Grundsätze der Philosophie der Zukunft

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Grundsätze der Philosophie der Zukunft
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Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Ludwig Feuerbach

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849612511

www.jazzybee-verlag.de

admin@jazzybee-verlag.de

Frontcover: © Vladislav Gansovsky – Fotolia.com

Ludwig Feuerbach – Biografie und Bibliografie

Berühmter Philosoph, geb. 28. Juli 1804 in Landshut, gest. 13. Sept. 1872 auf dem Rechenberg bei Nürnberg, hatte während seiner Gymnasialzeit in Ansbach eine entschieden religiöse Richtung, studierte in Heidelberg Theologie, ward durch Daubs Vorlesungen für die Philosophie Hegels gewonnen, ging, um letzteren zu hören, 1824 nach Berlin, habilitierte sich 1828 zu Erlangen als Privatdozent der Philosophie, machte jedoch als Dozent wenig Glück und wurde als entschiedener Hegelianer angefeindet. Seine anonym erschienene Schrift» Gedanken über Tod und Unsterblichkeit«(Nürnb. 1830; 3. Aufl., Leipz. 1876; neu hrsg. von Jodl, Stuttg. 1903), in der er eine Religion, die sich ein Jenseits als Ziel setze, einen Rückschritt nannte und den Glauben an die Unsterblichkeit psychologisch erklärte, wurde konfisziert, sein Gesuch um eine außerordentliche Professur wiederholt (zuletzt 1836) abgeschlagen, Aussichten auf eine Professur an andern Universitäten erfüllten sich auch nicht, so dass er die akademische Laufbahn verließ, um sich nach Ansbach und (seit 1836) auf das drei Stunden von diesem entfernte Schloss Bruckberg in literarische Einsamkeit zurückzuziehen. Hier, wo er 1837 mit seiner treuen Lebensgefährtin Berta Loew, die daselbst Mitbesitzerin einer Fabrik war, eine glückliche Ehe schloss, sind in ländlicher Muße bis zum Jahr 1860, wo er auf den bei Nürnberg gelegenen Rechenberg übersiedelte, fast alle seine Hauptwerke entstanden. Nachdem er bereits unter dem unpassenden Titel:»Abälard und Heloise«(Ansb. 1833; 4. Aufl., Leipz. 1889) in humoristisch-philosophischen Aphorismen eine Parallele zwischen der realen und idealen Seite des Lebens veröffentlicht hatte, begann er mit seiner» Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie«(Ansb. 1833–1837, 2 Bde.), die sich, wie seine» Kritiken auf dem Gebiete der Philosophie«(das. 1835), durch klassische Schärfe der Charakteristik auszeichnete, den Kampf der Vernunft gegen die Theologie, des Wissens gegen den Glauben, den er im dritten Band:»Pierre Bayle nach seinen für die Geschichte der Philosophie und der Menschheit interessantesten Momenten«(das. 1838) in pikanter Weise fortsetzte, und wobei dieser selbst wie die vorgenannten Denker seinen persönlichen Ansichten zur Folie dienten. Seit 1837 trat er in Verbindung mit Ruge und den» Halleschen Jahrbüchern«, später» Deutschen Jahrbüchern«, wodurch sich sein Bruch nicht nur mit der Theologie, sondern auch mit der Hegelschen Philosophie vollzog, die er in Naturalismus umbildete, obgleich er Hegel noch in der Schrift»Über Philosophie und Christentum«(Ansb. 1839) gegen die» fanatischen Verketzerer aller Vernunfttätigkeit «in Schutz nahm. In der Schrift» Zur Kritik der Hegelschen Philosophie«(1839) erklärte er alle Spekulation, die über die Natur und den Menschen hinaus will, mit dürren Worten für» Eitelkeit«, den absoluten Geist für eine» Schöpfung des subjektiven Menschengeistes«; in der Rückkehr zur Natur fand er die einzige» Quelle des Heils«. In seinem Hauptwerk:»Das Wesen des Christentums«(Leipz. 1841, 4. Aufl. 1883; neu hrsg. von Bolin, Stuttg. 