Seewölfe - Piraten der Weltmeere 555

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 555
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-962-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Auf den Spuren der Arche Noah

Old O’Flynn hat die Arche Noah gefunden – jedenfalls glaubt er das …

Erzurum – August 1597.

Die osttürkische Provinzhauptstadt Armeniens lag hinter der Karawane und verschwand im blassen Dunst einer Sonne, die sich in dünne Nebelschwaden gehüllt hatte.

Die Arwenacks, unter der Führung Philip Hasard Killigrews, zogen weiter – in den unbekannten Norden hinauf. Kamele und Maultiere waren bepackt und trotteten gleichmütig dahin.

Erzurum, das war ein wichtiger Verkehrs- und Handelsmittelpunkt, strategisch hervorragend gelegen, aber immer wieder heiß umkämpft an der berühmten Seidenstraße. Ein paar Tage hatten sie hier verbracht und waren dabei mit einigen Schlitzohren und Gaunern aneinandergeraten.

Jetzt ging es weiter ins Ungewisse, höher in die Berge hinauf in Richtung Artvin über den Kackar Daglari.

Hasard warf einen Blick zurück. Die große türkische Moschee Ulu Cami war noch zu sehen, ein Prachtbau mit einer gewaltigen Kuppel neben den Minaretten. Ein greller Lichtfinger schob sich durch den dünnen Nebel und ließ die Kuppel aufleuchten. Es sah wie eine Warnung aus, wie die blitzende Verkündung eines nahenden Unheils …

Die Hauptpersonen des Romans:

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf hat noch einen Trumpf im Ärmel, nachdem er und seine Arwenacks total ausgeplündert wurden.

Gülec Acby – Der türkische „Provinzbeamte“ pflegt einen Zoll zu erheben und ist der Meinung, daß Allah alles gerecht verteile.

Edwin Carberry – Der Profos wird von einem Ziegenbock gerammt, und wer am lautesten darüber meckert, ist Old Donegal.

Old Donegal O’Flynn – Auch über den sturen Alten wird gemeckert, aber das hat andere Gründe, die mit der Arche Noah zusammenhängt.

Ferris Tucker – Der Schiffszimmermann schnitzt den Teil eines Kielschweins und brennt gewisse Daten ein, die Old Donegal in höchstes Entzücken versetzen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

„Für drei bis vier Tage dürften Wasser und Proviant reichen“, sagte der Kutscher kurz nach dem Aufbruch. „Wie ich den Berichten der Kaufleute entnommen habe, befinden sich auf unserem Weg aber etliche kleine Orte, in denen wir unsere Vorräte ergänzen können.“

„Ich weiß“, sagte Hasard, „mehr Proviant konnten wir auch nicht mitnehmen, die Tragtiere sind alle ausgelastet mit dem, was wir von der ‚Santa Barbara‘ noch abgeborgen haben.“

Es war unter ihnen vereinbart worden, schon kurz vor Sonnenaufgang aufzubrechen, mittags eine Stunde Rast einzulegen und bei Anbruch der Dämmerung ein Lager aufzuschlagen. Es stand ihnen ohnehin noch eine gewaltige Strapaze bevor, denn es würde in Höhen bis zu viertausend Yards gehen.

Darin hatten sie zwar schon genügend Erfahrungen gesammelt, doch ein Seemann war das Marschieren auf Dauer nicht gewohnt.

Für den langen Marsch aber würde sie das Große Binnenmeer entschädigen, das sich oben im Norden befand. Hatten sie erst einmal Planken unter den Füßen, dann sah die Welt schon wieder ganz anders aus.

Der Wind wehte schon etwas kühler, aber noch war es angenehm, als sich die Nebel um die Sonne verflüchtigten und auflösten.

Vor ihnen lag gewelltes Land mit Büschen, Bäumen und Gräsern. Eine vorerst noch sanft ansteigende Gebirgswelle begann, die noch keine steppenhaften Züge trug.

