Seewölfe - Piraten der Weltmeere 296

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 296
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-693-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Im Beiboot lagen zwei tote Männer auf den Duchten, Männer von der „Fidelity“, die gerade eben von den Kugeln der Piraten niedergestreckt worden waren.

Den anderen saß die Angst im Nakken, kaum, daß sie an Bord aufgeentert waren, denn jetzt schob sich die Schaluppe heran, und es war nur noch eine Frage von wenigen Minuten, bis die Piraten das auf der Sandbank festsitzende Schiff entern würden.

Yves Grammonts verzerrte Piratenfratze war schon deutlich zu erkennen. Sie sahen den Triumph in seinen Augen blitzen, und sie wußten auch, daß es ihnen kaum noch gelingen würde, eins der Geschütze zu zünden, um die Kerle mit einem Hagel aus Eisen und Blei einzudecken.

George Baxter, der Profos der „Fidelity“, der das Kommando über den zusammengeschrumpften Haufen Kerle führte, gab angesichts der Übermacht aber noch nicht auf.

Sie alle hatten nichts mehr zu verlieren – außer ihrem Leben, aber das wollten sie bis zum letzten Atemzug verteidigen. Wenn sie sich ergaben, würden Grammonts Piraten sie erbarmungslos niedermetzeln. Also blieb ihnen nur noch der Kampf, der letzte aussichtslose Kampf.

Baxter sah, daß noch ein paar Leute in dem Boot hockten, in dem auch die beiden Toten über den Duchten lagen. Sie hatten die „Fidelity“ von der Sandbank freischleppen wollen, als urplötzlich die Piratenschaluppe aufgetaucht war. Jetzt mühten auch diese Männer sich ab, so schnell wie möglich die Galeone zu erreichen.

„Verdammt, beeilt euch!“ brüllte der fast kahlköpfige bullige Profos.

Die Schleppverbindung war gekappt, das Boot hing dicht vor der Bordwand, aber Baxter sah schon jetzt, daß die Männer es nicht mehr schaffen würden. Die Schaluppe war zu plötzlich erschienen.

Der grauhaarige Korse Montbars hantierte zusammen mit seinem Freund Le Testu bereits an einem der Geschütze, als von der Schaluppe her das wilde und triumphierende Gebrüll der Piraten erklang.

„Mon Dieu, wir schaffen es nicht mehr“, sagte Le Testu zähneknirschend vor ohnmächtiger und hilfloser Wut. „Bis wir die Stücke nachgeladen haben, sind die Kerle an Bord.“

Der Korse mit dem markanten scharfgeschnittenen Gesicht blickte sich mit blitzenden Augen um. Er sah auf die heransegelnden Piraten, dann trat ein erwartungsvoller lauernder Blick in seine dunklen Augen.

„Kanonendonner!“ murmelte er.

Auch die anderen hörten es. Schon einmal war dieses ferne Grollen erklungen, das sich anhörte wie ein heraufziehendes Gewitter. Aber es war noch sehr weit weg.

Zum Teufel, dachte Montbars. Wen mochten die Piraten draußen auf See jetzt zusammenschießen? Wessen letztes Stündlein schlug dort? War es der Seewolf? Oder dieser wilde Wikinger? Vielleicht hatten wenigstens die anderen noch eine Chance.

Albert tauchte neben ihnen auf, der Rudergänger Ray Hoback erschien, und alle hasteten durcheinander und bemühten sich verzweifelt, das nahende Ende abzuwehren.

Albert, der vormals bucklige Mann aus Quimper, dessen Buckel nur Tarnung gewesen war, schluckte immer wieder krampfhaft, griff nach einem Belegnagel, warf ihn wieder an Deck und schnappte sich einen Degen. Sein Auge zuckte – wie immer, wenn ihn etwas erregte oder nervös werden ließ.

Hoback drängte ihn hart zur Seite und versuchte immer noch, eins der Geschütze zu laden. Das rosige Gesicht des Rudergängers sah fast friedlich aus, er war aber alles andere als das.

Zwei der Männer in dem Boot hatten es jetzt geschafft, und hangelten an der „Fidelity“ hoch. Das war der Augenblick, als die Piratenschaluppe das Boot erreichte. Der Bug drückte es leicht nach oben. Die beiden Toten auf den Duchten, die wie schlafend dalagen, bewegten sich, als hätte dieser Anprall sie wieder zum Leben erweckt. Dann krängte das Boot hart zur Seite, und für einen Augenblick lang sah es aus, als würde es untergemangelt werden.

