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Das Eulenhaus

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22

Die Herzogin hatte beim Ausbruch des Wetters ihre Kinder holen lassen; das jüngste schmiegte sich an sie, die, von Kissen unterstützt, im Bette saß. Der Erbprinz stand mutig am Fenster und schaute in die blitzdurchzuckte Nacht hinaus, und den zweiten Prinzen hatte Klaudine auf dem Schoß.

Neben dem Erbprinzen stand der Herzog und horchte auf das Prasseln des Hagels und betrachtete die Wassermassen, die der Sturm an die Scheiben warf. Die Herzogin plauderte mit dem Kleinsten; im Nebenzimmer befanden sich Frau von Katzenstein, die Erzieherin der Prinzen und die Kammerfrau.

Als der Donner sich entfernte und der Regen nachließ, wurden die fürstlichen Kinder in ihre Zimmer entlassen. Der Erbprinz sah Klaudine einen Augenblick in das Gesicht.

»Haben Sie sich gefürchtet?« fragte er.

Sie schüttelte freundlich den schönen Kopf.

»Das gefällt mir«, sagte der schlanke Junge, »Mama fürchtet sich immer gleich.«

Die Mutter zog ihr Kind an sich.

»Fräulein von Gerold gefällt dir überhaupt?« forschte sie mit trübem Lächeln.

»Ja, Mama«, antwortete der Knabe, »wenn ich groß wäre, würde ich sie heiraten.«

Niemand lachte über dieses Kindeswort. Die Herzogin nickte: »Schlaft wohl, ihr lieben, lieben Kinder, Gott behüte euch!«

Als das Getrappel der kleinen Füße verhallt war, sagte sie leise: »Ich bin recht müde, Adalbert.«

Auch der Herzog empfahl sich. Er küßte seine Gemahlin auf die Stirn und verließ das Gemach. »Erwache gesund morgen!« sagte er noch.

»Ich verspreche es dir!« erwiderte sie freundlich.

Klaudine wollte sich mit Frau von Katzenstein in die Nachtwache teilen. Sie ging in das Zimmer, das man ihr angewiesen hatte, und zog sich ein bequemeres, wärmeres Kleid an. Dann kehrte sie zurück und saß neben dem Bette, still und geduldig.

Die Herzogin lag mit geschlossenen Augen. Die kleine Nachtuhr tickte leise. Das Bildnis der Madonna leuchtete matt herüber, des Mädchens Augen blieben hängen an diesem holden Antlitz und wanderten dann zu dem bleichen der Kranken. Dann sank ihr Kopf an das Polster, sie schloß die Augen und dachte nach.

Sie war wohl müde von der gestrigen Nacht. Ein leises traumhaftes Dämmern kam über sie, sie sah sich mit seinem Kinde auf dem Arme und fühlte seinen Dankeskuß auf der Hand und sie lächelte im Schlaf. Dann schreckte sie empor, und ein Grauen schlich durch ihren Körper. Sie sah in die Augen der Herzogin, die mit einem unheimlich forschenden Ausdruck auf sie gerichtet waren, so seltsam starr!

»Elisabeth«, fragte sie unter leisem Frösteln, »kannst du nicht schlafen?«

»Nein!« war die kurze Antwort.

»Soll ich dir vorlesen?«

»Nein, ich danke!«

»Willst du plaudern? Soll ich dir das Kopfkissen zurechtlegen?«

»Gib mir die Hand, Klaudine. War ich sehr unleidlich heute?«

»Ach, Elisabeth, das kannst du gar nicht sein!« rief das Mädchen und kniete neben ihr.

»Doch, doch! Ich fühle es. Aber dann – dann ist mein Herz krank und du mußt verzeihen.«

»Sag, Elisabeth, geschah dir ein Weh?«

»Nein. Ich dachte nur ans Sterben, Klaudine.«

»Oh denke das doch nicht!«

»Du weißt ja, Klaudine, daß wider die Liebe und den Tod kein Kraut gewachsen ist! Ich glaube, ich fürchte auch nicht den Tod, ich habe eher Angst vor dem Weiterleben.«

»Du bist überaus angegriffen, Elisabeth!«

»Ja, ja, und ich bin so müde. Du sollst auch schlafen, es ist besser, ich bleibe allein, bitte, geh! Die Kammerfrau wacht nebenan. Geh! Ich muß dich immer ansehen, wenn du hier sitzest.« Klaudine beugte sich betrübt über die fieberheiße Hand und zog sich zurück. Gegen Mitternacht schlich sie sich im Nachtkleide nach dem Krankenzimmer und lauschte hinter dem roten seidenen Vorhang, ob die Herzogin wohl schlafe. Es war alles still, aber als durch ihre Bewegung die Falten leise rauschten, wandten sich langsam die großen dunklen Augen der Kranken mit dem nämlichen starren fragenden Ausdruck wie vorhin zu ihr herüber. »Was willst du?« fragte sie.

