Seewölfe - Piraten der Weltmeere 659

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 659
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-073-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Zum Tode verurteilt

Das Urteil ist grausam – Elefanten sollen die Henker sein

Juni 1599, Surat/Indien.

Die qualvolle Nacht hatte endlich ein Ende. Dem Getrappel von Schritten nach zu urteilen, mußte gerade die Sonne aufgegangen sein.

Im Verlies des Padischahs sah man allerdings nichts davon. Hier blakten nur ein paar kümmerliche Fackeln. Es war warm, schwül und stickig.

Kein noch so winziger Hauch brachte Kühlung.

Die Arwenacks, die bis auf zwei im Verlies saßen, warteten auf die Vollstreckung ihres Todesurteils, das der Padischah verkündet hatte. Die Anführer der „Piraten“, angeklagt der Spionage und Piraterie, sollten von Elefanten zerrissen oder zu Tode getrampelt werden. Das Urteil für die übrige Crew stand ebenfalls fest: Tod durch Köpfen!

Das konnte heute oder morgen der Fall sein. Oder erst übermorgen, und es war ganz von der Lust und Laune des Padischahs abhängig.

Auf jeden Fall sollte es wieder mal ein „Volksfest“ werden. Die Nachricht von der Hinrichtung hatte sich in Surat bereits wie ein Lauffeuer verbreitet …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Juan de Alcazar und Blacky – den beiden letzten Arwenacks sind die Häscher auf der Spur, und da gibt es kein Erbarmen.

Francis Ruthland – der Kapitän der „Ghost“ glaubt sich am Ziel seiner Intrigen und begeht gleich darauf zwei Fehler.

Edwin Carberry – hält eine Fackel für bestens geeignet, um sie einem Tiger auf den Schädel zu dreschen.

Plymmie – die Bordhündin der Arwenacks zeigt ihre kämpferischen Eigenschaften.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf geht seinen Männern voran, als sie zur Hinrichtung geführt werden.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

In dieser hoffnungslos scheinenden Situation hatte der Profos Edwin Carberry wieder mal philosophische Einfälle, die in recht merkwürdigen Sätzen gipfelten. Der Profos sah zudem noch aus wie ein Inder, jedenfalls, was seine augenblickliche Kleidung betraf. Diese Kleidung hatte er mit einem Inder getauscht, weil sie ihm so gut gefiel. Der Inder rannte jetzt mit grobem Leinenhemd und ebensolchen Hosen durch Surat, und er trug ein Paar Stiefel, die die Arwenacks schlicht als Torfkähne bezeichneten und dem kleineren Mann etliche Nummern zu groß waren.

Carberry dagegen war in schickliches Tuch gekleidet, mit engen Beinkleidern, leichten Schuhen und einer brokatverzierten hüftlangen Jacke.

Der hellblaue Turban aber war die Krönung von allem. Das Ding thronte wie das Unterhemdchen eines liederlichen Frauenzimmers auf seinem Schädel und wurde vorn von einem Halbedelstein zusammengehalten.

Alles in allem hätte der Profos als vornehmer Padischah durchgehen können, wäre da nicht das narbenzerfurchte Gesicht und riesige Amboßkinn gewesen. Das ließ ihn eher als einen Grobian der übelsten Sorte erscheinen. Zudem gab es in ganz Surat keinen Inder, der auch nur annähernd seine Figur hatte. Er war im Kreuz mindestens so breit wie zwei Inder und hatte es nur dem großzügig bemessenen Schnitt der Brokatjacke zu verdanken, daß sie am Rücken nicht platzte.

„Köpfen wollen uns die Affenärsche“, sagte er brummig. „Gerade jetzt, da ich so einen schönen Turban aufhabe. Wo soll ich das Ding denn später tragen, wenn mir die Rübe fehlt?“

„Wenn du keine anderen Sorgen hast“, erwiderte der Kutscher, „dann kannst du ihn dir ja an den Achtersteven nageln lassen. Vielleicht fällst du damit nicht mal auf.“

Der Profos war nun doch ein bißchen empört.

