Seewölfe - Piraten der Weltmeere 184

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 184
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-520-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Der spanische Kapitän der Dreimastgaleone „Kap Hoorn“ zuckte zusammen, als die Stimme aus dem Großmars erklang.

„Land! Land, zwei Strich Backbord voraus!“

Jesus Maria Sinona hob zum Zeichen, daß er verstanden hatte, die Hand und ließ sich das Spektiv reichen.

Was in der Optik als kleiner Ausschnitt erschien, brachte ein Lächeln auf seine Lippen.

Ja, das mußte die Insel sein, die sie suchten, daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr.

Er sah einen dünnen Strich aus dem blauen Wasser ragen und glaubte, spitze Schroffen auf diesem Strich zu erkennen, der sich dunkelgrün vom noch fernen Horizont abhob. Weitere Einzelheiten vermochte er noch nicht zu sehen, denn am Horizont hing ein feiner trüber Schleier wie flüchtiger Nebel.

Sein Lächeln vertiefte sich, als er dem ersten Offizier das Spektiv zurückgab.

„Sehen Sie hindurch, Senor Fusté! Und dann vergleichen Sie noch einmal die Roteiros. Es müßte die Insel sein.“

Der Erste, ein kleiner, drahtiger Mann mit stechenden Augen und bläulichen Bartschatten im Gesicht, blickte ebenfalls durch das Spektiv und lehnte sich an die Schmuckbalustrade.

Nach einer Weile nickte er.

„Si, Senor Capitan“, sagte er. „Ich habe mich in der Navigation also doch nicht geirrt, wie Sie bemerkten.“

Er zog die in dunkles Leder gebundenen Roteiros zu sich heran, breitete sie auf dem Tisch aus, den man extra aufs Achterkastell gestellt hatte, und verglich die Angaben.

Die Roteiros waren umfangreich und ziemlich exakt. Um ihre geringfügigen Abweichungen hätte sie jeder Engländer beneidet. Diese Karten waren das Produkt sorgfältiger Forschungen, Skizzierungen und Vermessungen.

„Nun, was ist?“ fragte Sinona ungeduldig.

„Siebzehn Grad südlicher Breite, hundertneunundvierzig westlicher Länge“, erwiderte der Erste, „die Minuten kann ich nicht genau errechnen. Aber wir sind da. Weit und breit ist keine andere Insel in der Nähe zu sehen.“

„Es könnten ja noch andere dahinterliegen“, sagte Sinona sarkastisch. „Oder halten Sie das für ausgeschlossen, Senor Fusté?“

„Nein, aber meinen Berechnungen nach …“

Der Kapitän winkte ab und blickte zu dem feinen Landstrich.

Die „Kap Hoorn“ segelte mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend ihrem Ziel entgegen.

Der Himmel war von jener Bläue, wie es ihn hier nur in Polynesien gab. Die winzigen Wattewolken an Steuerbord gehörten zum täglichen Bild. Wie festgeleimt hingen sie im Blau des Himmels, seit Tagen schon, und sie schienen die „Kap Hoorn“ auf ihrem Weg zu begleiten, als hätte man sie extra bestellt.

Kapitän Jesus Maria Sinona begann auf dem Achterkastell auf und ab zu gehen. Das tat er immer, wenn er in Gedanken versunken war, und so überhörte er auch die Frage des ersten Offiziers.

Erst als Fusté sie zum zweiten Male stellte, vernahm er sie.

„Ja, natürlich ändern wir den Kurs“, sagte er ungeduldig. „Das erwarte ich von Ihnen in alleiniger Entscheidung. Diablo, Senor Fusté, das sollten Sie mittlerweile wissen, auch wenn es Ihre erste Reise an Bord der ‚Kap Hoorn‘ ist.“

Die kohlschwarzen Augen des Kapitäns blickten den Ersten durchbohrend an, der daraufhin verlegen nickte und die erforderlichen Befehle weitergab.

Der Kapitän nahm seine Wanderung wieder auf. Sie führte ihn von Steuerbord nach Backbord, mitunter blieb er ein paar Sekunden stehen, dann wanderte er weiter.

Seine Gedanken kreisten um seinen Auftrag, sie drehten sich um die Brotfrucht, genauer um den Brotfruchtbaum, der auf einigen wenigen Inseln Polynesiens wuchs. Auf den meisten anderen gab es ihn nicht.

