Wie die Gorillas

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Wie die Gorillas
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Abnehmen, ohne anderen davon zu erzählen, den Rasierer auf dem Weg in die Schwimmbaddusche verstecken, schminken, als wäre alles von Natur aus so.

In ihrem Debütroman »Wie die Gorillas« beschreibt Esther Becker das Erwachsenwerden junger Frauen in einer Gesellschaft, die behauptet, alle könnten selbst bestimmen. Doch gehört sich Manches und Anderes nicht. Wo verlaufen die Grenzen zwischen ausgelebter Individualität und den Anstrengungen dazuzugehören? Wie soll der Körper aussehen, wie sich benehmen – ob beim Sportunterricht, in der Schule, unter Freundinnen oder in Beziehungen?

Lustvoll, pointiert, mit viel Humor und mit der Drastik, der es bedarf, erzählt Becker vom gesellschaftlichen Druck, der auf jungen Frauen lastet.

Esther Becker, geboren 1980 in Erlangen, lebt als Dramatikerin, Schriftstellerin und Performerin in Berlin. Sie studierte an der Hochschule der Künste Bern und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie veröffentlichte Texte in diversen Magazinen und Anthologien. Ihre Theatertexte (Verlag Felix Bloch Erben) wurden bereits mehrfach ausgezeichnet und in Deutschland und der Schweiz aufgeführt. Sie ist Mitglied der Theaterformation bigNOTWENDIGKEIT. »Wie die Gorillas« ist ihr Debütroman.

ESTHER BECKER

WIE DIE GORILLAS

ROMAN


Erste Auflage

© Verbrecher Verlag 2021

www.verbrecherei.de

Satz: Christian Walter

Druck: CPI Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-95732-470-2

eISBN 978-3-95732-483-2

Der Verlag dankt Sophie Bölke, Johanna Seyfried, Annouk Spilker und Hannah Stangl.

I’ve got a perfect body, though sometimes I forget

I’ve got a perfect body cause my eyelashes catch my sweat yes, they do, they do

Regina Spektor

Inhalt

TEIL I

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

TEIL II

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

TEIL III

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

TEIL IV

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

TEIL V

Kapitel 32

DANK

I

1

Zu viert müssen sie mich festhalten. Vielleicht auch zu fünft.

Ob ein Paar der vielen Hände zu meinem Vater gehört, ist nicht sicher, meine Augen sind fest verschlossen. Vielleicht sitzt er auch auf einem der stapelbaren Wartezimmerstühle und schaut zu.

Die übrigen Hände gehören meiner Ärztin und dem weiteren Praxispersonal, das einer nach dem anderen von ihren Posten herbeigerufen wurde. Meinetwegen.

Meinetwegen stehen sie alle zusammen in diesem kleinen Zimmer um mich herum und halten mich alle zusammen fest. Ich bin ein schwieriger Fall.

Ihre gemeinsame Aufgabe ist, mir pupillenerweiternde Augentropfen zu verabreichen, ohne die die ganze Untersuchung nicht beginnen kann.

Ich winde mich mit aller Kraft, sie halten meine Arme überkreuz am Rücken fest, damit ich nicht um mich schlagen kann, meine Füße treten ins Leere, ich sehe ja nichts. Eine Hand hält mein Kinn fest, eine andere meine Stirn. Meinen Kopf fixiert, machen sie sich daran, mein rechtes Augenlid zu öffnen. Ich werfe mich in den Nacken, spanne alles an, spreize die Zehen, presse die Lippen aufeinander, doch es hilft nichts, zwei Finger reißen mein Auge auf, mit einem Tupfer ziehen sie mein Unterlid herunter. Dann nähert sich senkrecht das Plastikfläschchen, und ich soll nach oben schauen.

Ich schiele auf meinen Nasenflügel, der nur ein verschwommener Umriss ist. Vielleicht geben sie irgendwann auf.

Nach oben, sagen sie.

Niemals.

Nach oben.

Ich sehe es kommen und falle trotzdem aus allen Wolken. Kalt erwischt es mich und brennt fürchterlich.

Sie lassen ab und tupfen, ich blinzele, Scham steigt rot meine Wangen hoch.

Braves Mädchen!, sagen sie. Tapfer! Und: Gut gemacht!

Dann schauen sie in der Akte meinen Vornamen nach und sprechen ihn vertraulich aus.

