Seewölfe - Piraten der Weltmeere 86

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 86
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-410-4

Internet:

www.vpm.de

 und E-Mail:

info@vpm.de




Inhalt





Kapitel 1







Kapitel 2







Kapitel 3







Kapitel 4







Kapitel 5







Kapitel 6







Kapitel 7







Kapitel 8







Kapitel 9







Kapitel 10







1.



„Ich kann schon das Meer riechen“, erklärte der Schiffsjunge Bill, der ganz vorn auf der Back der „Isabella VIII.“ stand und angestrengt nach vorn blickte. Dabei lief ihm der Schweiß in Strömen über das schmale Gesicht. Er hob die Hand und wischte sich die Tropfen von der Stirn.



Der drahtige, blonde Bob Grey winkte müde ab.



„Das Meer ist noch weit, Junge, und Was du riechst, ist nichts weiter als das Brackwasser des Flusses und bestenfalls noch der Gestank nach ein paar toten Fischen.“



Der Junge, lang aufgeschossen und mager, wischte sich eine Strähne seines schwarzen Haares aus dem Gesicht, die dort wie festgeklebt hing. Er wollte etwas entgegnen, doch er war einfach zu faul dazu. Die verdammte Äquatorhitze, das drückende Klima, die Moskitos und diese Luft, die sich wie ein feuchter Schwamm auf die Lungen legte, setzten ihm gehörig zu.



So starrte er schweigend ins Wasser, das sich lehmgelb und tückisch dahinwälzte, unwahrscheinlich breit und reißend.



Überall in diesem gewaltigen Delta des Amazonas lagen grüne Inseln, die man sorgfältig umfahren mußte, wollte man nicht unversehens auf einer Sandbank stranden. Jeden Tag veränderte der Fluß sein Gesicht. Heute verschlang er kleine Inseln, morgen spie er andere wieder aus. Es war ein gefährliches Navigieren in diesem höllischen Labyrinth.



Der Junge riskierte einen trägen Blick zum Achterkastell, wo der Seewolf, Ben Brighton und der bullige Carberry standen. Auch sie bewegten sich kaum von der Stelle. Alles schien vor sich hin zu dösen, sogar Donegal Daniel O’Flynn im Großmars ließ den Kopf hängen und wedelte sich ab und zu mit den Händen frische Luft zu, die es hier gar nicht gab.



Der mächtige Strom schob, riß und drängte die ranke Galeone mit sich, durch das Delta hindurch dem Atlantik entgegen, nach dem sich jetzt alle sehnten.



Ja, davon träumten sie insgeheim, die Seewölfe. Vom kühlen Wind einer frischen Atlantikbrise, von geblähten Segeln, von Wellen, die ihnen die Mattigkeit aus den Knochen trieb, diese lausige Mattigkeit, die sich vom Körper auf den Geist übertrug, die sie zu teilnahmslosen, fast apathisch wirkenden Geschöpfen werden ließ.



Sie hatten genug vom „Wolkenwasserlärm“, von den Myriaden hinterhältiger Insekten, die ihr Blut saugten, sie quälten und peinigten, genug von dem dampfenden Dschungel und der Bleihitze und dem wilden feuchten Atem der riesigen undurchdringlichen Wälder.



Auch das Geschrei störte sie jetzt, dieses ewige Konzert, das Kreischen der Affen, Zirpen der Insekten, das Geschrei der Vögel und das heisere Fauchen irgendwelcher unsichtbarer Raubtiere.



Bill schlief fast im Stehen, und er bedauerte nur Pete Ballie, der am Ruder stand und das Schiff steuerte, obwohl kein Windhauch die Segel bewegte. Der muß sich doch totschwitzen, dachte der Junge, und er darf sich nicht die kleinste Unaufmerksamkeit beim Steuern leisten.



Wieder tauchten mächtige, grüne und wildbewachsene Inseln vor dem Schiff auf. Die „Isabella“ fiel hart nach Backbord ab, scherte aus und umfuhr das große tückische Hindernis in einem eleganten Bogen. Weit hinter ihr folgte der schwarze Segler, der sich in dem Gewirr der vielen Inseln noch schlechter steuern ließ als die „Isabella“. Auch seine schwarzen Segel hingen schlaff und wie leblos von den Rahen.