Seine Aufgabe war es, die Brotfrucht auch dort zu verbreiten, wo sie nicht wuchs und sich Inseln in spanischem Besitz befanden. Gleichzeitig sollten die Heiden bekehrt werden, wie die Spanier es auch schon in weiten Teilen der Dritten Welt getan hatten. Das war eine Anordnung seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp des Zweiten.

Sinona war auf seinen vielen Reisen bisher immer erfolgreich gewesen und hatte sich gegen Engländer und Franzosen behaupten können.

Auch diesmal hoffte er es zu sein. Er hatte die Eingeborenen ganzer Völkerstämme zum Christentum bekehrt, und sein Name in der Dritten Welt war gefürchtet, geachtet – und verhaßt. Zweimal hatte er Kap Hoorn gerundet, und ihm zu Ehren hatte diese Dreimastgaleone auch ihren Namen.

Er unterbrach seine rastlose Wanderung und ließ sich wieder das Spektiv geben.

Die Insel, nach den Berechnungen war es Tahiti, war größer geworden, und erste Einzelheiten waren zu erkennen.

Grünbewaldete Berge erhoben sich in den Himmel, einige kegelförmig, andere spitz und schroff, aber ebenfalls dicht bewachsen.

Zwischen den Bergen schien es eine Bucht zu geben, aber er war sich nicht ganz sicher. Das konnte auch täuschen, vielleicht war es nur ein Einschnitt zwischen den Bergen.

Erste Zweifel kamen ihm jedoch, als sich die „Kap Hoorn“ noch weiter dem Land näherte.

„Sind Sie sicher, Senor Fusté“, fragte er, „daß Sie sich in Ihren Positionsangaben nicht getäuscht haben? Man müßte Hütten erkennen können, zumindest einen weißen Strand und hohe Kokospalmen. Prüfen Sie Ihre Roteiros noch einmal!“

Der Erste lief rot an, schluckte hart und wollte etwas erwidern. Doch die Autorität, die Sinona ausstrahlte, ließ ihn verstummen.

Er sah in die schwarzen, durchdringenden Augen und nickte, fast gegen seinen Willen.

„Ich überprüfe es, Senor Capitan, aber es ist ausgeschlossen, daß ich mich geirrt habe.“

„Ausgeschlossen ist nichts, Senor Fusté“, erwiderte der Kapitän mit harter Stimme. „Jeder kann sich mal irren, und auch ich gestehe Ihnen einen Fehler zu. Allerdings darf er nicht groß sein, sonst wäre er unverzeihlich.“

Fusté begann mit seinen komplizierten und langwährenden Berechnungen erneut, aber bis er alles überprüft hatte, waren sie der Insel schon ein ganzes Stück nähergerückt.

Er bemerkte den spöttischen, fast verächtlichen Blick des Kapitäns und preßte die Lippen zusammen. Wenn der Kapitän so blickte, fühlte er sich klein und häßlich und begann immer unsicherer zu werden.

„Hoffentlich sind Sie fertig, bis wir die Insel angelaufen haben“, sagte Sinona gehässig. „Oder wir wenden eine andere Methode an, um unsere Position festzustellen. Die Methode ist ganz einfach und hat sich immer bestens bewährt. Sie gehen einfach an Land und fragen den nächstbesten Kanaken, wie die Insel heißt.“

Dem Ersten stieg noch mehr Röte ins Gesicht, und er blickte auf.

„Ich weiß, daß dies Tahiti ist“, murmelte er gepreßt. „Ich habe mich nicht geirrt, Senor Capitan.“

„Dann bin ich beruhigt.“

Eine Zeitlang schwieg Sinona und lehnte lässig an der Schmuckbalustrade. Nur seine Augen irrten immer wieder über das Land, und Fusté sah, daß er unmerklich den Kopf schüttelte.

Nein, er hatte sich nicht verrechnet, todos los Santos, bei allen Heiligen nicht, darauf hätte er sogar seinen Kopf verwettet.

„Tatsächlich eine Bucht“, hörte er Sinona murmeln. „Wir werden in diese Bucht segeln, Senor Fusté, und hinter der Korallenbank vor Anker gehen. Alle Mann auf Stationen!“

Der Erste gab den Befehl an den bulligen Profos Orleano Bollo weiter, und der begann sofort zu brüllen, um die Crew sowie die Seesoldaten auf Trab zu bringen.

