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Das Eulenhaus

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Noch vor wenigen Tagen würde Herr von Gerold an dem Neuhäuser fremd und unberührt von irgend einem verwandtschaftlichen Gefühl vorübergegangen sein, gestern aber hatte Baron Lothar seiner Schwester einen ritterlichen Dienst geleistet und heute trug er ihm sein vermißtes Kind entgegen. Er eilte deshalb mit dem Ausdruck warmen Dankes auf ihn zu, und nach einigen erklärenden Worten von seiten Klaudines schüttelten sich die beiden Männer herzlich die Hände. Und Baron Lothar machte durchaus keine Anstalten, das Pferd wieder zu besteigen und seines Weges zu reiten, nachdem Herr von Gerold ihm die Kleine abgenommen. Er schritt im Gespräch zwischen den Geschwistern weiter und weiter bis zur Gartentür, und da nahm er Herrn von Gerolds Einladung, näher zu treten und sich den interessanten Wachsfund anzusehen, ohne Zögern, als ganz selbstverständlich an.

Klaudine eilte den anderen voraus nach dem Hause. Auf der Türschwelle wandte sie sich noch einmal zurück, sie mußte lächeln. Baron Lothar hatte von König Drosselbart und Aschenbrödel gesprochen und war sie nicht in der Tat wie im Märchen, die heutige Wandlung? Dort schritt er in schlichtem Rock und führte sein Pferd an Heinemanns für den Handel gezogenen Blumen hin, ängstlich darauf achtend, daß die Hufe keines der nutzbringenden Blütenblättchen berührten, er, dessen ritterliche Gestalt sie bei Hofe zuletzt von einem Glanz umflossen gesehen, wie er nur selten einem Sterblichen zuteil wird – und sie, das damalige sogenannte Hätschelkind der Herzoginmutter, das gleichsam wie auf Samt gegangen war und von keinem rauhen Lüftchen angeweht werden durfte, sie eilte jetzt die dunklen, ausgetretenen Steinstufen hinab, um einige der wenigen Flaschen Wein, die noch von der Großmama her im Kellerwinkel lagen, für ihn heraufzuholen.

Er führte sein Pferd in eine kühle, schattige Ecke der Kirchenruine und band es an einen starken Holunderbaum. Dann betrat er das Haus.

In den Wachskeller warf er nur einen flüchtigen Blick, man sah, die prosaische Hinterlassenschaft der Nonnen war es nicht, was ihm das Eulenhaus plötzlich in einem interessanten Lichte zeigte.

Klaudine stellte ein Tischchen mit Flasche und Gläsern und einem frischen Blumenstrauß draußen neben die Glastür, die aus dem Wohnzimmer ins Freie führte. Da stand, hart an der Mauer des Zwischenbaues, der letzte Ausläufer einer ehemaligen Allee, eine uralte Steinlinde mit nahezu abgestorbener Krone. Der einzige Ast, in dem noch der Saft flutete, reckte sich über das Geländer herein, er aber strotzte von jungem, kräftigem Laub und bildete mit einem ausgespannten schmalen Zeltdach eine schattige Ecke. Man sah von da aus zwei schlanke, einsam in die Lüfte ragende Pfeiler, die letzten der herrlichen, die einst das Mittelschiff der Kirche getragen, und hinter ihnen wölbte sich ein scheibenloses Spitzbogenfenster in der östlichen Seitenmauer. Duch die anderen Fenster zwängte der im Lauf der Jahre dicht an das Gemäuer herangerückte Wald sein Geäst, und von seinem Boden herauf kroch luftiges Geranke. Die Pfeiler und der Fensterbogen dagegen umfaßten ein schmales, umdunkeltes Stück Waldwiese draußen, ein stilles, grünes Eiland, über welches das Wild sorglos hinwandelte.

Mit verschränkten Armen trat Baron Lothar an das Geländer und sah in die reizvolle Aussicht hinein.

»Auch deutscher Wald ist schön«, sagte Herr von Gerold, der Vielgereiste, mit seiner milden, weichen Stimme neben ihm.

