Seewölfe - Piraten der Weltmeere 442

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 442
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-850-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Eisige Höhen

Die Bergwelt war feindlich – aber sie kämpften sich durch

Wenn die Männer, die auf der „Estrella de Málaga“ und der „San Lorenzo“ zurückgeblieben waren, gedacht hatten, ihr Gefangener sei an Leib und Seele gebrochen, so hatten sie sich getäuscht. Luis Carrero brachte das Unwahrscheinliche fertig, von Bord der „Estrella“ zu fliehen. Dazu hatte er zwei Männer besinnungslos geschlagen: Luke Morgan und Jack Finnegan. Ihre Waffen hatte er mitgehen lassen. Und wenn er es schaffen sollte, Arica zu erreichen, dann waren Hasard und seine Männer, die nach Potosi aufgebrochen waren, verloren, denn Eilboten würden von Arica nach Potosi in Marsch gesetzt werden, um den Provinzgouverneur zu alarmieren. Es war die Idee der Zwillinge, Plymmie auf die Spur des Flüchtigen zu setzen und ihn zu jagen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Philip Hasard Killigrew – muß feststellen, daß die Bergwelt noch mörderischer als die See ist.

Pater Aloysius – ohne den Pater aus Tirol wären die Männer verloren.

Edwin Carberry – kann sich auf seinen Maulesel Diego verlassen, der trotzdem seine Eigenheiten hat.

Fred Finley – saust über eine Eisfläche und kann froh sein, daß sein Schädel heil bleibt.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

28. November 1594 – Tacna.

Das „Unternehmen Potosi“ begann um neun Uhr morgens, denn jetzt war die zwölf Mann starke Truppe komplett. Als Führer, der die Bergwelt der Kordilleren genau kannte, hatte man den Dominikanerpater Aloysius gewonnen.

Dieser Pater Aloysius entsprach überhaupt nicht der Vorstellung von einem ehrbaren Mönchlein oder gar Betbruder. Er war ein kraftvoller, sehniger Typ mit kühn geschnittenem Gesicht, sehr scharfblickenden Augen, breiten Schultern und schmalen Hüften. Er sah eher wie ein Bilderbuchpirat aus, und er verstand es meisterhaft, seine Fäuste einzusetzen, wenn ihm das der Herr im Himmel befahl. Und da Pater Aloysius einen guten Kontakt zum Herrn unterhielt, befahl der Herr das offenbar recht oft.

Die Männer waren abmarschbereit. Auch die acht Maultiere, die sie von den Spaniern erbeutet hatten, als sie das Tacna-Tal überfielen, um Sklaven für Potosi zusammenzutreiben, waren bepackt und beladen.

Da mangelte es an nichts mehr, es war an alles gedacht worden, denn in den eisigen Bergregionen der Kordilleren warteten Strapazen auf sie, die vorerst noch unvorstellbar für die meisten waren. Noch keiner von ihnen war in derartige Höhen aufgestiegen.

Die Maultiere trugen Proviant, Trinkwasser, Wein in Schläuchen, Waffen, Decken, Zeltplanen, Pickel, Seile und Kleidung.

Im Tal hing leichter Nebeldunst, den die Sonne langsam vertrieb. Die Mulis scharrten bereits ungeduldig mit den Hufen, als könnten sie den Aufbruch kaum noch erwarten.

Hasard hatte eine allerletzte Kontrolle angeordnet, damit auch wirklich nichts vergessen wurde. Nein, da fehlte nichts, auch nicht die Kiste, die der Kutscher Smoky mitgegeben hatte, damit die Männer unterwegs auf ein „heilsames Wässerchen“ nicht verzichten mußten. In den eisigen Höhen konnte man es gut gebrauchen.

Die Kiste hatte der Profos Edwin Carberry an seinem Maultier verstaut. Mit diesem Maultier hatte es ebenfalls eine besondere Bewandtnis, denn das war kein normales Halbeselchen, sondern schon mehr eine Art Kuriosum. Es hatte seine ganz besonderen Vorstellungen und ließ sich nicht einfach kommandieren. Es entwickelte sozusagen Eigeninitiative, mal biestig, mal tückisch, dann wieder lammfromm. Und dann hatte dieses merkwürdige Vieh noch ein „gewisses dämliches Grinsen“ drauf, wie der Profos das ausdrückte. Es schob die Lefzen so hoch, bis alle Zähne zu sehen waren, und es schien wirklich, als würde sich das Maultier mitunter köstlich amüsieren.

