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Loe raamatut: «Im Herzen von Afrika», lehekülg 4

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8. In einem unglücklichen Land

Nach Ablauf der Regenzeit setzte ich die Reise fort. Meine botanischen Studien in der Umgebung der Seriba Ghattas waren beendet, und ich entschloß mich, mein Schicksal mit dem des stets gefälligen Mohammed Abd-es-Ssammat zu verknüpfen. Dieser war am weitesten nach Süden vorgedrungen und hatte bereits wiederholt den großen rätselhaften Fluß der Mangbattu überschritten, der, unabhängig vom Nilsystem, nach Westen strömen sollte. Auch konnten einige tausend Mariatheresientaler für Trägerkosten erspart werden, wenn Mohammed seine Versprechungen hielt, und er war ein Mann von Wort. Am 17. November 1869 setzte sich die aus 250 Trägern und Bewaffneten bestehende Karawane in Bewegung. Mein Gepäck war auf 36 Lasten beschränkt; begleitet war ich von meinen nubischen Dienern und drei arabisch sprechenden Sklaven als Dolmetschern.

Der Marsch durch gut bewässertes, langsam aus der Anschwemmungsebene des Nilgebiets ansteigendes Land zeigte nur zu viele Spuren der Verödung durch Steppenbrände und durch die Mißwirtschaft der nubischen Händler. Eine Strecke von etwa 130 Kilometern war noch vor drei Jahren gut bebautes und bevölkertes Land gewesen, jetzt enthielt sie nur noch wenige Bongosiedlungen. Seitdem die Bongo in Massen unter die Dinka geflüchtet waren, weideten jetzt auf den fetten Grasflächen des ehemaligen Kulturlandes nur noch Elefanten und Antilopen. Aus dem Grase starrten hin und wieder die verkohlten Reste großer Dörfer. In der nur spärlich bebauten Umgebung einer der Seriben war das nackte Gestein weit und breit mit menschlichen Gebeinen bedeckt. Zusammengeraubte Sklaven erlagen hier in Menge den Anstrengungen ihres Marsches, oft auch mögen sie wohl buchstäblich den Hungertod erlitten haben, sobald in dem öden Lande kein Korn mehr aufzutreiben war. Verbrannte menschliche Gebeine und verkohlte Hüttenpfähle bezeichneten hier das Vorrücken des Islam. Auch in den Seriben selbst harrte meiner ein empörendes Schauspiel: eine Anzahl hilfloser Kinder, Bilder des Jammers und des äußersten Elends.

Nach siebentägiger Wanderung durch fast unbewohnte Gegenden befand ich mich in der Hauptseriba Mohammeds, die nach dem Anführer seiner Bongo den Namen Ssabbi trug; sie war von zahlreichen Dörfern und ausgedehnten Feldern umgeben. Von hier aus beherrschte Mohammed seine Bongo- und Mittugebiete, die in ihrer längsten Ausdehnung nicht weniger als 120 Kilometer maßen. Die Speicher der Bongo waren jetzt gefüllt, da die Ernte soeben erst beendet war. Da ging es lustig her, und meine nächtliche Ruhe war häufig durch wilden Lärm gestört. Aus dem Waldesdunkel machten sich die Orgien der Bongo vernehmbar. Nun geht es los mit dem Zappeln und Tanzen, die öltriefenden Kautschukgestalten beginnen ihre Schaukelbewegungen mit maschinenhafter Beharrlichkeit, bis die Lunge der Posaunenbläser erlahmt und die Fäuste der Paukenschläger steif werden. Eine Pause, dann beginnt das Toben von neuem. Der Gegenstand ihrer Späße ist in der Regel derbster Art.

Alle Welt klagte über Verarmung und Verödung des Landes. Die hier seßhaft gebliebenen Bongo hatten ihren frühern Reichtum an Schafen, Ziegen und Hühnern längst eingebüßt, auch der Kornbau war vernachlässigt worden. Sie erzählten, sie hätten im ersten Jahr des Eindringens der Chartumer alle ihre Schafe, Ziegen und Hühner aufgegessen, aus Angst, daß ihnen nun alles genommen werden würde. War die Ernte ergiebig, so schwelgte man, bis der Vorrat aufgebraucht war. Verhungern können die Leute nicht so leicht, da die weiten Wälder unerschöpfliche Vorräte an Knollen und Früchten bergen. An Fruchtbarkeit stand die Gegend meinem frühern Standquartier nicht im geringsten nach. Aber die Fläche des angebauten Landes war weit geringer. Was ein jeder besaß, suchte er ängstlich zu verbergen.

