Seewölfe - Piraten der Weltmeere 367

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 367
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-764-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Satans Totenkahn

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

26. Dezember 1593.

„Es scheint eine ruhige Überfahrt zu werden, Kapitän“, sagte Florian Willaerts zufrieden. „So blau habe ich Himmel und Meer noch nie gesehen, das ist eine vollkommene Harmonie.“

Der Mann, der das zu Kapitän Joost Bontekoe sagte, war schlank und groß mit einem offenen gutmütigen Gesicht, in dem die Freude auf die Heimat zu lesen stand.

„Fünf Jahre war ich nicht mehr in Holland, Kapitän, fünf lange Jahre. Meine Frau und meine Tochter können es kaum erwarten, wieder in Amsterdam zu sein.“

„Sie werden sich noch ein paar Wochen gedulden müssen, Mijnheer Willaerts. Ich bin keineswegs sicher, daß das Wetter so bleibt, wie es jetzt ist. Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß wir gerade um diese Jahreszeit im Atlantik schweren Stürmen ausgesetzt sein können.“

„Die ‚Nieuw Hoorn‘ ist gut und stabil“, meinte Willaerts unbekümmert. „Die trotzt jedem Sturm.“

Der Kapitän schloß sich dieser Meinung nicht an, behielt das aber für sich, um den Handelsagenten und Repräsentanten eines Amsterdamer Handelshauses nicht unnötig zu beunruhigen.

Willaerts hatte fünf Jahre Havanna hinter sich. In dieser Zeit hatte er sich ein Vermögen geschaffen und war nun turnusmäßig durch einen anderen Mann abgelöst worden, wie das bei den Handelsagenten üblich war.

Wenn er jetzt zurückkehrte, dann wartete in Amsterdam ein Posten als Leiter seiner Handelsfirma auf ihn.

Bontekoe dachte daran, daß der Mann mit seinem enormen Vermögen es eigentlich gar nicht mehr nötig hatte, überhaupt noch einen Handschlag zu tun. Er an seiner Stelle hätte sich zur Ruhe gesetzt und den Rest seines Lebens mit Däumchendrehen beschlossen.

Die „Nieuw Hoorn“ lief mit schräg von achtern einfallendem Wind raumschots durch blaues, klares Wasser. Hinter sich ließ sie eine blasenwerfende schaumige Bahn zurück. Als hätte man da säckeweise Perlen hineingeschüttet, so sah es aus.

Für Kapitän Bontekoe ließ sich die Reise gut an. Das einzige Übel, das ihm mit Sicherheit bevorstand, waren eben jene gefürchteten Winterstürme auf dem Atlantik. So ganz ungerupft würden sie auch diesmal nicht davonkommen. Auch bei der letzten winterlichen Überfahrt hatte ihnen Rasmus hart zugesetzt.

Die dreimastige Galeone war mit Tabak aus Havanna beladen, feinen zu Ballen gepreßten Blättern, die in Europa gutes Geld brachten, seit das Tabakrauchen immer mehr Mode wurde. Besonders die Adelshäuser bevorzugten das „Rauchkraut“. In den Salons der Vornehmen galt es als ganz besonders schick, die geschnittenen Tabakblätter in langen Tonpfeifen zu rauchen.

Diese Ladung ging jetzt nach Amsterdam, und dort würde sie so gutes Geld einbringen, daß sich Bontekoe schon jetzt die Hände reiben konnte.

Auf dieser Reise hatte er für vier Passagiere die Verantwortung übernommen. Er schätzte Passagiere an Bord zwar nicht besonders, weil sie keine Seebeine hatten, dauernd krank wurden oder glaubten, ganz besonders vornehm behandelt werden zu müssen. Meist stellten sie auch Ansprüche, denen die Mannschaft nicht gewachsen war.

Mit der Familie Willaerts war das jedoch anders. Das Ehepaar war bescheiden, und die sechzehnjährige Tochter Marijke ließ sich kaum an Deck blicken. Mit Willaerts Frau verhielt es sich nicht viel anders.

Der vierte Passagier war der Arzt, Doktor Jan Laurens, ein ruhiger abgeklärter Mann, der sein Handwerk verstand. Er galt offiziell als Passagier, fungierte während der Überfahrt jedoch freiwillig als Schiffsarzt.