Sie richteten sich nach dem Kompaß, den sie ebenfalls abgeborgen hatten und den jetzt eins der Maultiere trug. Sie konnten sich aber auch nach den langgezogenen Schluchten richten, die fast ausnahmslos in nördliche Richtung führten.

Zwei Stunden nach ihrem Aufbruch aus Erzurum war von der großen Moschee nichts mehr zu sehen. Sie begegneten auch keiner der zahlreichen Karawanen mehr, die die Seidenstraße kreuzten.

In gemächlichem Zockeltrab ging es weiter. Hin und wieder blieb eins der Mulis stehen, wenn es auf dem Weg ein Grasbüschel fand. Es konnte dann der Verlockung nicht widerstehen. Die Kamele berührte das nicht, sie trabten mit hochmütig verzogenen Mäulern weiter, als sei das der letzte Dreck, der ihnen da angeboten wurde.

Bei jedem Halt rümpfte der Profos die Nase. Er hockte zur Abwechslung auf einem Kamel, auf dem er sich gar nicht wohl fühlte. Das Tier mit den ausgefransten Fellresten verbreitete einen unangenehm strengen Geruch, der Carberry immer wieder lieblich in die Nase drang.

„Warum nennt man diese Viecher nicht einfach Stinktiere“, motzte er. „Bis wir am Ziel sind, hat es mir längst das Gehirn verpestet, oder ich rieche genauso wie dieser Zossen.“

„Hättest ihn ja vorher salben und parfümieren können“, meinte Mac Pellew, der neben dem Profos ritt. Er hockte auf einem verdrießlich aussehenden Eselchen, das sich von der griesgrämigen Laune seines Herrn offenbar hatte anstecken lassen. Wenn der Profos zu ihm etwas sagte, dann mußte Mac hochblicken. Überhaupt war diese ganze „Karawanserei“ nicht nach seinem Geschmack.

Er starrte mißmutig auf den großen Papagei Sir John, der beim Profos auf der Schulter hockte und mit den Flügeln balancierte. Sir John plierte ihn mit einem Auge an. Dann riß er den Schnabel auf und begann das zu plärren, was er von seinem Meister gehört hatte.

„Stinktier, Sauzossen, Kamelarsch! Hol die Brassen rum, alter Sack!“

Mac Pellew betrachtete das krächzende Monstrum mit Erbitterung.

„Bei diesem Krachvogel weiß man nie, wie man dran ist“, nölte er herum. „Vielleicht meint er sogar mich mit seinen schon mehr als beleidigenden Äußerungen.“

„Ja, das weiß man bei Sir Jöhnchen nie so richtig“, gab der Profos grinsend zu. „Aber nach ein paar Stunden hat er die Worte längst wieder vergessen.“

„Dafür kramt er dann andere raus, die noch übler klingen.“

Der Profos deutete auf seine linke Schulter.

„Er mag diesen Gestank von den Kamelen auch nicht“, sagte er vertraulich. „Er rümpft dauernd die Nase, genau wie ich. Das Vieh geht ihm mächtig auf den Geist.“

„Er rümpft dauernd die Nase?“ fragte Mac ungläubig. „Hast du schon mal einen naserümpfenden Papagei gesehen? Die hören und sehen vielleicht sehr gut, aber riechen tun sie nichts. Und Naserümpfen können sie erst recht nicht.“

„Sir John kann es aber“, behauptete Carberry stur.

Da rückte Mac Pellew etwas von ihm ab, denn er hatte keine Lust, sich jetzt mit dem Profos über naserümpfende Papageien zu streiten. Das war sowieso nur Stuß, was der Profos da redete, und nach einer Weile würden sie sich gegenseitig nur anstänkern. Das kannte man ja.

Der Ritt ging weiter, die Landschaft veränderte sich nicht. Ein paar Arwenacks gingen neben ihren Tragtieren her, wenn ihnen das Reiten nicht mehr paßte. Von Reiten konnte ohnehin keine Rede sein. Es war mehr ein Schwanken und Rollen oder ein Stoßen und Stampfen, wenn die Mulis ausnahmsweise mal etwas schneller trotteten.

