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MORDS-Brocken

Der zwölfte Fall für Peter Kleinlein

Von Günther Dümler


Impressum

Texte: © Copyright by Günther Dümler

Umschlag: © Copyright by Günther Dümler

Verlag: Günther Dümler

Nürnberg

g.l.duemler@t-online.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Mords-Brocken

Kaum dass es richtig angefangen hat, scheint sich das neue Jahr für die Kleinleins zu einem wahren Seuchenjahr zu entwickeln. Hat es noch sehr erfreulich mit der Geburt eines weiteren Enkelkindes begonnen, so wartet es bereits unmittelbar danach mit den ersten Schwierigkeiten auf. Die aufkommende Coronakrise verhindert sowohl einen Besuch beim neuen Nachwuchs als auch den geplanten Italienurlaub. Doch auch der Alltag in Röthenbach entwickelt sich zunehmend kritisch angesichts von Hamsterkäufen und aufkommender Spannung unter der Bevölkerung.

Das ohnehin angespannte Klima wird durch die Nachricht über einen schrecklichen Unfall in unmittelbarer Nähe Röthenbachs noch zusätzlich verschärft. Ein Berufspendler fand den toten Bürgermeister Holzapfel direkt am Fuße eines Erdrutsches, ausgelöst durch den Orkan Sabine. Ein herabstürzender Felsbrocken hatte seinen Schädel buchstäblich zerschmettert. Doch war es überhaupt ein Unfall oder hat jemand nachgeholfen?

Wie schon so oft sind Kommissar Schindler und der Röthenbacher Hobbydetektiv Peter Kleinlein unterschiedlicher Meinung.

Inhaltsverzeichnis

Mords-Brocken

Inhaltsverzeichnis

Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe:

Vorwort

Handelnde Personen

Eine schwere Geburt

Spekulanten unter sich

Eine virtuelle Familie

Der Feind rückt näher

Röthenbach steuert kopflos in die Krise

Zeit ist ein kostbares Gut

Ein Unfall und andere Fälle

Wahltag

Maskerade

Der Schlaf des Gerechten

Die Messer sind gewetzt

Schindlers Schicksal

Holzapfels Witwe

Eine undankbare Aufgabe

Ofenfrisch aus der (Gerüchte-)Küche

Die Sache mit dem Sack

Peter hält sich bedeckt

Heiße (Nachrichten)Theke

Jung, blond, gewissenlos

Gedankenspiele

Auf ein Wort, Herr Schindler

Schindlers Osterbeichte

Chronologische Entwicklung Corona-Pandemie

Kleine fränkische Nachhilfestunde

Weitere Bücher aus der Rödnbach-Reihe:

Mords-Kerwa (Juli 2012)

Mords-Wut (Dezember 2012)

Mords-Urlaub (Mai 2013)

Mords-Schuss (August 2013)

Mords-Kerle (November 2013)

Mords-Krach (März 2014)

Mords-Brand (August 2014)

Mords-Fasching (Februar 2015)

Mords-Therapie (Januar 2016)

Mords- Zirkus (Februar 2017)

Mords-Zinken (Mai 2018)


Erstfassung Juni 2020

Alle Rechte vorbehalten

Vorwort

Dies ist die zwölfte Folge der Dorfkrimireihe um den unfreiwilligen Hobbydetektiv Peter Kleinlein. Dass es jemals dazu kommen würde haben weder der Autor, noch der Hauptprotagonist jemals zu träumen gewagt. Der Peter ist von Anfang an immer nur mehr oder weniger versehentlich in die vertrackten Fälle hineingerutscht. Eigentlich ist er ja nur ein Rentner mit viel zu viel Zeit und viel zu wenig Ideen, was er damit anfangen könnte. Und so ist er, wenn er ehrlich ist, schon ein bisschen dankbar für jede Denksportaufgabe, die ihm die Ereignisse und der stets etwas zu voreilige Hauptkommissar Schindler geradezu auf dem Silbertablett servieren.

