Loe raamatut: «Das Abenteuer meiner Jugend», lehekülg 10

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Ich könn­te von die­sen Din­gen nicht mehr spre­chen, wie ich es heu­te kann, wenn ich sie da­mals nicht re­gis­triert hät­te. Wie alt ein acht­jäh­ri­ger Kna­be sein kann, ah­nen im All­ge­mei­nen er­wach­se­ne Men­schen nicht. Was mich zu­nächst am tiefs­ten über­rasch­te und schmerz­te, war das Ver­hält­nis der Mut­ter zu dem Hau­se, ohne das ich mich und die Welt nicht zu den­ken ver­moch­te. Die­se schö­nen Säle, Bil­der und Zim­mer, die­se rät­sel­haf­ten Kam­mern un­term Dach, die­se Trep­pen, Kor­ri­do­re und tau­send­fäl­ti­gen Schlupf­win­kel, die Welt Un­term Saal, der hal­len­de Tun­nel, der von dort in den Hin­ter­gar­ten ging, die be­moos­ten Dä­cher, der Tau­ben­schlag: der ge­ra­de­zu ein­zig­ar­ti­ge, un­über­treff­li­che Schau­platz mei­nes Wer­dens, mei­ner Spie­le, mei­nes Le­bens über­haupt soll­te in Wahr­heit ein wohl auch kin­der­fres­sen­der, glü­hen­der Mo­loch sein, der das Le­bens­glück mei­ner Mut­ter ver­nich­tet hat­te? Mei­ne Mut­ter sel­ber be­haup­te­te das.

Ihr das zu glau­ben, ih­ren un­be­greif­li­chen Irr­tum, ihre Blind­heit die­sem Pa­ra­die­se ge­gen­über auch nur zu ent­schul­di­gen, war für mich ein Ding der Un­mög­lich­keit. Und so stand ich auf Va­ters Sei­te, als er sag­te, dass nun ein­mal sein se­li­ger Va­ter ihm dies Haus hin­ter­las­sen habe und er, selbst die Pie­tät ge­gen den müh­sam er­run­ge­nen Be­sitz sei­ner El­tern bei­sei­te­ge­setzt, es kei­nes­falls ge­gen ein But­ter­brot ver­schleu­dern kön­ne.

Die pein­li­che Aus­ein­an­der­set­zung und ihre lei­den­schaft­li­che Maß­lo­sig­keit ka­men ei­nem lo­ka­len Erd­be­ben gleich, das den fa­mi­li­ären Bo­den er­schüt­ter­te. Nie­mals er­lang­te er mehr sei­ne alte Fes­tig­keit.

Mit die­sen Er­fah­run­gen war die Er­kennt­nis ver­knüpft, dass die selbst­ver­ständ­li­chen Voraus­set­zun­gen mei­nes bis­he­ri­gen Da­seins nicht durch­aus stand­hiel­ten. Mir gin­gen be­stimm­te Sät­ze und Wor­te mei­ner Mut­ter im­mer aufs neue durch den Sinn: »Du sitzt mit Gu­stav im Büro, ihr schreibt, ihr rech­net, ihr rech­net und schreibt, und wenn ihr noch so sehr rech­net und schreibt, ihr rech­net und schreibt die Schul­den, die uns drücken, nicht weg und könnt die fäl­li­gen Zin­sen nicht auf­brin­gen.«

Auch mei­nen Ge­schwis­tern wa­ren die schwe­ren Kri­sen zwi­schen Va­ter und Mut­ter nicht ver­bor­gen ge­blie­ben. Selt­sa­mer­wei­se nah­men wir für den Va­ter und ge­gen den Dachrö­dens­hof Par­tei. Aus dem er­reg­ten Ge­mun­kel von Jo­han­na und Carl und ge­le­gent­lich hin­ge­wor­fe­nen Wor­ten der Mut­ter ging mir nach und nach, ge­gen mein Wi­der­stre­ben, auf, dass noch an­de­re Men­schen als wir Ei­gen­tums­rech­te auf den Gast­hof zur Kro­ne hat­ten, was mich aufs schmerz­lichs­te traf und ent­rüs­te­te.

Neunzehntes Kapitel

Im grel­len und pein­li­chen Lich­te die­ser Tage er­klär­te sich mir ein Be­such im ver­gan­ge­nen Jahr, der mich da­mals ei­tel Freu­de und Won­ne dünk­te. Ein rei­zen­des Mäd­chen, Toni, sieb­zehn­jäh­rig, Halb­schwes­ter mei­nes Va­ters und Schwes­ter On­kel Gu­stavs, der im Hau­se war, tauch­te plötz­lich bei uns auf, sie und ihre äl­te­re Schwes­ter. Sie hat­te ein großes Glück ge­macht, wie es hieß, da ein rei­cher In­dus­tri­el­ler aus Rem­scheid um sie ge­wor­ben und ihr Ja­wort er­hal­ten hat­te. Ich war so­gleich in Toni ver­liebt und ge­noss eine Men­ge Zärt­lich­kei­ten von ihr, wie sie ein über­mü­ti­ges und glück­be­rausch­tes Kind an einen Sie­ben­jäh­ri­gen ohne Ge­fahr ver­schwen­den kann. Als nach ei­ni­gen Ta­gen der Bräu­ti­gam er­schi­en, war die Stim­mung ge­dämpf­ter ge­wor­den. Und kurz und gut, Mi­jn­heer Sound­so – er trug sich wie ein Hol­län­der –, ein Ei­sen- und Stahl­wa­ren­fa­bri­kant, hat­te be­schlos­sen, den Ver­mö­gensan­teil sei­ner Braut und im Auf­trag den der an­de­ren Halb­schwes­tern um je­den Preis aus dem Gast­hof her­aus­zu­zie­hen, und ließ sich durch­aus nicht da­von ab­brin­gen.