Kotzübel könne einem bei diesem „Seegang“ werden, sagte der Profos.

Gegen Mittag wurde die erste Rast eingelegt. Die Sonne stand jetzt senkrecht über ihnen. Es war fast unangenehm warm, aber hier in den Bergen herrschten starke Temperaturschwankungen. Selbst wenn der Tag noch so heiß war, konnte es in der Nacht eisigkalt werden.

Alle Arwenacks waren froh, wieder die verkrampften Glieder strecken zu können.

Um sie herum war eine himmlische Ruhe. Weit und breit war keine Ansiedlung zu sehen. Nichts deutete auf die Nähe von Menschen hin.

„Heute gibt es kalte Verpflegung“, sagte Hasard, nachdem er abgesessen war und sich gereckt hatte. „So werden wir es auch halten, solange es noch einigermaßen warm ist. Erst in größeren Höhen gibt es jeden Tag eine warme Mahlzeit. Dann dehnen wir dementsprechend die Pausen auch etwas länger aus.“

Damit war jeder einverstanden. Sie halfen auch alle kräftig beim Auspacken und Zubereiten mit und überließen es nicht allein dem Kutscher und Mac. Dabei ging zuviel Zeit verloren.

„Eine recht trostlose Bergwelt, die immer langweiliger sein wird“, sagte Ben Brighton nach einem Rundblick. „Ich bin mal gespannt, wie lange wir brauchen, bis wir das sagenhafte Meer erreicht haben.“

„Es wird noch trostloser und langweiliger werden“, sagte Don Juan, der mit der rechten Hand nach Norden deutete. „Dort, im schwachen Dunst, kann man undeutlich und schemenhaft Berge erkennen. Wenn mich nicht alles täuscht, sind sie schneebedeckt. In diese Richtung müssen wir doch vordringen, oder?“

Hasard nickte bedächtig.

„Ja, da müssen wir höchstwahrscheinlich hinüber. Vielleicht gibt es auch eine Senke oder Schluchten, die wir durchqueren können. Der Gedanke, in diese Höhen zu steigen, ergötzt mich nicht gerade. Aber wir werden unseren Weg schon finden.“

 

„Der ja vom Schicksal vorgezeichnet ist“, meinte Don Juan mit einem schmalen Lächeln. Damit spielte er auf die Karten an, die die Zwillinge auf den Seychellen gefunden hatten und auf Jung Hasards Traum, daß ihr Weg vom Schicksal vorgezeichnet sei.

„So soll es wohl sein“, erwiderte Ben.

Es gab getrocknetes Fladenbrot, dazu ein paar Oliven, Tomaten, kaltes Fleisch und Tigrislachs, den der Kutscher noch an Bord vorgeräuchert hatte. Zum Abschluß erhielt jeder ein paar Datteln, Melonenscheiben und Granatäpfel.

Mit der sonst üblichen Bordverpflegung war das natürlich nicht zu vergleichen, aber sie hatten auch kein Schiff mehr und besaßen nur noch die Sachen, die sie vom Wrack der „Santa Barbara“ im Tigris abgeborgen hatten.

„Kalte Verpflegung ist immerhin besser als gar nichts“, sagte Gary Andrews. „Außerdem haben wir uns ja noch in Erzurum kräftig die Bäuche vollgeschlagen.“

Die anderen Arwenacks nickten zustimmend. Es machte ihnen ebenfalls nichts aus, wie sie versicherten.

Um die Tragtiere brauchten sie sich nicht zu sorgen. Die hatten sich im Umkreis verstreut und versorgten sich selbst mit dem Grünzeug, das sie hier überall fanden.

„Nach dem Essen reiten wir weiter“, sagte Hasard. „Etwa eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit rasten wir erneut und schlagen unsere Zelte auf. Wenn wir das ein paar Tage lang getan haben, sind wir ein gutes Stück weitergelangt und unserem Ziel wieder näher.“

„Wo wird das Ziel sein?“ fragte Ben. „Ich rätsele schon lange daran herum.“

Die Handbewegung des Seewolfs war etwas vage.