Die folgende Geschichte ist völlig frei erfunden. Gerne hätte ich, wie allgemein üblich, auch noch ergänzt: einen Bezug zur Realität gibt es nicht. Doch der unübersehbare Bezug zur Coronakrise ist im Jahr 2020 leider traurige Realität. Die kriminellen Aspekte des Geschehens hingegen sind 100% reine Fiktion und haben niemals stattgefunden. Ähnlichkeiten jeglicher Art mit wahren Begebenheiten und real lebenden Personen sind rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

Der folgende Fall handelt im Umfeld der verheerenden Corona-Pandemie, die im Januar 2020 in China ihren Anfang nahm. Zunächst ist das Problem für die Röthenbacher sowohl räumlich als auch in ihrem Bewusstsein ein weit entferntes Ereignis, das man nur in den täglichen Nachrichten verfolgt. Bald aber erreicht die verheerende Seuche Europa und macht auch vor der Heimat unserer Protagonisten nicht Halt. Peter Kleinleins Ermittlungen geraten wegen der zu erwartenden Ausgangsbeschränkungen schon bald unter enormen Zeitdruck.

Handelnde Personen

Die Rödnbacher Freunde


Peter Kleinlein Rödnbacher, Hobbydetektiv
Marga Kleinlein seine stets besorgte Ehefrau
Simon Bräunlein Metzgermeister aus Rödnbach, Hersteller der 1A preisgekrönten Bratwurst
Gisela Bräunlein seine (im Sinne des Geschäfts) bessere Hälfte, das Gehirn des Betriebes
Lothar Schwarm Friseurmeister aus Rödnbach, sehr sensibel, äußerst gepflegte Erscheinung
Maria Cäcilie Schwarm Kosmetikerin aus der Oberpfalz, mittlerweile Lothars Ehefrau

Die Ermittler


Erwin Schindler Kriminalhauptkommissar
Heinz Havranek Kriminalobermeister
Roland Preißler Dezernatsleiter

Weitere Beteiligte


H. H. Pfarrer Ludwig Stiegler Gemeindepfarrer von St. Leonhard in Röthenbach
Helmut Holzapfel Ein fast kopfloser Bürgermeister
Karin Holzapfel Witwe
Erika Siebenkäs Teilzeit-Gemeindesekretärin
Tobias Kanzler neuer Stern am Röthenbacher Politikhimmel
Karl Bernreuther Wirt des Goldenen Adler
Manuel Grimm Gemeinderat, Waldbesitzer
Berthold Schedl Feuerwehrkommandant
Rudolf Weidinger ehemaliger Gemeinderat, im Ruhestand
Michael Leutzmann Wildpinkler und Entdecker
Margarethe Beckgenannt Beggn Gredl Führendes Mitglied der Hundsweiber und unerschöpfliche Gerüchtequelle
Frau Zängerlein Ältere Dame mit festen Moralvorstellungen
Frau Sebald Grüne Witwe, Rechtsanwaltsgattin

Eine schwere Geburt

Einen Unfall hatte es gegeben und erneut hatte es die Heidi, die Tochter der Kleinleins betroffen. Doch im Gegensatz zu ihrem Sturz vor zwei Jahren handelte es sich diesmal nicht um ein gebrochenes Schlüsselbein. Sie trug diesmal überhaupt keinen Schaden davon, so wie damals, als sie beim Aufhängen der frisch gewaschenen Vorhänge von der Leiter fiel und in der Folge der 12-jährige Basti notgedrungen einige Wochen bei den Kleinleins verbrachte. Schuld war seinerzeit Bastis bester Freund, ein ausgewachsener Mischlingsrüde namens Jennerwein, ein schlimmer Vorwurf, den der Basti natürlich vehement bestritt, wie es Freunde eben für einander tun. In Ausübung seiner hoheitlichen Aufgaben innerhalb seines heimisches Reviers und in der Nachfolge seines Namenspatrons, des gleichnamigen bayerischen Volkshelden und Wilderers, hatte er die impertinente Nachbarskatze ohne Rücksicht auf etwaige im Weg befindliche Hindernisse verfolgt und im Verlauf dieser Hetzjagd unglücklicherweise die Haushaltsleiter mitsamt der Hausherrin zu Fall gebracht.

