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Loe raamatut: «Im Herzen von Afrika», lehekülg 9

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Der Mbruole war an dieser Stelle nur ein Galeriebach von dem üblichen Aussehen. Wir überschritten ihn und nahmen von den Hütten am jenseitigen Ufer Besitz. Eines nächtlichen Überfalls gewärtig zog ich es vor, mein Zelt inmitten der Hütten zu errichten und in der Nacht eine Lampe brennen zu lassen. Infolgedessen diente das Zelt den Pfeilen, die aus dem Wald kamen, zur Zielscheibe. Es war nämlich während der Nacht längs der ganzen Kette unserer Vorposten von den Eingeborenen geplänkelt worden, was ein fortwährendes Schießen von unserer Seite nach sich zog.

Um wieder auf den richtigen Weg zu kommen, mußten wir über den Mbruole zurück und an seinem Ufer zwei Stunden westwärts marschieren, dann erst wurde der Fluß von neuem überschritten und nach Norden weitergezogen. Wir lagerten bei verlassenen Weilern der Niamniam, die in dieser Richtung die nächsten Grenznachbarn der Gebiete Mohammeds waren. Auch hier war eine Treibjagd auf die überfallenen Eingeborenen vorangegangen, bevor wir mit dem Haupttrupp anlangten.

Eine zehnstündige Strecke fast ununterbrochener Grenzwaldung trennte uns noch von der Seriba Mohammeds, die uns Sicherheit bieten sollte. Nun wurde der nächste Weg dahin eingeschlagen, und in nördlicher Richtung kamen wir an den Linduku, den Nebenfluß des Jubbo, der noch dem Nilsystem zugehört und vor den übrigen Flüssen in dieser Gegend durch seine östliche Stromrichtung ausgezeichnet ist.

Schwimmend gelangte ich über das schmale, aber wasserreiche Flüßchen, während die Träger das Gepäck auf Baumstämmen hinüberschafften, die von Ufer zu Ufer geworfen waren. Der Jubbo aber war so angeschwollen, daß er nicht mehr durchwatet werden konnte. In aller Eile mußten Grasflöße hergestellt werden.

Der allgemeine Sammelplatz der Karawane war an der Stelle, wo wir unser erstes Nachtlager vom 26. Februar nach dem Aufbruch aus Mohammeds großer Seriba Ssurrur gehabt hatten. Hier wollte Mohammed eine neue Seriba gründen, da die alten Baulichkeiten schadhaft geworden waren und diese Lage zur Verteidigung gegen die Feinde im Westen und Süden geeigneter erschien. Außer Uando hatte er nämlich auf dieser Seite noch dessen Bruder Mbio zu bekämpfen, und ein vereinigter Angriff beider hätte Mohammeds Besitzungen in nicht geringe Gefahr bringen können. Ihr vorzubeugen sollte zunächst ein Kriegszug gegen Mbio unternommen werden. Bis zur Beendigung dieser Unternehmung hatte ich die Aufgabe, mit den kampfunfähigen Soldaten Mohammeds und den wenigen Getreuen seines Haushalts den Platz in halten.

Nach den Anstrengungen der Wanderung gönnte ich mir vom 1. Mai 1870 an einige Wochen gemächlichen Lagerlebens. Der Platz, auf dem wir, umwogt von einer Fülle großlaubiger Gewächse, in unsern versteckten Grasnestern saßen, hatte etwas Zutrauliches und Wohnliches. Die Luft war mild, und man atmete den würzigen Hauch der Blätter wie nach erquickendem Gewitterregen. Der Wiederbeginn des Regens hatte neues Leben ersprießen lassen. Nach Herzenslust schlenderte ich durch die Gebüsche und bereicherte meine Sammlungen. Mohammed war inzwischen mit dem Bau seines Pfahlwerks beschäftigt, zu dem Hunderte von Eingeborenen die Baumstämme zusammenschleppen mußten: Die neue Seriba, ein Palisadenviereck von hundert Schritt im Geviert, konnte bereits am fünften Tag von den kriegsmüden und verwundeten Soldaten bezogen werden. Die alte Seriba war inzwischen geräumt worden, und als Mohammed aufbrach, zog ich es vor, an diesem ruhigen Platz mein Standquartier aufzuschlagen.

