Was jetzt zu tun ist

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Was jetzt zu tun ist
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HANNES ANDROSCH

WAS JETZT ZU TUN IST

in Zusammenarbeit mit Bernhard Ecker


Den nächsten Generationen gewidmet, auf dass sie Antworten auf die großen Fragen ihrer Zeit finden.

Inhalt

EINLEITUNG

Aus Krisen lernen: Wiederaufbau und „Generation Corona“

1.BILDUNG hat Vorrang

Alle Chancen für einen Neustart nutzen

2.DIGITALISIERUNG ohne Anschluss

Die Zukunft selbst in die Hand nehmen

3.KLIMA UND ENERGIEWENDE anpacken

Keine Tabus und Schluss mit dem Selbstbetrug

4.MIGRATION betrifft uns alle

Das xenophobe Spiel beenden

5.POPULISMUS enttarnen

Sozialdemokratie, bitte aufwachen!

6.EUROPA nach Merkel

Zusammenhalt ist wichtiger denn je

7.WELT(UN)ORDNUNG: China statt USA?

Warum es kein Entweder-oder gibt

8.UNSERE ZUKUNFT nach der Krise

Budget und Schulden: Was jetzt zu tun ist

Literatur

EINLEITUNG
Aus Krisen lernen: Wiederaufbau und „Generation Corona“

Eines der großen Leitmotive Österreichs ab 1945 war der Wiederaufbau. Ein Land in Trümmern, eine Wirtschaft in Auflösung, eine zerschundene Bevölkerung aus Ausgebombten, Ausgehungerten, Heimkehrern, Vertriebenen, Perspektivlosen – wie aus dieser Situation jemals wieder Zukunft und Miteinander entstehen sollten, war am Ende des Zweiten Weltkriegs auch den größten Optimisten ein Rätsel. Bürgerkriegsähnliche Zustände und jahrelanges, ja Jahrzehnte währendes Elend schienen ebenso im Bereich des Möglichen wie ein Wiederaufstieg im Geist des Zusammenhalts.

75 Jahre nach Gründung der Zweiten Republik wird wieder von Wiederaufbau und Zusammenhalt gesprochen, es werden europaweit Pläne für die Wiederbelebung der Wirtschaft gewälzt. Zum Jubiläum Ende April gab es weder Feste noch sonstige Feierlichkeiten, weil Großveranstaltungen in der Corona-Krise grundsätzlich verboten waren. Mit der Covid-19-Pandemie wurde uns nicht nur die Verletzlichkeit unserer als selbstverständlich angesehenen Zivilisation vor Augen geführt. Die Krise und ihre Folgen werden nicht einfach wieder verschwinden. Mit ihnen hat eine neue Zeitrechnung, die „Zeit danach“, begonnen.

Natürlich ist es kein Krieg, der gegen das Virus geführt wurde und wird, wie forsche Politiker uns weismachen wollen. Daher ist auch die Analogie zum Wiederaufbau und den großen wirtschaftlichen Hilfsprogrammen der Nachkriegszeit unscharf. Dennoch ist klar, dass 2020 eine Zäsur ungeahnten Ausmaßes darstellt. In einer ganzen Reihe von europäischen Ländern schrumpft die Wirtschaft so stark wie seit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht mehr, in Österreich voraussichtlich um minus acht Prozent. Eine Rückkehr zur „alten Normalität“ wird es nicht geben. Gefragt sind jetzt Ideen für eine „neue Normalität“ – und die Erinnerung daran, dass dieses Land vor einem Dreivierteljahrhundert aus der größten Katastrophe auferstand, die Europa und die Welt bis dahin gesehen hatten: dem Zweiten Weltkrieg.


Dieses Buch setzt fort, was mit meinem 2013 erschienenen Buch Das Ende der Bequemlichkeit begonnen wurde. Damals ging es um eine Mahnung an die österreichische Politik, aufgrund von Versäumnissen in zentralen Bereichen nicht den Anschluss zu verlieren. Was jetzt zu tun ist ist der Versuch einer Gebrauchsanweisung, wie diese Blockaden, die unser Land lähmen, zu lösen sind, verbunden mit einem ganz konkreten Blick in die Zukunft, der die aktuellen Problemlagen und Herausforderungen fokussiert. Selbst das voluminöseste Rückhaltebecken nützt nichts, wenn der Abfluss verstopft ist. Wir wissen zwar längst, was zu tun wäre, sind aber nicht willens oder auch fähig, es auch zu tun.