Havanna lag jetzt hinter ihnen und gehörte bald der Vergangenheit an.

Amsterdam lag vor ihnen, zwar sehr weit noch, aber jeder Tag mit gutem Wind brachte sie auch ein gutes Stück weiter voran.

Der Tag verging in Harmonie, Frieden und Zuversicht. Abends begab sich Willaerts in seine Kammer, setzte sich auf den Rand seiner Koje und betrachtete liebevoll zwei große eisenbeschlagene Truhen.

Diese beiden Truhen enthielten neben dem nicht unbeträchtlichen Familienschmuck eine Menge an Gold- und Silbermünzen. Auch ein kleines Säckchen erlesener Perlen gehörte dazu.

Das meiste davon hatte Willaerts redlich zusammengespart, der Rest war durch günstige Geschäfte erworben worden. Dieses Vermögen war der Grundstock für das Leben in Amsterdam. Willaerts wollte sich mit einem Teil davon ein herrschaftliches Bürgerhaus kaufen.

Zusammen mit dem Kapitän, Doktor Laurens und dem Ersten Offizier der „Nieuw Hoorn“ aßen sie zu Abend, während die Galeone weiter durch die See glitt.

Willaerts hielt danach eine kleine Ansprache, bedankte sich höflich, wünschte eine gute vortreffliche Reise und prächtiges Wetter.

Er hätte lieber Mast- und Schotbruch wünschen sollen, wie das so üblich war, denn auch auf der „Nieuw Hoorn“ gab es eine Menge abergläubischer Kerle, zu denen gehörte auch der Kapitän. Nur Doktor Laurens stand über solchen Dingen.

„So was soll man nicht wünschen“, brummte Bontekoe später auf dem Achterdeck. „Gute, vortreffliche Reise, das zieht ja das Schlechtwetter oder wilden Sturm buchstäblich an.“

Doktor Laurens lächelte. Er hatte ein hageres, etwas eingefallen wirkendes Gesicht, in dem die Wangenknochen hervorstanden. Er sah ganz und gar nicht nach einem Holländer aus.

„Ein paar fröhliche Worte werden kein Unwetter anziehen, Kapitän, das ist doch alles leeres Gerede.“

„Nein, Doktor“, meinte Bontekoe düster. „Da ist etwas dran. Ich habe es schon oft erlebt. Sie werden noch an meine Worte denken. Spätestens im Atlantik, wenn wir die Inseln hinter uns haben, geht es los.“

Es sollte aber schon früher losgehen – und schlimmer, als es sich jedermann an Bord hätte vorstellen können.

Gegen Mittag des anderen Tages waren weit voraus halbkreisförmig angeordnete Punkte in der See zu sehen. Die „Nieuw Hoorn“ segelte auf die Inselgruppe der Jumentos Cays zu.

Joost Bontekoe kannte diesen Weg. Er war ihn schon etliche Male gesegelt. Er fuhr immer durch die Crooked Island Passage und ging dann auf Nordostkurs dem nördlichen Wendekreis entgegen.

Der Himmel war nicht mehr ganz so blau wie am Vortag. Auch das Wasser war dunkler. In der See spiegelten sich ein paar Lämmerwolken, und über den noch fernen Inseln stand eine Wolkenbank wie eine Mauer, die langsam in die Höhe wuchs.

Bontekoe betrachtete das alles mit äußerstem Mißtrauen. Immer wieder sah er nach den Flögeln, suchte dann die vorausliegende Kimm ab und kniff die Lippen zusammen.

Klar, dachte er, da liegt was in der Luft. Kein Wunder nach den gestrigen Äußerungen Willaerts. Der hatte das mit seinen Worten ja geradezu hergebetet.

Noch etwas anderes mißfiel ihm an diesem Tag, und das war sein Erster Offizier van Dongen, der mit leerem Gesicht am Backbordschanzkleid stand und unbeteiligt ins Wasser starrte. Er schien erschöpft und müde zu sein, als hätte er sich wer weiß wie abgerackert. Doch das war nicht der Fall gewesen. In Havanna hatten sie selbst keine Hand zu rühren brauchen, um den Tabak an Bord zu nehmen. Das hatten die Spanier bereitwillig getan.