Zwei Segel wurden aufgegeit. In diesem Augenblick begann die „Kap Hoorn“ den zweiten bewachsenen Berg zu runden, hinter dem sich die langgestreckte Bucht ankündigte.

Es war ein eindrucksvolles Bild. Die ganze Insel war überwältigend, das ließ sich an den Gesichtern der Männer ablesen, die auf ihren Stationen standen und die Landschaft bewunderten.

Sie tuschelten erregt miteinander, zeigten immer wieder zum Land hinüber und einige begannen zu grinsen.

„Steht hier nicht rum!“ brüllte der Profos. „Denkt nicht schon wieder an Weiber, ihr verlausten Kerle. Tut eure Arbeit schnell und willig, sonst erlebt ihr die Hölle!“

Die Männer kuschten wie immer, wenn der meist übelgelaunte und rechthaberische Profos erschien. Das Getuschel hörte auf, als der Profos jeden Handgriff überwachte.

Die Männer hatten nicht einmal Zeit, die einmalige Schönheit dieser paradiesisch anmutenden Bucht zu bewundern.

Dafür genoß Sinona vom Achterkastell aus diesen märchenhaften Anblick, und insgeheim gab er seinem Ersten recht, daß sie doch die richtige Insel gefunden hatten.

Blendendweißer Sandstrand tauchte auf, aber merkwürdigerweise gab es hier nur ein paar Kokospalmen. Hinter dem weißen Strand begann dunkelgrünes Dickicht, gleich dahinter stiegen die bewachsenen Berge an.

 

Vor der „Kap Hoorn“ aber dehnte sich auf dem Wasser der Steuerbordseite eine phantastisch anmutende Korallenbank, an der sich schäumend weißes Wasser im dunklen Blau einer dahinterliegenden Lagune spiegelte.

Sidona warf einen schnellen Blick zu dem Rudergänger und gab ihm mit dem Daumen ein Zeichen, leicht nach Backbord abzufallen.

Er trat an die Schmuckbalustrade und sah ins Wasser, während die Galeone ganz leicht den Kurs änderte.

Eine Fahrrinne, von der Natur geschaffen, führte zum Strand hin. Es sah aus, als hätte Menschenhand sie geschaffen, so exakt verlief sie.

Korallenbänke befanden sich auch auf der anderen Seite, dazwischen gab es ein tiefes blaues Loch, das aber gleich in das sanfte Grün weiterer Korallen überging.

Das natürliche Riff war mindestens zweihundert Yards breit. Die Länge mochte mehr als drei Kabellängen betragen.

Wer hier auflief, überlegte Sinona, der war rettungslos verloren, denn die scharfen Korallenspitzen befanden sich zum Greifen nahe unter der brodelnden Wasseroberfläche. Eine leichte Berührung würde genügen, den Rumpf der Galeone von vorn bis achtern in ganzer Länge aufzuschlitzen.

In einem Abstand von knapp zehn Yards segelte die „Kap Hoorn“ an dem gefährlichen Riff langsam vorbei.

Sinona blickte immer noch wie gebannt ins Wasser. Er konnte den Blick von der einmaligen Farbenpracht nicht lösen. Er sah riesige, tellergleiche Korallen, dann wieder blutrote Äste, dicke Wurzeln und filigranartige gefiederte Blätter in allen Farben.

Den taktischen Fehler, den er begangen hatte, merkte er erst etwas später.

So prächtig und herrlich diese Lagune auch anzusehen war, sie erwies sich als heimtückische Falle, denn wenn ein anderes Schiff vor der natürlichen Einfahrt aufkreuzte, dann konnte es die Galeone mühelos und ohne sich selbst zu gefährden, unter Feuer nehmen.

Bei diesem Gedanken brach dem Kapitän der Schweiß aus, denn in die Lagune drang kaum noch Wind.

Die restlichen, noch stehenden Segel fielen schlaff in sich zusammen wie bei einer plötzlichen Flaute.

Sekundenlang spiegelte sich auf seinem Gesicht Unbeherrschtheit, und er ballte die Hände zu Fäusten.