Wirklich, gut gemacht. Jetzt das andere Auge.

Als es vorbei ist, streichelt mein Vater mir über den Kopf, er tätschelt mich wie einen wohlerzogenen Hund. Er hat ein schlechtes Gewissen.

Ich will ihm vertrauen, doch mein Vater ist ein windiger Typ. Charmant und windig. Nach außen verläuft alles in geordneten Bahnen, aber was innen vorgeht, weiß man nicht genau. Er könnte ein Agent sein, es würde mich nicht wundern. Meiner Mutter traue ich erst recht nicht, ich versuche es gar nicht mehr. Sie bekommt ständig Mitleidsanfälle, die sich in Wutanfälle verwandeln und genauso abrupt aufhören, wie sie angefangen haben. Sie ist bester Laune, und plötzlich regt sie irgendeine Kleinigkeit furchtbar auf, und sie steigert sich so sehr hinein, dass sie kaum ansprechbar ist. Irgendwann ist sie erschöpft, hat genug vom Sich-ärgern und beruhigt sich.

Ich will nie wieder dorthin, bitte ich meinen Vater auf dem Heimweg, und er verspricht es mir.

Er wird das Versprechen brechen. Wir werden noch sehr oft in der Sehschule auf stapelbaren Birkenholzstühlen sitzen und warten, bis mein Name aufgerufen wird, meine Protestversuche gegen die Augentropfen werden jedes Mal ein wenig zaghafter werden, kraftloser, irgendwann werden sie völlig einschlafen, abklingen wie eine Kinderkrankheit.

Die Dioptrien-Zahl meiner Kurzsichtigkeit wird jedes Mal ein wenig mehr ansteigen. Ich werde eine Brille verschrieben bekommen, die ich nie tragen werde, weil sie hässlich ist und ich hässlich bin und mir eine Brille wirklich nicht erlauben kann. Selbst wenn es eine schöne Brille wäre, die mir gut stehen würde, und nicht dieses buntgemusterte Ding, das meine Mutter in völliger Übereinstimmung mit der Verkäuferin für das beste Modell hielt, so pfiffig, und ich es leid sein werde, weitere anzuprobieren und mein blasses, mausiges Gesicht immer und immer wieder im Spiegel ansehen zu müssen, selbst dann würde ich sie mir nicht erlauben können. Ich ziehe meine Brille nicht an.

Im Kino sitze ich freiwillig in der ersten Reihe. In der Schule auch.

Mit vorgeschobenem Kopf und gerunzelter Stirn schreibe ich von der Tafel ab, was sich erkennen lässt. Das wird irgendwann so wenig sein, dass die Schule meine Mutter auf der Arbeit anrufen wird, um ihr mitzuteilen, was sie längst weiß: dass ihre Tochter eine Brille braucht. Meine Mutter wird von einem mittelschweren Selbstmitleidsanfall ereilt werden und meinen Vater bitten beziehungsweise ihm befehlen, das zu regeln.

 

Mein Vater wird das regeln, indem er mir Kontaktlinsen bezahlt und sich wundert, dass ich sie mir so problemlos einsetzen kann. Ich hätte doch immer so ein Theater gemacht. Ich werde mit den Schultern zucken, weil ich es für Verschwendung halten werde, meinen Vater an meinem Innenleben teilhaben zu lassen. Er lässt mich ja auch nicht an seinem Innenleben teilhaben. Würde ich ihn an meinem Innenleben teilhaben lassen, würde ich ihm erklären, dass der entscheidende Unterschied zwischen den Augentropfen und den Kontaktlinsen darin besteht, dass ich es bin, die in mein Gesicht fasst. Dass das alles eine Frage von Kontrolle und Macht über den eigenen Körper ist, würde ich so formuliert noch nicht denken und folglich nicht sagen, selbst wenn ich meinem Vater gegenüber ehrlich wäre.

Wasch dir die Hände, wird er auf mein Schulterzucken sagen. Du musst dir immer gut die Hände waschen!

Und ich werde nicken oder brummen. Ich werde ihm nicht sagen, dass ich meine Hände immer gut wasche, sehr gut sogar, damit man den Nikotingeruch an den Fingern nicht bemerkt.