„Irgendwo im Osmanischen Reich muß sich das Meer befinden. Mehr weiß ich leider auch nicht. Ich habe keine rechte Vorstellung von diesem Ziel, aber ich bin überzeugt, daß wir den Weg in dieses geheimnisvolle Meer finden werden. Im Osmanischen Reich befinden wir uns ja schon.“

Mehr wußten die anderen auch nicht. Sie sprachen zwar immer wieder darüber, aber genaue Anhaltspunkte gab es nicht. So oder so – sie mußten sich überraschen lassen, was es mit der geheimnisvollen Route auf sich hatte.

Das Essen war beendet, die Lasttiere wurden wieder bepackt. Der bis jetzt noch unbeschwerliche Törn ging weiter.

Vor ihnen lag eine Ebene, die in sanften Windungen unmerklich anstieg und in eine Hügelregion führte. Einen angelegten Weg gab es nicht, nur eine kurze Grasnarbe, die hin und wieder mit kleinem Geröll durchsetzt war. An die zwölf Männer konnten bequem nebeneinander herreiten.

Am späten Nachmittag, die Sonne stand schräg über einem weit entfernten Bergkamm, entdeckte Dan O’Flynn mit seinen scharfen Augen etwas in der Ferne.

„Dort scheint sich ein Dorf zu befinden“, sagte er. „Ich kann winzige Türme und Mauerreste erkennen. Vermutlich ein Dorf von türkischen Bergbauern.“

„Nicht schlecht“, sagte Hasard, der die Augen zusammenkniff und nun ebenfalls die kleinen Türme erkannte. „Vielleicht können wir in dem Dorf übernachten.“

Sie ritten weiter, etwas schneller jetzt, um das Dorf noch vor Sonnenuntergang zu erreichen.

Aber seltsamerweise zeigte sich kein Mensch in dem Ort. Auch Vieh war weit und breit nicht zu sehen.

Die Gesichter wurden länger. Der Profos kratzte sich mit dem Handballen über die Bartstoppeln.

„Sieht verlassen aus“, sagte er enttäuscht. „Und dabei hatte ich mich schon auf einen guten Schluck und ein gemütliches Rasthaus eingerichtet. Aber man soll ja eben die Kneipe nicht vor Erreichen des Ortes loben.“

„Dieser Ort scheint mir recht armselig und verlassen zu sein“, sagte Hasard in die lastende Stille. „Es ist wohl mehr eine uralte Ruine als ein bewohnter Ort. Alles wirkt verfallen, als seien die Bewohner schon vor Jahrhunderten ausgezogen.“

Aus der Nähe sah das alles ganz anders aus, als es sich von weitem dargestellt hatte. Die Häuser, die an einen steinernen Hang gebaut waren, bestanden nur noch aus verfallenen Grundmauern, an denen der Zahn der Zeit genagt und geschliffen hatte. Kein einziges Haus stand mehr, keines trug auch nur noch Reste eines Daches.

Lediglich ein paar der eigenartig geformten Türme waren noch gut erhalten. Sie trugen auch noch Dächer. Diese Türme waren Rundbauten von etwa vier Yards Höhe und acht Yards im Durchmesser.

Der Trupp hielt an. Die Männer stiegen von den Reit- und Lasttieren.

Hasard und Don Juan sahen sich die Türme an. Insgesamt gab es vier davon, die der Verwitterung getrotzt hatten.

„Sie sehen seltsam abweisend aus“, meinte der Seewolf. „Dort, wo einstmals Fenster waren, hat man alles zugemauert. Nur ein kleiner schmaler Eingang ist geblieben.“

In dem schmalen Eingang lag eine dünne Sandschicht. Keine Spur wies daraufhin, daß jemand diese kleinen Türme unlängst betreten hatte. Sie wirkten tatsächlich abweisend, kalt, nüchtern und in ihrer schiefergrauen Farbe fast abschreckend.

