Knapp Wertvoll Sparsam

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Knapp Wertvoll Sparsam
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Inhalt

Vorwort

1. Der freie Markt funktioniert nicht

1.1. Die Illusion des Adam Smith

1.2. Das Märchen vom Fortschritt

1.3. Der Fortschritt der Wirtschaft orientiert sich am wirtschaftlichen Ergebnis und nicht an der Ethik

2. Die Wirtschaft hat sich der Ethik zu beugen

2.1. Die Ethik von Kaufleuten

2.2. Die Ethik der Demokratie und Menschenrechte

2.3. Globalisierung

2.3.1. Global Village

2.3.2. Globalisierung des Wirtschaftslebens

2.3.3. Die Unethik von Handelsabkommen

2.3.4. Globalisierung: ein unschätzbarer Fortschritt

3. Der Verbrauch von Ressourcen zerstört unseren Lebensraum

3.1. Das Problem begrenzter Ressourcen

3.2. CO² Ausstoß, Klimawandel – und kein Ende

3.3. Unser biologischer Fußabdruck zertritt den Boden

3.3.1. Die Käufer verursachen die Umweltzerstörung

3.3.2. Privatsphäre wird als Ressource verkauft

4. Das Schuldenwachstum für das Wirtschaftswachstum

4.1. Monopoly

4.2. Die Verschuldung wächst schneller als die Wirtschaft

4.2.1. Die Staatsschulden sind enorm – die Privatschulden ebenso

4.2.2. Die Grenze sieht man erst nachher

4.2.3. Die Schulden von heute sind die Not von morgen

4.2.4. Das langsame Gift: Der Kredit für den Konsum

4.3. Mit mehr Geld ist man reicher – oder?

4.3.1. Das Versagen des Geldmarktes – Zinsen haben keinen Preis

4.3.2. Geld: Die Munition eines Wirtschaftskrieges

5. Wirtschaft ist ein Kreislauf

5.1. Die Forderung nach der ökonomischen Nachhaltigkeit

5.2. Wirtschaftswachstum und dennoch weniger Arbeit

5.2.1. Wirtschaft und Beschäftigung

5.2.2. Der Dienstleistungssektor verlangt Hochqualifizierte

5.2.3. Einfache Arbeit verschwindet: Automatisation und Digitalisierung

5.2.4. Die Gesellschaft braucht Arbeit für alle Menschen

5.2.5. Arbeit ist wertvoll – nicht billig

6. Die Ungleichheit

6.1. Ungleichheit der Einkommen

6.2. Globale Ungleichheit

6.3. Wachsende Ungleichheit gefährdet die Demokratie

7. Die Demokratie ist der Gegenpol

7.1. Arbeit und Kapital: Die Demokratie kann Ausgleich schaffen

7.2. Fortschritt mit Zukunft

7.3. Vorschläge zur Umsetzung

7.3.1. Stärkung der Demokratie

7.3.2. Umweltschutz

7.3.3. Wirtschaftsgesetze

7.3.4. Der Wert und die Notwendigkeit der Arbeit

8. Resümee

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Eine Gesellschaft, die der Wirtschaft alle Freiheit einräumt und dabei ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigt, gefährdet sich selbst. Die Wirtschaft verkauft uns ihr Streben nach unbegrenztem Wachstum als unseren Fortschritt.

Dabei nimmt sie die Überschuldung der Haushalte, mögliche Geldentwertungen, Verlust an Arbeitsplätzen, soziale Ungleichgewichte sowie die Erosion unserer Demokratie in Kauf.

Vor allem bedeutet Wirtschaftswachstum aber den Verbrauch aller Ressourcen, die für uns lebensnotwendig sind.

In der Demokratie ist die Freiheit des einen dort begrenzt, wo sie in die Rechte des anderen eingreift.

Vorwort

Ich bin Betriebswirt und habe mich als solcher mehr als 30 Jahre mit dem wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen befasst. Es ist für mich klar, dass der Erfolg eines Unternehmens von staatlichen Eingriffen in der Regel behindert und nicht gefördert wird. Ebenso ist für mich evident, dass Staaten und deren Organisationen schlechte Unternehmer sind. Nahezu jedes im Privatbesitz befindliche Unternehmen wird besser geführt. Frei Handel betreiben zu können, seine unternehmerischen Chancen und Potenziale ungehindert entwickeln und nutzen zu können, ist zweifellos der ideale Nährboden für ein gut geführtes Unternehmen, um erfolgreich zu sein. Aus meiner betriebswirtschaftlichen Sicht bin ich daher ein Anhänger der freien, möglichst unbehinderten Marktwirtschaft.

