Loe raamatut: «Saarland-Connection», lehekülg 4

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18.

Herrlich, sogar die überregionale Presse hatte den Leichenfund aufgenommen. Vor ihm lagen aufgeklappt die FAZ, die Süddeutsche sowie die Saarbrücker Zeitung und er las mit Spannung, was die Journalisten an ersten Ideen zusammengetragen hatten. Neben den Fakten war das zunächst einmal nicht viel. Ein Foto war nicht abgedruckt worden, nur wilde Beschreibungen von Augenzeugen. Er war schon sehr gespannt auf die Aussagen der Polizei. Es würde sicher bald eine Pressekonferenz geben. Er wollte zu gerne wissen, ob sie den Köder schon geschluckt und seine Nachricht verstanden hatten.

Dann hätte er den Stein ins Rollen gebracht und die anderen würden das Ganze nur noch beschleunigen. Langsam lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück. Heute war ein guter Tag, das spürte er.

Er hatte seine Bestimmung gefunden. Seine Aufgabe würde es sein aufzuräumen. Er war bereit.

19.

»Okay, Leute. Was haben wir?«

Veronika kam gerade von dem Gespräch mit der Ehefrau des Opfers, Leonie Hartmann, zurück. Die junge Frau stand immer noch unter Schock. Sie hatte kaum Angaben zu den Geschäftsbeziehungen ihres Mannes machen können noch zu irgendwelchen Personen, mit denen er im Clinch lag.

»Mein Mann hat mich aus dem Geschäft herausgehalten, ich kenne mich da auch wirklich nicht gut aus. Ich bin eigentlich Dermatologin, arbeite aber seit Pollys Geburt nicht mehr. Die Baubranche ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Alleine diese komplizierten Ausschreibungen und Antragsverfahren«, hatte sie erzählt. Sie hatte Veronika dann doch noch ein paar Namen genannt von Personen, die ihr sicherlich mehr darüber berichten könnten. Darunter war die erste Frau von Herrn Hartmann, die immer noch in seiner Firma angestellt war und die Finanzen des Unternehmens verwaltete.

Veronika schrieb die Namen auf das Whiteboard und teilte sie mit einem kurzen Pfeil den Teams für die Befragungen zu. Weissmann und Meyer kamen herein. Sie hatten Gerrit Jahnke befragt. Becker wedelte mit einigen dicht beschriebenen Ausdrucken des vorläufigen Obduktionsberichts. Thiel hatte offensichtlich wieder die Nacht durchgearbeitet. Veronika berichtete kurz von ihrer Unterredung und bat dann die anderen um deren Ergebnisse.

»Jahnke wird uns eine Liste erstellen lassen mit allen Mitarbeitern, Handwerkern und Besuchern, die in den vergangenen Wochen in den Räumlichkeiten ein und aus gegangen sind. Er schätzt, dass er da auf mehrere Dutzend kommt«, erläuterte Sylvia Meyer. »Er hat auch bestätigt, dass Pausini am Vorabend der Eröffnung gegen 0.30 Uhr die Halle verlassen hat. Er wusste es noch so genau, weil sich der Schließdienst deshalb bei ihm beschwert hat. Die Putzkolonne ist dann wohl gegen neun Uhr morgens angetreten, den Angestellten sei aber nichts Spezielles aufgefallen, sagt er. Er hat wohl heute früh gleich noch mit deren Vorgesetzten telefoniert. Die Mitarbeiter sollten wir aber dennoch noch mal einzeln befragen, sicher ist sicher.«

»Gut, bleibt da bitte dran. Sven, haben wir schon eine Einschätzung zum Todeszeitpunkt? Und der Todesursache?«

»Ja, Thiel hat mal wieder Gas gegeben. Also, den Totenflecken und der Leichenstarre nach zu urteilen, war die Leiche etwas mehr als 12 Stunden tot, bevor sie zu ihm gebracht wurde. Wir reden also von der Nacht vor der Veranstaltung. Todesursache war Verbluten, die Wunde an den Rippen ging zwischen den Knochen durch und hat die Hauptarterie verletzt. Das ging wohl ziemlich schnell, meinte er.«

Veronika las parallel in dem Bericht, den Becker ihr gegeben hatte. Deutliche Hämatome am Hinterkopf ließen darauf schließen, dass dem Opfer vorher ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand verpasst worden war.