National, europaweit und noch mehr global wurden Zusammenarbeit und Kooperation in den letzten Jahren durch nationale Egozentrismen bis hin zu Feindschaft und Renationalisierung ersetzt. In Österreich führte xenophobe und klientilistische Polarisierung zunehmend zur Spaltung des politischen Lebens und der Gesellschaft. Ein Indikator dafür ist die Tatsache, dass wir zwischen 2016 und 2020 schon die fünfte Regierung haben. Unser europafeindliches Verhalten hat uns innerhalb der Europäischen Union zum Außenseiter gemacht. Die gar nicht mehr so schleichende Orbánisierung, zum Ausdruck gekommen in unnötigen legistischen Maßnahmen, stellt zunehmend unsere Grundrechte in Frage, wie der Verfassungsgerichtshof festgestellt hat.

Österreichs Weg der Pandemiebekämpfung darf, mit einigen Monaten Abstand betrachtet, bisher als gesundheitspolitisch erfolgreich gelten, vor allem dank seiner hervorragenden Spitäler und Altenpflegeeinrichtungen, insbesondere in Wien. Dennoch hat der Umgang mit der Krise Fehlentwicklungen in unerwarteter Dichte zum Vorschein gebracht. Autoritäre Maßnahmen wie etwa die gesetzwidrige Schließung der Bundesgärten in Wien während des Shutdowns, die gerichtlich wieder aufgehobenen drakonischen Strafen für Spaziergänger oder der vehemente Wunsch von ÖVP-Politikern nach Handyüberwachung zeigen, wie dünn das Eis der Demokratie ist, wenn sich die Gelegenheit zur Notmaßnahme bietet. In Ischgl hat man dagegen wochenlang Missbrauch geduldet. Bevor die Regierung dann drastische Maßnahmen setzte, wurde noch schnell der Rechtsanspruch auf Entschädigung im Epidemiegesetz ausgehebelt. Bei Sebastian Kurz’ Auftritt im Kleinwalsertal Mitte Mai wurde deutlich, dass die für alle anderen rigoros ausgelegten Regeln nicht mehr gelten, wenn es der eigenen Heldenverehrung dient.

› Durch die extrem bürokratischen und zu langsamen Hilfen hat man ein langsames Ausbluten der heimischen Volkswirtschaft riskiert.

Die so genannten Hilfsinstrumente, ohnehin im Verhältnis deutlich geringer dimensioniert als in Deutschland und in der Schweiz, waren von Beginn an stumpf. Bis Mitte August 2020 sind nach wie vor erst rund zehn Prozent der in Aussicht gestellten 50 Milliarden Euro ausbezahlt. Zum Vergleich: In der Schweiz waren schon nach wenigen Wochen 15 Milliarden Franken in der Wirtschaft und 271 Millionen Franken bei den Kunstschaffenden angekommen. Die staatlichen Garantien für Hilfskredite sind in Österreich so formuliert, dass sie praktisch wertlos sind. Durch diese extrem bürokratischen und zu langsamen Hilfen für in Not geratene Unternehmen hat man ein langsames Ausbluten der heimischen Volkswirtschaft riskiert. Es fehlen nach wie vor ein überzeugendes und rasch wirksames Konjunkturpaket – Deutschland hat noch vor dem Sommer ein 130-Milliarden-Euro-Paket auf den Weg gebracht – sowie ein großes mittelfristiges Zukunfts- und Modernisierungsprogramm, um das deutlich verlangsamte Innovationstempo wieder zu beschleunigen.

Die neuen, in der Regel extrem jungen Machthaber haben gelernt, wie man mit Zinnsoldaten spielt, aber nicht, wie man eine Schlacht schlägt. Dieses Krisenmanagement ist eine Gefahr für die liberale Marktdemokratie und den Rechtsstaat.

Almosenpolitik für die von den wirtschaftlichen Folgen besonders hart Getroffenen passen zu dieser Auffassung von Politik. Angst statt Aufklärung und Bittstellerei statt Hilfsanspruch wirken vielleicht kurzfristig, schädigen aber langfristig sowohl das Wirtschaftsleben und das Bildungswesen als auch die Demokratie.

