Vom schönen Schein

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„Ja dann …“ Ich mache mich von ihm los und gehe Richtung Ehrentisch.

Jetzt ist der Griff auf meine Schulter schon fester. „Haben Sie das notwendig? Zu stören?“

„Wir kennen uns.“

„Da hat sie mir etwas anderes gesagt.“

Mutter und Vater Sagerer, Daniela. Jetzt stehen alle drei und flüstern aufeinander ein. Vielleicht geht es um ein ungeplantes Spiel. Man hat den Bräutigam entführt. Warum muss es immer die Braut sein? Nur weil es üblich ist? Schon möglich, dass einige dem Kontrollwahn von Kaiser ein Schnippchen schlagen wollten. Das erklärt auch seine unentspannte Reaktion mir gegenüber.

„Die haben den Bräutigam entführt, was?“

„Das … ist absurd! Wehe, Sie schreiben so etwas. Er hat frische Luft gebraucht, mehr ist da nicht. Er ist Sportler. Nicht gewohnt, so lange zu …“

„Ich habe vom Hochzeitsbrauch gesprochen.“

Er starrt mich an. „Ich auch. Natürlich.“

„Wie lange ist er schon weg?“

„Glauben Sie, ich habe auf die Uhr gesehen?“

„Sie haben doch alles im Griff. Sonst.“

Ich sehe, dass auf seiner Unterlippe kleine Schweißperlen stehen. So warm ist sein Designersakko gar nicht. „Spotten Sie nur. Sie alle können feiern. Oder lästern. Ich arbeite. Ich habe einen Auftrag. Im Interesse unseres Brautpaares.“

„Fürs heilige Image. Österreichs heile Welt.“

„Und? Ist Ihnen klar, wie viele das gerne hätten? Wie schwierig es ist, in unserem Zeitalter der Bilder- und Nachrichtenflut durchzudringen? Mit den richtigen Messages zum richtigen Zeitpunkt? Die Aufmerksamkeit zu bekommen? Global gedacht? Warum, glauben Sie, kommen die Touristen? Warum kauft wer welche Sportartikel? Die Branche braucht jede Unterstützung, die sie kriegen kann, ich sage nur: Corona. Und dann noch der absurd warme Winter.“

„Schon mal was von Klimakrise gehört?“

Kaiser versucht mich weiterhin anzusehen und gleichzeitig mitzubekommen, was am Ehrentisch los ist. Seine Gesichtszüge entgleiten ins Absurde, er schielt, sein Mund verzieht sich.

„Geht’s Ihnen gut?“, frage ich jetzt doch einigermaßen besorgt. Vielleicht war etwas im Essen. Daniel ist der Erste, der es gespürt hat, und liegt jetzt röchelnd unter einem Weinstock.

Kaiser fokussiert wieder auf mich. „Ich glaube, Ihre Kollegin winkt. Sie sollten …“

Schwacher Versuch. Ich mache noch zwei Schritte Richtung Ehrentisch.

„Klimakrise? Sie sind also eine Jüngerin der heiligen Greta? Sind Sie dafür nicht …“

Ich will schon auffahren, als mir klar wird: Der will mich provozieren, in ein Gespräch verwickeln, Hauptsache, ich komme nicht zu Daniela. Allerdings. Alle Schäfchen kann auch der beste Hütehund nicht immer unter Kontrolle haben.

„Sorry, jetzt muss ich wirklich auf die Toilette. Dort drüben, haben Sie gesagt?“ Ich deute brav in die dem Ehrentisch entgegengesetzte Richtung.

„Vergessen Sie nicht, was im Vertrag steht“, gibt er mir mit.

Ich habe ihn noch immer nicht gelesen. Dafür habe ich gesehen, in welche Richtung Danielas Mutter gegangen ist. Ich bin keine Paparazza. Aber ich habe meinen journalistischen Ehrgeiz.

Frau Sagerer trägt ein schlicht geschnittenes beiges Kostüm, das ihr ausgesprochen gut steht. Sie ist schlank und mittelgroß, ihr Gesicht hat eine gesunde Bräune, die ebenso mit Urlaub im Warmen wie mit Arbeit im Freien zu tun haben kann.

„Daniels Freunde haben ihn entführt“, sage ich und lächle sie an.

Frau Sagerer runzelt die Stirn. „Sie meinen, sein Team?“

„Ja … sozusagen.“

„Sein Freund konnte nicht kommen, leider. Er hat im letzten Moment abgesagt. Weil seine Lieblingstante schwer krank geworden ist.“

„Sein Team eben.“

„Ich weiß nicht … Ich sollte nicht mit Ihnen reden.“ Sie starrt auf mein Namensschild.

