Glauben ist ganz einfach - wenn man nicht muss

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Glauben ist ganz einfach - wenn man nicht muss
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

MARTIN SCHULTHEISS

UND FABIAN VOGT

Glauben ist ganz einfach - wenn man nicht muss

Anregungen für eine befreite Spiritualität



Für alle die Freiheit lieben - und ahnen, dass das Geheimnis der Freiheit im Glauben liegt.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.ddb.de abrufbar.

Die Bibelzitate entstammen der Lutherbibel

(revidierte Fassung von 1984)

oder sind Eigenübertragungen der Autoren.

1. Taschenbuchauflage 2012

ISBN 9783865064547

© Copyright 2007 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Satz: Satzstudio Hans Winkens, Wegberg

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

www.brendow-verlag.de

Ich setze Liebe mit Freiheit gleich.

Die Liebe zu Gott kann nicht durch Gebote,

sondern nur durch einen Akt der Willensfreiheit bewirkt werden.

ISAAC B. SINGER

Wo der Geist Gottes wirkt, da ist Freiheit.

2. KOR. 3,17

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Impressum

Zitate

Inhalt

Vorwort

Von der Sehnsucht nach Freiheit

Die Weltretter

Die Kulturretter

Die Seelenretter

Die Selbstretter

Die Glaubensretter

Die Segensretter

Die Angstretter

1. Ein »Muss« ist viel einfacher als ein »Du darfst«

2. Ein »Muss« gibt mir das Gefühl, wichtig zu sein

3. Ein »Muss« lässt sich nicht in Frage stellen

Die 3 Freiheiten des Denkens

1. Logik ist nicht alles

2. Zweifeln macht Spaß

3. Selbstbewusstsein tut gut

Die 3 Freiheiten des Handelns

4. Liebe und tu, was du willst!

5. Prüft alles – und behaltet das Gute

6. Einsam bist du klein

Die 3 Freiheiten des Fühlens

7. Aus Erfahrung wird man fromm

8. Wer nicht genießt, ist ungenießbar

9. Geglaubt sei, was stark macht

10. Die Freiheit Gottes

Fazit

Literaturempfehlungen

Vorwort

Glauben ist ganz einfach - wenn man nicht muss. Und Gott sei Dank: In diesem Buch müssen Sie gar nichts. Sie dürfen ... und zwar alles. Sie dürfen es sogar gleich wieder weglegen. Aber wenn Sie Lust haben, dann laden wir Sie zu einer inspirierenden Entdeckungsreise ein. Zu einer kleinen Expedition, bei der es darum geht, der Freiheit des Glaubens auf die Spur zu kommen und dabei zwei Dinge herauszufinden: Was ist Freiheit? Und wie kann ein Mensch wirklich befreit glauben?

»Jesus Christus hat uns zur Freiheit befreit! Daran müsst ihr festhalten. Lasst euch ja nicht wieder durch irgendetwas versklaven.«

(Gal. 5,1)

Zuallererst: Wer im Innersten frei ist, der braucht keine Angst zu haben - vor nichts und niemandem. Auch nicht davor, dieses Buch zu lesen - selbst wenn es möglicherweise manche allzu lieb gewordenen Gewohnheiten in Frage stellt. Es gilt: Sie dürfen sich mit unseren freiheitsliebenden Gedanken auseinandersetzen, aber Sie müssen nicht. Weil es in der Freiheit kein »Muss« geben kann. Überall da, wo jemand Bedingungen an Sie stellt, die Sie erfüllen müssen, wird die Freiheit ausgehebelt.

Im christlichen Glauben gehört diese Freiheit von Anfang an zu den Grundwerten. Sie ist der Gegenentwurf zu all den Bindungen und Begrenzungen, die das Leben einschränken wollen. So schreibt beispielsweise Paulus, der erste christliche Theologe: »Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit.« (2. Kor. 3,17) Und er betont den Wert dieser Freiheit immer wieder. Vor allem sagt er: »Jesus Christus hat uns zur Freiheit befreit! Daran müsst ihr festhalten. Lasst euch ja nicht wieder durch irgendetwas versklaven.« (Gal. 5,1)

