Zwei gegen Ragnarøk

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Alvitur eröffnete die Versammlung mit den Worten: „Männer, schaut euch um, schaut euch gegenseitig an und dann sagt mir, was ihr hier seht!“

Ernir fragte etwas unsicher: „Was sollen wir den anderes sehen, als einen kleinen Haufen von Männern?“

Egill rief hinterher: „Aber wir waren hier mal ein großer Haufen von Männern!“

„Genau das meine ich, ihr habt es richtig erkannt, auf das ich euch aufmerksam machen wollte“ bestätigte Alvitur. „Wir sind nur noch eine Handvoll Männer, anders als es hier früher einmal war. Ich denke, es ist an der Zeit, über unsere Heimat ernsthaft nachzudenken. Sind wir in so einer kleinen Gemeinschaft noch lebensfähig, oder sollten wir auch über das Meer fahren und unsere Leute suchen, die damals Björkendal verließen?“ Alvitur trat einen Schritt zurück und zeigte ihnen so an, dass sie jetzt reden sollten.

Die meisten Männer waren das Thing nicht gewohnt und nur die älteren unter ihnen hatte es schon erlebt.

Einen Moment lang war Stille und mancher schaute unsicher drein, bis Ernir sich meldete. Er trat vor und rief: „Ja, Alvitur, du hast Recht, wir sollten alle über unser Leben hier nachdenken, und ich sage gleich vorweg, dass ich hier leben will, zusammen mit meiner Frau und mit meinem Sohn … äh und mit meiner Tochter. Ja, jetzt habe ich ja zwei Kinder.“

Die anderen Männer lachten.

„Sie sollen hier aufwachsen, und so schlecht sieht es ja hier auch nicht aus. Ich meine, die Handvoll Männer, die wir sind. Ich denke, dass ich nicht der Einzige bin, der weiß, wie Kinder gemacht werden und schon sind wir mehr, als eine Handvoll.

Alle lachten und Steinar rief: „Hehe, Birta und ich, wir wissen auch, wie das geht. Wir haben doch schon unseren Arnor gemacht!“

„Dann schaut mal meine Frau an, wie rund sie ist, dann wisst ihr, dass wir das auch können“, rief Leifur in die Lachsalve der Männer hinein.

Alvitur hob lächelnd einen Arm und alle schwiegen augenblicklich. „So ungefähr stimmt die Richtung, in die wir denken sollten. Kinder sind nun mal unsere Zukunft und das Größte, was es im Leben gibt, aber damit sie auch später noch so leben können, wie wir es hier seit langen Zeiten konnten, müssen wir einiges verändern. Ich sage euch kurz, in welche Richtung ich sehr lange nachgedacht habe. Einige von euch hatten damals die vielen Bäumchen belächelt, die ich mitbrachte, nun seht selbst, was daraus geworden ist, und Alvitur deutete mit seinem Arm in Richtung des Apfelhaines. In diesem Herbst können wir die erste richtige Apfelernte einbringen und wir werden etwas daraus machen, das uns an der ganzen Küste, bis nach Haithabu bekannt machen wird.“

Als die Männer ungläubig murmelten, rief Alvitur: „Fragt Leif, der wird euch bestätigen, welchen Nutzen ein guter Apfelwein bringen kann.“

Alvitur machte eine kleine Pause und freute sich, wie sich die Gemüter der Männer bei dem Wort Apfelwein erhitzten und ein heftiges Geraune einsetzte.

„He, ihr plappert alle durcheinander“, rief Leif, „aber ich denke, der Apfelwein ist etwas, womit man erfolgreich handeln könnte. Ich glaube, dass Alvitur den Wein gemeint hat.“

Nun fiel ihm Ernir ins Wort. „Handeln ist wichtig, und ich kann das auch wirklich gut, aber schaut doch nur, was wir hier für Boote haben. Wenn wir kein richtiges, großes Boot haben, lohnt das Handeln kaum, oder wollen wir mit unseren kleinen, morschen Kähnen, als Flotte, die Küste entlang rudern, bis Haithabu?“

Lachsalven, Worte und Ideen flogen hin und her und Alvitur sah, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Er war sich plötzlich sicher, dass er auf diese Männer zählen konnte. Sie stimmten letztendlich darüber ab, ein richtig großes Boot, eine Knorr12, für den Handel zu bauen und auch darüber dass die folgende Apfelernte zu Wein gemacht werden sollte. Leifur erhielt den Auftrag, für den Anfang zehn große Krüge zu töpfern und Egill wurde die Aufgabe übertragen, alles für den Bootbau zu organisieren.