Bill stieg in die Kuhl hinunter wie ein müder alter Mann. Ein Bad müßte man jetzt nehmen, dachte er, ein frisches kühles Bad. Aber in diesem von Kaimanen und Piranhas verseuchten Urwaldstrom war daran natürlich nicht zu denken. Er sah die vor sich hin dösenden Männer, die es sich im Schatten des Segels bequem gemacht hatten, und setzte sich dazu.



Niemand sprach ein überflüssiges Wort. Sie sahen ihn nur an und schwiegen. Vielleicht dachten sie auch an die goldene Stadt der Inkas, an die goldene Galeone, die sie entdeckt hatten, und an die Amazonen, jene kriegerischen Frauen, die ihnen den Weg zu der goldenen Stadt der Inkas gewiesen hatten. Vielleicht aber dachten sie auch an gar nichts.



Dagegen herrschte auf dem Achterkastell der Galeone eine fast rege zu nennende Betriebsamkeit.



„Aufpassen, Pete“, sagte der Seewolf warnend, der neben dem offenen Ruderhaus stand und aufmerksam nach vorn blickte. „Etwas mehr Backbord, sonst laufen wir in den Strudel hinein, und der sieht mir ganz danach aus, als befände sich direkt darunter eine Sandbank.“



Pete Ballie, der stämmige blonde Rudergänger mit den großen Fäusten, ließ die Galeone leicht abfallen und stöhnte leise. Auch ihm rann der Schweiß über den nackten Oberkörper. Er schwitzte noch mehr als die anderen, denn zu seiner körperlichen Arbeit kam noch die ständige Bereitschaft und Aufpasserei, damit sie in diesem grünen Höllengewirr nicht irgendwo aufliefen.



Der tückische Strudel wurde umfahren. Es waren Sand und Morast, die der Amazonas zu einer langgestreckten Wand zusammengeschoben hatte, an der sich ständig das Wasser brach.



„Soll ich das Ruder übernehmen?“ fragte der Seewolf.



Pete schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, ich kann es noch eine Weile aushalten. Geht es da vorn Back- oder Steuerbord weiter?“



Weit vor der „Isabella“ teilte sich der Fluß erneut. Es war eine jener tückischen Stellen, die schmal waren, durch die reißendes Wasser schoß und die sich nach ein paar Meilen wieder in den Riesenfluß zurückverwandelten. Dort waren die Ufer keine zweihundert Yards voneinander entfernt.



Hasard wußte es selbst nicht genau. Es war unmöglich, sich den genauen Stromverlauf über Hunderte von Meilen zu merken, zumal er ständigen Veränderungen unterworfen war.



Das hier war keine Themse, die relativ ruhig dahinfloß. Hier war es die reine Hölle, ein Irrgarten, ein Labyrinth des Todes mit tückischen Schlamm- und Sandbänken, wild über das Wasser hinausragenden abgestorbenen Baumriesen, faulenden treibenden Stämmen und wilder Vegetation, die weit in den Fluß wucherte.



An den Ufern zeterte, schrie und keckerte es. Es zirpte, röhrte, fauchte und brüllte. Dazu kamen das Rauschen des Stromes, das Brodeln des Wassers, das Schmatzen des Schlamms und das schrille Kreischen vieler bunter Vögel, die erschreckt hochflatterten, sobald das Schiff vorbeifuhr.



Hasard mußte sich entscheiden, denn viel Zeit blieb nicht mehr. Die grüne Hölle rückte rasch näher. Er warf Ben Brighton einen fragenden Blick zu, doch der hob nur resignierend die Schultern. Er konnte sich an diese Stelle auch nicht mehr erinnern.



„Wir bleiben auf der Steuerbordseite“, sagte der Seewolf ruhig.



Ein Blick nach achtern überzeugte ihn, daß auch der schwarze Segler auf den gleichen Kurs einschwenkte. Offenbar wußte man dort auch nicht weiter und orientierte sich am Kurs der „Isabella“.



Dan, der hoch oben im Großmars zusammen mit dem Schimpansen Arwenack saß, hob hilflos die Hände. Es war eine Gebärde, die dem Seewolf verriet, daß es Dan leid tue, er aber auch nicht wisse, wie das Fahrwasser weiter verlaufe.



Das war immer eine der Stellen, die auch den müdesten der Seewölfe auf die Beine brachte. Jetzt reckten sie in der Kuhl alle die Köpfe, als das tückische Fahrwasser erreicht wurde.



Schlagartig schob sich der Urwald zusammen.