Ein arger Störenfried in diesem Idyll war der Hunger; die Vorräte waren erschöpft. Vor zwanzig Tagen durfte ich auf die Rückkehr Mohammeds nicht rechnen, und da die zurückgelassenen Lebensmittel äußerst knapp bemessen waren, mußte eine genaue Einteilung vorgenommen werden. Meine täglichen Rationen bestanden in einem kümmerlichen Huhn und einem Fladen von bitterm Eleusinebrot. Für die Jagd schien die Jahreszeit sehr ungünstig, außerdem waren wir der Gefahr eines feindlichen Handstreichs ausgesetzt. Es hieß, beständig auf der Hut sein.

Ein Rätsel ist es mir geblieben, womit die Bongo, unsere Träger, während dieser Zeit ihr Leben gefristet haben. Jedenfalls besaßen sie eine große Gewandtheit, sich aus dem Wald allerhand Eßbares zu verschaffen. Auch ich griff zu manchem Mittel, das mir die Wildnis darbot, um meine Küchenvorräte zu ergänzen. Auf dem Freiplatz der alten Seriba erhob sich ein großer alter Termitenbau; dieser wurde in jeder Nacht, die auf einen starken Regen folgte, zu einer unerschöpflichen Fundgrube für die allgemeine Küche. Es wimmelte immer von vielen Tausenden ausgeschlüpfter Termiten, die man mit geringer Mühe scheffelweise auflesen konnte. Sie gehörten der fettleibigen geflügelten Klasse der männlichen Tiere an. Sobald sie aus dem Bau gekommen sind, sammeln sie sich nach kurzem Schwärmen in dichten Haufen um den Fuß den Hügels und brechen sich die Flügel ab, die nur ein wenig nach vorn gerichtet zu werden brauchen, um sofort abzugliedern und den unbeholfenen Leib auf der Erde zurückzulassen. Mit brennenden Strohbündeln bringt man die noch nahe am Bau Umherschwärmenden leicht zum Fall; es regnet dann förmlich Termiten, so daß in kurzer Zeit große Körbe gefüllt werden können. Ich habe sie nicht selten, mit rohem Korn gemischt, handvollweise verspeist, als wären es Mandeln.

19. Ein luftiger Flußübergang

Da die Rückkehr Mohammeds sich verzögerte, trat ich am 21. Mai einen zehntägigen Streifzug nach Osten an, der durch eine abwechselnd wellenförmige und dann wieder von vielen Schluchten durchfurchte Gegend führte. Mit dem Hungerleiden war es vorbei. In den kleinern Niederlassungen Mohammeds fand ich gute Aufnahme, und die Jagd lieferte eine Menge Geflügel. An Mühseligkeiten fehlte es allerdings nicht. Bei Durchquerung einer Sumpfniederung, die in ihrer ganzen Breite von 700 Metern von einem einzigen, halb schwimmenden Papyrusdickicht eingenommen wurde, fiel ich in eine durch Sumpfgras verdeckte Lache. Über und über besudelt von schwarzem Humusmoder mußte ich herausgefischt werden. Von der letzten Niederlassung aus, der Seriba Tuhami, bis zu der ich östlich vordrang, bestieg ich den 15 Kilometer entfernten Baginse, eine Bergmasse von 400 Metern Höhe über dem Land. Er ist weithin sichtbar mit seinen gewaltigen Wänden, die ihn wie eine Insel aus der flachen Gegend emporsteigen lassen. Auf halbem Weg kam ich zu einem starkströmenden Bach, dessen Ufer einen tiefen Riß in dem Gestein bildeten; es war der Ursprung des Djur, die tritt ??? wirkliche Quelle eines der Hauptzuflüsse des oberen Nil, zu der je ein europäischer Reisender vorgedrungen war.

Vom Gipfel des Baginse hatte ich eine prachtvolle Fernsicht auf ein Gebirgsland, dessen Meereshöhe ich auf 1300-1600 Meter schätzte. Der massige, ringsum freistehende, auf allen Seiten von Wind und Wetter benagte Berg, der höchste, zu dem mich meine ganze Reise geführt hatte, erschien mir wie ein Überrest der hohen Gebirge, die in Urzeiten das südwestliche Nilgebiet begrenzt haben müssen.

