Seewölfe - Piraten der Weltmeere 539

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 539
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-947-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Fata Morgana

Die goldene Stadt ist zum Greifen nahe – doch immer verschwindet sie

Die goldene Stadt war zum Greifen nahe – aber immer wieder verschwand sie in den Lüften

„Wasser“, sagte der Schwede Stenmark heiser, „da vorn ist eine Oase, und das bedeutet Wasser, Smoky.“

„Ja, Wasser“, keuchte Smoky. „Für einen großen Schluck Wasser würde ich alle Schätze dieser Welt hergeben.“

Sie waren eins der Vorauskommandos, die in dem wüstenähnlichen Küstenstreifen nach Wasser suchen sollten. Jetzt schien sich ihre Hoffnung zu erfüllen. Nicht weit vor ihnen, nur noch hinter zwei riesigen Sanddünen halb verborgen, waren Dattelpalmen zu erkennen. Kein noch so winziger Luftbauch bewegte ihre Wedel. Von dem wolkenlosen Himmel brannte eine sengende trockene Hitze. Die Luft war so heiß, daß sie sich kaum noch in die gequälten Lungen ziehen ließ.

Beide Männer waren erschöpft, halb verdurstet, am Ende ihrer Kräfte. Jetzt mobilisierten sie alles, was sie noch hatten, boten ihre allerletzten Reserven auf. Mit heiseren Hurrarufen erkletterten sie die Düne, und dann sahen sie unter sich die Oase im gelben Sand liegen. Erst jetzt fiel ihnen auf, daß die Palmwedel vergilbt waren. Auch Büsche und Gräser waren verdorrt. Es gab kein Wasser mehr in der Oase. Sie war verlassen

Die Hauptpersonen des Romans:

Old O’Flynn – Der alte Haudegen geht nachts im Sturm über Bord, ohne daß es jemand merkt.

Ben Brighton – Der Erste Offizier muß seinem Kapitän melden, daß sie kein Trinkwasser mehr haben.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf steht vor schweren Entscheidungen, und jede kann die falsche sein.

Edwin Carberry – Der Profos braucht eine Menge Selbstbeherrschung, als er ein kleines Atoll besichtigt.

Der Kutscher – Als kluger Mann versucht er eine Erklärung für die Erscheinung einer Fata Morgana zu finden.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Die Nacht vom dreizehnten Februar 1597 begann mit wilder, stürmischer See im Arabischen Meer.

Diese nächtliche Sturmfahrt hatte böse Folgen. Als Resultat davon wurden die Trinkwasserfässer zerschlagen – und Old O’Flynn ging über Bord.

Dabei begann es ganz harmlos.

Smoky, Paddy Rogers und Old O’Flynn unterhielten sich über den „Magier“, dem sie auf den Leim gegangen waren und der sich schließlich als Sklavenhändler entpuppt hatte. Sie faselten immer noch von der „schönen fluoreszierenden gläsernen Kugel“, mit der das ganze Unheil begonnen hatte. Geendet hatte es damit, daß alle drei – und auch andere – auf einer Schebecke gelandet waren, sich später aber hatten befreien können. Den Magier hatte Old Donegal dabei über die Klinge springen lassen.

Jetzt lag Sokotra längst hinter ihnen, und die Galeone „Santa Barbara“ segelte auf Nordkurs dem arabischen Festland entgegen. Sie folgte somit jenen geheimnisvollen Seekarten, die die Zwillinge auf den Seychellen an Bord eines alten Wracks gefunden hatten.

Der Chamsin wehte aus Nordwest, von der Küste des Roten Meeres, dem ehemaligen Reich der Königin von Saba. Er stieß aus der breiten Sandebene, der Tihama, jener Wüste heran, die zu den heißesten Gebieten der Erde gehört. Er wirbelte Sand und Staub mühelos über den Hadramaut hinweg ins Arabische Meer und wühlte es auf. Dieser Wind war heiß und trocken, aber eben mit Sand und Staub und Dreck durchsetzt.