In voller Sicherheit, bei unbeschränkter Gastfreundschaft und achtungsvoller Behandlung verlebte ich in Ssabbi angenehme Tage, die ich mit kleinen Ausflügen, Jagd, ethnographischen, botanischen und zoologischen Beobachtungen ausfüllte. Den Dezember und die erste Hälfte des Januar 1870 verbrachte ich auf einer weit nach Osten und Südosten ausgedehnten Rundreise durch das benachbarte Land der Mittu. Überall fand ich in den Seriben Mohammeds den freundlichsten Empfang und reichliche Bewirtung, meine Leute aber konnten schwelgen. In einer Seriba sah ich eine Sklavenkarawane, 150 junge Mädchen und kleine Kinder, die für die Nacht in zwei Hütten zusammengepfercht waren, im übrigen aber menschlich behandelt wurden. Eine Anzahl alter Sklavinnen war mit der Beaufsichtigung und Beköstigung der Kinder betraut, die Bewirtung schien mit vieler Ordnung vor sich zu gehen. Auch für meine Begleitung ward auf das beste gesorgt. Freilich wurde in diesem unglücklichen Land eigentlich jeder Bissen zum Gewissensbiß, das Brot, das man aß, wurde den Ärmsten entrissen. Man schwelgte im Überfluß von Rindfleisch, aber man hatte es geraubt von armen Wilden. Mancher Beschwerde war ich ausgesetzt, da ich auch ärztlichen Rat zu erteilen hatte. Die Veranlassung waren gewöhnlich kleine Verletzungen und Grasschnittwunden, die durch eine unvernünftige Heilmethode verschlimmert worden waren. Ich sah Leute, denen einzelne Zehen fehlten, andere hatten am Schienbein oder auf dem Rücken des Fußes die ekelhaftesten Wunden. Gelegentlich habe ich diese aufgedrungene ärztliche Tätigkeit zu einer derben Strafpredigt benutzt: Es sei merkwürdig, daß das Gras nur hier so böse sei, es sei gewiß eine Strafe Gottes für die Räubereien an fast wehrlosen Wilden!

9. Mohammeds Strafpredigt

Der Weg führte wiederholt über ansehnliche Zuflüsse des Nil und durch Landschaften von malerischer Schönheit. Entzückend war vor allem die Seriba Mwolo der östlichste Punkt meiner Rundreise. Keine andere Gegend trug ein so eigenartiges Gepräge. Soweit das Auge reichte, war die Fläche mit riesigen Steinblöcken abenteuerlichster Gestalt, vereinzelten Gebüschgruppen und Bäumen und dazwischen mit freien Grasflächen bedeckt. Die reiche Farbenpracht der Landschaft prangte im bunten Laubschmuck des Herbstes. Aus den Baumgruppen schossen zierliche Fächerpalmen hervor, und jeder Felsblock, von Schlinggewächsen aller Art umfangen, lud zum Zeichnen ein. Die Seriba selbst, ein fürchterlich verworrener Pfahlbau, war einzig in ihrer Art. Die dichtgedrängte Masse der Hütten lehnte sich an haushohe Granitblöcke an, zwischen denen die stolzen Säulen der Fächerpalmen sich erhoben. Die kegelförmigen Hütten waren auf mit Ton bestrichene Gerüste gestellt, wie Papiertüten auf einen Tisch; davor der große Viehhof mit Hunderten von Rindern. Unter den Sonnendächern saßen die Viehhüter vom Dinkastamm um glühende Dunghaufen geschart; wonnig lagen sie in der weichen Asche und sogen mit Behagen den ihnen so lieben Duft ein.