Allerdings bin ich nicht nur Betriebswirt, sondern auch ein Mensch mit philosophischen Interessen und vor allem Vater und Großvater. Der Wachstumsfetischismus unserer Wirtschaft war mir schon in meinen jungen Jahren nicht selbstverständlich. Alles was wächst, muss auch einmal damit aufhören.

Der Missbrauch und die Zerstörung unserer Umwelt, die Industrialisierung der Landwirtschaft, die Kommerzialisierung fundamentaler Lebensbereiche als Geschäftsfelder und vieles mehr, waren für mich Zeichen einer bedrohlichen Entwicklung.

Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der UdSSR schien die Begeisterung der westlichen Welt, über den Kommunismus gesiegt zu haben, nicht mehr zu bremsen. So als ob zuvor die UdSSR gerade noch eine grenzenlose Dominanz der Wirtschaft im Westen zurückgehalten hätte, folgte 1989 ein weltweiter Durchbruch der wirtschaftsliberalen Ideen, beginnend mit Reaganomics und Thatcher­ismus. Die Staatsverschuldung setzte zu einem teilweise schwindelerregenden Höhenflug an, der durch die Krise des Jahres 2008 nochmals heftig angeheizt wurde.

Ich war verwirrt, denn gerade ein so renommierter, eher dem linken Lager zugerechneter Volkswirt wie Stiglitz setzte sich trotz dieser Krise heftig für eine zusätzliche Neuverschuldung ein.1 Für ihn basiert die Behauptung, dass der Staat durch seine Ausgabenpolitik die Wirtschaft ankurbeln könne, auf einer ihm simpel erscheinenden Logik: Wenn die Regierung die Ausgaben erhöht, wächst das BIP um ein Mehrfaches. Er meinte, Staatsausgaben fließen selbstredend in arbeitsplatzgenerierende Wirtschaftsinvestitionen2.

Er übersah u. a., dass diese Investitionen keineswegs erfolgreich sein müssen oder nur dazu genutzt werden, die Kapitalrendite zu steigern und/oder in einer globalen Wirtschaft Arbeitsplätzen an anderen Orten der Welt zu schaffen. Er glaubte scheinbar, dass man Staatsschulden direkt gegen Arbeitsplätze im eigenen Land tauschen könne und die Schuldenrückzahlung ohnedies kein Problem wäre.

 

Das Prinzip, die Wirtschaft zu fördern, alle Freiheiten zu gewähren, bei schlechter Konjunktur durch die Aufnahme von Staatsschulden in die Wirtschaft zu investieren, um Beschäftigung und Arbeitseinkommen für die eigene Bevölkerung zu generieren, begann jedoch bald, Risse zu zeigen.

Die Moral eines Teiles der Bankenwelt, die bis 2008 hemmungslos Betrug mit sogenannten Asset Backed Securities3 betrieb, war ein lautes Warnzeichen. Hier schrie eine ganze Branche aus den USA in die Welt hinaus: Wir nehmen euch alles Geld ab, das wir kriegen können und scheren uns nicht um die Folgen!

Was aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll erschien, gewann aus volkswirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht eine zunehmend andere Bedeutung. Der Mensch ist zwar der kleinste gemeinsame Nenner dieser Entwicklungen, aber keineswegs deren Mittelpunkt, sondern oftmals lediglich Hilfsmittel oder gar Werkzeug. Für wen tun wir aber dann das alles, wenn nicht für den Menschen?

In diesem Buch werde ich an Hand öffentlich zugänglicher Daten eine gegenwärtige Entwicklung aufzeigen, die meiner betriebswirtschaftlichen Sicht gänzlich widerspricht.

Damit meine ich besonders, dass unser liberales Wirtschaftssystem sich nicht nur zunehmend selbst bedroht, sondern auch unsere Demokratie, unsere Volkswirtschaften und vor allem unsere Umwelt.

Infolge dieses Wirtschaftsliberalismus konnte die Wirtschaft uns und unseren Planeten in Besitz nehmen und nutzen. Diese Nutzung ist jedoch immer unverantwortlicher geworden und bedroht unsere ökonomische Zukunft, die Gesundheit und den Fortbestand nicht nur unserer Spezies.