„Hahaha, Affenarsch, hahaha, was-wie!“ Ein wüstes Gezeter hob an. Es ertönte auf der Rahnock des Großmastes, auf der aufgeplustert Sir John, der karmesinrote Papagei, hockte, der dem Profos vor ein paar Wochen auf die Schulter geflogen war. Seitdem hatte er die „Isabella“ nicht mehr verlassen, und die meisten der Seewölfe hatten ihn als letztes Besatzungsmitglied längst integriert.



Sir John hatte schnell gelernt und in erstaunlicher Eile Carberrys Flüche nachgekrächzt. Die schlimmsten Wörter gingen ihm runter wie Öl, die harmlosen kapierte er nicht, oder er vergaß sie rasch wieder. In dieser Beziehung war der karmesinrote Papagei mit dem vorlauten Schnabel wie ein junger Bengel. Je gröber die Wörter, desto leichter ließen sie sich merken.



Er flatterte ein paarmal, dann reckte er seinen Hals und erhob sich in die brühwarme Luft. Wild mit den Flügeln schlagend, flog er in das Dikkicht und hockte sich auf einen Ast.



„Den sind wir los“, meinte Carberry bedauernd. „Schade, und dabei konnte er fluchen wie ein – äh – ein …“



„… wie ein Profos“, half der Seewolf nach. Er hatte jetzt jedoch keine Zeit, sich um Sir John zu kümmern, der reglos in dem dichten Blättergewirr hockte und der „Isabella“ wüste Flüche nachkrächzte.



„Affenarsch, Kakerlaken“, tönte es grell aus dem Gewirr des Dschungels. Und dann wieder: „Hahaha, hahaha!“

 



„Dieses Mistvieh“, sagte Matt Davies leise. „Jetzt haut es ab und verspottet uns noch!“



Auch er schüttelte enttäuscht den Kopf, genau wie Dan, der dem großen Vogel mit Bedauern nachblickte und ihn lockte.



Sir John wäre kein vollwertiges Besatzungsmitglied gewesen, wenn er sich so einfach empfohlen hätte. Die Seewölfe hatten es ihm nun einmal angetan, und nach einer knappen Minute flatterte er reumütig auf die Rahnock zurück. Von dort äugte er mit schiefgelegtem Kopf auf das Deck hinunter, ohne zu fluchen.



Die Männer grinsten erleichtert, als sich Sir John seelenruhig sein Gefieder vornahm und es mit dem Schnabel durchkämmte.



Die „Isabella“ gewann rasch an Fahrt, als sie auf das immer enger werdende Fahrwasser zuschoß. Es war wie ein Schlauch, rechts und links von geheimnisvoller Wildnis umgeben, die fast bis ans Schiff reichte. Prächtige Orchideen leuchteten aus dem Dschungel, riesige Aasblüten und Aufsitzerpflanzen verströmten einen betäubenden Geruch. Über allem aber hing brühwarm und dick wie eine Mauer die drückende Luft, die das Atmen zur Qual werden ließ.



Vor der Bugwelle flohen Wasservögel, farbenprächtige flinke Tiere, die übers Wasser flitzten und sich krächzend in die Luft erhoben.



Im Uferschlamm lagen Kaimane mit weit aufgerissenem Rachen und dösten vor sich hin.



„Genau Strommitte halten“, sagte der Seewolf zu dem Rudergänger, der angespannt voraus blickte. Dort, wo der Schlauch breiter wurde, zeigten sich wieder Inseln, und für Pete Ballie sah es so aus, als würde der Urwald dort zusammenwachsen und die „Isabella“ genau hineinfahren.



Er schwitzte noch stärker. Ganze Sturzbäche liefen ihm über den nackten Rücken, es biß und juckte, aber Pete getraute sich nicht, eine Hand vom Ruder zu lösen und sich ausgiebig zu kratzen. Er mußte höllisch aufpassen.



Zu allem Überfluß irritierte ihn der Kutscher, der die Kombüse verlassen hatte, nun an Deck stand und aufgeregt mit den Armen fuchtelte. Er schien Smoky, dem Deckältesten, etwas zu erklären, aber der hob nur ratlos die Schultern.



Ben Brighton sah dem Treiben eine Weile zu. Noch ein paar Männer gesellten sich zu dem Kutscher-Batuti, Luke Morgan und der alte Segelmacher Will Thorne. Immer wieder hieb der Kutscher wütend durch die Luft, dann ging er entschlossen zum Achterkastell.



