Ich rede zu viel

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Damals lernte ich auch, wie man mit dem Publikum kommuniziert, egal, ob es sich nun freundlich oder feindselig gab – und bei Butlin’s kam das manchmal gleichzeitig vor. Man hatte uns im Rahmen der Promotion für den Pig & Whistle gebucht, der so war, wie er klang – ein Pub. Allerdings ein ziemlich abgewrackter und mieser Pub. Dort fanden problemlos 1.200 Gäste Platz, doch sie saßen alle an Tischen oder auf Hockern. Vor der Bühne war zum Tanzen kaum Platz. Die Leute flegelten sich also an ihre Tische und tranken – und tranken und tranken. Und dann rückten sie uns auf die Pelle und torkelten, ähm tanzten.

Ganz in der Nähe lag ein weiterer Veranstaltungsort, der Rock and Roll Ballroom. Wir verstanden zuerst nicht, warum man die Band für den Laden buchte. Letztendlich überredeten sie uns aber, und wir sahen das als eine willkommene Abwechslung an – bis zum ersten Auftritt, denn kaum jemand tauchte dort auf. Die Leute waren alle im Pig & Whistle, wo sie sich volllaufen ließen, und wir sahen bei einigen unserer Sets lediglich 20 Zuschauer. In der letzten halben Stunde – Pig & Whistle hatte nun geschlossen – strömten dann jedoch wahre Menschenmengen in den Laden!

Im Ballroom gelang es uns endlich, eine kleine Fangemeinde aufzubauen. Auch lernten wir, das Programm nicht überambitioniert zu gestalten. Wir erschienen dort mit der Einstellung, die aufregende neue Band zu sein, total angesagt aufgrund unserer modernen Ideen, wobei wir einen Mix aus eigenen Songs und Coverversionen präsentierten. Wir spielten anfangs aber keine naheliegenden Songs oder Stücke aus den Charts. Mein lieber Freund, das änderte sich allerdings schnell. Bei den ersten Shows versorgten wir das Publikum mit einer wirklich coolen Auswahl von Hits der Everly Brothers, Chuck Berry, einigen frühen Elvis-Titeln und ein paar eigenen Nummern – und starben einen schmerzhaften Tod. Die Leute brüllten Songwünsche oder gingen sofort.

Den Hinweis, wie wir die Besucher beglücken konnten, lieferte Roy, als er den Leadgesang bei einer wirklich schmalzig-süßlichen Fassung von Elvis’ „I Can’t Help Falling In Love“ übernahm, die er wie ein Pub-Sänger brachte, der sich am King versuchte. Das löste einen regelrechten Begeisterungstaumel aus. Die Zuschauer standen am Ende auf und applaudierten frenetisch. Nun lernten wir eine weitere bedeutende Lektion: Es war vollkommen egal, welche Songs wir mochten, es zählte nur, welche Songs das Publikum mochte. Das war eine immer gültige Regel, die sogar noch nach der Veröffentlichung der ersten Platten und den ersten Hits Bestand hatte. Auf Alben darf man problemlos seine „künstlerischen Visionen“ verwirklichen, doch Gnade dir Gott, wenn du die Hits nicht live spielst.

Diese Regel gilt besonders, wenn man vor einem zahlenden Publikum auftritt, denn eben dieses hält das Zepter in der Hand und nicht du. Wir lernten die harten Fakten bei Butlin’s und vergaßen sie nie. Man beobachtete das auch bei den anderen Bands, wie sie sich anpassten und das spielten, was den Massen gefiel. Eine Band, die Olympic Five, arbeiteten sich durch ihr Set, bis sie zu dem Song mit dem Titel „The Hucklebuck“ kamen, diese Chubby-Checker-Nummer, ein Nachfolger des populären Hits „The Twist“, die aber nie in Großbritannien erschien. Die Band hatte eine optimale Fassung des Titels ausgearbeitet, die großartig ankam. Je betrunkener die Menge wurde, desto frenetischer reagierte sie. Wenn die Gruppe mit „The Hucklebuck“ startete, rastete der ganze Laden aus.