Den Ersten hatte er wegen seiner vermeintlichen Positionsfehler gerügt, und jetzt unterlief ihm selbst dieser grobe Schnitzer, ihm, dem erfahrenen Kapitän.

Andererseits war kaum damit zu rechnen, daß hier ein Gegner auftauchte, aber es war eben nicht mit absoluter Sicherheit auszuschließen.

Nach einer weiteren Kabellänge wurde er jedoch ruhiger, und sein Körper entspannte sich.

Es gab aus dieser Lagune auch wieder einen Ausweg, einen prächtigen Ausweg sogar, wie er erkannte, und damit konnte ihnen niemand mehr gefährlich werden.

Sinona atmete erleichtert aus, als er den Weg sah, der sich ihm anbot. Im Halbrund führte die Fahrrinne in einem großen Bogen weiter, wurde dann immer breiter und lief wieder, diesmal zwischen zwei Bergen, ins Meer hinaus.

Damit erledigte sich sein Problem von selbst, und auch der sehr nachdenkliche Blick seines ersten Offiziers verschwand wieder.

Sinona lächelte vor sich hin. Nein, er hatte sich keine Blöße gegeben, und jeder glaubte, er kenne sich hier gut aus.

Er gab das Zeichen zum Ankersetzen und suchte mit dem Spektiv die Umgebung ab.

Keine Menschenseele hauste hier. Anscheinend war die Insel leer und verlassen, oder aber die Eingeborenen hatten das fremde Schiff entdeckt und waren geflohen.

Nun, es würden sich Hinweise finden lassen, dachte Sinona, es mußte Hütten und Spuren geben. Das würde die erste Exkursion an Land zeigen.

2.

Zwei Boote mit jeweils zwölf Mann liefen knirschend auf den weißen Strand.

Sinona sprang als erster hinaus.

„Profos! Sie übernehmen die erste Gruppe und gehen in südliche Richtung. Die zweite Gruppe, die Richtung Westen marschiert, übernimmt Senor Fusté. Die restlichen Leute folgen mir.“

Die Befehle des Kapitäns wurden umgehend bestätigt. Die Seesoldaten packten ihre Musketen, Pistolen und Entermesser und bauten sich am Strand auf.

Sinona warf einen Blick zum Schiff hinüber, das jetzt unter dem Kommando des zweiten Offiziers stand. Die „Kap Hoorn“ war gefechtsbereit. Die Stückpforten waren hochgezogen, die Kanonen ausgerannt.

„Feststellen, wo sich Eingeborene aufhalten“, schnarrte Sinona, „Kontakt vorerst vermeiden, sofort einen Melder zu mir. Ich selbst gehe in diese Richtung!“

Er wies mit der Hand zwischen die schmale und unübersichtliche Einbuchtung der Berge.

„Alle Brotfruchtbäume, die wir antreffen, sind sofort auszugraben“, ordnete Sinona an. „Selbstverständlich nur die jüngeren Pflanzen. Senor Fusté, Sie sind mir dafür verantwortlich, daß diese Pflanzen mit ganz besonderer Sorgfalt und ohne die Wurzeln zu beschädigen, ausgegraben werden.“

„Si, Senor Capitan“, sagte der Erste.

Die Männer marschierten los. Trotz der Hitze trugen sie Kupferhelme, und schon bald lief ihnen der Schweiß in Strömen über die Gesichter.

Die uniformierte Truppe mutete fremdartig und seltsam auf dieser Insel an. Sie paßte nicht in dieses friedliche Bild von sanften Buchten, weißen Stränden und strahlend blauem Himmel.

Während die beiden Gruppen unter dem Profos und dem Ersten in entgegengesetzte Richtung gingen, drang Sinona in den Einschnitt vor.

Er hatte nur fünf Männer dabei, aber die waren alle bis an die Zähne bewaffnet. Über ihre grimmig blikkenden Gesichter lief nun in Bächen der Schweiß.

Ein Stück ging es am Strand vorbei, dann drangen sie in das Dickicht ein und liefen einen von der Natur geschaffenen Pfad weiter.

Kein Lufthauch brachte Kühlung. Bis auf das Krächzen eines Seevogels blieb alles still und ruhig.

Sinona sah sich immer wieder um. Er hatte das Gefühl, als belauerten unsichtbare Augen jeden ihrer Schritte. Aber er sah niemanden, so sehr er sich auch anstrengte. Es hatte immer noch den Anschein, als sei diese Insel unbewohnt.