Nun ist das Merkwürdige: Wenn man beobachtet, wie Menschen das Christentum in der Praxis leben und erleben, dann ist von dieser Freiheit oft wenig zu spüren. Es scheint, als versinke die Kirche unter einem Berg von Geboten, Strukturen, Vorschriften, Traditionen und ausgesprochenen oder unausgesprochenen Forderungen, die genau festlegen, wie das mit dem Glauben zu sein hat. Eine Sklaverei der Formen, die bestimmt nicht frei macht. Auf diese Weise wirkt Frömmigkeit oft eher abstoßend als ansteckend. Darum bemerkte ja schon Friedrich Nietzsche süffisant über die Christen: »Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne. Erlöster müssten mir seine Jünger aussehen.«

Ein Christentum, das nicht frei macht, hat mit Jesus wenig zu tun.

Damit sind wir beim Thema dieses Buches: Woher kommt es, dass der christliche Glaube, der befreien soll, oftmals eher als einengend und bedrückend erlebt wird? Und kann sich ein moderner oder gar postmoderner Mensch des 21. Jahrhunderts überhaupt noch ernsthaft auf den christlichen Glauben einlassen? »Ja«, sagen wir, und darum ist alles, was wir hier ausführen, ein Plädoyer für eine aufgeklärte, unverkrampfte und lustvolle Frömmigkeit, sozusagen eine geistliche Entrümpelung des Glaubens, bei der wir eine Bestandsaufnahme dessen versuchen, was sich in Jahrtausenden an Unfreiheiten, Missverständnissen, Ängsten, Unsicherheiten, Dogmen, Ideologien und Vorurteilen ins Christentum eingeschlichen hat. Letztlich geht es uns darum, dass Glaube wieder zu einer lebensfördernden, leidenschaftlichen, tröstenden und wohltuenden Erfahrung werden kann. Denn ein Christentum, das nicht frei macht, hat mit Jesus wenig zu tun. Also: Schluss mit lustlos!

Wir haben für unser Vorhaben einen sehr konkreten Weg gewählt: Wir stellen Ihnen erst einmal ein Panoptikum markanter religiöser Auswüchse vor - und dann 10 existenzielle Freiheiten, oder besser gesagt: 10 Aspekte der einen großen Freiheit, die nicht nur für einen gesunden Glauben, sondern für das Leben an sich von entscheidender Bedeutung ist. Und wir zeigen, wo und warum wir diese Freiheit bedroht sehen und wie man sich dagegen schützen kann.

Bei aller kritischen Auseinandersetzung mit kleinmachenden Strukturen geht es in diesem Buch vor allem darum, die 10 Freiheiten als dem Leben zugewandte, spirituelle Angebote zu entdecken, die den Horizont weiten und die Selbstständigkeit fordern - in alldem, was unser Denken, unser Handeln und unser Fühlen bestimmt. Dieses Buch will also in die Freiheit und in die Leichtigkeit führen. Trotzdem ist es nicht unbedingt ein leichtes Buch. Denn die geistlichen Umgangsformen, denen wir auf den Zahn fühlen, sorgen ja auch nicht gerade für Heiterkeit. Zumindest noch nicht.

Unsere Gedanken wollen in erster Linie anregen, inspirieren, motivieren, ermutigen und natürlich auch provozieren. »Provozieren« kommt von dem lateinischen Wort »Provocare« und bedeutet »Herausrufen« - aus allem, was Menschen einengt. Und das Beste, was aus einer Provokation werden kann, ist ein angeregter, offener Austausch darüber, was denn nun trägt im Leben. Darum verkünden wir hier auch keine geschlossene Theologie, keine allein selig machenden Wahrheiten, sondern verstehen uns selbst als Lernende, die eine großartige Erkenntnis wiederentdeckt haben: Glaube und Zwang schließen sich gegenseitig aus. Oder positiv formuliert: Freiheit ist eine eminent wichtige, unverzichtbare Voraussetzung für einen gesunden christlichen Glauben.

 

Dieser Idee wollen wir in diesem Buch nachgehen und Sie einladen: zum Nachdenken, zum Ausprobieren, zum Wider-sprechen. So wie es Luther mit seinen 95 Thesen hielt, die er als Professor öffentlich zur Diskussion stellte und die er bewusst zuspitzte, um Gespräche anzuregen - nicht etwa, um sie zu beenden. So wie auch Papst Benedikt XVI. in seinem bekannten Jesus-Buch bewusst auf jede lehramtliche Autorität verzichtete und seine Leserinnen und Leser zum Widerspruch geradezu einlud. Das ist übrigens gelebte Theologie: Miteinander über Gott reden.