1903), zeigte sich der Zerfall mit der ganzen christlichen Philosophie. Der Satz, den auch Schleiermacher gelegentlich aufstellt, dass der angeblich nach Gottes Ebenbild geschaffene Mensch vielmehr umgekehrt das Göttliche nach seinem eignen Ebenbild schaffe, wird hier zum Ausgangspunkt der Naturgeschichte des Christentums. Die Theologie wird zur Anthropologie, die F. allmählich für die Universalphilosophie ansah. F. erklärt die Religion für einen Traum des Menschengeistes, Gott, Himmel, Seligkeit für durch die Macht der Phantasie realisierte Herzenswünsche; was der Mensch Gott nenne, sei das Wesen des Menschen ins Unendliche gesteigert und als selbständig gegenübergestellt; homo homini deus! Zur Ergänzung ließ er dem» Wesen des Christentums «die Schrift» Das Wesen der Religion«(Leipz. 1845), mehrere Aufsätze in den» Deutschen Jahrbüchern«, das Schriftchen» Das Wesen des Glaubens im Sinn Luthers«(Leipz. 1844, 2. Aufl. 1855) und die» Vorlesungen über das Wesen der Religion«(zuerst im Druck erschienen das. 1851, neue Ausg. 1892) folgen, die sämtlich» die Aufgabe der neuern Zeit, die Verwandlung und Auflösung der Theologie in die Anthropologie«, zu fördern bestimmt waren. Die» Vorlesungen «wurden ursprünglich im Winter 1848/49 zu Heidelberg infolge einer an F. von Seiten der dortigen Studentenschaft ergangenen Einladung gehalten und bezeichneten, wie das» tolle Jahr «selbst, einen Wendepunkt in Feuerbachs Leben. Er zog sich von nun an von dem öffentlichen Leben in philosophische Einsamkeit zurück und wandelte seinen anthropologischen Naturalismus in Materialismus um. Das Werk» Theogonie, oder von dem Ursprung der Götter nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums«(Leipz. 1857, 2. Aufl. 1866), das den Grundgedanken der Vorlesungen über das Wesen der Religion, dass die Götter» personifizierte Wünsche «seien, wiederholt, erregte nicht entfernt mehr das Aufsehen seiner literarischen Vorläufer. Der Materialismus hat bei ihm seinen stärksten Ausdruck erhalten in einer bekannten Rezension von Moleschotts» Lehre der Nahrungsmittel für das Volk«(1850) mit dem Worte:»Der Mensch ist, was er ißt«. Diese letzte Gestalt seiner Philosophie enthält Feuerbachs letztes Werk, dessen Titel und Resultat jenem seines ersten verwandt, dessen philosophischer Standpunkt aber das gerade Gegenteil jenes des ersten ist, die Schrift» Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit vom Standpunkt der Anthropologie«(Leipz. 1866, 2. Aufl. 1890). In seinen letzten Lebensjahren (1868 und 1869) schrieb er ethische Betrachtungen nieder, die unvollendet geblieben und erst aus seinem Nachlass herausgegeben worden sind. Feuerbachs äußere Verhältnisse hatten sich trübe gestaltet; 1860 verlor er durch unverschuldete Unglücksfälle seine liebgewordene Heimat auf dem Bruckberger Schloss sowie die bescheidene Rente, die bis dahin dem Philosophen ein beschränktes, aber unabhängiges Einkommen[498] gesichert hatte. Die Existenz auf dem Rechenberg bei Nürnberg (1860–72) wurde durch zahlreiche Beweise von Freundschaft, die ihm aus allen Ländern und aus allen Ständen (auch aus dem Bauernstand) zukamen, verschönert. Dass der als Materialist verrufene Philosoph des Humanismus als Mensch reiner Idealist, human im besten Sinne des Wortes war, dafür legen sein echt deutsches Familienleben, seine rührende Liebe zur Gattin und (einzigen) Tochter Eleonore und seine Wahrheits- und Menschenliebe atmende Korrespondenz Zeugnis ab. Feuerbachs sämtliche Werke sind (Leipz. 1846–66) in 10 Bänden erschienen, neu herausgegeben von Bolin u. Jodl (Bd. 1 u. 6, Stuttg. 1903). Besonders in den 1840er Jahren hat F. großen Einfluss ausgeübt; seine Anschauungen über Religion und ihren Ursprung sind auch jetzt noch von Bedeutung. Vgl. K. Grün, Ludwig F., in seinem Briefwechsel und Nachlass dargestellt (Leipz. 1874, 2 Bde.);»Briefwechsel zwischen L. F. und Christian Kapp, 1832 bis 1848«(das. 1876); Starcke, Ludwig F. (Stuttg. 1885); Engels, L. F. und der Ausgang der klassisch-deutschen Philosophie (das. 1888); Bolin, L. F., sein Wirken und seine Zeitgenossen (das. 1891).