Klaudine trat vor. »Ich ängstige mich um dich«, sagte sie, »verzeih!«

»Sage mir«, sprach die Herzogin völlig unvermittelt, »warum wolltest du anfänglich nicht nach Neuhaus?«

Klaudine war betroffen. Sie trat näher. »Warum ich nicht nach Neuhaus wollte?« wiederholte sie erglühend. Dann schwieg sie. Es war ihr nicht möglich zu sagen: weil ich Lothar liebe, und weil er mich kränkt, wo er mich sieht – weil er mir mißtraut, weil —

Die Herzogin wandte sich plötzlich um. »Laß, laß, ich will keine Antwort. Geh, geh!«

Ratlos wandte sich das Mädchen der Tür zu.

»Klaudine! Klaudine!« scholl es hinter ihr, herzzerreißend und bang. Die Kranke saß im Bette und breitete die Arme nach ihr.

Sie kam zurück, setzte sich auf das Bett und nahm die zarte bebende Gestalt in die Arme.

»Elisabeth«, sagte sie innig, »laß mich bei dir bleiben!«

»Verzeih mir, ach, verzeih!« schluchzte die Herzogin, das Mädchen küssend, ihr Kleid, das lange blonde Haar, das lose auf den Rücken herniederfiel, und ihre Augen. »Sage mir«, flüsterte sie, »sage es ganz laut, daß du mich liebhast!«

»Ich habe dich sehr lieb, Elisabeth«, sprach Klaudine und trocknete die großen Tropfen, die über das heiße erregte Gesicht der Kranken liefen, wie eine Mutter ihrem Kinde tut. »Du weißt überhaupt nicht, wie sehr, Elisabeth.«

Erschöpft sank die Herzogin zurück. »Ich danke dir – ich bin so müde!«

Klaudine saß noch ein Weilchen, dann, als sie glaubte, die Kranke schlafe, wand sie leise ihre Hand aus der der Freundin und verließ auf den Zehen das Gemach. Ein seltsames Grauen schlich ihr nach. Was war es mit der Herzogin? Dieses Anstarren, diese Kälte, diese leidenschaftliche Zärtlichkeit?

»Sie ist krank!« sagte sie sich.

Sie stand vor dem Spiegel, um das gelöste Haar zu befestigen – ein mißtrauischer Gedanke kam ihr, die Hand, welche die Schildpattnadel hielt, sank herunter. Dann schüttelte sie stolz die goldene Flut in den Nacken zurück. Weder sie noch die Herzogin waren kleinlich genug, an Klatsch zu glauben.

Eine jener ahnungsvollen unbegreiflichen Ideenverbindungen ließ blitzgleich die Erinnerung an das verschwundene Briefchen auftauchen. Ein dumpfes, ängstliches Herzklopfen überfiel sie im Augenblick. Dann lächelte sie – wer konnte wissen, in welchem Waldeckchen es vermoderte im Regen und Tau?

Sie nahm das kleine Gebetbuch, aus dem ihre Mutter schon allabendlich ihr Sprüchlein gelesen, und schlug irgend eine Seite auf: »Behüte mich, Herr, vor böser Nachrede und wehre meinen Feinden! Laß kein Übel mir und den Meinen begegnen und keine Plage unserer Wohnung sich nahen —« las sie und ihre Gedanken flogen nach dem friedlichen Hause, aus dessen Turmgemach die Studierlampe des Bruders in den Wald hinausschimmerte. Und von dort wanderten sie an das Bettchen des mutterlosen Kindes in Neuhaus. »Beschirme es auch ferner, lieber Gott, wie du es gestern behütet hast!« flüsterte sie und senkte die Augen wieder auf das Buch. »Erbarme dich der Kranken, die schlaflos auf ihrem Lager nach Linderung schmachten«, las sie weiter, »und aller Sterbenden, denen diese Nacht die letzte sein soll.«

Das Buch entglitt ihren Händen, eine eiskalte Furcht erfaßte sie – das entstellte Antlitz der Herzogin schaute sie plötzlich an.

Erst nach einer langen Weile richtete sie sich auf und hüllte sich fröstelnd in die Decken. Und sie ließ die Lampe brennen auf dem Tischchen, sie mochte nicht im Dunkeln bleiben.

