Die Rebellen von Morgen

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Die Rebellen von Morgen
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Fabian „Funeto“ Mers ist ein einfacher Junge aus einem kleinen Dorf. Neben seiner Freude am Bücher schreiben, ist er damit beschäftigt Videospiele zu spielen, seinen Kater zu knuddeln oder Unmengen an Kakao zu trinken. Der Künstlername „Funeto“ wird von seinem Online-Spielernamen abgeleitet.

Die Rebellen von morgen

F. Funeto M.

Kapitel-Übersicht

Kapitel Eins

Nicht wie Wir 6

Kapitel Zwei

Die Klagende, die die Freiheit lebt 16

Kapitel Drei

Erstbeste Freundinnen 22

Kapitel Vier

Fortuna 32

Kapitel Fünf

Nichts wichtigeres als das 43

Kapitel Sechs

Ein Zeichen der Hoffnung 51

Kapitel Sieben

Der Phönix der Freiheit 65

Kapitel Acht

Maloubala 84

Kapitel Neun

In der Falle 97

Kapitel Zehn

Der letzte Rebell 107

Kapitel Elf

Gemischte Gefühle 114

Kapitel Zwölf

Eine neue Ära 123

Kapitel Dreizehn

„Ich brauch ein Wunder!“ 130

Kapitel Vierzehn

Die Rebellen von morgen 140

Kapitel Fünfzehn

„Es ist vorbei!“ 147

Kapitel Sechzehn

Utopie 154

Nicht wie wir

Es war der 21. Februar 2020.

Als ein einfaches Mädchen namens Lina Müller das Fenster ihres schlichten Zimmers öffnete, schloss sie die Augen und dachte darüber nach, wie schön die Ruhe eigentlich ist. Lina war ein schlankes Mädchen mit glatten, blonden Harren, die ihr bis zur Schulter herunterhingen. Sie unterschied sich nicht viel von den anderen 15-Jährigen aus ihrer Schule.

Es war ein sonniger Tag in Langenhorn. Langenhorn, ein kleines Dorf in der Nähe von Hamburg, mit etwas mehr als 3000 Einwohnern. Trotz seiner kleinen Größe bot es alles, wonach sich das Herz eines gewöhnlichen Mädchens aus der Momsenstraße sehnte. Ein ruhiger Fleck Erde. Einfach perfekt für Lina.

Denn Sie war so normal, wie man es sich nur vorstellen kann und sie liebte die Ruhe.

Doch die Ruhe hielt nicht lange an. Denn wie schon zu oft wurde das Piepsen der Vögel übertönt. ...

„Es ist Ausnahmezustand in Deutschland. Aus sonst so belebten Straßen wurden gottverlassene Pfade. Auf Spielplätzen herrscht weder Lachen noch Weinen, nicht einmal der Ruf „Mama, vom Toben hab ich Hunger bekommen!“ ist zu hören. Totenstille herrscht über die ganze Republik.

Sogar das Glockenläuten der Kirche hat aufgehört!

Das einzige, das auf irgendeine Art und Weise nochmal regelmäßigen Schall erzeugt, sind die Rufe durch die Sirenen, welche mittlerweile an jeder Ecke zu finden sind. „Wartet ab, bald ist wieder Alles gut!“ das sind Nachrichten, von denen man nur Träumen kann. Zu jeder Stunde hört man die Opfer unseres furchtbaren Feindes! Wie kannst du das nur nicht ernst nehmen!“

Das waren die Worte, die Lina Müller mittlerweile jeden Tag so regelmäßig wie Zähneputzen hören musste. Wie das Krähen eines Hahnes oder eine Gutenachtgeschichte. Nur leider war das keine Geschichte, die man seinen Kindern vor dem Schlafengehen erzählen würde. Und für Johannes Müller war das auch mehr, als nur ein schlechtes Märchen – viel mehr. Linas Vater konnte über nichts anderes mehr reden. Sogar seine Arbeit als Baugeräteführer, über die er sich sonst immer beschwerte, bot keinen neuen Gesprächsstoff.