„Ich muß doch sehr bitten, Kutscher! Ohne Kopf ist der Mensch zeitlebens ein Krüppel, falls du das nicht weißt.“

„Da ist was dran“, meinte Mac Pellew, der den Sinn noch nicht ganz begriffen hatte. „Ohne Kopf ist man wirklich zeitlebens ein Krüppel.“

Edwin Carberry war der letzte aus der Crew, den sie geschnappt hatten.

Seine Kleidung hatte es ihm ermöglicht, vorübergehend in einem Tempel Unterschlupf zu finden. Dort war er durch einen Geheimgang in einer Götterstatue zunächst geflüchtet, doch das brachte ihm nur einen kurzen Aufschub, denn eine Meute war hinter ihm her. Schließlich hatten sie ihn überwältigt und in Ketten ins Verlies des Palastes gebracht.

Dort saß er nun auf dem gestampften Lehmboden und teilte den anderen seine umwerfenden Neuigkeiten mit.

Sehr großen Anklang fanden seine Weisheiten allerdings nicht, obwohl der Profos damit nur versuchte, die lausige Situation ein bißchen aufzulockern.

Die Luft begann sich langsam noch mehr aufzuheizen. Es war schwül wie bei einem bevorstehenden Gewitter. Vermutlich setzte der Monsun in diesem Jahr etwas früher als sonst ein.

Hasard ließ sie reden, obwohl es nur Stuß war, was dabei herauskam. Aber die anderen lenkte es ein wenig ab, und ein paar lachten sogar, daß Carberrys größte Sorge offenbar nur sein neuerworbener Turban war, der beim Köpfen sicherlich verunreinigt werden würde.

Das Verlies, das der Padischah bei ihrer Festnahme süffisant grinsend als seine Schatzkammer bezeichnet hatte, war geräumig. Sie konnten darin stehen und die Hände ausstrecken. Dabei war die gewölbte Decke immer noch mindestens ein Yard entfernt.

Hasard und seine Arwenacks hatten bereits alle Ausbruchsmöglichkeiten in Betracht gezogen, doch es war aussichtslos. Die Wände des Verlieses waren aus dicken Quadern, die nicht zu durchbrechen waren.

Der Boden war zwar aus gestampftem Lehm, doch er führte nur ein kleines Stück in die Tiefe. Darunter befand sich steinharter Felsboden. Das hatten sie bereits herausgefunden.

„Uns bleibt nur noch eine Hoffnung“, sagte der Seewolf, nachdem der Kutscher und Carberry ihr Geplänkel beendet hatten. „Wir müssen zu einem späteren Zeitpunkt einen Ausbruch wagen und dabei alles riskieren, trotz der scharfen Bewachung.“

„Darüber haben wir uns schon die ganze Nacht die Köpfe zerbrochen“, sagte Ferris Tucker. „Aber einen Ausweg haben wir nicht gefunden. In den Gängen lauern mindestens fünfzig Kerle. Wenn wir die schaffen, dann haben wir noch mal so viele weiter oben vor uns. Ganz zu schweigen von den anderen Wächtern, die sich im Palast und dem Hof aufhalten.“

Hasard nickte bedächtig.

„Das weiß ich. Aber wir gehen lieber kämpfend unter, als uns von Elefanten zu Tode trampeln zu lassen oder geköpft zu werden. Ich nehme an, daß ihr alle so denkt. Oder hat jemand noch eine Idee?“

„Don Juan und Blacky sind noch in Freiheit“, sagte Ben Brighton. „Das ist zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer.“

Big Old Shane lachte stoßartig auf.

„Und die stürmen den Palast zu zweit, was? Metzeln alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt und befreien uns. Diesen kleinen Hoffnungsschimmer kannst du getrost abschreiben, Ben. Außerdem werden die beiden von einer ganzen Meute gehetzt. Offenbar haben sie die beiden noch nicht geschnappt, sonst säßen sie längst hier. Juan und Blacky werden sich kaum aus ihrem Versteck wagen.“

„Jedenfalls werden sie alles unternehmen, was nur möglich ist.“

Ben verbreitete eine fast stoische Ruhe, die sich auch auf viele andere übertrug. Noch ist es nicht soweit, war seine Devise, und die Zeit konnte nur für sie arbeiten.

