Seewölfe - Piraten der Weltmeere 73

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 73
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-390-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

1.

An Bord der „Isabella VIII.“, die platt vor einem handigen Ostwind in Richtung des Cayman-Graben segelte, herrschte emsiger Betrieb.

Ferris Tucker, Big Old Shane und der alte Donegal Daniel O’Flynn besserten Teile des Schanzkleides an der Backbordseite aus. Noch immer waren die Schäden, die die hohe Flutwelle verursacht hatte, nicht behoben. Die Schönheitsreparaturen waren geblieben und wurden jetzt nach und nach erledigt.

Der grauhaarige Segelmacher Will Thorne, ein besonnener und ruhiger Mann, hockte zwischen einem Wust von Segeln und Segelgarn auf dem Hauptdeck. Seine scharfkantige, dreieckige Segelnadel fuhr durch sperriges Segeltuch, verstärkte die Lieken, nähte die schweren Segel an das Liektau. Will Thorne hatte eine ganze Menge zu tun, was auch auf das schwere Seebeben zurückzuführen war.

Die „Isabella“ hatte es arg erwischt. Die meisten Segel waren von umherfliegenden Felsbrocken zerfetzt worden, als die etwa siebzehn Yards hohe Flutwelle ganze Felsen zermalmt, die Galeone hoch in die Lüfte gehoben und sie schließlich zwischen Felsen abgesetzt hatte. Daher rührten auch sämtliche Beschädigungen.

Thorne gegenüber hockte der Schimpanse Arwenack. Seine braunen Augen folgten gebannt jeder Bewegung der Nadel, dann blickten sie wieder treuherzig den Segelmacher an. Ab und zu kratzte sich Arwenack Wie ein Mensch, streckte dann immer wieder die rechte Hand aus und versuchte, unauffällig nach der Segelnadel zu greifen, bis Will Thorne den Affen schließlich mißtrauisch musterte.

„Hör zu, du haariger Halunke“, sagte Thorne knurrend. „Ich weiß daß du nur darauf lauerst, die Nadel zu klauen, um mit ihr in den Großmars zu verschwinden. Aber das ist nicht drin, diesmal nicht. Wenn du deine Flossen nicht ruhig hältst, dann nähe ich dir deinen Affenarsch am Unterliek fest und laß dich aufheißen, klar?“

Arwenack sah ihn an, entblößte die Zähne, schüttelte den Kopf und kratzte sich schließlich mit einer verächtlichen Gebärde an jener Stelle, die der Segelmacher gerade noch ans Unterliek nähen wollte.

„Ich bin bloß froh, daß du nicht quasseln kannst“, brummte Will. „Aber deine Gebärden sind genauso schlimm.“

Er drehte sich um, als der Affe starr an ihm vorbeiblickte. Will Thorne folgte dem Blick zum Land hin, und in diesem Augenblick hatte er das dumpfe Gefühl, als würde der Jonas gleich irgendwo aus der See auftauchen, jener geheimnisvolle, fast unheimlich wirkende Mann mit seinen düsteren Prophezeiungen, der die „Isabella“ ein Stück auf ihrer letzten Reise begleitet hatte. Noch überdeutlich war jener rätselhafte Alte in seiner Erinnerung lebendig. Wie er an Deck stand, die schlohweißen Haare im Wind flatternd, die Hände zu imaginären Himmelspunkten ausgestreckt, die Augen tot und leblos. Und wie dann eins nach dem anderen eintraf. Das Pech, das die „Isabella“ tagelang verfolgte, das schwere Seebeben, dessen verheerende Wirkungen noch an der Küste zu sehen waren. Dann war die riesengroße Welle herangerauscht.

Will Thorne sah den Alten vor sich, den die See geholt hatte. Wie ein Teufel ritt er auf dem Kamm der Riesenwoge davon, hysterisch lachend, die große Welle an unsichtbaren Zügeln lenkend.

