Die Essenz

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Gerd Valentinelli

Die Essenz

Ein Reiseführer zu dir selbst

Verlag CSA

© Verlag CSA – Gabriele Lörcher

1. Auflage 2014

Lektor: Günter A. Furtenbacher

Umschlaggestaltung: Gabriele Lörcher

Umschlagfoto: Andy Dean

Portraitfoto von Gerd Valentinelli: Andrea Maier

Verlag CSA – Gabriele Lörcher

www.verlag-csa.de

ISBN ePub: 978-3-922779-34-6

ISBN Kindle: 978-3-922779-37-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.

Vorwort

Dieses Buch ist ein Reiseführer zu uns selbst – und noch mehr. Denn es beschreibt den Weg und das Ziel nicht nur auf profunde Weise, sondern wir können mit den Kapiteln dieses Buches bereits die Reise zu uns selbst direkt ausführen und erleben.

Wer mit Muße und Bereitschaft die Worte und Impulse des Autors in sich wirken lässt, kann die Dimension klar erfahren, die jenseits von Gedanken und Konzepten ist und in der sie oder er sich einfach und friedvoll zuhause fühlt.

Dieses Buch atmet sozusagen die Einfachheit, Leichtigkeit und Weite eines Lebens aus der Essenz. Denn der Autor ist in der Essenz verankert, sie ist für ihn seit Jahrzehnten sein natürliches Zuhause. Wenn er über die Essenz schreibt oder spricht, lässt sich spüren, dass sie für ihn ganz natürlich und gegenwärtig ist.

Dies erfuhr ich, als ich zum ersten Mal an einer Meditationsgruppe von Gerd teilnahm. Ich war erstaunt, wie einfach seine Worte waren, mit der er die Meditation begleitete. Und ich war erfreut, wie einfach sich in mir tiefer Friede ausbreitete. Seitdem konnte ich diese Erfahrung immer wieder machen: nicht nur bei Meditationen, sondern auch bei anderen Situationen im Zusammensein mit ihm fiel und fällt es mir leicht, in Frieden und Freude zu sein, diese und andere Eigenschaften in mir verstärkt zu erleben und zu genießen. Einfachheit, Leichtigkeit, Heiterkeit und Klarheit sind Qualitäten, die Gerd nicht nur in Gruppensituationen, sondern auch in ganz alltäglichen Situationen ausstrahlt.

Doch zurück zu diesem Buch. Da ich bereits mehrfach auf dieses Buch zurückgreifen konnte und es mindestens dreimal gelesen habe, darf und kann ich aus Erfahrung sagen: die Reise zu mir selbst ist mit den Ausführungen des Buches auch beim wiederholten Lesen möglich, und sie ist ein tiefgehendes Erleben, das sich auf einfache Weise einstellen kann. Denn die Sätze kommen aus der Essenz und sprechen mich als Essenz an. Sie akzeptieren und respektieren den Verstand, mit dessen Hilfe ich mich lesend bewege. Zugleich gehen sie den Weg voran, auf dem ich den Verstand sein lassen und mich tief einlassen kann auf das reine Sein, das ich bereits bin und das immer hier ist – und dies alles auf eine ganz einfache und natürliche Weise.

Ja, genau das ist es, was mir dieses Buch (und auch der Autor als Mensch) näher brachte: Ich bin immer das, wonach ich schon immer gesucht habe, ich bin es ganz einfach und natürlich – und es ist rein und friedvoll – und es ist hier und jetzt ein Feld voller Möglichkeiten. Eine dieser Möglichkeiten, die in diesem Buch sehr oft gebraucht werden, gefällt mir besonders gut: Ο Dieses Zeichen als Einladung zum Innehalten. Ich möchte es jeder Leserin und jedem Leser besonders ans Herz legen, diese Einladung beim Lesen oft anzunehmen, also wirklich mit dem Lesen innezuhalten und in sich selbst hineinzuspüren. Die Essenz ist ganz nah – viel näher, als wir oft geglaubt, so nah, dass wir sie meist übersehen haben.

Ο

Ich wünsche dir eine Reise, bei der du dich selbst zutiefst erlebst und zuhause ankommst.

Günter Alfred Furtenbacher

Reisevorbereitung

Du hast wohl schon viele abenteuerliche Wege auf der Suche nach wahrer Zufriedenheit und Gelassenheit hinter dir. Oft warst du am Ende deiner Kräfte, und alle Türen schienen dir verschlossen zu sein. Aber dieses bestimmte Gefühl, diesem Ziel sehr nahe zu sein, gab dir Mut, die Suche fortzusetzen.