»Was?« fuhr der Angeredete herum. »Auch? Ich sage, nur deutscher Wald ist schön! Was frage ich nach Palmen und Pinien, was nach der weichen Südluft, die mein Gesicht widerwärtig umschmeichelt, wie die Liebkosung einer ungewünschten Hand! Ich habe mich krank gesehnt nach dem Thüringer Wald und seiner herben Luft, nach seinem tiefen Schatten und feuchten Gestrüpp, das sich trotzig gegen den Jäger wehrt – krank gesehnt nach dem Wintersturm, der feindlich durch die Äste fährt, der mich hart anfaßt und meine Kraft herausfordert. Nein, und ich gestehe, selbst auf die Gefahr hin, daß ich mich damit zum Barbaren, zum deutschen Bären stemple, auch die Kunstschätze konnten mir mein Herzweh nicht überwinden helfen, denn ich verstehe sie nicht, verstehe sie so wenig, wie die meisten der alljährlichen großen Völkerwanderung nach dem Süden, wenn sie auch verzückt tun und sich vor lauter Begeisterung nicht zu lassen wissen.«

Herr von Gerald lachte belustigt auf, Klaudine aber, die eben den Wein in die Gläßer goß, sagte mit einem Blick auf den am Geländer Stehenden: »Von der Musik verstehen Sie desto mehr.«

»Wer sagt Ihnen das?« fragte er stirnrunzelnd. Er trat an den Tisch. »Meines Wissens habe ich mein Licht nie bei Hofe leuchten lassen. Haben Sie mich je in Gegenwart der Hofgesellschaft eine Klaviertaste berühren sehen? Aber sehen Sie«, wandte er sich zu Herrn von Gerold, »weil ein dumpfes Gerücht umgeht, daß ich im stillen Kämmerlein meinen Göttern Bach und Beethoven opfere, so sucht man mich an dieser schwachen Stelle zu binden, nicht um meinetwillen – Gott behüte! Wäre mein Töchterchen nicht, so könnte ich getrost unter den Botokuden oder irgendwo leben, sie würden mich nicht holen, aber das Kind wollen sie in der Residenz haben, und deshalb mödite mich die Gnade Seiner Hoheit zum – Hoftheaterintendanten machen.« Er lachte gezwungen auf. »Eine kostbare Idee! Ich soll die Drähte der Scheinwelt von Brettern und Pappe in die Hand nehmen, soll Kulissen- und Theaterkanzleistaub schlucken, mich mit widerspenstigen Sängerinnen und Ballerinen herumschlagen – Gott soll mich bewahren! Lieber ziehe ich mich ganz nach Neuhaus oder auf mein Gut in Sachsen zurück, jage, säe und ernte, und gehe, wenn es sein muß, selbst hinter dem Pflug her, dann kann ich mir wenigstens sagen, daß ich an Leib und Seele gesund bleibe.«

Er nahm eines der Gläser von der Platte, die Klaudine ihm bot. »Nun, und Sie? Ich sehe nur zwei Gläser«, sagte er zu ihr. »Bei Hofe haben Sie es stets außerordentlich geschickt zu vermeiden gewußt, Ihr Glas an das meine klingen zu lassen – ich begriff das, standen sich doch Montecchi und Capuletti gegenüber, aber heute ist das anders. Ich stehe als Ihr Gast hier, und wenn Sie mir auch nicht erlauben werden, auf Ihr spezielles Wohl zu trinken, so möchte ich Sie doch bitten, mit mir anzustoßen in Erinnerung an eine Frau, welche wir beide lieben, auf das Wohl unserer verehrungswürdigen Herzoginmutter!«

Klaudine beeilte sich, ein Glas zu holen, und gleich darauf scholl der Silberton der drei aneinanderklingenden Gläser hell über den Garten hin.

»Die alten Bäume mögen sich wundern«, meinte Herr von Gerold frohgestimmt mit einem Blick nach den höchsten Eichenwipfeln. »Seit dem Gelage, das die Bilderstürmer bei den Weinfässern des brennenden Klosters gefeiert haben, ist wohl kein Gläserklang hier laut geworden. Aber er tönte so hell und rein, so glückverheißend, daß ich nochmals anstoßen möchte, und zwar auf einen, den ich sehr verehre, wenn ich ihm auch persönlich stets fern gestanden. Er ist ein edler Mensch, ein eifriger Beschützer der Künste und Wissenschaften, er liebt die Poesie – unser Herzog, er lebe!« In diesem Augenblick sprühte der goldene Rheinwein wie ein flimmernder Sonnenstrahl in weitem Bogen durch die Luft, und Baron Lothars Glas zerschellte drunten auf den Steinen.