Der eine Tote stürzte kopfüber ins Wasser und versank, während der zweite wie flehentlich die Arme erhob, sich halb um seine Achse drehte und dann ebenfalls über Bord ging.

Für die restlichen Männer der „Fidelity“ war dieser Anblick genauso zermürbend wie die grinsenden Visagen der Piraten, die genau wußten, daß ihnen die Beute nicht mehr entging.

Wieder krachten Schüsse. Pistolen wurden abgefeuert, das Krachen der Tromblons erklang. Ein bärtiger Kerl feuerte grinsend aus der Hüfte heraus eine schwere Muskete ab, deren Bleikugel Montbars nur um eine Handbreite verfehlte. Der Brocken jaulte mit schrillem Mißton in die Planken, blieb aber nicht stecken, sondern verformte sich und zwitscherte böse singend und plattgedrückt in das Wasserfaß an Deck. In dem Gebrüll, Gerenne und Geschrei war das Plätschern des auslaufenden Wassers nicht zu hören.

Le Testu war es gelungen, bei einer der Kanonen noch das Pulver in das Bodenstück zu füllen. Auch der Profos hatte noch eins der Rohre geladen, aber sie schafften es nicht mehr, noch das Zündkraut hineinzustopfen, geschweige denn eine Lunte zu entzünden. Außerdem war die Entfernung jetzt bis auf ein paar Yards zusammengeschrumpft.

Der erste Enterhaken wurde mit mächtigem Schwung geschleudert und verkrallte sich hinter dem Schanzkleid.

Albert, den sie den Buckligen von Quimper genannt hatten und der keuchend hinter dem Schanzkleid auf den Planken lag, stieß die Hand mit dem Degen vor. Die scharfe Klinge zerschnitt das Seil, das zurückschnellte, während der Enterhaken auf die Planken zurückfiel.

„Hier herüber, zu mir!“ schrie Baxter. In einer Hand hielt er einen schweren Säbel, in der anderen eine Pistole. Den Säbel schwang er in der Hand wie seine Neunschwänzige und ließ die Klinge immer wieder durch die Luft sausen. Seine Augen waren kalt und starr auf die Piraten gerichtet, und als einer der wilden Kerle sein Messer zum Wurf hob, drückte der Profos ab.

Der Messerwerfer öffnete schreiend den Mund, griff haltsuchend um sich, verkrallte sich in einen seiner Kumpane und schrie wieder. Dann fiel das Messer aus seiner kraftlos gewordenen Hand, und er schlug mit dem Kopf auf das Schanzkleid.

Das erneute Rumpeln aus weiter Ferne ging in dem Höllenlärm und dem Wutgeschrei der Piraten unter.

Die Schaluppe schor längsseits, es gab eine kurze Erschütterung, die sich durch den Rumpf der „Fidelity“ fortpflanzte, dann einen harten Ruck.

Eine wilde, brüllende und johlende Horde ergoß sich über das Schiff. Degenstahl blitzte auf, Schüsse krachten, die Schreie wurden lauter. Ein paar der Kerle fielen in ihrer blinden Angriffswut auf die Planken, und gleich darauf bestand das Deck aus einem Knäuel unentwirrbarer Leiber.

Gustave Le Testu kämpfte mit seinem Freund Montbars Seite an Seite, während sich Baxter zum Achterdeck zurückzog und Albert über die Kuhl sprang und den Niedergang zur Back enterte. Drei brüllende Kerle folgten dem häßlichen Mann. Sie hatten Entermesser und Säbel in den Fäusten und versuchten, ihn einzukreisen.

Jeder war jetzt auf sich gestellt und mußte sich verteidigen, doch der Ausgang des ungleichen Kampfes stand für alle bereits fest. Sie würden innerhalb kürzester Zeit unterliegen, denn die Übermacht war zu groß.

„Helft mir!“ schrie Albert in Todesangst, als zwei der Kerle auf ihn eindrangen. „Helft mir doch!“

Aber es konnte ihm niemand helfen, jeder hatte genug damit zu tun, sein eigenes Leben zu retten.

Le Testu sprang zwar noch mit ein paar gewaltigen Sätzen zum Niedergang, doch als er die Stufen erreichte, sank Albert wimmernd unter einem Hieb zusammen. Sein Degen fiel ihm aus der Hand, an seiner Körperseite färbte sich das Hemd rot. Er rollte zur Seite und blieb reglos liegen.