Statt auf europäischer Ebene gemeinsame Wege zu beschreiten, wurde bei jeder Corona-Pressekonferenz unzutreffend das Mantra „Wir sind besser als die anderen Länder“ wiederholt. Aus parteipolitischen Gründen vermied man den Schulterschluss in Form eines nationalen Krisenstabs. Diese Haltung manifestierte sich auch in den lange blockierten Bemühungen, als Teil der EU Lösungen für die durch die Krise besonders in Not geratenen Staaten wie Italien, Spanien und andere zu finden. Das chaotische Grenzöffnungsmanagement erfolgte zunächst einzig nach nationalistisch-egoistischem Muster.

Es lohnt sich deshalb an diesem kritischen Punkt der Entwicklung noch einmal zu rekapitulieren, warum der Wiederaufstieg nach 1945 geglückt ist – und was davon 75 Jahre später beherzigt werden sollte.


Die Zweite Republik nahm ihren Anfang am 27. April 1945 mit der „Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs“, mit der die militärische Annexion, also der „Anschluss“ an das Deutsche Reich vom 13. März 1938, für null und nichtig erklärt wurde. Zum damaligen Zeitpunkt befanden sich noch weite Teile des Landes unter der Herrschaft des im Untergang befindlichen Hitler-Deutschlands. Im Konzentrationslager Mauthausen sowie seinen zahlreichen Nebenlagern wurden im Namen des Nationalsozialismus noch immer Menschen ermordet. Erst mit dem völligen Zusammenbruch der Nazi-Diktatur und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa am 8. Mai 1945 fand das Morden auch in diesen Landesteilen Österreichs ein Ende.

 

Wer damals durch Wien streifte, sah eine Stadt in Trümmern, hungernde Menschen, viele ohne ein Dach über dem Kopf, aber auch schon die ersten, die damit begannen, den Schutt wegzuräumen und Straßen freizulegen. Es herrschte großer Mangel an Lebensmitteln, die rationiert waren, und an Heizmaterial.

75 Jahre später ist Wien einer der Amtssitze der Vereinten Nationen und gilt als die lebenswerteste, sicherste und grünste Stadt der Welt. Dass dieses zerstörte Österreich in den nächsten Jahrzehnten zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt werden würde, wagte in diesen Tagen niemand auch nur zu hoffen.

Der wirtschaftliche und soziale Aufstieg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war nicht nur einzigartig, sondern unerwartet und unerwartbar. Das wird umso deutlicher, wenn man von 1945 noch einmal 75 Jahre zurückgeht: 1870/71 wurden mit dem Deutsch-Französischen – genau genommen: preußisch-französischen – Krieg und der Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal von Schloss Versailles die Karten in Mitteleuropa völlig neu gemischt. Die Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland wurde auf Jahrzehnte hinaus zum bestimmenden Faktor der Außenpolitik dieser beiden Länder und damit für ganz Europa.

Österreich, das nach der Schlacht bei Königgrätz 1866 aus dem Deutschen Bund hinausgedrängt wurde und sich als Österreich-Ungarn Richtung Südosten gewandt hatte, befand sich in den letzten Jahrzehnten seines Bestehens in einem Dauerkrisenmodus. Nach dem Ersten Weltkrieg stand auch die Erste Republik, ausgerufen am 12. November 1918, von Beginn weg unter keinem guten Stern. Aus dem Vielvölkerstaaat wurde ein Rumpfstaat mit 6,5 Millionen Einwohnern. Von außen erzwungen, von politischen Parteien geschaffen, aber von diesen ebenso wenig geliebt wie von weiten Teilen der Bevölkerung, blieb diese Erste Republik auf der Suche nach seiner Identität allein auf die Identifikation mit dem jeweils eigenen politischen Lager beschränkt. Die tragischen Konsequenzen zeigten sich spätestens ab 1927 mit dem Brand des Justizpalastes und gipfelten 1933 in der so genannten „Selbstausschaltung“ des Parlaments, d. h. der nach einem Putsch errichteten ständestaatlichen Diktatur unter Dollfuß und Schuschnigg, und im Bürgerkrieg vom Februar 1934. Erst ganz am Schluss, als die junge Republik von Adolf Hitler bedroht wurde, entwickelten doch noch viele Österreicherinnen und Österreicher eine Treue zu ihrem Land, die größer war als die Treue zu ihrer politischen Gesinnungsgemeinschaft.