Sobald Lina aufgestanden war und eines ihrer schlichten T-Shirts in Weiß und eine ihrer noch gewöhnlicheren Jeans angezogen hatte, schallte das Gefluche ihres Vaters weiter die Treppen hoch.

So laut, dass sie es nicht mal mit Kopfhörern ignorieren konnte. Manchmal fragte sie sich, ob die Nachbarn das auch hören würden. Doch dann fiel ihr ein, dass mittlerweile jeder Haushalt die gleiche, bedrückende Morgenroutine hatte.

Komplett unmotiviert ging sie nach unten in die Küche.

Doch was ist das eigentlich? Ihr denkt jetzt sicher, der 3. Weltkrieg ist ausgebrochen. Und na ja, Johannes Müller würde euch sicher Recht geben, aber ich kann euch beruhigen. Es herrscht kein Krieg.

„Es herrscht kein Krieg.“ Das war die stetige Antwort von Lina. Sie wiederholte es immer und immer wieder. Doch mit jedem Mal sank ihre Überzeugung zu diesen Worten.

Mindestens genauso schnell wie die Sympathie von Johannes Müller zu seiner Tochter.

„Wieso kannst du nicht einfach so sein wie dein Bruder?! Philipp ist so vorbildlich. Er hat den Ernst der Situation wenigstens verstanden. Du bist zwar erst 15, aber die zwei Jahre, die dir dein Bruder voraus sind, machen so einiges aus. Das glaub mir man! Jeden Tag steigen die Todeszahlen und du, du ignorierst das!“

Philipp war Linas perfekter Bruder. Er hatte Anstand und würde niemals seinen Eltern widersprechen.

Philipp war 17 Jahre alt und hatte einen noch dünneren Körperbau als seine jüngere Schwester.

Anders als sie trug er weder Jeans noch T-Shirts.

Er bevorzugte etwas Eleganteres, deshalb ging er jeden Tag mit Hemd und Karohose in die Schule.

Die einzige Ähnlichkeit, die man sich zwischen den beiden zusammenreimen konnte, waren Philips ebenso blonden Haare. Doch statt Schulterlänge, rasierte er sich seine Haare immer fast komplett ab. In Linas Augen war er der älteste 17-Jährige der Welt.

„Sei nicht so hart zu ihr Papa, du weißt ja, Mädchen können nicht so gut mit Zahlen.“

Philips schelmischer Blick sagte mehr als tausend Beleidigungen, die Lina sonst gewohnt war. Das einzige, was Phillip davon abhielt seine Schwester weiter runter zu machen und sich selbst in das Rampenlicht seines Vaters zu rücken, war ein lautes Dröhnen aus der Küche.

Nach circa vier Sekunden hatte es nicht aufgehört, doch dann wurde es von einem noch lauteren Geräusch übertönt.

Diesmal war Lina sich sicher, Johannes Schrei konnte man in der ganzen Nachbarschaft hören.

Gab es überhaupt etwas lauteres als das?

„Was dauert das denn so lange!!“

Das Dröhnen hörte auf und eine ältere Frau, etwa mitte 50, mit grauen Haaren, betrat den Raum.

Sie trug eine Kochschürze über ihrem weißen Sweatshirt und hatte einen Blick, als ob sie geträumt hätte, sie wäre Sklavin von einem Tyrannen.

Wie heißt es so schön? Träume werden wahr.

„Tut mir leid, mein Schatz. Ich hab noch die Post rein geholt.“ Sagte sie mit leiser, fast schon ängstlicher Stimme, als sie sich vorbeugte und ihrem Ehemann, welcher voller Konzentration die Foto-Zeitung las, Kaffee einschenkte. „Sei vorsichtig, Katrin“, fügte er in einem energischen Ton dabei hinzu. Nicht, dass seine Lieblingstasse mit dem Aufdruck Bester Vater noch bekleckert werden würde.

Sie war schließlich ein Geschenk von Philipp.

Lina versuchte die Stimmung ein wenig anzuheben und sagten mit ihrer zarten, herzhaften Stimme: „Guten Morgen, Mama.“

Doch die einzige Antwort darauf war ein Schmunzeln von Philipp. Von einer Sekunde auf die nächste bildete sich eine gläserne Schicht auf Linas Pupillen. Sie war den Tränen nah, aber solange sie nicht anfing zu weinen, musste sie keine Angst vor ihrem Vater haben. Denn Lina und Philipp wurden von ihrem Vater immer unter dem Motto „Keine Schwäche zeigen“ erzogen.