Grundsätze der Philosophie der Zukunft

I

§ 1.

Die Aufgabe der neueren Zeit war die Verwirklichung und Vermenschlichung Gottes – die Verwandlung und Auflösung der Theologie in die Anthropologie.

§ 2.

Die religiöse oder praktische Weise dieser Vermenschlichung war der Protestantismus. Der Gott, welcher Mensch ist, der menschliche Gott also: Christus – dieser nur ist der Gott des Protestantismus. Der Protestantismus kümmert sich nicht mehr, wie der Katholizismus, darum, was Gott an sich selber ist, sondern nur darum, was er für den Menschen ist; er hat deshalb keine spekulative oder kontemplative Tendenz mehr, wie jener; er ist nicht mehr Theologie – er ist wesentlich nur Christologie, d.i. religiöse Anthropologie.

§ 3.

Der Protestantismus negierte jedoch den Gott an sich oder Gott als Gott – denn Gott an sich ist erst eigentlicher Gott – nur praktisch; theoretisch ließ er ihn bestehen; er ist, aber nur nicht für den Menschen, d.h. den religiösen Menschen – er ist ein jenseitiges Wesen, ein Wesen, das einst erst dort im Himmel ein Gegenstand für den Menschen wird. Aber was jenseits der Religion, das liegt diesseits der Philosophie, was kein Gegenstand für jene, das ist gerade der Gegenstand für diese.

§ 4.

Die rationelle oder theoretische Verarbeitung und Auflösung des für die Religion jenseitigen ungegenständlichen Gottes ist die spekulative Philosophie.

§ 5.

Das Wesen der spekulativen Philosophie ist nichts anderes als das rationalisierte, realisierte, vergegenwärtigte Wesen Gottes. Die spekulative Philosophie ist die wahre, die konsequente, die vernünftige Theologie.

§ 6.

Gott als Gott – als geistiges oder abstraktes, d.i. nicht menschliches, nicht sinnliches, nur der Vernunft oder Intelligenz zugängliches und gegenständliches Wesen ist nichts anderes als das Wesen der Vernunft selbst, welches aber von der gemeinen Theologie oder vom Theismus vermittels der Einbildungskraft als ein von der Vernunft unterschiedenes, selbstständiges Wesen vorgestellt wird. Es ist daher eine innere, eine heilige Notwendigkeit, daß das von der Vernunft unterschiedene Wesen der Vernunft endlich mit der Vernunft identifiziert, das göttliche Wesen also als das Wesen der Vernunft erkannt, verwirklicht und vergegenwärtigt werde. Auf dieser Notwendigkeit beruht die hohe geschichtliche Bedeutung der spekulativen Philosophie.

 

Der Beweis, daß das göttliche Wesen das Wesen der Vernunft oder Intelligenz ist, liegt darin, daß die Bestimmungen oder Eigenschaften Gottes – so weit natürlich diese vernünftige oder geistige sind, nicht Bestimmungen der Sinnlichkeit oder Einbildungskraft – Eigenschaften der Vernunft sind.