23

Der andere Morgen war so golden, so klar, von so köstlicher Frische. Die Sonne funkelte in Millionen Tautropfen auf den weiten Rasenflächen des Altensteiner Parkes, wo eine Schar Arbeiter die Vorbereitungen zu einem Feste traf. Wie lustig und bunt das alles erschien! Eine Stange hatten sie errichtet mit einem buntgemalten Vogel daran, ein Karussel aufgestellt, dessen Pferdchen purpurrote Decken trugen, ein Kasperletheater und ein rot und weiß gestreiftes Zelt, von dessen Dache lustig eine Menge Purpurfähnchen und Wimpel wehten. Im Schatten der Bäume befand sich ein Aufbau für die Musikanten und ein gedielter Platz zum Tanz, alles für kleine Leute berechnet.

Der Erbprinz feierte heute seinen Geburtstag, und dies war die Überraschung seiner Großmama väterlicherseits, außer dem reizenden kleinen Schimmel, der gestern abend heimlich in den Pferdestall geführt wurde.

Die Herzoginmutter wurde gegen Mittag erwartet laut einer Depesche, die in aller Morgenfrühe eingetroffen war. Um zwei Uhr sollte die Familientafel stattfinden, und zum Nachmittag war eine Menge Einladungen ergangen. Selbst die kleine Elisabeth aus dem Eulenhause und Leonie, Baronesse von Gerold, waren mittels großer feierlicher Karten befohlen.

Das Unwohlsein der Herzogin, dazu das gestrige Unwetter, hatte mancherlei Bedenken erregt. Würde das Fest stattfinden können? Aber, Gott sei Dank, die gefürchtete Absage war nicht erfolgt, Ihre Hoheit befanden sich wohler, und das Wetter war unvergleichlich. Man durfte sich ungetrübt auf den Nachmittag freuen als auf eine Fortsetzung von neulich.

Im Schlosse war es heute schon früh lebendig. Das zierliche Stubenmädchen, das auf einen Druck der elektrischen Klingel in Klaudines Zimmer trat, brachte einige Briefe mit.

»Weiß man schon, wie Ihre Hoheit sich befinden?« fragte Klaudine.

»Oh, außerordentlich gut! Hoheit sollen ja schön geschlafen haben und wollen um elf Uhr dem Erbprinzen im roten Saal bescheren.«

»Gott sei Dank!«

Als Klaudine fertig angekleidet war, erbrach sie Beates Brief.

»Ich komme mit zwei Nichten zum Hofball«, schrieb sie, »wie klingt das ehrwürdig – und wie drollig ist es in Wirklichkeit. Gott gebe, daß Hoheit wohler ist, wenn Du diese Zeilen erhältst. Lothar ist bereits mit den Durchlauchtigsten zur Tafel befohlen. Ich wollte, Klaudine, wenn er denn einmal durchaus eine Prinzessin freien will, er machte die Sache klar. Dies lange Schmachten ist mir fremd an ihm, er ist doch sonst ein so entschlossener Mensch. Vielleicht jetzt, wo die alte Durchlaucht abreisen will? Ach, Klaudine, ich hatte mir meine Schwägerin einmal anders vorgestellt. Auf Wiedersehen!«

 

Dann klopfte es und das gutmütige Gesicht der Frau von Katzenstein schaute herein. »Darf ich?« fragte sie, und gleich darauf stand sie vor Klaudine. »Hoheit wachten so fröhlich auf«, erzählte sie. »Sie wollten selbst den Geburtstagstisch aufbauen. Sie nahmen das Frühstück im Bette ein und verboten noch besonders, Sie, liebste Klaudine, zu wecken, damit Sie ausschlafen könnten. Die Kammerfrau mußte für die Mittagstafel ein rotseidenes Kleid zurechtlegen, und nun —«

»Ist Hoheit kränker?« fragte Klaudine atemlos und tat einen Schritt nach der Tür.

»Bleiben Sie, liebstes Kind, ich muß Ihnen noch weiter erzählen. Die Herzogin bekam Briefe heute früh, und plötzlich – ich hatte die Umschläge aufgeschnitten – höre ich vom Nebenzimmer aus einen sonderbaren Ton, wie einen schweren Seufzer, und als ich zurückkomme, liegt die Herzogin mit geschlossenen Augen in den Kissen. Ich bemühte mich um sie, und da sagte Hoheit auf einmal mit eigentümlich schwerer Zunge: ›Gehen Sie hinaus, liebe Katzenstein, ich will allein sein.‹ Ich ging widerstrebend, und als ich vorhin in meiner Angst hinein wollte, hatte die Herzogin sich eingeschlossen. Seine Hoheit hatten schon zweimal geschickt, um sich anzumelden, der Erbprinz vergeht vor Ungeduld, im Garten steht die Kapelle und wartet auf den Befehl zum Beginn des Ständchens, und noch rührt sich nichts in dem Zimmer der Herzogin.«

»Mein Gott, sie bekam doch keine schlimmen Nachrichten von ihrer Schwester?«

Die alte Hofdame zuckte die Schultern. »Wer kann es wissen?«

»Kommen Sie, liebste Frau von Katzenstein! Hoheit war gestern schon so sonderbar, so aufgeregt!« Das schöne Mädchen mit dem sorgenvollen Gesicht stand an der kleinen Tapetentür, die in das Schlafzimmer der Herzogin führte, und lauschte. Kein Ton zu hören. »Elisabeth!« rief sie leise und angstvoll.