Das war für den grauhaarigen Korsen Montbars das Signal. Sein Gesicht färbte sich blutrot vor Jähzorn, dann wurde es unvermittelt bleich, und er preßte die Lippen zusammen, bis sie nur noch zwei schmale Striche waren. Gleichzeitig griff er mit einem wilden Schrei an. Er packte seinen Degen wie einen Dreschflegel mit beiden Händen und mähte sich den Weg zu seinem Freund Le Testu frei.

Ein schwarzbärtiger Kerl sackte unter seinem Hieb zusammen, ein zweiter sprang entsetzt in das eiskalte Wasser, als er den gnadenlos zuschlagenden Korsen auf sich zustürzen sah. Der säbelte jetzt in blinder Wut alles nieder, was seinen Weg kreuzte. Unbarmherzig schlug er zu, und wen sein Degen nicht traf, den erwischte sein Stiefel und schleuderte ihn zur Seite.

Le Testu warf noch einen schnellen Blick auf Albert. Er wußte nicht ob Albert tot oder nur verletzt war. Aber er rührte sich nicht mehr. Sein Körper lag leicht verdreht und still auf den Planken.

 

Er hatte kaum den Blick abgewandt, als er dicht vor sich eine grinsende Visage sah. Ein wild aussehender Kerl mit ausgeschlagenen Vorderzähnen tänzelte zur Seite und tat so, als weiche er aus.

Le Testu fiel auf den Trick nicht mehr herein, denn er sah das Lauern in den Augen des anderen, der ihn von der Seite angreifen wollte.

Gerade als er zurücksprang, war Montbars heran. Das Gesicht seines korsischen Freundes war vor Zorn entstellt und glich einer Grimasse. Mit einem gewaltigen Hieb schlug Montbars dem Piraten den Degen aus der Hand. Der zweite Hieb traf den zurücktaumelnden Kerl mit unglaublicher Wucht. Stöhnend sank der Pirat in die Knie, dann fiel er rücklings auf die Planken der Kuhl.

Le Testu gelang es, ebenfalls noch einen der Angreifer zu töten, dann hörte er den gellenden Schrei des Korsen.

„Hinter dir, paß auf!“

Blitzschnell fuhr Le Testu herum und ebenso schnell stürmte Montbars auf den Schützen zu, doch er war noch zu weit entfernt. Eine Pistole entlud sich krachend, vor dem Gesicht des Schützen wallte grauer Dampf auf. Le Testu sah noch eine winzige Flammenzunge aus dem Lauf blitzen, dann verspürte er einen dumpfen Schlag am Schädel. Gleichzeitig begann das Schiff scheinbar zu schwanken, die Kuhl drehte sich nach oben und Le Testu hatte plötzlich das Gefühl, aus großer Höhe herabzustürzen.

Augenblicklich wurde es dunkel um ihn.

Eine Sekunde war Montbars wie vor Schreck gelähmt, als er seinen Freund umkippen sah. Dann ging ein Zittern durch seinen Körper, rote Nebel wallten vor seinen Augen auf, und er lief Amok.

Wie irre schreiend raste er mit dem Degen in die kämpfende Meute hinein und hieb mit verzerrtem Gesicht und blutunterlaufenen Augen um sich.

Im Unterbewußtsein hörte er Schreie und Röcheln, sah Männer auf die Planken sinken. Schüsse krachten; teuflische Blitze zuckten vor ihm, die ganze Welt bestand nur noch aus wildem Geschrei und kämpfenden Männern.

Er war wie eine reißende Bestie, vor deren wilder Angriffswut die harten Kerle erschreckt flüchteten. Der Korse wußte nicht einmal, ob er sich vorn, achtern oder auf der Kuhl befand. In seiner wilden Wut bemerkte er auch nicht den kleinen Kerl, der sich vorsichtig von hinten anpirschte, einen Belegnagel hob und ihn Montbars mit aller Kraft auf den Schädel schlug.

Der Korse sank gurgelnd in die Knie und versuchte, sich noch einmal aufzurappeln. Doch ein zweiter Schlag warf ihn endgültig nieder.

Yves Grammont, der Piratenführer, stieß hart die Luft aus, als er den Korsen zusammenbrechen sah.

„Ein wahrhaftiger Teufel“, sagte er, „der hat mir mehr Männer erschlagen als all die anderen Kerle.“

Er stand auf dem Quarterdeck der „Fidelity“ und sah sich wild um.