Jesus hat ziemlich selbstbewusst gesagt: »Wenn ich als Sohn Gottes euch frei mache, dann seid ihr wirklich frei.«

(Joh. 8,36)

Prüfen Sie also ruhig unsere Thesen, testen Sie sie auf Belastbarkeit, freuen oder ärgern Sie sich darüber, verfeinern Sie die Argumentation und ergänzen Sie für sich die Aspekte, die wir übersehen haben. Und wenn Sie uns einen Irrtum nachweisen können, dann teilen Sie uns das bitte mit. Wir freuen uns immer, wenn wir etwas dazulernen.

Jesus hat einmal ziemlich selbstbewusst gesagt: »Wenn ich als Sohn Gottes euch frei mache, dann seid ihr wirklich frei.« (Joh. 8,36) Wir möchten mit Ihnen zusammen herausfinden, ob das stimmt, und freuen uns, wenn die hier vorgestellten Gedankenanstöße Ihnen helfen, Glauben (neu) als befreiende Erfahrung zu erleben - ganz gleich, ob Sie überzeugter, zweifelnder oder verzweifelter Christ sind, mit dem Christentum vielleicht gar nichts (mehr) anfangen können, alte Verletzungen mit sich herumtragen oder einfach als zufriedener Atheist aus purer Neugier wissen wollen, ob Freiheit und Glauben wirklich zusammenpassen.

Martin Schultheiß & Fabian Vogt

Vieles von dem, was wir in diesem Buch beschreiben, beschäftigt uns auch als Kabarettisten - und wir singen und erzählen davon leidenschaftlich gern auf Kleinkunstbühnen. Einige der dabei entstandenen, frech-poetischen Texte haben wir mit aufgenommen. Zum Beispiel diese kleine Sammlung von Vorurteilen gegenüber Christinnen und Christen. Falls es welche sind.

Fromme Leute

Fromme Leute lesen täglich Bibel.

Fromme Leute machen niemals blau.

Fromme Leute klauen keine Löffel.

Fromme Leute fluchen nicht im Stau.

Fromme Leute lächeln immer freundlich.

Fromme Leute sind niemals obszön.

Fromme Männer gucken keine Pornos.

Fromme Frauen sind ohne Schminke schön.

Lieber Gott, mach mich fromm,

dass ich in den Himmel komm!

Oder nein, lass es sein,

vielleicht will ich gar nicht rein!

Was meinst du denn dazu?

Die Frage lässt mir keine Ruh:

Muss denn das alles so sein?

Fromme Leute gehen in die Kirche.

Fromme Leute kleiden sich adrett.

Fromme Leute singen fromme Lieder.

Fromme Bräute gehn allein ins Bett.

Fromme Leute nehmen keine Drogen.

Fromme Leute sind total verklemmt.

Fromme Frauen kriegen viele Babys.

Fromme Männer gehen niemals fremd.

Christen haben’s schwer, nehmen’s nicht leicht,

Außen hart und innen ganz weich.

Sind als Kind schon auf Christ geeicht.

Wann ist ein Christ ein Christ?

Fromme Leute missionieren gerne.

Fromme Leute hüten die Moral.

Fromme Leute gehn nicht in die Disco.

Fromme Leute beten vor dem Mahl.

Fromme Leute sammeln gern Kollekte.

Fromme Leute lesen niemals Brecht.

Fromme Frauen sind meistens Krankenschwestern.

Fromme Männer haben immer recht.

Fromme Leute mögen keine Heiden.

Fromme Leute vermeiden FKK.

Fromme Leute sündigen nur selten.

Fromme Leute sind dem Himmel nah.

Fromme Leute hörn Duo Camillo.

Fromme Leute machen niemals schlapp.

Fromme Frauen dienen in der Küche.

Fromme Männer treiben niemals ab.

Lieber Gott, mach mich fromm ...

