Herzschrittmacher

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Herzschrittmacher
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GEORG SCHÄRMER

HERZ
SCHRITT
MACHER

WEGE

DER BARMHERZIGKEIT

Tyrolia-Verlag · Innsbruck-Wien

Die Bibelzitate sind der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift entnommen. Wir danken der Katholischen Bibelanstalt für die freundliche Abdruckgenehmigung (Mt 14,13–21).

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart

Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“

2016

© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

Umschlaggestaltung: stadthaus 38, Innsbruck

Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag

ISBN 978-3-7022-3515-4 (gedrucktes Buch)

ISBN 978-3-7022-3516-1 (E-Book)

E-Mail: buchverlag@tyrolia.at Internet: www.tyrolia-verlag.at

INHALT

VORWORT

Was berührt uns noch und findet Zugang in unsere Herzkammer?

Und wie viel in uns ist angesichts des Zuviel an Gewalt und Elend bereits am Erfrierungstod des Mitgefühls zugrunde gegangen? Wie viele Schicksale, Anfragen an unsere Sympathie und Solidarität machen wir uns zu eigen?

Barmherzigkeit – Misericordia. Ein Herz haben. Für Menschen, denen es miserabel geht. Seit Jahrtausenden gilt: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote begraben sind tragende Säulen einer humanen Gesellschaft und Garanten für den sozialen Frieden. Jesus greift diese Erkenntnis auf und macht sie zu einem zentralen Inhalt seines Testamentes und zeitlosen Auftrages.

Die Geschichte der Barmherzigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Heilsgeschichte der Kirche. Unzählige Zeugen dieses Kernstückes des Christentums haben die Sozialgeschichte dieser Welt mitgeschrieben.

Noch nie in der Menschheitsgeschichte gab es so viele Hilfsbedürftige wie heute. Die Werke der Barmherzigkeit müssen eine kraftvolle Probe bestehen. Wegschauen und Vorübergehen gilt nicht mehr. „Les Miserables“, die Elenden werden zuhauf sichtbar, setzen ihren heimatlosen Fuß über unsere Türschwelle. Ganz zu schweigen von den vielen Überforderten, Vergessenen, Abgeschobenen, Verschuldeten, Perspektivenlosen, Gekränkten, die sich hinter den Fassaden der Wohlstandsgesellschaft versteckt haben.

Ich habe ausschnitthaft eine Spurensuche nach den Werken der Barmherzigkeit versucht. Wollte aber nicht bei Problembeschreibungen und Mahnung stehen bleiben, sondern herz-berührende und Mut machende Geschichten der Achtsamkeit und Zuwendung, der Großzügigkeit und Gemeinschaft erzählen.

Insofern auch eine kleine Infusion wider den Pessimismus. Vielleicht auch ein Gute-Nacht-bzw. Guten-Morgen-Buch für all jene, die unerschütterlich an das Gute glauben, beziehungsweise eine Kontaktlinse für Herz-Augen, die das Wesentliche sehen und sehen wollen. Unter Umständen auch ein Anstoß, dem Herzen Beine zu machen.

Georg Schärmer

MISERICORDIA – EIN PAPST ZEIGT HERZ

Ich gebe zu. Der erste Eindruck war eher enttäuschend. Nach seinem „Buona sera!“ wandelte sich meine innere Gestimmtheit. Als er dann noch den Segen der Menschen erbat, war ich berührt. Franziskus, ein demütiger, ein „dien-mutiger“ Papst, bescheiden und humorvoll. Einer, der den Blick und das Ohr für das Kleine und Leise nicht verloren und eine Vorliebe für die Armen dieser Welt hat. Darüber freut sich das Caritas-Herz. Nachdem er dann auch noch den Vorsitzenden der Caritas Internationalis zum Koordinator seines engsten Beraterstabes gemacht hatte, war der Weg vorgezeichnet. Es ist der Weg zu den Menschen, insbesondere zu jenen, die von Armut, Katastrophen, Ungerechtigkeit, Krieg und Vertreibung getroffen und betroffen sind. Das ist ein Herz-Jesu-Weg. Der gütige alte Herr kann ganz schön heftig und ungemütlich werden, wenn Ignoranz, Selbstgefälligkeit und Selbstsucht sich diesem Weg entgegenstellen. Er hat keine Scheu, die dunklen Mächte der Rüstungs-, Lebensmittel- und Finanzkonzerne, die mafiosen Hintermänner der Gewinnmaximierung, Ausbeutung und Zerstörung des Lebensraums, anzugreifen.