„Das könnten Vorratsräume gewesen sein“, sagte Ferris Tucker. „Ähnliche Türmchen haben wir in Ägypten gesehen. Dort haben die Fellachen ihre Vorräte eingelagert.“

„Das ist möglich“, sagte Hasard. Er zog unbehaglich das Genick ein, denn jetzt wehte ein kühler Wind durch die Ebene, der an den Randhügeln losen Sand aufwirbelte und in die Höhe trug. Die Sonne war nur noch als halbe Scheibe hinter den westlichen Bergen zu sehen. Es wurde mit jeder Minute kühler.

„Zumindest können wir darin übernachten“, sagte er. „Dadurch ersparen wir uns die Arbeit, Zelte aufzuschlagen. Es scheint heute nacht lausig kalt zu werden.“

Mac Pellew und Stenmark holten Fackeln. Sie hätten die Utensilien blind gefunden, denn jedes der Tiere trug ganz bestimmte Dinge, so daß es keine lange Sucherei gab. Die Fackeln wurden jedoch noch nicht entzündet, sondern nur bereit gelegt.

Ziemlich schnell verschwand der Rest der Sonne hinter den Bergen. Ein letztes dumpfes Aufglühen, dann herrschte ein eigenartiges Zwielicht um sie herum.

Carberry und Smoky musterten die rätselhaften Bauten. Auch etliche andere standen herum und rätselten.

„Na, dann wollen wir mal“, sagte Carberry zu dem Decksältesten. „Sehen wir uns die Tempel mal an. Als Lagerstatt sehen sie ja nicht gerade freundlich und einladend aus, aber der Mensch muß sich bescheiden und mit dem vorliebnehmen, was er angeboten kriegt.“

„Wollt ihr eine Fackel mitnehmen?“ fragte Mac. Der Profos winkte großspurig ab.

„Ist noch hell genug. Wir sehen auch so noch alles.“

Das Licht wurde noch trüber. Die Arwenacks hatten keine deutlich erkennbaren Gesichter mehr, nur dunkle Flächen, in denen die Augen zu erkennen waren.

Beide gingen auf den ersten der Türme zu. Der Eingang war so schmal, daß sich jeweils nur ein Mann hindurchzwängen konnte. Sand wirbelte auf, als der Profos mit seinen Stiefeln hineinstapfte. Hinter ihm folgte Smoky, neugierig und erwartungsvoll grinsend.

„Schätze sind hier keine zu holen“, sagte Carberry. „Wenn hier was war, dann haben die früheren Bewohner längst alles abgeräumt.“

„Das kann man nie wissen, aber ich rechne auch nicht damit.“

Übergangslos befanden sie sich innerhalb des Gemäuers. Durch den schmalen Eingang fiel kaum Licht. Sie sahen sich beide nur als Schatten.

Der Profos tastete sich an der Wand entlang und schaute sich um. Der gewölbeartige Raum war leer, bis auf steinerne Bänke, die an den Wänden standen. Sie sahen auf den ersten Blick wie breite Kojen aus Stein aus.

„Ist doch prächtig“, sagte der Profos. „Richtig gemütlich. Sogar Sitz- oder Schlafbänke haben die hier eingebaut. Scheint ein recht müdes Völkchen gewesen zu sein.“

Carberry ließ sich probehalber auf einer der steinernen Bänke mit seinem ganzen Gewicht nieder.

Es gab einen unheimlichen knirschenden Ton.

„Was war das?“ fragte Smoky.

„Es hat geknirscht.“

„Aber Steine knirschen doch nicht, wenn man sich draufsetzt.“

„Dieser hier schon. Er knirscht eben. Wird wohl nicht mehr der Jüngste sein.“

Als er sich zurücklehnte, wurde das Knirschen noch lauter und unheilvoller. Es hörte sich an, als würde Stein gegen Stein reiben.

Diesmal wurde es auch dem Profos unheimlich. Er fuhr von seinem Sitz auf, bückte sich dann und zuckte zusammen, als er genauer nach unten stierte.

„Ist was?“ fragte Smoky zaghaft. Er trat noch zwei Schritte näher heran und stierte ebenfalls.