Ohne ein Wort zu sagen, hatte Philipp den wundesten Punkt in dem Herzen seiner Schwester getroffen. Es war nicht nur eines von Philipps komischen „Nih Nih“-Geräuschen, an die Lina sich schon lange gewöhnt hatte, es war ein sehr verletzendes Geräusch. Dieses Schmunzeln bedeutete: „Du nennst sie Mama? Du bist keine von uns!“ und jeder an diesem Frühstückstisch wusste das, auch wenn es keiner aussprach.

Die Wahrheit ist nämlich, dass Lina eigentlich keine Müller war.

Nachdem sie gerade mal ein Monat alt geworden war, wurde sie von Katrin Müller, der Schwester ihrer Mutter, adoptiert. Linas Vater war ein nichtsnutziger Bauer, der nach ihrer Geburt das Land verlassen hatte und ihre Mutter, genauso erfolglos wie ihr Mann und genauso gewöhnlich wie ihre Tochter, starb bei einem Autounfall.

Das war die Geschichte der Familie Charlsen.

Oder zumindest die Version, die Familie Müller ihr erzählt haben. Lina wollte das nicht glauben,

doch ihr blieb keine andere Wahl.

Nach einer einminütigen Stille unterbrach Katrin das Schweigen. „Philipp, mein Schatz, bist du soweit?

Die Schule fängt gleich an.“ Philipp lief noch schnell ins Badezimmer. Währenddessen betrachtete Lina wieder einmal ihre Halskette. Sie hatte eine Herzform und war das einzige, was ihr von ihren Eltern noch geblieben ist. Ein Foto gab es nicht. Nirgendwo waren Bilder von ihren leiblichen Eltern. Lina wusste gar nicht,

wie ihre Eltern überhaupt aussahen.

Nur einen kurzen Text auf der Rückseite des Anhängers gab es. Dort stand: Lina Charlsen bedeutet: „Die Klagende, die die Freiheit lebt.

Und auch wenn das sehr kitschig klang, liebte Lina diese paar Wörter über alles. Sie hatten eine viel größere Bedeutung, als die tausend Beleidigungen, ihres Bruders. Doch trotzdem durchlebte sie denselben Gedanken immer und immer wieder: „Klagend und Frei. Ich habe mehr als nur meinen Nachnamen verloren.“

 

Währenddessen betonte Herr Müller ein weiteres Mal seine Gutenachtgeschichte. „Wir befinden uns im Ausnahmezustand! Überall da draußen sind die Anoroc-Viren. Vergesst nicht genügend Abstand zu halten. Vor allem du, Lina, wenn du mir diese Monster ins Haus bringst, werde ich dich persönlich zu deiner Mutter bringen!!“ Er legte seine Foto-Zeitung auf den Wohnzimmertisch, stellte den Fernseher an und lauschte weiter den Nachrichten über Anoroc. Über was denn auch sonst, schließlich haben die Medien alle weiteren Geschehnisse verstummen lassen.

Während Philipp mit gegelten Haaren vom Badezimmer raus stolzierte, versuchte Lina sich in Bewegung zu setzten, obwohl sie wusste, dass ihr ein weiterer Schultag voller Mobbing erwarten würde. Sie verhielt sich zwar so normal wie möglich und versuchte nie aufzufallen oder herauszustechen, aber Philipp tat alles, was ihm möglich war, um ihr das Leben zur Hölle zu machen.

Nachdem Philipp und Lina das Haus verlassen hatten, hörten sie noch das Fluchen von Herr Müller, lautstark wie immer, aus der Stube. Aber auch aus den anderen Häusern der Nachbarschaft hörte man die Aufregung der empörten Leute. Eigentlich verstanden die Nachbarn der Momsenstraße sich nicht so gut miteinander, doch diesmal hatten sie etwas, worüber sie sich alle zusammen aufregen konnten. „Wie kann man nur so dumm sein! Das können die Politiker doch nicht ernst meinen!! Lockerungen?!

