Leo - Die Geschichte einer ungewöhnlichen Elfe

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Leo - Die Geschichte einer ungewöhnlichen Elfe
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Leo

Die Geschichte einer ungewöhnlichen Elfe

Eva Haring-Kappel

Illustriert von Lisa Kappel


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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2021 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Taschenbuchauflage erschienen 2016

Lektorat: Melanie Wittmann

Herstellung E-Book: CAT creativ - cat-creativ.at

ISBN: 978-3-86196-665-4 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-405-4 – E-Book

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Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15: Das Buch der Wahrheit – Die kleine Schwester

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Le(o)xikon

Autorin + Illustratorin

Unser Buchtipp

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Prolog

Es war sehr früh am Morgen.

Die Sonne war noch gar nicht aufgegangen.

Eine alte Frau trat aus der Tür des Bauernhauses. Sie hielt einen Milchtopf in der Hand. Der Topf war rot mit weißen Punkten.

Eine Schäferhündin, die schon vor dem Haus gewartet hatte, begrüßte sie schwanzwedelnd und lief dann an ihrer Seite mit in den Stall. Dort stand eine weiße Ziege in ihrem Holzverschlag und blickte den beiden neugierig entgegen.

„Ich komm schon, Kathi!“, sagte die Frau und öffnete die Tür des Verschlags, dann stellte sie den Topf im Hinunterbücken unter den Bauch der Ziege und begann, mit langsamen, gleichmäßigen Strichen zu melken.

Die Hündin stand dabei und beobachtete aufmerksam das Geschehen. Nur das scharfe, metallene Zischen des Milchstrahls war zu hören, wenn er auf den Topf traf.

Dann war da plötzlich noch ein anderes Geräusch.

Die Schäferhündin spitzte unruhig die Ohren und die alte Frau blickte von ihrer Arbeit hoch, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Sie beugte sich wieder über den Milchtopf, als sie ein leises Knurren erneut aufblicken ließ.

Die Schäferhündin hatte den Kopf wachsam aufgerichtet und sich schützend vor ihre Herrin gestellt, während eine hell schimmernde Erscheinung durch den Raum schwebte. Dann fiel etwas ins Stroh, direkt vor die Füße der alten Frau.

Der Hund sprang nach vorne und bellte zweimal, um sich anschließend wie auf ein unhörbares Kommando hin winselnd hinzulegen.

Es war ein kleines Buch, das da im Stroh lag, eingebunden in einen zartblauen Seidenstoff. Die Frau hob es auf und betrachtete es neugierig. In goldenen Lettern stand darauf geschrieben: Das Buch der Wahrheit. Und als sie es aufschlug, las sie auf der ersten Seite: Die kleine Schwester.

Die alte Frau trat verwirrt mit ihrem Fund in der Hand auf den Hof hinaus. Da sah sie, wie im Licht der aufgehenden Sonne eine weiße Gestalt leichtfüßig, fast so, als flöge sie, am Waldrand zwischen den Bäumen verschwand.

*

Kapitel 1

Ich habe mich nun doch entschlossen, alles aufzuschreiben – aber nur damit das von Anfang an klar ist, mit Märchen und solchen Sachen hat das Ganze nichts zu tun. Das hier ist, wie man so sagt, ein Tatsachenbericht. Meine Oma hat sich auch immer beklagt, weil ich schon als ganz kleiner Knirps mit vier oder fünf Jahren alles, was sie mir an Märchen erzählt hat, mit den Worten „Gibt es ja eh nicht in Wirklichkeit“ abgetan habe. Da hat ihr das Märchenerzählen dann gar keinen Spaß mehr gemacht.

Aber jetzt zur Sache. In der Schule passiert mir das übrigens auch öfter, dass ich vom Thema abkomme, das ist vor allem bei Deutschschularbeiten ziemlich blöd.

Begonnen hat alles im vergangenen Sommer. Die Ferien sind das Beste an der Schule, das finde sicher nicht nur ich. Man quält sich doch nur durch das ganze Schuljahr, damit man sie hinterher so richtig auskosten kann.

Ich heiße übrigens Felix und bin elf Jahre alt. Die Sommerferien verbringe ich immer bei meinen Großeltern auf dem Land. Sie haben einen kleinen Bauernhof mit Hühnern, Schweinen, Enten, Ziegen und zwei Hunden. Sie führen das schönste Leben und ich glaube, ich werde vielleicht einmal den Hof übernehmen, wenn mein Opa zu alt geworden ist für die Arbeit.