Zu dem fremdartigen Wesen der Umgebung stimmte nicht nur der merkwürdige Baustil der Seriba, auch die vierfüßigen Bewohner der Gneisfelsen, die auf meiner Zeichnung rechts im Vordergrund erschienen, waren Sonderlinge ersten Rangs. Klippschliefer trieben dort ihr Wesen und konnten, sobald es dunkelte oder am frühen Morgen, bequem beobachtet werden. Wie Murmeltiere sitzen sie am Eingang ihrer Schlupfwinkel, in die sie sich bei nahender Gefahr grunzend und schnalzend zurückziehen.

Eine halbe Stunde im Nordosten zwängt sich der Rohlfluß durch ein Bett wild übereinandergewürfelter Granitblöcke und gliedert sich in drei Arme. Die zwei größern Inseln sind mit dichtem Buschwald bestanden. Ein bezauberndes Vegetationsbild boten die Fächerpalmenhaine, die die Ufer beschatteten. Der nördliche Arm bildet einen jähen Sturz von 15 Metern, wildschäumend wirft er sich in die Höhlung der Felsblöcke, die von moosartigem Polster überzogen sind. Der gesamte Fall innerhalb der Stromschnellen beträgt mindestens 30 Meter. Weiter oberhalb fließt der Rohl wieder in regelmäßigem Bett von 30 Meter Breite. Zwischen den Blöcken, die so glatt und rein waren wie Marmorbänke, befanden sich Becken mit kristallhellem Wasser. Hohe Fächerpalmen und dichtes Gebüsch verbreiteten kühlen Schatten; es war ein Ort, geweiht den Nymphen des Waldes und der Quelle.

Die Seriba Kuraggera, wie der Ort nach dem Dorfältesten genannt wurde, war der südlichste Punkt meiner Rundreise. Hier traf ich mit meinem Beschützer Mohammed Abd-es-Ssammat zusammen, der sich bei dieser Gelegenheit von einer neuen überraschenden Seite zeigte. Er bestimmte einen ganzen Tag zu Festlichkeiten in großartigem Stil. Seine Völker, in Gruppen von je 500 Mann nach den Stämmen abgesondert, sollten Kriegstänze zum besten geben, würdig ihres Gebieters. Er selbst war überall mitten unter ihnen. Seine Lustigkeit ging soweit, daß er sich selbst wie ein »Wilder« ausputzte, wozu sich kein anderer Nubier verstanden hätte. Bald war er mit Lanze und Schild, bald mit Pfeil und Bogen in der Hand unermüdlich bis zum Abend als Vortänzer der einzelnen Gruppen tätig. So war er ein echter Njere-Goio, ein Festordner. Hier tanzte er als Bongo, dort als Mittu; bald erschien er als Niamniam aufgeputzt im bunten Fellschurz, bald ahmte er den Mangbattu nach, denn überall war er zu Hause, und die nötigen Kostüme waren leicht beschafft. Unter den Bongo von Ssabbi gab es mehrere; die für theatralische Darstellungen ein besonderes Geschick an den Tag legten. Zum Ergötzen der umstehenden Nubier veranschaulichten sie die Szene, wie Abd-es-Ssammat einen Gegner überfallen und geprügelt hatte. Dazwischen ertönte ein unaufhörliches Knallen bei Gewehre, und die Donnerbüchsen, die handvollweise mit Pulver geladen wurden, umhüllten für einige Minuten die Gruppen der Tanzenden mit dichten Rauchwolken. Der Lärm und Staub, der den ganzen Tag über währte, ermüdete mich mehr als der stärkste Tagesmarsch.

Am nächsten Tag rief Mohammed die neuunterworfenen Häuptlinge der Madi zusammen, um ihnen ihre Obliegenheiten einzuschärfen. Ich war Zeuge dieser charakteristischen Szene, und da der Dolmetscher in sehr umständlicher Weise Satz für Satz den Negerhäuptlingen übertrug, so entging mir kein Wort. Mohammed begann mit schrecklichen Drohungen und Flüchen; dann malte er mit den grellsten Farben die fürchterlichsten Strafen aus, die ihrer harrten, falls sie ihm ungehorsam werden sollten. Auf der andern Seite brüstete er sich mit seiner Großmut.