In die­sem Be­such wirk­ten sich die Fol­gen der spä­ten Hei­rat mei­nes Groß­va­ters Haupt­mann aus, und mit ihm be­gann der stil­le Verzweif­lungs­kampf mei­nes Va­ters, der den Ver­lust uns­res Gast­hofs und un­se­res Ver­mö­gens schließ­lich und end­lich nicht ab­wen­den konn­te.

Gu­stav Haupt­mann blieb im Haus, nie aber hat mein Va­ter eine sei­ner Halb­schwes­tern von je­ner Zeit an wie­der­ge­se­hen. Als die ver­wit­we­te Toni mit ih­rem Sohn fast drei­ßig Jah­re dar­auf vor der Tür sei­ner klei­nen Vil­la in Warm­brunn stand, wur­de sie nicht her­ein­ge­las­sen.

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Beim Tode mei­nes Groß­va­ters müs­sen mei­nem Va­ter die ge­schäft­li­chen Schwie­rig­kei­ten bei­na­he über den Kopf ge­wach­sen sein. Es war ihm an­schei­nend noch nicht ge­lun­gen, die Hy­po­the­ken auf­zu­trei­ben, durch die er die Aus­zah­lung sei­ner Halb­ge­schwis­ter er­mög­li­chen konn­te. Sie alle drei, das heißt ihre Män­ner, be­stan­den auf ih­rem Schein. Wir ahn­ten nicht, und auch mei­ne Mut­ter ahn­te wohl nicht, wie es um uns stand, als sie sich dar­über auf­reg­te, dass Va­ter ihr nicht ge­nü­gend Ver­trau­en schen­ke. Wenn er die zum Aus­gleich und zur Ret­tung nö­ti­gen Hy­po­the­ken nicht auf­trei­ben konn­te, so la­gen wir mit­ten im Win­ter auf der Stra­ße, und es brach ein Elend ohne Maß über uns her­ein. Er hat­te recht, wenn er das ver­schwieg.

Der Brun­nen­in­spek­tor hat­te bei der Ver­tei­lung sei­nes nicht klei­nen Bar­ver­mö­gens fast aus­schließ­lich sei­ne zwei un­ver­hei­ra­te­ten Töch­ter, Eli­sa­beth und Au­gus­te, be­dacht. Kein Wun­der, dass der Gat­te mei­ner Mut­ter Ma­rie, des­sen Schiff im Sturm auf Le­ben und Tod kämpf­te, in einen Zu­stand ge­riet, in dem sich Er­bit­te­rung und Verzweif­lung misch­ten, da ja eine ge­rech­te Ver­tei­lung die Ret­tung sei­nes Schif­fes be­wirkt hät­te.

Nun, mein Va­ter ret­te­te dies­mal noch selbst sein Schiff. Und dass dies ge­sch­ah und wir von da ab noch fast ein Jahr­zehnt an Bord blei­ben durf­ten, war für die Ent­wick­lung uns­rer Fa­mi­lie von nicht zu über­schät­zen­der Wich­tig­keit.

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Was ich von al­len die­sen Ver­hält­nis­sen mehr ah­nungs­wei­se als wirk­lich wis­send auf­nahm, ver­än­der­te die äu­ße­ren For­men mei­nes Be­tra­gens und mei­nes Le­bens nicht. Die neu­en Be­schwe­run­gen konn­ten der Leich­tig­keit und dem Schwun­ge mei­ner Be­we­gun­gen nichts an­ha­ben. Ich habe er­zählt, wie ich trotz al­lem und al­lem auf dem Kar­ren voll gol­de­nen Laubs im Post­hof mei­ne Jun­gens kut­schier­te, und zwar in vollen­det hei­te­rem Über­mut, trotz­dem mir der Sta­chel, dass ich dem Tode nicht ent­ge­hen kön­ne, im Ge­mü­te saß. Auch das neue Er­leb­nis, konn­te ich es gleich nie end­gül­tig ab­schüt­teln, trat wäh­rend lan­ger Zei­ten, von neues­ten Ein­drücken über­deckt, in das Un­ter­be­wusst­sein zu­rück.

Die Hil­fe, die mein Va­ter um Neu­jahr er­hal­ten ha­ben muss­te, brach­te ihm also Be­ru­hi­gung; un­ser Le­ben konn­te in al­ter Wei­se fort­ge­hen. Die na­tio­na­len Vor­gän­ge aber wa­ren so un­wi­der­steh­lich auf­schwung­haft, dass sich ihr Geist al­lem, auch un­serm Va­ter, mit­teil­te. Am 18. Ja­nu­ar un­ver­ge­ss­li­chen An­ge­den­kens wur­de im Schloss zu Ver­sail­les Kö­nig Wil­helm von Preu­ßen zum Kai­ser ge­krönt.