Es hatte ganz besonders den Profos auf dem Kieker, der zusammen mit Smoky schon einen Höllentanz mit diesem Biest hinter sich gebracht hatte. Alle beide waren dabei ganz erheblich ins Schwitzen geraten.

Carberry hatte auch schon einen Namen für den Maulesel gefunden. Der hieß schlicht und einfach Diego, im Gedenken an den Wirt der „Schildkröte“ auf Tortuga. Der Profos behauptete allen Ernstes, der seltsame Maulesel stehe Diego an Schlitzohrigkeit und Durchtriebenheit in nichts nach.

Seit der letzten Attacke, bei der Smoky in einem Baum gelandet und der Profos gegen den Stamm geschleudert war – das Halbeselchen hatte kräftig zugelangt –, verhielt es sich lammfromm und friedlich.

Nur das hinterhältige und boshafte Grinsen störte und irritierte Edwin Carberry noch ein wenig.

Aber er hatte sich ausbedungen, diesen Maulesel beim Marsch nach Potosi zu führen und zu betreuen, denn es war ihm doch mächtig gegen den Strich gegangen, daß Dan O’Flynn fast spielerisch mit dem störrischen Vieh fertig geworden war.

Jetzt aber verhielt sich Diego friedlich und hatte sich vom Profos geduldig alles aufpacken lassen.

Aus den Hütten waren die Indios erschienen, um die Männer, deren Mission ihnen bekannt war, zu verabschieden. Auch die Mönche des Klosters standen wartend da, denn Pater Franciscus wollte jeden einzelnen des Potosi-Trupps noch segnen.

„Unsere guten Wünsche begleiten euch“, sagte Pater Franciscus. „Kehrt gesund zurück, wenn ihr eure Mission abgeschlossen habt. Gott sei mit euch.“

Der Pater schritt die Front ab und segnete jeden Mann mit dem Kreuzzeichen.

Aloysius, der kein Freund großer Abschiedszeremonien war, begann langsam ungeduldig zu werden.

„Auf geht’s“, verkündete er unternehmungslustig.

Doch der Abschied verzögerte sich noch einmal. Grund war ein gewisser Diego, der immer so dämlich grinste und jetzt wieder mal seine eigenen Vorstellungen entwickelte. Dem Maultier schien das alles zu lange zu dauern, oder es wurde ganz einfach ungeduldig. Es schor aus der Reihe und trabte seelenruhig zum Rio de Tacna hinüber.

„Mistvieh“, fluchte der Profos unterdrückt. „Geht der Affenzirkus schon wieder los!“

Carberry rannte dem eigensinnigen Maultier nach und hängte sich fluchend an die linke Seite. Dann wollte er es aufhalten, doch zu seinem allergrößten Erstaunen schien das Vieh die Kraft von ein paar Ochsen zu haben. Es zog unerbittlich weiter.

„Aber doch nicht mit mir, du Furzesel“, knurrte der Profos. Er setzte alle Kräfte ein, um das Vieh zu bremsen. Doch noch einmal erlebte der Profos staunend eine Überraschung. Er hatte wahrhaftig Kräfte wie ein Ochse, aber das Maultier hatte eben doch ein paar Kräfte mehr, wie er verblüfft feststellte. Das Vieh zog und zog, und ließ sich durch nichts aufhalten, um an den Rio de Tacna zu gelangen. Der Profos wurde mitgezogen, ob er wollte oder nicht.

Vielleicht will Diego aber auch nur noch einmal Wasser saufen, dachte Ed, obwohl das Biest gerade vor kurzer Zeit unglaubliche Mengen Wasser gesoffen hatte.

Noch einmal versuchte es Carberry mit roher Kraft und zerrte an dem eigensinnigen Maultier. Es half nichts, der Bock zog stur und unbeirrbar weiter zum Fluß hin.

Kurz vor dem Fluß sah der Profos einmal über die Schulter zurück. Natürlich lachten die Kerle wieder, auch der Pater Pancrazius, der dicke Mönch mit den rosigen Wangen, grinste bis zu den Ohren.