Dann richteten sich seine Haarborsten auf, als hätte ihn ein Zitteraal umarmt, und ein dumpfes Gurgeln drang aus seiner Kehle.

„Verflixt, das sind Särge“, jammerte er. „Steinsärge, und da liegen bestimmt noch Knochenmänner drin.“

Trotz der Kühle brach dem Profos schlagartig der Schweiß aus allen Poren. Er schien an einer Qualle zu ersticken, so würgte es ihn ganz plötzlich.

„Särge, was, wie?“ stammelte er hilflos. Wenn Carberry vor nichts Respekt hatte, aber Särge und Knochenmänner ließen ihn augenblicklich erbleichen und schwach in den Knien werden.

Erst jetzt erkannte er im trüben Dämmerlicht schemenhaft die Umrisse eines steinernen Sarkophages, auf den er sich gesetzt hatte. Dabei hatte er durch sein massiges Körpergewicht den Deckel ein wenig verschoben. Daher rührte auch das Knirschen, als Stein an Stein rieb. Offenbar lag der steinerne Deckel nur lose auf.

In solchen Augenblicken wußte der Profos immer ganz genau, daß seine Knie zu schwach zum Laufen waren. Aber da war doch noch eine Kraft, die seine Beine bewegte, ohne daß er einen Einfluß darauf hatte. Diese geheimnisvolle Kraft war es, die ihn davonflitzen ließ und vor den Knochenmännern in Sicherheit brachte.

Er spürte schon, wie dürre ausgebleichte Hände nach ihm griffen und ein grinsender Totenschädel ihn aus leeren Augenhöhlen anstarrte.

Da setzte ihn die geheimnisvolle Kraft augenblicklich in Bewegung. Mit verkniffenem Gesicht stürmte er wie ein Büffel los.

Pech für ihn war nur der Umstand, daß es dem Decksältesten Smoky genauso erging.

Der hatte die Steinkojen noch nicht richtig als Särge identifiziert, als es ihn vom Schädel bis in die Zehen erschütterte. Für ein paar Augenblicke wurde er stocksteif. Eine unsichtbare Faust hieb ihm ins Genick und ließ seinen ganzen Körper taub und gefühllos werden. Dann setzte der panische Fluchteffekt ein.

Ein Siebzehnpfünder wäre nur schneller als Smoky gewesen, wenn man ihn mit der zehnfachen Pulvermenge abgefeuert hätte.

Weiteres Pech war der Umstand, daß der Eingang zu diesem turmartigen Grabmal so eng war. Mit einem gewaltigen Rempler prallten die beiden Zittermänner am Eingang zusammen und verkeilten sich.

Smoky schob mit aller Gewalt, der Profos schob ebenfalls mit aller Gewalt und damit verdichteten sie den Eingang, als sei der gerade zugemauert worden.

„Uuuaahh!“ röhrte Smoky wild. Er hatte das Genick eingezogen und drängte rücksichtslos nach vorn. Der Profos wollte ihn wegschieben, doch weil das nicht ging, langte er hinten herum und riß an Smokys Hemd.

Aye, Sir, da war was los! Denn jetzt nahm Smoky ganz ernsthaft an, einer der Knochenmänner hätte nach ihm gegriffen, um ihn in seine steinerne Behausung zu zerren. Sein erstickter Schrei ging in Carberrys wildem Keuchen unter, denn der nahm jetzt ebenfalls an, daß jemand nach Smoky griff. Der nächste Griff würde ihm gelten, daran bestand kein Zweifel, denn es gab ja noch mehr Knochenmänner.

Da fuhr ihm ein grelles Licht in die Augen und blendete ihn. Der Profos wußte, daß der Knochenmann ihn jetzt direkt in die blendende Glut der Hölle stieß, und er hörte auch seine Stimme, doch die Worte begriff er nicht.

„Was ist denn mit euch los?“ fragte Hasard erstaunt.

Er hielt die Fackel hoch und leuchtete in den Eingang. Dort sah er nebeneinander zwei entsetzte Gesichter, die in blinder Panik nach draußen starrten.