Bei dieser Gelegenheit war ich unwissentlich einer großen Gefahr entgangen. Wenige Tage nach meiner Abreise überfiel der benachbarte Stamm der Babuckur, der beständigen Raubzüge der Nubier müde, die Seriba Tuhami. Die Babuckur verbrannten die Niederlassung, und nur wenige ihrer Bedrücker entkamen. Ich selbst aber langte am 1. Juni wohlbehalten wieder in der Seriba Ssurrur an. Bald darauf kehrte auch Mohammed nach schweren aber erfolgreichen Kämpfen mit einem Teil des verlorengegangenen Elfenbeins zurück. Er ließ dann große Scharen botmäßiger Niamniam einen der gewöhnlichen Beutezüge in dem Sumpfgebiet der Babuckur unternehmen, um die hungernde Karawane mit neuen Kornvorräten zu versehen. Unter ihrer Führung war es zu argen Schandtaten gekommen. Eingeborene brachten mir mehrere Menschenschädel in frisch gekochtem Zustand, und vor einer Hütte sah ich einmal das neugeborene Kind einer fortgeschleppten Sklavin in den letzten Zügen. Erbarmungslos ließ man es solange liegen, bis es verendet sein würde, um dann in den Kochtopf gesteckt zu werden. Ich hätte die dabeisitzende Frau auf dem Fleck totschießen mögen, aber besann mich noch zur rechten Zeit auf den Wahrspruch der Nubier, den sie in ähnlichen Fällen anzuwenden pflegten: sie seien nicht als Sittenrichter ins Land gekommen. Für mich galt das in noch höherm Grade. Und welchen Zweck hätte auch mein einmaliges Einschreiten gehabt? Da fänden Missionare ein fruchtbares Feld für segensreiche Tätigkeit, aber entsagungsvolle, selbstverleugnungsfähige Männer müßten es sein.

Am 11. Juni wurde der Rückmarsch nach Norden fortgesetzt. Wiederholt hat sich auf dieser Strecke die Karawane geteilt. Zuerst kam eine Hiobspost von der Streitmacht, die mit der Ghattasschen Gesellschaft nach Westen geschickt war. Sie war beim Übergang über einen Waldbach von drei Häuptlingen der Niamniam überfallen worden. Gleich der erste Lanzenangriff bedeckte den Platz mit Toten und Verwundeten. Der größte Teil des Gepäcks ging verloren. Eine rasch errichtete Verschanzung wurde drei Tage lang wütend bestürmt. Als die Lanzen verbraucht waren, schleuderten die Feinde mit gewaltiger Wucht zugespitzte Pfähle. Ein Drittel der Soldaten war kampfunfähig gemacht worden, und nur unter Zurücklassung des Elfenbeins gelang es ihnen, nach sechstägiger Einschließung zu entkommen, noch bevor Mohammed mit einer starken Entsatzkolonne zu Hilfe eilen konnte.

Am 24. Juni 1870 galt es, den wasserreichen Tondjfluß zu überschreiten, mit dem das Gebiet der Niamniam verlassen wurde. Mohammed hatte Boten vorausgeschickt, um die Ankunft der Karawane zu melden, damit Zeit gewonnen wurde, die zum Übergang über den Fluß erforderliche Brücke zu schlagen. In der Tat waren, als wir anlangten, die Arbeiten längst vollendet. Eine Hängebrücke höchst eigentümlicher Art spannte sich über das reißende, tiefe Gewässer. Mit Benutzung einiger starker Uferbäume waren Taue über den Fluß gespannt worden. Durch Querhölzer miteinander verbunden gaben sie einen mehr als luftigen Steg ab, der höchst gefährlich hin- und herschaukelte und mir den Übergang fast nur kriechend ermöglichte. Der Baustoff, aus dem die Hängebrücke hergestellt war, bestand ausschließlich aus den Reben von wildem Wein, die zu dicken Tauen von unvergleichlicher Festigkeit und Spannkraft zusammengeschlungen waren. Um die für die Spannung erforderliche Höhe zu gewinnen, war auf beiden Seiten ein Gerüst aus umgestürzten Bäumen errichtet worden, das zu den als Brückenpfeilern dienenden großen Bäumen hinaufführte. Es war ein verzweifeltes Klettern von Ast zu Ast auf diesem verworrenen Bauwerk, und nur die Gewandtheit eines Waldmenschen schien befähigt, solche Hindernisse zu überwinden.