Meine drei Freunde Georg, Benni und Wendel freuen sich auch immer, wenn ich in den Ferien zu den Großeltern komme. Wir kennen uns schon ewig und es gibt nichts Besseres als unsere Freundschaft.

Wir, meine Freunde und ich, trafen uns an jenem Tag, an dem alles begann, schon früh am Morgen auf dem Waldweg hinter dem Stall. Es würde ein sehr heißer Tag werden, das merkte man bereits am frühen Morgen. Die Sonne hatte viel Kraft und es war richtig warm. Georg war mit seinem Rad gekommen und wir hatten alle Rucksäcke mit, denn wir wollten den ganzen Tag im Wald verbringen. Das machen wir oft und es ist wirklich nichts dabei. Mit Getränken und Broten von zu Hause waren wir ausgerüstet und auch eine Decke zum Sitzen hatten wir dabei.

Georg hatte natürlich seinen Handhelden mit, denn er kann ohne dieses Ding nicht leben. Er glaubt, die ganze Welt sei ein riesiges Computerspiel, und erzählt ständig Geschichten von Kämpfern und Helden. Wenn er groß ist, will er nämlich Spiele-Designer werden. Was ich werden will, weiß ich noch nicht, aber sicher etwas, wo ich viel in der freien Natur sein kann, denn das Herumsitzen im Zimmer ist nichts für mich.

Wir vier machten uns also auf in den Wald, um dort ein Abenteuer zu erleben oder zumindest etwas, das wir zu diesem Zeitpunkt noch für abenteuerlich hielten. Hätten wir damals schon gewusst, was uns erwartete, vielleicht wären wir erst gar nicht losgegangen.

Wir waren bester Laune, die Ferien hatten gerade erst begonnen und ich finde, es ist immer am schönsten, wenn man weiß, dass alles Gute noch vor einem liegt. Das schafft so ein zufriedenes Gefühl im Bauch.

Wendel erzählte uns gerade eine Geschichte über sein Meerschwein Emmy, das schon ziemlich alt ist und deshalb lauter kahle Stellen am Rücken hat. Er ist immer sehr glücklich, wenn er einmal ohne seine jüngere Schwester Anna unterwegs ist, sie mischt sich nämlich in alles ein. Auch Emmy muss er mit ihr teilen. Weil das Meerschwein große Büschel seines Fells verliert, müssen Wendel und Anna es abwechselnd mit einer ziemlich übel riechenden Salbe einschmieren und das mag das gute Tier gar nicht.

Was Emmy alles anstellt, um dieser Prozedur zu entgehen, erzählte unser Freund an jenem Tag so lustig, dass wir alle schallend lachen mussten. Wir waren ziemlich laut und ausgelassen. Eigentlich, so sagt mein Opa, soll man im Wald nicht so viel Lärm machen. Die Tiere mögen das nicht besonders.

Na ja, wir haben nicht daran gedacht, vielleicht war es aber auch gerade der Lärm, der sie angelockt hat. Vielleicht wären wir ihr niemals begegnet, wenn Wendel nicht so lustig von Emmy erzählt hätte.

 

Plötzlich war sie jedenfalls da. Sie stand mitten auf einer Waldlichtung direkt vor uns. Ich habe im ersten Moment eigentlich gedacht, dass es das gar nicht geben könnte. Es war wie in einem Traum, wenn plötzlich Dinge geschehen, die nicht passieren dürfen, weil man weiß, das gibt es eigentlich nicht. Wie wenn man zum Beispiel plötzlich fliegen kann. Immer wenn so etwas geschieht, ist es offensichtlich, dass man gerade träumt.

Ich habe sie gesehen, aber ich habe so getan, als wäre sie nicht da, und die anderen haben später dasselbe gesagt. Irgendwie dachte ich, ich würde ohnehin gleich aufwachen. Außerdem war sie sehr klein und eigentlich ganz anders, als man sich so jemanden vorstellt. Sie stand einfach da und starrte uns an. Später hat sie uns gesagt, sie hätte mindestens so viel Angst wie wir gehabt.