Nun hältst du dieses Buch in deinen Händen. Schon zu Beginn der Lektüre bemerkst du: Das Ziel, das hier beschrieben wird, ist gar nicht so weit entfernt, wie du dir gedacht hast. Je tiefer du auf diesen Wegen dorthin wanderst, lösen sich nach und nach der Leser, der Autor und der Protagonist in dessen Essenz auf. Dies ist der Moment, wo du dich selbst angekommen fühlst. Nun bist du die Essenz.

Ο

Der Kreis zwischen den Absätzen bedeutet: Nimm dir Zeit für einen Moment der Verinnerlichung des Gesagten. Du kannst ihn auch als Denk-Stopp-Taste benützen. Einfach draufdrücken, und dies führt einen sofortigen Halt deines Denksystems herbei.

Diese kraftvollen Pausen ermöglichen dir immer wieder ein tiefes verstehendes Empfinden und Vertrauen in dein reines Hiersein, gerade jetzt.

Ο

Zur Einstimmung

Der Zen-Meister sagt zu seinem Schüler:

„Dich gibt es nicht!“

Sagt der Schüler:

„Wem sagst du das?“

Ich Bin

Als ich meinen Guru traf, sagte er zu mir: „Du bist nicht das, wofür du dich hältst. Finde heraus, was du bist. Beobachte das Gefühl Ich Bin, finde dein wahres Selbst.“

Ich befolgte seine Worte. Ich verbrachte meine ganze freie Zeit damit, mich in Stille zu beobachten – was für ein Unterschied und so schnell! Ich brauchte nur drei Jahre, um meine wahre Natur zu erkennen.

Nisargadatta Maharaj

B

eginnen wir bei jemandem, dessen Ruf nicht immer der beste ist: dem Ego. In der spirituellen Geisterbahn wird dieses Ego gerne als Gruselmonster, das es loszuwerden gilt, dargestellt. Du kannst dieses Ego aber schlecht loswerden, weil es erstens in einer Geisterbahn meist stockfinster ist, und zweitens dieses Monster sich dir nur dadurch bemerkbar macht, dass es dich entweder an den Haaren zieht oder mit seinen fettig-wolligen Fingern in deinen Ohren herumbohrt. Ohne also überhaupt verstanden zu haben, dass du den Eintritt für diese Gruselfahrt selbst bezahlt hast, und du deshalb seine Wirklichkeit bestätigst, wird sich dieses vermeintliche Egomonster weiterhin daran erfreuen, dir deine Frisur durcheinanderzubringen. Es ist also schwierig, etwas loszulassen, solange du es noch nicht einmal richtig fassen konntest.

Das Ego am Kragen zu packen und wahres Wissen über seine Kleidervorlieben zu bekommen, ist einfacher, als du dir denkst. Du lässt das los, was du über das Ego weißt: also all die Theorien, die du darüber gehört und gelernt hast. Das bedeutet entspannen, dich selbst fühlen – nicht in der Theorie, sondern gerade jetzt.

Ο

Da gibt es vielleicht Leute, die die Frechheit besitzen, dich als Egoisten zu bezeichnen. Sehr gut. Sag ihnen: „Ja, ich stehe dazu, ein Egoist zu sein. Und weißt du was, genau in dieses Egoisten-Ich werde ich mich nun auch noch hinein entspannen. Ich bin wirklich neugierig geworden, wie es sich anfühlt, nur dieses Egoisten-Ich zu sein. Bisher habe ich mich damit nicht so richtig wohlgefühlt, das werde ich nun ändern.“

Es ist ein schöner Moment, der jetzt gekommen ist. Du darfst dich jetzt ausruhen und dich annehmen, so wie du bist, Ego inklusive. Es ist ein Ja zu dir selbst, ein Ja auch zu all deinen sogenannten Schattenseiten. Mit diesem tiefen Ja akzeptierst du dich selbst in deiner Ganzheit. So wirst du nun vollends zu diesem Ja. Darin hat ein „Ich bin ein Ego“ oder „Ich bin dies oder jenes“ keinen Platz mehr, sondern da ist einfach nur noch dieses wundervolle Ja. In diesem Ja eröffnet sich dir auf einmal etwas, was du zwar sehr gut kennst, aber wegen anderer geistiger Baustellen nie so richtig betrachtet hast. Es ist dein Grundempfinden Ich bin. Genieße dieses Ich Bin, ohne davon abzuweichen. Ja, Ich bin.