Wir brauchen strengere Maßnahmen!“

Um die Verbreitung der tödlichen Anoroc-Viren einzudämmen, gab es bestimmte Verbote.

Diese sollten in Kürze jedoch wieder gelockert werden.

Für die normalen Menschen war es nur eine Grippewelle. Doch die, die jegliche Aufregung in ihrem Leben verloren haben, sprachen von einer Katastrophe, weit schlimmer als der 2. Weltkrieg. Die Politiker wollten ihre Wähler nicht verlieren und taten das, was diese verzweifelten Menschen gefordert haben, dachte Lina voller Überzeugung.

Egal wie oft ihr Vater sie noch anschreien würde.

Lina hatte nie voller Zorn über Politiker geflucht. Dennoch machte diese Situation sie traurig.

Niemand darf sich außerhalb von Schule und Arbeit mehr mit anderen Menschen treffen, jeder muss an fast allen Orten in der Öffentlichkeit Mundschutz-Masken tragen und fast alle anderen Tätigkeiten, die sonst für glückliche Stimmung gesorgt haben, waren verboten. Es entstanden leere Straßen und stille Spielplätze. ...

Bevor Lina und Philipp ihre schlichten, weißen Mundschutz-Masken aufzogen, in den Schulbus einstiegen und sich ihre Wege zwischen Beliebt und Verachtet trennten, gab Philipp ihr noch ein paar Worte mit für den Schultag.

„Du kannst dich kleiden wie ich, du kannst so sein wollen wie ich und du kannst deine Tante „Mama“ nennen, aber merk dir eine Sache.

Du bist nicht wie wir!“

Die Klagende, die

die Freiheit lebt

Linas leiblicher Vater, Thomas Charlsen, war ein nichtsnutziger Bauer, der nach ihrer Geburt das Land verlassen hat und ihre Mutter, Amanda Charlsen war eine erfolglose und gewöhnliche Frau, die bei einem Autounfall gestorben ist.

Das war die Geschichte, die Familie Müller Lina erzählt haben. Jedes Mal wenn sie mehr hinterfragte und mehr über ihre leiblichen Eltern wissen wollte, wurde Johannes sehr zornig.

Sie sollte keine Fragen stellen. Wie ihr Bruder. Das war die oberste Regel. Ihre Eltern waren Versager und ihre Tante Katrin war so nett, ihre Nichte aufzunehmen. Punkt.

Lina konnte das einfach nicht glauben, sie wollte das einfach nicht glauben.

Doch ihr blieb nichts anderes übrig, als die traurige Geschichte einfach hinzunehmen. Denn hätte ihr Vater sie wirklich lieb gehabt, würde sie nicht bei ihrer furchtbaren Pflegefamilie aufwachsen und von ihrem Stiefbruder gehänselt werden. Oder ?

Was ist damals wirklich geschehen? ...

Es war ein kalter Frühlings Abend 2004.

Auch in Langenhorn waren die Temperaturen sehr niedrig. Manche Verschwörungstheoretiker hielten es für ein böses Omen, aber das war natürlich nur Quatsch.

Anfang Mai kamen zwei Männer in das Dorf.

Einer von ihnen war sehr merkwürdig gekleidet.

Er trug Camouflage-Kleidung mit einem Symbol auf dem Rücken, dass einem Phönix ähnelte. Um seinen Hals hing ein Fernglas. Vielleicht war er Jäger oder hatte sich einfach nur beim Campen verlaufen.

Der andere Mann fiel aber noch mehr in den Straßen von Langenhorn auf. Er hatte zwar eine gewöhnliche, Blaue Daunenjacke und eine schwarze Jeans getragen, doch das was er in seinen Händen hielt, war nicht besonders üblich.

Es war ein kleines Baby mit einer herzförmigen Halskette, die es im Schlaf ganz doll festhielt. Es war umwickelt mit einem großen, weißen Tuch und hatte eine pinke Pudelmütze auf dem Kopf.

Es herrschte Totenstille im Dorf. Alle Bewohner waren wie vom Erdboden verschluckt. Wahrscheinlich waren vielen von ihnen über das Wochenende nach Berlin gefahren wegen ...