Nach Überschreitung des Tondj am 24. Juni ließ Mohammed den Haupttrupp der Soldaten und Träger weiter nordwärts marschieren, während er selbst einen Abstecher nach Osten unternahm, um an den Grenzen seines Mittugebiets die dort aufgestapelten Elfenbeinvorräte abzuholen.

Ich schloß mich ihm mit dem unentbehrlichsten Gepäck an. Der Weg führte über zahlreiche Bäche, dazwischen durch ein schräg abfallendes Gelände, dessen Landschaft im Vergleich zu den frühern parkähnlichen Waldgebieten ein neuartiges Aussehen darbot. Viele Kilometer weit schweifte der Blick über baumfreie Steppenflächen, die ab und zu von undurchdringlichen Bambusdschungeln unterbrochen waren. Recht ergiebig war die Jagd. In der Seriba Mbomo, 39 Kilometer vom Punkt des Übergangs über den Tondj, konnte ich genauere Nachrichten über das Volk der Babuckur einziehen, deren östliche Hälfte, auf ein Gebiet von 1200 Quadratkilometern zusammengedrängt, sich gegen die Raubzüge der Chartumer Händler sowie der Niamniamhäuptlinge kräftig gewehrt hat. Sie sind ein Volk von typischer Negerrasse und sehr dunkler Hautfarbe. In die Enge getrieben, wehren sie sich bis aufs äußerste, und da der Kannibalismus unter ihnen ganz allgemein sein soll, begnügen sich die Eindringlinge gewöhnlich mit flüchtig aufgegriffener Beute. Die Babuckur haben eine unangenehme, ausdruckslose Gesichtsbildung. Die Frauen sind in der Regel ein Ausbund von Häßlichkeit und entstellen ihre unregelmäßigen Züge noch durch künstliche Mittel in einem Grad, der alles bisher Gesehene in den Schatten stellt. Die verheirateten Frauen durchbohren Ober- und Unterlippe, sowie die Ränder der Ohrmuschel und stecken zweieinhalb Zentimeter lange Grashalme durch die zahlreichen Löcher; auch die Nasenflügel werden in ähnlicher Weise behandelt.

In Mbomo trennte ich mich von Mohammed, der noch andere Seriben besichtigen wollte, und schlug mit wenigen Begleitern den nächsten Weg nach Mohammeds Hauptstützpunkt, der Seriba Ssabbi, ein.

Am zweiten Tag des Marsches durch menschenleere Waldeinöde hatte ich ein höchst unangenehmes Erlebnis beim Übergang über einen breiten reißenden Bach. Während meine Leute über eine schnell hergestellte Brücke schritten, stieg ich ins Wasser, um der mir lästigen Kletterei zu entgehen. Mit wenigen Schwimmstößen gedachte ich drüben zu sein. Aber auf halbem Weg fühlte ich mich an allen Gliedern aufs schmerzhafteste gepackt: ich war an einem vom Bach überschwemmten Dornbusch von Mimosa gestrandet! Schwimmen mußte ich um jeden Preis, so riß ich mich verzweifelt los und erreichte schließlich, aus hundert Kratzwunden blutend, das Trockene. Es war mir zumute, als hätte ich mich am ganzen Leib schröpfen lassen. An teuflischer Erfindungsgabe wäre ein mittelalterlicher Folterapparat durch diese Mimosa beschämt worden. Ihre Blättchen, genau wie die der schamhaften Sinnpflanze, sind in hohem Grad empfindlich und legen sich bei jeder Berührung scheu zusammen, sind aber voller Widerhaken.