„Wir sind eingeladen, aber doch irgendwie anders“, lächle ich weiter. „Kaiser will alles kontrollieren, nicht wahr?“

Danielas Mutter lächelt zurück. „Sagen Sie es nicht weiter, aber der Mann ist eine Pest. Ich bin so etwas nicht gewohnt. Ich bin echt froh, wenn es vorbei ist. Leider. – Und Sie werden das nicht schreiben, oder?“

„Werde ich nicht. Eine meiner besten Freundinnen ist übrigens Weinbäuerin.“

„Oh, Sie kennen die Familie hier?“

„Nein, Eva Berthold. Im Weinviertel. Noch ein richtiger Familienbetrieb. Nichts derart Großes.“

„Evelin Sagerer.“

Sie streckt mir die Hand entgegen.

„Mira Valensky. Und ich will Sie wirklich nicht aushorchen. Ich bin keine Gesellschaftsreporterin, auch keine Sportreporterin.“

„Was machen Sie dann hier?“

„Na ja. Frage ich mich auch. Ich arbeite für ein Onlinemagazin, üblicherweise schreibe ich gesellschaftspolitische Reportagen. Aber die Chefredakteurin ist auch eine Freundin. Und ich hab ihr versprochen, über diese Hochzeit eine nette Geschichte zu machen. Weil so etwas von sehr vielen Menschen gerne gelesen wird.“

„Hoffentlich“, seufzt Evelin Sagerer.

„Ich dachte, es gibt bei dieser Hochzeit keine verkauften Rechte?“

„Nein, aber die Betreuer sagen, was auch Kaiser sagt. Wenn die Hochzeit gut rüberkommt, haben wir viele Vorteile. Zum Beispiel was die nächsten Werbeverträge von Daniela angeht. Gar nicht zu reden von den Balajs.“

„Was ist mit ihnen?“

„Das kann ich nicht sagen, muss sozusagen in der Familie bleiben. Aber es ist wichtig für sie, dass alles gut läuft.“

„Und jetzt ist Daniel weg.“

Sie schüttelt den Kopf. „Ihm wird alles zu viel geworden sein. Er … Sogar Daniela ist vor der Hochzeit davongelaufen. Und sie hat wirklich super Nerven.“

„Ich hab sie im Weingarten getroffen, per Zufall. Er ist … davongelaufen, meinen Sie?“

„Das mit dem Bräutigamentführen ist Unsinn. Sein Team macht ganz genau das, was Kaiser geplant hat. Und auch er … Er ist ein netter Kerl.“

„Wie gut kennen Sie ihn?“

„Kein Kommentar.“

„Nicht gut.“

Evelin Sagerer seufzt. „Nicht trifft es besser. Er war einmal bei uns. Wirklich nett, wenn auch ein wenig gestresst. Sein Vater war mit. Der ist immer mit. Ich halte so etwas für schwierig. Wir freuen uns für Daniela und wir haben sie immer unterstützt, auch wenn das am Anfang gar nicht leicht war. Aber wir wären nie auf die Idee gekommen, immer an ihr dranzukleben …“

„Sein Vater weiß auch nicht, wo er steckt?“

„Er sucht ihn, glaube ich. Oder sie reden irgendwo, das wäre gut. Ein Gespräch zwischen den beiden. Ich muss jetzt aufs Klo. Und Sie dürfen nichts schreiben, was ich gesagt habe. Auch wenn es bloß für so ein Onlinedings ist.“

Kreisendes Blaulicht. Keine Sirene. Menschen, die, von zwei Scheinwerfern beleuchtet, zwischen Licht und Nacht, Weinstöcken und einem großen Baum planlos herumzueilen scheinen. Natürlich ist Kaiser dabei. Er rudert mit den Armen. Sein Smartphone wird noch hügelabwärts fallen. Unter dem Baum liegt Daniel. Man hat eine karierte Decke über ihn gebreitet. Das festlich erleuchtete Schloss hebt sich vom Nachthimmel ab. Das alles kann nicht real sein. Mehr Menschen kommen in unsere Richtung, vom Schloss her, eine Karawane. Vater Balaj brüllt auf einen Polizeibeamten ein. Ich verstehe trotzdem nichts. Ich weiß nur: Sein Sohn ist tot. Erschossen. Unter dem großen Baum, der zwischen den Rebzeilen steht.