»Kann man sagen, ob Hartmann bei Bewusstsein war, als ihm die Wunde zugefügt wurde?«

Becker schüttelte den Kopf.

»Leider nicht. Thiel überprüft gerade noch, ob es Abwehrspuren gibt und was er sonst noch finden kann. Dies war nur mal sein erster Aufschlag.«

»Max, was hast du für uns im Gepäck?«

»Noch nicht so viel, ehrlich gesagt. Ich bin gerade dabei, die Baufirma ein bisschen auseinanderzunehmen. Ich blicke aber langsam nicht mehr durch. Hartmann hatte mehrere Beteiligungen an anderen Unternehmen und einige große Projekte, in die er sogar selbst investiert hat. Ich hoffe, es ist okay, dass ich mir Unterstützung bei den Wirtschaftsdelikt-Leuten angefordert habe. Der Herr war ganz schön umtriebig und hat nur bei den großen Projekten mitgespielt. Die Erschließung der Saarterrassen, das Einkaufszentrum in Neunkirchen und mehrere Neubaugebiete – alles auf alten Industriebrachen. Also offensichtlich höchst lukrativ. Bleibe da dran.«

Veronika nickte nachdenklich. Die Baubranche war für erbitterte Konkurrenzkämpfe bekannt. Und einige Mitspieler waren nicht unbedingt zimperlich, wenn es um die Wahl der Bandagen ging. Lauerte hier schon ihr Motiv? Wieso trieb der Täter dann so viel Aufwand? Und dann diese Pose. Wen betete Hartmann da an? Was sollte das alles bedeuten?

»Haben wir die Aufnahmen der Überwachungskameras schon?«

»Nein, leider nicht. Anscheinend gibt es gar nicht so viele auf dem Gelände, wie ich vermutet hätte. Es befindet sich jeweils eine am Lieferanteneingang und im Empfangsbereich sowie vor den Außentüren. Aber innen so gut wie keine. Nur die, die vor der Skulptur selbst aufgebaut war, aber die hat erst kurz vor der Enthüllung angefangen aufzuzeichnen. Auf jeden Fall haben die irgendetwas von offiziellem Beschluss für die Herausgabe der Dateien gefaselt. Kannst du da nicht mal deinen Staatsanwalt drauf ansetzen? Ich hab gesehen, ihr seid jetzt so«, witzelte Becker und hielt dabei Mittel- und Zeigefinger gekreuzt.

»Ha, ha. Sehr witzig.« Veronika ärgerte sich, weil sie ein bisschen rot wurde, ohne zu wissen, warum eigentlich.

»Ruf du ihn doch selbst an. Ich muss dringend noch etwas anderes erledigen«, zischte sie genervter, als sie wollte. Normalerweise agierte die Staatsanwaltschaft im Hintergrund und sie befanden sich in enger Abstimmung während ihrer Ermittlungen. Meist übernahm es jemand aus ihrem Team, die Schnittstelle zu den Kollegen dort zu spielen. Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass es dieses Mal anders sein würde.

20.

Margarete Schwarz blätterte in ihrem Poststapel. Was war das gestern Abend für eine Aufregung gewesen? Sie hatte leider zu weit weg gestanden, um wirklich etwas sehen zu können, aber im Internet kursierten genügend Aufnahmen von der Live-Übertragung, die den Schockmoment dokumentierten. Sie hatte Benno sehr gut gekannt, nicht nur durch ihre enge Zusammenarbeit, aktuell an drei gemeinsamen Projekten, sondern auch privat. Sie verstand nicht, wer so etwas tun konnte. Benno war immer humorvoll gewesen, von der gröberen Sorte zwar, aber so waren nun mal die Baujungs. Er konnte charmant und einschmeichelnd sein, wenn er etwas wollte. Und er wusste immer genau, was das war.

Ein Umschlag stach besonders aus dem Poststapel hervor, der hauptsächlich aus Briefen im DIN-lang-Format bestand. Er war fast quadratisch und sah den Briefpapierbögen ähnlich, welche sie als junges Mädchen gesammelt hatte. Leicht strukturiert und in einem hellen Gelbton gehalten. Es hätte sie nicht gewundert, wenn er nach Kamille geduftet hätte. Sie hob ihn an die Nase, doch er roch nur leicht nach Klebstoff.