Dort innen wurde der Ruf gehört. Vor ihrem Bette kniete die Herzogin und hob den Kopf, ihre starren Augen wandten sich nach jener Richtung, aber ihre Lippen preßten sich nur noch fester aufeinander. In der Hand hielt sie ein kleines, vielfach gebrochenes Briefchen. Das Zweifeln, das Bangen war vorüber, mit der Gewißheit war Ruhe über sie gekommen, eine schreckliche starre Ruhe, und mit ihr der Stolz, der Stolz der königlichen Prinzessin. Niemand durfte es ahnen, wie arm sie geworden war!

Nur diese kurze Rast noch, nur diese eine Stunde, um das todeswunde Herz zu beschwichtigen, zu betäuben! Gönnte man ihr auch das nicht?

»Elisabeth!« klang es wieder. »Um Gottes willen, ich sterbe vor Angst!«

Die Herzogin erhob sich plötzlich. Sie trat einen Schritt auf die Tür zu, die Fäuste an die Schläfen gepreßt wie verzweifelt. Dann ging sie und öffnete.

»Was wollen – was willst du?« fragte sie kühl.

Klaudine war eingetreten und blickte in zwei starre, glühende Augen, auf eine hochaufgerichtete Gestalt. »Elisabeth«, fragte sie leise, »was ist dir? Bist du krank?«

»Nein! Rufe die Kammerfrau!«

»Kämpfe nicht so dagegen an, Elisabeth, lege dich. Du siehst fiebernd aus, du bist leidend«, stammelte Klaudine, die furchtbare Veränderung gewahrend.

»Rufe die Kammerfrau und bringe mir ein Licht!«

Klaudine tat schweigend, wie ihr befohlen. Die Herzogin hielt ein Papier in die Flamme, sie ließ es erst zur Erde fallen, als das Feuer um ihre schmalen, durchsichtigen Finger spielte, und trat dann mit dem Fuße darauf.

»So!« sagte sie, indem sie die Hand auf die Brust legte und tief Atem holte. Ein Zucken flog dabei über ihr Gesicht, als empfinde sie lebhaften körperlichen Schmerz.

Sie ließ sich ankleiden, sie ließ alles mit sich tun, als aber die Kammerfrau eine Rose im Haar befestigte, riß die Herzogin ungestüm die Blume herunter und warf sie zur Erde.

»Rosen!« sagte sie mit unbeschreiblicher Betonung. Wie in tiefen Gedanken stand sie dann vor dem Spiegel, Klaudine etwas hinter ihr mit bekümmertem Ausdruck.

Endlich begann die Herzogin zu lachen. »Kennst du das Sprichwort«, fragte sie: »›Alles verstehen, ist alles verzeihen‹« Und ohne die Antwort abzuwarten, wandte sie sich an die Kammerfrau: »Melden Sie Seiner Hoheit, daß ich bereit bin.«

Sie winkte Klaudine und schritt mit ihr durch ihr eigenes Zimmer in den roten Saal. Das reiche Gemach war von Blumenduft erfüllt. Auf einem Seitentisch hatte man die Geschenke geordnet, Spielsachen, Bücher, ein prachtvolles kleines Gewehr.

In diesem Augenblick öffnete ein Diener die Tür, und der Erbprinz trat herein, gefolgt von dem Herzog, der den jüngsten Prinzen auf dem Arme trug und den zweiten an der Hand führte. Jubelnd wollte der Prinz zu seiner Mutter hinüber, aber sein Schritt stockte, ebenso wie der Herzog stehen blieb und auf die Frauengestalt schaute, die dort so seltsam starr und fremd am Tische stand.

Sie sah ihrem Gemahl in die Augen, als wollte sie ihm bis auf den Grund der Seele schauen. Unten begann eben das Ständchen, durch das offene Fenster scholl es feierlich: »Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren.«

Einen Augenblick schien es, als könne sie die Fassung nicht bewahren, sie schwankte und preßte ihr Gesicht in das Haar des Erbprinzen.

»Mama, gratuliere mir doch!« bat der Knabe ungeduldig, denn er durfte erst nach dem Handkuß zu seinen Gaben.