Bontekoe musterte seinen schläfrigen Ersten scharf. Dem fielen alle Augenblicke die Augen zu, und wenn er sie öffnete, dann geschah das immer krampfhaft und ruckartig.

Trunkenheit scheidet aus, überlegte der Kapitän, denn der Erste trank nicht einmal Genever, von Rum ganz zu schweigen.

Die Inseln voraus wurden größer. Gleichzeitig schob sich auch die Wolkenbank höher an der Kimm hoch und wuchs in den Himmel. Dabei veränderte sie leicht die Farbe in lilagelb. Eine Lage sah aus wie schmutziger Schwefel.

Bontekoes Blicke wurden immer besorgter.

„Wir kriegen Sturm“, sagte er zu van Dongen, „wir segeln genau in das Unwetter hinein. Ich glaube, es wird im Lauf der Nacht zu heulen beginnen.“

„Ja“, sagte der Erste mit müder Stimme. „Ja, Kapitän.“

„Wir könnten es bis Crooked Island schaffen. Wir wären auch in der Lage, den Sturm abzureiten. Aber das möchte ich schon wegen der Passagiere nicht riskieren. Die Verantwortung ist mir zu groß.“

„Ja, Kapitän.“

„Wenn es schlimmer werden sollte, laufen wir die Insel an und gehen in der Südbucht vor Anker. Wir waren schon einmal dort. Es ist ein gutes und geschütztes Plätzchen. Hören Sie mir überhaupt zu, van Dongen?“ fragte der Kapitän scharf.

„Ja, Kapitän.“

„Verdammt, was ist mit Ihnen los? Sind Sie krank?“

„Ich fühle mich saft- und kraftlos. Offenbar ist mir das Essen nicht bekommen. Mir ist oft übel.“

 

„Gehen Sie zu Doktor Laurens, und sagen Sie es ihm.“

Der Erste riß sich gewaltsam zusammen und versuchte Klarheit und Frische in seinen Blick zu legen.

„Geht schon wieder“, murmelte er. „Jeder fühlt sich mal unpäßlich. Das gibt sich meist von allein.“

„Wie Sie wollen. Legen Sie sich eine Weile aufs Ohr und schicken Sie mir Cronberg aufs Achterdeck.“

Der Erste versuchte, aufrecht zu gehen, doch sein Blick wurde wieder trübe, und seine Schultern hingen herab. Er schlurfte etwas beim Gehen.

Kurz darauf erschien achtern Arie Cronberg, der Zweite Offizier.

Bontekoe wiederholte das, was er van Dongen gesagt hatte. Cronberg nickte sofort.

„Ja, bis nach Crooked schaffen wir es, bevor es richtig losgeht. Ich bin auch dafür, daß wir Schutz suchen, eben wegen der Passagiere. Mevrouw Willaerts scheint mir besonders anfällig und wetterfühlig zu sein. Sie klagte über Kopfschmerzen und hat offenbar Angst vor einem Unwetter.“

Die See war jetzt noch dunkler. An Backbord tauchte in ein paar Meilen Entfernung eine der kleinen Inseln auf, eine winzige Oase im Meer, unbewohnt, voller hoher Kokospalmen und einem Strand, der wie mit dem Lineal gezogen war.

Die winzigen Inseln wiesen kaum Buchten auf. Jedenfalls waren sie nicht groß genug, um bei einem Sturm Schutz zu geben. Wie ein riesiger Halbkreis zogen sie sich durchs Meer. An Steuerbord war jetzt die nächste zu sehen, die der ersten wie ein Ei glich.

Als sie die Inseln passierten und wieder andere auftauchten, sahen sie, daß starker Wind die Palmwedel bog. Er schüttelte sie durch, peitschte sie heftig, bis sich die Wedel tief nach unten bogen, und ließ dann sofort wieder nach. Ein untrügliches Zeichen, daß sich nicht nur ein Wetterchen näherte, sondern daß orkanartige Stürme bevorstanden. Über die See fuhr es wie mit tausend Peitschen. Es schäumte auf, bewegte sich heftig und verlor sich dann in langrollender Dünung.

In der Wolkenwand erschien ein dunkler, fast schwarzer Fleck, der sich langsam ausbreitete.

