Zwei gegen Ragnarøk

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„Hm, aber meinen Freunden möchte ich das schon gerne erzählen“, ging es ihr durch den Kopf. „Nur Falki und Alfger werde ich alles erzählen, aber die müssen vorher schwören, dass sie es für sich behalten würden.“ Hilda lächelte in sich hinein und wurde langsam wieder zuversichtlicher.

Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem Erlebten zurück, zurück zu Trolli und sie merkte erst nach einiger Zeit, dass Alfger und Falki neben ihr gingen, als Alfger ständig versuchte, ihr den Arm um die Schulter zu legen.

Das Schnattern der anderen Mädchen und Frauen drang kaum noch an ihr Ohr, so sehr war sie mit ihren Gedanken noch bei dem Erlebnis dieser Nacht.

Ganz unvermittelt sagte sie zu den beiden Jungen an ihrer Seite: „Wenn sich die Aufregung gelegt hat, nachher, nach dem Essen, dann muss ich euch ein Geheimnis erzählen. Ihr müsst mir aber schwören, dass ihr niemandem ein Wort verratet.“

Falki nickte mit einem etwas ungläubigen Blick, aber sie wusste, dass er dichthalten würde. Alfger blieb stehen, hielt sie am Arm und hob die rechte Hand: „Bei Odin und meiner Mutter, ich schwöre, dass niemand ein Wort von mir erfährt.“ Dann schmatzte er ihr, ganz schnell, noch bevor sie reagieren konnte, einen Kuss auf die Wange.

Einige Zeit später, nachdem sich die Aufregung im Dorf über Hildas Verschwinden gelegt hatte und nachdem alle Dorfbewohner ihr erstes Essen hinter sich hatten, gab Hilda ihrem Brunder ein Zeichen.

Sie liefen mit verschwörerischer Mine zu Alfgers Hütte und wollten grade an die Tür klopfen, da guckte Alfger um die Ecke. Er hatte auf sie gewartet.

„Da seid ihr ja endlich. Kommt, ich weiß, wo wir ungestört sind.“

Alfger führte sie zum Fjord. Auf dem Strand lag ein kleines Fischerboot, umgekippt, weil es auf seine Reparatur wartete.

„Los, kriecht hier runter. Hier sind wir ungestört“ – und Alfger griff Hildas Hand und zog sie mit sich, unter das Boot.

Als sie zu dritt unter dem Boot saßen und Alfger ungeduldig drängte, dass Hilda endlich erzählen sollte, näherten sich Schritte, die immer näher kamen und schließlich genau vor ihrem Versteck Halt machten.

„Von wegen Geheimnis“, sagte Falki resigniert, da bückte sich auch schon die Gestalt und Sölvis Stimme fragte: „Wollte ihr wirklich ohne mich über diese Nacht reden? Ich hab doch schon auf dem Nachhauseweg mitbekommen, dass es da ein großen Geheimnis gibt.“

„Gut Sölvi, dann bleib hier, aber schwöre vorher, dass du niemandem etwas von dem sagst, was ich euch jetzt erzähle.“

Sölvi schaute Hilda an, hob die Hand und sagte etwas stockend: „Ich schwöre, bei Odin und allem, was ich liebe, dass mein Mund stumm bleiben wird.“ Dabei sah er Hilda tief in die Augen.

Hilda schlug die Augen nieder. „Ich weiß, dass ich dir trauen kann.“

Sie holte tief Luft und begann: „Falki und Alfger hatten mit mir zusammen einen Troll gesehen. Das war damals, als wir wegen des Rabenei’s unterwegs waren. Es war ein junger Troll und er war nur auf unser Essen scharf. Ich gab ihm von unserem Brei und schwupp war damit verschwunden.“

Sölvi guckte Alfger und Falki, mit großen Augen, fragend an. Als er sah, dass die beiden nickten, schluckte er nur und sagt: „Uii, ich verstehe. Red’ weiter.“

„Ich hatte gestern in der Nähe der drei Felsen nach Pilzen und Beeren gesucht und mir gedacht, dass ich die anderen Frauen dort irgendwo treffen würde. Von dort bin ich dann weiter, nach Norden gegangen und in dieser kleinen Schlucht gelandet. Da wuchsen so viele Pilze, dass man sich die schönsten aussuchen konnte. Als ich einen besonders schönen Pilz greifen wollte, fiel ich in ein tiefes Loch.

Ihr könnt mir glauben, es tat fürchterlich weh und dann fing es auch noch an zu regnen und ich kam nicht mehr aus Grube heraus.“

Die drei Jungen hingen voller Spannung an Hildas Mund und Alfger berührte sanft ihre Schulter.