Bis­marck und Molt­ke, Molt­ke und Bis­marck wa­ren in al­ler Mun­de. In der Schu­le san­gen wir »Die Wacht am Rhein«, der alte Bren­del selbst war fest­lich er­regt. Die Horn­haut an den Knie­beln sei­ner Fin­ger, die den Takt auf der Bank klopf­ten, wur­de im­mer di­cker. Er hol­te so­gar in je­der Ge­sangs­stun­de sei­ne Schul­meis­ter­gei­ge her­vor, was er frü­her nie ge­tan hat­te. So­zu­sa­gen mit Äch­zen und Kräch­zen ver­jüng­te er sich. Zwar noch im­mer fie­len die Wor­te: »Ihr Bö­se­wich­ter! Du Bö­se­wicht!«, aber dann hör­te man ihn auch wohl hin­aus­seuf­zen: »Kin­der, es ist eine große, ge­wal­ti­ge Zeit!« – »Es braust ein Ruf wie Don­ner­hall, wie Schwert­ge­klirr und Wo­gen­prall!« san­gen wir auf der Stra­ße. Und über­haupt schwelg­ten wir Jun­gens in na­tio­na­ler Be­geis­te­rung. Ei­nen Spiel­ka­me­ra­den hat­ten wir schon zu An­fang des Krie­ges rück­sichts­los als Fran­zo­sen ver­folgt, weil er mit ei­ner Stür­mer­müt­ze er­schie­nen war, die an die Kopf­be­de­ckung der Ro­tho­sen er­in­ner­te. Wir kann­ten ihn und die El­tern des Jun­gen ge­nau, wuss­ten, dass es ein eben­so gu­ter Deut­scher war wie wir an­de­ren. Wir stie­ßen ihn trotz­dem ein­stim­mig aus und ver­folg­ten ihn, wo er auf­tauch­te.

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Die Tat­kraft mei­nes Va­ters setz­te nicht aus. Er war ir­gend­wo mit Roon, dem Kriegs­mi­nis­ter, in Ver­bin­dung ge­kom­men. Der Ge­ne­ral hat­te zu ihm ge­sagt: »Wen­den Sie sich an mich, wenn Sie glau­ben, dass ich Ih­nen ein­mal in ir­gend­ei­ner Sa­che die­nen könn­te!« Das hat­te mein Va­ter nun ge­tan. Ober-Salz­brunn, hat er ihm ge­schrie­ben, ist ein hüb­scher und leis­tungs­fä­hi­ger Ba­de­ort und be­son­ders ge­eig­net, Ge­fan­ge­ne un­ter­zu­brin­gen, Re­kon­va­les­zen­ten oder Ge­sun­de. Das Ein­tref­fen ei­nes Fran­zo­sen­trans­por­tes wur­de dar­auf­hin vom Kriegs­mi­nis­te­ri­um mei­nem Va­ter für Fe­bru­ar an­ge­sagt.

Lei­der wur­de nicht Wort ge­hal­ten. Mit­ten in Win­ter hob sich in den Lo­gier­häu­sern ein Keh­ren, Wa­schen und Put­zen an, das gleich­sam die Zeit auf den Kopf stell­te. Nach­dem sich dies al­les als über­flüs­sig her­aus­stell­te und die Hoff­nung auf Staats­ver­gü­tung und man­cher­lei sons­ti­ge Sen­sa­ti­on zu Was­ser ge­wor­den war, fiel der gan­ze Ort über mei­nen Va­ter her, als den, der das Un­heil ver­ur­sacht habe.

Trotz des Ein­spruchs mei­ner Mut­ter wur­de im Hau­se wie­der me­lio­riert. Pri­mi­ti­ve Was­ser­spü­lun­gen wur­den an­ge­legt, fer­ner eine Luft­hei­zung im Klei­nen Saal. Im Orte wuchs der Mut und die Lust zur Ge­sel­lig­keit, und mein Va­ter dach­te dar­an, den Klei­nen Saal auch im Win­ter für Kränz­chen, Bäl­le, Hoch­zei­ten der Ein­ge­ses­se­nen aus­zunüt­zen. Der die Luft er­wär­me­n­de Ofen stand in der Kut­scher­stu­be Un­term Saal, und ich hat­te im­mer schon als Kna­be den Ver­dacht, dass die Luft, die eben­falls von Un­term Saal durch den Schacht in die Höhe stieg, nicht die bes­te sein kön­ne.

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Um Os­tern war wie­der ein Fa­mi­li­en­tag, der sich, wie alle Fes­te in je­ner Zeit, zu ei­ner Art Sie­ges­fei­er ge­stal­te­te. On­kel und Tan­ten, die wie­der im Blau­en und Gro­ßen Saal durch­ein­an­der­wim­mel­ten, mu­si­zie­rend, schwat­zend, la­chend und pa­trio­ti­sche Re­den hal­tend, wäh­rend wie­der­um drau­ßen die Sta­re pfif­fen, wa­ren be­rauscht ohne Wein: aber dann tat auch er noch das Sei­ne.

Bis­marck, Bis­marck, Bis­marck war das Lo­sungs­wort. Am 21. März war in Ber­lin der ers­te deut­sche Reichs­tag er­öff­net wor­den, wo­bei Bis­marck den Fürs­ten­ti­tel er­hielt. Er war der Schmied, er hat­te auf sei­nem Am­boss Pin­ke­pank die deut­sche Ein­heit zu­sam­men­ge­schweißt. Er war der He­ros, er hat­te die Kai­ser­kro­ne ge­schmie­det und Kö­nig Wil­helm in die schon er­grau­ten Lo­cken ge­drückt.