»Gott segne dich!« flüsterte sie und setzte sich in den Stuhl, den ihr der Herzog jetzt herzurollte.

Klaudine hatte sich zurückgezogen, als dieser eingetreten war, sie mußte es tun, es war Familienfeier im engeren Kreise und niemand hatte sie gebeten zu bleiben. Sie stand im Nebenzimmer am Fenster. Das Jubeln der fürstlichen Kinder vermischte sich mit dem lustigen Marsch, der von unten herauftönte. »Was, um Gottes willen, war es mit der Herzogin?« fragte sie bang.

»Die Großmama! Die Großmama!« scholl es jauchzend. Ein freudiger Schreck durchfuhr das Mädchen, ihre geliebte, verehrte Herrin, die immer Gütige, war gekommen. Es zuckte ihr in den Füßen, sie hätte hinfliegen mögen, um ihr die Hand zu küssen. Und jetzt klang die milde Frauenstimme herüber, aber bebte sie nicht seltsam schmerzlich heute?

»Mein liebes Kind, meine gute Elisabeth, wie geht es dir?«

Lange blieb es still dort drüben. Dann sprach dieselbe schmerzbebende Stimme: »Altenstein scheint dir nicht gutgetan zu haben, Elisabeth. Ich nehme dich mit nach Bayern.«

»Oh, ich bin ganz gesund«, erwiderte jetzt die Herzogin laut, »so gesund! Du glaubst nicht, Mama, was ich ertragen kann!«

Die lärmende Musik draußen verschlang die fernere Unterhaltung.

Klaudine stand wie auf Kohlen. Fragte denn Ihre Hoheit nicht nach ihr? Sie wußte doch, daß sie bei der Herzogin weilte, sie hatte es ihr ja selbst geschrieben. Freilich, eine Antwort hatte sie nicht erhalten, es fiel ihr erst jetzt bedeutungsvoll auf. Jene unerklärliche Bangigkeit von heute früh kam wieder über sie.

Dort innen war es allmählich still geworden, die Herzoginmutter mochte sich entfernt haben, um nach der langen Fahrt zu ruhen. Die Kinder waren in ihre Gemächer zurückgekehrt. Man hörte nur die Schritte Seiner Hoheit, der ungeduldig im Zimmer auf und ab ging.

»Klaudinel« rief die Herzogin. Sie wollte es ertragen lernen, die beiden zusammen zu sehen. Und als die Gerufene erschien, blickte sie von ihr zu dem Herzog hinüber. Wie gut sie sich in der Gewalt hatten! Seine Hoheit streifte dieses schöne Mädchen kaum mit einem Blick.

Sie mußten sich tüchtig eingeübt haben im Verstellen! Ach nein, sie hatten so leichtes Spiel ihr, der vertrauenden gläubigen Törin, gegenüber! Einen Augenblick kam eine brennende Eifersucht über sie, eine Lust, diejenige, die jetzt neben ihr stand, mit einem Schlage zu vernichten.

»Reichen Sie Seiner Hoheit jenes Glas Wein, Klaudine«, sagte sie. »Seine Hoheit vergaß, daß ich es ihm vorhin anbot.«

Klaudine tat, wie ihr geheißen.

Die Herzogin hatte sich währenddem erhoben und war hinausgeschritten.

»Was ist’s mit der Herzogin?« fragte der Herzog und runzelte die Stirn, indem er den Wein austrank.

»Hoheit, ich weiß es nicht!« erwiderte Klaudine.

»Gehen Sie der Herzogin nach!« sagte er kurz.

»Ihre Hoheit befinden sich im Schlafzimmer und wollen nicht gestört sein und wünschen, Fräulein von Gerold in einer Stunde im grünen Zimmer zu sehen«, berichtete die Kammerfrau, die eben eintrat.

Klaudine schritt zu einer anderen Tür hinaus und begab sich nach ihrem Zimmer.

Im Schlafgemach der fürstlichen Frau waren die Vorhänge niedergelassen, und in dieser Dämmerung lag die Herzogin auf ihrem Ruhebette. Sie wußte Klaudine mit ihm allein. Jetzt würde er ihr die Hand küssen und sie an sich ziehen, ihr sagen: »Ertrage die Launen, mein Lieb, sie ist eine kranke Frau, ertrage sie meinetwegen!«

Und in beider Augen würde die Hoffnung schimmern auf eine bessere Zukunft, dann wenn da unten im Gewölbe der Schloßkirche ein neuer Sarg —

Sie schauerte nicht bei diesem Gedanken, sie lächelte nur, es ist ja gut, daß man weiß, es kommt ein Ende!