»Seht,« so sprach er, »eure Weiber und Kinder will ich nicht, euer Korn nehme ich nicht, aber ihr müßt für die Fortschaffung meiner Vorräte Sorge tragen, damit die Leute in der Seriba nicht verhungern. Du, Kuraggera, gehst jetzt in die Dörfer und rufst die Männer und Jünglinge zusammen, die Weiber und Jungfrauen, die Wasser holen vom Bach, und dann befiehlst du ihnen, daß sie samt und sonders in der Frühe sich hier einfinden. Sie müssen das Korn nach Derago schaffen. Die Ballen sind von allen Größen, den Kräften des Einzelnen entsprechend. Und wenn einer der Träger unterwegs davonläuft und seine Last wegwirft, dann — sieh! reiße ich dir dies Auge aus. Und wenn eine Last abhanden kommt oder gestohlen wird, hacke ich dir mit diesem Schwert den Kopf ab!« Bei diesen Worten sauste das riesige altdeutsche Ritterschwert an dem Haupt des Madi-Ältesten vorbei.

»Und nun zu dir, Kaffulukku. Ich weiß, die Leute Poncets sind neulich gekommen und haben sich zwei Elefanten geholt. Du hast ihnen Boten geschickt um des Lohnes willen, den sie dir versprachen! Du aber, Goggo, warum ließest du das zu auf deinem Gebiet? Wenn die Leute Poncets wiederkommen, so schlagt sie tot! Und wenn sich das noch einmal wiederholt, so müßt ihr es mit dem Leben büßen, und wenn einer von euch Elfenbein hinträgt zu den Nachbarn in die fremden Seriben, so lasse ich ihn lebendig verbrennen! Daß ihr es euch nicht einfallen lasset, einem meiner Leute ein Leid zuzufügen: da zieht ein Türke allein des Wegs, und die Neger schleichen nebenher im Gras und schießen mit Pfeilen, und der Türke stirbt — seht! die Ratten vergraben sich in der Erde, und die Frösche und Krabben haben ihre Löcher, aber man gräbt sie aus, und die Schlangen verkriechen sich im Stroh, aber man zündet es an. Und wollt ihr uns die Steppe über den Köpfen in Brand stecken, dann mache ich ein Gegenfeuer, und euer Verrat wird zuschanden. Wollt ihr aber in die Höhlen von Derago fliehen, dann schieße ich mit Schiteta, mit Paprika, aus Elefantenbüchsen in eure Schlupfwinkel, und ihr müßt hervorkriechen und mich um Gnade anflehen. Oder aber: Das Wasser hier im Bach fließt spärlich, da kommen die Neger und legen böse Wurzeln in den Chor, in den Bach, und die Türken trinken, und die Türken sterben — glaubt ihr denn, ihr seid wie die Vögel, daß ihr davonfliegen könnt, um meiner Rache zu entgehen?« In diesem Ton ging es noch eine Weile fort.

Kurz vor dem Abmarsch erlebte ich in Kuraggera noch eine komische Szene. Mohammed mühte sich ab, den Madi-Ältesten die Zahl der erforderlichen Träger begreiflich zu machen. Die Madi können, wie die meisten Völker von Afrika, nur bis zehn zählen. Rohrhalme waren bündelweise zu zehn und zehn zusammengebunden, und der Neger, hatte er sie einmal in Händen, begriff ganz gut die Zahl, er konnte sie nur nicht aussprechen. »Hast du jetzt begriffen?«, wurde Kuraggera gefragt, der 1530 Leute zu stellen hatte. Er machte eine bejahende Geste, dann erhob er sich und schritt, das mächtige Paket Rohrstäbe unter dem Arm, seinem Dorf zu.

Am 15. Januar 1870 betrat ich wieder die gastlichen Hütten von Ssabbi. Der Ausflug nach Osten hatte eine Gesamtlänge von 390 Kilometern erreicht. Wenn mein Weg sich auch an einigen Stellen mit den Wegen des Franzosen Poncet und des britischen Konsuls Petherick (1859 und 1863) berührte, war es mir doch vergönnt, das Gebiet eines Volkes, das bis dahin selbst dem Namen nach völlig unbekannt war, in fast allen seinen Teilen durchwandert zu haben. Die Mittu, wie die Chartumer diese Volksgruppe nennen, können sich alle untereinander verständigen, wenngleich verschiedene Dialekte gesprochen werden. Am meisten nähern sie sich den Bongo, von denen sie sich jedoch vor allem durch einen weit schwächlicheren Körper unterscheiden. Nichts erklärt in dem durchweg fruchtbaren Lande diese Schwächlichkeit; die Mittuvölker sind ebenso fleißige Ackerbauer wie die Bongo und bauen die mannigfaltigsten Getreidearten Knollengewächse, Öl- und Hülsenfrüchte. Wesentliche Unterschiede verraten die Stammeseigentümlichkeiten der Mode.