Der Wein mei­nes Va­ters mach­te die Zun­gen der On­kels frei­ge­big. Sie schwo­ren, er habe mit Otto von Bis­marck eine über­ra­schen­de, frap­pan­te Ähn­lich­keit. Vi­el­leicht war et­was Wah­res dran, be­son­ders wenn man den glei­chen Schnurr­bart be­rück­sich­tig­te. Nach sei­ner gan­zen Art in­ter­es­sier­te sich mein Va­ter gar nicht für eine sol­che Ähn­lich­keit. Man stieß aber trotz­dem be­geis­tert auf ihn, gleich­sam den Bis­marck von Salz­brunn, an und ließ ihn meh­re­re Male hoch­le­ben.

Er war kein Spiel­ver­der­ber und nahm es hin.

Die Bis­mar­ck­ver­eh­rung mei­nes Va­ters selbst war rück­halt­los, hat­te er doch sei­ne ei­ge­nen, viel­fach zu­rück­ge­stell­ten und ver­bor­gen ge­hal­te­nen Idea­le von 1848 ver­wirk­licht. Es lag aber auch ein Sieg des Gast­hofs zur Preu­ßi­schen Kro­ne über den Dachrö­dens­hof dar­in, der, in­be­grif­fen den Obe­r­amt­mann Gu­stav Schu­bert auf Lohnig, die neue Zeit nicht von Her­zen be­grü­ßen konn­te. Hie Bis­marck, Deut­sches Reich und deut­scher Reichs­tag oben­drein, dort Enge, Par­ti­ku­la­ris­mus, Kon­ser­va­ti­vis­mus, kurz Dachrö­dens­hof. In Bis­marcks Grö­ße und Er­folg lag mei­nes Va­ters Er­folg, Sieg und Recht­fer­ti­gung.

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Der Früh­ling kam, und er wur­de es in ei­nem noch ganz an­de­ren Sin­ne als bis­her. Die Na­ti­on war auf ein­mal da, die bis da­hin trotz Krieg und Kriegs­ge­schrei kei­ne we­sent­li­che Sub­stanz hat­te. Ich sel­ber wäre wohl noch zu jung ge­we­sen, um na­tio­nal zu sein, aber auch Er­wach­se­ne zo­gen vor, die­ses Ge­fühl, so­fern es groß­deutsch oder all­deutsch war, für sich zu be­hal­ten. Mit ei­nem Male brach es nun aus und her­vor und wur­de zum frisch­tö­nen­den, le­ben­spen­den­den Ele­ment, drin wir alle schwam­men.

Für Deutsch­land hat­te die Kai­ser­krö­nung in Ver­sail­les den Wert ei­nes Schöp­fungs­akts. Es kam über un­ser Volk ein Be­wusst­sein von sich selbst. Es hat­te sich selbst sich sel­ber be­wie­sen, denn es hat­te eine Rei­he großer Män­ner, mit Bis­marck an der Spit­ze, her­vor­ge­bracht, auf de­nen die Au­gen der Welt mit Stau­nen und Grau­en, vor al­lem je­doch mit Be­wun­de­rung ruh­ten. Der Stolz auf sie, auf ihre Sie­ge, die Sie­ge des Vol­kes, teil­te sich je­dem, auch mir klei­nem Jun­gen, mit, und ich stand nicht an, mei­nem Blu­te einen An­teil, ein Mit­ver­dienst an sol­chen Er­fol­gen zu­zu­schrei­ben. Es hat­te das durch­aus nichts mit dem Zup­fen der Schar­pie1 zu tun, ei­nes Ver­band­stof­fes für die Ver­wun­de­ten, das ich un­ter der Auf­sicht mei­ner Mut­ter in Ge­mein­schaft der sons­ti­gen Haus­ge­nos­sen ge­übt hat­te.

Je­der­mann ahn­te die nun kom­men­de, un­ge­heu­re deut­sche Auf­schwung­zeit, wenn er auch das Gna­den­ge­schenk des kom­men­den, mehr als vier­zig­jäh­ri­gen Frie­dens nicht vor­aus­se­hen konn­te.

Die Schwei­ze­rei mit ih­ren Wie­sen und ih­ren Him­mels­schlüs­seln hat­te ein ganz an­de­res Ge­sicht. Sie be­stand aus ei­nem Holz­haus im Ber­ner oder Schwarz­wäl­der Stil mit höl­zer­nen Um­gän­gen und da­zu­ge­hö­ri­gem Wei­de­land. Die Schaf­fe­rin, eine sau­be­re Frau, die der Fürst, wie ge­sagt, hin­ein­ge­setzt hat­te, war fröh­lich auf­ge­regt, als wir ei­nes Ta­ges bei ihr ein­kehr­ten.

Mich traf auf dem Rück­we­ge von dort ein Miss­ge­schick, des­sen Nar­be ich noch am Fin­ger tra­ge, das aber nicht mei­nen Him­mel ver­düs­ter­te.

Mein Bru­der Carl rief einen klei­nen Hund, den wir frei­ge­las­sen hat­ten und des­sen Lei­ne mir über­ant­wor­tet war, und er kam, zu­rück­ge­blie­ben, an mir vor­bei­ge­rast. Da warf ich ihm sei­ne Lei­ne über. Die­se Dumm­heit, wo­mit ich un­be­dacht das Tier fan­gen und auf­hal­ten woll­te, jag­te mir den Ka­ra­bi­ner, den Ha­ken der Lei­ne, in den rech­ten Zei­ge­fin­ger hin­ein.

Den Ka­ra­bi­ner aus dem Fin­ger zu lö­sen war nicht leicht, und man sag­te mir, dass ich im­mer wie­der von den Fin­ger­ge­d­är­meln ge­spro­chen hät­te, die her­aus­quöl­len. Es war auf dem Rück­weg, und so muss­ten wir wie­der zur Schwei­ze­rei zu­rück­keh­ren.