„Alvitur hatte mal von den Bergen erzählt und dabei das Wort Zwergenlöcher erwähnt“, flüsterte Sölvi dazwischen und machte dabei ein geheimnisvolles Gesicht.

„Und weiter?“, fragte Falki.

„Nach einer ganzen Weile, es war schon nachts, war dann der Troll plötzlich oben am Rand des Loches. Er schaute mich an und ich spürte tief in mir, dass er nur helfen wollte. Ich spürte wirklich etwas in mir, was ich noch nie so gespürt habe. Nein, doch ich hatte das schon einmal gespürt, damals als wir das Ei holen wollten und Trolli sich uns näherte. Es war so merkwürdig, aber ich fühlte den Troll und dass er mit helfen wollte, ganz tief in mir.“

Nach einer kleinen Pause, die Alfger nutzte, Hildas Hand zu ergreifen, fuhr sie fort: „Trolli, so nenne ich ihn, kann sogar sprechen! Er sagt immer Ida zu mir. Dann hatte er einen kleinen Baum angeschleppt und die Äste so abgebrochen, dass ich daran hochklettern konnte, wie an einer Leiter. Das hättet ihr auch nicht besser machen können. Ich konnte sogar meine beiden vollen Körbe aus der Grube retten. Es war Nacht und stockfinster, aber Trolli führte mich ganz sicher zu den Dreien.“

Die drei Jungen saßen mit offenen Mündern da und wagten kaum zu atmen.

„Hört mal, hinter den Brombeerbüschen ist dort eine kleine Höhle, die keiner von uns bisher entdeckt hat. Dorthin hat mich der Troll gezogen. Dann hat er mich in diese Höhle geschoben und wir haben die ganze Nacht da drin gesessen.“

„Und du hattest keine Angst?“, fragte Sölvi.

„Nein, überhaupt nicht. Ich sagte doch, ich fühlte, dass er nur gut zu mir sein wollte. Er war wie ein Beschützer und ich kam mir so sicher vor; komisch, so sicher, wie in Mutters Arm. Die Höhle war sogar mit Gras und Moos ausgepolstert. Trolli wärmte mich und ich konnte die ganze Nacht in seinem Arm schlafen. Das war alles.“

Hilda entspannte sich und musterte die drei Jungen, die mit ungläubigen Gesichtern und großen Augen da saßen.

Alfger fand als erster die Sprache wieder: „Und er hat dir wirklich nichts getan?“

Falki grinste und spöttelte: „Hihi, du bist jetzt abgemeldet. Hilda hat einen neuen Freund.“

Dafür erntete er einen strengen Blick von Alfger, dann war ein Moment lang Schweigen, in ihrem Versteck.

„Ich habe dir geschworen, mit niemandem darüber zu reden, aber du solltest doch mit Alvitur irgendwann darüber sprechen“, meinte Sölvi schließlich und nickte dazu.

„Es wäre auch Quatsch, dein Erlebnis den Leuten im Dorf zu erzählen. Die würden doch sowieso nur lachen und es nicht glauben. Lasst es unser Geheimnis bleiben, an mir soll es nicht liegen“ – und Sölvi hielt seine Hand in die Mitte zwischen die anderen.

Hilda sah in Sölvis Augen und begriff. Sie legte ihre Hand auf Sölvis Hand und nickte. Ohne Zögern folgten Alfgers und dann Falkis Hand.

„So soll es sein“, sagte sie.

EIN BESONDERER TAG

Ein Hahn krähte aus Leibeskräften, als die ersten Sonnenstrahlen Björkendal erreichten.

Hilda erwachte langsam, aber schon im Halbschlaf spürte sie, dass irgendetwas anders war. Sie erschrak leicht, weil sie glaubte, im Schlaf Pipi gemacht zu haben.

Erschrocken richtet sie sich ganz leise auf, um ja keinen zu wecken und schlich sich im Halbdunkel zur Feuerstelle. Vorsichtig und leise blies sie in die Glut und legt ein paar Holzspänchen auf. Mit leisem Knistern züngelten die erwachten Flämmchen nach dem frischen Holz, wurden schließlich größer. Hilda mochte den Geruch des brennenden Holzes, nur nicht wenn ihr der Qualm direkt in die Augen biss, so wie jetzt, dass Tränen liefen.

Im schwachen Schein des kleinen Feuers blickt sie an sich hinunter und erschrak – ihr Hemdchen ist voller Blut.

Sie hat sich doch gar nicht verletzt. Nun bemerkte sie auch das Bauchweh, das sie erst gar nicht wahrnehmen wollte. Jetzt schaut sie etwas ängstlich drein und wusste nicht so recht, was sie machen sollte.