„Ergebt euch!“ brüllte er. „Ergebt euch auf der Stelle! Ihr habt nicht die geringste Chance mehr.“

„Den Teufel werden wir!“ fauchte der Profos Baxter zurück. „Komm her, du lausiger Bastard, ich werde es dir zeigen!“

„Wir geben nicht auf!“ rief ein vierschrötiger Engländer neben ihm. „Ihr murkst uns ja doch ab. Da ist es mir lieber, ein paar von euch Halunken mit zur Hölle …“

Grammont gab ein kurzes Zeichen mit der Hand. Als der Engländer neben Baxter herumfuhr, krachte ein Musketenschuß. Die Auftreffwucht der Bleikugel warf den Vierschrötigen hart zurück. Er war schon tot, noch bevor sein Körper auf die Planken stürzte.

Jetzt waren es nur noch eine Handvoll Männer, die gegen eine vierbis fünffache Übermacht kämpften. An ihrer Spitze standen nur noch der Profos Baxter und der Rudergänger Ray Hoback. Und ausgerechnet diese beiden waren hoffnungslos eingekreist und von den restlichen anderen abgeschnitten.

Den Rudergänger erwischte es als ersten, als er einen Ausfall zur Kuhl hin versuchte. Die Spitze eines Degens traf ihn, und als er herumfuhr, um sich zu wehren, traf ihn der Kolben einer Muskete hart ins Kreuz. Ein weiterer Schlag warf ihn auf die Planken, wo er reglos liegen blieb.

Drei weitere Kerle befanden sich plötzlich in Baxters Rücken und trieben ihn mit den Degenspitzen auf Grammont zu, der mit haßvollen Augen am Schanzkleid stand.

Baxter schlug in wilder Verzweiflung um sich. Einen der Kerle erwischte er auch noch, dann war Grammont heran. Während ihm zwei andere die Degenspitze in den Rücken bohrten, schlug der Piratenführer mit der linken Faust zu.

George Baxter konnte dem Hieb nicht mehr ausweichen, denn hinter ihm waren die Degenspitzen, und der Schlag hätte ihn genau hineingetrieben.

So wich er noch leicht zur Seite aus, aber da schlug Grammont schon ein zweites Mal zu.

Der Profos wurde ans Schanzkleid geschleudert. Er tastete noch einmal haltsuchend nach dem Handlauf, doch sein Oberkörper hing schon so weit darüber, daß er das Gleichgewicht verlor.

Ein dritter Faustschlag Grammonts, mit aller Kraft geführt, schleuderte den Profos über Bord. Als sein Körper auf dem Wasser aufklatschte, lachte Grammont höhnisch.

„Und jetzt die anderen Kerle“, sagte er. „Viele sind es nicht mehr. Los, Männer schnappt sie euch!“

Da war nicht mehr viel zu schnappen. Angesichts der riesigen Übermacht verzichteten die meisten auf die einseitige Fortführung des ungleichen Kampfes. Ein paar Männer sprangen vor der heranrasenden Piratenmeute einfach über Bord. Das Wasser war zwar lausig kalt, aber es war immer noch besser, in der kalten Brühe zu schwimmen, als an Deck abgemurkst zu werden. Schließlich befand sich nur noch ein einziger Engländer an Bord, den sie jetzt wie einen Hasen über Deck scheuchten.

Ein paarmal schossen sie auf ihn, aber er hatte Glück und wurde nicht getroffen. Es bereitete ihnen offensichtlich Spaß, ihn zu hetzen. Sie stellten sich ans Schanzkleid, um ihm auch die Möglichkeit zu nehmen, über Bord zu springen.

Der Engländer sah sein letztes Heil in einem blitzschnellen Fluchtversuch in die Wanten des Schiffes. Als er aufenterte, fielen erneut Schüsse.

Da sprang er mit einem mächtigen Satz aus zehn Yards Höhe ins Wasser. Ein enttäuschtes Geheul aus rauhen Piratenkehlen begleitete ihn bei seinem Sprung, dann war er verschwunden.

Die „Fidelity“, die immer noch wie festgebacken auf der Sandbank lag, befand sich damit in den Händen der Piraten. Um die Verwundeten an Deck kümmerte sich kein Mensch. Auch den ins Wasser gesprungenen Engländern feuerten sie nicht mehr hinterher. Zuerst sollte einmal die Beute in Augenschein genommen werden.

