Der Imveni

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Der Imveni
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Für Andre,

der den Orden gründete,

Christel und Friedrich M.,

die den Räuber fuhren,

Michael M.,

der Zauber lehrte

Und Martina Hillmann-Schaer,

die sich ans Lagerfeuer setzte.

– Die Paten der Seele

Der Autor

Fabian „Funeto“ Mers ist ein einfacher Junge aus einem kleinen Dorf. Neben seiner Freude am

Bücherschreiben ist er damit beschäftigt, Videospiele zu spielen, Zeit mit seinen Liebsten zu verbringen oder Unmengen an Kakao zu trinken. Manchmal ist er auch bekannt als: „Herr der Katzen“.


Das Vermächtnis der Götter


F. Funeto M.

oplkjh ztrwqd

Kapitel

Kapitel eins

Ein Mann erzählt S. 6

Kapitel zwei

Der Geschichte Anfang S. 15

Kapitel drei

Der Rasende Räuber S. 28

Kapitel vier

Legendäre Legende S. 43

Kapitel fünf

Ruf aus dem Walde S. 53

Kapitel sechs

Vorahnungen S. 62

Kapitel sieben

Der Spiegel Karmora S. 73

Kapitel acht

Auf dem Plateau S. 81

Kapitel neun

Zwiespalt S. 94

Kapitel zehn

Vorgeschichte S. 103

Kapitel elf

Die Dunkelheit erhebt sich S. 116

Kapitel zwölf

Ehrwalds Erbe S. 131

Kapitel dreizehn

Der Luminos S. 146

Kapitel vierzehn

Die Unberührte Kammer S. 154

Kapitel fünfzehn

Geheimnisse von Timoren S. 166

Kapitel sechzehn

Alte Bekannte S. 183

Kapitel siebzehn

Roter Blitz S. 201

Kapitel achtzehn

Vor Mutters Grab S. 213

Kapitel neunzehn

in memoriam S. 227

Kapitel zwanzig

Prophezeiung S. 236

Kapitel einundzwanzig

Ein Mann erzählt weiter S. 227

Ein Mann erzaehlt

Glaubst du an Magie?

Ein weiser Mann sagte mal: „Magie kann alles sein. Leckere Kekse oder Lehrer, die keine Hausaufgaben aufgeben. Um sie zu finden, müssen wir nur an den richtigen Orten suchen. Und es gibt keinen Ort, der magischer ist als ein gutes Buch.“

Eben dieser Mann stand an einem kalten Winterabend vor einem alten Holzschild mit der Aufschrift:

Aurorental

Fleckchen der Ruhe

An dem bemoosten Brett vorbei schlenderte der Mann durch das Tal, so, als würde er genau wissen, wo er hingehen wollte, obwohl die Dunkelheit den Wegpfad verschlang - wie ein leckeres Getränk aus Drachensabber und Pilztropfen.

Auf Schritt und Tritt, fast schon bedrängend, folgte ihm eine anhängliche weiße Katze mit grünen Augen und einem schwarzen Spitzhut auf dem Kopf. Komischerweise hinterließen die Pfoten des Katers keine Spuren im Schnee ...

„An diesem Ort hängen so viele Erinnerungen, Fridolin“, sagte der alte Mann, der einen langen blonden Bart und borstige, ebenso blonde Haare hatte, zu seinem Kater in einem verträumten Ton. „Wir waren schon viel zu lange nicht mehr hier ... Komm, ich wette, es warten schon viele Leute.“

Es herrschte eine friedliche Ruhe, als der Mann und sein tierischer Begleiter das Aurorental betraten und die verschiedensten Fabelwesen erblickten.

An einem Lagerfeuer inmitten eines gespenstischen Waldes trafen sie sich. Sie alle sammelten sich um die Wärme spendende Feuerstelle in der Mitte der Lichtung. Über dem Feuer flogen viele Glühwürmchen mit großen Augen und noch größeren Zähnen. Ihre Augen leuchteten fast so hell wie die Flammen des Lagerfeuers und ihre Hauer sahen beinahe so aus, als könnten sie selbst Edelsteine zermalmen.

Die Waldbewohner und viele Reisende bildeten einen großen Kreis zwischen den dichten, von Schnee bedeckten Bäumen. An den Ästen des komisch aussehenden Holzgewächses hingen weiße Eulen kopfüber herunter. Zwischen den großen, duftenden Pilzen schliefen gelbe Mäuse und schnarchten vor sich hin.

Es waren alle vorstellbaren Geschöpfe anwesend.