Mein In­stinkt, was die Wund­be­hand­lung be­traf, be­riet mich gut. Ich habe wohl eine Stun­de lang den Fin­ger am Trog der Schwei­ze­rei un­ter den Strahl des im­mer flie­ßen­den Berg­was­sers ge­hal­ten. Von der hilf­rei­chen Schaf­fe­rin dann ver­bun­den, ist er in we­ni­gen Ta­gen zu­ge­heilt.

Am An­nen­turm blüh­ten wie im­mer die Le­ber­blüm­chen. Wenn schon im Früh­ling al­les Tote le­ben­dig wird, dies­mal zeig­te sich all die­ses Le­ben noch fest­li­cher. Die Gar­ten­ar­bei­ter in den An­la­gen rie­fen ein­an­der lau­te Scher­ze zu, die Gar­ten­wei­ber mit ih­ren Kar­ren und Be­sen des­glei­chen. Die Brun­nen­schöp­fer mit ih­ren Bäs­sen und Tenö­ren du­del­ten »Die Wacht am Rhein« und an­de­re Kriegs­lie­der vor sich hin, wenn sie mit großen Glä­sern an lan­gen Stan­gen den Heil­quell aus der Tie­fe der gra­ni­te­nen Brun­ne­num­fas­sung her­auf­hol­ten. Kutsch­ke mit sei­nem »Was kraucht dort in dem Busch her­um, ich glaub’, es ist Na­po­li­um!« war eine all­be­lieb­te Fi­gur. Und Be­ne­det­ti, des Kai­sers Ge­sand­ter an Kö­nig Wil­helm in Ems, nicht min­der:

Da trat in sein Ka­bi­net­te

ei­nes Mor­gens Be­ne­det­te,

den ge­sandt Na­po­le­on.

Der fing zor­nig an zu kol­lern,

weil ein Prinz von Ho­hen­zol­lern

soll­t’ auf Spa­ni­ens Kö­nigs­thron.

Aus die­sen hei­te­ren Ela­bo­ra­ten des Krie­ges schwirr­ten Zi­ta­te über­all um­her, im Sprach­schatz der Men­schen hei­misch ge­wor­den.

Man war bei aller­größ­tem Hu­mor und wuss­te kaum, wo man ihn las­sen soll­te.

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Zwanzigstes Kapitel

In der Fest­lich­keit die­ses Früh­jahrs und Früh­som­mers ge­sch­ah al­les Wie­der­be­geg­nen auf neue Art. So das im Stall mit ei­nem feu­ri­gen Rot­schim­mel, den mein Va­ter bei Be­ginn des Krie­ges hat­te her­ge­ben müs­sen. Er war aus dem To­des­ritt der Bri­ga­de Bre­dow, Ula­nen1 und Küras­sie­re, bei Vion­ville/Mars-la-Tour le­bend her­vor­ge­gan­gen und wie­der in un­sern Stall ge­langt. Er war für mich nun kein blo­ßes Pferd, son­dern höchs­tens das ei­nes Got­tes oder ei­nes Sankt Ge­orgs, von hel­di­schem He­ro­is­mus um­wit­tert. Und be­son­ders die Bil­der im Gro­ßen Saal ge­wan­nen durch die all­ge­mei­ne Fest­lich­keit an Fest­lich­keit. »Er blickt hin­auf in Him­melsaun, wo Hel­den­vä­ter nie­der­schaun.« Die lieb­li­che Raf­fae­li­sche Ma­don­na Six­ti­na ge­hör­te ja dort­hin. Und in dem an­de­ren Bil­de, der großen Kreuz­ab­nah­me von Rem­brandt van Rijn, stell­te sich mir ir­gen­det­was von gött­lich-mensch­li­chem Op­fer­to­de des Krie­ges dar, dem ich mi­nu­ten­lang nach­hän­gen konn­te.

Ei­nes Ta­ges war dann die Kur­ka­pel­le auf­ge­zo­gen und weck­te mich zum ers­ten Male wie­der um sie­ben Uhr früh mit ih­rem Cho­ral. Der Krau­se-Om­ni­bus hol­te Men­schen von der Bahn­sta­ti­on und schüt­te­te sie im Hofe der Kro­ne aus. An­de­re, näm­lich die rei­che­ren Leu­te, be­nütz­ten Drosch­ken und Lohn­wa­gen. Nicht so sehr die von Os­ten kom­men­den als die von Nord­os­ten, Nor­den, Nord­wes­ten und Wes­ten her ein­tref­fen­den Gäs­te wa­ren er­füllt von dem neu­en Geist, wo­mög­lich stär­ker er­füllt als wir.

Mei­ne Mut­ter war und blieb Dachrö­dens­hof. Nicht, dass sie ir­gend­wie mei­nen oder ir­gend­ei­nen En­thu­si­as­mus ge­stört hät­te, sie sah und hör­te nur lä­chelnd zu. Sie stand noch im­mer, we­nig be­rührt, in der al­ten Zeit und sah in der neu­en et­was, das einen ge­si­cher­ten, stil­len Ver­lauf des Le­bens durch einen dra­ma­ti­schen er­setz­te, des­sen Ende nicht ab­zu­se­hen war.