Der Seewolf konzentrierte sich so auf den Flußverlauf, daß er den Kutscher nur aus den Augenwinkeln bemerkte. Daher wandte sich der fluchende Mann an Ben Brighton.



„In Zukunft wird das Essen etwas fader schmecken“, teilte er Ben mit. „Das wollte ich nur bemerken, falls später einer über mein Essen mekkert.“



„Sind dir die Kakerlaken ausgegangen?“ fragte Brighton, ohne das Gesicht zu verziehen.



„Die Ka … das ist ja wohl die Höhe“, schnaufte der Kutscher empört, der bei Sir Freemont gedient hatte und eine Menge von der Medizin verstand. „Das Salz ist es, Ben. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit ist es zu einem häßlichen Brei zerlaufen. Den Mist kann ich wegschmeißen.“



„Dann nimm Seewasser zum Würzen“, schlug Ben ungerührt vor. „Wenn du keine anderen Probleme hast, dann …“



Der Kutscher sah aus, als wolle er Gift und Galle spucken.



„Das Brot, das ich auf Vorrat gebacken habe, ist total verschimmelt und vergammelt. Wenn wir noch lange hier herumkrebsen, verfault mir selbst das Salzfleisch, die Bohnen quellen auf, und die Dörrpflaumen nehmen wieder ihre ursprüngliche Gestalt an. Was, zum Teufel, soll ich denn nur tun?“



„Vor allem nicht fluchen“, sagte Ben Brighton. „Davon wird es auch nicht besser. Wirf das vergammelte Zeug über Bord. Salz kannst du selbst gewinnen, indem du Meerwasser verdunsten läßt.“



Brightons Stimme war lauter geworden, denn jetzt zeterte, keifte und schrie es von beiden Ufern. Ein Höllenspektakel begann, und das alles krönte Sir John, der mit gesträubtem Gefieder auf der Rahnock hockte und wie verrückt kreischte.



Den Seewölfen taten die Ohren weh von dem Konzert der Hölle.



Als der Kutscher sauer zum Vordeck zurückging, streiften weit ausladende Äste die Mastspitzen der „Isabella“. Riesige Tausendfüßler fielen an Deck, die der Kutscher angewidert mit dem Fuß fortschleuderte.



Selbst Arwenack stimmte noch in das Gezeter ein, das kein Ende zu nehmen schien. Gemeinsam mit dem Aracangapapagei kreischte er um die Wette.



„Dieser Höllenspektakel geht mir allmählich auf die Nerven“, sagte Ben. „Ich bin froh, wenn …“



Er konnte seinen Satz nicht beenden. Das Geschehnis am rechten Ufer lenkte ihn ab.



Dort kreischte eine Affenhorde los, die sich wild prügelte. Sie flitzten die Baumstämme hoch, bissen sich gegenseitig, zeterten und schrien wie am Spieß. Einer, der auf einem dünnen Ast entlangturnte und von einem anderen verfolgt wurde, verlor das Gleichgewicht, schrie grell und landete sofort darauf auf dem Quarterdeck.



Zeternd raste er los, als er die vielen Männer sah. Er flitzte in die Kuhl, rannte weiter und war, noch bevor jemand eingreifen konnte, mit einem wilden Satz über Bord gesprungen.



Der Affe schwamm und schlug um sich, dabei kreischte er in höchster Angst. Er wußte, was hier im Fluß auf ihn lauerte, und deshalb wollte er die Strecke so schnell wie möglich hinter sich bringen.



Auch die Seewölfe bedauerten den armen kleinen Kerl, den die nackte Angst weitertrieb, der die Zähne fletschte und dessen Augen angstvoll aufgerissen waren. Mit den Blicken folgten sie ihm, bis er sich kurz vor dem Ufer befand.



Aus dem Gewirr von Schlamm, toten abgestorbenen Baumstämmen, modernden Pflanzen und faulen Ästen erhob sich träge ein Kaiman, als sich der Affe näherte. Seine Trägheit verschwand, der Körper wurde schnell und geschmeidig und glitt mit einem Satz ins schlammige Ufer.



Bis der Affe die Gefahr erkannte, war es zu spät.



Er stand noch auf allen vieren, als der große Kaiman zuschnappte. Starke Kiefer hieben in den schmächtigen Körper des Tieres, das jetzt einen gellenden Schrei ausstieß, der sich wie der Todesschrei eines Menschen anhörte.