Nach sieben Jahren NS-Diktatur, dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah war dann auf Grundlage der damit verbundenen Erfahrungen der Grundstein für die Identitätsstiftung der Österreicher gelegt. Zudem bewirkte die Tatsache, dass sich viele österreichische Politiker aus allen politischen Lagern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern wiedergefunden hatten, einen Gesinnungswandel. In Dachau und anderen NS-Schreckensorten hatte sich die spätere Führungsgarnitur der Zweiten Republik als Gefangene getroffen: Leopold Figl, Alfons Gorbach, Franz Olah, Fritz Bock, Rosa Jochmann, Karl Seitz und viele andere. 1945 war die Bereitschaft zu einem Neubeginn im Zeichen eines politischen Pragmatismus gewachsen, der sowohl das Lagerdenken überwand als auch den Glauben an die Lebensfähigkeit Österreichs propagierte. Das war für Bundespräsident Karl Renner auch der Grund, 1946 erstmals der Ostarrichi-Urkunde zu gedenken, jenem Dokument, das 950 Jahre zuvor die Schenkung eines Grundstücks bei Amstetten an das Kloster Freising bestätigte. Die erstmalige Nennung des Namens „Österreich“ sollte das Nationalbewusstsein stärken und die junge Republik legitimieren.

Wenige Zahlen können den danach einsetzenden, spektakulären Wohlstandszugewinn verdeutlichen: Bei einer Einwohnerzahl von 6,5 Millionen gab es im Jahr 1945 in Österreich ca. 10.000 PKWs, derzeit sind es 5,5 Millionen bei rund 8,9 Millionen Einwohnern. Die Zahl der Telefonanschlüsse lag damals bei 175.000, heute gibt es in Österreich mehr als sieben Millionen Mobiltelefone.

Doch der erfolgreiche Weg nach 1945 geschah nicht auf jener „Insel der Seligen“, von der Papst Paul VI. im Jahr 1971 in Bezug auf Österreich gesprochen hatte. Der Erfolg war vielmehr sowohl dem günstigen Umfeld geschuldet, etwa der massiven Unterstützung durch den Marshallplan („European Recovery Program“) der Amerikaner, der Wirkung des Korea-Kriegs und dem großzügigen Schuldenerlass von 1953, als auch Ergebnis eigener Anstrengungen und der stabilisierenden Wirkung der Sozialpartnerschaft, die sich beispielsweise in der geringen Anzahl von Streiktagen niederschlug. All dies hat bis 1975 zu einem wachstumsstarken „Goldenen Zeitalter“ geführt, in Deutschland „Wirtschaftswunder“ genannt.

Gleichzeitig aber gab es Hindernisse auf diesem Weg, denn der Eiserne Vorhang und die damit verbundene Abtrennung von unseren östlichen Nachbarn bedeutete, am Rand des aufblühenden Westeuropa platziert zu sein und kaum Austausch mit den ehemaligen Kronländern der Habsburgermonarchie entfalten zu können. Eine weitere massive Bremse waren die zehn Jahre Besatzungszeit – ein Ergebnis der Tatsache, dass Österreich als Teil der so genannten „Deutschen Frage“ betrachtet wurde. Deutschland sollte Mitteleuropa stabilisieren und durfte deshalb nicht zu schwach sein – aber auch keinesfalls so stark, um noch einmal die Hegemonie über den Kontinent zu erlangen. „Die Amerikaner drinnen, die Russen draußen, die Deutschen am Boden“ – so formulierte es der erste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay.