George Baxter war von dem letzten Hieb bewußtlos geworden, aber er war nicht verletzt, und die Berührung mit dem eiskalten Wasser brachte ihn augenblicklich wieder zu sich.

Sein Gesicht schmerzte und brannte, doch das beachtete der Profos nicht, denn er hatte nicht das erste Mal in seinem Leben Prügel bezogen. Jedenfalls war er nicht verwundet.

Er sah auch, daß die anderen Kerle voller Angst und Panik über Bord sprangen. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Die drei oder vier Männer, die sich jetzt zum Ufer durchschlugen, waren noch nie große Lichter gewesen. An Bord hätten die Piraten ihnen ohnehin den Garaus bereitet. Verständlich also, daß sie abhauten.

Er schwamm weiter, und während er schwamm, dachte er schon wieder darüber nach, wie er Yves Grammont doch noch überlisten konnte. Verdammt, es mußte doch eine Möglichkeit geben!

2.

Auf dem Achterdeck der „Hornet“, die unter dem Kommando Philip Hasard Killigrews stand, hielten sich noch mehr Männer auf, die gespannt der fliehenden „Louise II“ nachblickten.

Der Wikinger Thorfin Njal, der Franzose Jean Ribault, Ben Brighton und Dan O’Flynn. Im Kielwasser, nach Steuerbord versetzt, folgte der Schwarze Segler, „Eiliger Drache über den Wassern“. Das Schiff war schwarz, der Rumpf war schwarz, die Masten waren schwarz und selbst die Segel waren so stark geloht, daß sie fast schwarz wirkten. Zur Zeit stand der Schwarze Segler unter dem Kommando des Wikingers Arne, bei dem Thorfin Njal sein Schiff in guten Händen wußte. Dennoch konnte er es nicht vermeiden, immer wieder einen besorgten Blick achteraus zu werfen. Er achtete auf die Stellung der Segel, fand alles ganz in Ordnung und hatte nichts zu bemängeln. Und weil er nichts zu bemängeln hatte, kratzte er wieder einmal seinen Schädel.

Dieses Schädelkratzen löste bei dem Profos Edwin Carberry jedesmal fast eine kleine Hysterie aus, denn, verdammt noch mal, ein Mensch konnte sich doch nicht den Schädel kratzen, wenn er auf diesem Schädel einen blankpolierten Kupferhelm trug. Infolgedessen kratzte der Wikinger also nur seinen Helm, und diese Marotte fanden alle höchst ungewöhnlich.

„Das treibt mich noch mal zum Wahnsinn“, sagte Ed zu dem Decksältesten Smoky. „Thorfin ist ja ein verdammt feiner und verläßlicher Kerl, wenn er nur nicht immer an seinem verfluchten Helm kratzen würde.“

„Laß ihn doch“, meinte Smoky, „warum regst du dich überhaupt darüber auf? Wenn du dir deinen Rücken kratzt, ziehst du ja auch nicht extra das Hemd aus.“

„Ha! Was verstehst du abgebrochener Trompetenfisch denn davon, was, wie? Durch das Hemd spüre ich das Kratzen, aber durch seinen verdammten Helm kann er es nicht merken.“

„Vielleicht gibt er den unter dem Helm brütenden nordischen Riesenläusen auch nur Klopfzeichen“, meinte Smoky grinsend.

Carberry ging kopfschüttelnd weiter über die Kuhl zum Achterdeck und blickte fasziniert und verärgert zugleich auf den in Felle gekleideten nordischen Riesenkerl, dessen massiger Zeigefinger immer noch andächtig eine Stelle des Kupferhelms kratzte.

Empört stieß der Profos die Luft aus, bis das Kratzen endlich aufhörte und der Wikinger ihn etwas irritiert anblickte.

„Ist was?“ fragte er ruhig.

Carberry stand an den unteren Stufen des Niedergangs und schüttelte den Kopf.

„Bei mir ist alles in Ordnung“, sagte er. „Aber weshalb zeigst du dir selbst immer einen Vogel?“

Thorfin Njal verstand ihn nicht, aber diese Frage wurde jetzt auch nicht weiter erörtert, denn Hasard gab ein Zeichen nach unten und rief gleichzeitig dem Rudergänger Pete Ballie etwas zu.