Und auch ein Teil der verschiedensten Völker von Arivia fand am Lagerfeuer friedliche Zusammenkunft.

Beharrte Trolle mit einer mächtigen Keule in der Hand und einem breiten Grinsen auf den Lippen wärmten sich an dem Feuer.

Klitzekleine Feen mit funkelnden Flügeln sangen ihre fröhlichen Lieder im Chor.

Die bunten Kobolde legten ausnahmsweise ihre Schätze vom Ende des Regenbogens beiseite.

Vor den Füßen mancher Menschen lagen Wölfe, die sich über das kühle Wetter beschwerten.

„Bald sollte er sich aber auch mal blicken lassen“, grunzte einer der Trolle.

Acht Zwerge aßen alle jeweils einen roten Apfel, als der Mann mit dem Kater die Lichtung betrat und ruhig Platz nahm.

Er setzte sich auf einen der vier dünnen Baumstämme in der Mitte des Kreises, direkt neben dem Lagerfeuer. Fridolin, der Kater, tapste weiterhin auf allen Vieren hinterher. Niemand wunderte sich, dass die Samtpfoten von Fridolin keine Abdrücke im Pulverschnee machten.

Der Mann trug einen dicken, sonderbaren Mantel und sein zerzauster Bart hing ihm bis zur Hüfte hinunter.

Menschen mit langen, spitzen Ohren fragten die Kobolde, welche Magie der alte Mann verwendete. Weshalb war sein Gewand so auffällig?

„Sein Mantel ist verzaubert. Das Ding ändert immer die Farbe, je nach Laune. Is' normal“, belehrte der Troll den Reisenden.

Diesmal war der Mantel des alten Mannes in ein dunkles Blau gefärbt, das Ruhe ausstrahlte.

„Und wer ist das?“, wollte der Mensch wissen.

„Du kennst ihn nicht!?“, wunderte sich einer der acht Zwerge.

Jeder hat doch schon mal 'was von Funeto, dem Herumtreiber, gehört. Seine Geschichten sind in ganz Arivia bekannt. Manche meinen, seine Legenden werden sogar im Reich der Lüfte weitererzählt.“

Die Augen des Zwerges funkelten über dem Zottelbart. Er schwärmte förmlich von dem Mann, der als Herumtreiber bezeichnet wurde.

Dabei sah er lediglich wie ein alter Zaubertrank-Händler aus.

„Funeto, habt ihr wieder eine Geschichte für uns?“

„Bitte erzählen Sie uns etwas.“

„Ich kann es kaum erwarten.“

Die Feen beendeten ihr Wettfliegen mit den Glühwürmchen und landeten sanft im Rasen.

Die Flügel hielten still und die Lauscher waren gespitzt.

Auch die sonst so desinteressierten Trolle schenkten Funeto ihr volles Gehör.

„Ich habe von Ihrer Geschichte aus den Gipfeln von Jotur gehört. Stimmt es, was man sagt? Sind die Petramier wirklich so große Kämpfer?“

Jedes der Fabelwesen zog die Ohren so lang es ging und war sehr gespannt auf die Geschichten von Funeto.

Eine Frau, die noch nie an den Lagerfeuer-Geschichtsstunden teilgenommen hatte, war erstaunt über die große Aufmerksamkeit, die dem Herumtreiber galt.

„Sind die wirklich passiert? Oder alles nur Ammenmärchen?“, flüsterte sie neugierig einem Zwerg zu, der gerade seinen Apfel verspeist hatte.

Aber so leise, dass das niemand hörte und keine Empörung entstand.

Der Zwerg musste aufstoßen und flüsterte noch leiser: „Das weiß keiner. Aber es steht fest, dass es gute Geschichten sind.“ Er antwortete halb abwesend mit dem Fokus auf Funeto.

Der Herumtreiber nahm Fridolin auf den Arm und setzte ihn auf seinen Schoß. Dann erfüllte er die Neugier der Zuhörer und fing an zu reden.

„Ist heute nicht eine wunderschöne Nacht?“

Funeto fing in einem gelassenen Ton an zu sprechen. Alle lauschten ihm gespannt.

„Der Himmel ist klar und die Sternbilder sind ein gutes Omen. Einfach herrlich. Wisst ihr, egal ob Centraja oder Delgard; egal ob wir westlich oder östlich von Urbs in den Himmel blicken, wir sehen den gleichen Himmel“, fuhr er verträumt fort.