Als das Feuer fast heruntergebrannt war und nur noch einen milden, warmen Schein verbreitete, zeigte Alvitur auf einen Krug, der im Schatten der Eiche stand.

„Männer, was meint ihr, was dieser Krug enthält?“

„Met, oder Bier“, rief Sigudur, „ja, einen kräftigen Schluck saufen, das wäre jetzt gut!“

Alvitur lachte. „Na du bist gut, du möchtest wohl gerne so viel trinken, dass du deine drei Schafe nachher doppelt siehst und dann glaubst, dass du sechs hast.“

Sigudur schnaufte laut: „He, he, wir haben elf Schafe und nicht drei!“

Alvitur fuhr lachend fort: „Zum Saufen, für alle, reicht wohl so ein Krug nicht, aber das können wir ändern, wenn ihr alle mitmacht. Das hier ist ein Rest, von dem köstlichen Wein, den ich von den Franken mitgebracht habe. Wenn jeder nur einen Schluck trinkt, werdet ihr eine Vorstellung davon haben, was köstlich ist und sehr bald wird er für uns alle reichen.“

Dann entfernte Alvitur, den Wachsverschluss des Kruges und hielt ihn Steinar hin.

„Aber nur einen Schluck, sonst reicht es nicht. Trinkt einen Schluck auf unsere Zukunft.“

Als der Krug seine Runde gemacht hatte, schüttelte Alvitur ihn und lächelte. „Ihr habt wirklich sparsam getrunken“ – und er hielt den Männern den Krug erneut hin.

„Ihr schaut alle wie ein Huhn, das der Blitz getroffen hat, schmeckt euch das nicht?“, fragte Leif. „He, da wo wir uns jahrelang herumgetrieben haben, waren die Leute alle wild auf dieses Gebräu.“

Ernir schmatzte mir den Lippen und schlug seinen Bruder Feykir, auf die Schulter. „Köstlich, mindestens so gut, wie Met. Wir werden damit handeln, dafür werden wir sorgen, so wahr ich Ernir bin.“

Mehr als ein Jahr großer Anstrengungen war vergangen und die Björkendaler hatten es geschafft, in gemeinsamer Arbeit eine richtige Knorr zu bauen. Als das fertige Boot bei einer kleinen Zeremonie zu Wasser gelassen wurde, jubelten alle und Alvitur konnte nicht genug Egills Kunst, als Bootsbauer loben. Ohne Egills Erfahrung hätten sie das niemals geschafft und Björkendal wäre weiterhin ein unbedeutendes, kleines Dörfchen, am nördlichen Rand der Welt, geblieben. Jetzt fieberten alle der ersten Fahrt entgegen und die sollte natürlich beginnen, wenn ihr neuer Schatz, der frische Wein in Leifurs Gärkrügen reift war. In der Zwischenzeit hätte Leifur auch genügend Transportkrüge hergestellt, so dass dem Handel nichts mehr im Wege stand. Die Auswahl der Leute, die mitfahren sollten, fiel schwer, aber nach einigen Tagen waren sie sich doch einig; Hervar, Ernir, Feykir und Leif, sollten mit Alvitur auf die erste Fahrt gehen.

In den folgenden Tagen suchten fast alle Björkendaler fieberhaft die Dinge zusammen, die irgendwie für den Handeln geeignet schienen. Viel hatte Björkendal noch nicht zu bieten, außer ein paar Schafsfellen, Fellen von Ragnars Jagdbeute, Trockenfisch und ein paar besonders schöne Krügen von Leifurs neuer Töpferscheibe. Man beschloss, nach der diesjährigen Apfelernte zu fahren, denn dann waren die wichtigsten Arbeiten ihrer Gemeinschaft erledigt.

Zwei Monde vor der Wintersonnenwende war es so weit und Alviturs Mannschaft stand bereit. Abende vorher beratschlagten sie im Langhaus, welche Orte sie anfahren wollten und sie einigten sich schließlich darauf, neben Haithabu auch auf Roskilde, Jelling und Uppokra13 anzufahren.