Verwirrt sah er hoch, genau in das Gesicht des Affen, der jetzt höhnisch zu grinsen schien. Er hatte den alten Segelmacher wieder einmal überlistet. Mit gebleckten Zähnen stand er in sicherer Entfernung, die Segelnadel in der Hand, auf beiden Beinen hopsend.

„Du verdammter Affe!“ fluchte Will Thorne und sprang auf.

Aber da enterte Arwenack schon wie der Blitz in die Wanten und verschwand. Auf dem Hauptdeck blieb ein erbittert fluchender Mann zurück, der sich jetzt auf die Suche nach einer zweiten Segelnadel machte.

Hasard sah das alles vom Achterkastell aus. Wie seinerzeit Francis Drake schritt er unruhig auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt, von Steuerbord nach Backbord gehend, unruhig in seinem Innern. Er hatte das Gefühl, als müsse er die „Isabella“ schieben, sie lief ihm einfach zu langsam, obwohl sie alles an Zeug gesetzt hatten, was die überlangen Masten und Rahen tragen konnten.

Er wollte so schnell wie möglich die Insel Little Cayman erreichen, auf der nach den Worten des Jonas eine dunkelhaarige Frau in Gefahr war, über die ebenfalls ein Unglück hereinbrechen sollte, wie der Alte düster prophezeit hatte.

Diese Frau konnte nur Siri-Tong sein, die Rote Korsarin. Hasard ging der Alte ebenfalls nicht aus dem Kopf, dazu war die Erinnerung noch zu frisch in seinem Gedächtnis erhalten. Schließlich war es erst ein paar Tage her.

Er blieb an der Schmuckbalustrade stehen, warf einen Blick in die Takelage und entdeckte im Großmars Dan O’Flynns Gesicht. Der junge Mann deutete nach Backbord voraus.

„Ein Spanier!“ rief er zum Deck hinunter. „Die Galeone hat sich anscheinend verfranzt, die Dons segeln wie die Teufel! Das wäre doch ein schöner Brocken für uns.“

„Keine Zeit, Dan!“ rief der Seewolf zurück, wobei er die Hände trichterförmig an den Mund legte. „Auf den werden wir diesmal verzichten müssen.“

An Deck blickten die Männer gespannt nach Backbord voraus. Da segelte unter vollem Zeug eine spanische Dreimastgalone, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her. Sie hatte jeden Fetzen gesetzt, als wolle sie einem unsichtbaren Gegner entwischen.

Der Seewolf sah allerdings keinen Gegner. Vielleicht hatte der Spanier sich aber nur von seinem Verband gelöst und versuchte nun, so schnell wie möglich den Anschluß zu erreichen.

Unter normalen Umständen hätte sich Hasard diesen wie verrückt segelnden Don geschnappt. Es juckte ihn auch jetzt in den Fäusten, aber die innere Unruhe ließ ihn nicht los. Immer wieder hatte er das Gefühl, als würde er Little Cayman zu spät erreichen.

„Vielleicht hat der Don Angst vor uns“, meinte der Profos, der das Achterkastell erklommen hatte und sich neben den Seewolf stellte.

„Die Möglichkeit besteht auch, Ed, obwohl ich es nicht so recht glaube. Egal, wir werden ihm jedenfalls nichts tun.“

„Schade“, sagte der Profos bedauernd. „Ich hätte diesen Rübenschweinen gern mal wieder eins übergebraten.“

„Mastspitzen an der Kimm!“ schrie Dan zum zweiten Mal. „Ebenfalls eine Galeone, sieht nach einem Spanier aus.“

Hasard griff jetzt zum Spektiv und sah hindurch. Sehr nachdenklich reichte er den Kieker an den Profos weiter.

Carberry blickte sich die Augen aus. Sein Rammkinn war vorgeschoben, die Finger der linken Hand trommelten leicht auf dem ausgezogenen Spektiv herum. Fast drei Minuten blickte er hindurch.