„Keine Sorge, Sir. Es wird schon wieder alles gut werden.“ sagte der Mann, der einem Wildhüter ähnelte. „Gestern war zwar eine Schande für die Deutsche Geschichte, aber wir geben nicht so schnell auf. Nicht solange die Glut noch leuchte“, sprach er dem anderen Mann hoffnungsvoll zu.

„Danke, Mike, aber ich glaube nicht, dass es noch Hoffnung gibt. Alles was ich jetzt noch will, ist, dass es ihr gut geht. Ich kann nicht noch jemanden verlieren“, sprach der Mann, während er sehr traurig das Baby in seinem Arm anschaute.

Die Männer verließen den herrlich, grünen Park, den sie nach einem Viertel voller großer Häuser erreichten, und warfen noch einen Blick zurück. „Sehen sie, Sir, an so einem schönen Ort wird sie bestimmt glücklich sein.

„Wir kennen uns nun schon sehr lange, Mike.

Du musst mich nicht mehr Sir nennen.“ sagte der besorgte Mann.

„Ja, natürlich Thomas. Ich bin das von der Arbeit einfach gewohnt.“

Nach ein paar hundert Metern erreichten sie eine hell leuchtende Straße. Auf einem herkömmlichen Straßenschild stand: „Herzog-Andre-Straße“.

Überall waren dort Laternen am Rande des Bürgersteigs. Egal wo man hinblickte, es war ein Geschäft zu sehen. Ein Fitnessstudio, eine Tankstelle ein kleines Bistro, ... Sie durchquerten die lebhafte Straße langsam. Am Ende der Straße stand ein Getränkeautomat. Jeder Laden war geschlossen. Vermutlich waren die Ladenbesitzer auch alle wegen ... nach Berlin gefahren.

Überall hingen auf den Fassaden selbstgemachte Poster mit einem Phönix-Logo drauf.

„Die Flamme lodert!“ „Wir werden sie einäschern!“ „Bald erzählen wir uns Lagerfeuer-Geschichten.“

Egal wo man hinsah, an jeder erdenklichen Stelle hingen diese Poster.

Die beiden Männer wurden noch trauriger als vorher.

Sie kamen an einer Pizzeria vorbei. Auf dem Dach war ein rot-leuchtendes Schild: „Hast du Hunger? Dann bist du hier bei der richtigen Nummer!“

Doch auch dieses Geschäft hatte geschlossen.

„Wir müssen uns beeilen. Sie friert langsam.“

Die Nacht war sehr Kühl und so dunkel, dass man tausende von Sternen am Himmel sehen konnte. Auch schwarze Katzen sammelten sich unter dem Licht des Vollmondes. Ein weiteres schlechtes Omen für die Verschwörungstheoretiker. Nun erreichten die Männer ein Viertel, dass deutlich ärmer aussah, als das vor dem schönen Park. Hier war eine ganz andere Stimmung. Das einzige, was wirklich Licht spendete, war der klare Nachthimmel. Nirgendwo hingen Poster, obwohl sie sich in der Herzog-Andre-Straße nur so gehäuft haben. „Das ist sie, die Momsenstraße.“ sagte Thomas. „Hier leben sie also, die Müllers.“ „Ja, Hausnummer 4.“.

Die beiden Männer standen vor einem weißen Haus mit einem roten Ziegelsteindach. Durch das Fenster sah man einen Mann mit einem aufgeblähten Bierbauch in einem befleckten Tanktop auf dem Sofa schlafen. In seiner Hand hielt er eine leere Bierflasche.

Mike legte seine Hand auf die Schulter seines Freundes. „Es ist soweit“, sagte er.

„Ich ... ich ... kann das ... kann das einfach nicht.“ stotterte der Mann mit dem Baby auf dem Arm vor sich hin. „Sie hat etwas besseres verdient als das!“ fügte er weinerlich hinzu.

„Aber ich weiß ja, dass es sein muss. Wenn ihr etwas passiert, würde ich mir das nie verzeihen.

Ich habe schon genug angerichtet.“ ...