Als die Nacht anbrach, lief die Dünung hoch. Die ersten Seen türmten sich auf. Gischt stieg donnernd auf und verteilte sich wie ein Regenguß über alle Decks.

Das war der Zeitpunkt, daß es auch dem Zweiten Offizier dreckig ging und er über Übelkeit klagte. Van Dongen lag immer noch in seiner Koje, erschien aber zwei Stunden später auf dem Achterdeck.

„Sie werden mir doch nicht seekrank werden!“ scherzte der Kapitän.

Doch dem Zweiten war nicht nach Scherzen zumute. Er fühlte sich so hundeelend wie noch nie in seinem Leben. Bontekoe schickte ihn ebenfalls nach unten und war ziemlich ratlos.

Doktor Laurens konnte nichts Besonderes feststellen. Er gab Cronberg einen Becher voll Essigwasser zu trinken, bis der Zweite sich erbrach. Vorerst glaubte jeder noch an eine Magenverstimmung, wie sie nicht selten war. Dafür sprachen alle Anzeichen. Merkwürdigerweise ging es den anderen Männern gut.

Kurz nach Mitternacht heulte es laut über die See. Fauchend fuhr es heran, peitschte ins Meer und türmte es zu schäumenden Wogen auf, die donnernd heranjagten.

Die „Nieuw Hoorn“ begann auf den Wellen zu tanzen, rannte nur noch bockig durch das Wasser und schüttelte die gewaltigen Fluten ab, die immer wieder auf sie niederdonnerten.

Bontekoe bezeichnete das noch nicht als Sturm. Das waren erst die Vorläufer. Das dicke Ende folgte noch. Etwa gegen Morgen würde sich der Sturm in aller Heftigkeit austoben.

Zwei Sturmsegel standen noch, unter denen der Dreimaster jetzt schäumend, rollend und schlingernd durch die See jagte.

Der Kapitän ging nach achtern, um nach seinen Gästen zu sehen. In der einen Kammer, die durch ein Schott mit der danebenliegenden verbunden war, hatten die Willaerts ihr Quartier. Doktor Laurens Kammer lag schräg gegenüber.

„Wird es schlimm, Kapitän?“ fragte Willaerts.

„Keine Sorge, Mijnheer, der richtige Sturm bricht erst später los. Aber dann liegen wir in einer geschützten Bucht vor Anker und warten das Unwetter ab. Sagen Sie das Mevrouw Willaerts und auch Ihrer Tochter, damit sie sich nicht ängstigen. Ich wollte Ihnen das nur mitteilen. Haben Sie noch einen Wunsch?“

„Danke, Kapitän. Wir verlassen uns ganz auf Sie und Ihr Schiff. Ich werde es meiner Familie sagen.“

Bontekoe zog sich wieder zurück und ging aufs Achterdeck. Willaerts Glaube an das Schiff schien unerschütterlich zu sein.

Die „Nieuw Hoorn“ jagte weiter dahin. Sie bäumte sich wild auf, hob den Bug steil in den Himmel und donnerte unter ohrenbetäubendem Krachen in die See zurück.

Die Nacht war pechschwarz. Kein Stern zeigte sich. Der Mond versteckte sich hinter schnell dahinjagenden, finsteren Wolken. Weit voraus waren weiße Schaumkronen zu sehen, die wie Lämmerherden in der See standen.

Als der Morgen graute, begann der Sturm an Heftigkeit zuzunehmen. Aber jetzt sahen sie bereits Backbord voraus die fast fünfzig Meilen lange und schmale Crooked Insel Long Island. Ihr vorgelagert waren eine Handvoll kleiner Inseln. Der Sturm zerfetzte bereits die Palmen, ließ das Wasser über die Eilande schaumig aufsteigen und verwüstete die Vegetation.

Bontekoe jagte seine holländische Galeone in die enge Passage hinein, wo das Wasser sofort ruhiger, wurde. Die langgezogene Bucht mit dem langen V-förmigen Einschnitt bot Schutz. Ein paar Hügel davor hielten noch zusätzlich den Wind ab.

Das Unwetter tobte weiter und nahm an Heftigkeit zu. In der Bucht merkte man kaum etwas davon. Da waren nur das wilde Fauchen, Brausen und Heulen und das Donnern der See zu hören, die wütend gegen die Insel anrannte.