Die Frauen leisten an fratzenhafter Verunstaltung des Gesichts Unübertreffliches. Kreisrunde, talergroße Scheiben, bis drei Millimeter dick und drei Zentimeter im Durchmesser, werden in beide durchlöcherte Lippen hineingezwängt. Diese dehnen sich zu enormem Umfang wagerecht aus. Wenn die Frauen trinken wollen, müssen sie die Oberlippe mit dem Finger hochheben und das Getränk in den Schlund gießen. Auch kegelförmig geschliffene Quarzstücke, die eine Länge von sechs Zentimetern erreichen können, stoßen sie durch die Lippen. Die Madi, die nicht zu verwechseln sind mit dem gleichnamigen Stamm am obern Weißen Nil, verfertigen Kappen, die aufs zierlichste mit bunten Perlen bestickt sind und genau der Schädelwölbung angeschmiegt werden. Tätowierung spielt eine größere Rolle nur bei den Männern; man erkennt die Madi sofort an den zwei Reihen von Punkten, die von der Nabelgegend aufwärts nach den Schultern zu verlaufen. Die Frauen der meisten Stämme haben auf der Stirn gewöhnlich zwei parallele Punktreihen tätowiert. Sehr mannigfaltig sind die kleinern, aus Kupfer und Eisen hergestellten Zieraten, Glöckchen und Schellen, kleine Anker und Beile. Der Rand der Ohrmuschel ist bei allen Frauen mit einer Menge von kleinen Ringen geziert. Alles, was diese Volksstämme an Gebrauchsgegenständen auf dem Leibe tragen, muß an Ketten hängen. Die Armringe haben häufig einen scharfkantigen oben gezackten Rand, der mit Dornen versehen ist, um im Einzelkampf die Wirkung der Schläge zu verstärken. Männer und Frauen tragen fingerdicke Eisenringe eng um den Hals geschmiedet, zu zwei, drei, ja vier übereinandergeschichtet. Auch massive Halsbinden von Leder, stark genug, um Löwen an die Kette zu legen, sind in Gebrauch. Erst Tod und Verwesung erlösen die Mittu von diesen Fesseln der Mode, man müßte geradezu den Kopf abschneiden, um die Ringe vom Halse zu entfernen.

In vieler Hinsicht stehen die Mittuvölker den Bongo weit nach. Man erkennt dies am deutlichsten an den kleinen, nachlässig gebauten Hütten, deren Größe oft nur wenig die eines mäßig übertriebenen Reifrocks von anno 1856 übersteigt; nur in ihren musikalischen Leistungen übertreffen sie alle Nachbarvölker. Auf der Flöte sind namentlich die Madi Meister. Von den Mittu wird die Musik wirklich melodisch behandelt. Ich hörte sie im Chor singen, wobei sie ein genau eingehaltenes Motiv zu variieren bestrebt waren. Taktmäßig unterstützten Männer und Weiber, alt und jung, den hundertstimmigen Chor.

10. Tod dem Blattfresser

Von der Reise durch das Mittuland nach Ssabbi zurückgekehrt, erledigte ich in zwei Wochen die letzten Vorbereitungen für den Weitermarsch. In Gegenden, wo es kein anderes Transportmittel gibt als die Köpfe der Eingeborenen, verfügte ich allein zur Fortschaffung meiner naturwissenschaftlichen Sammlungen über vierzig auserlesene Träger. Ich verdankte diesen Vorteil meinem Freunde Mohammed Abd-es-Ssammat, diesem merkwürdigen Afrikaner, der seine »Bande« mit meisterhaftem Geschick behandelte, bald gemütlich und freigebig, bald rücksichtslos wie ein kleiner Tyrann, sobald er seiner Sache sicher war.