Da hört sie Mutter Stimme: „Was ist los, meine kleine Sonne? Komm zu mir. Hattest du einen bösen Traum?“

Hilda ging etwas beschämt auf die Mutter zu. „Nein, kein böser Traum. Mama, ich blute und habe Bauchweh. Aber ich hab nichts Schlimmes gemacht, „kam es ihr weinerlich über die Lippen.

Mutter Hilda wusste sofort, was da mit ihrer Tochter geschehen war und richtete sich vollends auf. „Komm zu mir, meine Kleine.“

Sie nahm Hilda in ihre kräftigen Arme und drückt sie lange. Dann streichelt sie Hilda über das Haare, fasste ihre Zöpfe und dreht ihre Kopf, so dass sie ihr in die Augen schauen konnte.

„Du musst dich nicht sorgen, mein Sonnenschein. Das, was dir da grade passiert, ist ganz normal. Jedes Mädchen erlebt das irgendwann zum ersten Mal.“

Sie schaute Hilda in die Augen, drückte sie wieder an sich und flüsterte geheimnisvoll: „Nun bist du keine kleine Hilda mehr, jetzt bist du eine kleine Frau geworden und ich bin stolz auf dich. Das wird vielleicht ein paar Tage lang etwas wehtun, aber das geht vorbei. Alle Frauen haben das, meistens im Wechsel mit dem Mond. Sorge dich nicht, es ist in Ordnung und es muss sogar so sein.

Nimm etwas von dieser Wolle hier. Ich zeige dir, wie du das machst und dann gehst du zu Fifilla, die wird dir ein paar Kräuter zeigen, die dir jeden Monat helfen können, das kleine Übel leichter zu ertragen.“

Fast gleichzeitig tönen nun Ernirs und Falkis Stimme durch das Halbdunkel der Hütte: „Was ist denn los?“

Falki stöhnte mit leidender Stimme: „Buäää, nicht mal ausschlafen kann man hier. Ich bin noch sooo müde.“

„Kommt hoch ihr Faulpelze, der neue Tag wartet auf euch und eure kräftigen Arme. Nichts ist los, nur etwas Frauenkram. Kommt raus aus den Fellen und beschafft etwas zum Essen“, rief Mutter Hilda, öffnete die Tür und ließ die frische Morgenluft hinein. Sie nahm sich die zwei Wassereimer, das Tragejoch und ging sie zum Bach, Wasser zu holen.

 

Hilda hat sich inzwischen so mit der Wolle versorgt, wie es ihr die Mutter erklärt hatte.

Als Mutter Hilda mit den Wasser zurück war, macht sie sich rasch frisch und sagte: „Ich gehe jetzt mal zu Fifilla.“

„Ja, kleine Frau, geh nur“ – und die Mutter streichelte ihr noch einmal über den Kopf.

Trotz des Bauchwehs strahlte Hildas Gesicht. „Jetzt war sie eine Frau“, freute sie sich und fühlte sich gleich viel besser.

Mit hoch erhobenem Kopf lief sie stolz durch das Dorf, in Richtung Fifillas Hütte. Niemand begegnete ihr zwischen den Hütten, niemand, dem sie sagen konnte, dass sie nun eine Frau geworden war und das fand sie doof.

Vor Fifillas Hütte, verhielt sie und lauschte erst mal, aber nichts rührte sich. Doch dann traut sie sich und klopfte an. Gleich darauf rief Fifilla: „Komm rein.“

Hilda macht die Tür etwas zaghaft auf und staunt dann aber nicht schlecht, dass Fifilla schon gemütlich beim ersten Essen saß und dabei nicht alleine war. Mit vergnügtem Lächeln saß Sigudur neben ihr und löffelt genüsslich seinen Brei.

Fifilla war eine erfahrene Kräuterfrau, die auch jeden im Dorf und seine Wehwehchen, ausgezeichnet kannte. Sie schaut die kleine Hilda aufmerksam an und ahnt sofort, warum Hilda so früh am Morgen zu ihr gekommen war. Als Hilda auch noch mit den Worten zögert und etwas beschämt in Sigudurs Richtung guckt, war sich Fifilla ganz sicher und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen. Sie schaut ihn grinsend an und sagte: „Geh mal zu deinen Viechern, die haben auch Hunger. Wir haben jetzt ein wichtiges Frauengespräch zu führen, stimmt’s, Hilda?“

Hilda nickt erleichtert und lächelt. Sie war froh über Fifillas Klugheit und dass sie es ihr auf diese Art leichter machte.

Sigudur hatte es aber überhaupt nicht eilig und löffelte in aller Seelenruhe seine Schüssel leer. Dann grinste er die beiden Frauen mit einem Lächeln an, das sicher nur Fifilla richtig deuten konnte, nahm sich noch einem Apfel vom Tisch und verließ, nur mit einem Hemd bekleidet, immer noch grinsend, die Hütte.