Nach meinem Gespräch mit Evelin Sagerer war ich unschlüssig, was ich tun soll. Zu meinem Tisch wollte ich nicht mehr zurück. Aber wie geplant fahren, obwohl Daniel verschwunden ist? Immerhin bin ich Journalistin. Und worüber ich schreibe, kann ich später entscheiden. Aber mich in Familienangelegenheiten einmischen? Hab ich das nicht längst getan, indem ich über diese Hochzeit berichte? War sie je eine Familienangelegenheit? Die ultimative Show, das schon eher. Ich bin am Vorplatz zum Schloss gestanden, als ich das Blaulicht gesehen habe. Und ich bin hin. Vesna hätte mir sonst gekündigt. Als Putzfrau und als Freundin. Kaiser war bereits da. Daniels Vater auch. Dazu ein paar vom Team.

Die bis ins kleinste geplante Traumhochzeit ist wohl geplatzt. Es hat jemanden gegeben, der sich nicht ans Drehbuch gehalten hat. Wir stehen im Vorzeigeweingarten, tief unter uns fließt die Donau, es glänzen die Lichter der Wachauer Dörfer, das Schloss strahlt vor sich hin und einer der Hauptdarsteller ist tot. Die Gruppe, die vom Schloss her kommt, bewegt sich schnell. Drängelei, Gerenne. Wer ist zuerst am Schauplatz? Wer kriegt die besten Bilder? Wer kann am meisten erzählen? Und wieder geht es um Aufmerksamkeit, um diese paar Sekunden Öffentlichkeit. Für Ego, Geld und … Stopp, Mira. Denk an Daniela. Wie fürchterlich.

Sirenen. Ein, zwei, drei Polizeiwagen biegen um die Kurve, halten nahe beim Baum. Knallende Türen, Befehle, die sich mit dieser Kulisse zu etwas noch immer völlig Unwirklichem mischen. „Alle zurück, treten Sie zurück! Gehen Sie zurück, da gibt es nichts zu sehen!“ Energische Stimme durch ein Megafon.

„Wenn Sie den Tatort nicht verlassen, machen Sie sich strafbar!“

Ich sehe, wie sich eine Gestalt aus der langsamer gewordenen Gruppe löst. Ophelia, Desdemona, griechische Tragödiengestalt im wehenden weißen Kleid, bloßfüßig. – Hat Kaiser das inszeniert? Absurd, wie kannst du so etwas denken. Ihre Mutter läuft hinter ihr drein, auch sie hat die hohen Schuhe ausgezogen. Knapp vor dem Baum bleibt Daniela stehen. Sie starrt auf die Gestalt unter der Decke. Ihre Mutter legt ihr den Arm um die Schulter. Sie stehen und schauen.

Es ist gerade erst Mitternacht. Wir sitzen im Salon, in dem auch das Presse-Briefing vor der Hochzeit war. Ich bin mir sicher, nicht nur ich habe das Gefühl, dass Tage dazwischenliegen. Tage ohne Schlaf. Mir ist kalt. Das Licht im Raum ist unbarmherzig hell. Die Stuckverzierungen der Rokoko-Decke haben Sprünge, unsere Gesichter sind grau.

 

Neben dem Polizeidirektor steht Kaiser. Er hat tiefe Ringe unter den Augen. „Es wird volle Transparenz geben. Die Familie arbeitet eng mit den Behörden zusammen, damit dieses … einzigartige Verbrechen rasch aufgeklärt wird. Sie können auch in der Medienberichterstattung auf meine totale Kooperation zählen. Je schneller wir …“

Ein Kameraverbot haben sie trotzdem verhängt. Für den Moment. Meine Kollegen wirken erschöpft. Und auf eine seltsame Art überrascht, oder eher gekränkt, enttäuscht. So, als hätte man ihnen die Geburtstagstorte im letzten Moment weggenommen und ins Gesicht geworfen. Ich habe meinen ersten Bericht bereits durchgegeben, Sam einfach am Telefon erzählt, was ich weiß. Sie schreibt es zusammen und stellt es ins Netz. Während der Vorspeise erhält Daniel Balaj einen Anruf. Er flüstert Daniela zu, dass er gleich wiederkommt. Sie meint, er habe nicht besonders aufgeregt gewirkt. Er kommt nicht wieder. Sein Vater macht sich auf, ihn zu suchen. Gefunden wird er schließlich von einem slowakischen Arbeiter, der sich im Weingarten mit einer Freundin treffen wollte. Er sieht, dass Daniel Balaj tot ist. Ruft die Polizei. Die Tatwaffe hat man neben dem Toten gefunden. Es handelt sich um eine Smith & Wesson .44 Magnum. Der Schuss wurde aus ganz geringer Nähe auf seinen Kopf abgegeben.