»Ah Verzeihung, ich war sehr ungeschickt! Was für ein täppischer Mensch bin ich doch!« entschuldigte er sich mit einem erzwungenen Lächeln. »Der alte Bursche da« – er zeigte auf den Lindenast, an den sein Arm gestoßen – »ist noch gewaltig stramm, der weicht nicht aus. Nun, Seine Hoheit wird auch ohne meinen Bescheid leben!« Er zog den Handschuh der Rechten straffer und griff nach seiner Reitgerte. »Ich habe die Gastfreundschaft schlecht gelohnt, meine sofortige Selbstverbannung soll die Sühne sein. Ich wäre gern noch in diesem köstlichen Stilleben geblieben, und auch in die Glockenstube hätte ich einen Blick werfen mögen, aber das für ein andermal, wenn es gestattet ist. Und nun komm her, kleine Landstreicherin.« Er hob die kleine Elisabeth, die still auf einem Korbstühlchen am Geländer saß und mit großen Augen dem ungewohnten lauten Treiben auf der Plattform zusah, hoch zu sich empor und küßte sie. »Und da hinaus wird nicht wieder marschiert«, – er zeigte mit strenger Miene hinunter nach dem Garteneingang – »wenn du die Erdbeerdame besuchen willst, dann lasse es mir sagen, ich hole dich mit dem Wagen, so oft du magst. Hast du mich verstanden?«

Sie nickte schweigend und scheuen Blickes und strebte, wieder auf den Boden zu kommen.

»War er böse, der Onkel?« fragte sie ihren Papa, als er vom Garteneingang zurückkehrte, bis zu welchem er dem Fortreitenden das Geleit gegeben hatte.

»Nein, mein Kind, böse nicht, nur ein wenig wunderlich!« antwortete er. »Das arme Glas und der edle Rheinwein!« Er sah bedauerlich lächelnd auf die Scherben hinab. »Und der arme, verlästerte Lindenast, der es wirklich nicht getan hat!« setzte er schalkhaft hinzu. »Aber sage doch, Klaudine – war dieser Lothar nicht der ausgesprochene Liebling des Herzogs?« fragte er seine Schwester, die still und ein wenig vorgebeugt am Geländer stand, als horche sie noch auf die längst verhallten Huftritte.

»Er ist es wohl noch«, erwiderte sie mit weggewandtem Gesicht. »Du hörtest ja, daß man ihn an die Residenz zu fesseln sucht.« Ihr Ton klang unsicher und um die nervös zuckenden Lippen irrte ein erzwungenes Lächeln, als sie an dem Bruder vorüber nach der Küche ging, um das Mittagbrot fertig zu machen. Da, inmitten des Wohnzimmers, stand der bereits angerichtete Tisch mit seinen drei Gedecken. Nun ja, das waren altmodische, verbogene Zinnteller, von welchem man aß. Die Großmama hatte bei der Übersiedlung nach ihrem Witwensitz alles Silbergerät zurückgelassen – der große, herrliche Silberschatz sollte nicht zersplittert werden – und nur ihr ererbtes altes Zinn mitgenommen, »gerade recht und passend für eine einsam lebende Witwe und ihre letzten paar Erdentage«, hatte sie gemeint. – Die Bestecke neben den Zinntellern hatten schwarze, abgenutzte Holzstiele, und zur Schonung des Tischtuches lag eine Wachstuchdecke inmitten des Tisches – alles schlicht bürgerlich und ängstlich sparsam, wenn auch von blinkender Sauberkeit.

 

Das hatte er im Vorübergehen gesehen, und es war gut so. Da konnte von keiner Komödie die Rede sein, der ganze Zuschnitt des Hauswesens bewies ein zielbewußtes »Sicheinleben« in die gegebenen Verhältnisse. Er mußte nun wissen, daß sie es ernst gemeint mit ihrer Flucht.

7

Das herzogliche Haus besaß verschiedene Schlösser innerhalb des Landes, schöne, altertümliche Schlösser mit herrlichen Gärten und großartigen Parkanlagen, aber sie lagen meist in der Nähe von Städten oder auf dem flachen Lande, wo die Parkwege auf weite Ackerflächen mündeten und der Wald so fern begann, daß er nur wie ein dunkler Pinselstrich den Horizont säumte. Die Vorfahren hatten die sonnige Ebene geliebt und wenn die meisten auch leidenschaftliche Jäger gewesen und um der Pirsch willen oft wochenlang in den Forsten verblieben waren, so hatten doch einige da und dort verstreute, anspruchslose kleine Jagdhäuser für Nachtquartier und ein einfach zubereitetes warmes Essen genügt.