„Jaja, Sie haben Recht, aber wie sieht es jetzt mit den Abenteuern aus? Deswegen sind wir schließlich hier.“ Einer der Trolle war sehr ungeduldig.

„Keine Aufruhr, mein Freund. Ich genieße nur diesen Augenblick der Ruhe“, antwortete der Herumtreiber.

„Aber du hast natürlich Recht. Ich möchte euch alle nicht weiter warten lassen.“

Stunden vergingen und Funeto erzählte beeindruckende Geschichten.

Eine Geschichte handelte von einer geheimen Zauberwelt am Rande von Arivia. In dieser Welt sollte es unfassbare Dinge geben wie kleine Platten, die Licht erzeugen konnten oder anfingen zu sprechen, wenn man ihnen eine Frage stellte.

Eine andere Überlieferung besagte, dass das Wolkenreich viel ärmer sein sollte, als es alle dachten. Und der König Großwur wäre nur ein kleiner, verzogener Junge.

 

Die Sage, die die meiste Erschrockenheit und Aufregung erzeugte, handelte von einem jungen Mädchen, das gegen die Regierung rebellierte ...

Die Zeit verging und zwei der drei Monde leuchteten immer heller am Himmel. Alle waren gefesselt von den Überlieferungen. Bis auf Fridolin.

Er war inzwischen auf dem Schoß seines Herrchens eingeschlafen und schnurrte vor sich hin.

Sein Spitzhut wäre ihm fast vom Kopf gerutscht.

Als der Herumtreiber gerade dabei war, von dem Volk der Petramier zu erzählen, das das mit Abstand kleinste Volk Arivias war, kam ein weiterer Mann in die Nähe der hellen Flamme.

Es war eine finstere Kapuzengestalt, die die Lichtung betrat.

Mit einem schwarzen, kaputten Umhang und tiefen Narben unter der Haube setzte sich der Mann zu den anderen Wesen im Kreis.

„Wieso erzählen Sie ihnen nicht die eine Geschichte?“, fragte er in, im Gegensatz zu seinem Auftreten, gewöhnlichem Ton.

„Sie wissen schon, die, die bisher noch nie jemand gehört hat“, fuhr der finstere Mann fort.

„Von welcher Geschichte ist die Rede?“, fragte einer der Zwerge.

Die Kapuzengestalt fing an lauter zu sprechen und ihre Worte durch die Lichtung hallen zu lassen.

„Ihr wisst alle, dass Funeto durch ganz Arivia streift und seine Geschichten verbreitet. Doch es gibt eine Geschichte; eine Geschichte, die er noch nie jemandem erzählt hat.“

Aus der Ruhe wurde große Aufruhr.

„Stimmt das, was dieser Mann behauptet, Funeto?“

„Ist das wirklich wahr?“

„Eine unbekannte Geschichte? Wie aufregend!“

Niemand fragte sich, woher der vernarbte Mann das überhaupt glaubte zu wissen.

Die Kapuzengestalt warf Funeto ein breites Grinsen zu. Der Herumtreiber wollte ihm gar nicht in die Augen sehen. Sein Blick war auf die lodernde Flamme gerichtet.

Ein paar Zwerge und Feen tuschelten noch.

„Eine Geschichte, die niemand kennt. Oooohhh.“

Nachdem sich die Lage etwas beruhigt hatte, gab Funeto seine Antwort zu den Behauptungen des vernarbten Mannes ab. Es war eine ehrliche Antwort.

„Es ist wahr. Es gibt wirklich eine Geschichte, über die ich bisher nie ein Wort verloren habe. Und das auch aus gutem Grund.“ Bei diesen Worten blickte er leicht verärgert auf die Kapuzengestalt.

„Diese Legende soll genau das bleiben. Eine Legende.“

„Bitte, Funeto, seid so gütig und erzählt sie uns.“

„Wir wollen sie wirklich gerne wissen!“

„Oh, wie aufregend!“

Hätten die Menschen, Tiere, Trolle, Feen und alle anderen auf einem Stuhl gesessen, wären sie jetzt buchstäblich vom Hocker gefallen.

Nach einer kurzen Stille gab Funeto nach.

„Na gut“, stöhnte er widerwillig.

„Aber ich warne euch. Diese Legende könnte euren Blick auf viele Dinge verändern.

Doch wenn es euer sehnlichster Wunsch ist,

dann sollt ihr sie hören.“

Funeto nahm Fridolin auf den Arm und legte ihn neben die Wölfe. Dann schaute er betrübt auf die Flamme.