„Wir dürfen uns aber keine falschen Hoffnungen machen“, meinte Alvitur, als er in die erwartungsvollen Gesichter seiner Mannschaft blickte. Glaubt nicht, dass wir von dieser Fahrt mit großen Reichtümern zurückkehren werden. Für uns ist nur Eines wichtig, wir müssen in möglichst vielen Orten etwas von unserem Wein anbieten. Wenn uns das gelingt, werden wir auf lange Sicht Handelspartner haben. Von unseren Bäumen werden wir in ein paar Jahren noch beträchtlich mehr Äpfel ernten können, so dass wir dann auch mit unserem Wein in größeren Mengen handeln könnten. Ihr werdet dann auch sehen, dass die Äpfel mehr sind als sie scheinen. Selbst unsere Frauen werden entdecken, dass man mit ihnen auch unsere Speisen bereichern kann. Ernir, ich denke, du solltest den Handel mit unserem Wein übernehmen, du bist ja inzwischen ein richtiger Liebhaber dieses Gebräus geworden.“

Als sie am letzten Abend vor der Fahrt wieder zusammen saßen, meldetet sich Leif zu Wort: „Leute, ich war mit Djarfur, nun ja, mit Alvitur lange genug unterwegs und habe eine Menge Erinnerungen daran, was auf so einer Reise alles passieren kann. Wir wollen ja nicht nur zum nächsten Ort, nach Hjemma. Ich will sagen, macht euch auf alles gefasst und nehmt eure Waffen mit.“

Alvitur nickte und ergänzte: „Leif, du warst mir immer ein zuverlässiger Weggefährte, und jetzt hast du mir das Wort aus dem Munde genommen. Ich wollte nur niemandem vorher Angst machen, deshalb hatte ich das noch nicht erwähnt.“

Endlich war die Knorr auf See und Egill hatte in den ersten Tagen alle Hände voll zu tun, die Mannschaft in ihre Handhabung einzuweisen, so dass sie auch bei Sturm jeden Handgriff beherrschen würden. Immer wieder übten sie und Alvitur achtete streng darauf, dass sie es auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit taten. Wer nicht mit den Manövern des Schiffes beschäftigt war, übte sich unter Alviturs Anleitung mit den Waffen und so vergingen die Tage auf See, wie im Fluge. Obwohl um diese Jahreszeit die See oft sehr rau werden konnte, hatten sie großes Glück; der Wind blies aus der gewünschten Richtung und sie fuhren ohne gegen übliche Herbststürme ankämpfen zu müssen.

„Hört mal alle her!“, rief Alvitur eines Tages, „wir erreichen bald unser erstes Ziel, Uppåkra. Ich habe bewusst diesen kleinen Umweg gewählt. Gehört habt ihr sicher alle schon von diesem Ort und ich bin sicher, dass ihr staunen werdet. Ich denke, dass es gut wäre, unseren Göttern zu danken und Odin ein kleines Opfer darzubringen, damit er weiterhin sein Augenmerk auf unseren zukünftigen Handel legt.“

 

Als die Sonne den Zenit überschritten hatte, sahen sie die Bootsstege von Uppåkra und legten kurze Zeit später an.

Ernir hängte sich sein Schwert um, setzte einen Lederhelm auf und wartete am Steg auf die anderen. Alvitur lächelte, als er ihn so warten sah.

„Du hast dir Leifs Bedenken zu Herzen genommen, aber hier werden wir keine böse Überraschung erleben. Es ist aber trotzdem gut so, komm mit.“

Alvitur trug einen kleinen, in ein Tuch gehüllten Krug, mit sich. Ernir und Feykir lachten. Sie machten laufend Bemerkungen darüber, wer den Krug als Opfer austrinken würde. Dann blieben sie ganz plötzlich stehen und staunten. Dort stand ein Haus, wie sie es, in seiner Art, noch nie gesehen hatten.