2

Ich ziehe den Knoten fest. Das Oberteil des buntgemusterten Bikinis, den meine Mutter in völliger Übereinstimmung mit der Verkäuferin für mich ausgesucht hat, verrutscht an meiner flachen Brust. Es rutscht hoch oder zur Seite, manchmal würgt es mich beim Schwimmen wie eine Seeschlange und schnürt mir die Luft ab, manchmal verliere ich es ganz und muss danach tauchen. Manchmal verrutscht es bereits auf dem Weg von der Umkleidekabine zum Becken. Es verrutscht, wenn ich vom Fünfmeterbrett springe, es verrutscht, wenn ich einen Kopfsprung vom Startblock mache. Nach dem Auftauchen muss ich als allererstes an den Rand schwimmen und es zurechtziehen. Meine Zeiten werden schlechter wegen der Bikinipausen. Badeanzüge sind das Letzte seit diesem Jahr. Seit diesem Jahr müssen es zwei Stoffdreiecke sein.

Ich vergesse, meine buntgemusterten Dreiecke anzuziehen, ich werde sie ohnehin verlieren, da kann ich sie auch von vornherein weglassen.

Du bist in der falschen Umkleide!

Die mit den Busen findet das lustig.

Was ist das? Der Schwimmlehrer ist verunsichert.

Nichts.

Es ist ja auch nichts. Meine Brust ist flach wie ein Brett, sie unterscheidet sich in keiner Weise von der der Jungs, die alle in Shorts herumlaufen.

Ich packe die Dreiecke nicht mehr in den Turnbeutel.

Der Schwimmlehrer zieht es in Erwägung, meine Eltern anzurufen, das haben die mit den Busen ihn sagen hören. Aber er ruft nie an und verpasst jede Gelegenheit, meinen Vater anzusprechen, wenn er mich vom Unterricht abholt.

Stattdessen wird der Schwimmlehrer immer an mir vorbeischauen, weshalb ich bis zum Erwachsenenalter nie richtig Kraulen lernen werde.

3

Was machst du, wenn deine Kinder Frauen werden?

Wenn deine Kinder Töchter sind und Frauen werden, was machst du dann?

Wenn deine Töchter keine Kinder bleiben wollen (wie du insgeheim hofftest), sondern in die Höhe schießen und in die Breite.

Wenn sie aufgehen, sich in alle Richtungen ausdehnen, sich auflehnen gegen den einst so genügsam schmalen Kinderkörper, diesen feinen kleinen Kinderkörper, der noch nicht unter den Armen stank und auch nicht zwischen den Beinen.

Einen Körper, den du baden konntest, pudern und salben, dem du buntgemusterte Kleidchen und Hemdchen aussuchen durftest, (auch die Höschen für den Windelpopo sollen hier nicht verschwiegen werden) und diese Kleidchen oder Hemdchen über den kleinen Kopf ziehen konntest, über den einen kleinen Arm, dann den anderen kleinen Arm, Ärmchen, die dünn waren und unbehaart. (Du weißt nicht, woher sie diesen starken Haarwuchs haben, von dir mit Sicherheit nicht!)

Einen Körper, der pflegeleicht war und schön aussah.

Was machst du, wenn sie auf einmal aufgehen wie Kuchenteige, üppig aus ihren Schüsseln quellen, über das übliche Maß hinaus ihre Formen sprengen, die Hüftjeans mit Schlag sind oder geknöpfte Basketballhosen oder ausgefranste Miniröcke?

Dazu viel zu klein gekaufte Leibchen, die kurz und knapp unter den Achseln spannen, damit jedermann sehen kann, wie ihre aufgeblasenen Hüften und Bäuche über den Bund schauen, behaartes, weißes, weiches Fleisch, das niemand will. (Es ist nicht so, als hättest du ihnen das nicht gesagt, wie unvorteilhaft das aussieht.)

Die Töchter, die nicht mehr über den Rand ihres Tellers hinausschauen, sondern ihn leer fressen, als hätten sie Schwerstarbeit verrichtet und nicht bloß krumm in den Stühlen und Seilen gehangen und Haarsträhnen gezählt.

Ihre fettigen Haarsträhnen, die ihnen in die fettigen Gesichter fallen (es ist nicht so, als hättest du ihnen nicht angeboten, sich in der Apotheke beraten zu lassen), diese immer feuchten Augen dich nicht mehr bewundernd an-, sondern durch alles abwesend hindurchschauen, die ungelenken Hände, die ständig durch die dummen Gesichter wischen, dicht beringt mit billigem Modeschmuck. Sie mögen silberfarbenes im Sechserpack, so leicht zu verbiegen wie einst ihre zarten Körper.