Die Vor­gän­ge um die Te­sta­ments­er­öff­nung hat­ten mich un­ter an­de­rem ge­lehrt, wie wich­tig es war, dass der Gast­hof gut be­sucht wur­de. Selt­sam und nicht ganz men­schen­wür­dig er­schi­en es mir schon als Kind, wenn über­all vor den Spei­se­häu­sern mit lau­tem Glo­cken­ge­schell so­zu­sa­gen zur Füt­te­rung ge­ru­fen wur­de. Eine sol­che Glo­cke führ­te die Kro­ne nicht. Die Sor­ge aber, die ich jetzt für den Be­stand der ge­lieb­ten Kro­ne hat­te, be­wog mich, auf der Lau­er, die Gäs­te zu zäh­len, die trotz des feh­len­den Ru­fes ein­tra­ten.

Es schie­nen mir im­mer zu we­nig zu sein: klei­ne Grup­pen und Grüpp­chen, die vom Kro­nen­berg über die Freitrep­pe der Ter­ras­se an den Ar­ran­ge­ments süd­li­cher Pflan­zen vor­über in den Gro­ßen und Klei­nen Saal ein­bo­gen. Wehe, wer hier vor­über­ging und den Berg wei­ter­stieg, um im Eli­sen­hof ein­zu­keh­ren!

Mei­ne Mut­ter konn­te nicht um Geld bit­ten, was über­haupt im­mer eine pein­li­che Sa­che ist. Sie er­zog sich lie­ber zu ei­ner fast sträf­li­chen An­spruchs­lo­sig­keit. Nach der Erb­schaft je­doch wur­de ihr von mei­nem Va­ter der Er­lös aus dem Ver­kauf des aus­ge­koch­ten Sup­pen­fleisches zu­ge­bil­ligt. In Wür­fel ge­schnit­ten, wur­de es von mei­ner Mut­ter an arme Leu­te für ein Ge­rin­ges weg­ge­ge­ben.

Das sol­cher­ma­ßen ver­dien­te Ta­schen­geld mei­ner Mut­ter er­öff­ne­te ihr und mir wie­der und wie­der das Kur­thea­ter. Ob sie im To­des­jahr ih­res Va­ters hin­ein­ge­gan­gen ist, weiß ich nicht, ich möch­te es aber für mög­lich hal­ten, da sie Äu­ßer­lich­kei­ten, also zur Schau ge­tra­ge­ner Trau­er, ab­hold war, und au­ßer­dem trieb sie, wenn sie ins Thea­ter ging, einen ih­rer Mut­ter gel­ten­den Erin­ne­rungs­kult: sie war eine ge­bo­re­ne St­ent­zel, die­se Mut­ter, in Bres­lau ge­bür­tig und von Kind an auf­er­zo­gen im Hau­se ei­nes Fräu­leins von Stut­ter­heim. Vie­les wur­de von ihr er­zählt und ih­rer Thea­ter­lei­den­schaft, be­son­ders in ei­ner Zeit, wo das Thea­ter in Bres­lau flo­rier­te und alle Welt aus der Pro­vinz ta­ge­lan­ge Wa­gen­fahr­ten nicht scheu­te, um ei­ner Vor­stel­lung bei­zu­woh­nen.

Mei­ne Groß­mut­ter Straeh­ler muss eine freie, le­bens­lus­ti­ge und kei­nes­wegs fröm­meln­de Per­sön­lich­keit ge­we­sen sein. Ein klu­ger, welt­li­cher, re­ger Geist mag bei ihr über­wo­gen ha­ben.

»Die schö­ne Gala­thea«, im Sperr­sitz ne­ben mei­ner Mut­ter ge­nos­sen, mach­te einen großen Ein­druck auf mich: ein fan­tas­ti­sches Bild­werk, ein Weib, in das sich sein Meis­ter ver­liebt, das le­ben­dig wird und das er ver­zwei­felt wie­der zer­schlägt, weil es ihn durch Un­treue un­glück­lich macht. Vi­el­leicht geht mei­ne spä­te­re Lie­be zur Plas­tik in et­was auf die­ses Werk von Suppé zu­rück.

Ein an­de­res Stück, das ich sah, hieß »Der alte Des­sau­er«, »Der Land­wehr­mann und die Pi­kar­de« ein drit­tes, wo die ge­müt­li­che Art je­ner Zeit, wel­che die Kampf­hand­lung we­sent­lich auf den Sol­da­ten be­schränk­te, an­schau­lich wur­de. Auch an »Die Gei­er-Wal­ly«, die un­ter dem Na­men der Birch-Pfeif­fer lief, er­in­ne­re ich mich; wenn sie, an­ge­seilt und den Ab­grund hin­un­ter­ge­las­sen, dem Läm­mer­gei­er das ge­raub­te Kind aus dem Nes­te nimmt, so war dies wohl hel­den­haft und auf­re­gend.

Ein Frag­ment vom Faust, zum Be­ne­fiz des Di­rek­tors Ste­ge­mann, der den Me­phi­sto spiel­te, ist mir eben­falls durch das Ta­schen­geld der Mut­ter, stam­mend aus in Wür­fel ge­schnit­te­nem Sup­pen­fleisch, er­öff­net wor­den. Wel­che Ur­sa­che, wel­che Wir­kung!