»Es ist so tröstlich, daß es ein Vergessen gibt und Schlaf – wenn es nur nicht so lange mehr dauert, dies Wachen, das man Leben heißt! Wenn nur die Kinder nicht wären!«

Nun, sie würden die kränkelnde, leidende Mutter kaum vermissen und – es sind ja Buben. Wie gut das ist! Keine arme, beklagenswerte Prinzessin!

Ach, und da draußen die Welt! Ob man es dort wußte? Ob man lächelte und flüsterte über die verratene Frau, welche die Geliebte ihres Mannes für eine Freundin hielt? Sie stöhnte schmerzlich auf, der Druck auf der Brust wurde immer schwerer.

Wäre der Tag erst vorüber! Wäre die Nacht da, wo sie allein sein und weinen durfte!

Unten rollten Wagen in den Hof, auf dem Flur erklangen Schritte geschäftiger Diener, Schleppen rauschten, die Gäste verfügten sich nach dem Zimmer vor dem alten Geroldschen Bankettsaal, der in einem Zwischenbau lag, welcher die beiden Flügel des Schlosses verband.

Auch Klaudine, die in ihrem Zimmer regungslos in einem Sessel saß, hörte es. Sie wandte bei jedem Tritt ihr Haupt, und wenn er vorüberging, lief eine flüchtige Röte über ihr Gesicht. Warum befahl die Herzoginmutter sie nicht? Warum kam nicht wenigstens Fräulein von Böhlen, ihre Nachfolgerin bei der alten Hoheit, sie zu begrüßen? Es war doch üblich, daß die Damen sich besuchten. Und bei Frau von Katzenstein hatte die blasse junge Dame mit dem rötlichblonden Haar und den unzähligen Sommersprossen schon vor einer halben Stunde angeklopft.

Vor ihr auf dem Tischchen lag die Uhr. Um dreiviertel auf zwei mußte sie hinübergehen nach dem grünen Zimmer, wo die Herzogin sie erwartete, um dieselbe von dort zu den Gästen zu begleiten. Es war Zeit zum Gehen.

Auf dem Flur traf Klaudine mit Fräulein von Böhlen zusammen, die augenscheinlich in das Zimmer ihrer Gebieterin wollte. Die Damen kannten sich von den Hoffestlichkeiten her, Fräulein von Böhlen war namentlich oft bei der Herzoginmutter im kleinen Kreise gewesen.

Aber Fräulein von Böhlens rotblonder Kopf war vermutlich von einer Art Krampf in den Nacken zurückgezogen, sie schien ihn mit aller Gewalt nicht zu einem Gruß beugen zu können. Klaudine, die in ihrer vornehmen, stillfreundlichen Art ihr die Hand entgegenreichte, stand plötzlich allein. Die cremefarbige Schleppe der jungen Dame war ohne Aufenthalt an ihr vorübergerauscht und verschwand in einer der hohen altersbraunen Flügeltüren am Ende des Ganges.

Gelassen wandte sich Klaudine und trat in das kleine Vorzimmer zu den Gemächern der Herzogin. Frau von Katzenstein machte ein so seltsames Gesicht, so gutmütig, mitleidig und so verlegen.

»Hoheit hat noch kein Lebenszeichen von sich gegeben«, stotterte sie, dann ward sie still, die Herzogin war auf die Schwelle getreten. Ihr erster Blick streifte die Freundin, Klaudine sah vielleicht nie schöner aus, als in dem leichten mädchenhaften Kleid.

Die Herzogin neigte leise den Kopf und schritt durch das Gemach der gegenüberliegenden Tür zu. Man vernahm dort innen die gedämpfte Stimme des Herzogs und das kalte Organ der Prinzeß Thekla.

Die Herzogin war stehen geblieben. »Gib mir deinen Arm, Klaudine«, sagte sie dann fast heiser, und so traten sie nebeneinander unter dem roten Türvorhang hervor, welchen die Diener zurückrafften. In dem Zimmer, wo sich ungefähr zwanzig Personen befanden, herrschte augenblicklich eine lautlose Stille.

War das noch die Herzogin?

Eine kleine zierliche Gestalt, dort hinter den Fächerpalmen halb verborgen, griff wie nach Halt suchend in den Purpursammet der Vorhänge, die zitternden Knie versagten fast den Dienst bei der tiefen Verbeugung. Prinzeß Helene trat auf den Wink der Mutter ein paar Schritt vor, aber ihr dunkler Kopf senkte sich vergeblich, der Kuß der fürstlichen Cousine unterblieb heute.

 

Man setzte sich nicht. Plaudernd stand man umher. Baron Gerolds Augen hingen an Klaudine. Der Arm der Herzogin lag noch immer in dem des Mädchens. Ihre Augen waren auf die Mitteltür gerichtet, und jetzt ging die Röte der Freude über ihr schönes Gesicht – die Herzoginmutter war eingetreten.