Mit einem Griff zerrte er den Profos vom Eingang. Der zweite Griff galt Smoky. Dann waren beide draußen.

„Ich habe etwas gefragt“, sagte Hasard. „Was ist los?“

„Sä-Säge, äh, Sär-Särge“, stammelte Smoky. „Da – da drin liegen Knochenmänner.“

Der Profos nickte nur kläglich. Er brauchte noch ein paar Augenblicke, bis er die Sprache wiederfand.

„Särge?“ fragte Hasard ungläubig. Er hielt die Fackel noch höher und leuchtete in den Eingang.

„Geh da nicht rein, Sir“, murmelte der Profos. „Ein paar von den Sargleichen leben noch. Die haben nach uns gegrapscht.“

Dan O’Flynn, die Zwillinge, Ben, Don Juan und einige andere waren erschienen und blickten die beiden neugierig an. Nur Old O’Flynn hielt sich diskret im Hintergrund verborgen. Er hatte was läuten hören, und da ging er erst einmal auf Abstand und betrachtete alles aus sicherer Entfernung.

 

„Sargleichen, die noch leben und nach euch grapschen?“ sagte Hasard spöttisch. „Das gibt es wohl nur in eurer ganz besonders stark ausgeprägten Phantasie, ihr Helden. Ich sehe mir das an.“

„Sargleichen, die noch leben, lassen manchen Lebenden erbeben“, tönte Old Donegal aus dem Hintergrund. Aber mit dieser umwerfenden Weisheit stieß er bei allen – bis auf Carberry und Smoky – auf taube Ohren.

Kurzentschlossen trat Hasard mit der Fackel durch den Eingang.

Don Juan folgte, Ben Brighton und Dan O’Flynn. Sie glaubten nicht an „Sargleichen, die noch leben“, und traten ungeniert näher.

Acht Sarkophage befanden sich in dem Grabmal. Sie standen hintereinander an den Wänden. Es waren schiefergraue Steinsärge, deren Äußeres mit gemeißelten Ornamenten verziert war.

Bei einem der Särge war die steinerne Auflageplatte ein wenig verschoben. Das hatte der Profos geschafft, als er sich dagegengelehnt hatte.

Ein schmaler Spalt war zu sehen, in den das zuckende Licht der Fackel fiel. Undeutlich und schemenhaft waren ein paar Gebeine und Fetzen zerfallenen Tuches zu erkennen.

Die Steinplatte war nicht schwer. Hasard schob sie mit dem rechten Knie wieder in die alte Stellung zurück. Wieder gab es dieses unheimliche Knirschen – und dann Getrappel, als draußen Smoky und der Profos ein Stück weiterrannten.

„Da haben wir uns geirrt“, sagte Hasard. „Es sind Grabhäuser, und sie scheinen uralt zu sein. Zum Übernachten ist das also nicht unbedingt der geeignete Aufenthalt. Lassen wir die Toten ruhen.“

Seine Begleiter nickten.

„Vermutlich liegen hier die Gebeine irgendwelcher hochgestellter Persönlichkeiten“, meinte Ben. „Sonst hätte man nicht diese Grabhäuser gebaut.“

„Das ist durchaus möglich.“

Hasard drehte sich nach den Zwillingen um, die ihnen gefolgt waren. Dann deutete er auf die eingemeißelten Zeichen in den Särgen.

„Könnt ihr die Schrift entziffern?“ fragte er, während er die Fackel dicht heranhielt.

Die Zwillinge gaben sich redliche Mühe, aber mit den eigentümlichen Schriftzeichen konnten auch sie nichts anfangen.

„Derartige Schriftzeichen habe ich noch nie gesehen“, sagte Jung Hasard.

„Ich auch noch nicht“, sagte sein Bruder. „Es scheint sich um eine uralte Schrift zu handeln, die heute nicht mehr üblich ist. Nicht einen Buchstaben kann ich entziffern.“

„Lassen wir das“, meinte Hasard. „Wir haben auch andere Sorgen, als uns mit Altertumsforschung zu befassen. Wir sehen uns doch einmal die anderen Grabmale an.“

Die anderen Grabhäuser wurden gleich darauf inspiziert.