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Täg­lich nahm der Di­rek­tor Ste­ge­mann im Ho­tel zur Kro­ne, also im ers­ten des Orts, meis­tens am Tisch mei­nes Va­ters, den Früh­schop­pen, der in je ei­ner hal­b­en Fla­sche Bor­deaux vor der an­de­ren oder nach ihr be­stand. Die­ser schlan­ke Bon­vi­vant, der ein hal­b­es Jahr­hun­dert und mehr auf dem Kerb­holz hat­te, sah ohne Mas­ke be­reits wie Me­phi­sto aus. Er wuss­te ge­nau, wenn Ka­vi­ar oder Hum­mer her­ein­ge­kom­men war, und es lag dann für ihn nicht fern, von die­sen De­li­ka­tes­sen zu ei­ner Fla­sche Cham­pa­gner – es gab da­mals kei­nen deut­schen Sekt – fort­zu­schrei­ten. Wenn er bei mei­nem Va­ter saß und sich Dok­tor Straeh­ler aus dem Ko­me­ten da­zu­ge­sell­te, war es ein Klee­blatt, auf das ich nicht ohne Stolz und Neid hin­blick­te.

Ir­gend­wann ein­mal moch­te die Sit­zung des Tri­os so gut ge­launt sein, dass mich mein Va­ter rief und an die Frau Di­rek­tor ab­ord­ne­te. Sie wohn­te ein we­nig ent­fernt im Nie­der­dorf, und Me­phi­sto selbst be­schrieb mir ge­nau den Weg; da­bei hat­te er mit ei­ner be­stri­cken­den Vä­ter­lich­keit die Hand auf mei­nen Schei­tel ge­legt und dank­te mir freund­lich im Voraus, wie ein Gent­le­man dem an­de­ren, für mei­ne Be­mü­hung. Er käme, soll­te ich mel­den, durch et­was Wich­ti­ges auf­ge­hal­ten, spä­ter als sonst nach Haus, man möge nicht mit dem Es­sen auf ihn war­ten.

Als ich die bes­ten Häu­ser im be­gin­nen­den Nie­der­dorf ab­ge­sucht hat­te und von kei­ner Di­rek­to­rin Ste­ge­mann et­was zu er­fah­ren war, gab man mir end­lich einen Fin­ger­zeig, den ich in­des nicht für Ernst neh­men woll­te. Man wies mich in ein nach mei­nen Be­grif­fen nur von be­son­ders ärm­li­chen Pro­le­ta­ri­ern be­wohn­tes Hin­ter­haus, an des­sen Tür ich un­gläu­big an­klopf­te. Es schol­len strei­ten­de Stim­men, Kin­der­ge­schrei, Klatsch­ge­räusche und je­der­art Lärm her­aus. Vi­el­leicht dass das In­ne­re des Ge­bäu­des ein we­nig bes­ser er­schi­en, als das Äu­ße­re ver­mu­ten ließ, so­wie sich die Tür öff­ne­te. Aber die Frau ohne Bu­sen­tuch, in der Nacht­ja­cke, mit zer­zaus­tem Haar, der ich ge­gen­über­stand, alle Sor­ten von schmut­zi­gen Kin­dern um sie, dar­un­ter ei­ni­ge, die auf Nacht­ge­schir­ren her­um­flenn­ten, wa­ren nicht von der Art, dass ich den An­hang des di­rek­to­ria­len Bon­vi­vants in ih­nen ver­mu­ten konn­te. Eine sol­che Häus­lich­keit mit Spei­se­res­ten, Milch­fla­schen, Spü­licht und un­ge­wa­sche­nem Kü­chen­ge­schirr, und was dem Ge­ruchs­sinn ge­bo­ten wur­de, brauch­te ich nicht wei­ter aus­zu­ma­len, wenn sich mir nicht al­les und schließ­lich noch das weg­wer­fen­de Ge­schrei der Frau über ih­ren Mann im Ge­gen­satz zu dem Bil­de in der Preu­ßi­schen Kro­ne so tief ein­ge­prägt hät­te. Dort sprach man von Bis­marck, Molt­ke, Roon, von Na­po­le­on, der in Kas­sel ge­fan­gen saß, vom Frie­den zu Frank­furt, von Straß­burg, das wie­der deutsch ge­wor­den war, von den fünf Mil­li­ar­den Fran­ken, die Frank­reich an Deutsch­land zu zah­len hat­te. Von al­le­dem war hier nichts hin­ge­drun­gen.

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Der Eli­sen­hof über uns, dem ich kei­ne Tisch­gäs­te gön­nen woll­te, ge­hör­te ei­ner Ma­da­me Enke, die ver­wit­wet war und dort mit ih­ren Söh­nen und de­ren Er­zie­her, Dia­ko­nus Spah­ner, haus­te. Die Hin­ter­gär­ten der Kro­ne und des Eli­sen­hofs grenz­ten an­ein­an­der, aber trotz­dem oder ge­ra­de des­halb be­stand ein Ver­kehr zwi­schen uns und den En­kes nicht. Vi­el­leicht war es frü­her an­ders ge­we­sen. Die Spuk­ge­schich­te mei­nes Va­ters mit dem un­auf­ge­klär­ten Rufe »Ro­bert! Ro­bert!«, die sich auf einen jun­gen Enke be­zog, sprach da­für. Den Ab­bruch der Be­zie­hun­gen hat­te ein Volk von En­ten be­wirkt, das durch Zaun­lücken in den En­ke­schen Gar­ten ge­wech­selt war, dort als gute Pri­se ge­nom­men und im Kel­ler vom Haus­knecht ge­schlach­tet wur­de. Nur un­ter dem al­ten Enke, der da­mals noch leb­te, konn­te et­was der­glei­chen vor­kom­men. Als er sich aber kur­ze Zeit dar­auf mit dem Haus­knecht ver­un­ein­te und ihn aus dem Hau­se warf, er­schi­en die­ser bei mei­nem Va­ter und ver­riet den Sach­ver­halt.