Die Freiheit des Menschen, die Würde und Achtung des Lebens, die Schönheit und Vielfalt unserer Welt werden gröblich missachtet, wenn sie auf ihre wirtschaftliche Bedeutung reduziert und bis zur ökonomischen Unbrauchbarkeit genutzt werden.

Ich halte nichts davon, so weiter zu wirken wie bisher, im unerschütterlichen Vertrauen, dass wir zwei Meter vor dem Abgrund schon eine Lösung finden werden. Dazu ist mir das Leben meiner Kinder und Kindeskinder zu wichtig.

Ich möchte mich in meiner Kritik jedoch von jeder politischen Zuordnung fernhalten. Es erscheint mir notwendig, keiner der gängigen politischen Kategorien das Wort zu reden. Dies nicht nur, um persönlich Distanz zu wahren, sondern auch, weil ich keinen politischen Standpunkt kenne, der ein funktionsunfähiges Wirtschaftssystem befürworten würde.

Mein Ansatz zur Änderung, zur Emanzipation des Lebens gegenüber den ökonomischen Interessen der Wirtschaft, ist die Erneuerung und Erstarkung der Demokratie.

In einer aufgeklärten Welt wird die Macht des Volkes von der Demokratie repräsentiert. Diese hat die Aufgabe, diese Kraft gegen die globalen Kräfte einer sich verselbstständigenden Wirtschaft einzusetzen. Die Demokratie zu stärken, ist keineswegs leicht oder einfach. Das zunehmende Ungleichgewicht von Einkommens- und Vermögensverteilung fördert Protest- und Rechtswähler-Potenzial und keineswegs demokratische Kräfte.

Dennoch führt kein Weg an der Demokratie vorbei. Ein Konzept der Verantwortung für uns, unsere Nachkommen, für die Mitmenschen und für den gesamten Lebensraum und seine Mitbewohner ist unausweichlich notwendig. Das Streben nach einer gerechten Verteilung von Knappheit und Überfluss klingt in einer Zeit, in der Bildung zumeist nur mehr Berufsausbildung bedeutet und die Nachrichten des Tages nicht gelesen, nicht gesehen oder nicht verstanden werden, fast utopisch. Aber genau diese Utopie ist lebensnotwendig – dorthin sollte unser Weg führen.

Ein demokratisch hilfreicher Gedanke, der sich durch die Themen dieses Buches zieht, ist der einer inneren Verwobenheit, der gegenseitigen Abhängigkeit in Form von verschiedenen Kreisläufen.

Dem gegenüber versteht sich die Wirtschaft eher eindimensional und linear: Weniger Kosten  bessere Wettbewerbsfähigkeit  mehr Umsatz  mehr Gewinn.

Weniger Kosten bedeuten aber mehr Verbrauch einer Umwelt, die nur deshalb keinen Preis hat, weil sie niemand verkaufen kann. Ihre Kosten holen uns aber dennoch über die Emissionen, den Verlust an Lebensraum und an Biodiversität ein. Wie werden unsere Nachfahren ihre Eltern und Großeltern beurteilen, wenn sie ihnen nur den Abfall eines industriellen und postindustriellen Zeitalters hinterlassen?

Der Umsatz des Unternehmens resultiert letztlich aus dem Konsum der Kunden, welcher, volkswirtschaftlich gesehen, aus jenem Arbeitseinkommen, das seinerseits die Lohnkosten des Unternehmens darstellt, finanziert wird. Umsatz und Arbeitseinkommen sind daher untrennbar aufeinander angewiesen. Beide sind allerdings gefährdet, wenn Arbeitsplätze durch Verlagerung oder Rationalisierung verloren gehen. Sie sind ebenso bedroht, wenn Umsätze immer mehr mangels Einkommen aus Krediten finanziert werden, welche infolge der steigenden Überschuldung nicht zurückbezahlt werden können.

Viele sehen diese Kreisläufe nicht und meinen, überall nur ihren Vorteil einseitig für sich nutzen zu können. Dabei verhalten sie sich wie Zechpreller, die im Glauben leben, ihren Konsum niemals bezahlen zu müssen: Diesen Konsum halten sie für Fortschritt.

Nach den Zerstörungen des 2. Weltkrieges war vieles wiederaufzubauen und es galt die Not und die Entbehrungen durch Fleiß, Einsatz, Mut und Ideen zu lindern.