«Gott ist das unendliche Wesen, das Wesen ohne alle Einschränkungen«. Aber was keine Grenze oder Schranke Gottes, das ist auch keine Schranke der Vernunft. Wo z.B. Gott ein über die Schranken der Sinnlichkeit erhabenes Wesen ist, da ist es auch die Vernunft. Wer keine andere Existenz denken kann als eine sinnliche, wer also eine durch die Sinnlichkeit beschränkte Vernunft hat, der hat auch eben deswegen einen durch die Sinnlichkeit beschränkten Gott. Die Vernunft, welche Gott als ein unbeschränktese Wesen denkt, die denkt in Gott nur ihre eigene Unbeschränktheit. Was der Vernunft das göttliche, das ist ihr auch erst das wahrhaft vernünftige Wesen – d.h. das vollkommen der Vernunft entsprechende und eben deswegen sie befriedigende Wesen. Das aber, worin sich ein Wesen befriedigt, ist nichts anderes als sein gegenständliches Wesen. Wer sich in einem Dichter befriedigt, ist selbst eine dichterische, wer in einem Philosophen, selbst eine philosophische Natur, und daß er es ist, das wird ihm und anderen erst in dieser Befriedigung Gegenstand. Die Vernunft» bleibt aber nicht bei den sinnlichen, endlichen Dingen stehen; sie befriedigt sich nur in dem unendlichen Wesen«– also ist uns erst in diesem Wesen das Wesen der Vernunft aufgeschlossen.

«Gott ist das notwendige Wesen«. Aber diese seine Notwendigkeit beruht darauf, daß er ein vernünftiges, intelligentes Wesen ist. Die Welt, die Materie hat den Grund, warum sie ist und so ist, wie sie ist, nicht in sich, denn es ist ihr völlig einerlei, ob sie ist oder nicht ist, ob sie so oder anders ist1. Sie setzt daher notwendig als Ursache ein anderes Wesen voraus, und zwar ein verständiges, selbstbewußtes, nach Gründen und Zwecken wirkendes Wesen. Denn nimmt man von diesem anderen Wesen die Intelligenz weg, so entsteht von neuem die Frage nach dem Grund desselben. Die Notwendigkeit des ersten, höchsten Wesens beruht darum auf der Voraussetzung, daß der Verstand allein das erste und höchste, das notwendige und wahre Wesen ist. Wie überhaupt die metaphysischen oder ontotheologischen Bestimmungen erst Wahrheit und Realität haben, wenn sie auf psychologische oder vielmehr anthropologische Bestimmungen zurückgeführt werden, so hat also auch die Notwendigkeit des göttlichen Wesens in der alten Metaphysik oder Ontotheologie erst Sinn und Verstand, Wahrheit und Realität in der psychologischen oder anthropologischen Bestimmung Gottes als eines intelligenten Wesens. Das notwendige Wesen ist das notwendig zu denkende, schlechterdings zu bejahende, schlechterdings unleugbare oder unaufhebbare Wesen, aber nur als ein selbstdenkendes Wesen. In dem notwendigen Wesen beweist und zeigt also die Vernunft nur ihre eigene Notwendigkeit und Realität.

«Gott ist das unbedingte, allgemeine – ›Gott ist nicht dies und das‹ —, unveränderliche, ewige oder zeitlose Wesen. «Aber Unbedingtheit, Unveränderlichkeit, Ewigkeit, Allgemeinheit sind selbst nach dem Urteil der metaphysischen Theologie auch Eigenschaften der Vernunftwahrheiten oder Vernunftgesetze, folglich Eigenschaften der Vernunft selbst; denn was sind diese unveränderlichen, allgemeinen, unbedingten, immer und überall gültigen Vernunftwahrheiten anderes als Ausdrücke von dem Wesen der Vernunft?

«Gott ist das unabhängige, selbständige Wesen, welches keines anderen Wesens zu seiner Existenz bedarf, folglich von und durch sich selbst ist. «Aber auch diese abstrakte metaphysische Bestimmung hat nur Sinn und Realität als eine Definition von dem Wesen des Verstandes und sagt daher nichts weiter aus, als daß Gott ein denkendes, intelligentes Wesen oder umgekehrt nur das denkende Wesen das göttliche ist; denn nur ein sinnliches Wesen bedarf zu seiner Existenz andere Dinge außer ihm. Luft bedarf ich zum Atmen, Wasser zum Trinken, Licht zum Sehen, pflanzliche und tierische Stoffe zum Essen, aber nichts, wenigstens unmittelbar, zum Denken. Ein atmendes Wesen kann ich nicht denken ohne die Luft, ein sehendes nicht ohne Licht, aber das denkende Wesen kann ich für sich isoliert denken. Das atmende Wesen bezieht sich notwendig auf ein Wesen außer ihm, hat seinen wesentlichen Gegenstand, das, wodurch es ist, was es ist, außer sich; aber das denkende Wesen bezieht sich auf sich selbst, ist sein eigener Gegenstand, hat sein Wesen in sich selbst, ist, was es ist, durch sich selbst.