Der Profos lief knallrot an, teils aus Wut, teils aus Ärger, weil er dieses Vieh nicht bremsen konnte und das Maultier ihn damit der Lächerlichkeit preisgab. Er fluchte erbittert und beleidigte das Halbeselchen mit den unflätigsten Ausdrücken.

Dann war es endlich am Fluß und hielt an.

Ed atmete erleichtert auf. Wenn er dem Vieh jetzt gut zuredete, würde es vielleicht wieder gütigst umkehren. Aber in Diego steckte der Teufel, oder der alte O’Flynn hatte es wieder verhext, wie Smoky schon einmal behauptet hatte. Vielleicht hexte er wieder von der Schlangen-Insel aus, um den Profos ein bißchen zu ärgern.

Diego schwenkte fast elegant, aber sehr schnell, das Hinterteil vor, und wich gleichzeitig nach rechts aus.

Für den Profos erfolgte der Schlag unerwartet und viel zu schnell. Er konnte auch nicht mehr ausweichen. Diegos Hinterteil traf ihn mit der Wucht einer Ramme.

Carberry stieß vor Überraschung einen erstickten Schrei aus. Dann flog er mit ausgebreiteten Armen durch die Luft und landete im Wasser des Rio de Tacna.

Für die anderen Männer sah das so aus, als hüpfe ein riesiger Frosch ins Wasser.

Carberry landete mit einem lauten Aufklatschen im Fluß und ging unter. Er schluckte auch Wasser, tauchte prustend auf und stieß einen Fluch aus, der durch das ganze Tal hallte.

 

Was ihn dabei noch zusätzlich ärgerte, war das Benehmen des dreimal verdammten Maultieres. Das stand am Ufer, hob wieder die Lefzen, bleckte die Zähne und stieß ein schauriges Gemisch aus lautem Meckern, Lachen und Wiehern aus. Dazu nickte es boshaft mit dem Schädel.

Dann drehte es sich um und trabte seelenruhig zurück. Kurz darauf stand es wieder auf seinem alten Platz in der Reihe.

Die Männer des Potosi-Trupps lachten Tränen, die Padres krümmten sich vor Lachen, und die Indios hielten sich die Bäuche. Sie lachten am lautesten.

„Mann, ist das ein Bild“, sagte Stenmark unter Tränen. „Das vergesse ich so schnell nicht.“

„Er sah aus wie ein Riesenfrosch“, behauptete Gary Andrews, „der gerade zum Sprung ansetzt.“

Mel Ferrow, Fred Finley, Matt Davies und die anderen konnten sich immer noch nicht beruhigen.

Der Profos entstieg wie ein schnaubender Rachegott den Fluten des Rio de Tacna. Triefnaß, das Rammkinn wie einen Galeerensporn vorgeschoben und mit rollenden Augen kroch er ans Ufer. Er sah aus, als wolle er die ganze Welt ausrotten. Dazu klang ihm noch das laute Gelächter der Kerle entgegen, und er sah, wie Diego wieder die Lefzen hochzog und so dämlich grinste. So in Braß wie jetzt war der Profos schon lange nicht mehr gewesen.

„Dem zieh ich die Haut in Streifen von seinem Eselsarsch!“ brüllte er. Er walzte heran, der Profos, geladen bis zum Bersten, triefend wie ein narbiger Meergott, der jetzt seine Rache nahm. Das Halbeselchen hörte vor Schreck auf, „so dämlich zu grinsen“, und es nickte auch nicht mehr, als der Koloß stocksauer heranwalzte. Der kriegte es fertig und würde das Muli durchwalken.

Hasard trat zwei Schritte vor und blieb dicht vor Carberry stehen. Auf seinem Gesicht lag noch die Andeutung eines Lächelns. Die anderen grinsten immer noch ganz offen, besonders Matt Davies, der sich mit der Hakenprothese dauernd auf die Schenkel hieb.