Einer der nächsten Tage brachte eine neue sehr bedenkliche Begegnung. In dichter Buschwaldung glaubte ich einen schwarzen Baumstamm vor mir zu sehen. Plötzlich beginnt die dunkle Masse sich zu bewegen, auf kaum zehn Schritt werden zwei breite Hörner sichtbar. Ohne lange Überlegung schieße ich, aber in demselben Augenblick saust es wie ein schweres Wetter an mir vorüber. Es war in dichtgedrängter Masse ein Trupp von zwanzig grunzenden Büffeln, die Schwänze hoch in der Luft. Rauschend, krachend wie ein Felssturz aus Bergeshöhe schoß er dahin. Verschwunden waren die Büffel, aber fernhin rollte der Donner ihrer Hufschläge.

Eines meiner Nachtlager ist mir durch einen Umstand in Erinnerung geblieben, der anzeigt, daß jene undurchdringlichen Wälder doch beständig von jagenden Eingeborenen durchstreift werden. Beim eiligen Aufbruch in der Frühe war in meiner Grashütte ein zum Trocknen aufgehängtes Paar Stiefel vergessen worden. Ein solcher Verlust wäre für mich unersetzlich gewesen, und Boten mußten zu der Stelle zurück, als nach einigen Tagen die Stiefel vermißt worden waren. Mittlerweile hatten Landstreicher rätselhafter Art die verlassenen Hütten einer genauern Durchsicht unterzogen, und längst hatte das scharfe Auge des Jägers den seltsamen Fund erspäht. Die Stiefel hingen noch immer am alten Fleck, aber die kleinen Messingringe in den Schnürlöchern waren behutsam aus dem Leder entfernt. Ein ungeahntes Schicksal war ihnen beschieden; sie sollten dereinst an Ohr oder Nase einer schwarzen Schönen erglänzen.

Am 3. Juli war ich wieder in der Seriba Ssabbi, dem Ausgangspunkt der großen Südreise. Ich zähle diese Reise zu den angenehmsten und glücklichsten Entdeckungszügen, die je in einem so entlegenen Teil Afrikas unternommen worden sind. Sie war angenehm infolge meiner tadellosen Gesundheit und des ausgezeichneten Klimas des Niamniamlandes, glücklich durch die Gunst der äußern Verhältnisse. Sie hatte 156 Tage gedauert; die zurückgelegte Wegstrecke betrug, von den kleinern Biegungen abgesehen, volle 1100 Kilometer. Dabei waren die Tagemärsche oft von einer Kürze gewesen, die mich in Verzweiflung bringen konnte; an eigentlicher Marschdauer hatte, dem Tagebuch zufolge, die ganze Reise 248 Wegstunden erfordert.

In Ssabbi hielt ich nach den Gewaltmärschen der letzten Tagereisen kurze Rast. Ich erhielt hier ein dickes Paket Briefe und verbrachte die ungewohnte Muße im angenehmen Lesen der angehäuften Briefschaften. Hier ging mir auch die erste Kunde zu von dem Versuch der ägypischen Regierung, im Gebiet des Bahr-el-Ghasal festen Fuß zu fassen. Kutschuk-Ali, ein bald darauf gestorbener Chartumer Elfenbeinhändler türkischen Ursprungs, war vom Generalgouverneur an die Spitze von zwei Kompanien Regierungstruppen gestellt worden. Ihr Erscheinen rief große Bestürzung hervor; alle Seriben wurden nun für Regierungseigentum erklärt, der Handel im Gesamtgebiet des obern Nil verstaatlicht. An Stelle kaufmännischer Verwalter traten Militärpersonen, und die privaten Söldnerbanden wurden der Sudanarmee einverleibt. Darüber ist es bald zu blutigen Streitigkeiten und später zu einem sehr ernsthaften Krieg der Regierung mit den Sklavenhändlern gekommen.