Wir schauten uns das an und dachten – okay, das haben wir kapiert! Nun wussten wir, was man machen musste. Allerdings hatten wir noch nicht die richtigen Songs. Nach unseren Erfahrungen bei Butlin’s konnten wir aber mit zwei wichtigen Aspekten auftrumpfen – wir waren eine dynamischere Live-Band und besaßen größere Professionalität. Auch hatten wir – obwohl das noch niemand von uns wusste – ein neues Bandmitglied in unseren Reihen. Sein Name lautete Ricky Harrison, und als ich ihm das erste Mal begegnete, war ich überzeugt, dass er schwul ist, obwohl wir das Wort damals nicht benutzten. Volles blondes Haar, knallenge Hosen und ein Grinsen bis über beide Ohren. Überaus freundlich. Und das genau machte mich stutzig, denn ich war es nicht gewohnt, wenn sich andere Jungs so nett verhielten. Ich kannte nur Muskel­protze und harte Kerle. Und dieser Ricky Harrison glich ihnen in keiner Weise.

Wie sich herausstellte, spielte er in dem Jahr mit einer anderen Band bei Butlin’s – einem kleinen Kabarett-Trio namens The Highlights, das aus Ricky und zwei Mädchen bestand – Zwillingen mit den Namen Jean und Gloria Harrison. Die Mädels hatten dunkle Haare, und Ricky war blond, was im Kontrast ihr Image ausmachte. Sie begannen ihre Show mit „Whole Lotta Shakin’ Going On’“ und einigen anderen gefälligen, Publikums-tauglichen Nummern, wonach die Mädels sich zu einem Kostümwechsel zurückzogen und Ricky „Baby Face“ sang. Kitschig bis zum Abwinken, doch das Publikum liebte es.

Sie waren für das Gaiety Theatre gebucht, das im Gegensatz zu unserem Schuppen hauptsächlich von Omis und Kids besucht wurde. Man sollte den Eindruck haben, dass Ricky der Bruder der beiden Mädels war, was wir auch glaubten, bis er uns erklärte, dass dies alles Teil des Konzepts sei. Er verriet uns seinen richtigen Namen, Richard Parfitt, und dass er das Parfitt seit jeher nicht möge, weshalb sich Harrison angeboten habe. Natürlich muss man nicht erwähnen, dass er sich ganz und gar nicht wie ein Bruder verhielt und mit beiden zu bestimmten Zeiten Affären hatte. Diese spezielle Art des Beziehungs-Wirrwarrs sollte sich – wie wir, und besonders ich, schon bald herausfanden – wie ein roter Faden durch Ricks ganzes Leben ziehen.

Rick war während eines Gigs am Nachtmittag auf uns zugekommen und hatte sich vorgestellt. Als er sah, was wir machten, stellte sich ziemlich schnell heraus, dass er lieber in einer Popband spielen wollte, da es besser zu ihm passte, als mit zwei Mädels zu trällern. Er war ein großer Cliff-Richard-Fan und sah sich in seinen Träumen als frühen Cliff, einen ungezogenen, aber liebenswürdigen Rock’n’Roll-Sänger. Ich mochte ihn auf den ersten Blick, obwohl ich annahm, er sei eine Tunte, ein Begriff, den wir damals benutzten. Als er mich über seine sexuelle Orientierung aufklärte, konnte ich es kaum fassen.

Rick freundete sich schnell mit mir und Alan an. Da Roy so viel älter war und John ein unbeschriebenes Blatt, wie man so sagt, fand ich es toll, einen gleichaltrigen Freund an meiner Seite zu wissen, mit dem man sich herumtreiben und Spaß haben konnte. Rick wurde sieben Monate vor mir geboren, im Sternzeichen Waage – eins der Zeichen, mit dem Zwillinge wie ich gut harmonieren. Er stammte aus Woking, Surrey, das im Grunde genommen tief im Südwesten Londons liegt, nahe genug an der Gegend, aus der Alan und ich kamen, womit er beinahe einer von uns war.

Rick war einfach nett und locker, ein Mensch, den man gerne in seiner Nähe weiß. Im Gegensatz zu mir plagten ihn weder Ängstlichkeit noch Unsicherheit. Ihm fiel scheinbar alles zu. Zumindest hatte man den Eindruck. Rick war Einzelkind, der wie die meisten alleine aufwachsenden Kids mit Liebe und Zuneigung überschüttet worden war – jedoch nicht so verzogen, dass er meinte, er sei unschlagbar. Rick sah immer die positiven Seiten. Er gab niemals auf, war einer der Menschen, die immer positiv denken („Warum sollte ich mir Sorge machen?“), einer derjenigen, die mit strahlendem Lächeln im Gesicht herumlaufen, von denen man gemocht werden will. Schon allein aus dem Grund wurden wir schnell Freunde, aber auch, weil er mir so wenig ähnelte, für mich eher ein Vorbild darstellte. Erst viel später erfuhr ich, dass Rick tatsächlich so wie ich werden wollte, aber dazu kommen wir noch.