Nun ist der Polizeidirektor dabei, uns das Prozedere zu erklären. Wann wer was darf, wann was passieren wird, und, vor allem, dass wir besser heimfahren sollten. Nachdem wir befragt worden sind. Wie alle anderen Hochzeitsgäste auch.

„Im Moment geht es auch darum, Personen und … Dinge auszuschließen“, erklärt er.

„Selbstmord?“, ruft eine Kollegin nach vorne.

„Selbstmord ist absurd“, antwortet Kaiser anstelle des Polizeichefs. „Er stand auf dem Gipfel des Erfolgs. Er hat gerade geheiratet. Besser konnte es gar nicht laufen für ihn.“

„Wir können nichts ausschließen im Moment“, widerspricht der Polizeidirektor.

„Ich versichere Ihnen, es wird nichts vertuscht. Es wird volle Transparenz …“

Der Polizeidirektor sieht Kaiser stirnrunzelnd an. „Sie werden mir nicht unterstellen …“

„Nein. Natürlich nicht. Wir sind alle … in einer Ausnahmesituation. Ich bin überzeugt, dass die Polizeibehörden optimal mit uns kooperieren werden.“

„Sie mit uns“, präzisiert der Polizeichef.

„Wechselseitig. Ich möchte nur noch einmal allen anwesenden Medienvertretern versichern, dass ich Sie bei allem unterstütze, das der Aufklärung dieses … wie gesagt einmaligen Verbrechens dient. Das ist nicht nur ein feiger Mord, es ist ein Anschlag auf Österreich!“

Interessanterweise verwendet unser Kanzler einige Stunden später bei einer mehr oder weniger spontanen Trauerkundgebung genau diese Worte: „Es ist ein feiger Mord, es ist ein Anschlag auf ganz Österreich!“ Vor einem großen schmiedeeisernen Tor an der Donauuferstraße haben inzwischen hunderte Menschen Blumen, manche auch Tennisschläger niedergelegt. Allerdings sind die ersten Trauernden einem Irrtum aufgesessen. Das Tor gehört nicht zum Weingut, in dem Daniel ums Leben gekommen ist. Aber jetzt ist an der Trauerstätte nichts mehr zu ändern. Und schließlich sei es ja auch egal, wo getrauert werde, hat Kaiser wissen lassen. Ihm habe ich einige interessante Hinweise zu verdanken. Offenbar ist er wirklich bemüht, dass der Fall so schnell wie möglich aufgeklärt wird. Vielleicht traut er es uns Medienleuten eher zu als den Polizeibehörden. Sein Kalkül ist wohl einfach: Je schneller alles geklärt ist, desto schneller ist alles vergessen. Und desto schneller kann er sich wieder um positive Aufmerksamkeit für den österreichischen Sport und vieles, was damit zusammenhängt, kümmern.

Die Herkunft der Waffe kennt man inzwischen. Sie ist auf den Besitzer des Weinguts zugelassen. Sie ist registriert, er verwendet sie zur Nachsuche. Das sei üblich, wenn man Wildschweine jage. Um ihm und auch uns „unnötige Anstrengungen zu ersparen“, hat Kaiser zu einem Pressegespräch vor das Winzerhaus geladen. Titel der Ankündigung via WhatsApp: „Mord bei Traumhochzeit“. Zwanzig, dreißig Kamerateams sind es sicher, die sich auf dem eigens errichteten Podest positioniert haben. So, dass im Hintergrund die steilen Weinhänge zu sehen sind. Geschickte Kameraleute können bis zur Donau hinunterblenden. Letztlich hätte jeder die Waffe nehmen können, erklärt der Hausherr. Er werde die Konsequenzen für seine Verantwortungslosigkeit tragen, aber es sei einfach ein „ziemliches Durcheinander“ gewesen. Man habe „dem Team“ das gesamte Haus zur Verfügung gestellt. Was er denn mit „dem Team“ meine, fragt einer meiner Kollegen. „Den Hochzeitern … und ihrer Begleitung …“

„Dass ein Außenstehender die Waffe genommen hat, ist damit auszuschließen“, stellt ein Fernsehreporter fest.

„Ist es leider nicht. Sie war in einem Schrank, wie es sich gehört, versperrt. Aber dann … Man hat Fotos gemacht, und ich habe mich daran erinnert, dass im Schrank eine alte Schießscheibe mit einem Herz ist, die habe ich für ein Foto herausgeholt. Der Schrank … er ist wohl offen geblieben und keiner kann sagen, wer ein und aus gegangen ist. Der Schrank steht im Nebenhaus, da war keine Security …“

„Wir hatten keine Security“, fährt Kaiser dazwischen.