Ein Seesoldat blieb stehen und deutete auf einen Pfad, der schräg zum Berg hinaufführte.

„Was ist?“ fragte Sinona ungehalten.

„Senor Capitan, das hier ist kein natürlicher Pfad. Der ist künstlich angelegt worden.“

Der Soldat bückte sich und wies auf einige Pflanzen, die niedergetreten waren. Man sah es kaum, aber Sinona erkannte, daß der Mann recht hatte.

„Tatsächlich, dann hat mich meine Ahnung also doch nicht getrogen. Aufpassen, Männer! Gebt acht, falls sich jemand weiter oben in den Bergen zeigt, sonst sitzen wir in der Falle.“

Mit äußerster Vorsicht gingen sie weiter. Sie kannten sich mit Eingeborenen aus, die waren immer unberechenbar. Auf manchen Inseln hatte man sie mit liebenswerter Freundlichkeit empfangen, auf anderen hatte man sie ohne Warnung angegriffen und einige der Crew augenblicklich getötet.

Wie es hier war, ließ sich nicht voraussagen. Wenn die Eingeborenen erfuhren, was sie wollten, dann war es mit der Freundlichkeit vermutlich sofort vorbei.

Die Brotfrüchte stellten ihre Hauptnahrung dar, und die würden sie sich nicht so ohne weiteres wegnehmen lassen.

Sinona lachte ärgerlich auf. Sollten sie, er hatte genügend Soldaten an Bord, die mit den paar Insulanern im Handumdrehen fertig werden würden.

Sinona übernahm wieder die Führung, erklomm den schrägen Pfad und sah sich immer wieder um. Die Pistole hielt er in der rechten Hand, bereit, sich nicht überrumpeln zu lassen.

Ein winziger Seitenarm der Lagune lief weiter ins Land und teilweise um den Berg herum. Es war nicht mehr als ein kleiner Bach, und Sinona glaubte auch von ihm, daß er künstlich angelegt worden sei.

Nach etwa zehn Minuten erreichten sie die Biegung. Sinona blieb stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt.

Vor ihnen, in einem kleinen Tal, mehr einer größeren Mulde, lagen die Hütten der Eingeborenen.

Sieben Hütten zählte Sinona. Sie waren auf Pfählen errichtet, waren aber keine Pfahlbauten wie bei den Salzwasserleuten, denn hier waren die Pfähle nicht höher als ein Yard. Und die Hütten waren oval und nicht rechteckig oder lang wie bei den anderen.

Sinona nahm das Bild in sich auf.

Zwischen den sieben Hütten stand eine Gruppe Kokospalmen. Ganz dicht dabei befand sich ein Wasserlauf, der aus den Bergen als Rinnsal hinunterfloß, hier unten breiter wurde und in den Nebenarm der Lagune mündete.

Niemand erscheint, um uns zu begrüßen, dachte Sinona. Das winzige Dorf schien verlassen zu sein, aber dagegen sprachen die beiden Ziegen, die hinter der Palmengruppe standen und herüberäugten. Eingeborene waren nicht zu sehen.

Sinona lächelte, aber es war kein gutes Lächeln.

„Sie haben uns längst gesehen“, sagte er ärgerlich. „Und ich halte jede Wette, daß sie jetzt irgendwo in den Bergen sitzen und uns beobachten. Weiter, wir sehen uns das Dorf an! Haltet die Waffen schußbereit und paßt auf!“

Mit schußbereiten Waffen näherten sie sich den Hütten, erklommen die kurzen Leitern und durchsuchten sie.

Außer einigen Hühnern, die in den Hütten kreischend auseinanderstoben, fand sich kein Lebewesen.

„Die Hühner, Senor Capitan“, sagte ein Seesoldat, „und die beiden Ziegen. Sollen wir …“

Sinona, verärgert darüber, daß sich die Insulaner so heimlich empfohlen hatten, nickte knapp.

„Lassen Sie das Viehzeug an Bord bringen! Die Kokosnüsse werden ebenfalls geerntet.“

Da sich keiner der spanischen Seesoldaten auf die hohen Palmen hinauftraute, wurde die erste kurzerhand mit den Schiffshauern gefällt. Sie krachte in eine Hütte und zerschlug sie.