Die Geschichte der Zweiten Republik ist in Summe also eine Erfolgsgeschichte, jedoch eine, die sich nicht von selbst fortschreibt und tatsächlich vor etwa zwei Jahrzehnten ins Stocken geraten ist. Wir zehren von der Substanz, in den eindrucksvollen wirtschaftlichen Eckdaten sind keine Garantien für die kommenden Jahrzehnte enthalten. Beharrung, Erstarrung, Besitzstandsverteidigung und als Folge teilweise sogar Rückschritt prägten die letzten zwanzig Jahre, und dies, obwohl gerade Österreich in besonderem Maße von der Ostöffnung ab 1989, der 1995 erreichten EU-Mitgliedschaft und der Osterweiterung der Union ab 2004 profitiert hat. Unbestritten waren diese Jahre eine Zeit massiver Umwälzungen, dramatischer Veränderungen und auch neuer Gefahren – doch inzwischen sind wir im Mittelfeld steckengeblieben, in manchen Bereichen sogar deutlich zurückgefallen. Und das kann keine Option sein.


Es gibt unzählige Wettbewerbsrankings: zur Qualität des Wirtschaftsstandorts, zur Innovationsdynamik, zur Klimapolitik. Diese Rankings sind keine absolute Instanz. Letztlich entscheiden der Mix und die Gewichtung der verwendeten Kriterien über ihre Aussagekraft. Wenn wir jedoch weiterhin eine kleine offene Volkswirtschaft bleiben wollen, die Touristen aus aller Welt anlockt und deren Unternehmen Produkte und Dienstleistungen auf den Weltmärkten verkaufen wollen, müssen wir uns dem Wettbewerb stellen und jene Faktoren ernst nehmen, bei denen es hakt. Die anerkanntesten Rankings sind deshalb valide Standortbestimmungen in einem kompetitiven Umfeld und geben Hinweise darauf, wo es Verbesserungsbedarf gibt.

› Es ist vor allem das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Input und Output im Forschungsbereich, das uns Sorgen bereiten muss.

Verbessert hat sich in den letzten zehn Jahren – Daten aus der Post-Corona-Zeit gibt es noch nicht – wenig. Insgesamt weisen diese Ranglisten nur mittlere, für ein Hocheinkommensland wie Österreich ungenügende Platzierungen aus; oft auch Verschlechterungen. Der jährlich erscheinende Monitoring Report der Wirtschaftskammer Österreich, der Österreichs Performance in über 150 internationalen Rankings zusammenfasst, zeigt einen deutlichen Abwärtstrend.

Im World Competitiveness Report des Schweizer International Institute for Management Development (IMD) lag unser Land 2007 auf Rang elf, heute auf Rang 19. Wir sollten uns auch nicht damit zufriedengeben, dass Österreich in der aktuellen Ausgabe des wichtigsten EU-Innovationsrankings auf Platz neun verharrt, obwohl die Briten inzwischen ausgeschieden sind – 2009 hatten wir noch Platz sechs inne. Bei Digitalisierung, Roboterisierung und der Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) sind wir ein Entwicklungsland, weil wir weit entfernt von einem flächendeckenden Glasfaser- oder 5G-Netz sind. Bei der durchschnittlichen Geschwindigkeit von Festnetz-Internet liegen wir laut dem Speedtest Global Index weltweit auf dem 55. Platz – hinter Barbados, Malaysia und Moldawien.

Es ist vor allem das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Input und Output im Forschungsbereich, das uns Sorgen bereiten muss, weil die unweigerliche Folge eine verringerte Innovationsdynamik in Österreich ist. Innerhalb unserer Gesellschaft sind wir von einem Regulierungswahn, Vorschriftendschungel, Kompetenzwirrwarr und – als Folge – überbordender wie hemmender Bürokratie erfasst. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt haben wir zwar auf einen Rekordwert von 3,2 Prozent erhöht, den zweithöchsten Wert in der EU. Dennoch haben wir es nicht geschafft, zu den „Innovation Leaders“ aufzuschließen, weil es vor allem zu wenig Mittel für die Universitäten und die Grundlagenforschung gibt. Die öffentlichen Ausgaben für das Bildungssystem betragen vergleichsweise hohe 5,5 Prozent – in internationalen Leistungsvergleichen sind die österreichischen Schüler aber weit entfernt von der Spitze. Beim PISA-Test der OECD 2015 erreichten wir 492 Punkte, dem stehen Bildungsausgaben – laut einer Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria – von kaufkraftbereinigt 9.373 Euro je Schüler gegenüber. Finnland erreichte 523 Punkte bei Gesamtausgaben von nur 7.733 Euro, die Niederlande immerhin 508 Punkte mit 8.273 Euro pro Schüler. Dieses Differenzial hat sich 2018 nur geringfügig verkleinert. Die Annahme, dass viel zu viel des eingesetzten Geldes in den Strukturen versickert, bevor es die Schüler und Studierenden erreicht, liegt nahe.