Da musste auch Hilda lächeln und Fifilla deutet auf dem Platz neben sich und sagt: „Setzt dich und erzähle. Wann hat es angefangen?“

Hilda machte große Augen. „Was, wieso weißt du, das etwas angefangen hat?“

„Ach Mädchen, ich bin schon ziemlich lange eine Frau, ich weiß wie alt du bist, war ja dabei, als du auf die Welt kamst und ich weiß auch, was einem Mädchen in deinem Alter so plötzlich passieren kann. Du bist eine kleine Frau geworden. Richtig?“

„Ja, Fifilla. Heute Morgen habe ich es das erste Mal gespürt und der Bauch tut mir immer noch weh. Mama sagt, dass du ein Kräutlein weißt, das mir helfen kann.“

„Natürlich kann ich dir mit ein paar Kräutlein helfen. Ich gebe dir jetzt ein paar getrocknete, die du heute als Tee trinken musst. Dann wird dein Bauchweh nachlassen. Morgen, nach dem ersten Essen kommst du wieder zu mir und wir gehen gemeinsam über die Wiesen. Ich zeige dir dann, wo diese Kräuter wachsen, damit du sie dir immer selbst suchen kannst und ich meinen kleinen Kräutergarten nicht plündern muss.“

Fifilla machte sich an ihren Kräuterbeuteln zu schaffen, die in langen Reihen von der Decke herabhingen und suchte für Hilda die richtigen Kräuter zusammen.

Hilda schaute neugierig zu. „Ich glaube, das da kenne ich, das ist Schafgarbe.“

„Stimmt, du kluges Mädchen, und das andere Kraut heißt Frauenmantel. Morgen suchen wir sie gemeinsam. Das hier reicht erst mal für heute. Mache dir zweimal einen Becher Aufguss davon und trinke ihn.

Hilda, noch etwas. Ich glaube, dass Alvitur dir heute noch etwas Wichtiges mitteilen möchte. Ich werde auch bei Alvitur sein, wenn du kommst. Gehe also nicht weg, bleib in der Nähe eurer Hütte.“

„Was ist denn an mir so wichtig“, fragte Hilda ganz verdutzt.

„Als du geboren wurdest, war es genau so ein Tag wie heute, Frühlingssonne und massenhaft Gänseblümchen …“

Versonnen schaute Fifilla in Hildas Augen. „Dieser Tag war etwas Besonderes; du wurdest von Freya gesegnet.“ Und nach einer kleinen Pause: „So, nun geh schon.“

Erleichtert, aber auch etwas nachdenklich machte sich Hilda wieder auf den Heimweg. „Von Freya gesegnet“, gingen ihr Fifillas Worte durch den Kopf, und plötzlich fiel ihr der Traum ein, als Freya zu ihr sprach, damals als sie Skyggi ausgebrütet hatte. Jetzt sprangen ihr auch die vielen tausend Gänseblümchen fast ins Auge, die sich so plötzlich, überall der Morgensonne entgegen reckten.

„Gänseblümchen, das waren ja die Blumen der Göttin Freya und Freya hatte sie gesegnet?“ Sie empfand plötzlich Glück und machte ein paar Hüpferschritte, wie sie die kleinen Kinder machten.

„Na ja, etwas anders, als die meisten Mädchen bin ich schon“, dachte sie. „Ich spiele lieber mit den Jungen, habe einen Raben und habe sogar einen Troll als Freund. Hm, aber das mit dem Troll wissen ja sowieso nur Falki, Alfger und Sölvi.“

Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da flatterte es über ihren Kopf und Hilda rief erfreut: „Skyggi, wo kommst du denn her?“ Sie hielt ihm die Hand hin, damit er sich setzen konnte.

Skyggi ließ ein leise „Orr, orr“ ertönen und ließ sich auf ihrer Hand nieder.

„Du alter Flattervogel, damit du es weißt, ich bin jetzt eine Frau und jetzt hast du mir erst recht zu gehorchen!“

Skyggi legte den Kopf etwas schief und sah sie so an, als verstünde er, was Hilda ihm grade gesagt hatte.

„Skyggi, flieg nach Hause und sag der Mama, dass ich komme und großen Hunger habe.“

Der Rabe drehte wieder den Kopf hin und her und hielt ihr dann seinen Kopf hin. Hilda wusste, Skyggi wollte jetzt gekrault werden. Sie tat ihm den Gefallen und es freute sie, wieder zu spüren, wie wohl sich Skyggi dabei fühlte.

„So, nun flieg nach Hause“, und Hilda hob die Hand ganz schnell hoch. Skyggi flatterte auf und flog davon.