 

Nichts dergleichen war diesmal geschehen. Niemand hatte sich verletzt. Genau genommen handelte es sich gar nicht um einen Unfall im eigentlichen Sinn, sondern schon eher um ein ungeplantes Ereignis, eines von der Sorte, das man allenfalls lachend und augenzwinkernd zur Kenntnis nahm. Ein Unfall war es nur sprichwörtlich, nämlich insofern, dass die Heidi überraschend und völlig ungeplant noch einmal Mutter, der Basti stolzer Bruder eines kleinen Schwesterchens und die Kleinleins, die Marga und ihr Peter, zu beider großen Freude erneut Großeltern wurden.

Es war alles gut gegangen, Mutter und Kind, eine kleine Bianca, waren gesund und wohlauf. Alles wäre so schön gewesen, wenn sich das alles in einem anderen, einem normalen Jahr ereignet hätte und nicht ausgerechnet im Februar des Seuchenjahrs 2020, von dem man getrost annehmen durfte, dass es in die Annalen als das Coronajahr eingehen würde. Noch gab es in Bayern keine Ausgangsbeschränkungen, aber die Meldungen aus China, Italien und mittlerweile immer öfter auch aus dem Nachbarland Österreich, ließen nicht nur die Kleinleins das Schlimmste befürchten.

~

Es ist der 13. Februar und noch früh am Abend. Marga und Peter sitzen beim Essen in der Küche und lauschen den neuesten Nachrichten, die mittlerweile nahezu stündlich aus dem Fernseher zu ihnen vordringen, von allen Sendern. Normalerweise ist den Kleinleins ihre Ruhe während der Mahlzeiten heilig und der „Abberaad“, wie altmodische Franken die Flimmerkiste immer noch nennen, daher konsequent ausgeschaltet. Im Moment aber überschlagen sich die Ereignisse derart, dass man eine Ausnahme macht. Das letzte Mal, dass die Kleinleins so viel Zeit vor dem Fernseher verbracht hatten, ist schon ewig her. Damals waren die ersten Menschen auf dem Mond gelandet und die Röthenbacher hatten, wie der ganze Rest der Welt, gebannt zugesehen. Diesmal handelte es sich nicht um eine technisch-wissenschaftliche Meisterleistung, sondern eher um ein weltweites Problem, vor dem die moderne Wissenschaft bisher noch kapitulieren musste. Nach Ansicht aller Experten konnte es noch mehr als ein Jahr dauern, bis man auf einen Impfstoff oder wenigstens auf eine wirksame Medizin zur Eindämmung der Krankheit hoffen durfte.

Der Moderator kommentiert eben die neuesten Meldungen von der Coronafront. Immer häufiger bestimmen erschreckende Berichte von der neuen Seuche die Berichte, von der Pandemie, die vom chinesischen Wuhan aus ihren Anfang nahm und die sich anschickte die ganze Welt in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Marga schüttelt immer wieder ungläubig den Kopf und seufzt schließlich.

„Allmächd, etz homm dee scho widder 100 Doode mehr. Woss ner dess für a Grangheid iss, sowoss hommer ja doch nu nie ghabd. Hoffentlich kummd des nedd aa nu zu uns rüber.“

Peter stimmt ihr ebenso betroffen dreinschauend zu.

„Dei Word in Goddes Ohr. Vor über hundert Jahr, dou hodds schon amal die sogenannde spanische Gribbe gebn, dess muss ähnlich schlimm gwesen sei. Vielleichd sogar noch schlimmer, mer wass ja nunni, wie’s dessmal nausgehd. Abber damals war die Medizin ja aa nu nedd so weid wäi etz. Heidzudooch hädd mer mid sowoss doch nimmer grechnd. Mer gehd ja immer dervo aus, dass a Doggder, und wenns aa an Spezialisdn braucherd, alles widder richdn konn, abber dess woss mer dou sichd, dess iss scho hard. Dou maani, wern mer nu Allerhand derlebn. Wemmer denkd, wenn irgndwo a Unglügg bassierd iss, mid, sagn mer amal hundert Obfer, dou hodds doch daachelang Sondersendunger im Fernseeng gebn, alle warn zudiefsd bedroffn. Etz gibds scho über hundert Doode pro Dooch. Wo soll dess bloß nu hieführn? Einfach unglaublich iss dess.“

Und nach einem mitfühlenden Seufzer fügte er hinzu:

„Dess hädd uns grad nu gfehld, dass dess bei uns aa so schlimm wird. Immerhin wolln mer doch nach Osdern zu der Heidi fahrn und von dord aus weider nach Idalien. Abber wennsd siggsd, woss dou in China lous iss, dou derf ja scho gar ka Mensch mehr aff die Strass.“

Marga, die sich eine derartige weltweite Ausbreitung noch viel weniger vorstellen konnte, versuchte ihren Mann und wohl noch mehr sich selbst zu beruhigen.