„Um den Abmarsch nicht noch länger zu verzögern“, sagte Hasard sanft, „schlage ich vor, daß du dir erst einmal trockene Klamotten anziehst. Du kannst dir die Plünnen ja schließlich nicht am Leib trocknen lassen. Vielleicht ist es auch ganz ratsam, wenn Dan das Maultier wieder übernimmt, der hat es ja gut im Griff.“

„Im Griff?“ schrie der Profos. „Gar nichts hat der im Griff! Das fasse ich als Degradierung auf, Sir, und es würde auch verdammt an meiner Ehre kratzen. Nein, nein, das Maultier behalte ich. Mein kleines Diegolein mag mich, das hat es schon oft bewiesen.“

„Ja, gerade jetzt eben“, sagte Hasard ironisch. „Da hat es dir vor lauter Liebe ein Bad verordnet. Also gut, du behältst dein Diegolein, wenn es dich so mag.“

Hasard steckte zurück, weil mit dem Profos über Tiere nicht zu reden war. Er kannte das ja von Sir John her. Wenn einer über das schimpfende und krakeelende Biest meckerte, dann reagierte der Profos meist sehr empfindsam.

„Danke, Sir.“

Matt Davies, der immer noch grinste, konnte es allerdings nicht lassen, und spielte auf den redseligen Papagei Sir John an.

„Sei nur froh, daß Maultiere keine Papageien sind. Dein Diegolein würde sonst auch noch den ganzen Tag quatschen.“

„Fängst du schrägkarierte Fockmastwanze jetzt auch noch an?“ knurrte Ed. „Dich häng ich ins …“

Der Profos verstummte, denn Diego reckte den Schädel hoch und stieß wieder dieses eigenartige Meckern aus, das an Gelächter erinnerte. Dann zuckten die Männer verstört zusammen, als eine donnernde Blähung erfolgte. Auch das war so eine Angewohnheit von dem Maultier Diego.

Diesmal grinste der Profos etwas von oben herab. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und sagte trocken: „Diego hat nur über den blöden Witz von Mister Davies gelacht und gleichzeitig ausgedrückt, daß das der reinste Scheiß sei.“

„Aber ein Maultier von ganz besonderer Art ist das schon“, meinte Karl von Hutten. „Es paßt zum Profos wie die Faust aufs Auge.“

„Nun zieh dir endlich trockene Klamotten an“, sagte Hasard etwas ungeduldig. „Sonst stehen wir hier morgen noch herum. Im übrigen ist ein Kloster nicht der rechte Ort, um ellenlange Flüche abzuladen.“

Während der Profos mit Padre Pancrazius im Kloster verschwand, um seine Sachen zu wechseln, holte Aloysius eine Handskizze hervor und überflog sie noch einmal. Gestern hatte er sie angefertigt und gab noch einmal für die Männer Erklärungen ab.

„Wir werden schon sehr bald den Klimaumschwung spüren. Im Tiefland der Leanos herrscht bis in etwa tausend Yards Höhe noch ein volltropisches Klima. Deshalb nennt man diese Zone Tierra caliente, was soviel wie heißes Land bedeutet. In den Yungas dagegen herrscht bis etwa zweieinhalbtausend Yards Höhe noch subtropisches Klima. Diese Zone wird von den Dons Tierra templada genannt, ist also mäßig warm. Das nächste Hochland, das bis viertausend Yards reicht, ist die Tierra ria. Sie hat kühles Klima mit geringen Jahres-, aber sehr starken Tagesschwankungen. Wir stoßen bis weit über die Schneegrenze vor, in Regionen, die mehr als eisigkalt sind, das ist die frostige und eisige Zone der Tierra helada. Das ständig schneebedeckte Land noch darüber nennt man die Tierra nevada.“

Hasard hatte sehr aufmerksam zugehört und nickte jetzt.

„Zunächst ziehen wir also ostwärts am Rio de Tacna entlang. Dann steigen wir zum Tacora-Paß auf?“

„Sehr richtig. Da haben wir schon eine Höhe von über viertausend Yards erreicht. Den Pico Tacora lassen wir links, also nördlich, liegen und bewegen uns weiter zwischen dem Sajama-Berg und dem Lago de Chungara auf den Altiplano zu. Dann liegt vor uns die Puna – eine öde, baumlose Ebene zwischen West- und Ostkordillere. Man sagt, daß es dort früher mal zwei ausgedehnte Binnenmeere gegeben habe, von denen heute nur noch der Titicacasee und der Poopósee übriggeblieben sind.“

„Merkwürdige Namen“, sagte Stenmark. „Wenn das der Profos hört, dann grinst er wieder bis über beide Ohren.“

„Die Namen stammen aus der Inka-Zeit“, sagte Aloysius lächelnd. „Sie klingen nur für unsere Ohren ungewohnt. Aber euer Profos wird ganz sicher bald eine Verballhornisierung dafür finden.“

„Was für ’n Ding?“ fragte Matt Davies.