Von der Sehnsucht nach Freiheit

Glauben ist ganz einfach - wenn man nicht muss. Das heißt vor allem: Glauben ist nicht schwer. Also keinesfalls eine Last, eine Pflicht, eine heroische Aufgabe, eine Prüfung, eine stete Herausforderung oder gar ein notwendiges Übel. Zumindest sollte der christliche Glaube das nicht sein - sonst wäre er eher eine Drohbotschaft als eine »Frohbotschaft«. Und doch geistern solche Bilder immer wieder durch die Köpfe vieler Menschen: »Es ist hart und schwer, aber du musst glauben!« Da möchte man trotzig entgegnen: »Warum muss ich das eigentlich? Wollen: gerne. Müssen? Das kann es doch nicht sein.« Nein, kann es auch nicht. Trotzdem gab und gibt es unzählige Traditionen, in denen Kindern der Glaube regelrecht eingeprügelt wird: »Wenn du nicht glaubst, wirst du bestraft. Du musst Jesus lieben!« Dieser Schatten hängt schon ziemlich lange über dem Christentum.

Wenn es stimmt, dass Glauben befreit, dann ist es wichtig, die zwanghaften Strukturen im Religiösen zu erkennen, zu verstehen und abzulegen.

Insofern ist es positiv, dass viele Menschen gerade in Deutschland solch totalitären Strukturen inzwischen äußerst kritisch gegenüberstehen und sich wehren: »Ich muss gar nichts.« Und das heißt: Wenn es stimmt, dass Glauben befreit und dass es sich lohnt, ihn als befreiendes Angebot auszuprobieren, dann ist es wichtig, die zwanghaften Strukturen im Religiösen zu erkennen, zu verstehen und abzulegen. Nur so kann wirkliche Freiheit entstehen.

Besonders gefährlich wird die Einstellung des »Du musst!« übrigens dann, wenn plötzlich Glauben und Leben gegeneinander ausgespielt werden. Auf der einen Seite gibt es scheinbar das wilde, freie, genussvolle, kluge und experimentierfreudige Leben, auf der anderen Seite den regulierenden Glauben, der eine stets angezogene Handbremse des Daseins darstellt: »Vorsicht, dass du nicht zu gerne lebst!« und »Alles, was Spaß macht, ist Sünde!« Das Symbol dieses Religionsverständnisses ist der mahnende, erhobene Zeigefinger.

Dahinter verbirgt sich in der Regel ein verblüffend negatives Welt- und Menschenbild, vor dem der Glaube vermeintlich retten muss: »Die Welt ist schlecht und du bist schlecht. Freue dich, wenn du von beidem erlöst wirst.« Das wollen die meisten Menschen aber gar nicht. Verständlicherweise. Und das steht so auch nicht in der Bibel. Obwohl die Erde und die Menschheit wahrlich ihre Macken und Tücken haben, sind beide nach biblischem Verständnis liebevoll von Gott geschaffen. Wer die Schöpfung verdammt, hält also auch nicht viel von ihrem Schöpfer. Sagen wir mal so: Dass die Welt aufgrund des menschlichen Übermuts an vielen Stellen einen starken Restaurierungsbedarf hat, gibt niemandem das Recht, sie grundsätzlich schlechtzumachen.

Auch im Neuen Testament stoßen wir überall auf Lebensbejahung (nicht auf eine grundsätzliche Verneinung alles Irdischen). Wenn Jesus jemandem begegnet, dann ist dieser, sofern er sich nicht unwillig abwendet, normalerweise nachher fröhlicher, entspannter, gesünder und lebenstüchtiger. Und: befreiter. Befreit von beengenden inneren und äußeren Fesseln - und gelassener, weil er eine neue, größere Perspektive für seine Existenz bekommen hat.

All das steht dem Leben nicht entgegen, sondern fördert es. Glauben sollte also niemals zum Ergebnis haben, dass ein Mensch weniger oder eingeschränkter lebt, er sollte immer dazu führen, dass jemand mehr »Leben« findet. Und zwar nicht erst irgendwann im Himmel, sondern hier und jetzt auf der Erde. Jesus verteilt doch keine Glücks-Gutscheine mit der Aufschrift »Für ein erfülltes Dasein«, die man ein Leben lang mit aller Kraft vor den bösen Einflüssen der Welt verteidigen muss und die dann erst nach dem eigenen Tod eingelöst werden können. Nein, er lädt ein, sich direkt auf der Erde dem Dasein leidenschaftlich zuzuwenden. Insofern hat Glauben grundsätzlich mit einem Gewinn an Lebensqualität zu tun.