Als Hilda zu Hause ankam, saß Skyggi schon auf dem Dachkreuz und kündete ihr Kommen mit lautstarkem Gekrächze und Flügelflattern an.

Einen Augenblick später kam Falki um die Hausecke und mit einem breiten Grinsen begrüßte er seine Schwester: „Guten Morgen Hilda.“

Hilda stutzte. „Warum grinst du mich so an? Hast du einen Schabernack vor?“

„Nein, Schwesterchen, aber heute gibt’s etwas besonders Gutes zum Essen, und du darfst es dir aussuchen! Da darf ich mich doch freuen, oder?“

Ein kurzes Flattern in der Luft und Skyggi saß wieder auf Hildas Schulter. Jetzt lachte sie. „Wenn Skyggi etwas vom Essen hört, ist er gleich da; hi, hi, wie Arnor.“

Hilda fühlte sich plötzlich irritiert und fragte mit hochgezogenen Brauen: „Falki, was starrst du mich so an? Habe ich Dreck im Gesicht?“

„Hmm, nein, aber ich habe gedacht, dass du nun als Frau irgend wie anders aussiehst. Die Mutter hat mir eben gesagt, dass du nun eine Frau bist. Spielen wir nun nicht mehr zusammen? Darf ich jetzt nicht mehr an deinen Zöpfen ziehen?“

„Doofkopf, wir machen alles wie immer. Du machst deine Arbeiten, ich meine und wenn wir Zeit haben, machen wir alles zusammen, wie immer.“

„Genau so dachte ich es mir“, grinste Falki und machte die Tür auf.

Hilda gab ihrer Mutter die getrockneten Kräuter und erklärte: „Hier das muss ich jetzt immer als Tee trinken, hat Fifilla gesagt. Ich will mal gleich damit anfangen. Mama ist heißes Wasser da?“

„Na klar, geh nur an den Kessel und nimm dir davon. Ich wusste schon, was du für Kräuter mitbringen würdest.“

Falki nuschelte in das Frauengespräch: „Gibt’s hier heute nichts mehr zu Essen? Mein Bauch knurrt.“

„Nimm dir Brei und Trockenfisch und beeile dich. Falki, da steht auch noch gekochtes Gemüse. Du musst heute mit deinem Vater und ein paar anderen zusammen zum Fischen. Sie brauchen euch heute und abends gibt’s dann was Feines zum Essen.“

Falki zog ein langes Gesicht; Fischen war nicht seine Lieblingsarbeit. Dann setzte er sich an den Tisch, aß Brei mit Trockenfisch und Hilda bereitete ihren „Frauentee“ zu. Natürlich machte sie das mit ernster Mine, der Wichtigkeit dieses besonderen Tages angemessen.

Mutter Hilda lächelte verstehend in sich hinein und fragte: „Töchterchen, was wollen wir denn heute Abend zur Feier des Tages essen? Du darfst wählen.“

„Mama, wirklich? Dann möchte ich gerne Zwiebelsuppe essen und gebratenen Fisch und süßen Brei mit Äpfeln und …“

„Aufhören, das reicht“, rief Mutter Hilda sie unterbrechend. „Ich werde zusehen, dass ich alles zu deiner Zufriedenheit bis heute Abend auf den Tisch bekomme.“

An Falki gewandt, sagte sie: „Beeile dich, Vater ist schon weg. Geh zu Finnur. Ihr fahrt mit im zusammen und mit Egill.“

Falki leckte sich noch die Lippen und sprang auf. „Na dann macht’s mal gut ihr beiden Schönheiten. Habt ihr einen Wunschfisch, den ich für euch fangen soll?“

„Na klar, haben wir einen Wunschfisch. Fang uns einen knurrenden Quallenhai, aber einen schönen, saftigen – hihi“, gluckste Hilda.

Falki grinste noch einmal: „Na klar kriegt ihr den“, und schon, war er zur Tür hinaus.

Mutter Hilda griff ihre Tochter bei den Armen und fragte: „Hat Fifilla noch etwas gesagt?“

„Ja, sie hat gesagt, dass Alvitur heute bestimmt noch mit mir sprechen will, und sie glaubt, dass es wichtig sei.“

„Ich erinnere mich an deine Geburt und an Alviturs Worte kurz danach. Ja, ja, ich glaube auch, dass es ihm wichtig ist. Er wird bestimmt Sölvi herschicken um dich zu holen. Kannst dir also heute einen schönen, faulen Tag machen.

Aber da es noch früh am Tage ist, kannst du vorher noch die Hühner füttern und dann noch Wolle von Sigudur abholen.“

„Mama, Sigudur war heute früh schon zum Essen bei Fifilla und der saß da, nur im Hemd und grinste mich ganz komisch an.“

„Vielleicht hat Sigudur sich gefreut, dich zu sehen, und im Hemd herumzusitzen, ist ja nichts Schlimmes, oder?