Da war nun freilich der Altensteiner Geroldshof mit seiner Waldnähe und kräftigen Bergluft eine kostbare Erwerbung des Herzogs, der man im Lande allgemein zustimmte. Für die drei jungen, zarten Prinzen, die Söhnchen des Regierenden, und die äußerst schwache Gesundheit seiner Gemahlin war ein solch stärkender Aufenthalt im heißen Sommer nur zu wünschen, und deshalb begriff man auch vollkommen den Feuerreifer, mit welchem der Geroldshof zur Aufnahme seiner fürstlichen Bewohner hergerichtet wurde. Die junge Herzogin selbst trieb mit leidenschaftlicher Heftigkeit zur Eile. Kein Bad, kein Klimawechsel hatten ihre sinkende Kraft neu zu beleben vermocht, nun erhoffte sie alles von dem Aufenthalt im Walde. Deshalb wurden auch auf Befehl des Herzogs sämtliche Baulichkeiten nur äußerlich aufgefrischt, kein Mauerstein durfte verrückt, keine Gartenanlage verändert werden, und als man Seiner Hoheit einen Entwurf zu einem stilvollen Brunnenbecken an Stelle des zwar schön gearbeiteten, aber doch zu »dorfmäßigen« Steintroges im Hofe vorgelegt, da hatte er ihn stirnrunzelnd verworfen und befohlen, daß der Brunnen bleibe wie er sei. Geradezu erzürnt aber war er gewesen, als er erfahren hatte, daß man das Goldregen- und Syringengesträuch in den Hofwinkeln mit Stumpf und Stiel ausgerissen habe, um für die verdüsterten Zimmer der Hofdamen Licht zu schaffen, und scheele Gesichter gab es unter den Hofbediensteten auch, als der Herzog den alten Friedrich Kern, der zuletzt Kutscher, Gärtner und Diener in einer Person bei dem letzten Altensteiner Herrn gewesen war, zum Kastellan auf dem Geroldshofe ernannte. Seine Hoheit meinte mit Recht, daß solch ein treuer Diener der beste Hüter seines neuen Besitzes sei.

So war dem Geroldshofe sein Äußeres nahezu verblieben und auch im Innern war so manches wertvolle Einrichtungsstück, welches der Herzog durch dritte Hand hatte ankaufen lassen, wieder an seinen alten Platz gekommen, so die alte prachtvolle Meißener Porzellangarnitur mit ihren Armleuchtern, ihrem vielbewunderten Kronleuchter in einem der schönen Salons, so die Rokokomöbel, welche die Initialen und das Wappen der Altensteiner, in Perlmutter und Silber reich ausgeführt, auf ihren Platten und Flächen tragen.

Tag und Nacht war fieberhaft auf dem Geroldshofe gearbeitet worden, und die Bahnzüge hatten pünktlich gebracht, was Paris und Wien an Möbeln und Ausschmückungsgegenständen lieferten. So war es möglich geworden, daß der Hof zu Ende Juli in das Paulinental übersiedeln konnte.

Im Eulenhaus ging inzwischen auch so manche Veränderung vor sich. Heinemann hatte ausgezeichnete Geschäfte gemacht, und eines Tages hielt ein Wagen vor der Gartentür, und das, was Bienen- und Nonnenfleiß zusammengetragen, stieg aus der Nacht der Erdentiefe an Gottes freies Sonnenlicht und ging hinaus in die Welt, um der Menschheit dienstbar zu werden. Und als danach Heinemann eine hübsche Anzahl großer Banknoten auf den Tisch vor seiner jungen Herrin niederlegte, da meinte er mit seinem treuherzigen Augenblinzeln, nun dürfe man auch die Butter auf die Bemmchen zum Tee ein bißchen dicker streichen und ein größeres Stück Fleisch in den Kochtopf tun, von den neuen Vorhängen gar nicht zu reden, die doch nun angeschafft werden müßten, weil ja jetzt so viele Augen von der Straße her nach der guten Eckstube guckten.

Die drei kleinen Prinzen waren mit Gefolge und Dienerschaft zuerst nach dem Geroldshofe übergesiedelt, und der Weg an dem Eulenhaus hin mußte ihnen wohl ganz besonders gefallen; denn täglich kamen sie vorüber. Das war nun freilich eine unbezahlbare Augenweide für das strickende alte Mamsellchen am Eckfenster, dies junge fürstliche Blut, auf schmucken Ponnys dahertrabend; und fast ebenso schön war es, wenn die prachtvolle Kutsche aus Neuhaus in Sicht kam; die konnte man sich doch in aller Ruhe und Bequemlichkeit ansehen, denn sie fuhr langsam, ganz langsam. Im Rücksitz saß die schöne Frau von Berg und hatte das arme, kleine Gespenstchen, das hinterlassene Töchterchen der Prinzessin Katharina, auf dem Schöße, und Baron Lothar fuhr sein krankes Kind selber.