„Verzeih mir, Vater!“, flüsterte Funeto vor sich her.

Er wandte sich seinem hochgespannten Publikum zu und warf der Kapuzengestalt, die schelmisch grinste, einen nicht sonderlich wohlwollenden Blick zu. Die Ohren der Zuhörer, vor allem die sehr langen der Kobolde, waren bis zum Maximum gespitzt.

Nun fing Funeto an, die einzige seiner endlosen Geschichten zu erzählen, die er vorher nie preisgegeben hatte. Man hätte meinen können, das Lagerfeuer wäre erloschen, so still war es in der Lichtung im Aurorental.

Er erzählte die Erzählung, die nie erzählt werden sollte.

Eines stand für ihn fest, als er den ersten Satz startete. Zauberei und Hexerei war in Arivia nichts Besonderes, doch diese Art von übernatürlichen Kräften würde seine Zuhörer überraschen.

Es stand fest, nach diesem Märchen würden alle an Magie glauben.

„Es waren einmal zwei Brüder …“

Der Geschichte Anfang

Ruhe und Frieden umgaben den Ort, in dem die Erzählung, die nie erzählt werden sollte, begann.

Ein Tal mit Wäldern, Wiesen, Seen und Flüssen.

Das Aurorental.

Belebt von friedlichen Tieren und Fabelwesen, die alle ihrem natürlichen, unbeschwerlichen Alltag nachgingen. Doch nicht nur Zwerge, Trolle, Feen und Kobolde sammelten Pilze, sondern auch die Menschen schwelgten gemütlich zwischen den Sonnenscheinen.

Im Herzen des Tales stand eine Holzhütte, die Teil des Stammes eines großen Baumes war. An den Ästen des Baumes, der durch das Dach der Hütte ragte, schliefen viele Eulen in ihren Nestern. In ihren Nestern ...

Der Eulenstamm - dies war der Ort, an dem die Geschichte ihren Anfang nahm.

Inmitten eines Waldes stand die Hütte. In ihr hauste ein älterer Mann mit seinen zwei Söhnen.

Der erstgeborene Sohn hieß Julianus Cattus und war neunzehn Jahre alt.

Der jüngere trug den Namen Lloyd Cattus und lebte seit sechzehn Jahren in Arivia.

Es war ein sonniger Frühlingstag,

als die Post kam.

Die Lieferungen und die Tageszeitung (Arivia Aktuell) wurden jeden Morgen von der Haustaube Siegfried geliefert. Siegfried war eine kleine Taube mit grauem Gefieder. Doch man sollte sich nicht von seiner Größe täuschen lassen, denn er konnte auch sehr große Lasten heben. An seinen sehr kurzen, gelben Zahnstocherbeinen wurden Pakete befestigt, mit seinem ebenfalls gelben Schnabel hielt er die Zeitung. Jede Nacht flog Siegfried genauso wie die anderen Haustauben los, um die Post von Urbs, der Hauptstadt Arivias, zu holen. Dank seiner goldenen Adleraugen konnte er mit Leichtigkeit durch die Mitternachtsstunden gleiten. An dem roten Blitz, der auf seinen rechten Flügel gemalt wurde, konnte man ihn von den anderen Haustauben unterscheiden.

Der jüngere Bruder lief durch den Vorraum der Hütte, in dem lauter verschiedenfarbiger Wollsocken am Boden verteilt waren. Durch ein Fenster in der Wand schien die Sonne herein und auf der Fensterbank landete der stolze Vogel.

„Guten Morgen, Siegfried“, begrüßte ihn Lloyd.

Die fröhliche Haustaube mit einem blau-weißen Schal um den Hals, damit ihr nachts nicht kalt wurde, gab Lloyd ein Paket und die Arivia Aktuell in die Hand. Lloyd war ein schlanker Junge mit Sommersprossen und borstigen blonden Haaren.

„Na, du hast doch bestimmt wieder Hunger, oder?“, fragte Lloyd Siegfried, so, als würde der fleißige Paketbote jedes Wort verstehen.

Lloyd füllte den Futternapf mit einem übelriechenden Blätter-Gemisch, über das sich Siegfried nur so hermachte. Lloyd lief weiter in die Stube der Hütte.

„Vater, Ihr habt ein Paket bekommen.“

Der alte Herr saß auf einem Schaukelstuhl neben einem Tisch aus Holz. Anders als seine Söhne trug er kein dunkles Gewand, sondern einen extravaganten weißen Mantel, der ihm bis zu den Fußknöcheln ging. Komischerweise hatte er keine Schuhe an, sondern nur Stricksocken.