„Geben sie sich nicht die Schuld, für das was passiert ist. Keiner von uns hätte das kommen sehen können.“ unterbrach Mike seinen ehemaligen „Sir“.

Thomas sprach eine paar Worte zu dem Baby,

so als würde es jedes verstehen.

Lina, das tut mir so leid, aber es muss sein. Nur hier weiß ich, dass er dich nicht findet. Vergiss niemals, du wirst für Mama und mich immer

Die Klagende, die die Freiheit lebt bleiben.

Wir sind immer hier drinnen.“ sagte er zu seiner Tochter, während er ihre Hand an sein Herz drückte.“ Er legte das Baby vor die Haustür.

Die Tränen aus seinen Augen liefen ihm langsam die Wange herunter.

„Ich werde auf sie aufpassen. Das verspreche ich ihnen.“ sagte Mike.

Nach dem Abschied verschwand Thomas und wurde nicht mehr gesehen.

Keiner weiß, was mit ihm passiert ist.

Und auch von Mike war keine Spur.

An einem dunklen Abend 2004 begann die Geschichte von Lina Charlsen.

Erstbeste Freundinnen

Im Zentrum von Langenhorn war sie, die Langenhorner-Gesamtschule. Ein großes Gebäude mit vielen Räumen. Aber ein zweites Stockwerk, gab es nicht. Dafür aber sehr viele rechteckige Fenster. Neben dem Schulgebäude stand eine ganz kleine Sporthalle, in der gerade mal so eine Klasse reinpasste. Es gab nur einen Umkleideraum, weshalb man Jungs und Mädchen immer in zwei Gruppen einteilen musste. Neben ganz vielen Klassenzimmern gab es auch noch einen Computerraum, indem die Hälfte der PCs nicht mehr richtig funktionierten.

Und für Mädchen und Jungs jeweils einen ekelerregenden Toilettenraum. Die Putzfrauen mussten sich mit den Lehrerkräften ein Zimmer teilen. Das Theater war der größte Stolz der Schule.

Die Langenhorner-Gesamtschule, ein Ort, an dem sich alle möglichen Arten von Menschen tummelten. Die Sportler, die jeden zweiten Tag ins Fitnessstudio gingen, um nächstes Mal gegen die Bredstedter-Gesamtschule im jährlichen Basketball-Turnier zu gewinnen. Daneben gab es auch die Künstler. Entweder haben sie das Theaterstück aufgeführt, eine neue Schulhymne komponiert oder Bilder für die Pausenhalle gemalt.

Alles außer Bücher schreiben, ich meine,

wer macht den auch schon so was?

Neben ihnen gab es dann aber auch noch die Mobber. Das waren die, mit denen man sich besser nicht anlegen sollte. Es sei denn, man ist scharf darauf einen Orsi-Kakao zu trinken.

Orsi war die Spezialität der Langenhorner-Gesamtschule.

Ein Kakao, der nicht nach Kakao schmeckte.

In der Cafeteria zahlte man 20 Cent für einen Liter. Es gab auch das Gerücht, dass man Orsi ohne Milch zubereitet. Stattdessen mischte man das längst abgelaufene Kakaopulver mit dem Wasser, das die Putzfrauen nach ihrer Reinigung vom Vortag noch übrig hatten. Doch das waren natürlich nur Gerüchte.

Klingt nach einem aufregenden Montag, oder?

Wie auch sonst jeden anderen Tag waren alle Schüler und Schülerinnen in der Mittagspause damit beschäftigt ihre Socialmedia-Startseite zu aktualisieren, vom Lehrer ermahnt zu werden oder mit ihren Freunden in der Cafeteria einen Orsi zu trinken. Ein ganz normaler Tag in der Schule, dachte Lina sich, als sie durch die dreckigen Flure lief.

Und wie auch sonst jeden anderen Tag, konnte Philipp es nicht lassen, ihrer Schwester auf die Nerven zu gehen. Durch seine stetigen Bemerkungen war die Pause meist schlimmer als der Unterricht selbst. Es gab keinen Ort auf dem ganzen Gelände, an dem sie Ruhe von ihm hatte. Damals in der Grundschule konnte sie wenigstens noch zwischen den Gebüschen Zuflucht suchen. Doch jetzt war sie seinem Gelaber schutzlos ausgeliefert.