Der Brief war an sie persönlich adressiert. Deswegen hatte ihn ihre Sekretärin nicht angerührt. Sie schob ihren Brieföffner routiniert in den kleinen Schlitz an der Umschlagskante und schnitt ihn mit einer Bewegung sauber auf. Sie zog ein vierfach gefaltetes Blatt Papier heraus, klappte es auf und hielt den Atem an, als ihr Blick auf die dilettantisch geklebten Buchstaben fiel. Wie in einem schlechten Film, schoss es ihr durch den Kopf.

»TICK, TACK, RÜBE AB! DU BIST DIE NÄCHSTE. AUCH DU WIRST BEZAHLEN – DU MISTSTÜCK.«

Das konnte nur ein Scherz sein. Hektisch suchte sie auf dem Umschlag nach einem Absender oder zumindest nach einem Hinweis darauf. Der Poststempel wies auf Saarbrücken hin, sonst war nichts zu finden. Sollte sie die Polizei einschalten?

Sie bekam hin und wieder unschöne Post. Sie war schließlich schon lange in der Politik, da konnte man es nicht jedem recht machen. Meistens waren es E-Mails, in denen sich der Absender im Ton vergriff oder sie gar beschimpfte. Aber seit sie bei der SABB, der Saarländischen Agentur für Bau- und Bodenprojekte, arbeitete, hatte sie keine Briefe dieser Art mehr erhalten. Und so direkt war ihr Leben bisher auch noch nicht bedroht worden. Vielleicht lag das an der Verrohung der Gesellschaft, von der aktuell alle sprachen. Oder es hatte sich doch jemand einen üblen Scherz erlaubt. Aber die Sache mit Benno …

»Frau Schwarz, Ihr Termin wartet«, rief ihre Sekretärin durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür. Sie beschloss, den Schreck erst einmal sacken zu lassen und sich dann zu überlegen, wie sie weiter vorgehen wollte. Nicht, dass sie noch alle für paranoid hielten. Als Frau hatte sie es schon schwer genug in den Baugremien, zwischen Ingenieuren, Architekten, Bauleitern und Polieren. Wie oft hatte sie sich da schon zotige Bemerkungen anhören müssen?

Nein, sie durfte sich nicht ablenken lassen. Bei ihrem nächsten Termin ging es um viel Geld. Die Vergabe der Bebauungsrechte für die Brachfläche in Bexbach. Die inoffiziellen Vorgespräche waren schon gelaufen, eigentlich wusste jeder, was er zu tun hatte. Aber manchmal schoss doch noch jemand quer und drohte, den Mantel des Schweigens, der wohlig über den geheimen Seilschaften lag, zu lüften. Sie hatte dieses Mal ihre Hausaufgaben gemacht, jetzt würde sie sehen, ob es aufging. Der Pool in ihrem Garten, von dem sie so lange geträumt hatte, würde sich nicht von selbst bauen. Sie packte ihre Unterlagen zusammen und warf sich noch eine Koffein-Tablette ein, die sie mit einem großen Schluck Wasser hinunterspülte. Konzentrier dich, Margarete.

21.

Eins musste man der Truppe um Veronika Hart lassen. Sie waren fokussiert und ein gut eingespieltes Team. Dies war sein erster großer Fall als Staatsanwalt in Saarbrücken, und als Kommissar Langner ihn angerufen hatte, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen, hatte er darauf bestanden, mit der Hauptkommissarin persönlich zu sprechen.

Seit dem Leichenfund hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie man die Geschichte am besten angehen könnte, ohne allzu viele Pferde scheu zu machen. Hartmann war bei den Rotariern gewesen, kannte im Saarland und wahrscheinlich darüber hinaus Gott und die Welt. Dieser Fall würde zwangsläufig Staub aufwirbeln und der Druck nach Aufklärung schnell steigen. Es war utopisch, unter den Gästen nach dem Schuldigen zu suchen, daher fand er den Ansatz, den die Polizei gewählt hatte, nachvollziehbar. Nach dem Chaos mit Zugangs- und Ausgangskontrollen und der großen Personenzahl ergab es keinen Sinn, hier anzusetzen. Also stand das Opfer im Fokus – und da würden die Probleme anfangen, das konnte er jetzt schon voraussagen.