„Eine Art Verschlimmbesserung“, sagte der Padre. „Das ist abgeleitet von dem Lübecker Buchdrucker Johan Balhorn, dem man das wohl zu Unrecht unterschoben hat.“

Dieser Padre mit dem kühnen Piratengesicht weiß gut Bescheid und kennt sich in allen Dingen aus, dachte Hasard. Er würde sie sicher durch die tückische Bergwelt der Kordilleren führen.

Er und der Seewolf besprachen noch ein paar weitere Einzelheiten.

„Den Altiplano werden wir in südöstlicher Richtung mit Zielpunkt südliche Spitze Poopósee überqueren“, sagte der Padre gerade, als der Profos zurückkehrte. Er trug trockene Sachen und hatte die nassen Klamotten als Bündel zusammengeschnürt. Er hörte gerade noch die letzten Worte des Padre, und schon grinste er wieder.

„Wenn der See so aussieht, wie er heißt“, meinte er trocken, „dann hätte man ihn gleich Achtersteven-Teich nennen können.“

„Na, was sagte ich“, meinte Aloysius lachend. „Bruder Edwin hat schon wieder einen Namen gefunden. Bist du schon gesegnet worden, Bruder?“

„Ja“, sagte Ed, „gerade vorhin. Aber viel geholfen hat es nicht. Diego hat mich trotzdem in den Fluß geschubst.“

Die Männer verkniffen sich nur mühsam das Lachen. Selbst Pater Franciscus lächelte nachsichtig.

Dem Abmarsch stand jetzt nichts mehr im Wege. Diego verhielt sich lammfromm und setzte sich gehorsam in Bewegung.

Indios und Padres winkten dem zwölf Mann starken Trupp noch lange nach, bis sie sie aus den Augen verloren.

Der Aufstieg in die Berge begann.

2.

Von Tacna bis zum Tacora-Paß war die Strecke etwa vierzig Meilen lang – vorausgesetzt, sie hätten geradeaus marschieren können. Aber auf diesem Weg mußte ein gewaltiger Höhenunterschied bewältigt werden, der etwa dreitausendsiebenhundert Yards betrug.

Die Mulis trotteten dahin. Anfangs unterhielten sich die Männer noch miteinander, doch je höher sie aufstiegen, desto schweigsamer wurden sie. Nur hin und wieder wurden noch ein paar Worte gewechselt.

Auch das Klima hatte es in sich. Schien die Sonne, dann brannte sie heiß vom Himmel, daß ihnen der Schweiß über die Gesichter lief. Verschwand die Sonne, wurde es fast übergangslos eiskalt.

Die Berge wuchsen immer höher in den Himmel. Es sah so aus, als würden sie ins Unermeßliche wachsen. Um sie herum wurde die Stille fast greifbar. Da war nur das leise Scharren der Hufe und das Atmen der Männer zu hören.

Carberry beobachtete die anderen Mulis. Die Tiere hatten die Köpfe gesenkt und trabten dahin. Diego schien es überhaupt nicht zu belasten, daß die Wege immer steiler wurden. Vollgepackt und beladen trottete er mit nickendem Schädel weiter, nur hin und wieder bleckte er sein Gesicht, um „dämlich zu grinsen“.

Der erste Tag ließ sich noch ganz gut an, auch der nächste verging ohne nennenswerte Ereignisse, obwohl die Luft spürbar dünner wurde.

Am übernächsten Tag, es war der dreißigste November, sah Pater Aloysius die Männer unauffällig an, musterte sie aber trotzdem sehr genau, denn er hatte längst bemerkt, daß einige Mühe hatten.

Jean Ribault, der Franzose, war es, bei dem es zuerst begann.

Er atmete heftiger und schnappte gierig nach Luft. Vor seinen Augen begann die Bergwelt zu flimmern. Er fühlte sein Herz überlaut und schnell in der Brust schlagen. Dazu plagte ihn ein ständiger Kopfschmerz, und er hatte jeden Augenblick das Gefühl, als würde er stürzen.