Neben aller globalen Sicht vergisst er nie den einzelnen Menschen, der sich ihm händestreckend zuwendet und ein Zeichen der Wertschätzung und Aufmerksamkeit ersehnt. Er hält sein „Fenster der Verletzlichkeit“ (Zitat Bischof Manfred Scheuer) offen. Er geht seinen Weg, Stolpern und Straucheln sind inbegriffen. Sprach einer seiner Vorgänger von der Notwendigkeit, die Fenster zu öffnen, um Frischluft in die Kirche zu bringen, so geht er einen Schritt weiter: Er reißt die Türen auf. Tore der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens. Der wahre Schatz der Kirche seien die Armen, so zitiert er den heiligen Laurentius. Franziskus wird noch für die eine oder andere Überraschung gut sein. Der Ungehorsam seiner Mitbrüder und die satte und manchmal weinerliche Behäbigkeit mancher Christengemeinden werden ihn nicht ab- und aufhalten. Das Gesicht der Kirche wird sich verändern. Oder sie läuft Gefahr, es zu verlieren. Aus den „Elenden“ werden die „Edlen“. Die Armen bekommen den ersten Platz. Die Reichen, wenn sie den Frieden wünschen, werden den Platz und die Güter mit ihnen teilen. Im Musical „Les Miserables“ gibt es das berührende Lied „Bring him home!“ Franziskus bringt die Armen wieder dorthin, wo sie nach Gottes Plan hingehören; nach Hause, ins Herz der Gemeinschaft. Eine Kirche, eine Christengemeinschaft, die dies nicht erkennt und pflegt, ist heillos und von allen guten Geistern verlassen. Für jede und jeden von uns heißt das: Sich ein Herz nehmen und dem Herzen Hände und Füße verleihen. Der, die Nächste ist überall.

„Pax et bonum – Friede und Heil!“ – pflegte Franziskus von Assisi zu sagen. Für alle.

Herz-Spuren Jesu
„METANOEITE!“ – „KEHRT UM!“

Aus mit der Süßholzraspelei. Provokation ist angesagt. Gefängnis und Tod die Folge. Für Johannes, den Eintaucher. Die Schlangenbrut hatte zugebissen. Die Stunde des Jeshua war gekommen. Sein erstes Wort: Metanoeite! Denkt um! Kehrt um! Seht ein, dass es so nicht weitergehen kann, wie ihr denkt, lebt und handelt und nicht handelt! Kratzt die Kurve! Raus aus der Sackgasse! Selig, das heißt in Gott verankert, verkündet er radikale und neue Botschaften: Jeder Mensch hat eine in Gott begründete Würde. Liebe ist keine Gefühlsduselei, sondern Verpflichtung zum Handeln. Nationale, kulturelle, religiöse, klassen- und geschlechtsspezifische Ausgrenzung widerspricht dem grenzenlosen, leidenschaftlich menschenfreundlichen Gott. Liebe zu Gott ist ohne die Liebe zum Menschen wertlos. Selig, das heißt in Gott verankert, sind jene, die sich nicht überheben, sondern Mitleid haben mit den Armen. Selig, das heißt in Gott verankert, sind jene, die sich einsetzen für Frieden und Gerechtigkeit, versöhnlich und barmherzig sind. Damit wurden die „besseren Kreise“ bald aufgeschreckt und die Armen und Ausgegrenzten begeistert und ver-rückt. Ver-rückt vom Rand zur Mitte. Rein äußerlich ist das Reich Gottes, das er so naheliegend verkündet hatte, nicht gekommen. Die Welt lief weiter wie immer schon. Und dennoch: Hungrige wurden gespeist, Durstige getränkt, Nackte bekleidet, Fremde aufgenommen und besucht, Kranke ermutigt und geheilt, Zweifler überrascht, Armen geholfen, eine frohe Botschaft vermittelt. Unzählige Christengemeinschaften und Menschen guten Willens knüpfen seither ein weltweites Netz der caritas, der Hingabe und Solidarität. Vor allem führte Jeshuas Weg aus der Sackgasse der Sterblichkeit. Er durchlitt und durchlebte den Ausweg aus dem schwarzen Nichts. Auferstehung. Wer darauf hofft, braucht sein Leben nicht rücksichtslos ausleben. Wer keine Angst vor dem endgültigen Tod hat, wird innerlich frei für das barmherzige Programm Jesu – kann aufstehen, um nah, näher am Nächsten zu sein.