Glauben hat grundsätzlich mit einem Gewinn an Lebensqualität zu tun.

Woher kommt es nun, dass sich in die Wahrnehmung des Christentums so viele beklemmende Facetten eingeschlichen haben? Und warum muss man oft mehrfach hinschauen, bevor man in den sichtbaren Kirchenstrukturen etwas von der Freiheit des Glaubens erkennt? Offensichtlich gibt es auf Glaubenswegen viele Möglichkeiten, sich zu verrennen und das Ziel aus dem Blick zu verlieren.

Am besten verstehen wir das, wenn wir uns in einem ersten Schritt ein paar typische Charaktere anschauen, die sich oft und gerne in Diskussionen über den Glauben einbringen und die alle eines verbindet: das Gefühl, sie müssten irgendetwas vor irgendwem retten. Diese Typen sind nicht erfunden (so etwas kann man gar nicht erfinden), sie sind uns alle leibhaftig begegnet - und wenn wir von ihnen erzählen, sehr pointiert, bildhaft und sicherlich auch ein wenig überzogen, dann werden Sie ahnen, warum aus einem Glauben der Freiheit ganz schnell ein unschönes Ringen mit dem Dasein werden kann. Denn alle diese Charaktere weisen bestimmte zwanghafte Strukturen auf. Das heißt vor allem: Sie sind nicht wirklich entspannt in dem, was sie tun, sie wollen es nicht einfach nur, sondern sie denken, es sei ein absolutes »Muss«, und zwar für die gesamte Menschheit.

Ein »Du musst« macht auf Dauer krank, weil es ein Leben unter Erwartungsdruck setzt und alles Gute von der Erfüllung irgendwelcher Bedingungen abhängig macht.

Und da ist es schon wieder, dieses hartnäckige »Muss«, das sich immer wieder als Ursprung aller Missverständnisse und Verengungen im Glauben entpuppt. Wir sind deshalb der festen Überzeugung, dass das »Müssen« den Glauben innerlich aushöhlt, ja, es lässt sich mit ihm nicht vereinbaren. Darum wollen wir in diesem Buch zeigen, dass jedes »Müssen« zutiefst unchristlich ist und gegen ein freiheitliches »Dürfen« ausgetauscht werden kann.

Welche verrückten Mechanismen hinter solchen Strukturen stecken, sehen Sie jetzt erst einmal in unserem bunten Panoptikum, durch das wir Sie führen möchten, eine einzigartige Sammlung frommer Figuren, die sich in der Welt des Glaubens finden. Schauen Sie mal, welche Muster Sie hinter deren Verhaltensweisen entdecken, die auf Dauer leider immer zu Unfreiheiten und Verengungen führen. Sehr verehrte Damen und Herren, Vorhang auf!

Die Weltretter

Diese interessante erste Spezies hat das innere Bedürfnis, die Welt vor der als äußerst unvollkommen empfundenen Kirche zu retten. Und deshalb weist sie geduldig und mit aller Deutlichkeit auf all die Dinge hin, die im Christentum bislang falsch gelaufen sind. Übrigens mit gutem Recht. Trotzdem ist es für jeden Pfarrer, der auf einer Party gefragt wird: »Na, was machst du denn so beruflich?«, ziemlich nervig, wenn die erste Reaktion auf seine Antwort regelmäßig lautet: »Was, du bist Pfaffe? Also, das mit den Kreuzzügen fand ich ziemlich intolerant.« Ach! »Ja, und die Hexenverbrennungen waren irgendwie ... frauenfeindlich!« So so! »Man liest ja auch immer wieder von Priestern, die sich an kleine Kinder ranmachen!« Stimmt. »Ich war auf einer Klosterschule, da mussten wir jeden Morgen zu einer Gruselandacht.« Oje, tut mir leid. »Und dass der Papst den Aidsinfizierten Kondome verbietet, ist wirklich ein Unding!«

Man kann von der menschlichen Schwachheit der Glaubenden zum Glück nicht auf die Falschheit oder Richtigkeit des Glaubens schließen.