Es war eine buntscheckige Gesellschaft, die am 29. Januar 1870 von Ssabbi aufbrach, bald in, getrennten Abteilungen — auch Leute des Ghattas hatten sich auf Grund einer besonderen Abmachung dem Zuge angeschlossen —, bald vereinigt. Im ganzen waren es etwa 1000 Köpfe, Bewaffnete, Träger, ein Korps von Weibern und Sklavinnen, viele Knaben als Gewehrträger, alle begleitet von einer Rinderherde, die die Ghattassche Gesellschaft aus dem Dinkalande geraubt hatte. Ein unendlicher Zug, der sich oft über mehr als sieben Kilometer ausdehnte, schlängelte sich im Gänsemarsch durch Steppe und prachtvolle Parklandschaft, durch menschenleere Grenzwildnisse zwischen feindlichen Stämmen. Schon vor Überschreitung der Wasserscheide zwischen Nil und Uelle ändert sich wieder einmal die Pflanzenwelt. In wunderbarer Einfachheit gliederten sich auf meiner über 26 Breitengrade sich erstreckenden Reise die Gebiete der Pflanzenverteilung je nach der geographischen Zone und den meteorologischen Verhältnissen. Zuerst 1500 Kilometer trostlose Wüste; dann sah der Wanderer sie schrittweise übergehen in die weiten, baumlosen, aber mit ununterbrochenem Graswuchs bekleideten Steppen. Aus diesen gelangte er in die lieblichen Gefilde des Buschwaldes, wo die Gewächse sich des kummervollen Dornschmuckes der Wüste entkleideten und ihn wieder das weiche Laub der Heimat umfing. Jetzt erst betrat er dasjenige, was man mit Fug und Recht Urwald nennen konnte. Mit prachtvollen Walddickichte am Bach bei Kulenscho beschäftigten mich den ganzen Tag. Zum erstenmal erschlossen sie den vollen Zauber dieser Pflanzenwelt, die von der Flora der bisher durchforsteten Nilgebiete so ganz verschieden war.

In einer großen Seriba Mohammeds, der Seriba Ssurrur, 167 Kilometer südlich von Sfabbi, unter 4 Grad 50 Minuten nördlicher Breite, blieb ich einen halben Monat, vom 10. bis 26. Februar 1870. Hier, bereits unter den Niamniam, über die ich noch eingehend zu berichten habe, hatte Mohammed einen ehemaligen Landsknecht aus fürstlichem Geblüt als Häuptling über das gewaltsam gewonnene Gebiet eingesetzt. Er besaß solcher Landsknechte viele, die aus dem Niamniamland stammten und eine Hauptstütze seiner Macht bildeten. Unterstützt durch eine Streitkraft, die aus 40 bis 50 mit Flinten bewaffneten Nubiern bestand, beherrschte Ssurrur das gut bevölkerte, 2400 Quadratkilometer umfassende Gebiet. Das Verhältnis der Niamniam zu ihrem Beherrscher war überall ein bei weitem minder knechtisches als bei den Mittu und Bongo.

Größere Zwischenfälle ereigneten sich nicht. Die Bevölkerung zeigte sich friedlich, und Mohammeds Trägerkarawane hatte in einem halben Jahr nur zwei Tote aufzuweisen. Einer starb an einer Magenüberladung, den andern hatte ein Löwe vom nächtlichen Wachtfeuer weggeholt.

Bedenklich wurde die Lage, als man in das Gebiet des Häuptlings Uando kam. Er hatte angeblich gedroht, diesmal sollte ihm Mohammed nicht entgehen, er wolle ihn vernichten mit allen seinen Leuten; auch der »Blattfresser« — der Mbarik-päh, wie man mich wegen meiner botanischen Sammlungen zu nennen pflegte — müsse das Schicksal Mohammeds teilen. Aber Uando überlegte sich die Sache schließlich und ließ durch Boten mit versöhnenden Bierkrügen seine friedlichen Absichten aussprechen. Bei unserer Rückreise hat er dann das Versäumte nachgeholt.