Heinemann dagegen war stets eifrig mit seinen Rosenbäumen beschäftigt, wenn der Wagen sichtbar wurde; dann hörte und sah er nicht und wendete der Straße beharrlich den Rücken, denn das korpulente Frauenzimmer, das sich da auf die Seidenkissen »hinprätzelte«, als sei sie die Prinzessin selber, war ihm ein Greuel. Hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, daß sie, als seine Herrin im weißen »Sonntagskleide«, schön wie ein Engel, am Geländer droben gestanden, den Kopf so schnell weggedreht hatte, als sei ihr eine giftige Kröte in das dicke Milchgesicht gesprungen. Und hatte sie nicht gleich beim Vorüberkommen das liebe, alte Haus da im Garten mit dem Augenglas höhnisch beguckt und ihn, den alten Heinemann, von oben bis unten hochmütig gemessen, als solle und müsse er gleich auf der Stelle seinen alleruntertänigsten Kratzfuß vor ihr machen? Ja, da konnte sie warten!

Etwas ganz anderes war’s freilich, wenn der Neuhäuser auf seinem schönen Fuchs dahergeritten kam. Da wurde die schönste Rose am Stock erbarmungslos abgeschnitten und dem Reiter, der sie stets in sein Knopfloch steckte, über den Zaun hingereicht. Und Heinemann bekannte ehrlich, er begreife seinen eigenen, alten Dickkopf nicht mehr; aber mit dem besten Willen könne er gar nicht mehr so erbost auf den Neuhäuser sein; er gucke ihm eigentlich für sein Leben gern in die feurigen, herrischen Soldatenaugen, wenn er so vom Pferd herunter über den Zaun weg mit ihm spreche.

Beate war auch schon einigemal im Eulenhaus gewesen. Sie kam stets zu Fuß und blieb auf ein Kaffeestündchen; und so verschlossen sie auch sonst war in bezug auf das, was ihre Seele bewegte, das gestand sie doch wiederholt ein, daß sie sich die ganze Woche auf diese Besuche freue. Dann saßen die beiden Pensionsschwestern bei einer Tasse Kaffee auf der »Zinne« und die kleine Elisabeth spielte und sprang um sie her. Und wenn auch Herr von Gerold sich nie entschließen konnte, hinabzugehen und den Besuch zu begrüßen – er schüttelte sich stets, wenn er an die Begegnung im Treppenhause des Geroldshofes dachte – so sah er doch von dem Fenster seiner Glockenstube aus, wie behaglich sich sein Kind auf Tante Beates Schoß schmiegte, wie es zärtlich die großen, braunen Hände streichelte und sich von ihnen ein Butterbrot streichen ließ. – Baron Lothar fuhr dann pünktlich gegen Abend vor, um die Schwester abzuholen. Heinemann mußte bei den Pferden bleiben, während der Neuhäuser die Damen auf der »Zinne« begrüßte und auch wohl in die Glockenstube hinaufstieg, um dem Einsiedler einen guten Abend zu bieten.

Nun waren die höchsten Herrschaften im Geroldshofe eingezogen, und die farbenleuchtende Flagge wehte hoch über dem First des Hauses. Die Dorfleute hatten am Wege gestanden und sich schier zu Tode gewundert über die Pracht und Herrlichkeit der vorbeisausenden herzoglichen Equipagen und »das Menschenvolk«, das in minder schönen Wagen nachkam. Da blieb doch gewiß kein Kämmerchen leer im Geroldshofe! Aber das Altensteiner Gutshaus war ein gewaltiger Bau; hatten doch alle Generationen an dem alten Stammsitz je nach Bedürfnis weitergebaut und verschönert. Seinem Umfang und den architektonischen Schönheiten nach konnte man ihm ohne Bedenken die Bezeichnung »Schloß« geben.

Die Nachmittagsonne lief schräg über seine imposante, von zwei achteckigen Türmen abgeschlossene Stirnseite und durch die hohen, weit offenen Fenster schlug die Luft, Nadelholzdüfte und kräftige Waldfeuchte im Atem, in das Haus herein – eine köstliche Luft! »Mein Gesundbrunnen! « sagte die junge Herzogin Elise inbrünstig mit ihrer leisen, belegten Stimme.