Heutzutage dagegen sitzen wir alle in einem Zug, der längst seine Haltestelle übersehen hat. Wir haben in vielen Ländern angemessenen Wohlstand erreicht, fahren jedoch weiter und weiter, so als ob dieses Geleis nie enden wollte. Doch auch in unserer Welt enden Geleise natürlich irgendwo, auch wenn man den Zug nicht bremst.

1 Joseph Stiglitz, geboren 1943, Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford, Stanford und Columbia, Wirtschaftsberater der Clinton Regierung, Wirtschaftsnobelpreisträger 2001, 1997 bis 2000 Chefökonom der Weltbank und von 2011 bis 2014 Präsident der International Economic Association

2 Josef Stiglitz, Der Preis der Ungleichheit, Pantheon Verlag 2014, Seite 306, 307

3 Asset Backed Securities sind Wertpapiere, hinter denen Kreditforderungen einer Bank stehen. Diese Kredite werden in Pakten zusammengefasst und als Wertpapier verkauft. Dieserart kommt die Bank früher zu ihrem Geld und hat auch gleichzeitig das Kreditrisiko abgegeben. Wenn diese Kredite an Kreditnehmer gewährt werden, deren Bonität nicht ausreichend geprüft wurde und die nicht in der Lage sind diese Kredite zurückzuzahlen, ist das Wertpapier wertlos.

1. Der freie Markt funktioniert nicht
1.1. Die Illusion des Adam Smith

Medizin hat die Aufgabe, dort zu helfen, wo es medizinisch notwendig ist. Ebenso hat die Wirtschaft die Aufgabe, dort für die ausreichende Versorgung mit Wirtschaftsgütern wirksam zu werden, wo diese gerade gebraucht werden.

Wirtschaft ist ein Versorgungssystem und der Erfolg der Wirtschaft besteht darin, Überschüsse sinnvoll zu verwenden sowie Mängel zu verhindern bzw. abzubauen. Mangel und Knappheit sind also mit Überflüssen möglichst auszugleichen und dieser Ausgleich ist fair zu gestalten.

Dafür ist zuerst ein Überfluss erforderlich, denn ohne diesen kann überhaupt kein Ausgleich stattfinden.

Allerdings ist nicht jeder Überfluss ausreichend oder dafür geeignet, Knappheit auszugleichen. Überfluss bedarf somit der vorhergehenden Gestaltung (Anpassung), um Knappheit gerecht werden zu können. Dieses Zusammenspiel zwischen Knappheit und Überfluss ist nicht nur auf der Seite der menschlichen Arbeitskraft, sondern ebenso auf der Seite jener Ressourcen und Kapazitäten gegeben, die zur Lieferung und Herstellung benötigter Wirtschaftsgüter erforderlich sind. Wirtschaft hat somit sowohl auf der Nachfrageseite (des Käufers) als auch auf der Seite des Angebotes bzw. des Beschaffungsmarktes mit Knappheit und Überfluss zu kämpfen.

Das Gesetz von Angebot und Nachfrage besagt nun, wenn sich das Angebot des Beschaffungsmarktes hinsichtlich Qualität, Menge und Preis mit der Nachfrage der Käufer trifft – wenn also der Käufer genau jene Ware zu jener Qualität, Menge und Preis kauft, wie sie ihm am Markt angeboten wird – dann ist das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gegeben.

Dieses Gleichgewicht resultiert nach Adam Smith aus dem Wettbewerb der eigennützig-rationalen Einzelinteressen der Wettbewerber.

»Die maximale Wirtschaftlichkeit (der vollkommene Markt) zeichnet sich dadurch aus, dass die Zufriedenheit aller Marktteilnehmer erreicht wurde und keine Änderungen in der Herstellung als auch im Vertrieb des Wirtschaftsgutes daher notwendig sind. Die maximale Wirtschaftlichkeit erfordert, dass alle Unternehmen perfekte Konkurrenten sind und keine wettbewerbsverzerrenden Faktoren wie z. B. Umweltverschmutzung oder Informationsvorteile vorliegen. Die maximale Wirtschaftlichkeit ist gegeben, wenn (a) die Zufriedenheit des Konsumenten deshalb vorliegt, weil sein Grenznutzen4 seinem Kaufpreis entspricht und (b), wenn die konkurrierenden Unternehmen die Wirtschaftsgüter in jener Menge anbieten, bei der der Verkaufspreis ihren Grenzkosten5 entspricht. Allerdings kann der Wettbewerb, auch wenn maximale Wirtschaftlichkeit vorliegt, zu Ergebnissen führen, die sozial nicht erwünscht sind6.«

Dieses Zitat aus dem weit verbreiteten Wirtschaftslehrbuch von Paul Samuelson beschreibt das Ideal der maximalen Wirtschaftlichkeit als ein Gleichgewicht der auf dem Markt wirksamen Kräfte. Die Selbstorganisation des Marktes besteht darin, dieses Gleichgewicht zu ermöglichen.