Das war der Augenblick, in dem Pete Ballie abgelenkt wurde. Er sah schnell zum Ufer hin und schloß eine Sekunde lang die Augen. Dabei lief die „Isabella“ ganz geringfügig aus dem Kurs. Außerdem war hier der Schlauch zu Ende, das Fahrwasser verbreiterte sich, viele Inseln tauchten im Delta auf.



„Hart Backbord!“ schrie der Seewolf, als er die Gefahr erkannte und die ranke Galeone sich beängstigend rasch einer der Inseln näherte.



Von links drückte der Strom den Segler immer mehr zur Seite. Durch die Verbreiterung des Fahrwassers schwoll der Fluß beängstigend rasch an.



Hasard war mit einem Satz am Ruder, um die sich anbahnende Katastrophe zu verhindern, denn dicht vor dem Bug wuchs eine der zahlreichen tückischen Sand- und Schlammbänke aus dem Amazonas, die sie schon mehr als einmal das fürchten gelehrt hatten.



Hart wirbelte er das Ruder herum, bis es im Ruderlager auf Widerstand stieß. Der Seewolf versuchte, an der Schlammbank vorbeizusteuern, um Kurs auf die weit dahinter liegende Urwaldinsel zu nehmen.



Dazu war es jetzt zu spät, das erkannte er klar und deutlich. Wäre die „Isabella“ unter voller Besegelung gefahren, hätte das Manöver sicher erfolgreich geendet. Hier reagierte sie zu träge.



Ein ellenlanger Fluch drang über seine Lippen. Aus den Augenwinkeln sah er die verzerrten Gesichter seiner Leute, die die Hände ballten und Daumen drückten.



„Fallen Anker!“ schrie er laut.



Vielleicht gab es noch eine letzte Möglichkeit, überlegte er fieberhaft. Der Heckanker konnte die „Isabella“ aus dem Kurs reißen, wenigstens so weit, daß sie nur leicht mit der Steuerbordseite die Bank schrammte.



Die Schlammbank war jedoch tükkischer, als er gedacht hatte. Als der Anker ins Wasser klatschte, ging ein winziger Ruck durch das Schiff. Ganz leicht hob sich der Bug aus dem Wasser, dann drückte er nieder, es kratzte und schurrte, und sofort verlor das Schiff ganz rapide seine Fahrt.



Ein paar Sekunden später saß die „Isabella“ fest. Um den Rumpf herum blubberten Blasen, lehmgelb und schmierig sahen sie aus.



Pete Ballie raufte sich die Haare.



„Ich bin schuld daran“, jammerte er. „Ich hätte …“



„Quatsch“, unterbrach ihn Hasard grob. „Niemand hat schuld daran, wir kennen das Fahrwasser zu wenig. Außerdem verändert es sich täglich. Fiert die Ankertrosse etwas nach!“ befahl er dann.



Auch das half nicht mehr. Der Anker slippte durch den Schlamm, er hielt nicht. Immer mehr drückte der mächtige Strom das Schiff zur Seite, bis es fast quer zur Fahrtrichtung lag.



Der Seewolf fluchte nicht oft, aber diesmal tat er es lange und ausgiebig, denn jetzt näherte sich das Unheil in Gestalt des schwarzen Seglers, der rasch heranglitt. Immer größer und mächtiger wurde der Bug des Schiffes. Keine Macht der Welt konnte es jetzt noch aufhalten.



„Verflucht!“ schimpfte Ed Carberry in ohnmächtiger Wut. „Der Kasten rammt uns genau mittschiffs! Die haben noch gar nicht gemerkt, daß wir festliegen.“





2.



„Eiliger Drache über den Wassern“, wie der schwarze Segler hieß, tat seinem Namen alle Ehre an.



Groß, mächtig und unverwüstlich glitt er eilig über den reißenden Strom, als könne nichts ihn aufhalten. Das pechschwarze Schiff rauschte wie ein Bote des Todes heran. Der schwarze Rumpf, die schwarzen Masten und die aufgegeiten schwarzen Segel ließen ihn unheimlich und fremd erscheinen. Beim bloßen Anblick des Schiffes duckte man sich unwillkürlich.



Am Kolderstock stand der mächtige Wikinger, in rauchgraue Felle gehüllt. Er trug trotz der brüllenden Hitze seinen glänzenden Kupferhelm. Neben ihm wirkte Siri-Tong zerbrechlich, die jetzt die Augen zusammenkniff und nach vorn zur „Isabella“ blickte, die langsam aus dem Kurs scherte.