Der Anker wurde gesetzt. Die Männer sahen sich erleichtert an und bedauerten jene Seeleute, die sich jetzt draußen befanden. So manches Schiff würde sich an diesem Tag die See holen, und so mancher Seemann würde in der kochenden Hölle jämmerlich ertrinken.

„Klart die Decks auf“, befahl Bontekoe, „ein Mann bleibt weiterhin im Ausguck. Ablösung jeweils nach einer Stunde.“

Er sah, daß die Männer sich nicht rührten, sondern nur auf van Dongen starrten, der sich zusammenkrümmte, das Gesicht schmerzhaft verzog und anschließend das Gleichgewicht verlor. Noch bevor ihn jemand halten konnte, brach er auf den Planken zusammen.

Bontekoe bückte sich schnell. Bestürzt stellte er fest, daß dem Ersten der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn stand. Er tastete nach der Stirn des Mannes und stellte weiterhin fest, daß sie fast glühte. Den Ersten schüttelte auch prompt ein Fieberanfall.

„Zum Teufel, was ist denn los?“ fragte der Kapitän heiser. „Steht nicht rum, Kerls, holt den Doktor!“

Noch während van Dongen sich krümmte, unter Schwindelanfällen, Schweißausbrüchen und Übelkeit litt, begann sich das gleiche auf gespenstische Weise an dem Zweiten Offizier zu wiederholen.

Cronberg krümmte sich ebenfalls, verzog das Gesicht, als müsse er sich erbrechen, und wankte dann davon in seine Kammer.

Bontekoe starrte ihm betroffen nach und blickte dann wieder auf den Ersten und die umstehenden Männer.

Alle hatten ernste, nachdenkliche, aber auch verstörte oder abweisende Gesichter. In manchen war deutlich Angst zu erkennen. Das waren die Männer, die keine Erklärung fanden und derartige Dinge immer gleich auf Hexerei oder anderen Unsinn schoben.

Doktor Laurens erschien an Deck und beugte sich sogleich über den Ersten.

„Hohes Fieber“, stellte er fest, „am besten, wir bringen ihn in eine der Krankenkammern unter der Back, Kapitän.“

„Ist es schlimm?“ fragte Bontekoe hilflos. Er sah das nervöse Zucken im Gesicht des Arztes und dachte sich seinen Teil. Auch Laurens Stimme klang seltsam heiser.

„Halb so schlimm. Fieber hat man schnell.“

„Dem Zweiten Offizier ergeht es ähnlich, Doktor.“

„Dann lassen Sie auch ihn unverzüglich in die Krankenkammer bringen.“

Die Männer gingen stumm auseinander, als sie den Ersten Offizier wegbrachten. Ihre Blicke wurden jedoch immer mißtrauischer.

Zwei Mann wollten helfen, doch Bontekoe scheuchte sie mit einer unwilligen Handbewegung fort. Er wollte bei dem bevorstehenden Gespräch mit Doktor Laurens keine Zeugen haben, die nur Unruhe unter die Mannschaft brachten.

Sie betteten den Ersten auf eine schmale Koje mit hohen Seitenwänden.

Dann war der Zweite an der Reihe, den ebenfalls das Fieber stark erwischt hatte. Er klagte über Mattigkeit in allen Knochen und fühlte sich halbtot und zerschlagen.

Während Laurens die beiden Männer untersuchte, wurde sein Gesicht immer ernster und verschlossener. Bontekoe stand unruhig daneben und trat von einem Bein aufs andere. Das Schweigen in der Krankenkammer war entsetzlich. Die einzigen Töne, die hereindrangen, waren das weit entfernte Brausen und Dröhnen des Unwetters.

„Was fehlt den Männern?“ fragte der Kapitän nach einer Weile schließlich ungeduldig. „Ist es schlimm?“

„Es ist so schlimm“, sagte Laurens ernst, „daß wir die beiden Krankenkammern als Quarantänestation einrichten müssen. Das schlage ich jedenfalls dringend vor.“

„Verdammt“, sagte Bontekoe schluckend, „doch nicht etwa die – die Pest?“ Entsetzt blickte er den Arzt an, der bedächtig den Kopf schüttelte.