„Nein … ich meine …“

„Da geht es jetzt nicht ums Image“, rufe ich nach vorne.

„Jeder hätte die Waffe nehmen können“, sagt der CSO mit festem Blick in meine Richtung.

„Er hat sie sogar selbst …“, fährt der Winzer fort, verstummt und sieht Kaiser an.

„Reden Sie weiter, es gibt nichts zu verbergen.“

„Er … Daniel hat sie gesehen und hat gesagt, mit so einem Revolver hat er in Australien geschossen. Ich hab ihm die Munition gezeigt, es ist eine besondere. Viele konnten das sehen. Und ich fürchte … die Munition ist beim Gewehrschrank geblieben.“

Warum hat mir Kaiser die Nummer von Danielas Mutter gegeben? Ich habe ihn bloß gefragt, wo die Familie jetzt ist. Und ihm erzählt, dass ich kurz vor dem Mord mit ihr geredet hätte. Eine Verdächtige weniger. Aber sie könnte dabei gewesen sein, als sie über den Revolver geredet haben. Sie könnte sich erinnern, wer sonst noch in der Nähe war.

Ich gehe den Schotterweg entlang, bleibe dort stehen, wo ich gestern Daniela begegnet bin. Gestern? Das kann nicht sein. Ich wähle die Nummer und erschrecke, als Evelin Sagerer nach dem ersten Läuten drangeht. Ich war mir beinahe sicher, dass sie nicht reagiert. Oder dass es sich überhaupt um eine falsche Nummer handelt.

„Man tut eben alles, damit der schreckliche Mord so schnell wie möglich geklärt wird“, sagt sie. „Daniela ist nicht in der Verfassung … noch nicht, sagt Kaiser. Morgen, übermorgen kann es sein, dass sie sich an die Öffentlichkeit wenden wird.“

„Der führt sie wirklich den Medien vor?“

„Sind Sie nicht auch von …“

„Ich bin anders.“ Ich komme mir lächerlich vor. Wie viele haben das schon gesagt.

„Auch sie will … beitragen.“

„Sorry, aber das klingt nicht echt. Der setzt euch unter Druck, ist es nicht so?“

Kurzes Schweigen. „Nein. Ist es nicht. Was wollen Sie wissen?“

„Sie haben mir erzählt, dass ein Freund von Daniel nicht kommen konnte. Und dass sein Vater immer an ihm drangeklebt ist. Bester Freund und Coach und Trauzeuge und alles.“

„Daniels Vater … er ist gegangen, um ihn zu suchen. Mehr kann ich nicht sagen. Man sagt … Daniel hat sich abnabeln wollen. Es kann sein, dass er stärker beim neuen Konsortium andocken wollte.“

„Der Vater wäre ausgebremst worden. Wo er doch alles für seinen Sohn …“

„Ich … ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas mit seinem Tod zu tun hat. Man darf nicht vergessen … es ist sein Kind. War.“

„Kaiser müsste eigentlich mehr darüber wissen.“

„Weiß er sicher.“ Das klingt richtig erleichtert.

„Hat er gesagt, dass Sie mir das erzählen sollen?“

„Nein. Ich will einfach helfen. Auch damit Daniela besser … damit zurechtkommt.“

„Wie geht es ihr?“

„Das ist privat.“

„Richten Sie ihr einen ganz lieben Gruß aus. Ich habe unser Treffen sehr nett gefunden. Und ich weiß, dass sie ihn …“ Weiß ich eigentlich nicht. Nur weil sie aufgeregt wie viele Bräute war? Weil sie gesagt hat, dass sie ihn natürlich mag, sonst würde sie ihn nicht heiraten? … Sinnlos. Ganz abgesehen davon, dass ich eine Fremde für sie bin. Wie viel erzählt man so einer? „Hat sie ihn geliebt?“, frage ich trotzdem.

Schweigen.

„Hallo?“

„Sie hat ihn sehr gerne mögen. Leider.“

„Leider?“

„Sonst hätte sie ihn nicht geheiratet. Und das alles wäre …“

„Sie meinen, sein Tod hat direkt mit der Hochzeit zu tun?“

„Ist er an diesem Abend gestorben, oder nicht?“

„Sein Freund … der abgesagt hat. Offenbar sein einziger Freund, der nichts mit Tennis und den Geschäften drum herum zu tun hat. Was wissen Sie über ihn?“

„Nichts. Außer, dass er nicht kommen konnte, weil seine Lieblingstante schwer krank geworden ist.“

„Das würde ich gerne nachprüfen.“

„Dann fragen Sie die Polizei. Vielleicht weiß die …“

„Sie wollten mich unterstützen. Uns.“

Stille.