Hasard dachte noch mal an die Wächter zurück. Sie hatten sich in Viererreihen gruppiert und trugen lanzenähnliche Waffen, die sie mit ausgestreckten Armen von sich hielten. Manchmal waren es auch fünf Reihen hintereinander. Es war unmöglich, gegen diese Mauer aus Spitzen anzurennen. Sie hätten sich in ihre Leiber gebohrt, sie wären aufgespießt worden.

Sie selbst hatten keinerlei Waffen. Man hatte ihnen alles abgenommen, bis auf die Gürtel, die sie um die Hosen trugen. In den Geheimfächern dieser Gürtel, die Will Thorne einstmals genäht hatte, befanden sich Gold- und Silberstücke sowie einige Perlen. Zum Glück hatten die Inder sie nicht entdeckt. Aber Gold und Silber nutzten ihnen in ihrer augenblicklichen Situation herzlich wenig.

Auch an Bestechung war nicht zu denken. Es waren zu viele Kerle, und man hätte ihnen restlos alles abgenommen.

Hasard schrak aus seinen Gedanken, als sich knarrend die schwere Tür öffnete. Die anderen sahen ebenfalls gespannt hin.

 

Vor der Bohlentür standen die Inder dicht an dicht wie ein uneinnehmbares Bollwerk. In den Händen trugen sie lange, sichelartige Waffen, scharfen Sensen gleich, gekrümmte Bauchaufschlitzer oder scharfe Lanzen.

Zwischen den grimmig dreinblickenden Wächtern bildete sich eine schmale Gasse. Zwei turbanbewehrte Kerle schleppten einen großen Holzkübel durch die Gasse und stellten ihn auf den Boden. Zwei weitere Inder brachten eine Balje mit Wasser, die sie neben dem Kübel absetzten. In dem Holzkübel befand sich Reis, der noch etwas dampfte.

Einer der Wasserträger sah Carberry, stutzte und blickte ihn nochmals an. Offenbar hielt er ihn im ersten Augenblick für einen Inder und sagte ein paar Worte zu ihm.

„Jaja“, sagte der Profos freundlich. „Dich Dummbart soll ebenfalls der Satan holen.“

Der Kerl blickte in sein Gesicht und zuckte zusammen. Er hatte es ziemlich eilig, zu verschwinden.

Hasard sah, daß seine Söhne aufmerksam die Inder musterten, als heckten sie etwas aus.

Sehr lange fiel die Musterung jedoch nicht aus, denn gleich darauf wurde die Tür zugeschlagen, und die Gesichter verschwanden. Das alles hatte etwa zwei Minuten gedauert.

Carberry blickte in den Kübel mit der klebrigen Masse. Der Reis sah pappig und unappetitlich aus.

„Wie soll man das Zeug essen? Die Rübenschweine haben die Löffel vergessen.“

„Dafür wird sich der Padischah gleich bei dir entschuldigen“, meinte der Kutscher. „Sicher läßt er dir sofort aus seinem persönlichen Service einen Goldlöffel bringen. Ich schlage vor, wir essen den Reis einfach mit den Fingern. Der große Kapitän hat ja jedem von uns genügend Werkzeug mitgegeben.“

„Ich kann Reis nicht ausstehen“, motzte der Profos.

„Du solltest trotzdem etwas essen“, ermunterte ihn der Kutscher. „Wer weiß, wann wir wieder was kriegen.“

Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit den Fingern zu essen. Aber wenigstens hing an der Balje ein kleiner Holztopf, mit dem Sie das Wasser trinken konnten.

„Ihr habt vorhin so aufmerksam die Wachen gemustert“, sagte Hasard zu seinen Söhnen. „Was habt ihr dabei überlegt?“

Hasard junior griff in den Reistopf und aß den Reis so, wie sie es auch bei der Gauklertruppe des Kaliban getan hatten. Der Reis wurde zu einem kugelförmigen Gebilde zusammengepappt und in den Mund gesteckt. Im Orient war das so üblich.