Nun war es Alvitur, der lächelte. „Ich sagte euch ja: Ihr werdet staunen. Ja, das ist Odins Tempel. Bei den Christen, südlich vom Dänenwall, haben sie noch viel größere Häuser für ihren Gott und nennen sie Kirchen.“

Die Leute, die durch den Ort liefen beäugten die Händler etwas argwöhnisch, aber Alvitur meinte nur: „Macht euch keine Sorgen. Das hier sind friedfertige Schweden. Wir werden auch hier übernachten und vielleicht können wir morgen sogar etwas handeln. Jetzt lasst uns hineingehen.“

Ernir, Hervar und Feykir bekamen vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Beschnitzte Stühle und Dachgiebel, Köpfe an Booten hatten sie ja alle schon gesehen, aber was sie hier erblickten, übertraf ihre Erwartungen gewaltig. Im milden Dämmerlicht des Tempels sahen sie, jeder Säule, die das Dach trug, war von oben bis unten beschnitzt und in einer Kunstfertigkeit, wie sie es noch nie gesehen hatten.

„Ich sagte es euch ja“, flüsterte Alvitur und Ernir antwortete ebenso flüsternd: „Ja, ja, aber das hast du nicht gesagt, dass uns vor Staunen die Augen herausfallen werden“ – und Ernir befühlte andächtig einen großen Wolf, der sie aus einer Säule heraus ansah.

In einer Ecke waren Figuren aufgebaut, eine große, die Odin darstellen sollte und um ihn herum weitere; die anderen Götter. Dicht neben ihm standen Thor und Freya. An der Wand, ins Holz geschnitzt, waren Odins Raben, Hugin und Munin zu erkennen und darunter seine Wölfe, Geri und Freki.

Alvitur winkte seine Leute heran. „Kommt, stellt euch zu mir und lasst uns Odin bitten unseren Handel zu beschützen. Er nahm das Tuch vom Krug und entfernte den Verschluss. Mit fester Stimme rief Alvitur: „Odin, Freya und Thor, wir stehen hier vor euch, als freie Männer, die für ihr Dorf einen neuen Weg beschreiten wollen und jetzt bitten wir euch: Helft uns, diesen Weg auch erfolgreich zu gehen. Odin, gib uns von deiner Weisheit, Thor gib uns von deinem Mut, Freya, gib uns von deiner Güte und lasst uns diesen Weg ehrenhaft gehen, zum Nutzen von Björkendal. Seht auf uns und steht uns bei, wenn wir in Bedrängnis geraten, so werden auch wir an eurer Seite stehen, immer, für alle Zeit.“

Alvitur nahm sein kleines Trinkhorn vom Gürtel und goss etwas Wein hinein. Auf jeder der Figuren ließ er ein paar Tropfen Wein fallen. Er hielt kurz inne, dann rief er laut, dass es durch den gesamten Tempel schallte: „Odin, ich bitte dich, nimm unser Opfer an!“ Er trank selbst einen kleinen Schluck von dem Wein und reichte dann das Horn an Ernir weiter.

Leif drängte sich an Alvitur und flüsterte: „Mein Freund, das hörte sich ja fast wie ein Schwur an“ – und noch etwas: „Egal ob die Götter zu uns stehen, alle die wir hier mit dir sind, werden ganz sicher immer an deiner Seite stehen. Wir wissen, dass du uns einen guten Weg aufgezeigt hast, den besten, den wir wählen konnten.“

Die Männer waren sich der Feierlichkeit dieses Momentes bewusst. Sie schauten einander in die Augen und nickten Alvitur zu. Mit fester Stimme bestätigte Ernir ihren stillen Bund: „So sei es.“

Ohne nennenswerte Tauschgeschäfte fuhren sie am nächsten Tag, in Richtung Haithabu weiter. Unterwegs trat Ernir an Alvitur heran und sagte: „Alvitur, ich bin mir ziemlich sicher, dass du noch etwas anderes im Kopf hattest, als Odin nur unseren Handel anzuvertrauen.“ Als Alvitur leicht nickte, ergänzte er: „Wir vertrauen dir alle, aber ich bitte dich, wenn wir dir auf dem neuen Weg folgen, sag uns auch immer wohin er führt.“

„Hmm“, machte Alvitur, „ja, du hast Recht, aber so ganz sicher bin ich mir über unseren Weg noch nicht. Ich kann noch nicht weit genug sehen, mein Freund.“

Sie waren die ganze Nacht hindurch gefahren, weil der Wind günstig stand und hatten so den größten Teil der Strecke zurückgelegt. Kurz vor dem Morgengrauen mussten sie jedoch auf offener See halten, weil sie Haithabu nur nach Sicht anlaufen konnten. Zu groß war die Gefahr, in der Dunkelheit irgendwo zu stranden. Mit den ersten Sonnenstrahlen hatten sie endlich genügend Sicht und konnten in den Hafen einfahren. An einem freien Ankerplatz, zwischen vielen anderen Booten, machten sie die Knorr fest.