Ο

Du kannst nun auch entdecken, dass die Angst, von irgendwelchen Gedankenwelten verunsichert zu werden, in diesem Ich Bin dahinschwindet. Denn dieses Ich Bin ist der Ursprung all dieser Gedanken und Vorstellungen. Du bist an deren Quelle angelangt. Du bist jetzt hier im Ich Bin.

Ο

Durch den permanenten Tun- oder Werdemodus, in dem du dich meist befindest, hast du den Kontakt zu deinem Grundempfinden des Ich Bin ein wenig verloren. Das kommt daher, weil du den Zielvorgaben dieses Tuns und dem Tun selber mehr Vertrauen geschenkt hast. Und doch hat dich tatsächlich dieses Ich Bin die meiste Zeit deines Lebens begleitet.

Dieses Ich Bin-Gefühl ist das erste, welches sich dir am Morgen beim Aufwachen zeigt. Fast unmerklich greift in dir dann wieder die Gewohnheit zu denken. Versuche folgendes, am besten gleich schon morgen: verbleibe beim Aufwachen in diesem Ich Bin-Gefühl, ohne auch nur im geringsten irgendetwas damit zu tun. Du genießt einfach noch für eine Weile dein Ich Bin-Gefühl.

Wenn du es nicht lassen kannst und dich wieder beim Denken ertappst, sage zu dir selbst: „Ich denke nach. Ich habe jetzt gerade diese Erinnerung. Ich bin jetzt hier.“

Ο

Auf diese Weise bringst du dich wieder zu deinem Ich Bin-Gefühl zurück, in welchem du dich einfach wieder entspannst und wohlfühlst. Gönn dir diesen außergewöhnlichen Moment am Morgen. Ein Sprichwort sagt: „Morgenstund' hat Gold im Mund“, und dieses Gold ist dein Ich Bin. Es ist sehr wertvoll. Denn durch dieses Ich Bin wird alles erst möglich. Empfinde es, nimm es wahr. Darüber nachzudenken ist nicht nötig. Vertraue einfach dir selbst. Verbleibe als Ich Bin.

 

Ο

Das ist wirklich sehr leicht. Es mag sich anfangs wie eine Anstrengung anfühlen, doch nach und nach erkennst du die Mühelosigkeit, im Ich Bin zu verweilen.

Ein verbesserungswürdiges Ich interessiert dich jetzt nicht mehr. Du bist ganz und gar zufrieden mit dir selbst; das bedeutet, du bist einfach du. Daraus entsteht eine große Sensibilität. Es wird dir bewusst, dass jeder Denkvorgang, den du jetzt startest, aus diesem Ich Bin entsteht; dass es auch derselbe Ort ist, aus dem Zweifel geboren werden – zum Beispiel Ängste, etwas falsch zu machen, oder Überlegungen wie: „Ist doch alles Unsinn, was du da machst.“ All diese mannigfaltigen Variationen, die der Zweifel eben so zu bieten hat. Doch jetzt gib dich nicht mehr länger mit diesen zweifelhaften Importen aus deiner Zweifelkammer ab, sondern empfinde dich entspannend durch diesen Zweifel hindurch als dieses Ich Bin. Halte dich an diesem Ich Bin fest, sehr intensiv, sehr wach. Bleibe bei diesem Ich Bin und fühle dich darin wohl.

Ο

Du spürst schon, diese Reise ist wie ein Eintauchen in die Ursubstanz alles Erschaffenen – dorthin wo alles seinen Anfang nimmt. Dich irgendwo hineinzudenken oder gefühlsmäßig in irgendetwas hineinzusteigern, ist nun nicht mehr notwendig. Das Einzige, was jetzt zählt, ist dieses Ich Bin mit deinem ganzen Wesen empfindend wahrzunehmen.

Bezeichnungen deiner Körpergefühle wie warm, kalt, Hunger oder Durst lass jetzt einfach beiseite. Stattdessen empfinde denjenigen, der all diese Gefühle wahrnimmt, all diese Sinne in Aktion erlebt. Denjenigen, der jetzt gerade am Lesen ist. Fühle schlicht und einfach einmal nur dich, fühle dieses Ich Bin, gerade jetzt.