„Stimmt, wir haben uns etwas überlegt“, erwiderte Jung Hasard kauend. „Und zwar für den Fall, daß wir doch einen Ausbruch wagen.“

„Da bin ich aber gespannt.“

„Die Kerle müssen überrascht werden“, erklärte Hasard sachlich. „Phil und ich haben bei Kaliban das Saltoschlagen gelernt.“

„Stimmt. Ihr könnt wie Kobolde durch die Luft wirbeln. Das kann nicht mal unser Schimpanse Arwenack. Aber was wollt ihr damit bezwecken?“

„Das ist eben die Überraschung, Sir. Wenn sich wieder die Tür öffnet, nehmen wir einen kleinen Anlauf, einen Überschlag auf dem Boden und anschließend einen Salto. Der katapultiert uns genau berechenbar in die Menge der Wächter. Wir werden etwa in der zweiten oder dritten Reihe mit viel Schwung landen.“

„Das dürfte etliche Kerle gehörig durcheinanderwirbeln“, erklärte Philip. „Wir gehen mit großer Wucht zwischen sie, werfen etliche von ihnen um und greifen sofort von hinten an. Das ist das einzige, was sie überraschen wird, denn mit einem derartigen Angriff rechnet ganz sicher niemand. Der Rest liegt dann bei euch. Die anderen Kerle werden sich umdrehen, und dann ist die Gelegenheit da.“

Der Seewolf nickte bedächtig.

„Das hört sich gut an. Aber selbst wenn wir die Wachen abräumen, haben wir immer noch eine Menge andere gegen uns.“

„War nur ein Vorschlag. Du hast selbst gesagt, daß wir lieber kämpfend untergehen wollen, als uns Zertrampeln oder köpfen zu lassen.“

„Ich halte die Idee für gut, sozusagen für umwerfend“, erklärte O’Flynn mit einem verwegenen Grinsen. „Zumindest verspricht das einigen Erfolg.“

Die anderen waren aufmerksam geworden und hörten gespannt zu. Sie saßen in einem weiten Kreis um den Reiskübel und bedienten sich. Paddy Rogers knetete den Reis zu faustgroßen Bällen und stopfte sich den Hals voll. Es schien ihn nicht zu stören, daß der Reis nicht gewürzt und nicht gesalzen war.

Der Profos war von der Idee begeistert. Er liebte Überraschungen von besonderer Art und war ganz wild darauf, es den Kerlen zu zeigen. Schließlich saßen sie unschuldig im Verlies und hatten keinem etwas getan. Die Anschuldigung gegen sie war direkt lächerlich, und sie wußten auch nicht, wem sie ihr Dilemma zu verdanken hatten.

Der Seewolf überlegte nicht lange. Sie wollten und mußten hier raus. Sie hatten nicht die Absicht, ihre Köpfe für eine Sache hinzuhalten, von der sie absolut nichts wußten. Da der Padischah aber ein uneinsichtiger Mann und offenbar allen Argumenten gegenüber verstockt und verschlossen war, mußten sie es mit Gewalt versuchen. Jeder der Arwenacks betrachtete das als sein gutes Recht.

„Einverstanden“, sagte Hasard. „Das verspricht wirklich, eine Überraschung zu werden. Aber vielleicht solltet ihr das vorher mal probieren. Möglicherweise seid ihr aus der Übung. Ist der Raum überhaupt hoch genug für einen Salto?“

„Ja, das reicht aus. Und aus der Übung sind wir ganz sicher nicht.“

Jung Hasard nahm ein paar Reiskörner aus dem Kübel und markierte damit zwei Stellen auf dem Boden. Dort, wo die Reiskörner lagen, wollten sie landen.

„Und euch dabei in der Luft überschlagen?“ fragte Matt Davies zweifelnd. „Das kann ich mir schlecht vorstellen.“

Die Zwillinge demonstrierten gleich darauf ein Kunststück, das sie bei Kalibans Gauklertruppe gelernt hatten und noch immer einwandfrei beherrschten.

Beide gingen zurück, bis sie fast die hinteren Wände des Verlieses berührten. Von dort fixierten sie noch einmal die Stelle.

Ganz plötzlich nahmen sie Anlauf, schienen mit dem Kopf voran auf den Boden zu springen, stützten sich mit den Händen ab und überschlugen sich, bis sie für einen kurzen Augenblick auf den Beinen standen.