Alvitur rief die Männer zusammen und ordnete an: „Wir werden erst gemeinsam etwas essen und dann sehen wir uns in der Stadt um. Lasst uns gemeinsam Haithabu erkunden. Seid aufmerksam und versucht euch möglichst viel zu merken. Ihr werdet feststellen, dass hier nicht nur Dänen und Schweden Handel treiben, sondern auch Leute aus Ländern, deren Namen ihr noch nie gehört habt. Damit hier euer erster Handel keine zu große Enttäuschung wird, werde ich im Hintergrund bei euch sein. Es wird auch Zeit, dass wir ein paar Zeichen verabreden, mit denen ich euch andeuten kann, ob ihr mit dem Preis hoch- oder runtergehen solltet. Versteht ihr, wie ich das meine?“ Als die Gefährten verstehend nickten, sprach Alvitur weiter: „Ich bin wirklich nicht scharf darauf, hier zu handeln, aber ich möchte euch gerne für den Anfang vor bösen Enttäuschungen bewahren. Leif weiß auch, dass es windige Hunde unter den Händlern gibt, die versuchen werden, euch übers Ohr zu hauen, wenn ihr ihre Schliche nicht kennt.“

Die Männer lauschten gespannt. „Es kann auch sein, dass ihr mit Etwas in Berührung kommt, das es bei uns nicht gibt, das ihr bisher vielleicht nur gehört habt; ich meine Leute, die mit Menschen handeln, mit Sklaven.“

Ernir schnaufte entrüstet: „Das sollte mal einer versuchen, mich zu verkaufen, der wird zufrieden sein, wenn ich ihn anschließend verkaufe. Ha, ha!“

„Ernir, so einfach ist das hier nicht. Diese Händler sind meistens Dänen, die irgendwo einen kleinen Krieg geführt haben und dann ihre Gefangenen gegen Dinge eintauschen, die sie brauchen, oder gegen Münzen verkaufen. Sie haben hier starken Rückhalt, weil es hier eben so üblich ist und es sind auch meistens kampferfahrene Leute, mit denen man sich besser nicht anlegt. Wichtig für euch ist noch, dass hier fast nur mit Silber als Zahlungsmittel gehandelt wird. Ihr solltet wirklich Augen und Ohren offen halten. So wie unser Handel mit den Leuten aus Hjemma läuft, so geht das hier kaum. Wir werden am besten eine kleine Menge Felle und vielleicht auch einen Krug Wein mitnehmen und ich werde den ersten Handel machen. Ihr solltet alles genauestens beobachten und es euch einprägen. Glaubt mir und seid erst einmal misstrauisch, denn es gibt wirkliche Schweinehunde hier. Mir tut es ja auch leid, wenn man später feststellt, dass man misstrauisch gegen einen ehrenhaften und ehrlichen Mann war, den man gerne als einen Freund willkommen heißen würde. Aber es ist besser so, als wenn deine ganze Ladung verloren geht, weil du nicht aufgepasst hast.“

Die Männer kratzten sich nachdenklich die Köpfe und nickten. „Das sollen wir uns wirklich antun?“, stöhnte Hervar.

Feykir stieß den Freund aufmunternd an. „Komm, Kopf hoch, wir werden eben in der ersten Zeit immer zu zweit losziehen und so ganz dumm sind wir ja auch nicht. Etwas Menschenkenntnis ist also gefragt, den Leuten in die Augen und auf die Finger sehen.“

Alvitur lachte. „Feykir, ich sehe, du hast mich verstanden.“

Als sie endlich gegen Mittag den Anlegeplatz verließen, sahen sie aus wie eine kleine Gruppe von Kriegern, die ihrem Fürsten folgten. Alle hatten Alviturs Ratschlag befolgt und sich gut bewaffnet. Jeder von ihnen hatte seinen Lederhelm auf dem Kopf, der auf Hochglanz poliert war und ein Schwert an der Seite.