Rick bewies mir seine Freundschaft, als man mich aus der Unterkunft warf, in der wir wohnten. Ich hatte dort mit einem Mädchen geschlafen, und sie erwischten mich dabei. Es war das Mädchen, das ich bald heiraten sollte. Sie hieß Jean Smith und arbeitete mit ihrer Schwester Pat im Butlin’s. Ich weiß, dass es unglaublich schmalzig klingt, aber als ich sie das erste Mal ins Visier nahm, schwor ich mir: „Ich werde sie heiraten.“ Ich wusste es einfach.

Ich werde niemals den Morgen vergessen, an dem man mich rausschmiss, denn es war der Tag, an dem Jean und ich zum ersten Mal Sex miteinander hatten. Sie war noch Jungfrau – wie damals alle „braven Mädchen“ vor der Hochzeit, ha, verdammt noch mal, ha, ha, ha –, und ich hatte meine Probleme, ihr meinen Pimmel reinzustecken. Wir versuchten es zwei oder drei Tage hintereinander, bis mir endlich die große Tat gelang. Als es endlich funktionierte, war es mehr Erleichterung als alles andere. Ich zweifle stark daran, dass einer von uns Spaß dabei hatte. Wir machten uns jedenfalls an jenem Morgen gerade wieder ans „Spiel“, als die Hauswirtin – eine fiese, fette Schottin – reinplatzte und mich wortwörtlich von Jean herunterriss.

Zuerst warf sie Jean raus – „Du verdorbene Schlampe“ – und dann mich. Ich musste mich dann damit abfinden, allein am Strand zu nächtigen, bis mir Rick zu Hilfe eilte, indem er Jean sein Zimmer überließ und anbot, sich am Strand zu mir zu gesellen. Wir schliefen die nächsten Nächte unter einigen alten Liegestühlen, die wir zu einer Art Hütte zusammenstellten. In anderen Nächten hockten wir uns in Telefonzellen oder schliefen in öffentlichen Toiletten.

In dieser Zeit näherten wir uns freundschaftlich an, während mein ehemals gutes Verhältnis zu Alan einer Achterbahnfahrt glich. Wir fetzten uns ständig. Wenn Rick die Streitereien erlebte, fühlte er sich höchst unwohl. Eines Tages kamen wir gerade von der Bühne und schlugen uns beinahe die Köpfe ein. Ich habe Gewalt immer gehasst, habe danach immer geweint. Ich glaube aber, dass Rick durch den Zwischenfall noch mehr aus der Bahn geworfen wurde als Alan oder ich. Als Nächstes verzog sich Alan mit einer der Zwillingsschwestern, aber ich kann mich nicht genau erinnern, mit welcher er schlief. Sie ähnelten sich so sehr! Rick stand in dem Moment neben sich selbst, denn er war total in Jean verknallt (der von seiner Band, nicht in meine Jean). Obwohl ich vermute, dass Alan sich Gloria schnappte, stieg der Zwischenfall Rick zu Kopf. Davon abgesehen, verstanden sich Rick und Alan verdammt gut. Sie waren im selben Alter, teilten ähnliche Interessen und standen beide auf Mode – Alan mit seinen aufgemotzten Anzügen und Rick mit den knallengen Hosen.

 

Als sich die Saison ihrem Ende näherte und wir uns auf die Rückkehr nach Hause vorbereiteten, sah man Rick seine Traurigkeit an. Er war schon zu einem Teil unserer verschworenen Gemeinschaft, unserer Gang geworden. Dennoch erzählte er mir erst später von seiner Absicht, einzusteigen. Ich hingegen nahm an, dass Rick weitermachen und der nächste Des O’Connor werden wollte. Doch glücklicherweise blieben wir in Kontakt, hauptsächlich durch Alan. Rick tauchte gelegentlich auf und übernachtete in der Wohnung von Alans Eltern. Manchmal besuchte er uns auch bei Konzerten.

Ungefähr zu der Zeit nahmen wir endlich eine Platte auf. Pat Barlow war es irgendwie gelungen, einen Deal mit Piccadilly Records anzuleiern, einem Ableger von Pye, dessen populärster Act Joe Brown and the Bruvvers war.