“Naja, so vill Menschn fahrn ja nedd nach China und durch die Luft konn der Virus ja nedd kummer. Dess hodd doch der Exberde vorhin gsachd.“

Peter war da völlig anderer Meinung. Auch er machte sich schon seit Tagen Gedanken über das was kommen könnte. Es ist nicht so, dass er glauben würde, ein Virus könnte fliegen, aber bezüglich der Übertragungswege war er weit weniger optimistisch.

“Des brauchds ja aa gor nedd. Denk amal, wer heidzudooch alles gschäfdlich nach Asien verreisd odder dee dausende von Durisdn, dee allaans in Nämberch tagtäglich rumrenner. Dou gäihd dess rugg-zugg. Gottseidank iss der Christkindlesmarkd scho gwesen, abber denk ner blous amal an die Spillwarnmesse. Dess computergschdeuerde Blasdiggzeich kummd doch zu neunzg Brozend aus China.“

Das mit den 90 Prozent war nicht ganz so sicher, vielmehr ein plakativer Ausdruck für sehr, sehr viel. Marga nickte denn auch zustimmend. Sie hatte auch schon einen Grund ausgemacht, den sie für die drohende weltweite Katastrophe verantwortlich machte. Vor allem die Lebensgewohnheiten der Chinesen waren ihr äußerst suspekt. Speziell die Ernährungsweise dieser undurchsichtigen Asiaten stand im Fokus ihrer Verdächtigungen.

„Naja, wundern brauchd mer si eigndlich abber aa widder nedd, wemmer denkd, woss dee alles essn, Ratzn, Schlanger, Ungeziefer, Schwalbnnesder. Dou grausds der doch. Drum gäih ich aa gor nedd su gern mied, wenn die Schwarms immer zu den Chinesn nach Erlnbach wolln. Dordn iss alles so arch gwürzd. Dou mergsd doch gor nimmer, aus woss dess Essn gmachd is. Dee wern scho wissen warum!“

Peter dagegen probierte gerne einmal etwas Neues und hatte schon alleine deshalb ein entspanntes Verhältnis zur chinesischen Küche. Deshalb versuchte dagegen zu halten.

„Dess konn alles in China sei, vor allem in dene rückständichn Browinzn, nedd amal so arch in Beeking odder Schanghai odder in anner andern von dene haufn Millionenstädte, woss dee so homm. Wennsd die Bilder im Fernseeng odder in Illustrierde siggsd, dann sinn dee dord middlerweil hübbermodern. Dou kummer mir scho gor nimmer mied. Und außerdem, die Chinesn bei uns, des sinn doch meisdns gar kanne, dess sinn haubdsächlich Vietnamesn oder Dailänder und dergleichn. Und dann, muss mer sagn, bei uns, dou gibds ja schließlich aa suwoss wie a Gsundheidsamd, woss die Hygiene in die Wärdshäuser überwachd. Dou bassierd überhaubds nix.“

Damit war das Thema erst einmal durch, sowohl bei den Kleinleins, als auch in der Nachrichtensendung. Weitere Themen schien es zur Zeit ohnehin nicht zu geben, denn unmittelbar darauf erschien bereits die Wetterkarte auf der Mattscheibe.

Wenig später hatten sich die beiden Kleinleins wieder etwas beruhigt und sahen einigermaßen entspannt auf dem bequemen Sofa sitzend zu, wie sich die Kandidaten beim perfekten Dinner schlugen. Angesichts von getrüffelten Nudeln und perfekt gebratener Rinderlende hatte die Marga die Katastrophenmeldungen schon wieder verdrängt und völlig neue Pläne.