Jetzt plumpsen ihre plumpen Körper auf Stühle und Bänke, auf Betten und Kinosessel und sind zu nichts zu bewegen, was Bewegung erfordert.

Sie kauen Kaugummi und waschen eifrig ihre billig beringten Nikotinfinger. (Sie denken, du merkst nicht, dass sie rauchen.) Ihre Haare waschen sie nicht.

Fettige Strähnen werden um Finger gezwirbelt, Ringe werden verschoben, es wird laut mit ungelenken Gelenken geknackt.

An Sport ist nicht zu denken. Seit sie menstruieren, stinken sie noch mehr und lassen sich aufgrund von Frauenleiden Entschuldigungen schreiben, lassen sich von körperlicher Ertüchtigung befreien, um tumb am Rand zu sitzen und zum Rauchen zu verschwinden in den Büschen hinter den Turnhallen, den Büschen hinter den Sportplätzen, sie wünschten zum Küssen.

Wie sagst du diesen fetten, faulen Töchtern, dass niemand sie küssen wird, wenn sie nicht an sich arbeiten, zumindest kein Junge oder junger Mann?

Frauen ist nicht zu trauen.

Lesbische Liebe hältst du für ein Gerücht.

(Du bist zugegebenermaßen unentschlossen, was du vom Küssen halten sollst.

Du wolltest kein Mauerblümchen pflanzen, keine alte Jungfer heranzüchten und trotzdem wird dir mulmig, wenn du dir ausmalst, wie jemand deiner Tochter die Zunge in den Mund bohrt, ihren Brüsten beikommt, ihr den Finger in die Muschi schiebt. Muschi sagst du nicht, du sagst Scheide oder Vagina, wenn es sein muss, unsicher, ob die Betonung auf der ersten oder der zweiten Silbe liegt, du hattest kein Latein.

Du willst keine billige Schlampe unter deinem Dach, aber auch keine prüde Spaßverderberin. Du willst, dass bald einmal ein junger Verehrer seine Füße unter deinen Tisch streckt, der angesehen ist und ansehnlich und sehen will, was deine Tochter zu bieten hat.)

Was macht du, wenn deine Tochter des männlichen Blickes unwürdig, fröhlich weiter wächst, vor sich hin und über sich hinaus, immer mehr Platz einnimmt, am Tisch und auch sonst und so jede Möglichkeit eines guten Ansehens durch einen verehrenden Jungen verdrängt?

Wo soll er denn sitzen?

4

Wir sollen uns vorstellen, wir befänden uns in einem Lift.

In Wahrheit befinden wir uns in einem niedrigen, grauen Tagungsraum im Bahnhofshotel, weil meine Freundin Svenja Schauspielerin werden wird. Ich bin zur Unterstützung mitgekommen, und da uns direkt zu Beginn von einem ernsten Mann gesagt wurde, dass Zuschauen nicht erlaubt sei, man müsse mitmachen oder gehen, stehe ich gemeinsam mit Svenja in einem imaginären Aufzug, der jetzt stecken bleibt. Wir sollen Panik spielen, schreien und weinen.

Ich brülle los und tue so, als würde ich auf die Fahrstuhlknöpfe einhämmern. Svenja kreischt in den höchsten Tönen, dann presst sie tatsächlich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln, ich weiß nicht, wie sie das macht. Ich habe gelesen, dass es hilft, in einen Ventilator zu schauen oder eine Zwiebel ans Gesicht zu halten. Seit ich Kontaktlinsen trage, muss ich beim Zwiebelschneiden nicht mehr weinen.

Dann kommen wir einzeln dran. Es werden Fotos geschossen und Notizen gemacht, man muss traurig gucken, dann lachen, dann flirten. Ich sehe immer wieder auf die Uhr, wir mussten sehr lange warten, eine Menge Mädchen wollen zum Film, mein Vater hat versprochen, uns abzuholen.

Ich schaue nicht traurig genug.

Du bist schuld!, sagen sie zu mir in strengem Ton, um mich in die richtige Stimmung zu versetzen. Als sie merken, dass ich Kaugummi kaue, werden sie wirklich wütend.