„Halt, Menschenkinder!“ Ihre Stimme war verhältnismäßig laut und schrill im Vergleich zu ihrer Gestalt. „Wagt es nicht näher zu kommen!“ Das war völlig überflüssig, wir waren ohnehin starr vor Schreck und konnten uns vor Angst nicht bewegen.

„Wach auf, wach auf, wach auf!“, flüsterte ich und zwickte mich in den Arm.

Wendel und Benni hielten sich plötzlich an der Hand, ich glaube, sie merkten es aber gar nicht.

Nur Georg blieb ganz cool. „Wer bist du denn?“, fragte er.

„Ich bin Leonore Alba Rusnelda von Albenstein und ich bin eine Elfe. Ihr könnt mich Leo nennen, wenn ihr wollt.“

„Guter Witz“, lachte Georg, „du kannst niemals eine Elfe sein, ich kenn mich zwar nicht wirklich aus, aber so viel weiß ich: Elfen sehen anders aus.“

„Mag sein, dass du recht hast. Ich bin vielleicht nicht so, wie Elfen sein sollten, aber was ist schon noch so, wie es einmal war? Die Zeit ist nicht stehen geblieben, alles verändert sich. Ihr seht auch nicht aus wie die Kinder in früheren Zeiten.“

„Woher willst du das denn wissen?“ Das war typisch, Georg provoziert gerne.

Die Elfe kam drohend auf uns zu und wäre sie nicht so klein gewesen, wären wir sicher weggelaufen. So aber siegte die Neugier. Es ist schon komisch, wie viel zu wagen man bereit ist, nur um ein bisschen Spannung zu erleben.

„Du bist sehr naseweis“, sagte das kleine Geschöpf und blickte Georg finster an.

„Lass doch!“, sagte ich zu meinem Freund, um die Situation etwas zu entschärfen.

„Na bitte, schau sie dir doch an“, gab der jedoch keine Ruhe, „fast so breit wie hoch, von zart und lieblich keine Spur, verstrubbeltes schwarzes Haar. Sind Elfen nicht immer blond?“

Später erzählte mir Georg, er wäre nur deshalb so frech gewesen, weil er ebenfalls gedacht hatte, alles wäre nur ein Traum und er würde gleich aufwachen.

Ich weiß nicht genau, wann wir endlich gemerkt haben, dass wir nicht träumen. Aber ich glaube, es hat recht lange gedauert. Die kleine, gedrungene Gestalt, die vor uns in der Wiese stand, schob nun trotzig ihre Unterlippe vor.

„Georg, bitte“, murmelte ich betreten.

„Nein, nein, lass nur“, moserte er weiter. „Vielleicht bist du eine Zwergin oder so was, irgendeine Zirkusnummer wirst du schon sein, aber eine Elfe ... So ein Blödsinn! Elfen gibt es doch nur im Märchen.“

„Na klar“, fauchte nun Leo, „der Herr weiß Bescheid! Er macht schließlich den ganzen Tag nichts anderes, als Elfen zu treffen!“

Wir anderen standen nur stumm da und glotzten. Die Szene wäre zu komisch gewesen, wenn wir dabei nicht so ein mulmiges Gefühl gehabt hätten.

„Beweise es, beweise, dass du eine Elfe bist, und beweise, dass ich das nicht alles nur träume!“, rief Georg jetzt.

„Das kann ich nicht ...“

„Na bitte, hab ichʼs mir doch gedacht!“

„Lass mich ausreden, ich kann es nicht ... im Moment.“

„Ja, ja, das kann jeder sagen, aber warum sollten wir dir das denn glauben, hä?“

„Das ist gar nicht nötig, es tut mir ohnehin schon leid, dass ich hervorkam, um euch zu treffen.“ Damit drehte sich die kleine Person um und marschierte in das dichte Gestrüpp davon.

„Halt, warte!“, rief Georg und lief ihr hinterher. „Ich hab es nicht so gemeint!“

„Bist du verrückt?“, zischte Wendel zwischen den Zähnen hervor. „Ich bin froh, wenn sie weg ist.“

„Ja, bitte lass sie“, flüsterte nun auch Benni, der bisher noch gar nichts gesagt hatte. Doch Georg war schon im Dickicht verschwunden. Zögernd folgten wir unserem Freund, denn ihn allein zu lassen kam natürlich nicht infrage.