Ja, natürlich ist es ein Unding. Und es gibt Tausende davon in der Kirche. Gut, wenn sie benannt werden - und noch besser, wenn sie auf Dauer beseitigt werden. Schlecht ist, wenn diese eingeschränkte, negative Sichtweise ihrerseits zwanghafte Züge annimmt und deshalb das Kind mit dem Bade ausschüttet. Nicht nur, weil Klischees und der stete Blick auf die Schattenseiten einer Institution immer zu falschen Wahrnehmungen führen, sondern auch, weil man von der menschlichen Schwachheit der Glaubenden zum Glück nicht auf die Falschheit oder Richtigkeit des Glaubens schließen kann. Die Grundthese unseres Buches lautet: »Glaube befreit« - und wenn er das nicht tut oder gar anderen schadet, dann ist es wichtig, den Fehlentwicklungen auf den Grund zu gehen. Genau das haben wir hier vor. Aber: Dass sich in der Kirche ein Haufen Sünder und fehlerhafter Leute findet, spricht - bei genauerem Hinsehen - eigentlich sogar für sie, weil Jesus genau diesen Leuten ein spirituelles Zuhause geben wollte und nie versprochen hat, dass sie in der Gemeinde vollkommen und fehlerlos sein würden.

 

Also: Dass die Institution »Kirche« so oft versagt hat und sicher auch weiter versagen wird, ist zwar enttäuschend und manchmal unerträglich, jedoch kein Argument gegen den Glauben selbst. Schließlich gilt: Wenn in einem Hilfswerk jemand Geld veruntreut, kann man ja auch nicht einfach übersehen, dass dieses Werk zugleich unzähligen Bedürftigen geholfen hat. Man sollte sich in einem solchen Fall für eine bessere organisatorische Struktur einsetzen, um Missbrauch vorzubeugen, aber nicht das ganze Hilfswerk verdammen.

Zwanghaft werden solche (in ihrem sachlichen Kern berechtigte) Kritiken immer dann, wenn sie von institutionellen Fehlern zu schnell und zu allgemein auf den Glauben an sich schließen - und wenn sie von den vermeintlichen Weltrettern zugleich als Schutzschild vor einer persönlichen Auseinandersetzung mit Gott genutzt werden: »Wenn die Kirche so ist ... dann setze ich mich auch den dahinterstehenden Idealen nicht aus.« Anstatt über die Inhalte des Christentums nachzudenken, arbeitet man sich lieber an unschönen Äußerlichkeiten ab.

Dahinter verbirgt sich ein nachvollziehbarer Gedanke, der allerdings an der Realität völlig vorbeigeht: »Die Kirche muss vorbildlich sein, damit ich ihre Werte ernst nehmen kann.« Schön wär’s. Tatsache ist: Sie wird es nie sein, denn jede Kirche muss immer wieder neu um ihre Werte ringen und steht immer in der Gefahr, sie zu verlieren - durch Nachlässigkeit oder durch Rechthaberei, durch persönliches Versagen oder durch organisatorische Mängel, durch fehlenden Realismus oder durch fehlenden Idealismus. In freiheitlichen Strukturen wird es immer Fehler geben, ja, sie sind sogar fundamental nötig, damit die Gemeinschaft sich kontinuierlich weiterentwickeln kann - und in unfreien Strukturen sind Fehler bereits Teil des Systems. Ein gesunder Umgang mit Fehlern sollte daher ein Grundwert jeder christlichen Gemeinschaft sein. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat diesen Gedanken in seinem Buch »Gemeinsames Leben« sehr treffend zusammengefasst: »Wer seinen Traum von christlicher Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte.«

Dennoch gibt es sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinden Menschen, die von der Kirche Perfektion verlangen und dabei verkennen, dass gerade derVersuch, Fehler konsequent auszurotten, die meisten Fehler verursacht. Wenn wir Ihnen im Anschluss an dieses Panoptikum 10 Freiheiten vorstellen, dann geht es auch darum, die Muster zu entlarven, die institutionelle Strukturen immer wieder dazu bringen, ihre eigentlichen Werte zu verlieren.