„Also?“

„Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Ich hab das von Daniela.“

„Aber Daniela wird ihn wohl kennen. Vielleicht hat sie seine Nummer.“

„Glaube ich nicht.“

„Wo er der beste Freund ihres … Mannes war?“

„Es war mehr so ein Freund von früher.“

„Bitte fragen Sie Daniela. Wenn sie etwas weiß, kann sie mir auch eine Nachricht schicken. Und … ganz herzliches Beileid.“ Es hört sich doppelt falsch an. Wenn man mit jemandem trauert, stellt man keine Fragen. Und: Trauert Danielas Mutter?

„Sein Vater … er hatte große finanzielle Probleme. Er hat sehr ungeschickt investiert. Ich glaube, das war mit ein Grund, warum Daniel überlegt hat, ihn nicht mehr als engsten und einzigen Betreuer zu wollen.“

„Was wissen Sie?“

„Nur … dass es so gewesen sein kann.“

CSO Kaiser versucht tatsächlich, alle von uns persönlich mit Informationen zu versorgen. Er hat einige Assistentinnen, aber die arbeiten bloß zu. Warum tut er das? Weil er sich mitverantwortlich für den Tod des Tennisstars fühlt? Weil er einfach der ultimative Kontrollfreak ist?

Ob ich schon mit Frau Sagerer telefoniert hätte, will er von mir wissen. Ob und wie er sonst noch helfen könne … Ich sehe ihn an. „Stimmt es, dass sich Daniel von seinem Übervater verabschieden wollte?“

Er senkt den Blick.

„Sie stecken dahinter, ist es das?“

„Nein … so war es nicht. Wir haben Daniel ein sehr gutes Angebot gemacht. Nachdem klar war, dass er über keinerlei Mittel verfügt. Momentan. Sein Vater hat alles in den Sand gesetzt. War ohnehin schon zu lesen. Zumindest einiges davon. Wir haben die Aufgabe, ein derartiges Talent nicht einfach seinem Schicksal zu überlassen.“

„Aber sein Vater hat ihn dorthin gebracht, wo er jetzt ist.“

„Sportlich ja. Wirtschaftlich auch. Leider. Er hätte … er wäre sein bester Freund geblieben. Und sein Coach. Im engeren Sinn.“

„Es war ihm zu wenig.“

„Es … gab einen Streit. Gestern, vor der Trauung. Es kommt ohnehin heraus. Sein Vater hatte offenbar schon etwas getrunken. Er hat zuerst mit ihm gestritten und dann ist er zu Daniela und hat ihr vorgeworfen, dass sie hinter allem steckt. Er war … krankhaft eifersüchtig auf jeden, der seinem Sohn zu nahe gekommen ist.“

„Ich nehme an, die Polizei weiß davon.“

„Ja. Natürlich. Sie halten sich noch zurück … mit Ermittlungsergebnissen.“

Ich nicke langsam. „Daniels Freund – der aus früheren Tagen. Haben Sie eine Telefonnummer von ihm?“

„Wie kommen Sie jetzt auf den?“

„Er könnte mehr über das Verhältnis der beiden wissen, meinen Sie nicht?“

„Vielleicht.“ Kaiser scheint zu überlegen. Von der Terrasse her nähern sich zwei meiner Kollegen. Er wirft auch ihnen einen überaus freundlichen, kooperativen Blick zu. „Sie … müssen mich entschuldigen. Es … Hätte ich nicht daran gearbeitet, Daniel mehr Sicherheit zu geben …“

„Was ist mit seinem Freund? Warum ist er nicht gekommen?“

„Wahrscheinlich, weil Daniels Vater auch auf ihn extrem eifersüchtig war.“

„Der alte Freund?“, widerholt mein Kollege vom Blatt und verzieht das Gesicht. Was weiß er, das ich nicht weiß?