So selbstverständlich diese noch heute als gültig angesehene These auch scheinen mag, sie geht von komplett unrealistischen Annahmen aus.

Was hat die Knappheit, die es zu überwinden gilt, mit jenen auf den Märkten wirksamen Kräften zu tun? Wie soll jener, der unter der empfindlichsten Knappheit leidet, seine (doch oftmals schwachen) Kräfte am Markt überhaupt zur Geltung bringen? Es liegt im Wesen wirtschaftlicher Schwäche, dass daraus Knappheit und Mangel resultieren. Flüchtlinge werden z. B. erst am Markt wirksam, wenn sie in entsprechend hoher Anzahl bei uns in Westeuropa landen. Ihr Bedarf, ihre Knappheit hat schon lange zuvor ohne für uns erkennbare Auswirkungen bestanden, ohne dass der Markt etwas gegen ihren Mangel getan hätte. Erst wenn sie unseren ethischen Vorstellungen entsprechend versorgt werden, wird deren Knappheit an Lebensmittel, Bekleidung, medizinischer Versorgung, Wohnraum etc. wirksam. In ihren Heimatländern existieren, wenn überhaupt, kaum Märkte, weil weder das Angebot noch die notwendigen Geldmittel zur Befriedigung der Nachfrage vorhanden sind.

Es geht aber nicht nur um die mangelnde Marktkraft infolge wirtschaftlicher Schwäche, sondern z. B. ebenso um sinnvolle Interessen, die gar nicht oder nur unzureichend wahrgenommen werden.

Ein Wissenschaftler, der z. B. darauf hinweist, dass wir unsere Nachkommen gefährden, wenn wir weiterhin die Umwelt mit Kunststoffen belasten, wird am Markt so lange nicht gehört, bis erhebliche Schäden eingetreten sind. Als Wissenschaftler hat er weder einen Zugang zum Markt, noch eine Möglichkeit, auf den Markt einzuwirken. Seine Stimme wird nicht infolge seiner Kompetenz oder des Gewichtes seiner Botschaft gehört, sondern zumeist nur wegen der zu berichtenden, bereits eingetretenen Schäden.

Wirtschaftlich Unterprivilegierte, an Konsum uninteressierte Menschen, Menschen ohne aktuellen eigenen Bedarf, unzureichend wirtschaftlich Informierte, Vertreter der Kunst, Philosophie und Wissenschaft sind am Markt bestenfalls als Autoren von handelbaren Büchern, nicht aber als aktive Teilnehmer anzutreffen.

Anderseits bestehen Überflüsse, die dem Markt nicht zur Verfügung stehen, weil jene, die darüber verfügen könnten, deren Wert entweder gar nicht erkennen oder an keinem materiellen Vorteil interessiert sind. Immer wieder beobachte ich zum Beispiel in Griechenland die herabfallenden und verderbenden Feigen und Kaktusfrüchte, die in Mitteuropa vermutlich ihre Käufer finden würden, wenn sie am internationalen Markt im Ausmaß ihres vorliegenden Überflusses angeboten werden würden. Mancher Überfluss erreicht den Markt nicht, weil die Kosten, um ihn handelbar zu machen, zu hoch sind. Umgekehrt wird mancher drohende Preisverfall dadurch verhindert, dass Teile des Überflusses, z. B. bei einer guten Kaffeeernte, vernichtet werden.

Mit zunehmender Knappheit, aber auch mit wachsendem Überschuss fällt der freie Markt als Ort des sinnvollen Ausgleichs gänzlich aus: Je größer die Armut, desto größer die Knappheit, umso geringer die Fähigkeit am Markt teilzunehmen bzw. einen Marktpreis zu bezahlen. Umgekehrt führt ein höherer Überfluss nicht zu einer noch besseren Versorgung, sondern zu einem Preisverfall. Dadurch erscheint es aus der Sicht des Produzenten sinnvoller, den Preisverfall durch teilweise Vernichtung des Überschusses zu verhindern, um mit weniger Ware, aber höheren Preisen den gleichen oder höheren Gewinn zu erzielen.