„Kursänderung, nachtrimmen!“ sagte er. „Al Conroy soll versuchen, dem Franzosen noch ein paar Schüsse ins Heck zu knallen.“

Während der Profos wieder auf Station ging, griff der Seewolf nach dem Spektiv und zog es weiter auseinander. Neben ihm stand Jean Ribault, der ebenfalls gebannt zu dem flüchtenden Franzosenschiff blickte.

Mit Vollzeug liefen sie jetzt hinter dem Franzosen her und waren noch schnell genug, obwohl der „Hornet“ der Fockmast fehlte und an seiner Stelle nur ein zerfetztes Etwas aus dem Deck ragte.

Hasard suchte den Piratenführer Yves Grammont auf dem Achterdeck der „Louise II“, aber er konnte ihn nicht entdecken. Er nahm immer noch an, daß sich Grammont an Bord befände, doch das war ein Irrtum, dem sie alle erlegen waren.

„Du hast ihn immer noch nicht entdeckt?“ fragte Jean Ribault.

„Nein, und das verstehe ich nicht. Er ist jedenfalls an Deck nicht zu sehen.“

„Vielleicht ist er verletzt und hält sich unter Deck auf.“

„Möglich“, meinte Hasard, aber er zweifelte daran.

Der Wind briste jetzt noch stärker auf und blies mit gewaltiger Kraft zum Land hin. Wenn sie nicht aufpaßten, gerieten sie mit der „Hornet“ und dem Schwarzen Segler bei der Verfolgung auf Legerwall, das heißt, der Wind würde sie auf die Küste drücken.

Thorfin Njal drehte sich wieder um. Wie ein Monument aus grauer Vorzeit stand er da, und hielt nach seinem „Schiffchen“ Ausschau, ob es auch die erforderlichen Manöver unternahm, damit sie diesen Piratenhund endlich in die Zange nehmen konnten.

„Aha, auf meinem Schiffchen hat man begriffen“, sagte er mit seiner tiefen Stimme erleichtert.

Thorfin liebte Verniedlichungen dieser Art. „Eiliger Drache“ war sein „Schiffchen“, obwohl es ein mächtiger und fast unzerstörbarer Kasten war. Er trug auch ein yardlanges Schwert im Gürtel, fast dreißig Pfund schwer, das er liebevoll sein „Messerchen“ nannte. Und auf seinem Schiff gab es ein monströses Riesengebilde aus Hartholz, in dem gut und gern drei Männer Platz gehabt hätten. Dieses hölzerne, fest im Deck verbolzte Ungeheuer war sein „Sesselchen“, in dem er bei rauhester See wie ein prähistorischer Riese thronte und seine Befehle gab.

„Wir geraten auf Legerwall“, sagte Ben Brighton warnend. „Der Wind wird uns gegen die Küste von Pointe de Penmarch drücken – und den Schwarzen Segler auch.“

Der Erste Offizier, Bootsmann und Stellvertreter Hasards war immer ein vorsichtiger Mann, der alles abwog und kalkulierte, ehe er handelte, und so glaubte er, es sei besser, wenn sie etwas mehr anluvten um weiter Höhe zu kneifen. Dabei zog er in Betracht, daß sich die „Hornet“ ohne Fockmast schlechter segeln ließ.

 

Hasards Gesicht blieb leicht verkniffen. Seine Augen waren jetzt, als er das Spektiv absetzte, schmale Schlitze.

„Wir schaffen es“, meinte er zuversichtlich. „Ich muß diesen Bastard Grammont kriegen, das haben wir uns alle geschworen. Und wenn ich ihn habe, dann ist er erledigt.“

Hasard trat weiter vor zur Schmuckbalustrade und sah den Waffen- und Stückmeister Al Conroy an, der vage mit den Schultern zuckte, was so viel hieß, daß es für einen Treffer noch nicht der richtige Zeitpunkt war.

„Wir jagen ihn noch weiter nach Backbord“, sagte Hasard. „Laß trotzdem ein paar Kanonen abfeuern, Al. Das wird den Kerl zumindest auch weiterhin nerven.“

„Aye, Sir, sofort.“

Thorfin Njal war neben den Seewolf getreten. Mit der Hand fuhr er durch seinen rötlichgrauen Bart und genoß sichtlich das überkommende Seewasser, das bis aufs Achterdeck gischtete.