„Kann es sein, dass Daniel Balaj eigentlich schwul war und Sie mit dieser Traumhochzeit dafür sorgen wollten, dass niemand davon erfährt? Kranke Tante, das ist doch total absurd. Soviel wir wissen, hat der Freund keine Tante. Zumindest keine kranke. Und soviel wir wissen, waren Sie es, der ihn ausgeladen hat.“

 

Kaiser blitzt meinen Kollegen wütend an. „Ich habe ihn ausgeladen, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Streit. Niemand braucht das an so einem Freudentag. Und: Daniel war nicht schwul. Fragen Sie Daniela. Fragen Sie … was weiß ich, es hat sicher noch andere gegeben, früher!“

Mein Blatt-Kollege sieht Kaiser süffisant an. „Streit? Davon hat es offenbar mehr gegeben. Zum Beispiel zwischen Daniel und Ihnen. Vor der Hochzeit. Ging es da nicht genau um diesen ausgeladenen … Freund?“

„Unsinn. Sie sind schlecht informiert. Es gab … ein kleines Geplänkel. Aber nicht mit mir. Sondern zwischen Daniel und seinem Vater.“

Breaking News. Andi Balaj, Vater und Coach von Daniel Balaj, wurde in Untersuchungshaft genommen. Es gäbe zahlreiche Hinweise auf eine Verwicklung in den „Mord bei der Traumhochzeit“. Natürlich gelte die Unschuldsvermutung. Man beschreibt das allzu enge Verhältnis der beiden, den wirtschaftlichen Misserfolg des „gebürtigen Kosovo-Albaners“, seine Eifersucht. Die Hinweise darauf, dass Daniel seine sportliche und finanzielle Zukunft in die Hände des neuen Sportkonsortiums legen wollte. Daniela wird mit einer Stellungnahme zitiert: „Ich trauere um meinen Mann, einen großartigen Menschen und Sportler, ich danke allen, die sich dafür einsetzen, dass die fürchterlichen Ereignisse aufgeklärt werden. Ich und unser schönes Land haben das nicht verdient.“

Wenn sie das selbst formuliert hat, dann fresse ich einen Besen. Sie macht brav mit beim großen Spiel ums gute Image. Und der ach so transparente Herr Kaiser konnte mir nicht rechtzeitig sagen, dass man Daniels Vater verhaften wird. Oder zu dem Zeitpunkt bereits verhaftet hatte. Ich knurre so, dass sich unser Kater Vui erschrocken unters Sofa zurückzieht. Warum bin ich so sauer? Weil nicht ich diesen Fall gelöst habe? Weil er derart banal ist? Weil Kaiser letztlich gewonnen hat? Er lässt die Puppen tanzen, ein kleiner Imageschaden, aber viel Aufmerksamkeit. „Mord bei Traumhochzeit“. So gesehen hat der Mord mehr gebracht als die Hochzeit. Mehr Medienöffentlichkeit. Plus, sozusagen, einen rasch und effizient gefassten Verdächtigen. Warum …

Mir wird heiß. Und wenn alles ganz anders war? Die Hochzeit tatsächlich die ultimative Inszenierung? Wenn CSO Kaiser jeden Grund hatte, abzulenken, damit es nicht zu einer CSI Kaiser kommt? Wer sagt denn, dass sich Daniel wirklich von seinem Vater als engstem Betreuer trennen wollte? Kaiser. Vielleicht war es ganz anders. Er wollte, dass Daniel zum Sportkonsortium wechselt. Vielleicht war die Hochzeit nichts anderes als ein Goodie, sie sollte der Beweis sein, was alles möglich ist, wenn er mit dem Konsortium zusammenarbeitet. Als Daniel tot unter dem Baum lag, im Weinberg, tief unter uns die glitzernden Lichter der Wachau, die Donau … Ich erinnere mich, was ich als Erstes gedacht habe: Jetzt ist einer der Hauptdarsteller tot.

Da war nichts echt. Bis auf den Mord. Und es hatte wohl einen ganz anderen Grund, warum Kaiser verhindert hat, dass der einzige echte Freund Daniels bei der Hochzeit dabei ist. Weil er zu viel weiß. Weil er ihn nicht hätte unter Kontrolle halten können. Aber dann wollte Daniel doch nicht mehr länger mitspielen. Was immer das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Nicht nur Daniels Vater, auch Kaiser war eine Zeit lang weg vom Ehrentisch. Es passt. Es passt alles zusammen. Wäre Daniel ausgestiegen, es wäre Kaisers ultimativer Misserfolg gewesen. Traumhochzeit versaut. Seine Spielchen aufgedeckt. Man hätte ihn gefeuert und über Österreich bestenfalls gelacht. Die Sportler, die, gedrängt vom neuen Sportkonsortium, einer Hochzeit zustimmen, damit Aufmerksamkeit, Werbeeinnahmen, Image stimmen. Ich muss mit seinem Freund reden. Seinem echten. Schwul hin oder her. Das ist nun wirklich nicht wichtig.