Sie ging weiter durch die Flure, vorbei an den mit erotischen Stickern beklebten Spinden. Eigentlich war Lina doch ziemlich besonders, denn während andere Mädchen in ihrem Alter durch die ganze Schule liefen, um ihren Traumprinzen zu sehen,

 

lief sie durch die ganze Schule um den Troll, der den Prinzessinnen Turm bewachte, zu entkommen.

Auch wenn Lina eine sehr dünne Statur hatte und nichts mit irgendwelchen Kampfsportarten anfangen konnte, war sie sich sicher, dass sie so einen dürren Typen wie Philipp jederzeit hätte um pusten können. Doch sie wollte nicht auf ihn losgehen. Erstens war sie für so einen Schabernack zu alt geworden und zweitens hatte sie das schon mal vor ein paar Jahren gemacht. Philipp hatte Lina provoziert, da hat sie zu gehauen. Er sagte ihr, dass ihr Vater nur abgehauen ist, weil er nicht so ein Mädchen wie Lina großziehen wollte.

Das mit dem leichten Umpusten galt aber nicht für seine Freunde Janko und Helge. Die waren zwar strohdumm, hatten aber einen sehr großen und massiven Körperbau.

Helge hatte lange, fettige Haare und auch wenn sie so selten wie möglich selber den Mund aufmachten, wusste jeder von der 5. Klasse bis zu den Abschlussjahrgängen, dass die beiden Elftklässler komplett vergilbte Zähne hatten.

Und Linas Glück entsprechend, folgten die beiden Übelriechenden Philipp natürlich auf Schritt und Tritt überall hin. Manchmal hätte sie ihr, wenn auch nicht sehr liebevoll geschmiertes, Pausenbrot mit Erdbeermarmelade und Honig darauf verwettet, dass Janko und Helge ihn sogar den Hintern nach dem Toilettengang abputzen würden.

Aber hatten Janko und Helge wirklich so wenig Stolz?

Philipp und seine Truppe von Idioten folgten ihr immer noch langsam hinterher. Da es aber in dem Gang, der zur Schulbücherei führt, noch mehr nach altem Fisch roch, als in Helges Gegenwart, mied Lina diesen Fluchtweg. Nachdem sie den Klassenraum der 11f, Philipps Klasse, hinter sich gelassen hatte, geriet sie in eine Sackgasse. Bevor sie umkehren konnte blockierten seine Bodyguards ihr den Weg.

Da stand er nun. Ohne seine Freunde nicht mal halb so stark, aber mit ihnen eine richtige Bedrohung für Linas Haarpracht. Diesmal wollte Philipp sich nämlich für Linas unverschämtes Verhalten am Frühstückstisch revanchieren.

Er hielt eine scharfe Schere in seiner linken Hand und war entschlossen, seiner Stiefschwester eine Glatze zu schneiden. Lina hatte Angst davor.

Sie wollte nicht so aussehen wie Janko. Sie hatte zwar grüne Augen und keine blauen, und auch zum Glück keinen schmalen Oberlippenbart, aber auch auf Jankos Frisur konnte sie trotzdem sehr gut verzichten. Sie liebte ihre langen Haare.

„So Schwesterherz, wenn du nicht zappelst,

tut es weniger weh.“

Lina hatte große Angst und sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich zu wehren. Am Ende würde sie nur wieder wochenlang Hausarrest bekommen, weil Philipp erzählen würde, dass Lina handgreiflich geworden ist und den armen Philipp ohne Grund geschlagen hat. Und auch wenn sie das nur zu gerne getan hätte, wehrte sie sich diesmal nicht.

Wegen seinen Bodyguards blieb ihr aber auch nicht viel mehr übrig.

„Hey Lasst das“, rief sie. „Oh nein, dir muss jemand mal wieder Benehmen beibringen“, sagte er in einem, für seine sonst so hohe Stimme, einschüchternden Ton.

Sie war wie starr vor Angst und schloss ihre waldgrünen Augen.