§ 7.

Was im Theismus Objekt, das ist in der spekulativen Philosophie Subjekt, was das dort nur gedachte, vorgestellte Wesen der Vernunft, ist hier das denkende Wesen der Vernunft selbst.

Der Theist stellt sich Gott als ein außer der Vernunft, außer dem Menschen überhaupt existierendes, persönliches Wesen vor – er denkt als Subjekt über Gott als Objekt. Er denkt Gott als ein dem Wesen, d.h. seiner Vorstellung nach geistiges, unsinnliches, aber der Existenz, d.h. der Wahrheit nach sinnliches Wesen; denn das wesentliche Merkmal einer objektiven Existenz, einer Existenz außer dem Gedanken oder der Vorstellung ist die Sinnlichkeit. Er unterscheidet Gott von sich in demselben Sinne, in welchem er die sinnlichen Dinge und Wesen als außer ihm existierende von sich unterscheidet; kurz, er denkt Gott vom Standpunkt der Sinnlichkeit aus. Der spekulative Theologe oder Philosoph dagegen denkt Gott vom Standpunkt des Denkens aus; er hat daher nicht zwischen sich und Gott in der Mitte die störende Vorstellung eines sinnlichen Wesens; er identifiziert somit ohne Hindernis das objektive, gedachte Wesen mit dem subjektiven, denkenden Wesen.

