auf, war sehr erfolgreich damit, lernte einen potenten Polizeitaucher kennen, der Seen und Flüsse nach Leichen und anderen Delikten abtauchte. Sie heiratete ihn und seither betauchen die Beiden alle sehenswerten Riffs dieser Welt. Mehrmals bekamen wir eine Ansichtskarte mit lieben Urlaubsgrüßen und einem anspielungsreichen „Danke für alles“ von unserer Freundin Claudia.

Ohne Claudia Springer erschöpfte sich meine erotische Phantasie rasch wieder. Die Trennung von Othmar und ihr plötzlicher Weggang waren natürlich das Gespräch im Bekanntenkreis. Von: „Man hat ihnen nie was angesehen!“ bis „Ich hab’s schon immer gewusst“, gab es alle Kommentare. Am häufigsten hörte man: „Aber die Trennung kam dann doch sehr plötzlich!“

Süß, oder?

Trennungen kommen immer plötzlich, zumindest für die Außenstehenden. Weil man ja seine Beziehungskämpfe zu Hause im stillen Kämmerlein ausficht. Da kann es mitunter recht laut werden im stillen Kämmerlein. Zusammenraufen, nennen sie das, tatsächlich!

„Wir mussten uns auch erst zusammenraufen.“ - Mit diesem dummen Spruch trösten kampferprobte Ehepaare ihre jüngeren Leidensgenossen, wenn es mal richtig kracht.

Glauben Sie mir eins: Zusammenraufen funktioniert nicht!

Über den Kampf in die Harmonie zu gelangen, das wird nix! Zusammenraufen ist das Dahinvegetieren einer Beziehung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dabei bleibt am Ende für beide so wenig übrig, dass die Beziehung entweder zerbricht oder beide in diesem Minimum emotional verdorren.

Claudia und Othmar Springer hatten es sieben Jahre lang verstanden, den Kampf um ihre Ehe geheim zu halten; vor ihren Familien, vor ihren Freunden und vor allem sich selbst. Die Maxime ihrer Beziehung war, allen vorzugaukeln, es wäre alles prima! Wahnsinn, oder? Da wissen zwei Leute, dass sie nicht zusammenpassen, sagen sich aber sieben Jahre lang: wir müssen uns erst zusammenraufen! Gut, nun hatten sie es endlich geschafft. Othmar heiratete bald nach der Scheidung seinen „dürren Hungerhaken“, die Inhaberin eines Reformhauses in der Fußgängerzone. Sie machen jedes Jahr zwei Mal Urlaub: im Frühling Wandern auf Rügen und im Herbst geht’s zur Weinlese nach Südtirol: ein glückliches Paar, das Regelmäßigkeiten braucht und sich vom Triebleben nicht allzu sehr bedrängen lässt.

Ich hingegen überlegte, ob ich meiner Katja wirklich alle meiner Reifeprüfungen anvertrauen sollte, denn meine liebe Frau wollte mittlerweile alle meine „Einfälle eins zu eins nachbumsen.“ Jeden Tag Doppelschicht, das hält der stärkste Mann nicht aus! Mit meiner Abhandlung über die Sprache als Gefühlsventil zeigte ich ihr, dass ich trotz meiner Ausflüge ins Schmuddelfach nach wie vor die, wie sie mich gerne nannte, „die Vernunft auf zwei Beinen“ blieb. Katja dagegen ließ sich gerne anstecken von dem flapsigen Ton, den ich in meinem Erotik-Roman anzuschlagen versuchte und schien den Reiz zu genießen der im sprachlichen Übertreten der Anstandsgrenze lag. Mit einem trotzigen Funkeln in den Augen sprach sie das aus: „...eins zu eins nachbumsen!“ Auch Wörter wie „vögeln“ oder „Möpse“ schienen sie zu stimulieren und sogar das harte Wort ficken sprach sie ohne Scheu aus. Darauf angesprochen sagte sie, sie wolle mich damit in meiner Arbeit unterstützen. Alles im Sinne der Kunst also, nun denn!