Alvitur ging zwar ohne Helm und ohne Rüstung, aber er sah auch so beeindruckend aus. In seiner hellblauen Tunika, dunkelblauen Hosen und seinem prächtiges Schwert an der Seite, vermittelte er den Eindruck eines Fürsten mit seinem Gefolge. Sein Schwert war schon durch die leicht gebogene, exotische Form beeindruckend, dass man seinen Besitzer für einen weit gereisten, oder reichen Mann halten musste, aber genau das bezweckte Alvitur auch.

Sich in der unendlich groß erscheinenden Stadt zurecht zu finden, war selbst für Leif und Alvitur nicht leicht, denn seitdem sie sich das letzte Mal hier aufgehalten hatten, waren auch schon wieder viele Jahre vergangen und Haithabu hatte sich verändert.

Ernir murmelte einmal: „Ich glaube, so weit kann ich gar nicht zählen, wie hier Häuser stehen.“

Endlich hatte sie eine Gasse gefunden, die für sie interessant schien. Ihnen fiel auf, dass alle Hütten zugleich auch Werkstätten waren. Es gab mehrere Schmieden, Töpfer, Lederhandwerker, Silberschmiede und sogar Glasmacher zu sehen. Ihnen gingen die Augen über, als sie vor einer Silberschmiede standen, auf deren Tischen die wunderschönsten Schmuckstücke ausgebreitet lagen. Die Männer blieben stehen und bestaunten den ausgelegten Schmuck, die Halsketten, Fibeln und die verschiedensten Ringe. Der Händler und sein Gehilfe, ein riesiger Kerl mit langem Bart und einem beeindruckendem Schwert am Gürtel, machten misstrauische Augen, als Ernir nach einer Kette aus Bernstein griff und sie betrachtete.

Als sich Alvitur dann mit einem freundlichen Lächeln neben Ernir stellte und den Händler mit einem Kopfnicken begrüßte, entspannte sich die Situation und der Kerl mit dem Schwert trat wieder einen Schritt zurück. Alvitur zog Ernir unauffällig am Ärmel weiter und an der nächsten Hausecke hielt er seine Leute an. „Eines hatte ich vergessen, euch zu sagen: Das ist hier nicht so, wie bei uns zu Hause. Bevor ihr nach irgendeinem Gegenstand greift, sprecht den Händler freundlich an, nickt ihm zu, macht ihm ein Kompliment und zeigt ihm, dass ihr ihm freundlich gesonnen seid und Interesse an seinen Waren habt.“

Ernir machte ein beschämtes Gesicht und meinte: „Ja, das war wohl nicht ganz richtig, das hätte ich zu Hause auch nicht so gemacht, aber diese Kette hatte mich richtig magisch angezogen.“ Dann sah er auf seine Fußspitzen und ergänzte ganz leise: „Diese Steine hätten so wunderschön zu Hildas roter Haarpracht gepasst.“

Da keuchte plötzlich Feykir heran und stieß empört hervor: „Kommt mal, schnell, zur nächsten Hausecke. Alvitur, ich glaube, dort stehen solche, vor denen du uns gewarnt hattest. Es sieht so aus, als ob sie wirklich dort Menschen verkaufen!“

Alvitur hielt die Männer fest und warnte: „Bleibt ruhig und sprecht sie nicht an. Wir gehen einfach an ihnen vorbei, ohne etwas zu tun. Schaut aber unauffällig und genau hin.“

Dann sahen sie es alle: Auf einem größeren Platz, zwischen den Häusern, stand ein langer Querbalken, auf einem hölzernen Podest und er schien ihnen das Symbol menschlichen Elends zu sein. An dem Balken waren drei bemitleidenswerte Menschen, in zerrissener Kleidung festgemacht. Ihre eisernen Halsringe waren mit Ketten an dem Balken befestigt. Die Pein, die aus den Gesichtern der Sklaven sprach, ging den Männern, um Alvitur, tief in die Seele. Am Ende des Podestes standen drei ziemlich aggressiv dreinschauende Krieger. Die Narben, die ihre Gesichter zeichneten, zeigten eindeutig, dass hier kampferprobte Männer standen, die keinen Spaß verstehen würden. Die Björkendaler bissen die Zähne zusammen und gingen mit einem inneren Aufschrei an ihnen vorüber. Diese Knechtung der Würde, die sie hier sahen, würgte ihre freiheitsgewohnten Seelen.