Gegen Abend hatte sich der Chamsin in ein fauchendes und brüllendes Ungeheuer verwandelt. Der Himmel war dämmrig. Verwirbelungen in Form von gewaltigen und mitunter trichterförmig zulaufenden Sandwehen türmten sich auf. In langen Staubfahnen jagten sie über das Meer und verfinsterten den Himmel.

Himmlische arabische Heerscharen jagten unter tosendem Gebrüll durch die Lüfte, wilde Reiter, die fauchend zuschlugen.

Die „Santa Barbara“ nahm das anfangs gelassen hin. Sie tanzte nur ein bißchen verspielt auf den Wellen, tauchte den Bug sanft ein, wiegte sich hin und her und seufzte dabei leise und verhalten, wenn sie ihre Glieder streckte.

„Heute kriegen wir’s wieder mal knüppeldick“, prophezeite Old O’Flynn. „An Deck bekommt man kaum noch Luft. Der verdammte Sand und Staubdreck verkleistert einem ja die Futterluke. Da sollen sich die Emirs mit dem Scheiß rumärgern. Ich enter ab und verhole mich in die Koje, wenn’s genehm ist.“

„Es ist genehm“, gestattete Smoky. „Hau dich nur auf die Matte, Donegal.“

Die riesige Gestalt Edwin Carberrys tauchte neben Smoky auf.

„Wer will hier schon wieder wen hauen?“ fragte er. Er knirschte dabei ein bißchen mit den Zähnen, der Profos, weil sich zwischen seine Beißerchen Sand geschoben hatte. Eine ganze Düne, wie er behauptete.

„Hier haut überhaupt niemand“, sagte Smoky. „Donegal will sich auf die Matte hauen, um dem Sandsturm zu entgehen.“

„Ah, so ist das“, murmelte Carberry. Er blickte in den immer finsterer werdenden Himmel, verzog das Gesicht und spie angewidert über Bord, weil er immer noch Sand zwischen den Zähnen spürte.

Smoky wischte sich demonstrativ über das Gesicht.

„Riesenferkel“, knurrte er. „Kennst du nicht mehr den alten ‚Isabella‘-Bordpsalm sieben? Wer gegen den Wind pißt, kriegt nasse Hosen. Den hat Shane aus der Taufe gehoben.“

„Weiß ich“, sagte Carberry unbeeindruckt. „Hab’ ich ja auch nicht getan. Ich werde mich hüten.“

„Dann laß gefälligst deine verdammte Spuckerei.“

„Davon kriegst du keine nassen Hosen“, versicherte Carberry. „Nur wenn du … Aber das kennst du ja. Bordpsalm sieben und so.“

Sie mußten die Gesichter nach Lee wenden, denn wieder jagte der Chamsin eine üble Sand- und Dreckwolke heran. Sie fuhr fauchend und brüllend in die Segel und überschüttete die Männer mit einem Hagel allerfeinster Sandkörnchen.

„Mistzeug, verdammtes“, knurrte Old O’Flynn verärgert. „Wenn das noch lange anhält, sitzen wir fest. Ende der Fahnenstange, die Reise ist dann beendet.“

„Weshalb sollen wir denn festsitzen?“ fragte Smoky. Er kniff die Augen zusammen und musterte Old Donegal, der sich ans Schanzkleid gelehnt hatte und im Auf und Ab der Wellen die Bewegungen der Galeone mitvollzog.

„Ist doch klar“, sagte der gallig. „Wenn noch mehr Sand ins Wasser geweht wird, wird das Meer immer dicker. Erst wie Suppe, dann wie Brabbel, danach wie Brei, und dann stecken wir in dicker Pampe und können nicht mehr vor und zurück. Aus den Wellen werden schließlich Dünen, in denen wir festsitzen.“

„Ach, du lieber Moses“, stöhnte Carberry. „Hat die Welt so was schon mal gehört? So viel Sand gibt’s gar nicht, daß damit das Meer zugeweht wird.“

„Klar gibt’s so viel Sand!“ brüllte Old O’Flynn. „Man sieht ja nur die oberste Schicht, aber darunter ist noch viel mehr.“

„Beim Wasser ist das genau so“, meinte Smoky. „Oben sieht man nur ein bißchen, aber darunter ist noch eine ganze Menge.“

„Ihr seid ja bescheuert“, sagte Carberry und tippte mit dem Finger an die Stirn. „Alle beide seid ihr bekloppt.“

„Gibt’s Wanderdünen, oder gibt’s die nicht?“ erkundigte sich Old O’Flynn hinterhältig.