Mein Va­ter ließ al­les zu Pro­to­koll neh­men und übergab die­ses dem öf­fent­li­chen An­klä­ger.

Nach­dem die ers­te Ver­hand­lung vor­über war, mit dem be­harr­lich leug­nen­den Enke auf der An­kla­ge­bank, leg­ten sich Wal­den­bur­ger Krei­se ins Mit­tel und mit ih­nen mein Va­ter und mei­ne Mut­ter selbst, wor­auf die Sa­che im San­de ver­lief.

En­kes wa­ren im Ort nicht be­liebt. Ob sie selbst die Ge­sell­schaft mie­den oder ob sie ge­mie­den wur­den, war nicht ohne wei­te­res fest­zu­stel­len. Aber es schweb­te im­mer eine Düs­ter­nis um den Eli­sen­hof, die ihn in eine Art Ver­ruf brach­te.

Die Sup­pen­fleischwür­fel mei­ner Mut­ter er­laub­ten ihr, mich ge­le­gent­lich im nächt­li­chen Dun­kel der Pro­me­na­den mit ei­ner Por­ti­on Va­nil­le­eis zu be­glücken. Wir sa­ßen dann lan­ge an ei­nem ver­steck­ten Tisch der Kon­di­to­rei und re­de­ten al­ler­lei mit­ein­an­der. Da sie von Kind auf in Salz­brunn ge­lebt hat­te, wuss­te sie über die Chro­nik des Or­tes Be­scheid und so auch über ge­wis­se dunkle Punk­te, von wel­chen die selt­sa­me Iso­lie­rung der En­kes sich her­schrei­ben moch­te.

Der mys­te­ri­öse Eli­sen­hof ge­hör­te frü­her ei­nem Herrn Hin­de­mith. Er war ein rei­cher Ha­ge­stolz, der die spä­te­re Ma­da­me Enke, ur­sprüng­lich die Toch­ter ei­ner Grün­zeug­frau, im Back­fi­schal­ter ad­op­tiert hat­te. Er ver­lieb­te sich in das Kind, er­wies ihm öf­fent­lich eine viel be­lach­te, aber mehr noch An­stoß er­re­gen­de Zärt­lich­keit und quäl­te sie au­ßer­dem durch Ei­fer­sucht.

Er mach­te das von ihm und sei­ner Ad­op­tiv­toch­ter be­wohn­te vor­nehm düs­te­re alte Haus zum Ho­tel Eli­sen­hof. Ein ge­wis­ser Enke wur­de als Lei­ter, als Maître d’hôtel und Ober­kell­ner ein­ge­setzt. Es fand sich die von ihm und der Toch­ter des Hau­ses bald ge­mein­sam und heiß er­sehn­te Ge­le­gen­heit. Sie wa­ren hin­ter dem Rücken des Al­ten ei­nig ge­wor­den.

Der alte Hin­de­mith wur­de krank. Er lag zu Bett und konn­te nicht auf­ste­hen. Im glei­chen Zim­mer schlief auch die Ad­op­tiv­toch­ter. Er be­an­spruch­te ihre Pfle­ge und wach­te ty­ran­nisch über sie.

Aber wann wäre eine noch so schar­fe Be­wa­chung und Tren­nung von Lie­bes­leu­ten er­folg­reich ge­we­sen? Nie­mand ver­mag ohne Schlaf zu le­ben, und so war es mit dem al­ten Hin­de­mith. Ge­gen schlech­ten Schlaf aber gibt es Schlaf­mit­tel. Von Krank­heit und Ei­fer­sucht ge­plagt, trotz­dem er in ihm die ge­schäft­li­che Stüt­ze hat­te, jag­te er Enke ei­nes Ta­ges Knall und Fall auf die Stra­ße hin­aus.

Der so Ge­trof­fe­ne heu­chel­te Gleich­gül­tig­keit. Un­ter den Fens­tern des Kran­ken wur­den sei­ne Kof­fer ver­la­den, der Kut­scher schlug auf die Gäu­le ein, und die quä­len­de Epi­so­de schi­en ab­ge­tan. In Wahr­heit sa­ßen Enke und das nun wohl schon um die Drei­ßig alte Fräu­lein Hin­de­mith am Abend wie im­mer in ei­ner ab­ge­le­ge­nen Kam­mer des Eli­sen­hofs bei­ein­an­der. So blieb es bis zu des Al­ten Tod.

Ich habe ver­ges­sen, wie lan­ge Enke als ver­bor­ge­ner Haus­ge­nos­se auf den Tod des al­ten Hin­de­mith lau­ern muss­te. Kaum war er ge­stor­ben, als Eli­se Hin­de­mith mit dem eins­ti­gen Ober­kell­ner Hoch­zeit fei­er­te: ein wüs­tes Fest, das im­mer wie­der von mei­ner Mut­ter ge­schil­dert wur­de.

Das Uner­laub­te die­ser Vor­gän­ge über­la­ger­te den Eli­sen­hof. Schließ­lich starb dann auch Enke, wäh­rend Dia­ko­nus Spah­ner schon im Hau­se war. Die Salz­brun­ner setz­ten kei­nen Zwei­fel in die Art des Ver­hält­nis­ses, das Ma­da­me Enke, eine Er­schei­nung jetzt wie Ma­ria The­re­sia, mit dem jun­gen und schö­nen Theo­lo­gen ver­band.

Žanrid ja sildid
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9783962818746
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