Ο

Eine andere Spielart, sich diesem Ich Bin zu nähern, ist die Meditation mit der Mantra-Technik. Sie wird meist praktiziert durch das bewusste Wiederholen bestimmter Worte, sei dies laut oder gedanklich. Mantras sind energetisch höchst kraftvolle Bewusstseinssamen. Dabei sind Gedankenformen (Erinnerungen, Bilder, Erfahrungen, Eindrücke), die sich dir dabei zeigen, keine Störungen, sondern vielmehr befruchtende Energie für das Mantra selbst. So nährt sich das Mantra von den scheinbar lästigen Gedanken und reift dadurch erst heran, bis die angesammelte Energie so groß wird, dass sich dieses Wort, dieser Bewusstseinssame öffnet. In diesem Moment ereignet sich eine Art stiller Bewusstseins-Erweiterung. Ohne die geringste Zeitverzögerung werden nun alle deine scheinbar fest zusammengefügten Gedankenformen und Gedankenmuster aufgelöst, und du nimmst dich selbst als völlig erfüllte Leere wahr.

Wenn du intensiv mit diesem Mantra meditierst, werden sich diese einzelnen zeitlosen Bewusstseins-Momente in dir ausweiten. Dadurch wirst du häufiger in deinem grenzenlosen Universum des Seins ruhen. Und es ereignet sich der Moment, an dem du dich einfach als dieses völlig mühelose und grenzenlose Hiersein angenommen hast. Eine weitere Fortsetzung des Mantras ist dann nicht mehr notwendig.

Die meisten Mantras arbeiten mit den Namen göttlicher Wesenheiten oder bestehen aus Silben, die vordergründig keine bestimmte Bedeutung ergeben.

Dazu möchte ich dir nun gerne ein neues, wenngleich doch sehr altes Mantra vorstellen: das Ich-Bin-Mantra. Es nimmt keine Umwege, sondern du arbeitest direkt mit dir selbst, mit deinem Gefühl des Ich Bin.

Mit dem Einatmen empfinde zutiefst Ich, beim Ausatmen empfinde Bin. Wiederhole diesen Vorgang im Rhythmus deines Atems. Einatmen Ich. Ausatmen Bin. Wie feine geistige Obertöne mögen sich dir Gedankenformen über so manches vergangenes Ereignis zeigen. Doch, ohne dich weiter mit diesen Gedanken zu beschäftigen, löse sie in den Vorgang der Wiederholung von Ich Bin auf. Atme mit einem fühlenden Ich ein und mit einem fühlenden Bin aus. Immer weiter, immer fort, sachte und voller Aufmerksamkeit immer im Rhythmus deines Atems: Einatmen Ich. Ausatmen Bin.

Ο

Du wirst sehen, wie schnell dir dein Ich Bin-Gefühl auf diese Weise vertrauter und bewusster wird. Wenn du das Ich Bin bereits deutlich wahrnimmst, dann kannst du dieses Ich Bin-Mantra noch ein wenig verfeinern.

Atme nun geradezu dein Ich ein, und spüre bei deinem Ausatmen äußerst intensiv das Bin.

Einatmen Ich. Ausatmen Bin. Immer weiter immer fort, leise und mit größter Bewusstheit. Lass dich nicht beirren, bleib dabei.

Es wird immer leichter. Du wirst sehen, dass Momente erscheinen, in denen du es einfach genießt, in deinem Ich Bin zu verweilen.

Sollten dich Gedanken zu einem netten abwechslungsreichen Plausch einladen, bringst du dich entspannt mit ein paar fühlenden Wiederholungen des Ich Bin zu dir selbst zurück, gerade jetzt. Einatmen Ich. Ausatmen Bin. Das Ich Bin ist nunmehr schon ein kontinuierlicher Strom des Bewusstseins. Alles in dir ist ruhig, still, und nur noch dieses Ich Bin ist deutlich wahrnehmbar. Bei fortgesetzter Übung wirst du Momente erleben, in denen sich sogar dieses Ich Bin-Gefühl auflöst. Deine Wahrnehmung ist so rein, klar und ruhend geworden, dass nicht einmal mehr dieses Ich Bin benötigt wird. Alle Vorstellungen sind in diesem Moment verschwunden. Was bleibt, ist diese reine Wahrnehmung des jetzigen Moments, diese Präsenz des Hierseins, diese Istheit gerade jetzt.

Ο

„Die Wahrheit ist da, du brauchst sie dir nicht zu verdienen. Indem du ihr nachläufst, läufst du weg von ihr. Hör auf damit, steh ruhig, sei still.“

Nisargadatta Maharaj

Ο

Frage & Antwort

Bernard:

Für kurze Zeit gelingt es mir, im Ich Bin zu verbleiben. Doch länger darin zu verweilen, das ist sehr schwer. Das kann Jahre dauern.