Die Arwenacks schauten verblüfft, wie die beiden durch die Luft wirbelten. Es geschah so schnell, daß sie Mühe hatten, die Bewegungen mit den Blicken zu verfolgen.

Anschließend folgte der Clou. Beide schwebten wie durch Zauberei durch die Luft. Ihre Körper überschlugen sich dicht unter der Decke und wurden dabei gleichzeitig weitergetrieben.

Luke Morgan und Big Old Shane wichen zurück, als scheinbar aus dem Nichts zwei Körper auftauchten und genau auf sie zuflogen.

Hasard und Philip landeten, wie vorausberechnet, an den Stellen, wo die Reiskörner auf dem Boden lagen. Sie grinsten die anderen an.

„Na, hat doch hervorragend geklappt“, tönte Jung Hasard. „Wenn wir mit der gleichen Wucht zwischen den Wachen landen, werden etliche Kerle umgesäbelt.“

Vater Hasard war sichtlich beeindruckt. Das Ganze hatte fast nach Zauberei ausgesehen.

„Das war wirklich überraschend“, gab er zu. „Damit rechnet niemand. Und weil niemand damit rechnet, haben wir vielleicht doch eine kleine Chance zum Ausbruch.“

Der Profos starrte die beiden an, als sähe er sie zum ersten Male.

„Phantastisch, das muß ich auch mal versuchen“, sagte er.

„Laß es bleiben“, riet Hasard. „Das sieht zwar sehr spielerisch aus, ist aber äußerst schwer. Dazu gehören absolute Körperbeherrschung und lange Übungen.“

„Wie lange habt ihr dazu gebraucht?“

„Ein paar Wochen.“

„Zeigt mir das noch mal“, sagte Carberry. „Ich wette, daß ich es ebenfalls kann, wenn ich genau zusehe.“

Der Profos war von dem Gedanken einfach nicht abzubringen. Er – und das nicht können? Pah! Man mußte nur wollen.

Die Zwillinge zeigten es ihm noch mal ganz genau, und Carberry paßte auf wie ein Schießhund. Als sie wieder genau an der vorberechneten Stelle landeten, nickte er fachmännisch.

„Ein Trick“, erklärte er den anderen. „Man kriegt beim Abstützen mit den Händen auf den Boden so viel Schwung drauf, daß es zu einem Salto langt.“

„Eben nicht“, widersprach Philip. „Es ist auch kein Trick dabei. Natürlich nutzt man den Schwung aus, aber dabei muß man den Körper zusammenkrümmen und …“

„Weiß ich alles. Wenn wir zu dritt zwischen den Kerlen landen, und ich dabei noch mein Gewicht einsetze, rasseln die nur so durcheinander. Dann fliegt die ganze Truppe um.“

„Du kannst es aber nicht“, sagte Hasard eindringlich. „Du wirst dabei auf der Nase landen.“

„Man muß nur wollen“, wiederholte der Profos unerschütterlich.

„Du Klotz von einem Kerl kannst doch nicht deine dreihundert Pfund einfach durch die Luft wirbeln!“ rief Old O’Flynn. „Du bringst doch dein eigenes Gewicht nicht hoch.“

Was sich der Profos einmal in den Kopf gesetzt hatte, das zog er auch durch. Die Leistung hatte ihm mächtig imponiert, und genau das wollte er jetzt versuchen. Er ging mit langen Schritten zum hinteren Ende der Quaderwand und nahm Aufstellung. Sein Gesicht wirkte sehr konzentriert und so angespannt, als stünde er einer ganzen Horde wilder Piraten gegenüber.

Dann nahm er Anlauf, die Brust vorgewölbt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Er sah sehr grimmig aus in diesem Moment.

Paddy Rogers schob sich noch einen Reiskloß in den Mund und mampfte hingebungsvoll. Kauend starrte er zu dem Profos, der jetzt Anlauf nahm.

Carberry schaffte es tatsächlich, auf die Hände zu gelangen. Der Rest ging allerdings schief, wie auch nicht anders zu erwarten war.

Angetrieben von dem Schwung, raste sein gewaltiger Körper weiter und flog ohne Überschlag ziemlich gerade durch die Luft.