Sie waren leer. Auf dem Boden lag nur Sand, den der Wind im Lauf der Jahre hineingeweht hatte. Es gab keinerlei Einrichtungsgegenstände. Alles war kahl und leer.

Nach einem kurzen Rundblick erklärte Hasard: „Ich denke, wir richten uns in diesen Bauten für heute nacht ein. Hier stören wir keine Totenruhe, denn es ist nicht gesagt, daß hier ebenfalls Sarkophage standen. Diese Bauten können einem ganz anderen Zweck gedient haben.“

„Vielleicht sind es Geisterhäuser“, murmelte Old O’Flynn. „Das kennt man ja. Kaum legt man sich zum Pennen hin, schon erscheinen sie und piesacken einen, weil man ihr Spukhaus belegt hat. Ich für meine Person ziehe es jedenfalls vor, hier nicht zu kampieren. Ich will nicht als Leiche erwachen.“

Der. Seewolf sah seinen kauzigen Schwiegervater kopfschüttelnd an.

„Mit dir ist es wirklich ein Kreuz, Donegal. Ich kann dich aber dahingehend beruhigen, daß hier wirklich keine Geister spuken, daß dich niemand piesackt und du auf keinen Fall als Leiche erwachst, was sowieso der größte Stuß ist.“

„Laß ihn doch, Sir“, sagte der Profos scheinbar großmütig. „Er will eben im Freien kampieren. Ich denke, das sollte man ihm zugestehen, wenn er unbedingt will. Und damit er nicht so allein ist, leisten Smoky und ich ihm Gesellschaft.“

„Damit ihn heute nacht niemand klaut, was, wie?“ sagte Hasard ironisch. „Ich höre die Glocken schon läuten, noch bevor sie gegossen sind, mein lieber Ed. Aber das ist eure Sache. Wenn ihr die Hosen voll habt, nur weil ihr ein paar uralte Sarkophage seht, dann übernachtet ihr eben im Freien. Aber vielleicht sind die Geister aus ihren Grabmalen ausgezogen und spuken ebenfalls im Freien herum.“

Der Profos blickte ihn verunsichert an. Smoky kratzte sich nur verlegen den Schädel, und Donegal tönte, daß Geister grundsätzlich ihre alten Stammplätze bevorzugten. Das falle für ihn als „Hinter-die-Kimm-Blicker“ in sein Ressort, und da kenne er sich bestens aus.

Die anderen bezogen ihr Quartier in den Steinhäusern und hatten ein Dach über dem Kopf und Wände um sich herum, durch die nicht der kalte Nachtwind pfiff.

Smoky, der Profos und Donegal schlugen das kleine Zelt auf. Allerdings in sicherer Entfernung von den Türmen, falls doch einmal einer der Geister seinen angestammten Platz verlassen und in der Nähe herumspuken sollte. Schließlich, so wußte Donegal noch zu berichten, hätte er auch schon „Wandergeister“ gesehen, die sich verirrt hätten.

Immer, wenn sie aus ihrem Zelt zu den Steinhäusern blickten, wurde ihnen unbehaglich zumute. Dort brannten Fackeln, und ihr tanzender Schein hüpfte auf und nieder. Dann gab es geheimnisvolle Schatten, die sich dort bewegten, und es sah wahrhaftig so aus, als würden dort klapperdürre Knochenmänner ihr gruseliges Totentänzchen abhalten.

Es dauerte lange, bis sie einschliefen, denn sie hielten sich mit ihren Schauermärchen gegenseitig wach, und jeder setzte noch einen drauf, wenn der eine seine Geschichte erzählt hatte.

In dieser Nacht war die Sorge vor Geistern allerdings unbegründet – ebenso wie Old O’Flynns Besorgnis, am Morgen als Leiche zu erwachen.

Als er erwachte, war er putzmunter.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?