Kurz bevor Philipp den ersten Schnitt tat, hörte Lina jedoch einen Schrei, ähnlich laut wie den von Herr Müller, jedoch viel heller und piepsiger. Es war eher ein Kreischen. Dann öffnete sie die Augen und ihre nicht-abgeschnittenen Harre bedeckten ihre Sicht. Sie war beruhigt, aber auch verwundert.

Nachdem sie ihren Pony aus dem Gesicht kehrte, sah sie ein komplett schwarzgekleidetes Mädchen in ihrem Alter. Sie trug einen schwarzen Rock und eine Lederjacke. Darunter ein schwarzes T-Shirt mit großem Ausschnitt. Ihre Haare waren kurz und mindestens genauso schwarz wie der dunkelste Mond, den Lina je gesehen hatte. Und auch wenn sie dieses Mädchen noch nie gesehen hatte, bemerkte sie sofort eine Gemeinsamkeit. Sie trug nämlich ebenfalls eine Halskette. Doch statt eines Herzen, hing ein Totenkopf an ihrem Hals herunter.

Und ihrem Blick nach zu urteilen, sollte man sie besser nicht erwischen, wenn sie mit dem falschen Fuß aufgestanden war.

Das unerträgliche Kreischen kam aber natürlich nicht von ihr, sondern von Philipp, welcher einen ordentlichen Hieb in seinen Bauch einstecken musste. Daraufhin schrien Helge und Janko in ihrem plattdeutschen Dialekt fast synchron auf.

Man könnte meinen, „zwei Doofe, ein Gedanke“ ist ihr Lebensmotto.

„Sin' bei dör de Swine los, oer wat?!“

Kurz daraufhin trat die Unbekannte mit ihren violetten, ja, nicht schwarzen, Stiefeln auf die Füße von Phillips Handlangern.

Sie schnappten sich ihren jaulenden Anführer und rannten trotz ihres hohen Gewichts schnell davon.

Nachdem die Truppe von der Langenhorner-Gesamtschule in die Flucht geschlagen wurde, hätte man meinen können, es wurde ein neuer Rekord für den 100-Meter-Sprint aufgestellt worden.

Die Unbekannte hatte nach Jahren endlich den Spieß für Lina umgedreht.

„Gott, wie soll man solche Idioten nur aushalten“, sagte die mutige Retterin in einem bekümmerten Ton. Lina nickte zustimmend, aber auch leicht verwundert.

„Hi, mein Name ist Maria Meyer. Ich bin neu hier und hab dich weglaufen 'sehen, da dachte ich, vielleicht brauchst du Hilfe.“

Jemand hat Lina geholfen.

Hilfe. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste Lina gar nicht, dass es so etwas auch abseits von ihren Büchern gab.

„Vielen dank. Ich bin Li ...“

„Lina. Ich weiß“ Ich bin zwar neu hier, aber dein Namen kennt hier jeder. Außerdem gehen wir in dieselbe Klasse. 9a, richtig? Ich dachte, du wärst 'ne kleine Berühmtheit. Promiflash für Teenies oder so. Du weißt schon. Aber jetzt denk´ ich, dass das wohl etwas anders ist.“

Lina gab eine humorvolle Antwort, mit einem leichten Kichern. „Naja, es stimmt was man sagt. Berühmt zu sein nervt wirklich.“ Lina konnte sich nicht erinnern wann sie das letzte mal eine Antwort gegeben hatte, über die sie nicht zuvor mehrfach nachdachte.

„Ähm, das kommt jetzt 'n Bisschen plötzlich, aber wie es aussieht könntest du eine gute Freundin gebrauchen. Und naja, da bist du nicht die einzige. Also ... wie wär's wenn du und ich ab sofort zusammen halten?“, fragte Maria.

Lina war komplett überrascht. Sie war doch nur das einfache, gewöhnliche Mädchen, für das sich sonst niemand interessierte. Und jetzt hatte sie auf einmal ihre erste Freundschaftsanfrage erhalten.

Lina war außer sich vor Freude, doch dann überkamen sie wieder Selbstzweifel.

„Nun, du kennst mich nicht so gut, aber ich glaube nicht, dass du mit so jemanden wie mir befreundet sein möchtest. Ich bin wirklich super langweilig.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?