JESUS NIMMT DIE ANGST

„Was ist der wichtigste Satz in deinem Heiligen Buch?“ Diese Frage eines afrikanischen Dorfältesten, Anhänger einer Naturreligion, hatte mich in Bedrängnis gebracht. Welchen Edelstein aus der uns testamentarisch übergebenen Schatztruhe froher, herausfordernder Überlieferungen, Aufträge und Botschaften nehme ich? Entschieden habe ich mich für „Fürchte dich nicht!“ Wohlwissend, dass es eben nur mein wichtigster Satz ist. „Fürchte dich nicht! Fürchtet euch nicht!“ Dieser wohlmeinende Appell steht am Anfang der Heilsgeschichte Jesu. Er nimmt einer verschreckten, in Anbetracht der Verhältnisse todgeweihten jungen Maria die erste Angst. Nimmermüde verkündet Jesus in Wort und Tat die Botschaft, dass wir auserwählte, begabte, geliebte Ebenbilder Gottes sind. Er nimmt die Angst vor dem unbegreiflichen, unsagbaren Gott. Ja,„Abba, Papa“ dürften wir ihn sogar nennen. Als großzügig, barmherzig, ständig um uns werbend und sich um uns sorgend, vermittelt er ihn uns. Die manchmal unverständlichen Herausforderungen dieses dennoch unbeschreiblichen Gottes sind durchzogen von Zutrauen und der ständigen Ermutigung, uns nicht zu fürchten. Jesus-Nachfolge ist nichts für Angsthasen. Keine Angst vor den Mitmenschen; und seien sie uns noch so fremd und befremdlich. In ihrem Innersten sind sie uns so nah in all ihren Hoffnungen, Zweifeln, Sehnsüchten, Bedürftigkeiten und Ängsten, Hoffnungen und Freuden.

Wer an einen väterlichen und mütterlichen Gott glaubt, für den wird die Welt geschwisterlich. Am Höhepunkt der Sendung Jesu steht wiederum dieses „Fürchtet euch nicht!“ Schon gar nicht vor dem endgültigen Tod. Jesus ist die unendlich liebevolle Hin- und Zugabe Gottes. Unter anderem erlöst er uns durch seinen Tod und seine Auferstehung vom Irrglauben, dass das Leben die „letzte Gelegenheit“ ist. Der Bogen Gottes ist weiter gespannt. Wer an das unendliche Leben glauben kann, muss nicht alles haben, hat nicht das ewige Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. Wer an den Himmel glauben kann, muss ihn nicht auf Erden erkämpfen und begehren. Das macht frei und dankbar. Aus dieser dankbaren Zufriedenheit mit sich und dem Leben, und sei es noch so unvollkommen, erwächst das Gute. Zufriedene haben immer etwas für andere übrig. Und: Ja, es gibt dieses schmerzhafte Fallen in den Tod; aber dieses Fallen landet in unendlich sanften, versöhnlichen und barmherzigen Händen.

 

BARMHERZIGKEIT IST KEIN HÖHENFLUG

Es gibt viele Wege zu Gott. Einer führt über die Berge. Dieses bekannte Zitat des verstorbenen Bischofs von Innsbruck, Reinhold Stecher, nahm sicherlich Anleihe bei der dankbar-staunenden Erfahrung der Schöpfung in den Tiroler Bergen. Es könnte aber auch bei einem besonderen Wendepunkt der Auseinandersetzung Jesu mit seinen Jüngern ausgeliehen sein: Jesus führt drei ausgewählte Jünger auf eine Bergtour. Sie haben richtig gelesen. Vorausgegangen war ein lautstarker Streit. Permanente politische Vereinnahmungsversuche, der stete Vorwurf, die spürbare Enttäuschung, dass er ihren Vorstellungen eines Messias nicht entspräche, waren ihm zu viel geworden. Nachdem er seinen ersten Zorn abgelassen hatte, musste er mit ihnen einen anderen, einen Weg der (Ver-)Klärung gehen. In einem lichten Moment erkennen die Männer, dass er in einer Linie mit großen Wegbegleitern (Moses) und Mahnern (Elija) steht und Gottes geliebter Sohn, Sohn des Friedens und der Liebe ist, und dass sie auf ihn hören sollen. Gerne hätten sie Jesus und die illustre Gesellschaft exklusiv für sich allein behalten, das Erfahrende überdacht und ummauert gewusst. Nichts da! Jesus will es anders. Seine Wege führen in die Niederungen des Alltags, auch in die Abgründe menschlicher Not und Existenz. Die da nicht ohne Lichtblicke sind, in denen sich Himmel und Erde verbinden. Momente der Zuwendung, der liebevollen Pflege und Begleitung, der Freude über würdevoll Überreichtes und Geschaffenes. Lichtblicke, in denen sich neue Wege, Perspektiven auftun. Momente des Teilens und des couragierten Auftretens für Friede und Gerechtigkeit. In diesen Momenten tritt das Göttliche aus der dunklen Wolke der Unsichtbarkeit und Unzugänglichkeit. In den Liebesgeschichten der Heiligen Schrift geht Gott auf uns zu. Auch durch beherzte Frauen und Männer, in denen er durchscheint und die ihrem und seinem Herz Füße und Hände verleihen. Unermüdlich wirbt Gott um uns; als seine Mitarbeitenden und Mitliebenden. Am Ende der Berg-und-Tal-Tour spricht Jesus die Auferstehung an. In ihr vollendet sich die Liebesgeschichte und Barmherzigkeit Gottes mit der Welt. Gott sei Dank!

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