„Gib Arne ein Zeichen, Thorfin, daß er uns an Steuerbord aufsegelt und dem Kerl den Weg nach vorn zur Küste abschneidet. Wenn das gelingt, dann haben wir ihn in der Zange. Dann kann er nur noch mit vollem Preß auf die Sandbänke segeln. Ihr habt doch eine ganze Menge Zeichen vereinbart.“

Was Hasard vorhatte, sah zunächst ganz einfach aus, war aber bei dem beständig auflandig wehenden Wind ein Risiko, denn da konnten sie, wie Ben schon ganz richtig bemerkt hatte, tatsächlich auf Legerwall geraten, und dann saß die „Hornet“ fest und mit ihr der Schwarze Segler.

Thorfin erkannte zwar auch die Gunst des Augenblicks und klammerte das Risiko nicht aus, aber er nickte fast stoisch, ging weiter nach achtern und vollführte da reichlich seltsame Bewegungen.

Für den Profos, der in der Kuhl neben einer der Culverinen stand, war das erneut Anlaß zum Kopfschütteln. Er wunderte sich wieder einmal über den eigenwilligen nordischen Riesen, der da auf dem Achterdeck in Felle gehüllt dastand, und eine Art Tanz aufführte, wobei er wild mit den Armen in der Luft ruderte.

„Was gibt das denn jetzt?“ fragte er den blonden Schweden Stenmark, der Zündkraut in die Kanonen stopfte.

Stenmark, ebenfalls aus dem Norden stammend, grinste infam, wurde dann aber unvermittelt ernst.

„Das ist der Entdeckertanz aus dem sagenhaften Thule“, erklärte er unverfroren. „Thorfin freut sich, daß es bald weiter nach Norden geht“

Carberry warf dem Schweden einen mißtrauischen Blick zu.

„Entdeckertanz? Das willst du mir verklaren?“

„Sicher, den tanzen die Wikinger bei jeder Gelegenheit. Dabei halten sie sich an den Händen und tanzen von achtern über alle Decks bis nach vorn.“

Carberry sah das versteckte Grinsen im Gesicht seines rothaarigen Freundes Ferris Tucker und holte schon mit dem Stiefel zu einem gewaltigen Tritt aus. Stenmark drückte vorsichtshalber das Kreuz durch und sprang schnell zur Seite.

„Verhol dich bloß, du Kabeljau-Kapitän“, drohte Ed, „sonst killen dir gleich die Hosen.“

Nach seinen letzten Worten sah er, wie „Eiliger Drache über den Wassern“ den Kurs änderte. Eine Handvoll verwegen aussehender Kerle braßte an, die Rahen schwangen leicht herum, Schoten wurden durchgeholt, und zwei weitere stark gelohte Segel anschließend gesetzt. „Eiliger Drache“, diese Mischung aus Galeone und chinesischer Dschunke, schnaubte wie ein Untier durch das Meer und nahm mehr Fahrt auf. Der riesige Bug tauchte tief ein und warf dichte Fahnen von Gischt über das Schiff.

Langsam segelte es an Steuerbord auf und war bald darauf auf gleicher Höhe mit der „Hornet“.

Al Conroy gab dem blonden Schweden ein Zeichen mit der Hand.

„Zünden, Stenmark!“

Stenmark drückte den glimmenden Luntenstock aufs Zündkraut und sah interessiert zu, wie es zischte und knisterte. Dann zündete das Pulver. Der Explosionsdruck jagte die Kugel aus der Kanone hinaus. Durch den Rückstoß rumpelte sie auf die Lafette zurück, bis die Brooktaue sie stoppten.

Ein Blitz, ein dichter Schleier aus verwehendem Pulver, und der Eisenbrokken heulte der „Louise II“ nach.

Der Schuß lag zu kurz. Eine halbe Kabellänge hinter dem flüchtenden Franzosen klatschte die Kugel ins Meer und ließ eine hohe Fontäne aufsteigen, die rauschend in sich zusammenfiel.

Stenmark sah, wie sie drüben die Köpfe einzogen. Einige warfen sich nach dem Aufblitzen auch sofort auf die Planken.

„Die wissen genau, daß wir sie noch nicht treffen“, sagte er zu dem Waffen- und Stückmeister, „trotzdem haben sie eine direkt hündische Angst vor uns.“

„Kein Wunder. Wir haben ihnen ja auch ganz schön eingeheizt.“

Die nächste Kanone wurde gezündet, anschließend gewischt und gleich wieder nachgeladen.