Daniela. Sie muss mir die Nummer geben. – Und wenn sie die tatsächlich nicht hat? Weil es stimmt, dass sie Daniel zwar gemocht, aber gar nicht besonders gut gekannt hat? Ich wähle die Nummer ihrer Mutter.

„Ich glaube, dass alles ganz anders war“, sage ich, als sie drangeht.

„Ich auch“, sagt sie.

„Ich brauche die Nummer von diesem Freund.“

„Ich will nicht, dass wir Mitschuld tragen.“

Ich stutze. „Sie wissen, dass Kaiser dahintersteckt?“

„Ja.“

„Sie müssen mit der Polizei reden. Und wir brauchen einen Beweis. Können Sie sich daran erinnern, wann Kaiser den Tisch verlassen hat? Hat Daniel etwas erzählt über den Streit?“

Stille. „Wovon … reden Sie?“

„Er war es doch, der Daniel …“

„Er hat die Hochzeit inszeniert. Und Daniela hat sich wirklich verliebt. Oder so etwas Ähnliches. Sonst hätte ich nie …“

„Aber Daniel wollte aussteigen.“

„Aussteigen? Sie haben geheiratet.“

„Kaiser hat dafür gesorgt, dass Daniels Vater verdächtigt wird.“

„Ja. Es tut mir leid. Dass wir da quasi mitgeholfen haben. Aber ich glaube nicht …“

Ich hole tief Luft: „Sie können keinen Mörder decken!“

„Der Mörder? Nein. Das ist er nicht. Nicht direkt.“

Ich schüttle den Kopf, als könnte es meine Gehirnzellen in sinnvolle Bewegung bringen. „Was ist mit dem Freund?“

„Daniela schickt seine Nummer gerade durch. Sie hat vor kurzem mit ihm geredet. Es wird wohl ohnehin alles rauskommen, aber wir wollen nicht mitschuldig …“

„Die waren also doch ein Paar?“

„Freunde, sie waren Freunde. Und er hat zugelassen, dass sein einziger Freund ausgeladen wird. Das war dann wohl zu viel.“

„Zu viel? Es war sein Freund, der … “

„Daniel hat sich umgebracht. Er war … erschöpft. Offenbar seit langem. So eine ATP-Tour ist eine Riesenanstrengung. Allein schon die Reisen. Er kam mit seinem Vater nicht mehr zurecht. Dann die finanziellen Sorgen. Sein Team, ein Team statt Freunde. Ein Coach statt einem Vater. Dieses Sportkonsortium, dieser Kaiser … Daniel hat Daniela am Vormittag gebeten, dass sie die Hochzeit absagen. Deswegen ist sie davongelaufen. Sie hat sich geweigert. Sie hat gehofft, er wird sich noch in sie verlieben. Es ging nicht ums Geld und all den Unsinn, den ihr Kaiser und seine Leute eingeredet haben. Jetzt fühlt sie sich schuld an Daniels Tod. Schuld ist dieser Sportmanager, auch wenn er ihn nicht ermordet hat. Schuld ist sein Vater, aber Daniela will nicht, dass er dafür ins Gefängnis geht. Es war Mirko, mit dem Daniel telefoniert hat, bevor er den Tisch verlassen hat. Sein Jugendfreund. Mirko war sauer, weil Daniel nichts dagegen unternommen hat, dass er ausgeladen wurde. ‚Kein Wunder, dass einer wie du keine Freunde hat‘, hat er gesagt. Das … war es dann wohl.“

Ich schlucke. „Selbstmord … Das hätte nicht gepasst zu Kaisers Strategie. ‚Mord bei Traumhochzeit‘, das klingt wie aus einem Fernsehkrimi. Selbstmord …“

„Ist einfach nur traurig. Kein Erfolg. Für niemanden“, sagt Danielas Mutter langsam.

Ich nicke. Erst dann wird mir klar, dass sie mich nicht sehen kann. Sie scheint noch dran zu sein. „Aber besser, als weiter zu lügen.“

„Wir hätten früher damit aufhören sollen. Österreich ist nämlich wirklich schön. Und unsere Tochter ist nicht nur die beste Skifahrerin, sondern auch ein ganz lieber Mensch. Mit einem großen Herz.“

Sicher. Ja. Und Wahrheit ist etwas anderes als bloß das Gegenteil von Lüge. Wenn es sie überhaupt gibt. „Grüßen Sie Daniela von mir.“