Sie hatten gesehen wie der Affe an Deck gefallen war, und es war ihnen auch nicht entgangen, daß das verängstigte Tier einem Kaiman zum Opfer fiel, der es buchstäblich zerfetzte.



„Gib acht, Thorfin“, sagte die Rote Korsarin. „Die Seewölfe legen Hartruder!“



„Ich sehe es“, erwiderte der Wikinger ruhig. „Die weichen einer Sandbank aus. Verdammter Strom!“ setzte er hinzu.



Danach überschlugen sich die Ereignisse, und jetzt hatte der Wikinger plötzlich alle Hände voll zu tun.



Die „Isabella“ lief auf, drehte sich, schwoite herum, der Anker fiel. Sie versperrte einen Teil des Fahrwassers, genau an jener Stelle, wo der Fluß wieder zusammenlief.



Nicht einmal der erfahrene Wikinger reagierte so schnell wie Siri-Tong. Sie erfaßte die Situation auf den ersten Blick, schob ihren schmalen Körper an den seinen und drückte nach, um den Druck auf den Kolderstock zu verstärken.



„Hartruder, Thorfin!“ schrie sie.



Thorfin Njal erkannte jetzt ebenfalls, was sich da anbahnte. Die „Isabella“ wurde scheinbar immer länger – und sie fuhren genau auf die Schiffsmitte zu.



„Bei Odin und seinen Raben“, knurrte der riesige Mann. Seine mächtigen Fäuste drückten den Kolderstock mit einem Ruck herum.



Gleichzeitig begann der Amazonas an dem Schiff zu schieben und zu zerren, als wolle er es direkt in die Galeone hineinlaufen lassen. Langsam, viel zu langsam fiel „Eiliger Drache über den Wassern“ ab und scherte aus dem Kurs.



„Die Galeone ist aufgelaufen“, sagte Siri-Tong, „sie sitzt fest, Thorfin!“



Fieberhaft überlegte sie, wie man den Seewölfen jetzt helfen könnte. Aber es gab nichts zu helfen, sie konnten bei dieser Windstille nicht wenden, und wenn, dann wäre es ein Manöver von mehreren Meilen geworden. Selbst wenn sie Anker warfen, half das nichts mehr. Sie konnten nur von Glück sagen, wenn sie mit der „Isabella“ nicht gleich zusammenstießen.



Jetzt sah es ganz danach aus, als der Strom das Schiff immer mehr zur Seite versetzte.



Der Wikinger gab keine Antwort. Die neue Situation war so schnell entstanden, daß es ihm die Sprache verschlug. Außerdem hatte er genug damit zu tun, das Schiff vorsichtig aus dem Kurs zu steuern.



Auch an Deck des schwarzen Seglers hatte man verfolgt, was da passiert war. Insgeheim betete jeder der rauhen Gesellen darum, daß die beiden Schiffe nicht zusammenstoßen mögen, denn dann gab es hier Kleinholz und vielleicht ein paar Tote.



Siri-Tong verschwand vom Achterdeck, flankte mit einem Satz in die Kuhl und stand bei dem Boston-Mann, dessen goldener Ohrring wild schlenkerte. Er hatte die Hände in Hüfthöhe geballt und bewegte sie unruhig auf und nieder.

 



„Das schaffen wir nicht mehr“, sagte er rauh. „Es ist zu spät, um auszuweichen.“



Thorfin Njal am Ruder schwitzte Blut und Wasser. Unter seinem Helm juckte und brannte es. Er hatte das ekelhafte Gefühl, als laufe dort ein ganzes Ameisenheer Amok.



Der schwergebaute Mann sah nur noch einen allerletzten Ausweg, um die mittschiffs drohende Kollision zu verhindern. Er mußte die „Isabella“ hart anlaufen, dann Ruder legen und mit der Breitseite daran vorbeischeren. Daß die Bordwände sich dabei berühren würden, konnte nicht ausbleiben. Aber die Beschädigung würde nicht sehr groß werden.



Zum Greifen nahe hing das Schiff jetzt vor ihnen, als der Wikinger Ruder legte. Auf der Galeone sahen sie seine mächtige, alles überragende Gestalt, die den Kolderstock bewegte, als sei er ein kleiner Knüppel.