Das war der Augenblick, in dem Paddy Rogers einen leisen Schrei ausstieß und den Rest des Kloßes vor Schreck verschluckte, denn das Geschoß Edwin Carberry raste genau auf ihn zu, durch nichts mehr aufzuhalten.

Der knubbelnasige Paddy wurde wie von einem Vierzigpfünder getroffen. Der Anprall trieb ihn auf Ferris Tucker zu, der ebenfalls mit einem Fluch auf den Lippen zu Boden ging und seinerseits Pete Ballie umriß. Es war eine Kettenreaktion, denn auch Piet Straaten und Jan Ranse fanden sich übergangslos auf dem Boden wieder.

Inzwischen schlitterte Carberry auf dem Rücken ein paar Yards über den Lehmboden und landete vor der Balje mit Wasser.

Paddy Rogers hatte dagegen weitaus mehr Pech. Sein Kopf sauste in den Reistopf und blieb für lange Augenblicke darin stecken. Als er sich endlich daraus befreite, sah er sehr merkwürdig aus, denn überall pappte der Reis in seinem Gesicht.

Carberry richtete sich stöhnend auf. Sein Turban war verrutscht und hing ihm über das linke Auge. Überhaupt sah er jetzt sehr kläglich aus und keineswegs mehr so heroisch und wild wie vor wenigen Augenblicken. Sein Selbstbewußtsein hatte offenbar auch einen kleinen Knacks erlitten.

„Sehr schön“, sagte Hasard ausdruckslos. „Wirklich eine sehr gute und erstaunliche Darbietung. Du solltest nur noch den Überschlag in der Luft ein wenig üben. Die Kerle reißt du jedenfalls schon ganz prächtig zu Boden.“

„Ich hab das glatt vergessen“, bekannte Carberry. „Ich wollte gerade noch hoch, aber da war es schon zu spät.“

„Du mußt noch ein paar Wochen üben, Mister Profos“, sagte Jung Hasard in das leise Gelächter.

Carberry reckte sich und verzog das Gesicht.

„Ich bin vorläufig bedient. Aber ihr müßt doch zugeben, daß es für den Anfang nicht schlecht war.“

Die Zwillinge gaben das augenzwinkernd und mit einem Grinsen zu, während der Profos seinen lädierten Turban zusammenfummelte. Paddy wischte sich inzwischen den pappigen Reis aus dem Gesicht und schaute etwas hilflos und unglücklich drein.

„Das war ein Salto mit Rückenlage“, klärte der Profos ihn auf. „Der ist besonders schwierig. Oder warst du etwa nicht überrascht?“

Paddy Rogers nickte verdattert. „Doch, ich – ich war wirklich überrascht.“

„Ich werde dir das gelegentlich mal beibringen“, versprach der Profos großzügig. „Dann kannst du das auch, und deine Gegner werden sich sehr wundern. Aber es ist nicht einfach.“

Paddy wußte nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten sollte und schwieg lieber.

Hasard begann in dem Verlies umherzuwandern. Nach einer Weile blieb er stehen und sah seine Arwenacks an.

„Wir versuchen es bei der nächsten Gelegenheit“, sagte er. „Ich weiß zwar nicht, wann sich die ergibt, aber wir werden ständig auf dem Sprung bleiben und aufpassen. Wenn meine Söhne ihr Kunststück fertiggebracht haben, stürmen wir sofort los. Um nicht gegen die Lanzen anrennen zu müssen, bewaffnen wir uns provisorisch mit den beiden Holzkübeln. Wir nehmen sie wie Schilde vor uns. Hat jemand einen besseren Vorschlag?“

 

„Nein“, antwortete Ben nach einer Weile, als sich keiner rührte. „Das ist die einzige Möglichkeit.“

Sie warteten. Eine Stunde nach der anderen verging. Stimmen waren aus weiter Ferne zu hören. Sie verstanden nicht, was gesprochen wurde.

Aber offenbar tat sich nichts, oder es gab nur einmal Verpflegung und etwas zu trinken am Tag.

Die Wachen standen nach wie vor hinter der Tür. Doch niemand schien sich um sie zu kümmern.

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