Sowohl der Oberstaatsanwalt als auch sein direkter Chef hatten sich an diesem Morgen gleich bei ihm nach dem Stand der Ermittlungen erkundigt. Auch sie kannten Benno Hartmann. Gleiche Stammtische, gleiche Golfclique. Sebastian war gebürtiger Saarländer, sein Vater war Richter gewesen und hatte sich vor Kurzem in den Ruhestand verabschiedet. Er wusste, dass alle irgendwie miteinander verbandelt waren, geschäftlich und privat. Und dass sie, wenn sie zu viel in der Suppe rühren würden, auch unappetitliche Details zu sehen bekämen, die der eine oder andere Koch vielleicht lieber verstecken würde.

Veronika Hart und er mussten hier ganz behutsam vorgehen. Das versuchte er ihr schon seit zehn Minuten am Telefon zu erklären, aber er hätte auch mit einem Kühlschrank sprechen können, so eisig ließ sie ihn spüren, wie sehr sie seine Einmischung in ihre Arbeit schätzte. Nämlich überhaupt nicht.

»Frau Hart, Sie müssen verstehen, dass das gesamte Saarland fast nur funktioniert, weil wir felsenfeste Netzwerke haben, die alles am Laufen halten«, setzte er erneut an. »Natürlich treffen Sie dort immer wieder die gleichen Gesichter, und man könnte jetzt eine Diskussion über Marktoffenheit, Wettbewerbsverzerrung und Entscheidungsfreiheit vom Zaun brechen. Aber mit diesen Argumenten werden Sie dort nicht viel ausrichten können.«

»Das ist mir ziemlich egal, Herr Kirschmeier. Fakt ist, dass wir hier eine Leiche haben, die anscheinend durch das Netz gefallen ist. Oder irgendwo sitzt eine Spinne, die bei dieser Klüngel-Show nicht mehr mitspielen will. Oder der Hartmann auf die Füße getreten ist, wenn wir mal davon ausgehen, dass es ein gezielter Anschlag auf seine Person und er kein Zufallsopfer war. Beides müssen wir aber in Betracht ziehen.«

»Sie haben ja recht, ich würde das auch so sehen an Ihrer Stelle. Aber glauben Sie mir, wir sollten dennoch mit Fingerspitzengefühl vorgehen und nicht mit dem Bulldozer. Wenn wir Pech haben, sind da auch Personen involviert, an denen Ihre und meine Karriere hängen.«

Veronika Hart schnaubte durch den Hörer und wollte gerade etwas erwidern, als Sebastian sie unterbrach.

»Hören Sie, was halten Sie davon, wenn wir einen Schlachtplan machen. Ich kenne alle handelnden Personen in diesen Kreisen, ihre Hintergründe sowie ihre Wirkungsgrade. Wir tasten uns langsam voran. Lassen Sie mich Ihr Minensuchhund bei den Ermittlungen sein. Wenn wir vor einem dicken Brummer stehen, überlegen wir uns jeweils eine Strategie, bevor der hochgeht und uns mitreißt. Einverstanden?«

Am anderen Ende der Leitung entstand eine längere Pause.

»Okay, dann machen wir das so«, gab Veronika widerwillig nach. »Die saarländische VIP-Szene ist nicht mein Parkett. Da kenne ich mich weder aus, noch fühle ich mich wohl.«

Sebastian lächelte leicht. Eins zu null für ihn.

Perfekt, jetzt musste er sich nur noch überlegen, in welche Richtung die Ermittlungen am sinnvollsten waren. Bevor sie der Frage nachgingen, ob Hartmann in irgendetwas verwickelt gewesen war, sollten sie alles andere ausschließen können – Habgier, Neid und Missgunst, Rache oder eine enttäuschte Liebesgeschichte.

22.

Sven Becker machte sich auf den Weg zum Geschäftssitz der Firma Hartmann Bau GmbH, die im Stadtteil Güdingen mehrere Hallen und ein Bürogebäude besaß. Er hatte einen Termin mit Gabriele Hartmann, der ersten Frau ihres Opfers, die nach seinen Recherchen die Finanz- und Con­trollingabteilung des Unternehmens leitete.