Die Erholungspause beschränkte sich auf fünf Tage. Mohammed war nicht eingetroffen, er sammelte bei seinen Mittu immer noch zwangsweise Kornvorräte. Inzwischen herrschte in Ssabbi bittere Not, und schon am 8. Juli mußte ich mit frischen Trägern, aber ohne Proviant aufbrechen. Die Träger haben in den nun folgenden anstrengenden Tagen Unglaubliches geleistet, denn die auf dem Wege liegenden Seriben waren ebenso ausgehungert wie Ssabbi. Diese Leute lebten auf der ganzen fünftägigen Reise ausschließlich von wilden Wurzeln und Knollen, die sie im Wald ausgruben. Erst am Morgen des letzten Marschtages kam Hilfe, indem ihnen Körbe mit Getreide entgegengeschickt wurden. Gierig fielen die Träger darüber her und verzehrten die Körner ungekocht, indem sie sich diese handvollweise in den Mund stopften. Dann folgte, am 12. Juli, ein schwieriger Übergang über den mächtig angeschwollenen Tondj, der weit in das anliegende Gelände ausgetreten war. Über den Fluß selbst kam die Karawane nach und nach unter Anwendung aller Vorsicht auf einem gebrechlichen aus Grasbündeln bestehenden Floß. Am Abend des 13. Juli wurden die ersten Hütten der Seriba Ghattas erreicht. Damit war ich, nach einer Abwesenheit von acht Monaten, wieder glücklich in meinem alten Standquartier angelangt.

20. Der unglücklichste Tag meines Lebens

Fast den ganzen Rest des Jahres 1870, über fünf Monate, habe ich in der Seriba Ghattas verbracht, eine Zeit ruhiger Arbeit, die nur zweimal durch kleine Ausflüge unterbrochen wurde. Der Reiseplan, auf Grund dessen die Berliner Akademie der Wissenschaften die Mittel bewilligt hatte, war durchgeführt, aber ich trug mich mit dem Plan einer zweiten Reise in das Niamniamland, deren Verwirklichung mir das Eintreffen neuer Vorräte ermöglichen sollte. Ich konnte jetzt die mir bekannten Seribenverwalter durch Geschenke an Mänteln, Pistolen und Flinten verpflichten, jede Dienstleistung durch Perlen und Zeuge belohnen. Auch konnte ich wieder einigermaßen europäische Lebensart pflegen, sogar Wein trinken konnte ich, was im Innern Afrikas ein rätselhaftes Glück war. Ein ganz besonderer Glücksfall war es, daß ich Berichte über die reichen Ergebnisse des letzten Jahres noch rechtzeitig hatte abschicken können; es war der einzige Ersatz für den spätern Verlust fast aller meiner Papiere. Briefe nach Europa, die ich meinem Freund Mohammed nach der Meschra mitgegeben hatte, waren schon nach fünf Monaten in den Händen der Empfänger.

Auf dem Rückzug von der Meschra erging es Mohammed recht schlecht. Einer seiner Widersacher unter den Händlern hatte ihm im dichtesten Wald einen Hinterhalt gelegt. Seine Chartumer Soldaten weigerten sich, auf die Wegelagerer, ihre Glaubensgenossen, zu schießen. So blieb Mohammed auf die Hilfe seiner schwarzen Landsknechte angewiesen, von denen mehrere niedergemacht wurden. Auch ein Vetter Mohammeds wurde erschossen. Er selbst wurde zu Boden geschlagen, erhielt eine Menge Säbelhiebe über den Kopf und wurde im Blut schwimmend liegengelassen. Sämtliche Vorräte wurden geraubt. Der Befehlshaber der ägyptischen Regierungstruppen aber blieb trotz aller Zeugenaussagen gleichgültig und schritt nicht ein.

Auch sonst ließen die Sicherheitszustände viel zu wünschen übrig. Ich selbst aber war auf meinen Ausflügen von Gewalttätigkeiten verschont und konnte mich in meiner Hütte behaglich einrichten.

Ich legte mir eine kleine Menagerie an. Mohammed schenkte mir ein erbeutetes Elefantenjunges, das mit Kuhmilch aufzuziehen versucht wurde. Vor der Hütte standen Esel und Kuh, im Innern wurden untergebracht ein Kalb, Hunde, zwei Karakalluchse, ein Honigdachs und ein Zebraichneumon. Leider hatte ich meine Absicht aufgegeben, den Wohnsitz außerhalb der Palisaden aufzuschlagen, um so der feuergefährlichen Nachbarschaft so vieler Strohhütten zu entweichen. Der Oberverwalter hatte dies für gefährlich gehalten, und das ist mir zum Verhängnis geworden. Mitten unter den Vorbereitungen für eine neue Niamniamexpedition überraschte mich der unglücklichste Tag meines Lebens.