Ich muss ihn ausspucken, das sei unprofessionell.

Ich lache ungern, ich habe Zähne wie ein Pferd.

Mehr!, wollen sie.

Ich will aber nicht.

Auch das Flirten ist mir sehr unangenehm, ich weiß nicht, wen ich zuerst angehen soll, und ohne Lächeln bleibt mir nur, ihnen zuzuzwinkern oder die Augenbrauen neckisch hochzuziehen.

Es wird sich beraten, mein Vater wartet bestimmt schon.

Die Vielversprechenden sollen ein Formular ausfüllen, ich bin nicht darunter.

Es gibt die Kategorien sportlich, schlank und weiblich. Dick gibt es nicht.

Wir sollten jetzt wirklich gehen.

Willst du wissen, warum es nicht gereicht hat?

Eigentlich nicht. Doch es war eine rhetorische Frage.

Enge Augen, sagt die einzige Frau unter den Castingleuten.

Du hast zu eng stehende Augen.

Sie sagt das, als wäre es ein schmutziges Geheimnis.

Du würdest nie eine Hauptrolle bekommen. Es ist schwer genug als Dunkelhaarige, und dann noch mit den Augen …

Svenja hat schlank angekreuzt und ihre Adresse notiert, und ich will endlich gehen, aber das ist nicht so einfach, denn am Ausgang hat sich eine Schlange gebildet, zum Bezahlen einer Gebühr, von der uns niemand etwas gesagt hat. Svenja blättert euphorisch die Scheine hin, ich will sagen, dass ich doch gar nicht mitmachen wollte und ohnehin nicht aufgenommen wurde, will aber Svenja die Chancen nicht vermiesen. Ich gebe ihnen alles, was ich habe, den Rest würde ich von meinem Vater holen.

Wie war es? Mein Vater hört Jazzradio und scheint noch nicht allzu lang gewartet zu haben.

Svenja brummt und zuckt mit den Schultern, als wir einsteigen.

Ich sage nichts. Auch nichts von dem Geld.

Svenja schaut aus dem Fenster, ich meine, ein kleines Lächeln zu erkennen.

Ich schaue mir im Rückspiegel meine Augen an.

5

Wir machen es alle. Wir fallen der Reihe nach um, wie die Hühner von der Stange. Wir setzen uns mit den Rücken an die Wand, wir pressen uns die Hände an die Halsschlagadern, wir hyperventilieren, bis es uns wirr wird, und dann Gutnacht.

Wir sinken herab in etwas Tiefes und Warmes, in dem nichts Platz hat außer uns. Eine muss aufpassen, dass nichts passiert und der Lehrer nichts mitbekommt.

Der Lehrer muss sich ankündigen, bevor er die Kabine betritt, er muss einen guten Grund haben und uns Zeit geben, uns zu bedecken. Er muss warten, bis wir ihn hereinbitten, wie einen Vampir über die Schwelle.

Eine passt auf oder zwei, am besten die, die ihre Tage haben, die können nicht mitmachen, wir denken, dass das gefährlich wäre: Wer nicht turnen darf, sollte auch besser nicht in Ohnmacht fallen.

Wir machen das schon eine Weile, wer damit angefangen hat, weiß niemand mehr so genau, wir haben einfach angefangen und weitergemacht.

Es ist unser Ausweg aus diesem niedrigen, stickigen Raum, in dem alles noch schlimmer wird, wenn jemand blumiges Deo versprüht. Die schimmeligen Duschkabinen benutzt keine von uns, geschminkt wird nur das Nötigste unter flackernden Neonröhren vor vollgemalten Spiegeln. Unser Ausweg ist ein Kaninchenloch zum Drin-verschwinden, es kann überallhin führen. Unser Ausweg ist willkommen und kostet nichts. Man braucht nur eine Wand und welche, die aufpassen.

 

Ich lehne mich an, spüre den Puls der Halsschlagader an meinen Fingern, ich drücke fest zu und atme schnell, ich gleite ab und lasse los, dass etwas kracht, kriege ich mit, aber ich bin schon zu weit untergetaucht, als dass ich etwas damit zu tun haben möchte.