 

Welches Gleichgewicht kann sich unter derartigen Umständen überhaupt bilden?

Knappheit und Überfluss können am Markt nie vollständig wahrgenommen werden, die sogenannten verzerrenden Faktoren sind allgegenwärtig, die Konkurrenten sind zwangsläufig niemals perfekt (im Sinne eines gleichen Potenzials) und die zunehmende Intensität von Knappheit und/oder Überfluss führt nicht zu einem Gleichgewicht, sondern zu einem Totalversagen des Systems.

Das Gleichgewicht, das Adam Smith vorschwebte, ist eine kaufmännische Fiktion. Weder gibt es den von ihm unterstellten vollkommenen Markt, auf dem alle Marktteilnehmer über die gleiche Marktmacht verfügen, noch gibt es die vollständige Information, die allen Marktteilnehmern zur Verfügung steht. Keineswegs verfügen alle Beteiligten über die Möglichkeit, den Markt zu beeinflussen.

Der Umgang mit Knappheit und Überfluss kann von einem derartigen Markt nicht reguliert werden: Er repräsentiert weder die Interessen der Gesellschaft insgesamt, noch ist er in der Lage, die tatsächlich vorhandenen Knappheiten und Überflüsse zu erfassen. Der Markt als Ort des Zusammentreffens aller Angebote und Nachfragen sowie aller gesellschaftlichen Interessen scheint ohne gesellschaftliche Eingriffe nicht möglich (so viel Freiheit wie möglich – so viel Eingriffe wie notwendig).

Der von Adam Smith beschriebene Markt ist dagegen in der Wirklichkeit ein Treffpunkt ausgewählter Wirtschaftstreibender, die über höchst ungleiche Chancen verfügen. Deren Konkurrenz gleicht einem Wettkampf unter Athleten, die keineswegs von Gleichgewicht und Zufriedenheit, sondern nur von Sieg und Niederlage geprägt ist.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Berufsgruppe der Kaufleute wie Heilsbringer ihre so nett klingende Fassade eines freien Marktes allen anderen Menschen als alleingültige Sichtweise übergezogen hat. Hinter dieser Fassade geht es jedoch in Wirklichkeit nicht darum, Marktkräfte frei wirksam werden zu lassen, sondern darum, die Marktkräfte so zu beeinflussen, dass auf den Märkten jenes Preis-Leistungsgefüge eintritt, welches für das eigene Unternehmen vorteilhaft ist. Nicht das freie Spiel der Marktkräfte, sondern die Manipulation der Marktkräfte zum Zweck des eigenen Vorteiles ist das Ziel. Informationen, die Preis- und Produktpolitik werden strategisch so gestaltet, dass angestrebte, vorteilhafte Marktsituationen möglichst wahrscheinlich eintreten.

Es wird alles versucht, um keine perfekte Konkurrenz und um möglichst viele verzerrende Faktoren entstehen zu lassen, um aus einem möglichst großen Ungleichgewicht eigene Vorteile ziehen zu können. Täglich können wir miterleben, wie Unternehmen im wirtschaftlichen Wettkampf miteinander umgehen. Kaufmännische Konkurrenten besiegen entweder einander (was zum Untergang des Unterlegenen führt) oder, wenn sie tatsächlich über ähnlich große Potenziale verfügen, dann trachten sie danach, ihre Vorteile so zu maximieren in dem sie sich nicht gegenseitig bekämpfen, sondern sich gegenseitig zu Lasten der Gesellschaft unterstützen.

Ähnlich wie bei den heutigen Neoliberalen7 meinte man auch in der Aufklärung, dass das freie Spiel der Marktkräfte zur allgemeinen Zufriedenheit führen würde.

Die von der Aufklärung8 geschätzte freie Wirtschaft stellt einen vom Wunschdenken geprägten Trugschluss dar. Nicht die Gesellschaft wird durch eine freie Wirtschaft frei, sondern lediglich einige Akteure, vor allem in der Wirtschaft, können frei, scheinbar ungehindert von den Interessen der Mehrheitsgesellschaft, agieren.

Dieses Verhalten ähnelt mehr einem Glücksspiel oder einem unsportlich geführten Wettbewerb als einem vernünftigen Wirtschaften.