Bernard, Maharaj hat sich während dreier Jahre, so oft er konnte, in dieses Ich Bin hinein empfunden, bis sich ihm schließlich das Grenzenlose öffnete. Aber keine Sorge, das muss keine drei Jahre dauern. Es ist nicht schwierig. Vergiss nicht, das Grenzenlose ist ja immer hier, also auch jetzt. Sonst wäre es ja nicht grenzenlos.

Und überhaupt, warum glaubst du denn diesen vier Wörtern „das ist sehr schwer“ mehr als den drei Wörtern „es ist leicht“? Es benötigt sogar ein Wort weniger. Warum glaubst du denn diesen vier Wörtern „das kann Jahre dauern“ mehr als nur dem einen Wort „jetzt“? Und hier ersparst du dir sogar drei Wörter. Warum glaubst du überhaupt irgendwelchen Wörtern, wozu diese unnötige Energievergeudung?

Weshalb nicht Sein, ohne Wörter dafür zu gebrauchen? Versuche es, jetzt!

Ο

Berühre nicht das Ich

Du sagst „Ich“, und jetzt ist eines sehr wichtig: Berühre es nicht.

Papaji

D

ie Berührung. Es ist dir möglich, mit deinen Händen ein Buch aus dem Regal zu holen, eine bestimmte Seite darin aufzuschlagen, um die Zeilen darin zu lesen.

Oder du schaltest deinen Computer ein und verlierst dich, vielleicht schneller als dir lieb ist, im endlosen Facebook- und YouTube-Dschungel.

Verspürst du Hunger und möchtest dir noch etwas zu essen kaufen, so kannst du in dein Auto einsteigen und damit zum nahegelegenen Bio-Supermarkt fahren. Hast du irgendwie das Gefühl, dass deine Körperform derzeit nicht dem vorgegebenen Schönheitsideal entspricht, so steigst du einfach auf dein Fahrrad und schnaufst mit Höchstgeschwindigkeit bei einem strahlendheißen Sonnentag durch eine wundervolle als auch ruhige Landschaft.

Sowohl das Buch, das Auto, das Fahrrad als auch den Computer kannst du mit deinen Händen berühren. Berührung bezieht sich also im Allgemeinen auf alles, was eine gewisse Festigkeit besitzt und mit deinen Händen fühl- oder fassbar ist.

Doch findet nicht auch Berührung statt, wenn du eine Wolke am Himmel beobachtest? Die vielen Menschen betrachtest, die sich durch die Einkaufsgassen der Stadt bewegen? Oder einen Hund dabei ertappst, wie er seine Markierung am Eingang einer interessanten Sehenswürdigkeit setzt? Ist Sehen nicht auch eine Berührung? Sind deine Augen sozusagen nicht auch Hände, die mit ihren Blicken wie Finger einer Hand sowohl Nahes wie auch weit Entferntes berühren können?

Ο

Wenn du dich mit Freunden in einem gemütlichen Café triffst und ein wenig aus deinem Tagesgeschehen erzählst, so verwebt sich in deiner Erzählung das, was du mit deinen Augen wahrgenommen oder mit deinen Händen ertastet hast, zu einem einheitlichen Bild.

Doch weder können deine Freunde diese Ereignisse mit ihren eigenen Augen sehen noch mit ihren Händen fühlen. Eine Berührung findet über die Fantasie oder Vorstellung statt, die du ihnen mit deiner Beschreibung des Gesehenen oder Gefühlten vermittelt hast.

Mach es dir nun gemütlich. Entledige dich am besten deiner geistigen Winterbekleidung, denn für die weitere Reise wirst du sie nicht mehr brauchen; du wirst wahrscheinlich ganz schön ins Schwitzen kommen. Wir dringen nun gemeinsam durch wenig schattenspendende Vorurteile, verkrustete Meinungen und Überzeugungen hindurch, zu einem Ort, der bisher nur von äußerst wenigen Menschen entdeckt wurde: zu dir selbst.

Ο

Von dieser allgemeingültig akzeptierten Auffassung, „was ich mit meinen Händen fassen kann, ist Berührung“, zum Berühren mit unseren Blicken setzen wir die Reise fort in meist noch wenig erforschte Gebiete unserer Wahrnehmungslandschaft. Du bist nicht immer während des ganzen Tages damit beschäftigt, feste äußere Gegenstände von einem Fleck zum anderen zu rücken, sondern manchmal oder auch öfter arbeitest du mit deinen inneren angesammelten Erinnerungsmaterialien.