Er hatte schulterlange rote Haare und einen ebenso langen, zerzausten silbernen Bart.

Über seiner Hakennase schimmerte das Licht seiner violetten Augen.

Ein Gehstock aus Pegasusfedern half dem sehr, sehr alten Mann beim Stehen.

Man konnte es kaum erklären, aber er strahlte eine unfassbare Aura der Ruhe aus.

Lloyd gab seinem Vater das Paket und legte die Arivia Aktuell auf den Holztisch.

„Danke, Lloyd“, sagte der Vater.

Auf dem Paket war die Adresse des Mannes eingestempelt.

Verecundo, DER Wizardo

Eulenstamm

(Kleine Hütte in diesem einen Wald)

Aurorental

„Diese flatternden Botschaften sind echt schneller als der Wind.

Ich habe die Bestellung bei Magia Mangone erst gestern Abend aufgegeben und schon ist sie da“, freute sich der alte Mann, Verecundo.

Der ältere Sohn, genauso wie Lloyd in einem schwarzmatten Gewand, aber mit schwarzen seidenen Haaren statt blonden borstigen, öffnete die Tür und kam in den Eulenstamm.

„Was habt Ihr bestellt, Vater?“, fragte Julianus neugierig.

„Ich brauchte neue Gefäße für meinen Zaubertrank.

Das wird der beste, den ich je gebraut habe“, antwortete Verecundo, während er mit seinen schrumpligen Fingern das Paket aufriss.

„Ich nenne ihn SoHeiDa. Mit diesem Zaubertrank wird man unschlagbar in Kreuzworträtseln. Dann weiß ich endlich, welches Wort mit „V“ anfängt und „S“ aufhört. Soll ein anderer Begriff für „Erbe“ sein“, sagte er heiter, als er die neue Kanüle in der Hand hielt.

„Ihr solltet lieber mal 'nen Zaubertrank brauen, der uns verrät, woher Lloyd dieses eigenartige Tatoo hat“, sagte Julianus in einem anmaßenden Ton.

Lloyd hatte ein sehr sonderbares Symbol, das wie ein Tornado aussah, auf seinem rechten Handgelenk. Leider wusste niemand, wo es herkam. Wie ein außergewöhnliches Muttermal ...

Bis auf ein schlichtes Stirnrunzeln keine Reaktion.

Julianus zeigte seinem jüngeren Bruder, welche Pilze und Früchte er im Wald gefunden hatte, während Lloyd Siegfried fütterte.

„Die roten mit den weißen Punkten sättigen einen für mehrere Tage. Die weißen mit den gelben Streifen zwingen einen den ganzen Tag zu lachen.“

Im Buch des Vaters (Außergewöhnliche Arten Arivias) standen die Namen und die Wirkung aller erdenklichen Pilze. Julianus teilte sein Wissen, während Lloyd ihm gespannt zuhörte.

Doch Pilze waren nicht das Einzige, worüber die Brüder sich unterhielten. Lloyd wollte wissen, was es mit Julianus‘ tiefen Augenringen auf sich hatte ...

„Ja, schon wieder der gleiche Traum“, sagte Julianus.

„Wieder genau der gleiche!?“, wunderte sich Lloyd.

„Ja, laute Schreie, komisches Gelächter, dasselbe wie immer.“

„Du solltest das lieber mal Vater erzählen“, schlug Lloyd besorgt vor.

„Ach, das ist nur Zufall. Ich habe einfach zu viele Horrorromane gelesen, mehr nicht ...“

Das Gespräch über Julianus‘ Alptraum endete.

Zeit verging, als Verecundo ins Hinterzimmer verschwand, um zu experimentieren.

Ein wenig aufgewühlt, aber dennoch nicht aus der Ruhe gebracht, stürmte Verecundo nach einer Weile aus dem Raum.

„Ich muss nochmal raus. Elfenwurz fehlt noch für den Trank“, unterbrach er die Lehrstunde.

„Aber Vater, Ihr wisst doch, es wird schnell dunkel auf dieser Seite des dritten Mondes“, sagte Julianus.

„Deswegen beeile ich mich“, antwortete er gelassen.

„Wenn ich mich recht erinnere, wächst Elfenwurz gleich in der Nähe des Flussufers.“

Verecundo zog über seine Stricksocken ein weiteres Paar Stricksocken und machte sich auf den Weg, um die letzte Zutat für seinen Zaubertrank zu suchen.