„Na sicher, die gibt es schon.“

„Und sie sehen wie Wellen aus, nicht?“

„So ungefähr.“

„Nein, genauso“, giftete der Alte. „Wer sagt dir denn, daß die Wanderdünen früher nicht mal richtige Wellen waren, die nur der Sand zugeweht hat?“

„Mein Verstand sagt mir das.“

„Ha! Der hat dir schon recht üble Streiche gespielt. Frag doch den Kutscher, der wird es genau wissen.“

Immer wenn sie mit ihrem Latein am Ende waren, mußte der geplagte Kutscher herhalten, der über alles Bescheid wußte. Und dann sollte er die Probleme der anderen lösen – sehr geistreiche Probleme übrigens, die es in sich hatten.

Der Kutscher hörte sich den Stuß eine Weile schweigend an. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf. Er zog ein bißchen das Genick ein, weil mit dem Sandsturm auch gleichzeitig die ersten kleinen Brecher überkamen.

„Der Wind weht zwar riesige Berge zusammen“, sagte er dann, „aber leider keine logischen Gedanken. Dieser Chamsin bläst durch die leeren Grotten gewisser Hirnzellen, die sich langsam wieder auffüllen, aber leider nur mit Sand, was den sogenannten Gehirnrindenverfall hervorruft. Da kann ich nur sagen: Sapientia prima stultitia caruisse.“

„Ist das schlimm?“ fragte Old Donegal verunsichert.

 

„Nicht unbedingt, jedenfalls nicht körperlich. Es bedeutet nur soviel wie: Aller Weisheit Beginn ist es, der Torheit ledig zu sein.“

„Und wer hat nun recht?“ wollte Old Donegal wissen. „Du legst hier immer ein paar kluge Sprüche auf Stapel, und dann verziehst du dich wieder. Gibt es jetzt Dünen, die früher mal richtige Wellen waren, oder nicht? Kann das Meer davon zugeschüttet werden?“

„Weder das eine noch das andere. Lediglich eure Hohlköpfe können zugeweht werden, wenn ihr die Mäuler so weit aufreißt.“

„Das ist doch die Höhe!“ empörte sich der Profos. „Natürlich habe ich recht, da hätten wir diesen Meisenarsch gar nicht erst zu fragen brauchen.“

„Der hat auch nicht alle Weisheit der Welt gepachtet!“ Old Donegal winkte lässig ab. „Ich weiß, daß es sich so verhält, und damit basta und paletti. Hab ich alles in meinen jungen Jahren auf der ‚Empress‘ selbst erlebt. Da sind wir im Sandsturm durchs Meer gefahren, und am anderen Morgen lagen wir in einer Oase. Mitten im Brunnen drin. Die Araber staunten nur so, als ihnen die Kokosnüsse von den Palmen fielen.“

„Da gibt’s keine Kokospalmen“, sagte Smoky, „du meinst wahrscheinlich Dattelpalmen.“

„Na ja, die Nüsse waren ziemlich klein.“

„Und wie seid ihr da wieder herausgelangt?“

„Mit der nächsten Flut. Da stand die Oase zum Glück unter Wasser. Aber unten drunter war alles voller Sand.“

„Genau wie im Meer“, meinte Smoky.

Der Profos sah dem kommentarlos davonhumpelnden Alten mit zusammengekniffenen Lippen nach.