Sie waren jetzt fast zweitausendachthundert Yards hoch. Jetzt setzte zum ersten Mal die berüchtigte „Soroche“ ein. Pater Aloysius kannte diese Erscheinungen, die bei Ribault begannen.

Der Franzose begann von einer Seite zur anderen zu taumeln. Ständig verschwamm vor seinen Blicken alles. Sein Herz klopfte noch rasender. Er griff nach dem Zügel des Maultieres, griff aber daran vorbei, weil er es nur undeutlich sah.

„Halt!“ rief Aloysius. „Der ganze Trupp halt!“

Männer und Mulis blieben stehen.

„Es hat Ribault erwischt“, sagte Karl von Hutten zu Hasard. „Offenbar ist ihm schlecht geworden.“

Mel Ferrow, Fred Finley und der Profos waren schon bei ihm, um ihn zu stützen.

„Mir ist verdammt schlecht“, sagte Ribault. „Ich sehe euch alle doppelt und dreifach.“

Aloysius nahm eine Decke, breitete sie auf dem Boden aus und ließ Ribault darauf sitzen.

„Ihr habt lange durchgehalten“, sagte der Padre, „ich hatte schon früher mit der Soroche gerechnet.“

„Aber Jean ist ein harter Kerl“, meinte der Profos, „den wirft doch sonst nichts um.“

„Das hat damit nichts zu tun. Auch die Stärksten sind dieser Erscheinung nicht gewachsen. Man kann sich auch nicht übergangslos an dünnere Luft gewöhnen. Dazu braucht man eine Weile.“

„Vielleicht hilft ein Schnaps dagegen – oder zwei“, sagte der Profos, der gern alles mit Schnaps kurierte und gleich vorbeugend einen zur Brust nehmen wollte.

Doch der Padre schüttelte den Kopf! „Nein, der hilft nicht. Wir sind jetzt fast dreitausend Yards hoch, es fehlen nur noch ein paar Yards. Und in dieser Höhe reicht der Sauerstoff nicht mehr zur Versorgung des Körpers aus. Da fehlt der Druck. Und das macht sich eben in Mattigkeit, Schwindelgefühl, Herzklopfen und Übelkeit bemerkbar.“

„Wie können wir ihm denn helfen, Padre?“ fragte der Seewolf.

„Nur die Zeit kann ihm helfen – und den anderen auch. Ich schlage vor, wir errichten weiter oben ein Biwak. Dort ist ein kleines Plateau, auf das dieser Bergpfad mündet. Wenn wir da ein oder zwei Tage bleiben, habt ihr euch alle besser eingewöhnt, und unserem Bruder Ribault wird es wieder besser gehen.“

„Der Körper stellt sich also um?“ fragte Dan O’Flynn.

„Ja, er stellt sich um und gewöhnt sich daran. Ich litt auch mal unter dieser Bergkrankheit, als ich zu rasch in große Höhen aufstieg. Aber seither habe ich keine Probleme mehr.“

„Einverstanden“, sagte Hasard, „dann biwakieren wir auf diesem Plateau. Für die anderen wird es wohl auch besser sein.“

„Ganz sicher. Es ist nicht mehr weit bis dorthin. Wir werden unseren Bruder stützen, damit er nicht taumelt oder fällt. Wie geht es dir jetzt?“ erkundigte er sich.

„Ich – ich hätte das nicht geglaubt“, sagte Jean. „Mir ist, als sei ich geistig weggetreten. Aber mir ist immer noch übel.“

Nach jedem noch so kleinen Satz mußte er eine Pause einlegen, weil ihm das Sprechen schwerfiel und er wieder an Kurzatmigkeit litt. Vor seinen Augen drehte sich immer noch alles.

 

„Das wird sich bald ändern.“

„Wie sieht es bei den anderen aus?“ fragte Hasard.

Pater David verspürte überhaupt nichts, auch der Profos, von Hutten und Dan O’Flynn nicht. Aber Stenmark und Gary Andrews hatten einen leichten Druck im Schädel, ein wenig Kopfschmerzen, wie sie sagten.

Sie warteten noch eine Viertelstunde. Dann wurde Ribault von Finley und Mel Ferrow gestützt, und es ging weiter – dem Plateau entgegen, wo sie eine längere Rast einlegen wollten.