Als ich am 1. Dezember 1870 mit Briefschreiben beschäftigt war, erschreckte mich plötzlich der Ruf eines Bongo: »Poddu, poddu!« (Feuer!). Ich eilte vor die Tür und sah auch schon, nur durch drei Hütten von der meinigen getrennt, die Lohe aus der Spitze eines Kegeldachs emporschlagen. Die Windrichtung führte die Flamme gerade auf meine Behausung. Sofort kamen alle meine Leute herbeigesprungen, und jeder griff nach dem, was ihm gerade unter die Hände fiel. Ich selbst schleuderte die für einen solchen Fall bereits zurechtgelegten Manuskripte in einen großen Holzkasten; es war ein eitles Bemühen. Allerdings gelang es meinen Dienern, fünf Lederkoffer und zwei Kasten auf den nahen Freiplatz der Seriba zu schleppen, allein nur zu bald fegte die Lohe über den ganzen Platz. Kein Mensch hätte mehr standzuhalten vermocht. Auf der Flucht warf ich noch einen Blick auf den Rest meiner Habe: die Kasten begannen zu rauchen, und lange Flammensäulen bezüngelten sie. Es war für mich ein herzbrechender Anblick! Enthielten sie doch alle meine Manuskripte, die Reisetagebücher und die Notizbücher! Der Funkenregen versengte mir das Haar; heulend, mit verbrannten Füßen, folgten die Hunde, und atemlos hielten wir endlich unter einem großen Baum. Ich hatte nicht einmal nach meinem Hut greifen können.

Hinter uns erscholl das Krachen der zusammenbrechenden Dächer, ab und zu übertönt von dem dumpfen Schall der explodierenden Munitionsballen, während die zurückgelassenen Gewehre sich entluden und die Fliehenden bedrohten. Die Nubier benahmen sich überraschend ruhig. Die meisten von ihnen hatten nur wenig oder nichts zu verlieren, und so manches Schuldbuch mußte in den Flammen verschwinden. Nur die mohammedanischen Priester heulten und schrien vor ihren Hütten die gewohnten Beschwörungsformeln. Die ganze Seriba stand in vollem Brand. Bündel von glimmendem Stroh führte der Sturmwind mit sich und entzündete in wenigen Minuten auch die außerhalb des Pfahlwerks gelegenen Hüttengruppen. Die ausgedörrte Steppe fing ebenso leicht Feuer, und selbst die alten Bäume entflammten sich. Das Unheil währte indes kaum eine halbe Stunde. Die Leute brachten Wasser in Krügen herbei, um wenigstens einen Teil der glimmenden Kornvorräte in den großen Tonkrügen zu retten.

Als die Sonne sank, wurde das Nachsuchen in der glimmenden Asche meiner Hütte begonnen. Ich hatte wenig mehr als das nackte Leben gerettet: ohne Kleider, ohne Waffen und Instrumente, ohne Tee und Chinin stand ich jetzt vor dem Haufen Kohle und Asche, der die Frucht mehrjähriger Anstrengungen barg. Meine schöne Ausrüstung für die geplante Forschungsreise, die Sammlungen aus letzter Zeit, unter denen der Verlust der gesamten Ausbeute an Insekten und vieler wertvoller Erzeugnisse des afrikanischen Kunstfleißes am meisten zu beklagen war, meine Handschriften mit allen meteorologischen Beobachtungen, die ich von meinem Aufbruch von Suakin an täglich gebucht hatte und die allein gegen 7000 barometrische Ablesungen enthielten, die Reisetagebücher mit den Erlebnissen und Wahrnehmungen von 825 Tagen, die mühsam erlangten Körpermessungen und Wörterverzeichnisse, alles war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen geworden. Nichts war gerettet als mein Bettzeug, meine Zeichnungen, Schreib- und Zeichenmaterial, zwei Koffer mit drei Barometern und einem Kompaß und das der Asche entnommene Eisengerät aus den Werkstätten der Mangbattu und Niamniam.

Der Abend kam, mit ihm wie gewöhnlich die Kuh mit dem Kalb, um mir zwei Gläser Milch zu spenden. Ich zehrte von den letzten Überbleibseln meiner Vorräte. Um mich herum heulten die Hunde wegen ihrer verbrannten Füße. Die Diener und die Sklaven waren vergnügt, denn was hätten sie zu verlieren gehabt? Ich konnte die Häupter meiner Lieben zählen; es waren sieben vierbeinige und sieben zweibeinige.