„Glaubst du den Scheiß etwa, Smoky?“

„Na ja, man muß bei dem alten Burschen immer ein paar Abstriche machen. Manchmal übertreibt er ein wenig.“

„Davon ist kein Wort wahr!“ wetterte Carberry. „Der wollte uns nur ganz saftig verschaukeln.“

Old O’Flynn aber verholte in seine Kammer. Um den heraufziehenden Sturm scherte er sich den Teufel. So ein Stürmchen hatte ihn noch nie sonderlich gejuckt. Er ging zum Schapp und holte eine Buddel hervor, die er im Licht der flackernden Laterne erst einmal ausgiebig betrachtete. Dann schnalzte er mit der Zunge und gurgelte das kristallklare Zeug genüßlich weg.

Es handelte sich dabei um Wasser aus dem Quell der ewigen Jugend. Diesen Jungbrunnen hatten seine Enkelchen, die Zwillinge Hasard und Philip, auf den Seychellen entdeckt. Old O’Flynn hatte sich dementsprechend kräftig damit eingedeckt. Weil er felsenfest davon überzeugt war, das Zeug würde ihm seine Jugend zurückgeben, trank er Unmengen davon. Und nach jedem Schluck spürte er neue Kräfte in sich.

Ha, das war ein Wässerchen! Es schmeckte zwar schon ein wenig schal, doch das tat der Sache nicht den geringsten Abbruch. Daher spülte er auch immer mit einem kräftigen Schluck Rum nach. Das gab dann genau die richtige Würze.

Er legte sich auf die Koje, grinste zufrieden und beschloß, von Great Abaco, dem Stützpunkt, seiner Snugglemouse Mary und dem Söhnchen zu träumen, das sich inzwischen sicher schon zu einem prachtvollen Young O’Flynn entwickelt haben mußte.

Draußen heulte und pfiff der Chamsin sein grausiges Lied.

Old O’Flynn ließ ihn pfeifen und pfiff ihm selbst was. Innerhalb kurzer Zeit war er eingeschlafen.

Inzwischen ging es an Deck hoch her. Damit war allerdings keine fröhliche Stimmung gemeint.

Die „Lady Barbara“ hatte jetzt ernstlich zu kämpfen. Das Vorgeplänkel war vorbei. Jetzt taten sich langsam, aber sicher die Tore zum Vorhof der Hölle auf. Vielleicht stand sogar noch ein direkter Besuch hinter dem Vorhof bevor. Es sah ganz danach aus.

Die Lady wurde bockig, als sie gegen Wellen anknüppelte, die immer größer und wilder wurden. Sie reckte die Nase hoch aus dem Wasser, als wollte sie sich orientieren, was weiter vorne los sei.

Da war eine ganze Menge los. Schwarze, wildrollende Dünenkämme fegten heran und türmten sich auf. Mittlerweile war es pechschwarz geworden. Der Himmel war verdunkelt, es schien kein Mond, und es blinkte auch kein Sternlein.

Am Ruder standen Don Juan de Alcazar und Pete Ballie. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um das Schiff auf Kurs zu halten.

Inzwischen waren bis auf die Sturmsegel alle Tücher weggenommen und zusätzlich Mann- und Strecktaue gespannt worden, damit nicht jemand unversehens über Bord ging.

Sie hielten Nordkurs, denn weit voraus befand sich nach den Karten die arabische Küste.

„Alle Mann nach unten, die nicht unbedingt an Deck gebraucht werden“, brüllte Hasard. „Wenn Not am Mann ist, lasse ich euch schon hochpurren. Es ist unsinnig, hier an Deck herumzustehen. Wir werden ohnehin bald vor Topp und Takel lenzen müssen.“

„Ist ja wahr“, meinte Smoky. „Wir fressen nur Sand und Staub und schlucken dreckiges Salzwasser. Da gehen wir lieber ein bißchen zum Klönen nach unten. Wir lösen uns dann bald ab, damit die anderen auch mal Ruhe haben.“

„Ein vernünftiger Gedanke“, sagte Hasard. Er mußte bereits aus voller Kehle brüllen, um verstanden zu werden. Der tobende und fauchende Chamsin fetzte ihm die Worte von den Lippen, und das überkommende Wasser, das sich mit wildem Zischen über die Decks ergoß, tat ein übriges.

Viele Arwenacks gingen unter Deck. Aber da war es fast noch schlimmer als oben, denn jetzt spielte die Lady total verrückt. Sie rollte und stampfte wild in der See und mußte Breitseiten aus Wasser nehmen, die sie hart krängen ließen.