Es war nicht schwer, Leo einzuholen. Mit ihren kurzen, dicken Beinen konnte sie nicht sehr schnell laufen, aber ich denke, sie wollte es gar nicht. Denn wenn sie wirklich hätte verschwinden wollen, wäre es ganz einfach für sie gewesen, wie wir später herausfanden.

Plötzlich, als wir ihr schon sehr nahe gekommen waren, blieb sie stehen und drehte sich zu uns herum. „Keinen Schritt weiter!“, rief sie und ihre Stimme klang sehr schrill, wahrscheinlich hatte auch sie in diesem Augenblick Angst. „Was wollt ihr?“ Wir standen wie angewurzelt da und starrten sie ratlos an, weil wir nicht wussten, was wir sagen sollten.

Wieder war es Georg, der mit ihr zu reden anfing: „Wir ... ich ... eigentlich wollen wir gar nichts von dir. Ich möchte nur noch mal sagen, dass ich es vorhin nicht böse gemeint habe. Tut mir leid.“

Leo stand nun ganz nahe bei uns und ich betrachtete sie neugierig. Sie war etwa 40 oder 50 Zentimeter groß und sehr pummelig, ja, fast schon dick. Ihre schwarzen, sehr ungepflegten Haare standen ihr wild vom Kopf ab. Die sehr großen, dunklen Augen und der trotzig vorgewölbte Mund verliehen ihr ein verwegenes Aussehen.

Ihre Kleidung war sehr seltsam. Sie trug ein Hemd, das so aussah, als wäre es aus lauter alten Stofffetzen notdürftig zusammengenäht worden. Die Hose musste einmal jemand anderem gehört haben, denn sie war zu groß, vor allem die Hosenbeine waren viel zu lang, darum hatte sie sie einfach hochgerollt und mit alten Schuhbändern und Schnüren festgebunden. Außerdem fiel mir auf, dass sie sehr schmutzig war, besonders ihre Füße.

„Ich vergebe dir, Menschenjunge“, wandte sich Leo nun an Georg.

„Warum bist du hierher zu uns gekommen?“, fragte Benni plötzlich, worüber wir sehr erstaunt waren, weil er eigentlich nie viel sagt.

„Das ist eine lange Geschichte, aber ich erzähle sie euch, wenn ihr wollt“, antwortete Leo.

Wir nickten alle wie auf Kommando, dann setzten wir uns ins Gras auf die mitgebrachte Decke. Die Elfe ließ sich vor uns auf einem Baumstrunk nieder.

„Packt jetzt eure Mahlzeit aus!“, befahl sie.

„Woher weißt du denn ...“ Weiter kam ich mit meiner Frage nicht, denn schon fiel mir Leo ins Wort.

„Ich kann euer Essen riechen, also raus damit!“ Ihre Augen funkelten und sie hatte einen zornigen Unterton in der Stimme.

Benni flüsterte mir zu: „Die macht mir richtig Angst.“

Ich packte zwei Wurstsemmeln und ein Leberstreichwurstbrot aus und auch die anderen kramten ihr mitgebrachtes Essen aus den Rucksäcken. Wir legten alles auf die Decke vor Leos Füße. Sie kniete sich hin und suchte mit fachkundigem Blick die besten Sachen heraus, nahm sie mit zittrigen Fingern und begann, alles gierig in sich hineinzuschlingen. Wir saßen nur da und staunten, wie viel dieses kleine Wesen essen konnte.

Zwischen zwei Bissen murmelte Leo uns zu: „Esst nur, esst! Es ist viel schöner, ein Mahl in netter Gesellschaft einzunehmen.“

„Wer sagt, dass die Gesellschaft nett ist?“, raunte Georg mir zu.

Aber wir nahmen gehorsam von dem, was Leo uns übrig gelassen hatte, und begannen ebenfalls zu essen. Während sie unablässig kaute, traf uns ab und zu ein zufriedener Blick aus ihren dunklen Augen. Der Elfe, oder was auch immer sie war, machte das Picknick im Wald mit uns Jungen sichtlich Spaß. In kürzester Zeit hatte sie die Hälfte unserer mitgebrachten Vorräte aufgegessen, schließlich trank sie noch meine Cola leer, dann rülpste sie und an einen Baumstamm gelehnt streckte sie die Beine aus und schloss die Augen. Wendel schubste mich und auch Georg machte Zeichen, nur Benni starrte vor sich hin und schien nichts mitzubekommen, sodass ich mich schon um ihn sorgte. Ich schlich zu ihm und flüsterte: „Los, komm, wir hauen ab, solange sie schläft.“