»Hier werde ich wieder dein flinkes Reh, deine muntere Liesel, gelt, Adalbert?« sagte die junge, fürstliche Frau und suchte mit zärtlichem Aufblick die Augen des schönen Mannes. Gewaltsam reckte und streckte sie die überschlanke Gestalt und mühte sich, strammen Schrittes neben ihm her zu gehen. Ja, so schattenhaft schmächtig und fahl sie auch da im weißen Hauskleide an dem deckenhohen Wandspiegel hinglitt, sie wurde hier schnell gesund, das Kraftgefühl kehrte zurück, das spitze, kleine Gesicht rundete sich und die Gestalt nahm jene zartschwellende Fülle und elastische Grazie wieder an, die man einst nymphenhaft genannt hatte! Nur zwei Monate hier in diesem kraftstrotzenden Waldodem, und alles war wieder gut!

Sie bewohnte die Zimmer des östlichen Flügels, an welche der nach dem Hofe gelegene Speisesaal stieß, und nur ein gemeinschaftliches Empfangszimmer trennte diese Gemächer von den westlich liegenden ihres Gemahls. Das letzte Zimmer der langen Flucht war sein Wohnzimmer, dessen eine Ecke in den Turmerker auslief.

Inmitten des Zimmers stand eine Treppenleiter. Der alte Friedrich, oder vielmehr der Kastellan Kern, wie er jetzt genannt wurde, hatte eine eben angekommene Ampel an die Decke gehangen und kletterte nun beim Eintreten der Herrschaften eiligst die Stufen herab.

Die Herzogin blieb unwillkürlich unter der Tür stehen.

»Ach, hier hat die arme schöne Spanierin gewohnt«, rief sie mit leise zitternder Stimme. »Und da ist sie wohl auch gestorben?« Sie heftete ihre großen, fieberisch glänzenden Augen ängstlich fragend auf das Gesicht des alten Mannes, der sich tief verbeugte.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Hoheit, hier nicht. Der gnädige Herr hatte ihr freilich das Zimmer malen lassen und es hat ein schweres Stück Geld gekostet, aber keine zwei Stunden hat sie es hier ausgehalten. Der Ökonomiehof ist zu nahe. Sie konnte keine Kuh brummen hören, und wenn ein Leiterwagen über das Pflaster rasselte und die Drescher in den Scheunen hantierten, da hielt sie sich die Ohren zu und lief durch alle Zimmer und Gänge, bis sie ein stilles Eckchen fand, wo sie sich hineindrücken konte wie ein junges, verscheuchtes Kätzchen. Ja, zur Gutsfrau paßte sie freilich nicht! Sie hat zuletzt im Gartenhause gewohnt, und wenn schön Wetter war, da wurde sie in seidenen Decken hinausgetragen und auf den Moosboden gelegt, da, wo die Waldbäume an den Garten stoßen. Ja, da war sie noch am liebsten in dem blassen Lande, wie sie unser gutes Thüringen nannte, und da ist sie auch an einem schönen Herbsttage eingeschlafen, ausgelöscht! Das Heimweh soll schuld gewesen sein.«

Die Herzogin trat tiefer in das Zimmer, und ihre Augen glitten über die Wandgemälde.

»Das Heimweh!« wiederholte sie mit leisem Kopfschütteln. »Sie hätte nicht mit dem deutschen Manne gehen sollen, denn sie hat ihn nicht geliebt. Ich würde in der fernsten Eiswüste nicht an Heimweh sterben, wenn ich bei dir wäre!« flüsterte sie innig und sah dem hohen Manne an ihrer Seite abermals unter das gesenkte Gesicht, während sie mit ihm in den Turmerker trat.

Er lächelte freundlich auf sie nieder. Sie sank auf einen der kleinen, lehnenlosen, mit violettem Samt bezogenen Sessel und sah entzückt über das sich draußen hinbreitende Landschaftsbild.

»Ein köstlicher Blick!« sagte sie und faltete die kleinen, wachsbleichen Hände im Schöße. »Die Gerolds haben sich besser auf die Wahl ihres Stammsitzes verstanden, als unser Haus, Adalbert«, sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen. »In all unseren Schlössern und Landhäusern haben wir nicht einen einzigen Ausblick wie diesen hier. Wer hat diesen Flügel bewohnt?« fragte sie den Kastellan, der eben geräuschlos die Treppenleiter zusammenschob, um sie hinauszutragen.

»Solange ich hier im Geroldshofe gewesen bin, immer nur die Damen, Hoheit«, berichtete, indem er die Leiter wieder behutsam hinstellte, der alte Mann. »Zuerst die selige Frau Landkammerrätin, bis sie ins Eulenhaus gezogen ist, und nachher die Frau Oberstin. Und zwei Zimmer weiter«, er zeigte nach der Tür, die in den Seitenflügel führte, »da hat auch unser gnädiges Fräulein ihr Stübchen gehabt.«

 

»Ach, die schöne Klaudine?« rief die Herzogin in halb fragendem Ton.