Als es völlig dunkel geworden, glich die ehemalige Seriba einem glänzenden Kohlenfeld. Immer noch brannte der alte Feigenbaum vor dem Haupteingang in seinen höchsten Ästen mit heller Flamme, und das Pfahlwerk selbst umgab diese schreckliche Festbeleuchtung wie mit einem Kranz brennender Lämpchen. Den Nubiern war der Anblick nichts Ungewohntes, hatten sie doch selbst soviele Negerdörfer eingeäschert. Jetzt, da sie ihrer Vorräte beraubt, sich hungernd schlafen legen mußten, konnten sie an sich selbst erfahren wie es den Verfolgten zumute gewesen sein mochte.

Einen merkwürdigen Anblick gewährte die Landschaft in der Frühe des folgenden Tags. Schneeweiße Aschenfelder bedeckten den Boden und wechselten ab mit den halb verbrannten Kohlenschollen, wie auf einem Moorboden im Winter der Schnee mit den aufgeschichteten Torfstücken. Der auf dem Boden lagernde Rauch, die kahlen Bäume vervollständigten den Vergleich mit einer nordischen Winterlandschaft. Schwarze und braune Gestalten, in Lumpen gehüllt, strichen durch die verkohlten Trümmer und scharrten im Boden. Dazwischen lagen die gedunsenen Leiber halbgerösteter Esel und Schafe. Eine große Schar wassertragender Sklavinnen war immer noch bemüht, die glimmenden Kornhaufen zu löschen.

In den nächsten Tagen wurde schon mit dem Wiederaufbau begonnen. Hunderte von Bongo, Djur und Dinka eilten mit Bambus, Holz, Gras und Stroh herbei, um die neuen Hütten zu errichten. Aus dem Unglück wollte man nicht die geringste Lehre ziehen, die Seriba wurde nicht nur auf derselben Stelle, sondern auch ganz in derselben gedrängten Bauart wieder hergestellt.

Die Veranlassung zum Brand setzte mich nicht im geringsten in Verwunderung. Einer der Soldaten des Ghattas war mit seiner Sklavin in Streit geraten und hatte im Innern der engen Behausung sein Gewehr auf sie losgedrückt, um von ihr ein Geständnis zu erpressen. Zehn Minuten später stand die Hütte in Flammen. Die glimmende Papierpatrone hatte im Dachstroh Feuer angefacht. Die Schuld an allem trug nach meiner Ansicht der Verwalter Idris; denn weshalb gestattete er das wahnsinnige Schießen innerhalb der Seriba? Weshalb ließ er es zu, daß jeder nach eignem Belieben die Zahl seiner Hütten, Zäune und Sonnendächer vermehren durfte, wie man ähnliches in keiner zweiten Seriba zu sehen bekam? Er selbst trug noch dazu bei, den Strohwirrwarr zu vermehren, indem er dicht vor meiner Hütte ein großes Schutzdach, eine Rokuba, für sein Reitpferd bauen ließ.

Der Zerstörung der Seriba folgte auf dem Fuß die Hiobspost von der gänzlichen Niederlage der Abteilung, die bereits auf dem Vormarsch nach Süden ins Niamniamland begriffen war. Abgesehen von den eingeborenen Trägern hatten allein 150 Mohammedaner den Tod gefunden. Auch nach dieser Richtung hin war mir also jede Möglichkeit einer neuen Unternehmung vorläufig abgeschnitten. Das Unglück an sich, das mich betroffen, hätte mich keineswegs davon abzuhalten vermocht, die geplante zweite Niamniamreise ins Werk zu setzen. Wie aber konnte ich ein solches Vorhaben ausführen, da mir niemand die eingebüßten Ausrüstungsgegenstände zu ersetzen vermochte? Ich besaß weder Schuhe noch Stiefel, weder Munition noch Waffen, ich besaß keine Papiervorräte, keine Instrumente mehr, selbst die unentbehrlichsten Taschenuhren waren verloren. So mußte ich mich schweren Herzens zur Heimreise nach Europa entschließen.