„Ho“, sagte er verblüfft. „Wenn das nicht unsere alte ‚Isabella‘ ist, freß ich den Großmast mitsamt den Segeln.“

„Jean Ribault?“ Hasard war wie elektrisiert. „Dann kann ich mir denken, warum es der Spanier so eilig hat.“

„He, Leute!“ brüllte der Profos mit Donnerstimme. „Dahinten rauscht unsere alte ‚Isabella‘ heran. Ferris! Sieh mal durch das Spektiv! Du kennst die alte Tante besser als jeder andere.“

„Klar, sie ist es!“ schrie Dan aus dem Großmars. „Das sieht man doch schon ohne Spektiv.“

„Du hast ja auch Spektiv-Augen“, sagte Tucker.

Ein schneller Blick genügte ihm. Außerdem war das Schiff schon näher herangesegelt. Es segelte über Backbordbug, genau wie der flüchtende Spanier.

Hurrarufe brandeten an Deck auf. Die alten Freunde hatten sich lange nicht mehr gesehen, es würde eine Menge zu erzählen geben. Allerdings ging Jean Ribault dann auch der Spanier durch die Lappen.

Hasard ließ das Großsegel halb aufgeien, um der „Isabella“ etwas von ihrer rauschenden Fahrt zu nehmen. Die beiden Schiffe liefen jetzt in spitzem Winkel aufeinander zu.

Auf der „Le Vengeur“ hatte man den Seewolf ebenfalls bemerkt. Der flüchtende Spanier war vergessen. Gebrüll und Geschrei brandeten über Deck.

„Der Seewolf!“ hörte man etwas später das Geschrei.

Die „Le Vengeur“ änderte den Kurs, bis sie parallel mit der „Isabella“ lief. Segel wurden aufgegeit, bis beide Schiffe nur noch kleine Fahrt liefen und sich immer mehr näherten.

Winken, Rufen, Geschrei von beiden Seiten. Die Männer konnten sich schon fast in die Augen sehen.

Dann segelten sie hart nebeneinander her. Tampen flogen von Bord zu Bord, Fender waren außenbords angebracht, und weil die See ziemlich ruhig war, riskierten sie es, sich Bordwand an Bordwand zu legen. Ein schwieriges Manöver, doch die erfahrenen Männer scheuten es nicht, sie hatten dem Teufel schon so manches Mal ein Ohr abgesegelt.

 

Ribault und Karl von Hutten sprangen auf die „Isabella“, wo die Seewölfe sich auf der Backbordseite am Schanzkleid ausnahmslos versammelt hatten.

„Ho, ihr dreimal verdammten Rübenschweine!“ rief der Profos gerührt. „Jean, Karl! Mann, Jan Ranse, du Himmelhund! Laßt euch an die Brust quetschen, Nils, Piet, Sven!“

Grinsend standen die anderen Besatzungsmitglieder Jean Ribaults im Hintergrund. Puchan, Grand, Couteau, Winlow, Coogan, Trooper, und wie sie alle hießen.

Da wurden harte Fäuste auf Schultern geschlagen, Ellenbogen in die Rippen geknallt, Handflächen auf die Hinterköpfe geschlagen und Schulter an Schulter gerammt. Es dauerte lange, bis sich die allgemeine Begrüßungszeremonie der harten Kerle endlich legte.

„Wir segeln ein Stück zusammen“, schlug der Seewolf vor. „Unsere Reise geht nach Little Cayman. Und wo wollt ihr hin?“

„Ja, verdammt!“ schrie Carberry dazwischen. „Hat denn noch keiner einen Begrüßungsschluck geholt, zum Teufel? Sollen wir in dieser Hitze etwa austrocknen, was, wie?“

Die ehemaligen zur Crew der „Isabella“ gehörenden Männer waren längst hinübergeklettert. Auf dem Hauptdeck wurde der Platz knapp.

Ribault rief etwas zu seinen Leuten hinüber, die sogleich mit Flaschen aufkreuzten, ihnen die Hälse abschlügen und sie weiterreichten.

„Feiner alter Malaga“, sagte Ribault. „Haben wir vor ein paar Tagen einem lausigen Don abgenommen. Und um deine Frage zu beantworten, Hasard: Wir jagen den Himmelhund von Spanier, der vorhin euren Kurs gekreuzt hat.“

Ribault drehte sich verblüfft um, als ihm jemand hart auf die Schulter schlug. Er sah in Dans Gesicht und schüttelte den Kopf.