„Nein. Ich wollte vorhin die Mannschaft nicht beunruhigen. Die malt ja immer gleich den Teufel an die Wand. Ich vermute, daß die beiden Männer an Typhus erkrankt sind.“

„Typhus“, murmelte Bontekoe, „das ist ja fast genauso schlimm. Daran sind schon viele gestorben. Da hat der Satan seine Hände im Spiel, Doktor.“

„Das hat nichts mit dem Teufel zu tun“, erklärte der Arzt gelassen. „Man weiß noch nicht sehr viel über diese Krankheit. Vermutlich wird sich dazu auch noch die Ruhr einstellen. Jedenfalls dürfen die Leute mit keinen anderen mehr in Berührung kommen. Falls der nächste Fall auftritt, muß der Patient sofort abgesondert und isoliert werden.“

Bontekoe stieß tief die Luft aus. Seine sonst so ruhigen Bewegungen wurden immer fahriger.

„Was – was ist die Ursache dieser Krankheit?“ fragte er.

Doktor Laurens erklärte auch das bereitwillig.

„Soweit heute bekannt ist, dürfte die Ursache dieser Krankheit mangelnde Sauberkeit sein.“

Die Antwort warf den Kapitän fast um.

„Mangelnde Sauberkeit?“ sagte er empört. „Auf meinem Schiff, Herr? Da blitzt doch alles vor Sauberkeit.“

„Ich weiß, ich weiß, Kapitän. Natürlich haben Sie keine Schuld daran und sich somit auch nichts vorzuwerfen. Aber wir waren in Havanna, und da sind schon oftmals Fälle von. Typhus aufgetreten. Ich vermute deshalb auch, daß der Erreger dieser Krankheit aus Havanna eingeschleppt wurde.“

„Kann man die Krankheitserreger sehen?“ fragte Bontekoe. Über Typhus wußte er so gut wie nichts.

„Nein, das ist noch nicht gelungen, dazu sind sie zu klein. Man nimmt an, daß Läuse die Erreger des Typhus übertragen.“

„Läuse – auf meinem Schiff?“ ächzte der Kapitän. „Um Himmels willen, es gibt doch hier keinen Dreck! Was ordnen Sie an, Doktor, und was geschieht mit den beiden Offizieren?“

„Ihr Feldscher kann zunächst mit der üblichen Behandlung beginnen, Kapitän. Aderlaß und Einlauf, das ist so üblich. Sagen Sie dem Mann aber keine Einzelheiten. Das Wissen um diese Krankheit sollte unter uns bleiben, damit es keine Panik gibt.“

Bontekoe nickte in stummem Entsetzen.

„Und weiter?“ fragte er tonlos.

„Wir werden das Schiff einer gründlichen Säuberungsaktion unterziehen. Die Räume müssen mit Essigwasser ausgewaschen werden. Dann muß sich jeder Mann, auch die Achterdecksleute, einer äußerst gründlichen Reinigung unterziehen. Falls jemand Läuse hat, wird er kahlgeschoren. Die Sachen, die die Leute tragen, werden gebündelt und über Bord geworfen. Nur so haben wir Aussicht, der Krankheit und vor allem der weiteren Ansteckung Herr zu werden.“

Bontekoe stützte das Gesicht in die Hände und schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf.

„Das ist an Bord meines Schiffes noch nie passiert. Wird es Tote geben, Doktor?“

„Das weiß Gott allein“, erwiderte Laurens. „Es ist eine schwere Krankheit mit Anzeichen von Blutvergiftung. Vermutlich haben sich die Leute schon vor zehn bis vierzehn Tagen in Havanna angesteckt. Die Krankheit dauert allgemein vier bis sechs Wochen. Es bilden sich Geschwüre, das Fieber steigt stark. Robuste Naturen können überleben, geschwächte Menschen haben es schwieriger. Es gibt bei dieser teuflischen Erkrankung auch immer wieder Rückschläge.“

„Aha! Sie sprechen also von einer teuflischen Krankheit. Vorhin sagten Sie, das habe mit dem Teufel nichts zu tun. Vielleicht ist doch jemand an Bord, der die Leute verhext.“

 

Doktor Laurens brauchte eine ganze Weile, um dem Kapitän die Vermutung mit dem Teufel auszureden. Aber selbst dann glaubte der es immer noch nicht so recht.