Pro Einwohner geben wir für die Verwaltung pro Jahr 822 Euro aus, Personal- und Sachaufwand zusammengenommen. Bei der Qualität der öffentlichen Verwaltung nach dem WGI-Index der Weltbank liegt Österreich mit einem Indexwert von 1,44 jedoch lediglich im oberen Mittelfeld. Dänemark gibt 557 Euro pro Kopf und Jahr aus, also um 265 Euro weniger, kommt aber auf einen Wert von 1,67.

› Wir sind Meister im Konservieren von Strukturen geworden.

Zur Ineffizienz der Verwaltung trägt auch die Länderebene bei. Die Bundesländer sind historisch gewachsen und haben als regionale Ankerpunkte der Identität sicher ihre Berechtigung, aber im Lauf der Jahrhunderte ist ein Zuständigkeitswirrwarr entstanden, der das Ganze bremst. Jeder Versuch einer Föderalismus- und Staatsreform ist aber bislang gescheitert.

Das Bundesheer kann wegen Unterfinanzierung keinen Output liefern: Wir haben zu wenige Unterkünfte, unzureichende Bekleidung, einen Mangel an Fahrzeugen. Oder wie es der Kurzzeit-Verteidigungsminister Thomas Starlinger, Mitglied der Übergangsregierung Bierlein, 2019 gesagt hat: „Das Heer ist pleite, aber wir machen quasi eine Mobilmachung.“ Die völlig unnötige Einberufung der Miliz in der Corona-Krise passt in dieses Bild des politischen Missmanagements. Untertroffen wurde diese Sinnlosmaßnahme nur noch vom darauffolgenden chaotischen Versuch einer ohnehin verfassungswidrigen Heeresreform.

Wir sind Meister im Konservieren von Strukturen geworden. Aber wenn man will, dass alles so bleibt, wie es ist – das hat schon der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa gemeint –, dann muss man alles ändern. Und genau das tun wir nicht. Vom Bundeskanzler bis zur Gewerkschaft und Arbeiterkammer wird etwa verkündet, die Pensionen seien sicher. Das mag stimmen, aber es geht auf Kosten des Bundesbudgets und damit zu Lasten der Zukunftsaufgaben. Fast ein Viertel der Gesamtausgaben des Bundesbudgets sind Pensionszuschüsse. Seit 1978 wird der demographische Wandel, also das Altersbeben einer immer älter werdenden Gesellschaft, jedoch negiert, Reformen scheitern oft am Njet der Gewerkschaften. Di Lampedusa würde sagen: Wenn die Pensionen sicher sein sollen, muss sich das Pensionssystem ändern.

 

In diesem Zusammenhang wird man fragen müssen: Wohin sind eigentlich die 62 Milliarden Euro Zinsersparnisse – das ist in etwa ein durchschnittliches Jahresbudget – der sieben ÖVP-Finanzminister seit 2010 gekommen, die nicht aufgrund eigener Leistung, sondern einzig aufgrund der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken zustande gekommen sind? Gilt es schon als politische Leistung, ein unerwartetes Geldgeschenk im Budget versickern zu lassen?

Wir sind mit Skandalen und Personalien derart beschäftigt, dass für echte Reformen keine Zeit bleibt. Es aber so zu machen, wie man es schon immer gemacht hat, wird zielsicher zum Niedergang führen. Und selbst wenn man will, dass alles so bleibt, wie es ist, muss man sich penibel auf die Risiken der Zukunft vorbereiten, um gegensteuern zu können. Auf beschämende Weise haben jedoch die letzten Monate klar gemacht, dass wir auf wesentliche Katastrophen wie Pandemien, Blackouts oder Cyberattacken unzureichend vorbereitet sind. Erst jetzt sind entsprechende gesamtstaatliche Krisen- und Katastrophenpläne in Ausarbeitung, obwohl sich diese Gefahr – wie im Fall von Corona – seit 20 Jahren angekündigt hat, von Sars über Mers über die Vogelgrippe bis Ebola. SARS-CoV-2 hat hoffentlich auch den Sinn dafür geschärft, dass Biowaffen Verheerendes anrichten könnten.