Wir hatten einige Nummern aufgenommen – sie locker-flockig in einem winzigen und nur für einen Nachmittag gebuchten Studio in Soho eingespielt –, und Pat schickte Kopien des Tonbands zu verschiedenen Plattenfirmen und Musikverlagen. Das Resultat: absolut keine Resonanz, bis sich aus heiterem Himmel ein Typ namens Ronnie Scott meldete – der Vorstand des Musikverlags Valley Music und nicht zu verwechseln mit dem berühmten britischen Jazz-Musiker, der später den gleichnamigen Club in Soho eröffnete. Er sagte Pat, dass er das Demo gehört habe, dass es Potenzial erkennen lasse und wir ihn aufsuchten sollten, um einen Vertrag zu diskutieren. Daraus resultierte die Einladung, Aufnahmen mit John Schroeder zu machen, dem Hausproduzenten von Pye.

John ließ sich als „alter, erfahrener Kopf auf jungen Schultern“ beschreiben. Er wurde schon mit 26 Jahren mit dem Ivor Novello Award für seine Co-Autorenschaft bei „Walkin’ Back To Happiness“ ausgezeichnet, einer Nummer für Helen Shapiro. Daneben leitete er das John Schroeder Orchestra, das einige Easy-Listening-Hits hatte und Themen für Serien wie Auf der Flucht produzierte. Er war ein liebenswerter Mann und machte den Musikern immer Mut. John erklärte Pat: „The Spectres sind so weit von Glanz und Glorie entfernt!“, wonach er mit den Fingern schnippte. Wir liebten ihn regelrecht.

Trotzdem war die erste Single mit John eine Coverversion von „I (Who Have Nothing)“ – bitte kein Gelächter auf den billigen Plätzen –, womit Shirley Bassey 1963 einen großen Hit gehabt hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass er auf dem italienischen Stück „Uno Dei Tanti“ basierte, hatte ich überhaupt keine Affinität zu dem Song. Die Verantwortlichen bei Piccadilly hielten es jedoch für eine gute Idee, und wer waren wir schon, um uns mit einem bewährten Hit-Produzenten wie John anzulegen? Außerdem stand Alan auf den Song. Ich glaube, er schlug ihn sogar vor. Als brave Jungs spielten wir ihn also ein. Sie können sich das Stück heute auf YouTube anhören, doch ich würde es als großen persönlichen Gefallen wertschätzen, wenn Sie es lassen! Letztendlich brachte beinahe jeder eine Coverversion des Titels heraus – von Joe Cocker über Petula Clark bis hin zu Liza Minelli, Katherine Jenkins und Donny Osmond –, doch ich kann Ihnen versichern, dass unsere die schlechteste ist. Lasst uns nie wieder darüber reden.

Rick dachte dennoch, das sei die wohl fantastischste Aktion, die jemals realisiert worden war. Als er die Platte das erste Mal in Händen hielt, begann er sogar zu zittern. Damals hatten sich die Highlights aufgelöst, und wir alle wussten, dass er sich nach einer neuen Band umschaute. Er schuftete als Fahrer eines Brotlieferwagens und tat mir wirklich leid, da ich wusste, wie knapp ich dem Schicksal eines Eiswagenfahrers entronnen war. Doch damals mussten wir aus finanziellen Gründen alle verschiedenen Teilzeitjobs nachgehen. Alan verdingte sich als Fensterputzer, und ich arbeitete zeitweise als Gärtner für die Londoner Stadtverwaltung und half beim lokalen Optiker aus.

Dann hatte Pat Barlow eine weitere seiner zündenden Ideen. Ein besonders schlauer Kerl von Piccadilly hatte ihm den Vorschlag unter die Nase gerieben: Warum nahmen wir nicht Rick in die Band auf? Wir brauchten doch sicherlich eine zusätzliche Stimme und einen Gitarristen. Tatsächlich wollte er mich als Frontmann ablösen, doch das wurde mir erst einige Zeit später klar. Er suchte einen Musiker mit einer besseren Stimme, einen „richtigen“ Sänger.

Wie üblich, machten wir kommentarlos mit. Davon abgesehen, war Rick ein wahrer Freund. Hätte das bedeutet, Fremde zum Vorsingen einzuladen, hätten wir möglicherweise abgelehnt. Doch es war nun mal Rick – mit seinen blonden Haaren und diesen knallengen Hosen. Und er konnte singen. Auch die anderen empfanden das als gute Idee, sogar Alan, was mich verblüffte, denn meist hinterfragte er jede Entscheidung, ob wichtig oder nicht. Später erfuhr ich, dass Pat ihn auf raffinierte Weise überredet hatte, bevor er mit der restlichen Band sprach.