Wer sich unter Deck nicht schleunigst einen festen Halt verschaffte, der flog von einer Seite zur anderen und konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten.

„Das ist kein harmloses Wüstenwindchen mehr, das ist ein ausgewachsener Orkan, der über uns wegzieht“, sagte Blacky. Er hatte sich an der Back mit Händen und Füßen so verhakt, daß die pausenlosen Roller ihn nicht umwarfen. Die anderen Arwenacks verschafften sich auf ähnliche Weise festen Halt.

An Würfeln oder Kartenspielen war unter diesen Umständen nicht zu denken. Selbst aus dem Klönen wurde nicht viel, denn hier unten toste und brüllte es ebenfalls mit vehementer Gewalt. Die Lady schien koppheister zu gehen. Genauso gebärdete sie sich.

Als der Profos einmal das Schott öffnete, um nachzusehen, fand er sich übergangslos in einer brüllenden Hölle aus Schaum und gischtendem Wasser wieder. Die Wellenberge waren nur undeutlich zu erkennen. Dafür waren sie besser zu spüren.

Auf und ab ging es in einem wahren Höllentempo. Die Lady wurde von einer Seite zur anderen geworfen. Nur ihrem hervorragenden Metazentrum war es zu verdanken, daß sie sich wieder aufrichtete und nicht kenterte.

Brecher schlugen immer wieder über ihr zusammen und überfluteten die Decks bis weit nach achtern. Der Profos sah die Hand vor den Augen nicht mehr. Als er das Schott wieder schließen wollte, donnerte es ein heranfegender Brecher mit aller Gewalt zu. Ein Schwall Salzwasser begleitete Edwin Carberry nach unten.

Die Gesichter der Mannen wurden immer besorgter. Sie lauschten auf das Krachen und Knacken, auf das Ächzen und Stöhnen der Planken und hörten den Anprall eines gigantischen Hammers, der das Schiff in Stücke zu schlagen drohte.

In der Luft war das schrille Heulen von Tausenden wilder Teufel zu hören, die sich mit aller Gewalt austobten.

Dann folgte übergangslos ein so harter Schlag, daß die Lady zur Seite geworfen wurde. Die Rahnocken schleiften durchs Wasser, die Krängung nach Backbord nahm weiter zu. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, ging auf Reisen und sauste mit ungeheurer Wucht durch die Räume.

Ein wüster Brecher nahm das Schiff auf und trug es in schwindelnde Höhen empor. Auf dem Scheitelpunkt des Brechers hielt die Lady eine Sekunde lang die Luft an. Dann begann die Höllenfahrt in eine bodenlose Tiefe, in einen pechschwarzen Abgrund ohne Ende.

Der Schlag, der danach folgte, war so gewaltig, daß er das ganze Schiff von vorn bis achtern hart erschütterte. Es krachte und polterte überlaut, und dieses wilde Krachen setzte sich zerstörerisch fort.

„Da sind Schotten gebrochen!“ schrie Smoky. „Oder eine der Kanonen hat sich losgerissen und das Schanzkleid durchschlagen!“

Er wollte hoch, doch die See ließ es nicht zu. Hilflos in einer Ecke festgenagelt, mußte er mitanhören, wie es noch einmal laut polterte und krachte, als sei Holz zersplittert.

Der Profos zog eine Grimasse und nickte grimmig zu Smokys Worten.

„Ja, zum Teufel, da ist etwas zu Bruch gegangen. Nichts wie raus und an Deck.“

Sie hatten alle Mühe, die Stufen vom Forecastle zu erklimmen. Das Schott war kaum zu öffnen, denn eine Woge nach der anderen donnerte dagegen. Als sie es dennoch geschafft hatten, rauschten riesige Wassermassen in den Raum.

Sie mußten aufgeben, es war einfach unmöglich, an Deck zu gehen. Oben hätten sie sich auch kaum auf den Beinen halten können.