„Ich kümmere mich gleich um die beiden“, sagte Laurens, „schicken Sie aber schon mal den Feldscher vorbei. Falls er erkennt, mit was wir es zu tun haben, sollten wir ihn einweihen und zum absoluten Stillschweigen verpflichten.“

„Ich werde auch die Willaerts unterrichten“, murmelte der Kapitän. „Ich habe die Verantwortung für sie und betrachte das als meine Pflicht. Mijnheer Willaerts ist ein ruhiger und besonnener Mann, und er ist vertrauenswürdig und hilfsbereit. Ich kann ihm das nicht verschweigen.“

„Gut“, sagte der Arzt nach einer Weile, „ziehen Sie ihn ins Vertrauen, meinetwegen. Aber veranlassen Sie bitte auch gleichzeitig, daß er und seine Familie nicht mehr ihre Kammern verlassen.“

Die beiden Männer verließen den Raum und kehrten zur Kuhl zurück, wo die Männer sie mit mißtrauischen und bangen Gesichtern anstarrten.

„Was ist mit den Offizieren passiert, Cap?“ fragte der Decksälteste.

„Gar nichts ist mit ihnen passiert“, sagte Bontekoe grob. „Sie haben Fieber oder Durchfall. Und damit euch nicht das gleiche widerfährt, werden wir Schiff und Mannschaft gründlich säubern. Pützt die große Waschbalje voll, zieht eure Klamotten aus und legt sie auf der Kuhl auf einen Haufen. Das Zeug fliegt über Bord. Ich werde euch neue Hemden und Hosen aus der Kleiderkammer geben. Sie sorgen dafür, daß alles sofort und reibungslos verläuft, Hendrik. In die Waschbalje wird ordentlich Essig gegossen, und dann schrubbt ihr euch gegenseitig ab. Doktor Laurens wird das überwachen. Und ich will kein Gemurre hören, verstanden?“

Es murrte auch niemand. Sie gehorchten, denn vor ansteckenden Krankheiten hatten sie mächtige Angst, und so taten sie schnell und eifrig alles, was Bontekoe und der Doktor anordneten.

Während auf See der Sturm brüllte und haushohe Wogen gegen die Strände rannten, ging Bontekoe nach achtern zu den Willaerts.

Der Handelsagent war allein in der Kammer. Frau und Tochter waren nebenan. Bontekoe hörte sie leise miteinander reden.

„Bei Ihnen sind wir in den besten Händen“, sagte Willaerts, „geradezu phantastisch, wie Sie es geschafft haben, dieses ruhige Plätzchen zu erreichen, bevor uns die See zertrümmerte. Sie sollten fröhlicher dreinschauen, Kapitän, denn uns ist nicht ein Haar gekrümmt worden. Was bedrückt sie denn so?“ fragte er, als er das mißmutige Gesicht des Kapitäns sah.

„Wir haben ein Problem, Mijnheer“, flüsterte Bontekoe, „es sind zwei Kranke an Bord, meine beiden Offiziere. Ich will auch nicht lange drum herumreden. Doktor Laurens vermutet, daß sie Typhus haben.“

Einen Augenblick herrschte absolutes Schweigen. Florian Willaerts hob den Kopf und sah den Kapitän ungläubig an. Dann schluckte er hart, während seine Augen groß und weit wurden.

„Typhus?“ fragte er fassungslos.

„Ja, so sieht es aus.“

„Mein Gott“, sagte Willaerts kaum hörbar. „Dann haben wir uns in Havanna angesteckt. Dort gab es vor ein paar Wochen etliche Fälle von dieser fürchterlichen Krankheit. Was soll jetzt geschehen?“

Willaerts war zwar tief bestürzt, zeigte aber keine Panik. Äußerlich blieb er ruhig, er atmete nur flacher.