Und so baten wir Pat also, Rick anzurufen und zu fragen. Ich glaube, er willigte ein, noch bevor Pat seine Frage beendet hatte. Am nächsten Tag erschien er in unserem neuen Probedomizil, das im Keller von Pats Ausstellungsraum am Lambeth Walk lag. Er setzte sich hin, schob den Klinkenstecker in den Verstärker – und heraus kam ein schrecklicher Krach. Bis zu dem Moment hatte noch niemand bemerkt, dass Rick nicht besonders gut Gitarre spielte. Vor unserem geistigen Auge sahen wir ihn immer nur „Baby Face“ schrubben.

Nachdem er gegangen war, wollten die anderen ihn unbedingt wieder loswerden, doch ich bestand darauf, dass er blieb. Ich spürte, dass er etwas hatte – und natürlich gut sang –, und glaubte fest daran, dass er auf der Gitarre nur noch besser werden konnte. Murrend stimmten die anderen zu. Beim ersten Gig stöpselten wir seine Gitarre jedoch insgeheim aus. Doch das war das einzige Mal, dass wir zu so einer Notlösung griffen. Rick sah den Einstieg in die Band als seine große Chance und zeigte sich zum zügigen Üben fest entschlossen. Und das tat er auch.


Rick Parfitt – wie man ihn nun nannte – in der Band zu haben, verlief nicht nach den Vorstellungen von Pat Barlow und den anderen. Ich glaube, sie erhofften sich einen neuen Frontmann, der singen und Gitarre spielen konnte. Stattdessen entwickelten Rick und ich von Anfang an eine Art harmonisierendes „Frontmann-Duo“, dass ich mir seit den Tagen wünschte, als ich meinen Bruder für eine Band im Stil der Everly Brothers gewinnen wollte. Als Rick zu uns stieß, waren die Beatles das größte Ding überhaupt, und sie hatten mit John Lennon und Paul McCartney ein ähnliches Line-up. Das glich auch Mike Pender und Tony Jackson von den Searchers und vielen anderen Bands der Ära wie den Merseybeats.

Es gab noch einen zusätzlichen Punkt, der sich durch Ricks Einstieg bei der Gruppe verbesserte, zumindest meiner Auffassung nach. Welchen? Ich mochte ihn! Roy war für mich viel zu alt, um mit ihm auf einer gleichberechtigten Ebene zu stehen. John war eher verschlossen – bis er nicht mehr verschlossen war und durch die Decke ging. Und Alan gab sich viel zu dominant, weshalb ich mich nie richtig entspannen konnte.

Rick und ich hatten dasselbe Alter, und er verhielt sich immer sehr angenehm. Er war einfach nur nett – eine wahrhaft sanfte Seele mit einem großartigen Sinn für Humor. Bei ihm fühlte ich etwas, das ich bei den anderen Bandmitgliedern nicht erlebte. Wenn ich als Teenager die Schnauze voll hatte oder genervt war, begann ich schnell zu weinen. Alan schäumte dann vor Wut: „Hör sofort damit auf! Das ist doch peinlich“ Doch Rick ging auf mich zu, umarmte mich kurz und versuchte, mich zu trösten. Er war immer ein richtiger „Umarmer“.

Beim ersten gemeinsamen Gig lieh ich ihm einige meiner Klamotten, denn er hatte keinen „trendigen“ Bühnendress – sagte er zumindest. Natürlich besaß er einige schicke Outfits, doch er wollte sichergehen, stilistisch zu uns zu passen.

Man kann uns tatsächlich als Brüder bezeichnen. Bei den frühen Tourneen schliefen wir manchmal sogar in einem Bett. Aber nicht wie Bowie oder Elton – wie ich unterstreichen möchte. Eher wie Morecombe and Wise in den Sketchen, wo sie zusammen in einem Bett liegen und sich zanken und auf den Arm nehmen. Damals mussten sich junge Männer häufig ein Bett teilen. Waren es Einzelbetten schoben wir sie immer zusammen. Das war alles okay, bis auf den Fall, wenn einer von uns eine Mieze anschleppte. Oftmals lag Rick mit irgendeinem Mädchen im Bett neben mir, und ich musste mir anhören, was da vor sich ging. Einmal stritt er sich mit einem Mädel, und sie stand auf und fluchte: „Ich muss pissen!“ Ich erinnere mich noch an den Kommentar, den ich in Gedanken anbrachte: „Die Frau hat Klasse!“ Dann kam sie zurück und giftete: „Ich hab das Gefühl, dass ich heute noch einen erdolchen muss!“ In der Nacht machte ich kein Auge mehr zu. Rick auch nicht.