Lady Barbara schwamm nämlich nicht mehr auf dem Wasser, sondern mehr oder weniger darunter. Nur Masten und Aufbauten ragten zeitweilig noch aus der pechschwarzen Brühe. Ein Brecher nach dem anderen wälzte sich darüber und drückte die Galeone immer tiefer unter Wasser.

„Wir können noch nicht raus!“ schrie Carberry. „Wir müssen abwarten, bis es etwas ruhiger geworden ist. Das wird wohl hoffentlich recht bald der Fall sein. Ich habe nämlich so ein lausiges Gefühl.“

Das lausige Gefühl hatten die anderen ebenfalls. Sie wußten nur, daß etwas gebrochen, zermalmt, geborsten war. Nur was es war, das ließ sich vorerst nicht feststellen. Es konnte nicht nur ein Schott oder eine Planke sein. Vielleicht war sogar einer der Masten durch den Sturm beschädigt worden, oder eine Rah war an Deck gekracht und weggeschwemmt worden.

Und sie konnten nichts tun. Wie Ratten in der Falle hockten sie im Forecastle und warteten. Sie konnten nur fluchen, und das taten sie besonders ausgiebig.

2.

Old O’Flynn war inzwischen längst in seine Traumwelt abgeentert. Allerdings sah die ganz anders aus, als er sich das vorgestellt hatte, und lieblich war diese Traumwelt keinesfalls.

Da war zwar seine liebe Snugglemouse, doch sie schien heute ausgesprochen üble Laune zu haben.

Old O’Flynn sah zu seinem Entsetzen, daß sie eine Bratpfanne nach der anderen ergriff und sie ihm mit aller Kraft und recht boshaft über den Schädel schlug. Aus ihrer lieblichen Reibeisen-Stimme war ein Resonanzeffekt geworden, der schrill und bösartig klang. Dazwischen erklang der wummernde Ton der eisernen Bratpfannen. Unaufhörlich landete eine nach der anderen auf seinem bedauernswerten Schädel.

Das schlimmste aber war die Tatsache, daß diese Bratpfannen immer größer wurden. Es waren jetzt Riesenbratpfannen, die nach ihm hieben und auch jedesmal ihr Ziel trafen. Ihre Dimensionen wuchsen beständig.

So langsam wurde Old O’Flynn grantig und übellaunig. Jetzt hatte er den langen Törn über die Weltmeere hinter sich, und das war der liebevolle Empfang durch seine Mary. Vielleicht war sie ja verärgert darüber, daß er so lange weggeblieben war. Dennoch war das kein Grund, ihm sämtliche Küchenutensilien über den Schädel zu donnern.

Wieder traf ihn eins dieser höllischen Dinger mit solcher Urgewalt, daß er einen brüllenden Schrei ausstieß. Mit einem Fluch auf den Lippen verließ er panikartig seine Traumwelt und kehrte in die nüchterne Wirklichkeit zurück.

Die war noch schlimmer. Er konnte im ersten Augenblick zwar noch nicht genau zwischen Traum und Realität unterscheiden, aber so langsam dämmerte ihm doch, daß etwas nicht stimmte.

Allerdings war da immer noch die Bratpfanne. Mary O’Flynn war ihm offenbar aus seiner Traumwelt gefolgt und kujonierte ihn weiter.

„Hölle und Teufel!“ brüllte er wild. Dann setzte er sich mit einem Ruck auf – und stieß sich erneut den Schädel.

Er flog in der Koje hin und her, als spiele ein Riese Ball mit ihm.

Fluchend suchte er nach einem Halt, um sich in der Koje zu verkeilen. Ein Roller ließ ihn an die Wand krachen.

Erst jetzt dämmerte ihm, was es mit der Snugglemouse und den verdammten Bratpfannen auf sich hatte. Niemand hatte ihm eine Bratpfanne über den Schädel gezogen. Er hatte sich durch die wilden Roller nur immer wieder den Kopf am Holz gestoßen.

Er hörte einen berstenden Schlag, der die Galeone von vorn bis achtern hart durchschüttelte und erzittern ließ. Im nächsten Augenblick wäre er fast aus der Koje geflogen.