„Ich werde verrückt, Mann! Das Bürschchen! Hölle, aus dir ist ja ein erwachsener Kerl geworden. Du bist ja fast größer als die anderen! Junge, hast du dich verändert!“

Das „Bürschchen“ strahlte über alle Backen. Den Ausdruck hatte Dan ohnehin schon lange nicht mehr gehört, und er war ihm so vertraut, daß ihm manchmal direkt etwas fehlte, nämlich die Erinnerung an die schon lange zurückliegende gemeinsame Zeit, als Ribault, Hutten und die anderen noch zur Crew gehörten.

Die Flaschen wurden herumgereicht. Anschließend ging das große Erzählen los. Ribaults Gesicht verschloß sich, als er hörte, was in der Zwischenzeit alles passiert war. Hasards Zwillinge tot, Buck Buchanan erschossen, der Schatz der Malteser geborgen und abgeliefert. Aber es gab auch andere Sachen zu erzählen, und die stimmten ihn nach einer Weile etwas froher.

Hasard sprach nicht gern über die letzte Vergangenheit und Karl von Hutten tat alles, um den Seewolf davon abzulenken.

„Du bist älter geworden, Hasard, reifer, möchte ich sagen. Du bist nicht mehr so unbeschwert wie früher. Vielleicht bist du auch noch härter geworden“, sagte er abschließend.

Ribault hatte das Seebeben ebenfalls gespürt, und zwar sehr unangenehm, wie er versicherte. Die Flutwelle, stark abgeschwächt, hatte viele Schiffe in Mitleidenschaft gezogen und Inselteile von Jamaica überrollt, ehe sie sich in der Weite des Karibischen Meeres langsam verlaufen hatte.

Dann wurde über die Rote Korsarin gesprochen. Ribault war ihr zum drittenmal begegnet.

„Sehr merkwürdig“, sagte er verwundert. „Und dieser Jonas hat euch gesagt, daß sich auf Little Cayman eine schwarzhaarige Frau in Gefahr befindet?“

„Ja, er war ganz aufgeregt und fast verrückt. Er hat auch das Seebeben vorausgesagt.“

„Das ist mir unbegreiflich“, sagte der Franzose. „Weißt du denn, wo die Rote Korsarin steckt?“

Der Seewolf verneinte.

„Ich hatte mir vorgenommen, auf das Geschwätz des Alten nicht viel zu geben, doch es läßt mir keine Ruhe. Immerhin sind alle seine Voraussagen eingetroffen.“

„Ein unheimlicher Mann“, sagte Ribault und sah dem Seewolf fest in die Augen. „Es ist wirklich unheimlich, aber Siri-Tong ist tatsächlich nach Little Cayman gesegelt.“

Hasard schluckte. Wieder hatte er das Gefühl, als richteten sich alle seine Nackenhaare auf. Die Kopfhaut auf seinem Schädel zog sich zusammen, ein Frösteln lief über seinen Körper.

„Also doch“, sagte er tonlos. „Was will sie auf Little Cayman? Hast du sie gesprochen?“

„Allerdings. Ich erwähnte euren Stützpunkt, die Schlangen-Insel. Sie wollte nicht, daß ich das Geheimnis kenne, und noch viel weniger, daß ich die geheimnisvolle Bucht ebenfalls benutzen darf. Das wollte sie nur zusammen mit dir entscheiden. Falls du dazu deine Erlaubnis gibst, wäre sie einverstanden.“

Da gab es für den Seewolf nichts zu überlegen. Spontan legte er dem alten Freund die Hand auf die Schulter.