Auf diesem gefurchten gütigen Antlitz, unter dem silberweißen Scheitel, lag heute eine ungewöhnliche Härte. Aber Klaudine sah es nicht. Auf des Mädchens Arm gestützt schritt die Herzogin ihrer Schwiegermutter entgegen und beugte sich auf die Hand der alten Dame nieder, während Klaudine sich tief verneigte. Die Augen des jungen Mädchens sahen erwartungsvoll freudig in das Antlitz der fürstlichen Greisin.

»Ah, Fräulein von Gerold, ich bin erstaunt, Sie hier zu sehen. Sagten Sie mir nicht, daß Sie Ihrem Bruder unentbehrlich seien?«

Die alte Dame hatte die Hände fest übereinandergelegt, bei den letzten Worten sah sie zu Frau von Katzenstein hinüber, als wäre Klaudine nicht anwesend.

Stolz trat Klaudine zurück, und einen einzigen Augenblick trafen ihre Blicke die des Vetters. Atemlos still war es, nur die alte, jetzt so milde Frauenstimme sprach freundlich weiter mit der ›lieben‹ Katzenstein.

Klaudine sah sich nicht um, es war ein lähmendes Entsetzen über sie gekommen, sie wollte sprechen, aber in diesem Augenblick wurden die Türen geöffnet, der Erbprinz, der heute die Ehre hatte, seine Großmama zur Tafel zu geleiten, trat feierlich vor die alte Dame mit seiner kleinen Person, und schon im nächsten Augenblick rauschte die silbergraue Schleppe der durchlauchtigsten Mutter über den Teppich.

»Gestatten Hoheit, daß ich mich zurückziehe«, stammelte Klaudine zu der Herzogin gewendet, »meine heftigen Kopfschmerzen —«

Einen Augenblick regte es sich in dem Herzen der unglücklichen Frau wie Mitleid mit dem Mädchen, dessen geisterhaft blasse Züge eine furchtbare Gemütserregung verrieten.

»Nein!« erwiderte sie flüsternd, denn eben kam Seine Hoheit herüber. »Ich selbst bin krank und kämpfe. Kommen auch Sie —«

Klaudine schritt mit den anderen den Flur hinab und trat neben Lothar hinter den Herrschaften in das Empfangszimmer. Die Hoheiten begrüßten ihre Gäste, der Erbprinz nahm Glückwünsche entgegen, dann öffneten sich die Türen zum Speisesaal. Klaudine fand ihren Platz Lothar gegenüber. Sie hatte keine klare Vorstellung, wie das Essen vorüberging, sie antwortete wohl auf die Fragen ihres Nachbarn, sie aß, sie trank, aber es war wie im Traume. Prinzeß Helene, neben Baron Lothar, sprach auffallend hastig und saß dann wieder stumm, zuweilen schauten ihre schwarzen, funkelnden Augen zu Klaudine hinüber, und wenn die seltsam abwesenden Blicke Klaudines sie trafen, ward sie rot und fiel in ihre gezwungene Lebhaftigkeit zurück.

Und wie es kam, wer mag es ergründen? Es schwebte in der Luft, es perlte in den Sektkelchen, es sagten es sich Blicke und Mienen, ein jeder an der Tafel wußte es: dort oben in den fürstlichen Gemächern war etwas vorgefallen, die Herzoginmutter war gekommen, um dazwischenzufahren. Mit dieser idealen Freundschaft hatte es ein Ende, die schöne Gerold saß dort zum letzten Male.

Es lag wie lähmend auf allen diesen anscheinend so fröhlich plaudernden Menschen, gleich einem Gewitter, dessen Ausbruch jeder herbeisehnt und doch fürchtet.

Endlich, endlich erhob sich die Herzogin. Der Kaffee wurde im anstoßenden Zimmer gereicht.

»Ihre Hoheit hat sich zurückgezogen und wünscht Sie zu sprechen«, flüsterte Frau von Katzenstein Klaudine zu.

Das Mädchen flog die Stufen empor und den Flur entlang. Nur Gewißheit wollte sie – was hatte sie denn getan, verbrochen?

Die Herzogin saß auf ihrem Ruhebett, den Kopf gegen die Lehne gestützt.

»Ich will dich fragen«, begann sie mit verzerrtem Gesicht – dann schrie sie auf. »Jesus – ich – Klaudine!« und ein Blutstrom ergoß sich aus ihrem Munde.

Das junge Mädchen hielt sie in ihren Armen, sie zitterte nicht, sie sprach kein Wort, während die Kammerfrau fortstürzte, um Hilfe zu holen. Der Kopf der Herzogin lag an ihrer Brust, sie war völlig bewußtlos.