Der Bergpfad wurde schmaler. Sie mußten jetzt hintereinander gehen. Ringsum ragten die Felsen steil auf. Sie waren mit moosartigem Überzug bedeckt. Auf manchen fristeten Flechten oder kleine Krüppelpflanzen ihr kärgliches Dasein.

Ein scharfer Wind blies ihnen in die Gesichter. Das Lüftchen wehte so ganz anders als in der Karibik, wie sie es gewohnt waren. Aber dafür knallte ihnen die Sonne heiß in die Gesichter.

Die Landschaft um sie herum wurde immer urwüchsiger und gewaltiger. Die Bergwelt begann zu „drücken“, wie Stenmark sagte.

„Ja, das erscheint anfangs so“, gab der Padre zu, „aber auch das ändert sich bald. Diese Region ist noch relativ harmlos. In den Punas wird es dann etwas ungemütlicher.“

Aus der Terra caliente waren sie über die Yungas aufgestiegen und befanden sich jetzt schon oberhalb der Tierra templada. Aber ein sehr weiter Weg lag noch vor ihnen.

Etwas später erreichten sie das Plateau.

Über der einsamen Bergwelt kreiste in großer Höhe ein Kondor, der Herrscher der Lüfte, der ruhig und ohne Flügelschlagen seine Kreise am Himmel zog.

„Den juckt das Klima nicht“, sagte Ed, „und beim Aufstieg hat er auch keine Mühe. Flattert einfach los und hebt ab. Der ist direkt zu beneiden.“

Auf dem Plateau ragten zwei Felswände wie große Nasen hervor. Pater Aloysius deutete auf die Stelle.

„Dort werden wir die Zelte aufschlagen, der Platz ist einigermaßen geschützt. Wenn ihr den Mulis die Lasten abnehmt, vergeßt nicht, die Tiere in die groben Decken zu hüllen.“

Das Abladen begann augenblicklich. Diego grinste wieder so dämlich, als der Profos ihn von seiner Last befreite.

„Fang mir hier oben ja keinen Ärger an, du Trompeter“, mahnte der Profos. „Hier hört nämlich der Spaß auf, wenn man in einer Schlucht landet.“

Diego nickte, als hätte er jedes Wort verstanden. Der Profos wurde das Gefühl nicht los, als sei dieser Halbesel irgendwann einmal im Zirkus aufgetreten, denn er benahm sich ganz anders als die anderen Maultiere. Vielleicht hatte ihn sein Vorbesitzer auch abgerichtet, möglich war das ja durchaus.

Auf dem Plateau wuchs polsterartiges Grün, das sich jedoch als ziemlich dürr und trocken erwies. Überall war der Boden mit diesen Büscheln bedeckt. Die genügsamen Mulis fraßen auch das Zeug oder knabberten an Moosen und verkrüppelten Sträuchern herum.

„Die Buckel am Felsboden sind Llareta-Polster“, erläuterte der Padre.

„Es gibt sie auch noch in Massen am Altiplano. Die Polster eignen sich hervorragend zum Feuer entzünden und dienen den Indios als Brennmaterial.“

Während abgeladen und die Zelte aufgeschlagen wurden, ging Hasard zu Jean Ribault hinüber, der auf einer Decke am Felsen saß.

„Geht es besser?“ fragte er mitfühlend.

„Nicht besonders, aber das Schwindelgefühl scheint sich langsam zu bessern. Daß ich einmal unter Höhenkrankheit leide, hätte ich mir nie vorgestellt.“

„Das gibt sich schon bald wieder, Jean.“ Hasard klopfte seinem alten Kampfgefährten aufmunternd auf die Schulter.

Pater Aloysius kramte in einer Kiste und brachte einen irdenen Topf zum Vorschein. Er nahm den Holzdeckel ab und sah hinein. Der Topf war bis obenhin mit grauweißer Salbe gefüllt.

„Hm, das riecht aber fein“, sagte Stenmark naserümpfend, „so nach Affenfett mit Schmierseife.“

„Dann darfst du auch den Anfang machen“, sagte der Pater lächelnd. „Nimm etwas von der Salbe auf die Finger und reibe dir damit das Gesicht ein.“

„Und wozu ist das gut?“ erkundigte sich Stenmark mißtrauisch.