Als Sinona das kommentarlos geschehen ließ, fällten sie die anderen Palmen ebenfalls, erschlugen die Ziegen und trieben die Hühner zusammen, denen sie die Beine zusammenbanden.

Sinona suchte Brotfruchtpflanzen, aber er hatte schon zuvor keine entdekken können, und so fand sich auch hier keine einzige.

Mittlerweile hatten die Seesoldaten auch die letzte Palme gefällt und von den Hütten standen nur noch die Pfähle. Alles andere war von den stürzenden Stämmen und ihren dichten Wedeln zermalmt worden.

„Cerana, Sie begleiten mich dort hinauf“, sagte der Kapitän. „Dort hat man mit Sicherheit einen Blick über den größten Teil der Insel. Ich will sie mir ansehen. Die anderen warten hier, bis ich zurück bin. Krempelt hier im Tal alles um, vielleicht gibt es doch noch irgendwo Pflanzen der Brotfrucht.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich Sinona um. Er fürchtete sich nicht vor den Eingeborenen, und er glaubte auch nicht mehr, daß sie ihn von den Bergen aus mit Steinen bombardieren würden. Dazu hatten sie zu sehr Angst. Sie mußten schon geflohen sein, als die „Kap Hoorn“ die Insel anlief und hielten sich jetzt irgendwo versteckt.

Cerana, einer der Bootsleute, ging schwitzend und keuchend den steilen Weg voran. Er schleppte die schwere Muskete, drei Pistolen im Gürtel, einen Schiffshauer und ein Entermesser. Immer wieder blickte er nach oben, in der Befürchtung, ihnen würde es Steine auf die Helme regnen.

Doch es regte sich nichts, alles blieb verdächtig still.

Es war ein mühsamer Aufstieg durch dichtes Unterholz, zugewachsenen dschungelartigen Busch und größere Geröllbrocken.

Je höher sie stiegen, desto malerischer wurde der Ausblick. Tief unter ihnen war jetzt die „Kap Hoorn“ winzig klein zu erkennen. Aus dieser Höhe sah man sogar die Korallenbänke und das dazugehörende prächtige Farbenspiel des Wassers. Es schimmerte grünlich, zarthellblau, dann wieder tiefdunkel oder, wie an den Rändern der Korallenbank, grünlichweiß mit wirbelndem Schaum.

Aber dafür hatte weder Sinona noch der nach Luft ringende Cerana einen Blick übrig. Sie beschränkten sich auf ein flüchtiges Hinsehen, ihre Gedanken waren ganz woanders.

Sinonas anfangs noch gute Laune verflog zusehends, als sie die letzten Yards erklommen und nun auf der Spitze standen, die ihnen einen Überblick über die gesamte Insel gestattete.

Der Kapitän stieß unbeherrscht einen Fluch aus.

„Puta madre santissimo!“ schrie er laut. „Todos Santos, sehen Sie sich das an, Cerana, und dann sagen Sie mir gefälligst auf der Stelle, wo wir hier eigentlich sind. Diesen unfähigen Idioten von Offizier werde ich mir später vorknöpfen.“

 

„Das – das ist nicht Tahiti, Senor Capitan“, murmelte Cerana. „Es muß sich um eine vorgelagerte Insel handeln, aber Tahiti liegt fraglos da vorn, weiter im Süden. Die Berge haben die eigentliche Insel unseren Blicken entzogen.“

„Wie schön, daß Sie das auch schon gemerkt haben“, sagte Sinona voller Sarkasmus. „Dieser navigatorische Versager wird das von seinem Sold bezahlen, alles, die gesamten Unkosten! Natürlich ist das Land im Süden Tahiti, und auf diesem lausigen Eiland werden wir ganz sicher keine Brotfrucht finden.“

Er hob das mitgebrachte Spektiv an die Augen und suchte die Strände der Insel ab.

Alle beide Gruppen waren zu sehen, die unter dem Profos und die andere, die Fusté führte. Nicht mehr lange, und die beiden hatten die Insel umrundet und würden sich begegnen.

Weitere Hütten der Eingeborenen gab es nicht, nur weiter hinten, direkt auf dem Strand, lag ein kleines Auslegerboot. Die paar Insulaner, die hier hausten, mochten sich irgendwo im Gewirr der Berge versteckt halten. Aber das war Sinona egal, mochte der Teufel die Insulaner holen, sie scherten ihn nicht mehr.