In der nächsten Minute erschien der Arzt, der Herzog und die alte Herzogin. Die Kranke wurde aufs Bett getragen. Klaudine mit ihrem vor Schreck entstellten Gesicht, mit ihrem blutbefleckten Kleide stand unbeachtet dort. So oft sie auch die Hand ausstreckte zu helfen, niemand beachtete es, niemand schien es nur zu bemerken.

»Ist irgend etwas geschehen, was Ihre Hoheit beunruhigte?« fragte der Arzt.

Der Herzog wies auf Klaudine. »Fräulein von Gerold, Sie waren zuletzt bei ihr. Wissen Sie —«

»Ich ahne es nicht«, antwortete sie.

In diesem Augenblick traf der Blick der alten Herzogin das Mädchen, streng und feindlich. Sie hielt ihn aus, diesen Blick, sie senkte nicht schuldbewußt das Haupt. »Ich weiß nichts!« wiederholte sie noch einmal.

Dort unten begann wieder das Konzert. Der Herzog verließ hastig das Krankenzimmer, um den Fortgang des Konzerts zu verbieten – da stand er Prinzeß Helene gegenüber, noch atemlos von raschem Lauf. Sie war im Garten gewesen, als man ihr die Schreckenskunde zuraunte. Ihre angstvollen Augen sprachen deutlicher, als Worte es vermochten.

»Hoheit«, sagte der Arzt, der dem Herzog gefolgt war, »es wäre besser, nach H. zu telegraphieren an Professor Thalheim. Ihre Hoheit sind sehr schwach.«

Der Herzog sah ihn groß an, er war bleich geworden.

»Nicht sterben! Um Gottes willen nicht!« flüsterte Prinzeß Helene, »nur das nicht!«

Entsetzt wich sie zurück, als Klaudine mit blutbeflecktem Kleide heraustrat.

In ihrem Zimmer traf Klaudine Beate.

»Herrgott, wie schrecklich!« rief diese, »paß auf, Schatz, nun ist unser Fest schuld daran. «

»Ach nein«, sagte das Mädchen leise beim Ablegen der Kleider.

»Ängstige dich nicht so, Klaudine, du siehst ja entsetzlich aus! Dort unten«, fuhr Beate fort, »stiebt alles auseinander. Ich habe die Kinderfrau mit Leonie und Elisabeth tiefer in den Park hineingeschickt. Die Prinzen sind in ihrem Zimmer, der Erbprinz weint zum Gotterbarmen. Wer hätte das auch gedacht!«

»Willst du so freundlich sein und mich in deinem Wagen mitnehmen?« fragte Klaudine.

Beate, die ihren Hut vor dem Spiegel aufsetzte, wandte sich hastig um. »Du willst doch jetzt nicht fort, Klaudine? Das kannst du nicht!«

»Doch, ich kann, ich will —«

»Ihre Hoheit wünscht Fräulein von Gerold zu sprechen«, flüsterte die Kammerfrau durch die Tür.

»Nun, siehst du, Klaudine, du kannst nicht fort«, sagte Beate und band die blaßgelbe Schleife ihres Hutes.

In der Krankenstube war es still und dunkel. Man hatte alle entfernt, nur im Vorzimmer ging der Herzog mit unhörbaren Schritten auf und ab. Klaudine saß auf einem Stuhl zu Füßen des Lagers, wohin eine Handbewegung der Kranken sie gewiesen hatte. Mit schwachem Flüstern hatte dieselbe sie gebeten, hier zu bleiben, weil sie wichtiges mit ihr zu besprechen habe.

Unten in dem Zimmer des Erbprinzen hockte Prinzeß Helene neben dem schlanken Jungen auf dem Teppich, sie weinte nicht, sie hatte nur die Hände gefaltet, als ob sie bete oder jemand um Verzeihung bitten wolle. Prinzeß Thekla befand sich in den Gemächern der Herzoginmutter. Die alte Dame saß völlig erschüttert in einem Lehnsessel, sie hörte kaum auf das, was Ihre Durchlaucht mit leiser Stimme vortrug. Sie war entsetzt, in welchem Zustande sie ›die Liesel‹ gefunden.

»Ja, derartige Gemütsbewegungen —« seufzte die alte Prinzessin, »es ist auch kaum zu fassen, sie ist eine Intrigantin, diese sanfte Klaudine.«

»Meine liebe Cousine«, erwiderte die greise Herzogin, »es ist eine alte Erfahrung, den Mann trifft stets die größere Hälfte der Schuld in solchen – vergessen wir das nicht, bitte!«

»Aber warum duldet man sie noch länger hier?« ereiferte sich die gereizte Prinzessin.