Langsam und vorsichtig versuchten wir uns davonzustehlen, doch wir waren noch keine fünf Schritte von ihr entfernt, als wir schon ihre schrille Stimme hinter uns hörten: „Halt, wohin so eilig? Ihr wollt doch nicht ohne mich gehen, oder?“ Resigniert blieben wir stehen und warteten, bis sie zu uns kam. „Bevor ich euch begleite, sollten wir noch beraten, wie wir es am besten anstellen.“

„Wie wir was am besten anstellen?“, fragte ich ratlos.

„Nun, wie es zu schaffen ist, mich ungesehen zu euch mitzunehmen.“

„Zu uns mitnehmen?“, staunten wir im Chor. „Das geht nicht, das ist ganz unmöglich. Du kannst nicht zu uns mitkommen“, beteuerten wir abwechselnd.

All die schrecklichen Dinge, die diesem Wesen in unserer Welt zustoßen könnten, gingen uns plötzlich durch den Kopf, und obwohl Leo nicht sehr sympathisch war, sorgten wir uns plötzlich irgendwie um sie.

„Du kannst unmöglich mit, wir sind uns gar nicht sicher, ob wir das hier nicht alles nur träumen, aber wenn du real bist und kein gemeinsames Hirngespinst von uns vieren, dann bist du in dieser Welt in großer Gefahr. Wo immer du hergekommen bist, bitte geh wieder dorthin zurück“, sagte Wendel.

„Ja!“, stieß Benni hervor. „Geh weg, geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist!“ Es klang ziemlich wild und panisch.

Das Elfenmädchen blinzelte verwirrt, als hätte jemand nach ihr geschlagen. „Ihr wollt mich nicht, ihr wollt mich also auch nicht! Ich habe meine Familie verlassen und lebe seit einigen Wochen hier im Wald. Ich ernähre mich von Menschenfutter und habe schon begonnen, mich zu verändern, und nun wollt ihr mich nicht!“ Sie hatte die Worte atemlos herausgestoßen, nun stand sie keuchend vor uns und starrte uns an.

„Halt, warte mal!“, rief Georg. „Was soll das heißen? Ihr wollt mich also auch nicht und der Kram von wegen verändern und so?“

„Das ist eine lange Geschichte, die erzähle ich euch ein anderes Mal, jetzt müssen wir einen Plan schmieden, wie ich ungesehen zu euch mitkommen kann, in eure Menschenwelt.“ Leo hatte sich erstaunlich schnell wieder gefasst.

„Du kapierst es nicht, oder?“ Georg hatte wieder diesen aggressiven Unterton, den er immer bekommt, wenn er Stress hat. „Du kannst nicht mit zu uns kommen. Nein, nada ... aus!“

„Okay, jetzt beruhigen wir uns alle erst einmal“, schlug ich vor. „Zu Hause rechnen sie erst am späteren Nachmittag mit uns. Sicher wäre es auffällig, wenn wir schon nach zwei Stunden wieder zurück wären. Wir können uns also genauso gut hier auf die Decke setzen und uns deine Geschichte anhören. Danach entscheiden wir, was wir machen.“

„Aber es gibt nichts mehr zu essen!“ Leo hatte wieder ihre Unterlippe vorgeschoben.

„Du setzt dich jetzt dahin und erzählst uns alles, sonst ...“ Doch ehe Georg fortfahren konnte, hatte sich Leo schon zu uns auf die Decke gesetzt.

„Es ist eine sehr lange Geschichte“, begann sie. „Ich weiß nicht, ob sie euch gefallen wird. Ich kann auch nicht so gut Geschichten erzählen wie mein Vater ...“

„Fang endlich an!“, brüllte Georg.

„Nun gut“, zierte sich Leo noch ein bisschen, „es begann alles mit meiner Geburt vor vielen, vielen Jahren.“

„Na, so lange kann das gar nicht her sein, du bist ja noch so klein.“ Ich verstummte prompt, als ich ihren finsteren Blick sah.