„Haltet euch fest!“ brüllte er mit Donnerstimme. „Paßt auf, daß keiner über Bord geht.“



Siri-Tong hatte plötzlich eine Idee. Sie sah den Boston-Mann an, der immer noch die Hände geballt hatte.



„Schnell, das starke Tau, Boston-Mann! Werft es hinüber, sobald wir an der ‚Isabella‘ vorbeischeren. Los, ihr anderen, willig, beeilt euch! Mit etwas Glück kann es uns gelingen, die Galeone herunterzuziehen. Wartet mit dem Festhalten, bis wir achterlich vorbei sind!“



Die Männer kapierten sofort. Das schwere Tau wurde aufgenommen und lose um den achteren Doppelpoller gelegt. Juan stand bereit zum Nachfie- ren.



Dann war es soweit. Der schwarze Segler scherte so dicht an der Bordwand der „Isabella“ vorbei, daß keine Hand mehr dazwischen paßte. Die Männer sahen sich nur stumm in die Augen, doch die Seewölfe hatten ebenfalls begriffen, um was es ging und was der Boston-Mann und Juan beabsichtigten.



Edwin Carberry vergaß seine Flüche. Die Zunge lag ihm wie ein dicker Klumpen im Hals, seine Sprüche kamen einfach nicht heraus.



Als die beiden Hecks sich schwach berührten, lief ein leichtes Zittern durch die Schiffe. Beide rieben hart aneinander, und dort, wo sie sich trafen, sah das Holz abgeschmirgelt aus.



Dann flog das Tau zur „Isabella“ und wurde belegt.



Auf dem schwarzen Segler standen jetzt zwei Männer zum Nachfieren bereit: Juan und der Boston-Mann.



Rasend schnell lief das Tau um die Poller, bis sie zu qualmen begannen und sich hellgrauer zarter Rauch entwickelte. Der Boston-Mann legte einen weiteren halben Schlag, stemmte sich mit dem Fuß gegen die Poller und hielt langsam fest.



Der Bootsmann Juan sorgte dafür, daß der Boston-Mann genug Lose hatte und sich nicht in dem wie wild ablaufenden Tau verfing.



Spürbar nahm die Fahrt des schwarzen Seglers ab, aber die „Isabella“ rührte sich immer noch nicht, sie schwang nur ein wenig das Heck herum und blieb störrisch liegen.



„Noch zwanzig Yards!“ schrie Juan. „Mehr Lose gibt’s nicht!“



„Laß sie durchlaufen!“ befahl die Rote Korsarin. „Erst bei den letzten fünf Yards hart abstoppen!“



Wie eine glühende Schlange wand sich das Tau durch die Hände. Es wurde immer heißer, bis der Boston-Mann unterdrückt stöhnte.



Ein weiterer halber Schlag um die Poller, noch einer. Der Qualm wurde stärker, das Hartholz der Poller glühte.



Die letzten Yards liefen ab.



Der Boston-Mann fluchte. Mit einem Blick erkannte er, daß der schwarze Segler jetzt ebenfalls hart aus dem Kurs lief. Da stemmte er sich mit dem Tau in der Faust hart gegen die Poller. Die Leine pfiff, straffte sich, hing dann wieder durch, sang ein höllisches Lied, als sie sich wieder straffte. Mehr als siebzig Yards waren jetzt draußen.



Dann brach sie mit einem peitschenden Knall.



Vom Achterkastell kam das laute und ungenierte Fluchen des Winkingers, der jetzt in seiner Sprache loslegte, die außer seinen rauhen Gesellen niemand verstand.



Zum Glück verstand sie niemand, denn des Wikingers grausame Flüche hätten jedem abgebrühten Mann die Stiefel ausgezogen.



Wild schwang er den Kolderstock herum und schaffte es gerade noch rechtzeitig, einer sich kräuselnden Wasserfläche auszuweichen.



„Der letzte Mist!“ brüllte er, und der Stör, der neben ihm stand und die Angewohnheit hatte, stets die letzten Worte seines Kapitäns zu wiederholen, sagte mit langem Gesicht ebenfalls: „Der letzte Mist!“



Siri-Tong erschien wieder auf dem Achterkastell. Die Enttäuschung war deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen.



„Schade“, sagte sie leise, „ich hatte mir viel davon versprochen. Wie können wir ihnen jetzt helfen?“



Thorfin Njal hob hilflos die mächtigen Schultern.