„Du kannst den Stützpunkt jederzeit anlaufen, sofern du mir dein Wort gibst, niemandem das Geheimnis zu verraten. Wir haben Unmengen von Schätzen auf der Insel verborgen. Du kennst die Position?“

„Mein Wort hast du, mein Ehrenwort“, erwiderte der Franzose ernst. „Und die Position kenne ich auch. Es ist mir nur unerklärlich, wie das Einlaufen vor sich geht. Nach menschlichem Ermessen ist es ausgeschlossen, zwischen den Felsen hindurchzusegeln.“

Hasard grinste flüchtig. Natürlich würde er mit der Roten Korsarin noch darüber reden, aber die Erlaubnis hatte er Ribault ja schon gegeben.

Die beiden Männer gaben sich die Hand und sahen sich an. Dann lösten sich ihre Hände, und der Seewolf erzählte dem Franzosen, wie es möglich war, durch die Passage zu segeln.

Ribault war starr vor Staunen.

„Eine Barriere?“ sagte er leise. „Nun gut, gelegentlich werde ich es versuchen, da durchzusegeln. Falls du irgendwann mal Trümmer vor der Schlangen-Insel findest, könnten sie von meinem Schiff stammen.“

Der Seewolf lachte, aber er war mit seinen Gedanken ganz woanders.

„Weshalb ist die Korsarin nach Little Cayman gesegelt?“ forschte er. Seine Finger trommelten auf der Schmuckbalustrade herum. Seine Blicke hingen gebannt an Ribaults Lippen.

„Sie hat eine Botschaft in Tortuga erhalten. Danach ist sie ziemlich schnell aufgebrochen. Ich habe es von anderen erfahren.“

„Eine Botschaft?“ fragte der Seewolf. „Eine Botschaft, die sie nach Little Cayman ruft? Kennst du den Inhalt dieser Botschaft, oder weißt du, von wem sie stammt?“

„Nein, das weiß ich nicht. Ich habe auch keine Erklärung dafür.“

„Da ist der See mit den unvorstellbaren Schätzen“, sagte Hasard mehr zu sich selbst. „Da sind die Wächter am Auge der Götter. Was, bei allen Geistern, kann sie nur dort wollen?“

„Nicht die Spur einer Ahnung“, versicherte Ribault. Sein sonnenverbranntes Gesicht legte sich in Falten, dann schüttelte er den Kopf.

„Tut mir leid, ich kann es mir nicht einmal denken. Wäre es möglich, daß sie sich Schätze aus dem See holt?“

„Nein, ausgeschlossen, das würde sie nie tun. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das Geheimnis der Insel kennt.“

Ribault nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. Mit dem Handrücken wischte er sich den Malaga von den Lippen.

„Wer kennt schon die Frauen“, sagte er lächelnd. „Und gerade diese Rote Korsarin scheint mir so undurchsichtig wie Nebel zu sein.“

„Darin hast du allerdings recht. Ich glaubte auch immer, sie zu kennen, doch das war ein Irrtum. Ich möchte wissen, welches Geheimnis diese Frau umgibt.“

„Vielleicht erfährst du es, wenn du nach Little Cayman segelst. Du bist ja auf dem Kurs. Ein Vorschlag, Hasard: Du segelst weiter, wir werden inzwischen den Spanier verfolgen und ihn ordentlich rupfen, sobald wir ihn haben. Danach folge ich euch nach Little Cayman.“

„Das ist ein Vorschlag. Einverstanden. Den Spanier wirst du sicher noch erwischen. Wir sollten also keine Zeit mehr verlieren.“

Karl von Hutten, Miteigner der „Le Vengeur“, nickte beifällig.

„So halten wir es, Hasard“, sagte der Sohn einer indianischen Häuptlingstochter. Von Hutten war ein Spanienhasser, und wie Hasard ihn kannte, würde er nicht eher ruhen, bis sie den Don erwischt hatten.

Seine Hilfe zur Kaperung des Dons brauchte Hasard ihm nicht anzubieten. Die „Le Vengeur“ war gut armiert, schnell und beweglich, und die Kerle verstanden sich aufs Entern. Ribault wäre beleidigt gewesen, hätte der Seewolf seine Hilfe angeboten.

Die Segel wurden wieder gesetzt. Beide Schiffe hoben und senkten sich im gleichen Rhythmus auf den Wellen.