Die innere Notwendigkeit, daß Gott aus einem Objekt des Menschen zum Subjekt, zum denkenden Ich des Menschen wird, ergibt sich aus dem bereits Entwickelten näher so: Gott ist Gegenstand des Menschen, und nur des Menschen, nicht des Tieres. Was aber ein Wesen ist, das wird nur aus seinem Gegenstand erkannt; der Gegenstand, auf den sich ein Wesen notwendig bezieht, ist nichts anderes als sein offenbares Wesen. So ist der Gegenstand der pflanzenfressenden Tiere die Pflanze; aber durch diesen Gegenstand unterscheiden sich wesentlich dieselben von den anderen, den fleischfressenden Tieren. So ist der Gegenstand des Auges das Licht, nicht der Ton, nicht der Geruch. Im Gegenstand des Auges ist uns aber sein Wesen offenbar. Ob einer nicht sieht oder kein Auge hat, ist darum einerlei. Wir benennen daher auch im Leben die Dinge und Wesen nur nach ihren Gegenständen. Das Auge ist das» Lichtorgan«. Wer den Boden bebaut, ist ein Bauer; wer die Jagd zum Objekt seiner Tätigkeit hat, ist ein Jäger; wer Fische fängt, ein Fischer usw. Wenn also Gott – und zwar, wie er es ja ist, notwendig und wesentlich – ein Gegenstand des Menschen ist, so ist in dem Wesen dieses Gegenstandes nur das eigene Wesen des Menschen ausgesprochen. Stelle Dir vor, ein denkendes Wesen auf einem Planeten oder gar Kometen bekäme zu Gesicht die paar Paragraphen einer christlichen Dogmatik, welche von dem Wesen Gottes handeln. Was würde dieses Wesen aus diesen Paragraphen folgern? Etwa die Existenz eines Gottes im Sinne einer christlichen Dogmatik? Nein! Es würde nur daraus folgern, daß auch auf der Erde denkende Wesen sind; es würde in den Definitionen der Erdbewohner von ihrem Gott nur Definitionen von ihrem eigenen Wesen, z.B. in der Definition: Gott ist ein Geist, nur den Beweis und Ausdruck ihres eigenen Geistes finden; kurz, es würde aus dem Wesen und den Eigenschaften des Objektes auf das Wesen und die Eigenschaften des Subjektes schließen. Und mit vollem Recht; denn die Unterscheidung zwischen dem, was der Gegenstand an sich selbst, und dem, was er für den Menschen ist, fällt bei diesem Objekt weg. Diese Unterscheidung ist nur an ihrem Platz bei einem unmittelbar sinnlich, und eben deswegen auch noch anderen Wesen außer dem Menschen gegebenen Gegenstand. Das Licht ist nicht nur für den Menschen da, es affiziert auch die Tiere, auch die Pflanzen, auch die unorganischen Stoffe: es ist ein allgemeines Wesen. Um zu erfahren, was das Licht ist, betrachten wir darum nicht nur die Eindrücke und Wirkungen desselben auf uns, sondern auch auf andere, von uns unterschiedene Wesen. Notwendig, objektiv begründet ist daher hier die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand an sich selbst und dem Gegenstand für uns, namentlich zwischen dem Gegenstand in der Wirklichkeit und dem Gegenstand in unserem Denken und Vorstellen. Gott aber ist nur ein Gegenstand des Menschen. Die Tiere und Sterne preisen Gott nur im Sinne des Menschen. Es gehört also zum Wesen Gottes selbst, daß er keinem anderen Wesen außer dem Menschen Gegenstand, daß er ein spezifisch menschlicher Gegenstand, ein Geheimnis des Menschen ist. Wenn aber Gott nur ein Gegenstand des Menschen ist, was offenbart sich uns im Wesen Gottes? Nichts anderes als das Wesen des Menschen. Wem das höchste Wesen Gegenstand ist, das ist selbst das höchste Wesen. Je mehr den Tieren vom Menschen Gegenstand wird, desto höher stehen sie, desto mehr nähern sie sich dem Menschen. Ein Tier, dem der Mensch als Mensch, das eigentliche menschliche Wesen Gegenstand wäre, das wäre kein Tier mehr, sondern selber Mensch. Nur ebenbürtige Wesen sind sich Gegenstand, und zwar so, wie sie an sich sind. Die Identität des göttlichen und menschlichen Wesens fällt nun allerdings auch in das Bewußtsein des Theismus. Aber weil er Gott, ungeachtet daß er das Wesen Gottes in den Geist setzt, doch zugleich als ein außer dem Menschen existierendes, sinnliches Wesen vorstellt, so ist ihm auch diese Identität nur als sinnliche Identität, als Ähnlichkeit oder Verwandtschaft Gegenstand. Verwandtschaft drückt dasselbe aus, als Identität, aber es ist mit ihr zugleich verbunden die sinnliche Vorstellung, daß die verwandten Wesen zwei selbständige, d.i. sinnliche, außereinander existierende Wesen sind.

§ 8.

Die gemeine Theologie macht den Standpunkt des Menschen zum Standpunkt Gottes; die spekulative dagegen macht den Standpunkt Gottes zum Standpunkt des Menschen oder vielmehr des Denkers.