Ich weiß schon, was du denkst; ja, die beiden mögen sich und manchmal mögen sie sich auch sehr und dann essen sie eben auch schon früh zusammen, weil Sigudur die Nacht bei Fifilla verbracht hat.“

Die Sonne war schon über ihren Mittagszenit hinaus und Hilda trank ihren zweiten Frauentee, wie sie ihn im Gedanken nannte, da kam Sölvi zur Tür herein.

Skyggi nutzte die Gelegenheit, flog ihm nach, in die Hütte und setzte sich zu Hilda und tat mit wildem Flattern kund, dass er Hunger hatte.

Hilda schob ihren Krug mit dem Rest des Tees zur Seite und lächelte Sölvi an. Sie mochte ihn. Er war feinsinniger als die anderen Jungen und nie bösartig oder hinterhältig. Sölvi war außerdem auch klug. Wenn Alfger nicht wäre, dann würde sie bestimmt Sölvi so mögen, so wie sie Alfger jetzt mochte.

Es stand noch etwas Brei, Gemüse und Trockenfisch auf dem Tisch und Hilda frage: „Sölvi, magst du noch etwas essen?“

„Eigentlich habe ich schon gegessen, aber wenn ich hier bei dir etwas esse, kann ich noch ein Weilchen länger bei dir sitzen.“

Sölvi lächelte Hilda etwas schüchtern an. Er war immer etwas befangen, wenn er alleine mit ihr war. Er mochte sie sehr und wenn sie ihn direkt in die Augen schaute, durchrieselte ihm stets ein sehr merkwürdiges, aber schönes Gefühl.

Als Sölvi mit dem Essen fertig war und schaute er Hilda an, aber diesmal direkter und fragend, bis Hilda wegschaute und ihn dann fragte: „Was ist, sollst du mich holen?“

„Ja“ – und mit heiserer Stimme fügte er hinzu: „und Fifilla ist auch schon da. Die beiden haben eine ganze Weile nur über dich geredet. Ich hab ja nicht viel verstanden, weil sie mich rausgeschickt haben, aber so viel steht fest, du bist eine ganz wichtige Person!“

Dann schaute Sölvi sie mit verschwörerische Mine an und ergänzte: „Ich glaube, Alvitur meint, dass du Ragnarök, also das Göttersterben verhindern kannst!“

Stumm, abwartend schaute er Hilda direkt in die Augen.

„Quatsch, du hast dich bestimmt verhört, ich doch nicht, oder soll ich das mit meinem Raben machen? Ich bin doch nur ein normales Mädchen, nichts Besonderes, keine Kriegerin, keine Heldin und keine Zauberin.“

„Na ja, so richtig habe ich es ja auch nicht verstehen können, aber du warst im Gespräch und Ragnarök hat er auch gesagt und Fifilla hat immer genickt.“

Sölvi schaute plötzlich etwas verlegen drein und fast flüsternd sagte er: „Aber eine Zauberin bist du sehr wohl. Ich …“ Er zögerte plötzlich, lief rot an und sprudelte dann sehr schnell heraus: „Komm, lass uns gehen, sonst zieht er mir die Ohren lang. Sie warten beide schon auf uns.“

 

Sölvi stand auf und zog die etwas verdutzt Hilda auf die Füße.

Auf dem Weg zu Alviturs Hütte, liefen sie quer durch das Dorf und sahen, dass viele gerade ihr Tagwerk begannen. Alfger lief ihnen in einiger Entfernung über den Weg, aber in Richtung Bootsanlegestelle. Als er sie sah, winkte er und steuerte gleich auf sie zu.

„Guten Morgen meine schöne Hilda, guten Morgen Sölvi. Wo wollt ihr den so eilig hin?“

Hilda schaute Sölvi fragend an und der zeigte zu Alviturs Hütte: „Alvitur hat Hilda rufen lassen. Er muss mit ihr reden. Hilda ist jetzt eine Frau!“

Seine ernste Miene sollte wohl die Wichtigkeit seiner Worte unterstreichen und Hilda wurde bei Sölvis letzten Worten rot. Sie fühlte sich in diesem Moment irgendwie komisch und schaute Alfger von unten her schräg an.

Alfger jedoch grinste Hilda frech an. „Hmmm, na dann mag ich jetzt eben die Frau Hilda und nicht mehr das Mädchen.“

Alfger stellte sich in Positur, reckte die Brust: „Und ich, bin ich schon eine Mann?“

Da lachten alle drei und Alfger tat wichtig: „Jetzt muss ich mich aber beeilen. Ich muss zum Fischen mitfahren, aber wenn ich ein richtiger Mann bin, dann wirst du meine Frau. Das kannst du Alvitur schon sagen. Er soll mal schon die Zeremonie vorbereiten!“

Dann grinste er und schoss wie der Blitz davon, in Richtung Strand.