Auch die anderen umstanden den Padre jetzt und hörten zu.

„Das ist eine fettige Salbe, die die Gesichter vor Sonnenverbrennungen schützt.“

Ein paar Männer lachten leise. Matt Davies schüttelte den Kopf.

„Das haben wir doch nicht nötig, Padre. Uns scheint die Sonne jahrelang ins Gesicht. Sie kann uns nichts mehr anhaben.“

„Oh, doch, sie kann und wird. Die Sonnenstrahlen, die aufs Meer fallen, sind nicht mit denen der Berge zu vergleichen. Ich kann euch nicht sagen, weshalb das so ist, aber es ist eine alte Erfahrung.“

„Hört auf den Padre“, riet Hasard, „und motzt nicht herum. Er weiß es mit Sicherheit besser als wir alle zusammen. Oder war einer der Gentlemen schon einmal in derartigen Regionen?“

Das mußten sie alle kleinlaut verneinen. Aber der Pater empfahl keine nutzlosen Sachen. Also gehorchten sie und fetteten sich nacheinander die Gesichter ein. Das Zeug roch auch nur am Anfang so merkwürdig. Nach ein paar Augenblicken spürte man den Geruch nicht mehr.

Pater David und Fred Finley rupften unterdessen etwas von dem polsterartigen Zeug aus und trugen es auf einen Haufen. Darüber wurde Holzkohle gestreut. Später, wenn es kälter wurde, sollte das Feuer entzündet und gleichzeitig das Essen gekocht werden.

Die Sonne wanderte weiter und verschwand kurz darauf hinter einer Felsengruppe. Sie war noch nicht richtig verschwunden, als es fast übergangslos auch schon unangenehm kalt zu werden begann.

Carberry zog fröstelnd die Schultern hoch.

„Verdammt lausig kalt“, sagte er. „Da können wir heilfroh sein, daß unser guter alter Will die pelzgefütterten Segeltuchjacken mit den Kapuzen genäht hat. Auf unseren Will sollten wir einen kleinen Schluck trinken. Oder was tut man in den Bergen gegen die Kälte, Bruder?“ wandte er sich fragend an Aloysius.

„Man trinkt einen“, sagte der Padre trocken, „oder auch zwei. Mehr sollte man jedoch tunlichst vermeiden.“

„Ha, da haben wir doch noch ein Wässerchen vom Kutscher. Wollen doch gleich mal sehen, ob das Zeug noch gut ist.“

„Jetzt einen – und einen, wenn es dunkel wird“, sagte Hasard. „Das wärmt dann noch einmal die Knochen auf.“

Sie tranken einen auf Will Thorne, die gute Seele der Mannschaft, der an alles gedacht hatte. Später wurden zwei Laternen entzündet, die mit ihrem Flackerschein das Plateau gespenstisch erhellten. Es war still und ruhig, bis auf das ständige Heulen des Windes, der unermüdlich um die Felsen strich.

Die Mulis waren dicht zusammengerückt und wärmten sich gegenseitig.

Der Wind wurde eisiger, beißender und noch kälter. Und er orgelte und pfiff jetzt um die Felsen herum.

Nach dem Abendessen gab es kein langes Palaver mehr. Jeder trank noch einen Schnaps und suchte dann eins der beiden Zelte auf.

Die Zeltplanen knatterten wie killende Segel, wenn der Wind böartig in sie hineinfuhr. Den Untergrund auf dem harten Gestein hatten sie mit Decken gepolstert, und mit den Felljacken deckten sie sich zu.

„Richtig gemütlich“, sagte Dan O’Flynn, „wenn es draußen lausig kalt ist und der Wind pfeift.“

Aber er erhielt keine Antwort mehr. Der Marsch hatte sie doch alle sehr mitgenommen. Sie waren solche Höhen nicht gewöhnt. Der einzige, der noch wach war und an dem alles anscheinend spurlos vorübergegangen war, war Pater Aloysius. Um Mitternacht stand er noch einmal auf und sah nach den Mulis.

Bis auf das Orgeln des Windes herrschte eine fast majestätische Stille hier oben. Pater Aloysius sah sich um. Über den fast schwarzen Linien der Berge leuchteten nur wenige Sterne. Die Nacht war kalt und klar.

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