Gott ist der gemeinen Theologie Objekt, und zwar gerade so, wie irgendein anderes sinnliches Objekt; aber zugleich ist er ihr wieder Subjekt, und zwar Subjekt, gerade wie das menschliche Subjekt: Gott bringt Dinge außer sich hervor, hat Beziehungen zu sich selbst und zu anderen, außer ihm existierenden Wesen, liebt und denkt sich zugleich und andere Wesen. Kurz, der Mensch macht seine Gedanken und selbst Affekte zu Gedanken und Affekten Gottes, sein Wesen, seinen Standpunkt zum Wesen und Standpunkt Gottes. Die spekulative Theologie aber kehrt dies um. In der gemeinen Theologie ist daher Gott ein Widerspruch mit sich selbst, denn er soll ein nicht-, ein übermenschliches Wesen sein, aber ist doch allen seinen Bestimmungen nach in Wahrheit ein menschliches; in der spekulativen Theologie oder Philosophie ist dagegen Gott ein Widerspruch mit dem Menschen – er soll das Wesen des Menschen – wenigstens der Vernunft – sein, und ist doch in Wahrheit ein nicht-, ein übermenschliches, d.i. abstraktes Wesen. Der übermenschliche Gott ist in der gemeinen Theologie nur eine erbauliche Floskel, eine Vorstellung, ein Spielzeug der Phantasie, in der spekulativen Philosophie dagegen Wahrheit, bitterer Ernst. Der heftige Widerspruch, den die spekulative Philosophie gefunden, hat nur darin seinen Grund, daß sie den Gott, welcher im Theismus nur ein Wesen der Phantasie, ein ferngehaltenes, unbestimmtes, nebuloses Wesen ist, zu einem gegenwärtigen, bestimmten Wesen gemacht, und dadurch den illusorischen Zauber zerstört hat, den ein entferntes Wesen im blauen Dunst der Vorstellung hat. So haben die Theisten sich darüber geärgert, daß die Logik nach Hegel die Darstellung Gottes in seinem ewigen, vorweltlichen Wesen sei und doch, z.B. in der Lehre von der Quantität, von der extensiven und intensiven Größe, den Brüchen, den Potenzen, den Maßverhältnissen usw. handle. Wie, riefen sie entsetzt aus, dieser Gott soll unser Gott sein? Und doch, was ist er anderes als der aus dem Nebel der unbestimmten Vorstellung an das Licht des bestimmenden Gedankens hervorgezogene, der, sozusagen ad coram, beim Wort genommene Gott des Theismus, welcher alles nach Maß, Zahl und Gewicht geschaffen und geordnet hat? Wenn Gott alles nach Zahl und Maß geordnet und geschaffen, also Maß und Zahl, ehe sie an den außergöttlichen Dingen zur Wirklichkeit kamen, im Verstand und folglich im Wesen Gottes – denn zwischen Gottes Verstand und seinem Wesen ist kein Unterschied – enthalten waren und heute noch sind, gehört denn nicht auch die Mathematik zu den Mysterien der Theologie? Aber freilich sieht ein Wesen ganz anders in der Einbildung und Vorstellung aus, als in der Wahrheit und Wirklichkeit; kein Wunder, daß denen, die nur nach dem Aussehen, nach dem Schein sich richten, das eine und selbe Wesen als zwei ganz verschiedene Wesen erscheint.

 

§ 9.

Die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate des göttlichen Wesens sind die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate der spekulativen Philosophie.

§ 10.

Gott ist reiner Geist, reines Wesen, reine Tätigkeit – actus purus – ohne Leidenschaften, ohne Bestimmungen von außen, ohne Sinnlichkeit, ohne Materie. Die spekulative Philosophie ist dieser reine Geist, diese reine Tätigkeit, verwirklicht als Denkakt – das absolute Wesen als absolutes Denken.