„Horch Beder, sollerd mer nedd widder amal die Bräunleins und Schwarms eiladn, bevor bei uns evenduell aa nu so a Ausgangsschberre kummd? Wer wass, wie lang mer dess überhaubd nu derf!“

„Brima Idee“, meinte der Angesprochene, der immer Lust auf eine gepflegte Unterhaltung in angenehmer Atmosphäre hatte.

Spekulanten unter sich

Zwei Anrufe später war zumindest bezüglich des Termins für den gemütlichen Abend unter Freunden alles geregelt. Fast alles. Von nun an bereiteten Marga die vielen Dinge, die es deshalb für sie vorzubereiten galt größeres Kopfzerbrechen: Rezepte wälzen, Zutaten und Getränke besorgen und natürlich in allererster Linie die Frage der passenden Dekoration. Ohne passende Deko keine Feier. Das ist bei der Marga immer so. Es ist nicht so, dass sie nicht gerne und gut kochen würde. Dass es schmeckt ist bei ihr selbstverständlich, aber den richtigen Pfiff, das Tüpfelchen auf dem I, den macht das Ambiente, das sie bisher immer perfekt zum Anlass abzustimmen verstand, auch wenn zu Beginn der Überlegungen stets eine unverhältnismäßige Hektik stand.

Immerhin waren es laut Kalender noch weitere zwei Wochen bis zum Aschermittwoch hin, also Faschingszeit, was zumindest die Auswahl des Themas enorm erleichterte. Luftschlangen auf dem Tisch, Servietten mit lustigen Motiven, sich um sich selbst drehende Spiralen über den Heizkörpern, die mittels Aufwind in wirbelnde Bewegung gerieten, das war ohnehin klar und zum größten Teil bereits vorhanden. Peter hatte dies zeitgleich mit dem Abbau der Weihnachtsdekoration anbringen müssen. Die dadurch unvermeidlich entstandenen häuslichen Spannungen hatten sich glücklicherweise mittlerweile gelegt. Immerhin musste Peter stundenlang immer wieder die Leiter hinauf und wieder herunter steigen. Seine Knie schmerzten und er sehnte ein Ende herbei, was jedoch in diametralem Gegensatz zu den ausufernden Wünschen seiner Frau stand. Jeder freie Quadratzentimeter des Wohnbereichs musste in ein Ausstellungsgelände für dekorative Lifestyleartikel verwandelt werden. Speziell zur Weihnachtszeit artete dies jedes Mal in einen erbitterten Wettbewerb um die Krone für prachtvollste, glitzerndste Dekoration aus, den seine Marga jeweils auf Platz zwei beendete, unmittelbar hinter den Käthe-Wohlfahrt-Läden. Doch derlei Sticheleien konnten die Marga nicht anfechten. Auch im aktuellen Fall war Marga wieder mit Volldampf bei der Sache.

Vielleicht könnte man, wenn schon keinen ausgewachsenen Hausball, dann doch wenigstens einen Kappenabend veranstalten. Dafür brauchte es dann nicht gleich ein aufwändiges Kostüm, auch ein lustiges Hütchen, eine Pappnase und etwas Schminke wären völlig ausreichend. Peter könnte ja die Glatze mit dem roten Haarkranz aufsetzen, die er sowieso immer im letzten Moment aus dem Fundus auf dem Dachboden hervor zog und dazu den Zylinder aus schwarzem Filzstoff. Das war damit bereits beschlossene Sache und abgehakt. Solche Entscheidungen konnte man ihm beim besten Willen nicht selbst überlassen. Er selbst würde natürlich die notwendigen Überlegungen wieder so lange aufschieben, bis es für etwas Besonderes ohnehin zu spät sein würde. Und dann würde es sowieso auf das erstbeste Teil hinauslaufen, das ihm bei seiner verzweifelten Suche auf dem Dachboden in die Finger fallen würde. Also die Glatze. Warum bis zum letzten Moment warten? Was erledigt ist, ist erledigt.