Ich tauche und treibe mühelos auf einem tropischen Fluss. Ich höre Stimmen, die mich nicht weiter stören. Ich fühle ein Tätscheln an den Wangen wie mit Palmwedeln und wieder, und es ist jetzt ein festes Tätscheln, das wehtut und eigentlich ein Schlagen ist, was für mich keinen Sinn ergibt, weil sonst alles so friedlich ist, wer sollte da Ohrfeigen verteilen?

Es klatscht immer wieder, ein rohes Brennen blüht auf meinen Wangen, aber ich will noch nicht zurück. Jemand schreit einen Namen in mein Ohr, es ist mein Name, es scheint etwas Ernstes zu sein. In Zeitlupe steige ich aus dem warmen Wasser, nasses Haar klebt mir am Hinterkopf, als sie mich aufrichten. Sie sind hektisch und laut und haben den Lehrer gerufen. Das nasse Haar ist eine Platzwunde, es kommt ein Krankenwagen.

Es stellen sich Fragen nach Absichten. Ich sage, dass es nur ein Spiel ist, dass alle das machen in unserem Alter, aber davon will man nichts gehört haben. Da ich sonst nicht weiter auffällig bin, bleibt mir genaueres Erklären erspart.

Die Wunde ist genäht, eine Gehirnerschütterung nicht ganz ausgeschlossen, man behält mich da bis zum nächsten Tag. Meine Mutter ist sprachlos, mein Vater schaut besorgt, sie bringen mir Dinge zum Übernachten. Meine Bettnachbarin hat Verbrennungen im Gesicht, sie habe Glück gehabt, sagt man ihr.

Ich frage mich, was daran Glück sein soll und wie man sich im Gesicht verbrennt. Vielleicht ein Rauchunfall? Ich habe mir einmal die Wimpern versengt, als ich mir einen Zigarettenstummel wiederanzünden wollte. Das war nicht weiter tragisch, außer dass ich Angst hatte, dass meine Eltern es bemerken und eins und eins zusammenzählen. Ich kämmte mir die Haare ins Gesicht und wartete, dass die Wimpern nachwachsen.

Meine Bettnachbarin redet im Schlaf, was ich erst begreife, nachdem ich sie mehrmals vergeblich gebeten habe, deutlicher zu sprechen. Sie murmelt vor sich hin, und ich liege lange wach.

Ich nehme mir vor, sie zu fragen, was passiert ist, ob es wirklich das Zigarette-anzünden war oder ob es einen Brand gab in ihrem Haus, ihrer Schule oder Arbeit. Es ist schwer zu schätzen, wie alt sie ist.

Das Frühstück ist nicht schlecht, nicht wie in Filmen, wo das Krankenhausessen immer furchtbar schmeckt und es grünen Wackelpudding gibt. Wir bekommen Brot, Marmelade und fettarmen Fruchtjoghurt ohne Stückchen.

Meine Nachbarin liest in einem Büchereibuch, was ich am Einband erkenne, kann den Titel aber nicht entziffern. Ich schlafe noch einmal ein.

Als ich aufwache, ist sie nicht mehr im Zimmer.

Ich warte vorm Stationszimmer auf mein Entlassungsschreiben und höre durch die angelehnte Tür, wie jemand von Säure redet, davon, dass die Opfer schwerste Verletzungen davontragen, dass viele auch erblinden oder das Gehör verlieren.

Sie hat wirklich Glück gehabt!, sagt jemand anderes. Der abgewiesene Verehrer habe schlecht gezielt und nur einen kleinen Teil ihres Gesichts getroffen.

Da zähle ich eins und eins zusammen.

Ich packe meine Sachen und erschrecke, als die Tür aufgeht. Meine Nachbarin schlurft im Bademantel an mir vorbei, um das Fenster zu öffnen.

Starr mich nicht so an, sagt sie. Das ist es doch, was er will, dass alle mich anstarren, weil ich hässlich bin. Er soll nicht kriegen, was er will. Also hör auf damit.

Ich schaue auf meine Schuhe und weiß nicht, was ich sagen soll. Im Türrahmen wünsche ich ihr leise alles Gute, ich denke nicht, dass sie es gehört hat.

Die, die aufpassen sollten, bringen mir Pralinen in Herzform mit. Wir fallen nicht mehr um, wir hören einfach auf damit. Stattdessen essen wir Schokolade hinter der Turnhalle, wir kauen und rauchen gleichzeitig.

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