Als sie fast schon vorbei waren, verhielt Alvitur seine Schritte und griff Ernir und Hervar an den Ärmeln. Zwischen den Zähnen zischte er: „Dreht euch zu mir und schaut auf die große Kochstelle dort drüben“, und seine Hand wies die bezeichnete Richtung. Die Männer blieben stehen und schauten auch in die angedeutete Richtung, als gäbe es nichts Interessanteres zu sehen.

Alvitur raunte: „Wenn ihr euch mal unauffällig umschaut, werdet ihr einen kleinen Jungen sehen, der zwischen den Füßen dieser Männer sitzt. Macht das aber ganz unauffällig.“

Mit einem verachtendem Unterton, sprach Alvitur weiter: „Mir war eben zum Kotzen, als ich sah, wie der eine Kerl dieses Kind mit dem Fuß einfach zur Seite geschubst hatte, wie einen Sack voller Dreck. Unter den Leuten die da angekettet stehen, sind bestimmt seine Eltern.“

 

Ernir bemerkte, wie Alvitur heftig atmete und seine Hand den Schwertgriff umklammert hielt. Die Männer schauten sich schockiert an. Nur Alvitur und Leif hatten auf ihren langen Reisen schon Sklaverei gesehen und ähnliches erlebt. Für die anderen schien das Gesehene unfassbar. Sie waren immer freie Männer gewesen und konnten sich nicht vorstellen, der Besitz eines anderen Menschen zu sein.

Unvermittelt zerrte Alvitur seine Leute an den Ärmeln und forderte sie ziemlich barsch auf: „Kommt aufs Schiff, wir müssen reden.“

Die traurigen Gestalten mit den eisernen Halsringen bewegten ihre Gemüter, und das machte sie auf dem gesamten Rückweg bedrückt.

Wieder auf dem Schiff, setzte Ernir sich auf eine Ruderbank, stützte den Kopf in die Arme und grübelte. Er stellte sich sofort vor, wie ihr Dorf überfallen würde und dann seine Kinder, wie hier, zum Verkauf standen.

Jeder versuchte wohl auf seine Art mit ähnlichen Gedanken fertig zu werden, bis Hervar fragte: „Alvitur, was tun wir jetzt? Wollen wir uns die Dänen vornehmen und die Sklaven befreien?“

„Ach Hervar, nur zu gerne würde ich das tun, aber so einfach geht das nicht. Die sind hier geduldete Händler und für alle Leute hier sind sie die rechtmäßigen Besitzer ihrer Sklaven. Bestimmt sitzt hier irgendwo auch noch der Rest ihrer Mannschaft. Mit so einer wilden Horde können wir uns nicht anlegen. Schon die drei dort sind ganz sicher sehr starke Gegner und wenn wir die angreifen, dürften wir uns hier nie wieder blicken lassen.“

Nach einem kleinen Moment des Nachdenkens, fügte er hinzu: „Wenn wir etwas tun wollen, dann sollten wir diesen kleinen Jungen befreien, aber das können wir nur mit Verstand und List machen. Was meint ihr, wollen wir das versuchen?“

Alvitur sah seine Leute der Reihe nach an und alle nickten ohne zu zögern.

Leif gab zu bedenken: „Wir müssen herausfinden, ob seine Eltern wirklich unter denen sind, die dort standen, oder ob sie hier verkauft wurden und danach sollten wir erst etwas entscheiden.“

„Leif, deine Worte sind klug“, bemerkte Alvitur, „aber lasst uns erst essen. Ich muss noch etwas nachdenken.“

Beim Essen saßen die Männer in sich gekehrt und nachdenklich zusammen und kein rechtes Gespräch wollte aufkommen. Endlich brach Feykir das Schweigen.

„Sag mal Alvitur, die Kochstelle die du uns so umständlich gezeigt hast, kochen die dort für alle?“

Alvitur schreckte sichtbar aus seinen Gedanken auf und nickte dann. „Ja, dort kannst du auch essen, aber du musst dafür bezahlen. Überall in den Städten, südlich vom Dänenwall, gibt es solche Gasthäuser. Wenn es sich nicht geändert hat, nehmen sie meistens Hacksilber14, also kleingehackte Münzen und anderes Silber, als Bezahlung. Wir müssen uns also hier etwas Silber eintauschen, wenn wir in so einem Wirtshaus essen wollen. Aber auch vieles andere kann man für Hacksilber eintauschen, auch deine Bernsteinkette, Ernir. Noch etwas. Das größere Haus, hinter der Kochstelle, ist für Übernachtungen gedacht. Dort kann man die Nacht verbringen.“ Nachdem er grinsend mit dem Kopf gewackelt hatte, ergänzte er: „Gegen Bezahlung brauchst du dort auch nicht alleine schlafen.“

Nun grinsten die Männer alle; ja, auch davon hatten sie schon gehört.