Da damals anscheinend jeder glaubte, Rick sei schwul – oder eine Tunte, wie man sagte –, machten wir uns manchmal einen Spaß daraus und hielten in der Öffentlichkeit Händchen.

Das brachte Alan und John – die buchstäblichen Macho-Typen – auf die Palme. Besonders Alan ärgerte sich, denn ich glaube ernsthaft, dass er so seine Zweifel hegte. Um den Kontext herzustellen und das Verständnis solcher Vorurteile zu erleichtern, muss man darauf hinweisen, dass Homosexualität in Großbritannien bis 1967 illegal war. Gab man sich öffentlich „homo“, musste man sich auf jeden nur erdenklichen Ärger einstellen. Das begann mit der Ahndung des Gesetzesverstoßes und endete – war man nicht vorsichtig – mit Alan, der zu brüllen anfing.

Die Live-Szene hatte sich über den Sommer unseres Gastspiels hinweg verändert, und die Art von Beatband mit ausgeflippten Sachen, für die die Spectres standen, war aus der Mode gekommen. Wir hatten schon eine zweite Single mit dem Titel „Hurdy Gurdy Man“ auf den Markt gebracht. Nein, nicht den superben Donovan-Hit, der ein Jahr später erschien, sondern ein kleines Liedchen, das Alan angeschleppt hatte. Es war schmissig und poppig und ein totaler Reinfall. Es gab auch noch die dritte Single „(We Ain’t Got) Nothing Yet“, das Cover eines Songs der Blues Magoos, früher im Jahr ein Hit in den USA. Ich glaubte, mit der Nummer eine Chance zu haben, da wir das Original beinahe Note für Note kopierten. Das Stück klang packend und vereinnahmend. Aber nein, auch diese Single starb ihren frühzeitigen Tod.

Es war der Beginn der Mod-Ära und neuer Londoner Formationen wie der Small Faces, der Kinks und von The Who. Plötzlich konnte Pat kaum mehr Gigs für die Spectres buchen, und deshalb nannten wir uns Traffic – bis man wenige Monate später bekanntgab, dass Steve Winwood die Spencer Davis Group verlassen habe, um eine neue Gruppe ins Leben zu rufen – mit dem schönen Namen Traffic. Es schien einfach nicht fair zu sein, dass er das so einfach machen konnte, da wir eindeutig die ersten mit dem Namen gewesen waren. Doch er hieß nun mal Steve Winwood, hatte mit Singles wie „Keep On Running“ und „Gimme Some Lovin’“ Hits gehabt, und ich mähte immer noch Grünanlagen. Somit änderten wir den Namen in Traffic Jam – jetzt haben wir es dir aber gegeben, du „Idiot“! Die biederen Anzüge und die schmalen Krawatten gehörten nun auch der Vergangenheit an, und wir „experimentierten“ mit bemusterten Hemden mit offenen Kragen. Verrückt!

Pat, der Dank gebührt ihm, versuchte sein Möglichstes, um die Show am Laufen zu halten. Mit dem Namen Traffic Jam sicherte er uns mehr Gigs und brachte die Band sogar in den Saturday Club von Radio 1, die beliebte Samstagmorgensendung mit Brian Matthew. Wir ergatterten auch einige Auftritte als Begleitmusiker für amerikanische Künstler wie P. J. Proby, damals weniger berühmt für seine Gesangskünste, sondern eher dafür, dass er die Hosennaht bei fast jedem Konzert im Schritt platzen ließ! Die Band arbeitete auch für eine weibliche Gesangsformation mit dem Namen Dixie Cups, die mit „Chapel Of Love“ und „Iko Iko“ zwei bekannte Hits hatte – großartige Mädels. Ich erinnere mich speziell an ihren Gitarristen, einen sehr coolen schwarzen Typen und zugleich die erste Person, die mich auf die große Rolle aufmerksam machte, die Marihuana und Amphetamine im Leben vieler Musiker spielten.