„Angeber“, murmelte Sölvi und sein Gesicht war plötzlich nicht mehr ganz so fröhlich, als ihm bewusst wurde, was Alfger so lustig dahergesagt hatte. Er wusste ja, dass Alfger seine Worte wirklich ernst meinte.

Schade, dass Hilda nie sein Mädchen, seine Frau sein würde. Er mochte sie wirklich und würde alles für sie geben.

Hilda schaute immer noch Alfger nach, als Sölvi sie an der Hand ergriff und mit sich zog.

Kurz danach standen sie vor Alviturs Hütte und als Sölvi die Tür öffnete, beschlich Hilda ein merkwürdiges Gefühl. Sie ahnte, dass heute etwas besprochen werden sollte, dass für ihre Schicksal große Bedeutung haben würde.

Aber Alviturs Hütte mochte sie; hier gab es für sie immer etwas zu entdecken. Seine Wände und alle Ecken waren voll mit Gegenständen, die er aus der weiten Welt mitgebracht hatte.

In einer Ecke hingen Waffen und ein prächtiger Schild, wie sie hier nicht üblich waren und alles sah fremdartig aus. Hilda war fasziniert, konnte ihren Blick kaum abwenden und vergaß fast, weswegen sie hier waren. Doch dann zähmte sie ihre Neugier und wandte sich Alvitur zu.

Alvitur war Hildas Blicken gefolgt und sagte unvermittelt: „Ja, ich war nicht immer so ein alter Mann und ich konnte auch sehr gut mit diesen Waffen umgehen.“

Dann schaute er sie direkt an. „Kommt setzt euch zu uns. Hilda, du musst keine Angst haben. Es ist nichts Schlimmes passiert, obwohl das, worüber ich mit dir reden will, schon ein ernstes Thema ist. Es betrifft dich, aber auch uns alle, doch insbesondere geht es um dein Schicksal.“

Wenn Alvitur so dasaß, war Hilda jedes Mal beeindruckt, egal ob er seine Geschichten erzählte, oder wie jetzt, ernsthaft mit ihr redete.

Alvitur konnte sie mit seinem einzigen Auge so ansehen, dass sie sich plötzlich ganz klein fühlte und auch jetzt ging ihr sein Blick bis in die Zehen.

Die Stelle, wo einmal das andere Auge war, hatte er heute mit einem roten Band überdeckt, das er um den Kopf gebunden trug. Gleichzeitig spürte sie aber auch, dass sein Gesicht voller Güte strahlte und ihr wurde wieder wohler.

Sie fand, dass Alvitur ein edles Gesicht besaß, in dem nur das Leben deutliche Spuren hinterlassen hatte. In ihren Augen machte ihn das aber nicht alt, nein er wirkte auf Hilda eher wie etwas Großes, Strahlendes, fast wie ein Gott.

Gemütlich saß er auf seinen Fellen und sah Hilda freundlich, aber auffordernd in die Augen. Er deutete auf den Platz rechts neben sich und sagte an Sölvi gewandt: „Hole mal noch zwei Becher für euch und setz’ dich dann zu uns. Da du mein Nachfolger sein wirst, solltest du auch wissen, worum es hier heute geht. Sölvi, dir muss aber klar sein, dass das, was wir jetzt bereden, unter uns bleibt. Ich denke, du wirst das verstehen.“

Alvitur nahm seinen Becher in die Hand und deutete mit dem Kopf auf den Krug, der auf dem Tisch stand. „Fifilla hat mir meinen geliebten Tee zubereitet. Für meine alten, schmerzenden Knochen ist er die beste Medizin, aber er wird euch beiden auch schmecken, wenn ihr etwas Honig in den Becher macht und er nickte den jungen Leuten einladend zu.“

Hilda schnüffelte an dem großen Krug und sog den Duft genießerisch ein.

„Das riecht ja wirklich gut. Fifilla, woraus hast du den Tee gemacht? Ich kann Holunderblüten riechen.“

Fifilla lächelte anerkennend. „Hilda, deine Nase riecht richtig, aber es sind auch noch Birken- und Brennnesselblätter im Tee.“

Nachdem sich Hilda und Sölvi etwas Tee eingegossen und auch vom kostbaren Honig genommen hatten, schloss Alvitur einen Moment lang sein Auge.