»Zu dienen, Hoheit, Fräulein Klaudine von Gerold. In der Stube ist sie auch geboren. Ich weiß noch, wie es uns im weißen Wickelkissen gezeigt wurde, das Engelchen.«

»Mamas Liebling, hörst du, Adalbert?« sagte die Herzogin lächelnd nach ihrem Gemahl hin, der an eines der Fenster getreten war und wie in Gedanken verloren in die Ferne blickte.

»Der Schwan, wie ihr poetischer Bruder sie in seinen Gedichten nennt, das merkwürdige Mädchen, das vom Hofe weg in die Armut gegangen ist, um ihrem Bruder eine Stütze zu sein. – Eulenhaus heißt ja wohl der Waldwinkel, in welchem Fräulein von Gerold jetzt lebt?« fragte sie den Kastellan.

Der verbeugte sich: »Eigentlich Walpurgiszella, Hoheit. Aber ›mein Eulenhaus‹ hat die Frau Landkammerrätin gesagt, als sie zum erstenmal beim Mondenschein durch die Ruinen gegangen ist, und es hat von allen Seiten geschnurrt und geschnauft und geschrieen, als ob alle Winkel voll kleiner Kinder stäken. Und beim Eulenhaus ist’s dann auch geblieben, wenn sich auch das Raubzeug nicht mehr so breitmachen darf. Im Turm, der von unten bis oben vollgesteckt hat, ist’s ganz gemütlich. Ach ja, der Turm« – er strich sich unwillkürlich über sein glatt rasiertes Kinn – »von dem alten Gemäuer spricht seit ein paar Tagen die ganze Umgegend. Es ist ein Gemurmel und Geraune von einem großen Fund, den sie im Keller drunten gemacht haben sollen —«

»Ein Geldfund?« fragte der Herzog gespannt, indem er mit fester Hand den violetten Plüschvorhang zurückschob, um dem Kastellan in das Gesicht zu sehen.

Der alte Mann zuckte die Achseln. »Ob bare Münze? Ich glaub’s kaum. Sie sprechen nur von einem unmenschlich großem Schatze, von Gold und Silber und Edelstein in Hülle und Fülle. Aber ich kenne meine Pappenheimer, ich kenne auch meinen guten Freund, den alten Heinemann, den Erzschalk, der packt denen, die ihn fragen, so viel auf, daß sie es nicht erschleppen können, und so ist vielleicht der ganze große Fund ein einziger Abendmahlskelch gewesen.«

Die großen, glänzenden Augen der Herzogin blickten staunend zu dem Alten hinüber.

»Einen Schatz?« fragte sie. Dann brach sie ab, und ihr Lächeln wich einem stolzen, kühlen Ausdruck. Unter dem Samtvorhang der gegenüberliegenden Tür war ein Herr erschienen, der näher tretend sich ehrfurchtsvoll verbeugte. Die junge Frau neigte kaum merklich das Haupt und wandte sich zum Fenster, um ihren feinen Mund zuckte es nervös. Des Herzogs Stimme aber klang wohlwollend durch den Raum.

»Nun, Palmer? Was haben Sie wieder unvorteilhaftes zu melden? Ist etwa der Schwamm in dem alten Gebälk, oder spuckt es in Ihren Zimmern?«

»Hoheit belieben zu scherzen«, erwiderte der Angeredete, »die Warnungen, die ich dem Kaufabschluß über Altenstein vorangehen ließ, gebot mir meine Pflicht als treuer Diener, und ich weiß, Hoheit haben mich nicht mißverstanden. Eben habe ich jedoch nur angenehmes melden wollen: Baron Lothar Gerold bittet um die Ehre, seinen hohen Gutsnachbar begrüßen zu dürfen.«

Die Herzogin wandte sich lebhaft um. »O, herzlich willkommen!« rief sie, und als nach ein paar Augenblicken Lothar in das Zimmer trat, streckte sie ihm die schmale Hand entgegen: »Mein lieber Baron, welch große Freude!«

Der Baron hatte diese Hand ergriffen und sie ehrfurchtsvoll an seine Lippen gedrückt. Dann, sich vor dem Herzog verbeugend, sprach er: »Hoheit gestatten, mich von meinen Reisen zurückzumelden. Ich denke mich jetzt wieder hier einzugewöhnen.«

»Es war die höchste Zeit, Vetter, Sie haben uns lange warten lassen«, erwiderte der Herzog und reichte dem stattlichen Manne die Rechte.