Versuche Folgendes: Du wählst dir aus deinen Erinnerungen z.B. dein Fahrrad aus. Du bringst also dieses Bild deines Fahrrades in deinen geistigen Gesichtsbereich. In diesem Bereich warst du bisher meistens der Auffassung, dass es nicht möglich ist, ein solches Bild, in diesem Fall das deines Fahrrads, in der Hand zu halten und mit den Fingern zu berühren. Dies hängt mit deiner Gewohnheit zusammen, dass nur feste materielle Formen greifbar sind. Es steht außer Frage, dass du dieses Vorstellungsbild deines Fahrrads nicht mit deinen physischen Händen berühren kannst. Doch wie fühlt es sich an, dieses Bildfahrrad aus deiner geistigen Lagerhalle hervorzuholen? „Ich bringe mein Fahrrad vor mein geistiges Auge. Ich sehe es nun. Ich fühle, wie ich es in meine Hände nehme.“ Wie fühlt sich dieser Vorgang an?

Ο

Aus deiner Erinnerung brachtest du nun eine Art Energieform in dein Bewusstseinsfeld, das du als dein Fahrrad bezeichnest. Du siehst es nicht nur, sondern du kannst es auch fühlen. Das ist ganz einfach, und wir tun dies sehr oft auch mit all den anderen in unserem Erinnerungsspeicher verfügbaren Dingen.

Eigenartigerweise befinden wir uns in einem andauernden gesellschaftlichen Wettkampfgerangel, und weil man sich vielleicht gerade wieder einmal auf der Überholspur wähnt, haben wir nicht mehr die Zeit, uns mit solchen scheinbaren Belanglosigkeiten aufzuhalten. Was aber zum großen Vorteil gereichen würde, um genau die feinen Nuancen in unserem Gedankengefühlssystem klarer wahrzunehmen.

Nun ist Zeit für eine Verschnaufpause, um diesen Vorgang etwas genauer unter der Wahrnehmungslupe zu betrachten.

Ο

Offensichtlich hast du dein Fahrrad nicht mit deinen materiellen Händen aus den Inhalten deines geistigen Bewusstseinsfeldes hervorgeholt und berührt. Doch unbestreitbar ist, dass du eine Erinnerung hervorgebracht hast: also einen Denkvorgang in bezug auf dein Fahrrad in Gang gesetzt hast.

Dieser Denkvorgang war in gewisser Weise dein geistiger Arm, der aktiv wurde. Versuche es noch einmal, indem du dein Fahrrad gegen eine andere Sache austauschst. Fühle noch wacher, sensibler, subtiler in diesen Vorgang des Denkens hinein. Wie fühlt er sich an? Wie fühlst du dich bei diesem Denkvorgang?

Ο

Gut. Fassen wir zusammen. Dieser geistige Denkvorgang ist der fühlbare Arm, mit dem du die Dinge aus deinem Speicher hervorholst und damit auch arbeitest.

 

Normalerweise ist dir dies alles gar nicht so bewusst. Zu sehr bist du mit diesem Denkvorgang, den Problemen und mit den damit verbundenen Problemlösungen, die er sucht, identifiziert. So entgeht dir oft dieser subtile Mechanismus, wie du dieses Denken in Gang setzt und deine Gedankenbilder hervorzauberst.

Um von diesem Hinweis Papajis, „das Ich nicht zu berühren“, nicht nur einen kurzen Lichtblick zu erhaschen, den du wahrscheinlich sogleich in den ohnehin schon überfüllten Speicher von Erfahrungsansammlungen wirfst, sehen wir nun gemeinsam in deinem inneren Geist-Maschinenraum nach, wo sich denn der Hauptschalter befindet. Gib dir jetzt nochmals im gedanklichen Bereich einen Impuls, einen Gegenstand hervorzuholen. Mit diesem Impuls startet nun der Denkvorgang: dein Arm greift in deine inneren Welten, um sich das Erinnerungsfoto eines Objektes aus einer anderen Räumlichkeit in deinem Erinnerungsspeicher hervorzuholen. Dieses Objekt siehst du jetzt gerade klar vor dir, während du diese Zeilen liest. Du siehst diesen Gegenstand vor dir, selbst mit deinen offenen physischen Augen. Gleichzeitig hast du auch noch die Wahrnehmung der anderen Dinge, die sich im näheren Umfeld deiner physischen Umgebung befinden.

Du nimmst also das Objekt deiner Wahl im geistigen Bereich wahr sowie auch all die materiellen Formen, die sich in deiner Umgebung befinden.