Er nahm einen Schluck aus dem Becher und begann: „Hilda, seit langer Zeit weiß ich, dass du für uns und für unser ganzes Volk, eine wichtige Rolle spielen wirst. Das Jahr, in dem du geboren wurdest, war schon bedeutungsvoll. Es war das Jahr, in dem nämlich Olaf Tryggvason König von Norwegen wurde. Vielleicht haben es die Götter so gelenkt, dass du als ein Gegengewicht zu seinem verräterischen Tun geboren wurdest. Es ist dein Schicksal, dass du in der besonderen Gunst unserer Götter stehst. Bei deiner Geburt wurde mir offenbart und auch später erhielt ich genügend Hinweise, die mir immer wieder deutlich machten, dass du irgendwann das Zünglein an der Waage sein kannst.“

„An welcher Waage?“, platzte Hilda heraus. „Ich bin doch kein Zünglein. Ich bin Hilda.“

Alvitur lächelte und schaute Hilda erst ernst, dann fast gebieterisch an, machte eine Pause und lächelte dann wieder: „Hilda, du bist heute eine Frau geworden und ich weiß, dass du ein kluges Mädchen, ääh, nun eine kluge Frau sein wirst. Du hast so viele gute Anlagen und Fähigkeiten, dass ich mir sicher bin, du wirst das alles verstehen. Ist dir noch nie aufgefallen, dass du Fähigkeiten hast, die dich von anderen unterscheiden? Wenn du mit den Jungen Kampfspiele machst, bist du um keinen Deut schlechter als der Beste von ihnen. Du kannst kämpfen wie ein Junge. Ein wacher Blick und Klugheit zeichnen dich aus, du riechst oder spürst, was dein Gegenüber fühlt, du sprichst mit einem Raben, hast ihn sogar selbst ausgebrütet und du weißt ganz sicher, wenn jemand nicht die Wahrheit spricht. Niemand sonst von uns hat je mit einem Troll gesprochen, aber du kennst sogar einen persönlich.“

Hilda schaute plötzlich ertappt drein. „Was, das weißt du? Woher?“

Da lächelte Alvitur gütig und den Blick seines Auges spürte Hilda wieder bis in die Zehenspitzen.

„Ich bin zwar der Älteste in unserem Dorf, aber ich habe auch einen wachen Verstand und seeehr gute Ohren, die auch manchmal das hören, was niemand hören soll! Wenn du mit deinem Raben sprichst, schau dich beim nächsten Mal um, wer noch in der Nähe ist. Doch lasst uns jetzt davon reden, weshalb wir hier sind. Fifilla, du fängst am besten mal an und beginnst mit dem Morgen, als wir zu Hildas Geburt gerufen wurden.“

Fifilla schaute einen Augenblick nachdenklich ins Feuer und richtete dann ihren Blick auf Hilda, die vor Spannung fast platzte.

„Ich sage euch, wie es damals war, und ich weiß es noch so genau, als ob es erst gestern gewesen wäre, als du geboren wurdest. Ernir, dein Vater hatte mich gerufen und auf dem Wege zu deiner Mutter, die in den Wehen lag, ging ich erst bei Alvitur vorbei und sagte ihm, dass unser Dorf wieder Zuwachs bekommt, dass Hilda und Ernir ihr zweites Kind erwarten. Alvitur war sofort bereit und kam mit mir. Ich machte ihn unterwegs auf das Gänseblümchenwunder aufmerksam, das überall auf den Rasenflächen zu sehen war. Es war eine Blütenpracht, wie nie zuvor. Für mich war das ein deutliches Zeichen, dass Freyja anwesend war und wir wussten sofort, dass mit der Geburt alles gut gehen würde. Komm, Alvi, lass es uns vollenden, sagte ich damals zu Alvitur und zog ihn weiter. Als wir dann in die Nähe eurer Hütte kamen, hörten wir das mehrstimmige Gekrächze von zwei Raben und wir wussten sofort, dass das keine gewöhnlichen Raben waren. Sie waren riesig und ihre Stimmen waren so eindringlich. Sie saßen auf eurem Dachgiebel, Odins Raben, Hugin und Munin. Wir waren beide fast sprachlos, als sie uns entgegen krächzten. Sie saßen auf dem Kreuz des Giebelbalkens, flatterten mit den Flügeln und krächzten, als wollten sie uns auf etwas aufmerksam machen. Die Morgensonne schien und doch war so eine Spannung in der Luft, das es uns am ganzen Körper schauerte. Die Luft war wie vor einem gewaltigen Gewitter. Wir waren uns nun ganz sicher, dass hier ein besonderes Kind geboren wurde, wenn selbst Odin bei der Geburt anwesend war. Mir stockte der Atem und ich hielt mich an Alviturs Arm fest. Ich spürte es damals, bis in den tiefsten Winkel meiner Seele: Wir sind ein besonderes Dorf.“