Für ihr eigenes Outfit würde sie sich mit der Maria kurzschließen und beraten was man machen könnte. Sie war immerhin die Gastgeberin und zudem eine Dame, da kam natürlich nicht irgend etwas x-beliebiges in Betracht. Es müsste schon etwas sein, das weder die Frisur in Mitleidenschaft zöge, noch beim Hantieren in der Küche hinderlich wäre. Sie hatte da doch noch so ein winziges, putziges Hütchen. Das konnte man mittels einer Klammer seitlich am Haar befestigen. Vielleicht noch eine bunte Fliege um den Hals. Das sollte reichen. Das Make-up wäre dann eine Aufgabe für die Maria, die als gelernte Kosmetikerin schließlich Profi ist und die sicher mit etwas Schminke in der Lage wäre etwas Originelles zu zaubern.

 

Ein weiterer Anruf bei den beiden Freundinnen und auch die wichtige Frage des Mottos konnte mit einem fetten Haken versehen werden. Auch die Gisela und die Maria fanden die Idee gut. Bassd scho. Sie freute sich schon sehr.

~

Als die Freunde am Samstagabend schließlich eintrafen, war tatsächlich alles so vorbereitet, genau wie sie es sich vorgestellt hatte. Auch die Ankömmlinge waren mehr oder weniger originell verkleidet. Die Damen mehr, die Herren weniger, was die drei Banausen aber nicht im Geringsten störte. Die Gisela trug ein buntes Kopftuch, sowie Ohrringe aus Messing von der Größe eines Kanaldeckels, wie ihr Mann despektierlich anmerkte und in der Hand hielt sie eine Tabakspfeife mit einem langen, elegant geschwungenem Mundstück. Zusammen mit der dunklen Schminke und den auffälligen Ringen an ihren kräftigen Fingern konnte man problemlos die Zigeunerin in ihr erkennen. Maria hatte sich eine lange, mit silbernen Fäden durchsetzte Perücke aufgesetzt, die wie eine Mähne herabhing und aus ihrer Stirn ragte ein langes, kerzengerades Horn heraus. Alles war in meisterlicher Manier ausgeführt, wie es von einer Kosmetikerin ihrer Klasse nicht anders zu erwarten war. Sie verkörperte unverkennbar ein Einhorn. Diese Fabeltiere waren dieses Jahr absolut in, nicht nur bei kleinen Mädchen. Simon und Lothar hatten, wie nicht anders zu erwarten war, keine Idee und als bedauernswerte, stressgeplagte Handwerksmeister angeblich auch keine Zeit sich über eine passende Maskerade Gedanken zu machen. Sie hatten Wichtigeres zu tun. Am Ende kam Simon, mit dem Rücken zur Wand stehend, auf eine geniale Lösung, auf die er dann auch mächtig stolz war. Das konnte er auch, zumindest aus seiner Sicht. Sie hatten ganz einfach ihre Berufskleidung getauscht. Lothar kam als Metzger, mit einem viel zu großen weißen Käppi auf dem Kopf, das Simon bei der Arbeit trug um das Hineinfallen von Haaren oder Schuppen in das Brät für die 1A bräunleinschen Bratwürste zu verhindern. Zudem hatte er ein T-Shirt mit aufgedrucktem Schweinekopf angezogen, das Simon einst anlässlich der Röthenbacher 900-Jahrfeier als optischen Blickfang für seine Grillstation anfertigen ließ. Nicht dass es notwendig gewesen wäre. Seine mehrfach preisgekrönten Bratwürste sprachen natürlich für sich. Da die beiden Herren von sehr unterschiedlichem Körperbau waren, schlackerte das Leibchen an Lothars zierlichem Körper wie an einem dramatisch unterernährten Kind, das sich heimlich eines von Vaters Hemden übergezogen hatte. Das Mützchen gar rutschte ihm ständig auf die Ohren herab. Umgekehrt funktionierte diese geniale Tauschidee natürlich nicht so gut, denn Simon hätte einen von Lothars Friseurkitteln sicher mit dem ersten kräftigen Atemzug komplett ruiniert. Immerhin trug er einen aufgeklebten schwungvollen Schnäuzer zur Schau, der dem von Horst Lichter in nichts nachstand. Um den Hals hatte er eine Schere und einen Kamm an einer Schnur hängen. Da schließlich erst im letzten Moment auf diese Idee gekommen war, musste er auch hier improvisieren und so hatte er kurz entschlossen die erstbeste Schnur genommen, die ihm in den Weg kam und das war halt nun mal die, mit der er sonst seine Räucherwürste abzubinden pflegte, bevor er sie im Laden mittels Fleischerhaken an die Decke hängte. Vermutlich war ihm selbst aufgefallen, dass er daher deutlich mehr nach Räucherkammer als nach Friseursalon roch. Also hatte er versucht, dieses Manko mit einer reichlichen Ladung Tropical Dream auszugleichen, da dieses Duftwässerchen in seiner Vorstellung einen perfekten Geruch nach Friseursalon erzeugen würde. So war es auch kein Wunder, dass Peter den Freund mit deutlichen Worten begrüßte.