Ο

Ein Leichtes wäre es, einzelne Gegenstände in deiner physischen Umgebung mit deiner Hand zu ergreifen und sie umzustellen. Was geschieht aber mit diesem Objekt in deiner Vorstellung? In diese Vorstellung mit deinem Körper einzutreten, um diesen Gegenstand hervorzuholen, ist scheinbar nicht möglich. Bist du dir dessen sicher?

Musstest du nicht auch diesen gedanklichen Gegenstand irgendwie hervorholen? Dies erforderte doch auch eine Berührung. Wenn auch nicht mit diesen Händen, mit welchen du ansonsten Gegenstände anfasst.

Ο

Ohne eine Berührung der geistigen Denkinhalte wäre es nicht möglich, diese Inhalte in Sichtweite deiner Wahrnehmung zu bringen. Dass selbst dies einer Berührung bedarf, um sie hervorzubringen, ist nunmehr kaum bestreitbar. Es braucht also auch einen geistigen Körper. Gibt es denn zwischen dem geistigen und materiellen Körper einen großen Unterschied? Wir werden sehen.

Ο

Ohne Anfassen funktioniert es also auch im geistigen oder gedanklichen Bereich nicht. Verweilen wir noch ein wenig in dieser geistigen Sphäre. Wechsle das zuvor ausgewählte geistige Objekt gegen ein anderes aus und nimm es in deine Hand. Deine Hand ist nun aber der Denkvorgang, der Impuls, das Gefühl, dies jetzt zu tun.

Du befindest dich nun in deiner inneren Landschaft, um Dinge zu bewegen, anzugreifen, zu halten, auszutauschen, wegzugeben, wieder hervorzuholen. Genau so, wie es in der gewohnten physischen Form der Welt vor sich geht.

Ο

Du hast also das neu ausgewählte Gedankenobjekt vor dir. Es erfordert ein gewisses Halten, um dieses Bild über einen etwas längeren Zeitraum zu betrachten. Die Hand, die dieses Bild hält, ist dieses Gefühl des Denkens. Dieses bestimmte Gefühl, das du wahrnimmst, wenn du etwas in deinem Erinnerungsspeicher suchst und – hast du es gefunden – in deine Wahrnehmung bringst. Also, solange du diesen Denkvorgang mit dieser bestimmten ausgewählten Sache bestehen lässt, solange hältst du auch daran fest. Spiele ein wenig weiter. Dazu lass den soeben untersuchten Gegenstand aus und suche nach einem anderen Objekt.

Genieße es einfach, durch dein inneres Revier zu schreiten. Lass dir ruhig Zeit. So als würdest du genussvoll auf einem Weg am Rande eines lichtvollen Waldes wandern. Du beobachtest spielende Vögel im Flug, hörst die Klänge dieses speziellen Ortes, vernimmst den verlockenden Duft der Blüten am Wegrand und siehst dabei zufällig ein Reh, das aufgescheucht sich tiefer in das Waldinnere flüchtet. Doch weder versuchst du, diesem Reh nachzulaufen, die Blüten zu pflücken, noch die Vögel einzufangen, sondern gehst aufmerksam und entspannt weiter deines Weges. Auf diese Weise betrachte nun auch deinen inneren Spaziergang durch deine Gedanken und die Landschaft deiner Erinnerung. Mach dir dabei erst gar nicht die Mühe, an diesen Gedankenbildern festzuhalten oder ihnen nachzulaufen.

Wie fühlt sich dieser Impuls des Denkens an? Und wie das Gefühl des Denkvorganges, die verschiedenen Gedanken und Erinnerungsbilder zu betrachten, ohne jedoch eine Auswahl zu treffen?

Dieses Gefühl, dies zu tun? Wer fühlt dies alles nun? Gerade jetzt?

Ο

Sagtest du gerade Ich? Genau. Jetzt sind wir bei diesem Ich-Gefühl angelangt, das ja eigentlich die ganze Zeit über bereits hier und dir spürbar war.

Betrachten wir dieses Ich-Gefühl genauer. Erkennst du, dass so gut wie alle Handlungen damit ausgeführt werden? Sind es nun Aktionen in der materiellen Welt oder in den als feinstofflich bezeichneten Gefilden.

Es ist dieses Ich-Gefühl, mit dem du dich in der Form deiner bisher erlebten Vergangenheit identifizierst. Dazu gehören dein Körper und eben der ganze mentale Bananenkarton, angefüllt mit Wissens- und Erfahrungsgegenständen, die du dein Eigen nennst.