Mac Pellew ging vorbei. In der Hand trug er einen dampfenden Topf, der fürs Achterdeck bestimmt war. In dem Topf befand sich kräftige, kochendheiße Hühnerbrühe. Pellews Gesicht drückte wieder einmal alle Bitternis dieser Welt aus. Er sah so griesgrämig drein, daß Stenmark glaubte, nun hätte endgültig ihr letztes Stündlein geschlagen, und sie alle könnten sich nur noch auf einen letzten Abgesang von dieser Welt vorbereiten.

Aber so sah Mac Pellew, Koch, Feldscher, Knochenflicker und vorzüglicher Seemann, immer aus. Ihn konnte auch nichts erschüttern. Selbst als die dritte Kanone ihren Eisenhagel über die See spuckte und rumpelnd zurückrollte, störte das Mac nicht. Dabei sauste die Lafette so dicht an ihm vorbei, daß sie ihn fast umgerissen hätte.

„Kannst du nicht aufpassen, Mac“, knurrte Smoky. „Viel hätte nicht gefehlt, und die Kugel wäre durch deinen Suppentopf gedonnert.“

Pellew sah Smoky mit seinem Totengräberblick an.

„Wäre schade um die schöne Brühe gewesen“, bemerkte er mit Grabesstimme. Und während es um ihn herum rumpelte und knallte, blitzte und donnerte, ging er wie ein in Wolken gehüllter Geist weiter. Nur hin und wieder drückte er leicht das Kreuz durch, wenn eins der Geschütze grollend dicht neben ihm vorbeizuckte.

Als er das Achterdeck erreichte und Mucks mit heißer Brühe verteilte, hatte der Schwarze Segler die „Hornet“ längst überholt und versuchte nun, der „Louise“ den Weg zu verlegen.

Drüben versuchten sie, dem Teufel ein Ohr abzusegeln, doch die Franzosen hatten Kerle hinter sich, die selbst in die Hölle segeln würden, um dort des Teufels Großmutter zu rupfen.

Hasard sah, wie ein paar der Kerle zusammenliefen, an die Nagelbänke gingen und dort wild hantierten.

„Sie versuchen gleich, nach Nordwesten auszukneifen“, sagte er. „Bereitet euch auf das Manöver vor.“

Seine Vermutung bewahrheitete sich prompt. Nur knapp eine Minute später drehte die „Louise“ ab und ging auf Nordwestkurs. Die „Hornet“ folgte ihr unerbittlich, und ebenso unerbittlich blieb der Schwarze Segler hinter ihr, der jetzt noch weiter aufgeschlossen hatte.

Auf dem flüchtenden Franzosen, der sich durch immer weitere waghalsige Manöver zu retten versuchte, herrschten Zustand, Chaos, Tod und Verzweiflung.

Das Schiff war schwer angeschlagen, etliche Männer waren tot, und an Deck lagen Verwundete herum, die von den Splittern getroffen worden waren.

Ein paarmal war es ihnen gelungen, den beiden Schiffen auszuweichen, doch selbst dabei hatten sie schwere Verluste erlitten, denn die „Hornet“ und das unheimliche schwarze Schiff ließen nicht locker.

Von dem Briten flogen immer noch Brandpfeile herüber und richteten Verwüstungen an. Hin und wieder ließ sie ein berstender Schlag zusammenzukken, und dann flogen Trümmer nach allen Richtungen.

Am schlimmsten aber traf es sie, daß sie nun keinen Kapitän mehr hatten, denn Saint-Jacques lag sterbend auf den Planken. Neben ihm lag Gautier, bereits tot, von einem der großen Pfeile getroffen, die die Briten immer wieder abfeuerten.

Saint-Jacques, den sie schon für tot gehalten hatten, hob noch einmal mühsam den Kopf und Versuchte, etwas zu erkennen. Die wabernden Schleier vor seinen Augen wurden immer wilder, der Kampfeslärm erstarb scheinbar, und er glaubte, seine „Louise II“ friedlich durchs Wasser segeln zu sehen.

Ein Mann sprang auf ihn zu und versuchte, ihn aufzurichten. Doch diese Berührung verstärkte nur seine Schmerzen. Heiße Wellen durchtobten seinen Körper. Einmal meinte er zu sehen, daß das ganze Deck blutrot gefärbt war, dann wieder glaubte er, in endlose Abgründe zu stürzen und hörte überlautes Dröhnen und Krachen.

Rauch war um ihn herum, dichter dunkler Rauch, den die „Louise II“ wie eine lange Fahne hinter sich herzog.

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