»Aber daß Sie allein kommen mußten, lieber Gerold!« rief die Herzogin, und abermals streckte sie ihm die Hand herüber und in ihren schönen heißen Augen funkelten plötzlich Tränen. »Arme Katharina!«

»Ich habe mein Kind mit heimbringen dürfen, Königliche Hoheit«, entgegnete er ernst.

»Ich weiß, Gerold, ich weiß! Aber ein Kind – es ist ein Kind und ersetzt nur zum Teil die Lebensgefährtin!«

Sie hatte es fast leidenschaftlich gesprochen, und ihre Augen suchten den Herzog, der an einem kostbar eingelegten Schränkchen lehnte und, als habe er nichts gehört, durch die Fenster hinausschaute auf die Lindenzweige, die sich im Nachmittagssonnenschein wiegten.

Eine Pause entstand. Langsam senkte das junge Weib die Wimpern, und über ihre Wangen rollten ein paar Tränen, die sie hastig abtrocknete. »Es muß so schwer sein, im vollsten Glück zu sterben«, sagte sie noch einmal.

Wiederum eine Pause. Die drei waren allein im Zimmer, der alte Kastellan hatte sich längst mit seiner Leiter hinausgeschlichen, und Palmer, des Herzogs Privatsekretär, ein großer, vielbeneideter Günstling des regierenden Herrn, stand im Nebenzimmer hinter einem Türvorhang, unbeweglich wie eine Statue.

»Übrigens, Baron Gerold«, nahm die Herzogin jetzt lebhaft wieder das Wort, »haben Sie auch die Wundermär gehört von den Kostbarkeiten, die im Eulenhaus gefunden sein sollen?«

»In der Tat, Hoheit, das alte Gemäuer hat seinen Schatz herausgegeben«, erwiderte sichtlich aufatmend Baron Lothar.

»Wahrhaftig?« fragte der Herzog ungläubig lächelnd. »Was ist es? Altargefäße – gemünztes Gold?«

»Nichts von klingendem Wert, Hoheit. Es ist Wachs, einfaches gelbes Wachs, welches die Nonnen dort vermauerten, als der Feind im Anzug war.«

»Wachs?« rief die Herzogin enttäuscht.

»Hoheit, es ist so gut wie bare Münze, echtes, unverfälschtes Wachs. Heutzutage —«

»Sahen Sie es?« unterbrach ihn der Herzog.

»Sicherlich, Hoheit! Ich beschaute mir den Fund an Ort und Stelle.«

»So ist das Tischtuch, das so lange zwischen den Altensteinern und Neuhäusern zerschnitten war, wieder zusammengeflickt?« klang es gelassen aus dem Munde des hohen Herrn.

»Hoheit, meine Schwester Beate und Klaudine von Gerold sind Freundinnen seit ihrer Kindheit«, erwiderte der Neuhäuser ebenso gelassen.

»Ah so!« Der Herzog hatte es noch einen Ton gleichgültiger gesprochen und schaute wieder zum Fenster hinaus.

»Aber wissen Sie, lieber Gerold, ich möchte diesen Wachsfund sehen!« rief die Herzogin.

»Dann müssen Hoheit sich beeilen, denn die Händler sind dahinter her, wie die Wespen hinter reifen Früchten.«

»Hörst du, Adalbert, wollen wir nicht hinüberfahren?«

»Morgen, übermorgen, Elise, wann du willst – nachdem wir uns vergewissert haben, daß wir dort nicht stören.«

»Stören? Klaudine stören? Ich denke, sie wird sich freuen, in ihrer Einsamkeit Menschen zu sehen. Bitte, Adalbert, gib Befehl, laß gleich fahren.«

Der Herzog wandte sich um. »Gleich?« fragte er, und eine leichte Blässe trat in sein schönes Antlitz.

»Gleich, Adalbert, bitte!«

Sie hatte sich lebhaft erhoben und war zu ihrem Gemahl getreten, ihre Hand legte sich bittend auf die seine; ihre Augen, diese unnatürlich glänzenden Augen, schauten ihn an, flehend wie die eines Kindes.

Er blickte hinaus, als prüfe er das Wetter. »Aber die Fahrt zurück durch die Abendkühle?« murmelte er.

»O, in der köstlichen Waldluft?« bat sie, »ich bin ja gesund, Adalbert, wirklich ganz gesund.«

Er verbeugte sich, wie zustimmend, und zu Palmer gewendet, der eben eintrat, gab er den Befehl für die Fahrt. Dann, nachdem er noch Lothar aufgefordert hatte, mitzukommen, bot er der Herzogin den Arm, die sich, um sich für die Ausfahrt umzukleiden, in ihre Zimmer begab.