Wie einst die Abstraktion von allem Sinnlichen und Materiellen die notwendige Bedingung der Theologie war, so war sie auch die notwendige Bedingung der spekulativen Philosophie, nur mit dem Unterschied, daß die Abstraktion der Theologie, weil ihr Gegenstand, obwohl ein abstraktes Wesen, doch zugleich wieder als ein sinnliches Wesen vorgestellt wurde, selbst eine sinnliche Abstraktion, Asketik war, während die Abstraktion der spekulativen Philosophie nur eine geistige, denkende ist, nur eine szientifische oder theoretische, keine praktische Bedeutung hat. Der Anfang der Cartesischen Philosophie, die Abstraktion von der Sinnlichkeit, von der Materie ist der Anfang der neueren spekulativen Philosophie. Aber Cartesius und Leibniz betrachteten diese Abstraktion nur als eine subjektive Bedingung, das immaterielle göttliche Wesen zu erkennen, sie stellten sich die Immaterialität Gottes als eine von der Abstraktion, vom Denken unabhängige, objektive Eigenschaft vor; sie standen noch auf dem Standpunkt des Theismus, machten das immaterielle Wesen nur zum Objekt aber nicht zum Subjekt, zum aktiven Prinzip, zum wirklichen Wesen der Philosophie selbst. Allerdings ist auch bei C. und L. Gott Prinzip der Philosophie, aber nur als ein vom Denken unterschiedenes Objekt – darum Prinzip nur im allgemeinen, nur in der Vorstellung, nicht in der Tat und Wahrheit. Gott ist nur die erste und allgemeine Ursache der Materie, der Bewegung und Tätigkeit; aber die besonderen Bewegungen und Tätigkeiten, die bestimmten wirklichen, materiellen Dinge werden unabhängig von Gott betrachtet und erkannt. L. und C. sind nur im allgemeinen Idealisten, im besonderen bloße Materialisten. Gott nur ist der konsequente, der vollständige, wahre Idealist, denn er nur stellt alle Dinge ohne Dunkelheit sich vor, d.h. im Sinne der Leibnizschen Philosophie ohne Sinne und Einbildungskraft; er ist reiner, d.i. von aller Sinnlichkeit und Materialität abgesonderter Verstand; für ihn sind daher die materiellen Dinge pure Verstandeswesen, pure Gedanken; für ihn existiert überhaupt gar keine Materie, denn diese beruht nur auf dunkeln, d.i. sinnlichen Vorstellungen. Aber gleichwohl hat bei L. auch der Mensch schon eine gute Portion Idealismus in sich – wie wäre es auch möglich, sich ein immaterielles Wesen vorzustellen, ohne ein immaterielles Vermögen und folglich ohne immaterielle Vorstellungen zu haben? – denn er hat außer den Sinnen und der Einbildungskraft Verstand, und der Verstand ist eben immaterielles, reines, weil denkendes Wesen; nur ist der Verstand des Menschen nicht ganz so rein, nicht in der Unbeschränktheit und Ausdehnung rein, wie der göttliche Verstand oder das göttliche Wesen. Der Mensch, respektive dieser Mensch: Leibniz ist also ein partialer, halber Idealist, Gott nur ein ganzer Idealist, Gott nur» der vollkommene Weltweise«, wie er ausdrücklich von Wolff genannt wird; d.h. Gott ist die Idee des vollendeten, des bis ins Spezielle durchgeführten, des absoluten Idealismus der späteren spekulativen Philosophie. Denn was ist der Verstand, was das Wesen Gottes überhaupt? Nichts anderes, als der Verstand, als das Wesen des Menschen, abgesondert von den Bestimmungen, die zu einer bestimmten Zeit Schranken des Menschen sind, seien sie nun wirkliche oder vermeintliche. Wer keinen mit seinen Sinnen entzweiten Verstand hat, die Sinne nicht für Schranken hält, der stellt sich auch nicht einen Verstand ohne Sinne als den höchsten, den wahren Verstand vor. Was ist aber die Idee einer Sache anderes als ihr Wesen, gereinigt von den Beschränkungen und Verdunklungen, die sie in der Wirklichkeit, wo sie im Zusammenhang mit anderen Dingen steht, erleidet? So liegt die Schranke des menschlichen Verstandes nach Leibniz darin, daß er mit dem Materialismus, d.i. mit dunkeln Vorstellungen behaftet ist; aber diese dunkeln Vorstellungen entspringen selbst wieder nur daraus, daß das menschliche Wesen im Zusammenhang mit anderen Wesen, mit der Welt überhaupt steht. Aber diese Verbindung gehört nicht zum Wesen des Verstandes, sie steht vielmehr im Widerspruch mit demselben, denn er ist an sich, d.i. in der Idee ein immaterielles, d.i. für sich selbst seiendes, isoliertes Wesen. Und diese Idee, dieser also von allen materialistischen Vorstellungen gereinigte Verstand ist eben der göttliche Verstand. Was aber bei Leibniz nur Idee war, das wurde in der späteren Philosophie Wahrheit und Wirklichkeit. Der absolute Idealismus ist nichts anderes als der realisierte göttliche Verstand des Leibnizschen Theismus, der systematisch durchgeführte reine Verstand, der alle Dinge ihrer Sinnlichkeit entkleidet, sie zu puren Verstandeswesen, zu Gedankendingen macht, der mit nichts Fremdartigem behaftet, nur mit sich selbst, als dem Wesen der Wesen beschäftigt ist.

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