„Es begann also alles am Tage meiner Geburt vor sehr vielen Jahren ...“

*


*

Kapitel 2

„In der Elfenwelt herrschen andere Gesetze. Man kann sie mit der Menschenwelt nicht vergleichen. Wenn eine Elfe geboren wird, ist das immer ein großes Fest, ein Grund zur Freude, ebenso wie bei euch Menschen, aber hier enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Mit der Geburt erwirbt man Unsterblichkeit, das heißt, wenn ein Elfenleben begonnen hat, dauert es bis in alle Ewigkeit. Wir fürchten und meiden die Menschen, weil sie kriegerisch und grausam sind, und nur wenige von euch haben uns je zu Gesicht bekommen. Doch diese wenigen waren so verzaubert, dass sich viele Geschichten und Legenden um unsere Welt ranken, denn die Menschen sind fasziniert von der Schönheit und Leichtigkeit unseres Daseins. Sie ahnen, dass es bei uns Glück und Frieden wie nirgendwo sonst gibt, und es erscheint ihnen als das Paradies, nach dem ihr Menschen immer sucht und strebt. Manch einer wollte schon in unsere Welt eindringen, um unsere Geheimnisse zu erfahren, vor allem die Unsterblichkeit neidet ihr uns.“

 

Wir starrten Leo mit offenen Mündern ungläubig an, während sie bereits weitersprach.

„Also, ich wurde als Tochter des Elfenkönigs Brunhold und seiner Königin Esmilda geboren. Doch etwas ging schief.“

Ich spürte einen heftigen Stoß in die Rippen von Georgs Ellenbogen und er raunte an meinem linken Ohr: „Das schaut mir ganz danach aus!“

„Ich war von Beginn an anders. Mir fehlte es an nichts, ich hatte alles und doch war ich unglücklich. Irgendetwas in meinem Inneren sagte mir, ich sei für dieses Leben nicht geschaffen. Ich sehnte mich und wusste nicht wonach. Dann sah ich eines Nachts einen Jäger. Er hockte auf einem Turm aus Holz, den ihr Menschen Hochsitz nennt, und wartete. Ich wusste nichts über die Menschen, ich war noch zu jung. Eure grausame Gewohnheit, Tieren aufzulauern, ihnen nachzustellen und sie dann zu töten, war mir damals noch nicht bekannt. Ich sah nur diesen Menschen, groß und stark, ganz still dasitzen. Ich betrachtete ihn ganz aus der Nähe. Ich glaube, er schlief, denn er rührte sich nicht. Seine Augen waren geschlossen, aber er hatte schöne Gesichtszüge. Ich war fasziniert und wusste nicht warum. Von da an versuchte ich, alles über die Menschen zu erfahren, und je mehr ich wusste, desto größer wurde meine Überzeugung, dass ich in der Menschenwelt leben wollte. Alles schien mir besser und erstrebenswerter als mein bisheriges Dasein, ich fand das Elfenleben plötzlich nur noch langweilig, mit all dem Tanzen und Singen. Schließlich berichtete eine Dienerin meinem Vater von meiner Passion. Ich hatte inzwischen schon so viel über euch herausgefunden und wurde immer neugieriger, obwohl so vieles, was ich erfuhr, alles andere als schön war. Mein Vater jedoch war vollkommen verzweifelt, er verbot mir, mich weiter mit der Menschenwelt zu befassen, und sollte ich nicht gehorchen, würde er mich weit weg an die Ränder des Elfenreiches verbannen, dorthin, wo das Böse wohnt. Ich wusste damals noch nicht, dass das Böse eure Welt ist.“

Ihre Stimme hatte einen traurigen Unterton angenommen und in ihren Augen schimmerten Tränen. „Es kam, wie es kommen musste, ich tat nicht, was mein Vater verlangte, ganz im Gegenteil, ich versuchte sogar, einem kleinen Menschenmädchen bis nach Hause zu folgen. Es sah mich und wollte mich fangen, doch im letzten Augenblick gelang mir die Flucht. Natürlich erfuhr mein Vater davon und stellte mir ein Ultimatum. Wenn sich bis zum nächsten Vollmond mein Sinn nicht gewandelt hätte, würde er mich verbannen.