Der kritische Punkt lag glücklich hinter der Karawane, die von da ab in zwei Abteilungen, Mohammed und Ghattas, marschieren konnte. Kurz darauf, am 2. März 1870, kam ich an eine Linie von der größten Bedeutung. Als der erste von Norden kommende Europäer überschritt ich die südliche Wasserscheide des Nil. An dem denkwürdigen Tag, an dem ich den Linduku verließ, den letzten von mir passierten Nilzufluß, hatte ich freilich keine Ahnung von der Bedeutung der Scholle Landes, auf der meine Füße weilten. Klar wurde mir die Wasserscheide erst, als ich mir aus den Angaben der Niamniam Aufklärung verschaffte über die Zugehörigkeit des folgenden Flusses, des Mbruole, zum System des Uelle. Südwärts vom Linduku ging es bergauf, bergab durch tiefe Einschnitte, während zu beiden Seiten kleine Hügelkuppen auftauchten, die die welligen Bodenfalten beträchtlich überragten.

Die Meereshöhe der eigentlichen Wasserscheide schätzte ich auf etwa 1000 Meter. Wir waren bei den vielfachen Störungen und Abweichungen, die die Geländeverhältnisse der Wasserscheide mit sich brachten, vom Linduku aus noch kaum sieben Kilometer vorgedrungen, als wir schon die Ufer eines Nebenflusses des Uelle, des Mbruole, erreichten. Dieser floß, von breiten Waldsäumen umgürtet, in einer wenig eingesenkten Niederung dahin, 25 Meter breit bei zweidrittel Meter Wassertiefe, mit ziemlich langsamer Strömung. An dieser Stelle war im vergangenen Jahr ein Schimpanse erlegt worden. Für die Wasserscheide war diese Tatsache von besonderm Interesse, denn in allen nördlich von hier gelegenen Uferwaldungen hatte ich nirgends den Nachweis erhalten, daß man dieser Menschenaffen ansichtig geworden wäre; der erste nicht mehr zum Nilsystem gehörige Fluß sollte nun erst Kunde von ihrem Vorkommen geben.

Nach einstündigem Marsch durch offene Steppe gelangten wir an eine große wasserreiche Niederung. Es war ein breiter Sumpfstreifen. Eine Pflanzenerscheinung neuer Art waren massige Dickichte von Pandanus, einer in den tropischen Florenbereichen der Alten Welt tonangebenden Charakterpflanze. Hier war der erste sichtbare Fingerzeig für das Betreten eines neuen Stromgebiets. Jetzt erst begannen die ernstlichen Schwierigkeiten afrikanischer Fußwanderung. Da lagen modernde Baumstämme, die beim Betreten sich tückisch drehten, andere waren glatt und boten dem Fuß keinen Halt, dann kamen tiefe, von Wasser erfüllte Löcher, oder von schwimmenden Pflanzen verräterisch überdeckte Fallgruben. Da gab es ein Springen von Erdklumpen zu Erdklumpen, wobei man balancieren und tasten mußte. Vergebens sah sich die Hand nach Hilfe um, die langen Pandanusblätter mit ihrem Sägezahnrand wiesen jeden Händedruck zurück. Des Schimpfens und Fluchens der Nubier, des Gepolters der Sklavinnen mit ihren Schüsseln, Kürbisschalen und Kalebassen im Gedränge in den stachligen Dickichten war kein Ende. Lustiges Hallo aus hundert Kehlen galt immer einer Sklavin, die mit ihrem ganzen Küchenkram in einer Lache verschwunden war, während die Kürbisschalen auf der trüben Flut schwammen. Ich war natürlich in beständiger Sorge um das Gepäck. Meine Bongoträger waren aber erprobte Männer und erfahren in dem Durchwaten solcher Sümpfe; keiner von ihnen kam zu Fall. Nach vollbrachtem Waten im Sumpf machte sich eine Reinigung notwendig von dem schwarzen Schlamm und Humusmoder, der zäh am Körper haftete. Fröstelnd stand der weiße Mann im Wind, bis hilfreiche Geister reines Wasser zum Abspülen entdeckt hatten. Dann fiel der Blick auf die dicken Blutegel, die an den Beinen hingen; mit Pulver aus dem Pulverhorn mußte man sie bestreuen, um sie zum Abfallen zu bringen, und die Kleider tränkten sich mit Blut.