„Zunächst gar nicht, sonst laufen wir auch noch auf. Der Seewolf wird die Flut abwarten oder leichtern müssen. Nur drückt die Flut hier kaum herein“, setzte er nachdenklich hinzu.



Es ärgerte ihn ebenfalls mächtig, daß das erfolgversprechende Manöver mißlungen war. Es war alles viel zu schnell gegangen.



Siri-Tong blickte achteraus, wo die „Isabella“ immer kleiner zu werden schien. Sie sah die Seewölfe an Deck stehen, ebenfalls hilflos, genauso wie sie.



Weit vor ihnen, wo das mächtige Delta in den Atlantik überging, lag eine Insel, von Urwald bewachsen. Sie lag mitten im Strom, der hier mächtig aus seinem breiten Bett drängte und dessen Farbe stark lehmgelb war. Die ihnen zugewandte Seite der Insel war bis ans Wasser hin von dichtem Wald bewachsen.



Siri-Tong entsann sich dieser Insel wieder. Sie hatte zum Meer hin eine Bucht mit relativ ruhigem Wasser.



„Thorfin“, sagte sie. „Wir umfahren die Insel auf Backbord und versuchen, in das Stauwasser auf der Rückseite zu gelangen. Dort können wir ankern und abwarten. Ich möchte nicht in den Atlantik hinaus, wenn Hasard dort noch festsitzt.“



„Wir werden es schaffen“, versprach der Wikinger. „Aber der Seewolf wird uns von dort nicht sehen können, wir befinden uns dann im toten Winkel.“



„Er wird nicht annehmen, daß wir hinaussegeln, jedenfalls glaube ich das nicht“, sagte sie.



Sie scheuchte die Männer auf ihre Posten, und die flitzten willig los, weil sie den unterdrückten Zorn der Roten Korsarin instinktiv spürten – und fürchteten.



Thorfin ließ das schwere Schiff hart nach backbord abfallen, so hart, daß es fast zur Längsachse im Strom trieb, der jetzt wieder gegen die Breitseite schob. Hier, an der kleinen Insel, war der Fluß wieder gefährlich und gurgelte scharf und laut an dem Ufer vorbei.



Der Bug erreichte das Stauwasser, das Achterschiff schwang herum. Mit dem letzten Rest Fahrt lief der schwarze Segler in die Bucht. Der Anker klatschte auf Grund und hielt. Das Schiff war von den Seewölfen nicht mehr einsehbar, auch die Crew der Roten Korsarin konnte die „Isabella“ nicht mehr sehen. Siri-Tong verließ sich darauf, daß der Seewolf ihr Manöver im Geiste nachvollzog.



„Wir warten so lange, bis die Flut aufläuft, oder bis wir Wind kriegen, um den Strom hochsegeln zu können“, entschied sie. „Die Galeone muß so schnell wie möglich wieder flott werden.“



Auch Thorfin und der Boston-Mann überlegten, wie man den Seewölfen helfen konnte.



„Heute wird es nicht mehr klappen“, sagte der Wikinger zweifelnd, „in ein paar Stunden ist es dunkel, und den tückischen Fluß möchte ich bei Nacht nicht hinaufsegeln, jedenfalls hier im Delta nicht. Was nutzt es uns, wenn wir nachher ebenfalls irgendwo festsitzen?“



Siri-Tong sah das ein. Der nächste Morgen mußte abgewartet werden, alles andere hatte keinen Sinn. Dann saßen wirklich beide Schiffe fest, und keiner konnte dem anderen helfen.



Carberrys Miene hatte sich verfinstert. Er starrte über das Schanzkleid in den gurgelnden Strom, der machtvoll vorbeifloß. Alles mögliche trieb heran. Bäume, große Äste, die aufgedunsenen Kadaver irgendwelcher Tiere, tote Fische, Schlamm, Lehm und Blätter.



„Da ist mir die freie See doch zehnmal lieber“, sagte er grollend. „Da sieht man, was man hat, aber auf diesem lausigen Fluß mit seinen miesen Sandbänken …“



Der Profos motzte herum, wie es seine Art war. Wenn es technisch möglich gewesen wäre, hätte er diesem verlausten Fluß die Haut in Streifen von seinem Affenarsch gezogen, so jedenfalls drückte er sich öfter aus.



„Geh ihm bloß aus dem Weg“, raunte Blacky Bob Grey zu, der den Profos etwas fragen wollte, „der is

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