„Servus Simon. Allmächd, du stinksd ja wahrhafdich wäi in Booder sei Hund.“

Diese Bemerkung ist nicht despektierlich gemeint, jedenfalls nicht so sehr, wie es der Wortlaut vermuten lassen könnte. Es handelt sich hierbei ein geflügeltes Wort aus der fränkischen Umgangssprache und bedeutet im Allgemeinen nichts anderes, als dass bei Friseuren sogar der Hund fein riecht und im vorliegenden Fall, dass Simon etwas zu viel des Guten bei der Verwendung eines Duftwässerchens getan hatte. Er musste damit ja nicht sparen, denn das Fläschchen stand immerhin seit Weihnachten vor drei Jahren ungeöffnet in seinem Alibertschränkchen.

Simon war ob Peters Lästerei keineswegs beleidigt, sondern stellte nur lakonisch fest.

„Ich geh ja schließlich als Dorfbooder, falls ers nunni gmergd hobd. Dou konni ja schlechd riechn wäi a Ring Stadtworschd.“

Die Stimmung schien also schon zu Beginn prächtig zu sein und machte Hoffnung auf einen launigen Abend im Kreis von Freunden. Das Essen verlief dann auch in der harmonischen und in freundschaftlichen Atmosphäre, die die Beziehung der drei Familien untereinander schon seit jeher auszeichnete. Als die Herren mit ihrem dritten Veldensteiner und dem ersten Schnaps und die Damen mit dem Abwaschen und Aufräumen in der Küche beschäftigt waren, war die Zeit gekommen, sich über die neuesten Nachrichten zu unterhalten.

„Hobd ers scho ghärd?“, meinte Lothar. „Der Radio hodds heid nachmiddooch brachd, dass etz in Nordrhein-Wesdfahln aa scho an Haufn Infizierde gibd. Wahrscheinli homm ser si alle auf an Kabbmabnd angschdeggd. Dess wird nu woss gebn, wenn dee närrischn Rheinländer am Rosnmondooch erschd richdi loslegn. Bei uns in Deitschland kommer beschdimmd aa bald mid grössere Brobleme rechner. Mid derer Globalisierung bleibd dess gor nedd aus“, orakelte der Aushilfsmetzger und wackelte dazu mit dem ausgestreckten Finger, so als wollte er seinem Gegenüber die Schuld dafür zuschieben, was er natürlich nicht beabsichtigte. Seine aufgeregte Gestik war lediglich Ausdruck seiner ehrlichen Befürchtungen.

„Naja“, räumte Peter ein, „mir wolldn ja im Abrill nach Münchn, erschd amal um unser neis Enggerla zu besuchn und dann wolld mer eigndlich weider nach Idalien, ins Biemonde, ins Wein- und Drüfflbaradies. Abber dess wird wohl kaum woss wern, wenns schdimmd, woss die Exberdn brognosdiziern. Dee dreedn ja neierdings alle Dooch im Fernseeng im Fümbferback auf. Demnach kummd dess Virus etz aa zu uns und werd si in kürzesder Zeid soweid ausbreidn, dass äs öffndliche Leben mehr odder wenicher stillgleechd wern muss. In Oberidalien überleegns ja grod scho a allgemeine Ausgangsschberre. Abber sei’s wäis mooch. Ich braucherd ja nedd unbedingd an Urlaub, abber mei glanne Bianca mächerdi scho amol besuchn.“