Dieses Zurückfallen in so vielen Bereichen rächt sich nun umso mehr, als die nötigen Mittel zum Wiederhochfahren der Wirtschaft den Investitionsspielraum anderswo einengen werden. Die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte werden auf uns zurückfallen, wenn wir nicht schnell handeln. Denn das „Geschäftsmodell“ der österreichischen Volkswirtschaft – wie vieler anderer auch – steht zur Disposition.

Die Folgen werden Geschäftsschließungen, Insolvenzen, ein Anstieg des schon davor überhöhten Arbeitslosensockels bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel sein, von Erntehelfern über Pflegepersonal bis zu Informatikern. Unter solchen Umständen werden auch die sozialen Spannungen zunehmen, damit wächst die Gefahr grundrechtsgefährdender, autoritärer Tendenzen.


Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem EU-Beitritt beschritt Österreich endgültig den Weg hin zu einer wirtschaftlichen Öffnung. Viele Betriebe – wie in der Autozuliefer- und Elektronikindustrie – sind inzwischen Teil von globalen Produktionsketten. Im Globalisierungsindex der ETH Zürich, der von der Schweiz angeführt wird, rangiert Österreich unter den Top 5 von 185 untersuchten Ländern.

Dieses Modell ist spätestens seit der Entscheidung der Briten für einen Brexit und der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA, beides im Jahr 2016, erschüttert worden. Die darauffolgenden Trump’schen Handelskriege, allen voran mit der konkurrierenden Weltmacht China, haben auch die österreichischen Außenhändler mit Handelszöllen und anderen Beschränkungen konfrontiert.

Mit der Corona-Krise bekommt die Exportwirtschaft zusätzliche Hürden in den Weg gestellt. Erst war es die Abriegelung chinesischer Provinzen und Häfen, die ab Februar 2020 zur massiven Störung der transkontinentalen Lieferketten geführt hat. Dann erfolgten Reisebeschränkungen zu und von den hauptbetroffenen Ländern, zuletzt auch innerhalb Europas und Richtung USA. Der Nachschub an Vorprodukten kam auf breiter Front ebenso ins Stocken wie der grenzüberschreitende Einsatz von Personal. De facto war der Flugverkehr für drei Monate völlig stillgelegt. Für eine Erholung wird er Jahre benötigen.

Die Krise hat mit Sicherheit auch negative Seiten der weltweiten Arbeitsteilung aufgezeigt. Aus Kostengründen haben wir die Globalisierung in wichtigen Bereichen übertrieben. Dass die Produktion von Wirkstoffen für bestimmte Medikamente in China und Indien konzentriert ist, ist eine Fehlentwicklung. Für den Pandemiefall muss die schnelle und sichere Verfügbarkeit von Schutzkleidung und -masken sowie von Beatmungsgeräten sichergestellt werden. Das geht wahrscheinlich nur, wenn die Herstellung versorgungskritischer Produkte wieder näher an die Abnehmerländer gebracht wird.

Und ja, das Tempo früherer Globalisierungswellen hat die Welt überfordert: Laut Philip Coggans lesenswerter Welt-Wirtschaftsgeschichte More sind allein zwischen 1996 und 2000 die ausländischen Direktinvestitionen weltweit um 40 Prozent pro Jahr gestiegen. Damit kamen Kapital, Menschen und Interessen in bisher ungekanntem Ausmaß in Bewegung. Diese Überhitzung hat im Zusammenspiel mit der Deregulierung des weltweiten Finanzsektors und seiner Casino-Gesinnung direkt in die große Weltfinanzkrise von 2008 geführt.

Dennoch dürfen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Dass die neue Chefökonomin der Weltbank, Carmen Reinhart, von Covid-19 als „letztem Sargnagel der Globalisierung“ spricht, klingt dramatisch. Das Ende ist aber noch lange nicht besiegelt. Vor allem: Die Globalisierung zu beerdigen hieße, den Wohlstand, wie wir ihn kennen, zu beerdigen.