Julianus und Lloyd bewachten derzeit die Hütte.

Während Siegfried in seinem Käfig eingeschlafen war und Lloyd weitere Blicke in Außergewöhnliche Arten Arivias warf, setzte Julianus sich auf den Schaukelstuhl und las die Titelseite der Arivia Aktuell.

Arivia Aktuell

Ausgabe vom 19.2.2341

Eigenartiges Verhalten

Man sagt, Tiere spüren es, wenn Gefahr lauert.

Animalogen aus den Gebieten von Centraja haben bemerkt, dass die Tiere in den Wäldern und Tälern eigenartige Verhaltensweisen angenommen haben. So haben die Werwölfe, die sonst immer (mehr oder weniger friedlich) in dem Verwunschenen Wald heimisch waren, angefangen sich westlich von Urbs zu zerstreuen. Manche Animalogen gehen davon aus, dass sie vor einer nahenden Gefahr fliehen. Darüber hinaus wurden laut Zeugenaussagen von Reisenden in Quiescis behauptet, dass Werwölfe im Aurorental gesichtet worden sein sollen.

König Felitem und die anderen Kühnen raten zur Vorsicht.

Die neusten Nachrichten, einfach schnell?

Bleib auf dem neusten Stand, mit der Arivia Aktuell.

Die Stunden vergingen und Verecundo war noch nicht zurückgekehrt. Die Abenddämmerung kam immer näher.

Allmählich fing Lloyd an sich zu sorgen.

„Ich mach‘ mir auch Sorgen“, sagte Julianus mit dem Gelesenen im Hinterkopf.

„Am besten seh' ich mal nach. Du wartest hier.

Ich werd' zum Flussufer gehen.“

Der ältere Bruder nahm eine Laterne in die Hand, stolperte in der Eile fast über ein loses Brett am Boden, öffnete die morsche Tür und lief seinem Vater nach. Lloyd wäre am liebsten mitgegangen, doch er wusste, dass jemand den Eulenstamm hüten musste. Julianus verschwand im Walde ...

 

Tick tack, tick tack…

Der Zeiger der Standuhr, die in der Stube stand, schwang hin und her. Doch es fühlte sich so an, als würde die Zeit stillstehen.

Um sich abzulenken, spielte Lloyd das Kartenspiel „White Light“ gegen einen der magischen Gegner.

Wie durch Zauberhand wurden Karten vom Stapel gezogen und fielen seinem imaginären Gegenspieler in die Hände.

Tick tack, tick tack…

„Noch immer sind sie nicht zurück. Hoffentlich ist ihnen nichts zugestoßen“, sorgte sich Lloyd.

Währenddessen war Julianus in der Nähe des Flussufers angekommen. „Vater! Vater!“

Er lief den Fluss abwärts entlang und fand, wonach er gesucht hatte. „Vater!“

„Bleib zurück, mein Sohn!“

Vater und Sohn standen einer behaarten Kreatur gegenüber. Der Anblick ihres Maules und ihrer Klauen ließen den Angstschweiß hinunterlaufen.

Es war ein Werwolf!

Der Werwolf knurrte vor sich hin und schien sehr hungrig zu sein. Unter dem grauen Fell konnte man fast seine Rippen sehen, so, als hätte er schon seit Tagen nichts mehr zu beißen gehabt.

„Was macht ein Werwolf hier im Aurorental? So weit weg vom Verwunschenen Wald?“, erschrak Julianus. Verecundo hingegen blieb weiterhin entspannt.

Er hob seinen alten Gehstock und richtete ihn gegen den Werwolf. Doch das Fuchteln vertrieb das Tier nicht. Gut, dass Verecundo noch ein paar Tricks hatte. ...

Infernia!

Eine brennende Kugel, die aussah wie eine kleine Sonne, schoss aus der Spitze des Stabes und traf auf die Erde. Auf der Einschlagstelle zog sich ein riesiger Flammenwall über die Kieselfläche auf dem Boden und hielt den Werwolf fern. Funken sprühten ins Wasser, die heißer waren als Magma.

„Los, verschwinde, du Ungetüm!“, rief Verecundo weiterhin ruhig, aber mit einer Kraft in der Stimme.

Die Flammenwand war so dicht, dass man die andere Seite nicht mehr sehen konnte.

„Ich denke, er ist verschwunden“, sagte Julianus erleichtert.

Verecundo senkte seinen Zauberstab und drehte sich seinem Sohn zu. Die Wand aus Feuer erlosch langsam.

Verecundo hob das Elfenwurz hoch und lächelte.