„Heute spielt wohl alles verrückt“, knurrte er erbost. Er tastete nach seinen Klamotten und hatte die allergrößten Schwierigkeiten, überhaupt hineinzufinden, so sehr schlingerte die Lady.

 

Sehr umständlich zog er sich in der Koje an. Auf den Dielen der Kammer wäre es unmöglich gewesen.

„Wird wohl am Absaufen sein, der Kahn“, grummelte er vor sich hin. „Hört sich ganz danach an.“

Das beunruhigte ihn jedoch nicht sonderlich, denn Old O’Flynn war aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt. Seegang war wenigstens eine handfeste Sache, ganz im Gegensatz zu Geistern und Dämonen, denen man nicht beikommen konnte. Gegen dicke See war seiner Meinung nach jedoch immer noch ein Kraut gewachsen. Notfalls behalf man sich mit Schwimmen, oder man fand ein Trümmerstück, an das man sich klammern konnte.

Beunruhigend war lediglich das Heulen, Jaulen und Klagen, als stießen sämtliche Geister der Tiefe ihren Atem aus. Und ärgerlich war natürlich dieses wahnsinnige Schaukeln, weil man da keinen Halt mehr fand.

Old Donegal lauschte dem Krachen und Bersten und dachte über den entsetzlich lauten Krach nach, das Getöse, mit dem etwas zu Bruch gegangen war.

Wieder wurde er von einer Seite zur anderen geworfen. Dann stellte sich die Galeone urplötzlich auf den Kopf und raste in die Tiefe. Donegal schrumpfte immer mehr zusammen. Er wurde regelrecht zusammengepreßt und konnte sich nicht dagegen wehren.

Als sich die Lady noch dazu auf die Seite legte, war es vorbei. Er konnte sich nicht mehr in der Koje halten und wurde hinauskatapultiert.

Mit dem Kopf voran landete er an einem Schapp, dessen Tür im Rhythmus der wilden See hin und her pendelte.

Rrummms! Das Schapp flog donnernd zu. Der Alte rappelte sich halbbenommen auf, hielt sich fest und trat mit dem Holzbein nach dem Kammerschott.

Dann wankte er hinaus, die Haare zerzaust, Grimm im Gesicht, daß „man“ ihn in seinen Träumen gestört hatte.

Blieb noch das Schott zu öffnen, das jetzt an Deck führte. Dann würde er endlich wissen, was passiert war – dachte er.

Als er auch dieses Schott öffnete – die See ballerte es sofort wieder zu –, stand er sekundenlang wie vom Donner gerührt da.

Sie schienen mitten in die Hölle zu reiten! Da war alles pechschwarz, so finster, daß er nicht einmal die Planken sah.

Das Heulen, Jaulen und Tosen hatte sich unglaublich verstärkt. Aus mehr als tausend wilden Schlünden fauchte es heran und nahm ihm die Luft.

Und dann diese unvorstellbar riesigen Brecher! Er konnte sie zwar nicht sehen, aber er spürte die Bewegungen und fühlte, wie es wieder brausend herantoste und sich brüllend über die Decks ergoß.

Fraglos lenzten sie vor Topp und Takel, denn die Galeone ließ sich nicht mehr steuern. Es knatterte auch kein Segel.

Er rief etwas zum Achterdeck hoch, doch der Sturm zerfetzte und zerfaserte die Worte. Niemand hörte ihn.

„Ja, da soll doch gleich der Satan persönlich dreinfahren!“ brüllte er wild.

Dann schlug er um sich und grapschte verzweifelt nach einem Halt, als eine donnernde Woge das Schiff tief in die See drückte.

Er gurgelte, schnappte nach Luft, erhielt einen mächtigen Schlag auf den Schädel und verlor endgültig den Halt.

Wasser, nur noch Wasser war um ihn her. Das Wasser hob ihn hoch, trug ihn in schwindelnde Höhen, hob ihn bis in den Himmel, und dann glaubte er für einen verrückten Augenblick, tief unter sich das Schiff zu sehen. Es war nur ein Schatten, ein Phantom, in einem pechschwarzen, aufgewühlten und brüllenden Meer.