Wie ihr seht, bin ich hier. Es führt kein Weg zurück, mein Vater hat den Elfenfluch ausgesprochen. Ich bin nun ein Zwischenwesen, keine Elfe, aber auch kein Mensch. Am ähnlichsten bin ich wohl im Moment einem Troll. Doch jeder ehrbare Troll würde das wohl von sich weisen. So bin ich weder dies noch das, eine Reisende zwischen den Welten. Meine Kräfte schwinden von Tag zu Tag. Ich bin viel zu groß und zu schwer, um zu fliegen. Meine Flügel sind verkümmert. Meine Kleider aus glitzerndem Elfenstaub sind zerfallen und ich habe mir selbst aus Lumpen, die ich fand, dieses Gewand gefertigt. Ich schlafe in Erdlöchern und unter Gestrüpp und esse, was ich an Beeren oder Pilzen finde. Manchmal lassen Menschen auch etwas zu essen im Wald zurück, dann nehme ich es. Aber ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Bitte, helft mir!“

Damit schloss Leo ihre lange Rede. Wir hatten mit immer größerem Staunen ihrem Bericht gelauscht.

Georg war der Erste, der sich zu Wort meldete. „Also, da müssen wir uns was überlegen, das ist ganz klar. Wir werden ein bisschen Kriegsrat halten. Lass uns bitte kurz allein.“ Dann rückten wir zusammen und schon entbrannte eine hitzige Diskussion.

„Wir können sie unmöglich mitnehmen, wo soll sie denn bleiben? Wie sollen wir erklären, was und wer sie ist?“, rief Benni, der ganz offensichtlich nichts mit Leo zu tun haben wollte. Auch Wendel war eher dagegen, sie mitzunehmen, schlug aber vor, ihr einen passenden Unterschlupf im Wald zu suchen, eventuell sogar einen zu bauen. Das würde über den Sommer sicher gut funktionieren. Wir waren geschickt und zu Hause könnte man den Abzug von Werkzeugen und Brettern mit einem Spielhaus für uns im Wald erklären. Wir könnten Leo regelmäßig besuchen, um ihr Essen zu bringen.

Nachdem uns nichts Besseres eingefallen war, riefen wir die Elfe herbei und informierten sie über unseren Plan. Sie war erst nicht begeistert, da wir aber alle beteuerten, sie auf gar keinen Fall mit nach Hause nehmen zu können, erklärte sie sich schließlich einverstanden. Vor allem die Aussicht auf die Essensrationen schien sie sehr zu überzeugen.

Wir beschlossen, gleich mit der Suche nach einem geeigneten Standort für die Hütte zu beginnen. Es mussten immerhin einige Kriterien erfüllt werden. Erstens sollte der Platz versteckt liegen, ein zufällig herumstreifender Beeren- oder Pilzesucher oder gar ein Jäger sollte nichts Verdächtiges bemerken können. Zweitens musste die Stelle geschützt sein vor extremen Wetterbedingungen. Sommerstürme und heftige Gewitter sollten der Hütte nichts anhaben können.

„Wenn wir uns nicht verplappern, können wir bestimmt meinen Opa um Rat fragen. Er hat so viel zu tun, sicher kommt er nicht mit in den Wald, um zu helfen, aber ein paar Tipps sollten wir uns schon holen“, schlug ich vor.

Auf der Suche nach dem richtigen Standort streiften wir also einige Zeit durch den Wald, bis wir in der Nähe des Bachs eine geeignete Stelle ausfindig machten, die uns vor allem durch ihre unzugängliche Lage überzeugte. Man musste zuerst über ein paar Steine eine sumpfige, feuchte Stelle passieren, dann ging es hinter einer dichten Böschung ein kleines Stück bergab, wo sich der Bauplatz für die Hütte dicht an den Berg schmiegte. Er war geradezu ideal. Es würde zwar recht umständlich werden, die Bretter und das Werkzeug hierher zu schleppen, aber es waren Ferien und wir freuten uns über die Herausforderung, jemandem zu helfen.

Leo war währenddessen ziemlich still und schien irgendwie traurig, aber wir waren überzeugt davon, dass sie sich einfach nur nicht vorstellen konnte, wie toll alles werden würde.

Wir machten uns sofort auf den Weg zum Hof meiner Großeltern, weil der am nächsten zum Wald lag. Leo ließen wir an der Stelle beim Bach zurück.

„Du kannst ja inzwischen ein paar Blumen pflücken“, rief Georg ihr noch im Weggehen zu. Er konnte einfach nicht anders.

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