Es hat in der Geschichte immer schon Handelsbeziehungen gegeben, die weit über die Region hinaus gereicht haben: Salzstraßen, Weihrauchstraßen, Bernsteinstraßen, Seidenstraßen. Mit der Seeschifffahrt und später der Luftfahrt hat sich diese Entwicklung intensiviert. Inzwischen sind wir im „Global Village“ angekommen. Es gab auch immer wieder das Gegenkonzept der Autarkie, das von der Sowjetunion praktiziert wurde, von Nehru in Indien oder von Mao in China. Dieses Gegenkonzept hat verlässlich in Mangel und Armut geendet.

Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind, wenn wir die Grenzen auch nur vorübergehend schließen. Was wären wir ohne den Tourismus mit den zuletzt über 150 Millionen Nächtigungen pro Jahr, von denen 113 Millionen ausländischen Gästen zu verdanken sind? Was ohne die Möglichkeiten, unser Holz oder unsere Maschinen zu exportieren? Rund die Hälfte unserer Wirtschaftsleistung hängen an den Ausfuhren und am Tourismus. Wollen wir auch 50 Prozent unserer Arbeitsplätze opfern?

Rohstoffarme Binnenländer wie die Schweiz oder Österreich sind von der Globalisierung, und dazu gehört auch die europäische Integration, abhängig. Ohne Erholung der Weltwirtschaft haben es kleinere Länder schwerer, wieder auf die Beine zu kommen. Wir müssen deshalb darauf achten, dass wir gleichzeitig auf multilateraler Basis die Re-Globalisierung sicherstellen und nicht den Fehler de-globalisierender und isolationistischer Renationalisierung begehen, wie sie Nationalpopulisten inzwischen mehrerer Couleurs propagieren. Eine solche Entwicklung würde vor allem Europa gefährden, das in seine Einzelteile zerfallen würde. Wenn wir mehr Abschottung wollen, dann werden wir von unserem Wohlstand und von unserem Wohlfahrtsstaat Abschied nehmen müssen.


2020 stehen wir – allerdings auf einem wesentlich höheren Wohlstandsniveau – vor einer ähnlich schwierigen Situation wie nach dem Kriegsende vor 75 Jahren. Noch sind die endgültigen Auswirkungen des Corona-Flächenbrandes nicht in ihrer Gesamtheit abzusehen, doch eines ist klar: Weder im Alltagsleben noch in der Wirtschaft können wir zum bislang Gewohnten zurückkehren.

Die zahlreichen Hilfspakete, die geschnürt wurden, können wahrscheinlich das Schlimmste verhindern, wenn sie denn nur ausbezahlt würden – doch den wirtschaftlichen Rückgang können sie nicht aufhalten. Die vor uns liegenden Jahre werden langsameres Wachstum, möglicherweise zum Teil höhere Inflation und deutlich mehr Arbeitslose bringen, aber auch ein geändertes Reise- bzw. Urlaubs- und Konsumverhalten. Die Produktionsformen der Unternehmungen werden sich wandeln, um das Risiko zu engmaschiger Lieferketten und zu knapper Lagerhaltung sowie der damit verbundenen Verwundbarkeit zu reduzieren. Krisenpläne und -einrichtungen werden ebenso erhöhte lokale Aufmerksamkeit finden wie die Versorgung mit kritischen Medikamenten oder Schutzausstattungen. Roboterisierung, Künstliche Intelligenz, Blockchain und 3D-Druck werden verstärkt zur Anwendung kommen. Insgesamt wird sich die digitale Transformation beschleunigen, unter anderem im Bildungsbereich.

Eine weitere Lehre aus der aktuellen Krise: Es gibt Bereiche, aus deren Verantwortung sich der Staat nicht verabschieden und die er nicht einfach den Marktgesetzen überlassen darf. Sicherheit, Bildung, vor allem der Gesundheitsbereich zählen dazu. Der Staat als größtmögliche Risikogemeinschaft hat die Verantwortung, die Rahmenbedingungen für das Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten. Natürlich ist jedes einzelne Krankenhaus wie auch das Gesundheitssystem insgesamt verpflichtet, kostenbewusst zu arbeiten; doch letztlich ist es der Sorge um die Bevölkerung verpflichtet, und diese erlaubt eben nicht die alleinige Orientierung an Kostenminimierung.

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