Eine adrette Frau Anfang 50 in einem perfekt sitzenden dunklen Hosenanzug und mit akkurat geschnittenen, kinnlangen blonden Haaren erwartete ihn bereits am Eingang des Hauptgebäudes. Sie führte ihn direkt in ein lichtdurchflutetes Büro auf der Südseite, in das sein eigenes im Präsidium dreimal reingepasst hätte. Auch wenn er überall Mitarbeiter sah, die teilweise in kleinen Grüppchen zusammenstanden, herrschte hier eine gespenstische Stille. Verständlich, wenn gerade der Chef verstorben war, und dann noch auf so eine spektakuläre Art und Weise. Sylvia Meyer hatte ihn eben noch auf dem Handy angerufen und ihm mitgeteilt, dass erste Bilder in den sozialen Medien aufgetaucht waren. Irgendein Idiot hatte gestern Abend nichts Besseres zu tun gehabt, als sein Mobiltelefon zu zücken und Fotos zu machen. Diese Aasgeier. Ständig getrieben von der Sensationsgier und dem Drang, ein Foto zu posten, das möglichst viele Likes generierte.

Gabriele Hartmann begrüßte ihn mit einer tiefen rauchigen Stimme, die so gar nicht zu ihrem zierlichen Äußeren passte, aber von zahllosen Zigarettenpackungen und Whiskyabenden zeugte. Während er sich noch darüber wunderte, stolperte er beim Betreten des Büros über zwei große langhaarige Knäuel, die sich als schlaksige Afghanen herausstellten, die ihm fast bis zur Hüfte gingen.

»Diese Rasse sieht man nicht oft«, stellte er fest, während er den einen Hund am Kopf kraulte. »Aber sie sind wunderschön. So anmutig, und dann die Augen. Als wüssten sie genau, was einem durch den Kopf geht.«

Ein kurzes Lächeln erhellte Gabriele Hartmanns Gesicht.

»Das stimmt, die beiden sind mein ein und alles. Benno hat sie geliebt. Er hat immer Hunde gehabt, wir haben sogar früher eine kleine Zucht geführt. Die beiden sind die Letzten aus dieser Zeit. Leider hat die kleine Polly eine schlimme Hundeallergie, zumindest behauptet das ihre Mutter. Wenn Sie mich fragen, will die einfach nur keine Hunde im Haus.«

Sie schüttelte den Kopf und besann sich, warum Becker bei ihr war.

»Der Verlust hat uns alle schwer getroffen. Leonie und Polly natürlich besonders. Das wird hart für die beiden. Finanziell hat Benno für sie gesorgt, da hat er sich nicht lumpen lassen. Aber er hat sich auch sonst um alles gekümmert. Mit der Firma werden wir mehr Probleme bekommen. Die Folgen kann ich aktuell noch nicht überblicken, dafür stehe ich zu sehr unter Schock. Ich hoffe, Sie verstehen das.«

Sven Becker nickte. »Wissen Sie denn, ob Ihr Ex-Mann bedroht wurde? Hat er sich beruflich mit jemandem angelegt, vielleicht einen Auftrag weggeschnappt, oder war er in sonst irgendwelche Geschäfte involviert, die schiefgelaufen sind? Die Baubranche ist ja ein raues Pflaster, was man so hört. Seine Frau konnte uns leider gar nichts dazu sagen …«

Frau Hartmann lachte heiser und verdrehte die Augen. Die beiden Frauen schienen nicht das beste Verhältnis gehabt zu haben.

»Oder ist er vielleicht sogar privat in eine Sache hineingeraten, aus der er nicht mehr rauskam? Ich nehme doch an, wenn Sie so eng mit ihm zusammengearbeitet haben, dass Sie vieles davon mitbekommen haben?«

Beckers Gegenüber schien nachzudenken. Sie hatte sich in einen überdimensionalen Ledersessel fallen lassen, ihm den anderen zugewiesen und starrte mit verschränkten Armen vor sich auf den Boden. Ein junger Mann kam herein und brachte ihnen Kaffee und ein paar Kekse.

»Danke, Alex. Bitte sag alle meine Termine für heute Nachmittag ab und schick die Belegschaft nach Hause, die stehen ja eh nur rum und zerreißen sich die Mäuler. Ich hab heute einfach keinen Nerv mehr für diese Frage-Antwort-Spiele.« Sie schickte ihren Assistenten mit einer wedelnden Handbewegung hinaus, dann wandte sie sich wieder Becker zu.