„Feuern Sie einen Schuß ab!“ befahl er und setzte das Spektiv wieder ans Auge, als sich neben ihm mit lautem Knall eine Pistole entlud.

Die Soldaten blieben Sekunden später stehen. Wie erstarrte Figuren aus einer Erzählung standen sie da. Dann setzten sie sich in Marsch und gingen den Weg zurück.

Sinona warf einen letzten, galligen Blick auf das Paradies, das sich tief unter ihm ausbreitete, und schaute zu der anderen Insel hinüber. Sie war höchstens zehn, zwölf Meilen entfernt und breitete sich aus wie Festland.

Gerade, als er sich endgültig abwenden wollte, sah er das Boot, das von der anderen Seite der Insel ins Wasser geschoben wurde. Es war ein Auslegerboot wie jenes, das am Strand lag. Ein knappes Dutzend Gestalten waren darin zu erkennen, die in auffallender Eile durch die schwache Brandung segelten und Kurs auf Tahiti nahmen.

„Sie haben uns beobachtet“, murmelte Sinona, „und jetzt treibt die Angst sie voran.“

Er winkte verächtlich ab. „Weiter, Cerana, diese Insulaner können uns nicht gefährlich werden, sie sind anscheinend nicht einmal mit Speeren bewaffnet.“

Cerana lächelte überheblich. Nein, dieses knappe Dutzend Insulaner konnte ihnen wirklich nicht gefährlich werden. Was wollten die schon gegen eine Kriegsgaleone der Spanier ausrichten?

Er folgte Sinona, der bereits mit dem Abstieg begann.

Unten warteten die anderen, aber Sinona verlor kein Wort darüber, was sie gesehen hatten. Er ließ sammeln und ordnete den Rückmarsch an. Die zwei Ziegen und die Hühner schleppten die Seesoldaten mit sich, ebenfalls die Kokosnüsse von den gefällten Palmen.

Die beiden anderen Gruppen warteten bereits vor den Booten am Strand.

Das Gesicht des ersten Offiziers war auffallend bleich, und er schlug die Augen nieder, als Sinona ihn höhnisch musterte.

„Tahiti, was?“ fragte er sanft.

Der Erste gab keine Antwort. Er blickte in den Sand und hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt.

„Ich frage Sie, ob das hier Tahiti ist, Senor Fusté?“ schrie Sinona wütend.

„Nein, Senor Capitan“, erwiderte Fusté kleinlaut.

„Ach! Dann stimmen Ihre Berechnungen also gar nicht. Und ich dachte immer, Sie verstünden etwas von Navigation.“

Sinona scherte sich nicht darum, daß die Seesoldaten wie Puppen herumstanden und verlegen jedes Wort mithörten.

Der Anpfiff des Kapitäns seinem ersten Offizier gegenüber war ihnen ausgesprochen peinlich.

„Ihr Fehler kostet uns mindestens zwei Tage, Senor Fusté“, sagte Sinona kalt. „Ich lasse Ihnen jedoch zwei Möglichkeiten offen, Sie können als Decksmann weiterfahren, oder Sie übernehmen die Unkosten. Dazu zähle ich Proviant und selbstverständlich die Heuer der Besatzung für diese zwei Tage. Das wird die Kriegskasse zu Ihren Ungunsten ein wenig entlasten. Ihre Antwort erwarte ich bis heute abend, Senor.“

„Jawohl, Senor Capitan.“

Fusté wußte schon jetzt, daß er sich nicht zum einfachen Decksdienst entscheiden würde. Er hätte bei der gesamten Mannschaft das Gesicht verloren. Andererseits konnte er zwei oder drei Monate ohne Sold fahren, aber er war Sinona trotzdem dankbar, daß der ihm eine dieser beiden Möglichkeiten gelassen hatte.

Für Sinona war der Fall damit vorerst erledigt.

„Zurück an Bord!“ befahl er. „Wir gehen sofort ankerauf und segeln die andere Insel an, die richtige diesmal. Ich hoffe, Sie sind in der Lage, uns dort hinzuführen, Senor Fusté“, setzte er höhnisch hinzu.

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