Er fühlte sich wie ein Dämon, der auf einer riesigen Woge in die Nacht ritt wie seinerzeit der unselige Jonas, den auch die See auf Nimmerwiedersehen geschluckt hatte. Der war ebenfalls hohnlachend auf einer gewaltigen Welle davongeritten.

Dem grantigen Alten wurde jetzt mulmig zumute. Einmal hatte er das Gefühl, alles sei nur ein ganz böser Traum, dann wieder merkte er, daß das hier alles verdammt echte Wirklichkeit war.

Gewaltige Wassermassen wirbelten ihn durcheinander, bis er nicht mehr wußte, wo oben und unten war.

Sein Körper tauchte tief in das schwarze Wasser, erhob sich daraus wieder und setzte die unglückselige Reise fort.

Dann sah er deutlich einen wilden schaumigen Streifen vor sich, spürte ein rasend schnell vorbeigleitendes Ungeheuer, das mit einer mächtigen Schwanzflosse die See peitschte, ihn hart streifte und in der Finsternis verschwand.

Das Ungeheuer, das so rasend schnell mit quirliger Flosse vorbeigestrampelt war, zeigte nur noch ein wild auf und ab tanzendes, verwaschenes Licht. Danach verschwand es in einem düsteren Abgrund. Das Licht erlosch.

So ganz allmählich dämmerte Old O’Flynn die Erkenntnis, daß er soeben abgekantet war. Er konnte es zwar noch nicht glauben, aber es war eine Tatsache: Die gewaltige Woge hatte ihn aufgehoben und weit achteraus außenbords wieder abgesetzt.

Jetzt konnte er sich vor Verblüffung nicht einmal den Schädel kratzen, denn schon drückte ihn ein Riesenberg erneut unter Wasser.

Auf der „Santa Barbara“ war sein Verschwinden völlig unbemerkt geblieben. Fast alle waren unter Deck, und niemand wäre auf die Idee verfallen, daß ausgerechnet Old O’Flynn jetzt eine nächtliche Exkursion unternehmen würde. Ausnahmslos alle wähnten ihn in der Koje.

Gibt es einen einsameren und verlasseneren Menschen als den, der mutterseelenallein, dazu noch nachts, in einer wildbewegten See treibt, die keinen Anfang und kein Ende hat?

No, Sir! Das ist nur schlecht vorstellbar.

Seltsamerweise hatte Old O’Flynn, als er jetzt langsam in die Tiefe sank und dann wieder aufwärtstrieb, das Empfinden, es habe sich auf der Galeone eine gewaltige Explosion zugetragen, ein Riesenknall, der das Schiff zerfetzt hätte.

Er glaubte immer noch, dieses entsetzliche Krachen zu hören.

Dann überfiel ihn die Erkenntnis wie ein wildes reißendes Tier. Kaum hatte er seinen Schädel wieder über Wasser gebracht, da begann er aus Leibeskräften zu brüllen. Er brüllte keine zusammenhängenden Worte, er brüllte nur aus Verzweiflung. Er schrie aus Angst darüber, daß mit dem Schiff auch andere Männer nach der Explosion untergegangen sein könnten und jetzt ebenfalls im Wasser trieben. Er brüllte ganz einfach nach Leidensgefährten.

Niemand antwortete ihm. Nur der Sturm toste und heulte fürchterlich.

Old O’Flynn wurde wieder emporgehoben. Da sah er – meilenweit entfernt – erneut ein schwaches Licht auf der See tanzen.

Es war die Hecklaterne der „Santa Barbara“, die ihm in wildem Auf und Ab ihren verschwindenden Strahlenkranz zeigte, als wollte sie ihm ein letztes Mal in der Finsternis heimleuchten und den Weg weisen.

Da wußte er, daß es keine Explosion gegeben hatte, die anderen alle wohlauf an Bord waren und nur er allein hier in der See trieb.

Sie hatten nicht einmal gemerkt, daß er achtern abgekantet war – wie sollten sie auch! Es war ja finster und kaum ein Mann an Deck.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?