»Ich verstehe ja, dass die Angst um ihre Jobs haben, nicht dass ich da falsch rüberkomme. Aber ich habe auch einen wichtigen Menschen in meinem Leben verloren, den Vater meiner Söhne. Manche von denen haben mir noch nicht mal ihr Beileid ausgedrückt, sondern gleich mal gefragt, für wie viele Monate ihr Gehalt noch sicher ist. Das ist doch wirklich pietätlos, finden Sie nicht?«

Er stimmte ihr zu. Und während sie sich eine Zigarette anzündete und den Rauch stoßartig, fast erleichtert in die Luft blies, zückte er sein Notizbuch und begann mit der Befragung.

23.

Es war schon erstaunlich, wie schnell der Kick nachließ. Die Polizei schien in ihre Ermittlungen vertieft zu sein und es passierte nichts. Rein gar nichts. Als Gast der Veranstaltung war er weder angeschrieben, geschweige denn als Zeuge vorgeladen worden. Wahrscheinlich suchten sie gerade krampfhaft nach einem triftigen Motiv und wirbelten in Hartmanns Archiven Staub auf. Vielleicht war es gar nicht mal schlecht, dass jetzt auch seine Lakaien mächtig ins Schwitzen kamen. Es wurde Zeit, dass die Welt erfuhr, was da vor sich ging. Und dass diese Schweine endlich bezahlten.

Er schrieb noch ein paar belanglose E-Mails und rief dann seine Mutter an. Wie jeden Tag um 14.00 Uhr.

»Ich bin’s. Wie geht es euch? Hat er was essen können? Und war die Pflegerin heute pünktlich?«

Seit sie den Pflegedienst gewechselt hatten, gab es nur noch Probleme. Die angeblich examinierten Pflegekräfte hielten kaum die vereinbarten Zeiten ein, sprachen gebrochenes Deutsch, arbeiteten teilweise schlampig und waren dann oft schneller wieder weg, als man gucken konnte. Seine Mutter traute sich nie, etwas zu sagen, und nahm alles einfach hin. Und er konnte immer nur Beschwerde-E-Mails hinterherschicken, die aber nichts brachten.

Doch heute schien alles geklappt zu haben, das beruhigte ihn.

»Hast du gelesen, was in der Völklinger Hütte passiert ist? Du warst gestern auch dort, oder?«, fragte ihn seine Mutter.

»Stimmt, aber davon habe ich nichts mitbekommen. Du weißt doch, ich bin früher gegangen. Erinnerst du dich?«

»Hmmm, ja. Stimmt. Jetzt, wo du es sagst. Entschuldige bitte, ich frag mich, wo meine Gedanken sind. Dein Vater hat sich früher schon immer darüber aufgeregt.«

Er brummte nur ins Telefon. Sein Puls stieg automatisch an, wenn er die zittrige, unsichere Stimme seiner Mutter hörte. Diese selbstbestrafende Opferhaltung, diese Demut vor allem und jedem. Er konnte es fast nicht ertragen. Sein Leben lang hatte er sie so erlebt. Sich ständig wegduckend, stets darauf bedacht, es allen recht zu machen. Ohne eigene Meinung, ohne eigenen Willen. Auch wenn sein Vater sie stets ermuntert hatte, sie traute sich einfach nichts zu.

»Ich muss Schluss machen, Mutti!«, sagte er, bemüht, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. »Heute kann es etwas später werden, okay? Warte nicht mit dem Essen auf mich. Ich habe noch einen Termin.«

»Ach Gott, du Armer. Dass du immer so viel arbeiten musst. Ich heb dir dann was vom Abendessen auf, ja?«

Er atmete tief durch. Er wusste selbst nicht, warum er noch zu Hause wohnte. Irgendwie hatte er den Zeitpunkt verpasst auszuziehen. Er war nie wirklich weit rausgekommen. Zu seinem Studium, erst in Saarbrücken und dann in Speyer, war er immer gependelt. Das war auch im Sinne seines Vaters gewesen. Dass sein Sohn eine eigene Wohnung haben wollte, hielt er für pure Geldverschwendung. Und nach dem Unfall hatte sich sowieso alles verändert. Er wollte seine Mutter nicht im Stich lassen.

Jetzt hatte er aber erst einmal andere Sorgen. Er musste einen Termin vereinbaren. Phase zwei konnte starten.

Tasuta katkend on lõppenud.

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