„Wollen wir dann zurü ...“

Doch dann sprang der Werwolf durch die Flammenwand, stürzte sich blitzschnell auf Verecundo und biss ihm mit seinen scharfen Zähnen in den Bauch.

Julianus war erschrocken und hob den Stab seines Vaters. „Infernia! Infernia! Infernia!“

Das Ungeheuer kam immer näher, doch kein Zauber passierte. Nicht mal eine kleine Glut schoss aus dem Stab. Der Wolf wollte Julianus auch angreifen, doch Verecundo riss seinem Sohn den Stab aus der Hand und rief: „Torcula!“

Eine Druckwelle stieß den Werwolf meterweit weg gegen einen Baum am Ufer. Der Druck war so stark, dass ein Teil der Rinde des Baumes abbrach und einen Abdruck des Wolfes hinterließ.

Daraufhin verschwand der heulende Angreifer in den Wäldern.

Verecundo verlor das Gleichgewicht und stützte sein Knie auf den Kieseln ab. Seine Wunde blutete stark.

„Vater! Wir müssen sofort nach Hause!“

Lloyd grübelte nach ein paar gewonnenen Kartenspiel- Partien immer noch vor sich hin, als Julianus mit ihrem verletzten Vater durch die Tür trat.

„Was ist passiert?“, schrie Lloyd panisch auf.

„Ein Werwolfbiss“, sagte Julianus, während er seinen Vater stützte und versuchte, mit seiner Hand die Verletzung zuzudrücken. Verecundo hatte sich auf das Bett gelegt und griff nach seinem Buch.

Julianus wusste nicht, ob das besorgte Einbildung war oder ob die Wunde wirklich von Sekunde zu Sekunde größer wurde.

„Lasst mich jetzt bitte allein“, bat Verecundo seine Söhne. „Aber Vater ...“

Verecundos Blick verriet mehr als tausend Worte.

Widerwillig schlenderten die Brüder besorgt aus der Hütte.

„Julianus, was jetzt? Du weißt doch, ein Werwolfbiss ist … er ist … er ist unheilbar!“

„Keine Sorge, kleiner Bruder.

Vergiss nicht, unser Vater ist der größte und begabteste Wizardo in ganz Arivia.

Ich bin sicher, dass er einen Zauber

kennt, der ihn heilt.“

In der Welt von Arivia verfügten viele Wesen der Völker über besondere Kräfte.

Sie ließen sich in drei Gruppen einteilen:

die Potesta, die eine einzige angeborene Kraft besaßen;

die Imveni, die kraftlos geboren wurden;

und die Wizardo, die in der Lage waren, mit einem Zauberstab viele verschiedene Zauber anzuwenden.

Verecundo war ein Wizardo.

Die Brüder waren beide Imveni ...

Nach kurzer Zeit gingen die Brüder wieder in die Hütte zurück. „Vater, wie fühlt Ihr euch?“

Die Wunde war zurückgegangen, doch sie war nicht verschwunden. „Weshalb verschwindet die Bisswunde nicht?“, fragte Lloyd erschüttert.

„Ich kann die Wunde nur lindern, doch nichts kann einen Werwolfbiss heilen. Das Gift ist dafür viel zu stark“, antwortete Verecundo ruhig.

„Aber Vater, wenn nicht einmal Ihr sie heilen könnt, dann kann es niemand“, sagte Julianus.

Verecundo senkte seinen Blick ...

„Ich bin schon wirklich alt geworden, nicht wahr?

Irgendwann ist es für jeden an der Zeit.“

„Sagt so etwas nicht!“, rief Lloyd traurig.

„Es gibt da einen Weg. Ich hab‘ es in Eurem Buch gelesen. Es gibt zwei Wesen, die Euch sicherlich vor dem Tod retten können“, sagte Julianus.

„Aber Bruder, Vater ist der Einzige, der ihnen jemals begegnet ist“, sagte Lloyd.

„Aber das ist unsere einzige Hoffnung“, entgegnete ihm Julianus.

Lloyd nickte.

„Keine Sorge, Vater. Wir werden sie finden!

Das versprechen wir dir!“

Als Verecundo diese Entschlossenheit in den Augen seiner Söhne sah, wusste er, dass es unmöglich war, sie jetzt noch von ihrem Vorhaben abzubringen.

„Ich bin sehr stolz auf euch, meine Söhne.

Und ich weiß, dass eure Mutter das auch wäre“, sagte Verecundo.