„So isses“, bestätigte Simon und fügte auch gleich hinzu, was er damit genau meinte. „Urlaub brauchd ner bloß der Mensch, der wo woss ärberd. Du bisd ja scho lang Rendner, dou brauchd mer doch ka Erholung mehr. Von woss denn? Nedd amal als Dedeggdief brauchd di im Momend anner. Etz bisd braggdisch scho äs zweide Mal in Rende gschiggd worn. Äs erschde Mal vo deiner Firma und etz als Dorfgriminaler. Du hosd doch etz scho fasd zwaa Jahr kann Einsatz mehr ghabd. Sinn die Verbrecher alle ausgschdorbn? Odder hosd ka Lusd mehr?“

„Schäi wärs, abber äs Gsindl sterbd ned aus, wäi mer sachd“, meinte Peter lachend, „aber ich misch mich ja nedd in Alles ei. Dou derfür hommer ja die Bollizei und in mein letzdn Fall hodd si der Schindler ja nedd amal so bläid ohgschdelld. Jednfalls war ich heilfroh, wäi er mid seiner gesamdn Kavallerie zu meiner Befreiung angrüggd is. Ich bin ehrlich gsachd froh, wenni nedd immer hindern Rüggn von der Marga ermiddln muss. Dee dauerndn Heimlichkeidn sinn unsern häuslichn Gliema aa nedd grad zudräglich.“

Und um von diesem brisanten Thema abzulenken, wechselte er schlagartig die Richtung.

„Abber woss anders, hobbd er von derer Sabine woss midgrichd?“

„Heimlichkeidn? Sabine? Woss soll nern dess bedeudn?“, fragte Lothar verwirrt. „Woss hosdn du mit andere Weibsbilder zu schaffn?“

„Loodah“, rief Peter kopfschüttelnd, „doch ka andere Frau! Sabine iss doch der Name von dem Sturm, der vor drei Dooch gedoobd hodd. Scho vergessn? Ich wolld bloß wissn, ob ihr an Schadn dervo dragn habd, bei dem Unwedder.“

Beide verneinten unisono. Aber über eine Verwüstung im Wald in Richtung Heinerslohe wusste Lothar zu berichten. Er bekam die Neuigkeiten in seiner Eigenschaft als Dorffriseur immer als Erster mit, als Erster unter den Männern versteht sich. Mit Gisela, der einzigen und zugleich besten Fleischereifachverkäuferin von Röthenbach konnte er diesbezüglich aber natürlich nicht mithalten. Wenn sie von einem Ereignis nichts gehört hatte, dann konnte man getrost davon ausgehen, dass es in der Realität schlicht und ergreifend auch nicht existierte.

Besagte Gisela konnte man gegenwärtig nicht dazu konsultieren. Sie war mit den anderen Damen noch in der Küche beschäftigt, inzwischen wahrscheinlich bereits beim Espresso aus Margas neuester Errungenschaft, einem chromglänzenden Kaffeevollautomaten mit allen Schikanen, also war es an Lothar die Verwüstungen zu beschreiben.

„In Richdung Heinersloh naus, dou hodds a ganze Schneisn in Wald neigschloong. Die Bäum liegn kreizaquer überanander. Deilweis hängers abber aa bloß nu an an seidener Fadn in der Lufd, weils von an anderen Baum am Umfalln ghinderd wern. Noch. Kein Mensch konn soong, wann dee dann endgüldich umfalln. Dou konn a einfacher Windstoß scho langer. Drum soll mer zur Zeid aa ned in Wald naus, wall mehr odder wenicher Lebnsgefahr bestehd. Die Waldbesitzer könner im Momend aa nu nix undernehmer hobbi ghärd, weil die Entfernung von dem Windbruch aa für sie selber zu gfährlich wär. Etz wardns, bis a sogenannder Harvester frei wird, der die diggsdn Baumstämm einfach mid an hydraulischn Greifer fesdhäld und der wo‘s undn dann aa glei absäächd und danach zielsicher und ohne Wackler ableechd wäi a Mikadostäbler. Abber dess konn nu dauern, weil der ganze Landgreis auf des Monsdergeräd warded.“

„Ja“, stimmte ihm Simon bei, „dess hobbi aa scho glesn. In der Zeidung war a längerer Ardiggl drin. Manche Bäum hodds ja glei midzsamds der Wurzl rausgrissn. Dou homm mir im Dorf direggd ja nu Glügg ghabd.“

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