Du siehst dich selbst mit deinen eigenen Qualitäten und andere mit den Qualitäten, die du vermeintlich an ihnen wahrnimmst. Sozusagen bleibt es sowieso in der Familie, oder besser, es bleibt bei dir. Denn dies alles sind Inhalte aus deiner geistigen Vorratskammer. Ein glücklicher Umstand ist, dass diese Qualitäten keine festen Formen haben, denn ansonsten müsstest du bei jeder Begegnung mit anderen Menschen in Deckung gehen, damit all die vorgefassten Meinungen, die dir entgegengeworfen werden, ihr Ziel verfehlen.

Ο

Führen wir gemeinsam eine neue Meditation durch. Deine Hände legst du für diese Meditation seitlich neben das Buch: gerade soweit entfernt, dass sie es nicht berühren. Dabei sollte es dir möglich sein, die Zeilen darin lesen zu können. Sitze bequem und ruhig, am besten ohne die geringste Körperbewegung. Gut, das war die Vorbereitung. Nun geht es los.

Richte nun deinen Fokus sehr genau auf den inneren Vorgang. Gib dir jetzt den Impuls, das Buch zu berühren, jedoch führst du den Impuls nicht aus.

Du spürst dieses bestimmte Gefühl, das Buch zu berühren, aber du tust es nicht. So gerne würdest du es anfassen. „Ich möchte es einfach nur berühren. Nur ein klein wenig mit dem Finger antippen, nichts weiter.“ Doch nein.

Sende immer wieder diesen Impuls, dass du es gerne tun möchtest. Aber zumindest für dieses eine Mal gib diesem Impuls, deine Hände in Richtung Buch zu bewegen, nicht nach. Deine Hände bleiben völlig ruhig seitlich neben dem Buch liegen. Betrachte dabei sehr genau dieses Ich-Empfinden gerade jetzt.

Ο

Machen wir mit unserer Meditation weiter. Du hältst also nach wie vor dieses bestimmte Gefühl, das Buch zu berühren, aufrecht. Dabei spürst du diesen gewissen Sog. Wahrscheinlich vibriert deine Hand schon förmlich. Denn alles in dir ist darauf programmiert, diese Bewegung zu vollführen. Es ist völlig gewitzt, es wäre ja nur eine winzige Bewegung, überhaupt nicht weit, nur ein paar Millimeter. Ja, du könntest sogar schon mit deinem Finger das Buch anschubsen, und dies auch noch ohne deine Hand zu rühren. Aber nein.

Spüre dein Ich.

Ο

Bei dieser Aufmerksamkeit auf dein Ich-Gefühl werden dir deine subtilsten inneren Regungen bewusst. Deine Empfindsamkeit gegenüber deiner inneren Welt wird sehr sensibel. Diese Empfindsamkeit, die du bei diesem illusionären Wettlauf um die besten Plätze in der gesellschaftlichen Rangordnung ein wenig eingebüßt hast.

Ο

Dieses Ich, das sich fast immer im Tun-Modus befindet und deshalb meist nicht wahrgenommen wird, ist nun ziemlich präsent.

Das bedeutet, du spürst dieses bestimmte Ich-Empfinden gerade in diesem Moment. Durch das Ich möchtest du nun eine bestimmte Bewegung ausführen, obwohl du es doch nicht tust. So hast du nun auf der feinstofflichen Ebene auch noch etwas anderes in der Hand, nämlich dieses Ich-Gefühl. Dies ist das erste Gefühl, der erste Gedanke, der Ursprung allen Tuns. Mit diesem Ich-Gefühl bewegst du sogar diesen Körper in der materiellen Welt. Einen Unterschied zwischen feinstofflich und materiell zu machen, klingt nun fast schon ein wenig eigenartig. Auf jeden Fall halte dieses Ich-Gefühl ganz fest und spüre es bis in das letzte Detail.

Ο

Gut. Jetzt lass selbst dieses Ich-Gefühl los. Halte dich nicht mehr an diesem Ich-Gefühl fest. Lass es einfach los. Auch wenn es dir immer noch wahrnehmbar sein mag, so arbeitest du dennoch nicht mehr mit diesem Ich-Gefühl. Erscheint irgendeine Frage, ein Zweifel, so sind das bereits schon wieder geistige Objekte, die du mit diesem Ich hervorgeholt hast. Im selben Moment, wenn dir dies bewusst wird, lass diese Gedanken einfach los. Halte dich nicht an ihnen fest, genau so wenig wie an deinem Ich-Gefühl, berühre es einfach nicht.

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