 

Bis dahin waren wir jeglichen Drogen immer aus dem Weg gegangen. Wir wussten von „Uppers“, wie man sie nannte, und hatten auch schon von „Kiffern“ gehört. Doch wie bei den meisten Teenagern Mitte der Sechziger beschränkte sich das Wissen darauf, dass Drogen „schlecht“ sind und einen dazu bringen, von einem Dach zu springen. Es sollte noch einige Jahre dauern, bis wir tatsächlich da drin steckten.

Der Wendepunkt kam während einer Tour mit den Small Faces. Sie rauchten Joints so oft wie Zigaretten, warfen täglich Speed und standen total auf psychedelische Drogen, obwohl mir persönlich die ganze Sache mit LSD nie gefiel und ich mich davon fernhielt. Stattdessen brachte Steve Marriott, der brillante Sänger und Gitarrist der Band, Rick und mich dazu, dass wir vor jedem Gig mit ihm eine halbe Flasche Brandy kippten. Und nach dem Gig drehte ein Joint die Runde. Bis zu dem Zeitpunkt war John Coghlan der Einzige, der sich einige Bier genehmigte, während der Rest immer noch Tizer trank, eine Limonade.

Ich hatte einen Wahnsinnsspaß, mit den Kerlen zu touren. Stevie, seine Jungs und ich teilten denselben Geschmack für Klamotten. Aufgrund des in den Siebzigern auftauchenden Quo-Images – Jeans und Jeanswesten, lange Haare – wissen die Leute nicht, was für ein Modefreak ich bin. Als wir die ersten Platten in den Sixties einspielten, war ich verrückt nach Kleidung. Die richtigen Schuhe, die passenden Hemden und die besten Jacketts. Man befand sich zum Beispiel in einer Modeboutique in der Carnaby Street und rannte Rod Stewart oder Steve Marriott über den Weg, woraufhin ein Wettstreit entbrannte, wer am schnellsten die besten Klamotten in der Hand hielt. Bis zum heutigen Tag kleide ich mich immer schick, sogar wenn ich nur zuhause bin und entspanne. Man kann mich keinesfalls als Trainingshosen-und-Turnschuh-Typen beschreiben. Ich mag anständige Hemden mit zugeknöpftem oberen Knopf und blitzblank geputzte Schuhe. Auch bei anderen Leuten missfällt mir Schlampigkeit. Sie dürfen mich ruhig als oberflächlich einordnen, aber ich glaube fest daran, dass „Kleider Leute machen“.

1967 ereignete sich noch ein weiterer Wandel in meinem Leben, denn ich heiratete meine „Butlin’s-Herzallerliebste“ Jean Smith. Auch sie war ein Mod – und ich vom ersten Augenblick an wie besessen von dem Mädchen. Zurückblickend erkenne ich aber auch, dass es eine Art On-Off-Beziehung war, was den Reiz erhöhte. Hat man das erreicht, was man sich am intensivsten auf der Welt wünschte, versucht man danach, noch mehr zu bekommen, besonders wenn es sich um Angelegenheiten des Herzens dreht.

Und so lief es ab: Nachdem die Vermieterin uns zusammen im Bett erwischt hatte und ich rausgeworfen worden war, verdrückte sich Jean einfach. Während ich mit Rick an der rauen See übernachtete, hatte sie ihren Job gekündigt und war mit einem Kumpel abgehauen, um sich einen Job in einem anderen am Meer gelegenen Freizeit-Resort zu suchen. Ich fühlte mich wie am Boden zerstört, als ich davon erfuhr. In jenen Tagen gab es natürlich noch keine Handys, also keine Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme, und somit hörte ich drei Wochen lang kein Sterbenswörtchen von ihr. Ich nahm an, sie hätte mich sitzengelassen und wäre fortgelaufen. Plötzlich aber war Jean wieder da! Ich fühlte mich überglücklich und dachte, all meine Sorgen hätten sich in Luft aufgelöst. Stattdessen war es nur der Anfang einer Beziehung, bei der Jean immer weglief, wenn es brenzlig wurde, dann wieder zurückkam und sich herzzerreißend dankbar gab. Teenager-Liebe. Gott sei Dank muss ich das alles nie mehr durchmachen.