„Wir sehen uns in Little Cayman“, versprach Ribault mit einem Händedruck und sah zur Kuhl hinunter, wo ein endloses Palaver zwischen den alten Freunden begonnen hatte.

Die Flaschen kreisten, die Begrüßung wurde nach allen Regeln der Kunst gefeiert, bis der Profos die Arme in die Hüften stemmte und grimmige Blikke auf die Seewölfe schickte.

„Habt ihr nicht gehört, was Jean und der Seewolf ausgehandelt haben, ihr Rübenschweine? Wir sehen uns später auf Little Cayman wieder, und wer jetzt noch einmal zur Flasche greift, dem ziehe ich persönlich die Haut in Streifen von seinem …“

„… Affenarsch“, fiel die Crew lachend ein.

Jan Ranse und Piet Straaten brüllten begeistert los.

„Mann, er hat immer noch die alten Sprüche im Seesack. Wie lange haben wir das schon nicht mehr gehört.“

„Ja, so ein Profos fehlt bei uns noch, was, wie?“ schrie Nils Larsen und boxte Canberry in die Rippen. „Junge, war das eine Zeit damals“, erinnerte er sich.

Einer nach dem anderen ging wieder auf die „Le Vengeur“ zurück, nachdem sie sich verabschiedet hatten.

Die Leinen wurden gelöst, und sofort trieben beide Schiffe auseinander.

Hasard zeigte Ribault die geballte Rechte mit dem Daumen nach unten.

„Besorgt es dem Don!“ rief er hinüber. „Denen juckt das Fell.“

„Wir werden ihnen die Flöhe schon aus dem Pelz klopfen“, versprach Ribault lachend.

Damit fiel die „Le Vengeur“ etwas zurück und segelte am Heck der „Isabella“ vorbei, ehe sie auf neuen Kurs ging.

Eine ganze Weile winkten sich die Männer noch zu.

Hasard hatte seine Wanderung auf dem Achterkastell wieder aufgenommen. In seinen Gedanken spukte der Jonas herum. Immer wieder dachte er an den Alten, den die Riesenwelle wie einen Geist auf ihrem Rücken davongetragen hatte, ohne daß er untergegangen war.

„Dieser Alte wird mir immer unheimlicher“, sagte er zu Ben Brighton, „jetzt befindet sich Siri-Tong auf dem Weg nach Little Cayman oder ist schon dort. Ich möchte wissen, welche Botschaft man ihr zugespielt hat, und vor allem: Woher kann diese Botschaft nur stammen?“

„Darüber grüble ich die ganze Zeit nach. Es muß entweder mit dem kreisrunden See zusammenhängen oder …“

Ben Brighton stockte. Er sprach nicht weiter, sondern sah den Seewolf nur von der Seite her mit einem scheuen Blick an.

„Ich weiß auch so, was du sagen willst, Alter, du scheust dich nur, es auszusprechen. Du meinst den schwarzen Segler!“

Ben Brighton zuckte unmerklich zusammen.

Der Schwarze Segler! Das geheimnisvolle Schiff des toten Kapitäns El Diabolo. Es schien schon seit Ewigkeiten in jener Bucht auf Little Cayman zu liegen, mit seinen zerfetzten schwarzen Segeln und den Gerippen an Bord.

„Ja, den meine ich, den Schwarzen Segler, das Totenschiff! Ich habe nur keine richtige Vorstellung, was die Korsarin auf der Insel sucht. Vielleicht haben Piraten den See beraubt oder …“

Wieder sprach er nicht weiter. Dafür überlegte er angestrengt, gelangte aber zu keinem Ergebnis, das ihn befriedigte.

Hasard wußte, daß Siri-Tong in irgendeiner Beziehung zu dem Auge der Götter stand, aber wie immer hatte sie sich beharrlich darüber ausgeschwiegen und weiterhin Rätsel gespielt.

„Wir werden es bald erfahren“, sagte er und hieb die Faust in die offene Handfläche.

Was Hasard auf Little Cayman vorfinden sollte, hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet.

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