„Doch wenn ihr sie wirklich finden wollt, dann müsst ihr bereit sein, euch auf eine gefährliche Reise zu begeben. Ich würde euch ja davon abraten, aber ich weiß ja, dass ich euch nicht aufhalten kann.“

„Da habt ihr Recht, Vater“, antwortete Lloyd entschlossen.

„Wir lassen uns nicht erschüttern!“ ...

Tick tack,tick tack…

Verecundo war eingeschlafen, um sich auszuruhen, und die Brüder setzten sich auf die Holzbank vor dem Eulenstamm. Der Sternenhimmel leuchtete bei weitem heller als die Laterne, die Julianus im Wald zurückgelassen hatte.

Aber nicht so hell wie die Glühwürmchen.

„Na schön, Bruder. Dann ist jetzt alles klar. Unser Vater, der mächtigste Wizardo, wird nicht an einem Werwolfbiss sterben. Wir müssen uns beeilen, bevor es zu spät ist. Morgen vor Sonnenaufgang brechen wir auf“, erklärte Julianus.

„Bis du sicher, dass wir sie wirklich finden können? Unser Vater ist der Einzige, der jemals...“

„Ich bin sicher“, entkräftete Julianus die Sorgen seines Bruders. „Wir werden sie finden.

Wir müssen sie finden.“

„Ja“, stimmte Lloyd zu.

Wir werden die Götter des Lebens finden!“

Und so kam es, dass aus dem friedlichen und ruhigen Leben im Aurorental, ein nervenaufreibendes Abenteuer wurde.

So kam es, dass sich die zwei Söhne des mächtigsten Wizardos von Arivia auf die Suche nach den Göttern des Lebens machten. Angetrieben von der Hoffnung, ihren Vater vor dem Tode zu bewahren.

Da wussten sie noch nicht, dass die Reise erst der Anfang eines viel größeren Abenteuers war ...

Der Rasende Raeuber

Der nächste Tag war gerade angebrochen und die Brüder bereiteten sich auf die Reise vor mit dem Ziel, so schnell wie möglich die Götter des Lebens zu finden.

„Hast du alles, Lloyd?“, fragte sein schwarzhaariger Bruder.

„Ja, alles dabei.“

Lloyd hatte einen weißen Beutel um seinen Rücken geschnallt.

„Bist du sicher? Wir dürfen wirklich nichts vergessen“, betonte Julianus in einem Ton, als wäre er Lehrer an der Protectora, der Schule für Wizardos.

Heißes Holz für Feuer? Nie zerfallenes Zelt? Deine Schläfrige Schleuder?“

Lloyd präsentierte Julianus stolz ein paar Scheiben des Holzes, das nicht von Wasser gelöscht werden konnte, wenn man es erst mal angezündet hatte; ein zusammengefaltetes Zelt, das von keinem Sturm verweht werden konnte, und eine Schleuder, deren Geschosse jedes Biest sofort ins Land der Träume beförderten.

„Gut. Hast du auch an Patilda Pemahans Plätzchen gedacht?“

„Sicher, dass wir die mitnehmen sollen?“

Patilda Pemahans Plätzchen waren ein Gebäck, das ganz viele verschiedene Wirkungen auf den Körper haben konnte. Wenn man Pech hatte, bekam man Schüttelfrost oder wog am nächsten Morgen zehn Kilo mehr. War einem das Glück wohlgesonnen, so konnte man Berge über Berge laufen, ohne Erschöpfung zu zeigen.

„Na gut, ich pack' sie ein.“

„Wartet, nehmt das auch mit“, sagte Verecundo schläfrig, nachdem er es mühselig geschafft hatte aufzustehen.

„Vater, legt Euch wieder hin. Ihr dürft Euch nicht überanstrengen!“, sagte Julianus in einem befehlenden Ton.

Verecundo strahlte seine Söhne an.

„Hier, das solltet ihr ebenfalls einpacken.“

Verecundo reichte Lloyd eine kleine silberne Glocke, die keinen Ton erzeugte, wenn man sie läutete.

„Aber Vater, wozu soll das gut sein?“, fragte Lloyd ohne den Hauch einer Ahnung.

„Die Solarsteppe ist zwar ein überaus schöner Ort, doch die Hitze und die nie endenden Pfade können sehr kräftezehrend sein. Falls ihr nicht weiterkönnt, wäre es hilfreich, die Glocke zu läuten“, erklärte Verecundo, bevor er keuchte und Julianus ihn drängte, sich wieder auszuruhen.

Teised selle autori raamatud