Dann detonierte die sprichwörtliche Bombe: Jean erwartete ein Baby von mir. Ich war gerade erst 17, als sie das herausfand. Heutzutage wären das keine spektakulären Nachrichten mehr, doch 1967 stellte es ein großes Ereignis dar. Ein Baby nicht zu bekommen, stand außer Frage, denn in Großbritannien war Abtreibung illegal. Und als Katholik wäre ein Schwangerschaftsabbruch für mich nie eine Option gewesen. Hinzu kam noch – und das war der wohl wichtigste Grund –, dass ich sie abgöttisch liebte. Somit blieb nur eine Option: zu heiraten. Und das machten wir dann auch im Juni 1967 – dem sogenannten Summer of Love. Da Jean schon im siebten Monat war, stand eine katholische Hochzeit außer Frage, und so beschränkten wir uns auf die zügige „Ich will – Ich will auch“-Abfertigung beim örtlichen Standesamt.

Nur meine Eltern, Jeans Mum und ihre Schwestern kamen zur Vermählung. Meine Mum sträubte sich anfänglich, da sie vor Wut schäumte, weil wir keine katholische Hochzeit feierten. Sie wollte nichts damit zu tun haben. An dem Tag selbst gab sie dann aber nach. Ich war einige Wochen zuvor 18 geworden und versuchte, die ganze Angelegenheit wie ein angesagtes Swinging-London-Happening zu inszenieren. Kein Anzug! Stattdessen trug ich einen gelb/grün-gestreiften Blazer, ein pinkes Hemd und weiße Hosen. Jean, die bereits ein großes Bäuchlein hatte, trug ein mit Blümchen gemustertes Umstandskleid. Sie sah wunderbar aus.

Wir verzichteten jedoch auf Flitterwochen, und ich glaube, es wäre uns auch gar nicht in den Sinn gekommen. Alles drehte sich darum, dass das Baby nicht außerehelich zur Welt kam. Am Tag nach der Hochzeit zogen wir in ein freies Zimmer im Haus von Jeans Mutter in Dulwich. Ihr Mann war einige Jahre zuvor gestorben, wodurch genügend Raum zur Verfügung stand. Zwei Monate später wurde unser Sohn Simon geboren. Damals war es durchaus üblich, dass junge Paare schon sehr früh Kinder hatten. Für mich bedeutete das keine große Sache, da ich in einer riesigen Familie aufgewachsen war und alle Kids gleichermaßen von den verschiedenen Verwandten aufgezogen wurden. Dennoch: In unserer Situation war es noch nie leicht – Teenager-Eltern, die versuchen, ein Kind großzuziehen, während einer von ihnen auswärts arbeiten muss –, und anscheinend schienen sich auch noch alle gegen uns zu verschwören, um uns aus der Bahn zu werfen. Jeans Mutter stellte keine große Hilfe dar. Vor unserer Hochzeit hatte mich Jean immer von einem Treffen mit ihrer Mum abgehalten. Und nun fand ich heraus, warum! Die Frau konnte sehr kompliziert sein. Man hatte das Gefühl, sie sei direkt der Seite eines Les-Dawson-Witzes über Schwiegermütter entsprungen. Sie saß zusammengesackt in einem Ohrensessel und rauchte Kette, wobei das Kleid bis zur Hüfte hochgerutscht war, sodass man ihren großen Alte-Oma-Schlüpfer sehen konnte. Darüber hinaus ließ sie noch ihrem Gedärm einige der am teuflischsten stinkenden Fürze entweichen. Was ihre Tochter ärgerte und hochnotpeinlich berührte.

Sie verstand nicht – oder es war ihr egal –, was ich machte, dachte, ich würde in einer Popband herumblödeln, statt mir einen anständigen Job zu suchen. Vielleicht sah das ja auch meine Familie so, doch sie zeigte es nicht direkt. Vermutlich dachte sie, dass immer noch der Job im Eiswagen auf mich wartete, wenn das mit der Musik nicht klappte. Was Jeans Mutter hingegen wusste: Ich war den Großteil der Nacht nicht anwesend, aber zu häufig am Tag. Ständig lag sie ihrer Tochter in den Ohren.

Und so fing alles an: „Wir haben jetzt ein Kind. Es wird höchste Zeit, dass du aufhörst, in der Weltgeschichte herumzuziehen und deine Zeit mit einer Band verschwendest. Werde sesshaft, und fang endlich an, Geld für deine Familie zu verdienen.“ Das ging sogar so weit, dass Jean mir ein Ultimatum stellte: „Entweder ich oder die Gruppe!“ Das gehört auch zu den Problemen, mit denen sich fast alle aufstrebenden Musiker zu einem bestimmten Zeitpunkt herumschlagen müssen.