„Zunächst möchte ich Sie bitten, Ihre Kammer nicht mehr zu verlassen, damit Sie nicht angesteckt werden. Das gilt natürlich auch für Ihre Familie. Der Koch und Feldscher wird Ihnen alles bringen, was Sie brauchen. Falls Sie es für richtig erachten, Ihre Familie darüber aufzuklären, dann tun Sie es bitte sachlich. Hysterie und Angst können wir am allerwenigsten gebrauchen. Für die Mannschaft habe ich die Anordnungen bereits getroffen. Mehr kann ich im Augenblick leider nicht tun.“

„Ich verspreche, Ihnen zu helfen, soweit es in meiner Macht steht“, sagte Willaerts schlicht. „Sie haben auch mein Wort darauf, daß weder meine Frau noch meine Tochter noch ich die Gästekammer verlassen werden. Besteht die Möglichkeit, daß wir nach Havanna zurückkehren können?“

„Nein, eine Rückkehr ist ausgeschlossen. Wenn die Hafenbehörden erfahren, daß ich mit Kranken an Bord einlaufe, dann ist der Teufel los. Ich kann das auch nicht verantworten.“

„In Havanna könnte uns auch ohnehin niemand helfen“, meinte der Handelsagent niedergeschlagen. „Hm, zwei Fälle, sagten Sie. Sind die Leute isoliert worden?“

„Allerdings.“

„Mit Gottes Hilfe und etwas Glück kann es durchaus bei den beiden Fällen bleiben, Kapitän. Aber das wird sich erst in den nächsten Tagen herausstellen.“

Zumindest ist er optimistisch, dachte Bontekoe. Willaerts war überhaupt der geborene Optimist. Der vertraute auf das Schiff, auf den Kapitän, auf das Glück und Gottes Hilfe. Bontekoe war das aber immer noch lieber, als einen von Panik erfüllten Mann vor sich zu haben. Wenn man ruhig und gelassen blieb, war alles leichter.

„Ich bin zur Mitarbeit und Hilfe bereit, falls Sie mich brauchen, Kapitän“, sagte Willaerts ohne jedes Pathos.

„Danke, das ist wenigstens etwas“, meinte Bontekoe. Dann ging er, um an sich die gleiche Prozedur vorzunehmen, wie die meisten anderen sie bereits hinter sich hatten.

Etwas später lagen auf dem Deck gebündelte Kleider, und drei Mann der Besatzung hatten keine Haare mehr auf dem Schädel. Sie standen herum und schämten sich ihrer Kahlköpfigkeit. Doch es gab keinen, der einen faulen Witz darüber riß oder lachte.

Doktor Laurens kam herüber. Auch er hatte sich umgezogen, die alten Plünnen zu den übrigen geworfen und sich gründlich gesäubert und mit Essigwasser abgerieben.

„Drei Männer hatten Läuse“, sagte der Arzt leise. „Es ist durchaus möglich, daß dadurch die Krankheit eingeschleppt und verbreitet wurde. Fürs erste scheint jetzt alles in Ordnung zu sein, Kapitän.“

„Hoffen wir es, Doktor. Mit Willaerts habe ich gesprochen. Ich kann mich auf den Mann voll und ganz verlassen. Er war sehr sachlich.“

Bontekoe blickte zum Meer hin. Es war so aufgewühlt, wie er es lange nicht mehr gesehen hatte. Schaumige Streifen hingen in der Luft, die der Sturm fast waagerecht vor sich herblies. Immer wieder rannten schwere Seen gegen die Inseln. Ein großer Teil der Palmen war entwurzelt worden und trieb in der kochenden Hölle.

Dann drehte er sich um und sah zu, wie zwei schweigsame Männer aus seiner Besatzung die alten Klamotten zu einem riesigen Bündel zusammenschnürten. Es wurde mit einer eisernen Kanonenkugel beschwert.

Dann hievten sie das Bündel über Bord und warfen es ins Wasser. Es gab nur einen kleinen Strudel, dann war es verschwunden. Lediglich ein paar kleine Blasen stiegen noch hoch.

Bontekoe stützte sich schwer auf den Handlauf des Schanzkleides und starrte dorthin, wo es noch einmal leicht blubberte. Er glaubte, eine Gänsehaut auf seinem Körper zu spüren, doch das konnte bloße Einbildung sein.

Hoffentlich bleibt es bei diesen beiden Fällen, überlegte er.

Er wußte nicht was er tun sollte, wenn der Typhus weiter um sich griff. Er konnte nicht mehr umkehren und erst recht nicht die Reise über den Atlantik fortsetzen.

Vor seinem geistigen Auge entstand ein Totenschiff, auf dem ausgebleichte Skelette herumlagen.

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