„Hört zu, ich habe mir was einfallen lassen.“ Dann erläuterte Alvitur seinen Plan, wie sie den Jungen befreien konnten.

„Aber bevor wir uns um das Kind kümmern, lasst uns noch etwas erledigen, das in unsere Gemüter vielleicht wieder etwas Licht bringt. Dass wir die Kochstelle und das Haus dahinter entdeckt haben, ist gut. Wir werden zuerst dorthin gehen und einen Krug von unserem Wein mitnehmen. Wenn wir Glück haben, können wir dafür etwas Silber einhandeln. Was denkt ihr?“

Die Gesichter hellten sich auf. Sollte sich jetzt zeigen, dass Alviturs Traum, von Björkendals Schatz, wahr wurde? Alle stimmten sofort zu.

Ernir fragte: „Sollen wir einen großen Fjerdingkrug nehmen oder einen kleinen mit einer Aske15 Inhalt?“

„Wir wollen kein Risiko eingehen. Nehmen wir lieber für den Anfang den Askekrug mit. Aber ich glaube, unser Wein wird denen dort schon gefallen.“

Feykir und Ernir stellten den Krug in ein Tragenetz und deuteten Alvitur an, dass sie marschbereit seien. Auf dem Platz vor der Herberge empfing sie eine Geräuschkulisse, die sie an ihre Feste im Langhaus erinnerten: Stimmengewirr, das Klappern von Trinkbechern, Gegröle einzelner Männer, und ihren Augen bot sich ein so buntes Gewirr aus fremdartig gekleideten Menschen, dass ihre Blicke nicht zur Ruhe kamen. Alvitur ließ seinen Männern erst einmal Zeit, diese wundersame Szene in ihren Köpfen zu verarbeiten und unterhielt sich leise mit Leif.

„Leif, dein Vorschlag ist gut. Männer, kommt, wir setzen uns dort an einen Tisch. Von da habt ihr einen guten Überblick und könnt alles in Ruhe betrachten.“

Voller Aufregung und Erwartung ließen sich die Männer an einem großen Tisch, am Rande des Geschehens, nieder. Alvitur saß an der Stirnseite des Tisches, Hervar und Ernir rechts von ihm und Leif mit Feykir zu seiner linken. Wieder machte er den Eindruck eines Adligen, der mit seiner Leibgarde unterwegs war. Es dauerte nicht lange, da kamen ein kräftiger, untersetzter Mann und eine junge Frau an ihren Tisch. Mit kleinen, listigen Augen musterte er erst Alvitur, dann ging sein Blick flink, aber eindringlich, über die Männer.

Er richtete seine Worte direkt an Alvitur. „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Bist du auf der Durchreise, oder willst du hier Handel treiben?“

Alvitur richtete sich auf und musterte in aller Ruhe den Fragesteller. Mit seinem einäugigen, aber befehlsgewohntem, Gesicht spielte er die Rolle eines Stammesfürsten vortrefflich und eindrucksvoll. Den Männern wurde wieder bewusst, dass sie einen wirklich hervorragenden Mann zu ihrem geistigen Oberhaupt gewählt hatten, auf den sie stolz sein konnten. Alvitur war ein Fürst, dem Aussehen und seinen Gesten nach. Seine hellblaue Kopfbinde, die die leere Augenhöhle verdeckte, unterstrich diesen Eindruck effektvoll.

„Sag mir erst einmal deinen Namen, damit ich weiß, mit wem ich es hier zu tun habe.“

Der angesprochene Mann zuckte leicht zurück. „Selbstverständlich, ich bin Nils und ich betreibe hier diese Herberge. Herr, wenn du etwas wünscht, kann ich dir zu Diensten sein. Ich biete dir Essen und auch die Möglichkeit, mit deinen Männern hier die Nacht zu verbringen.“

Alvitur nickte nur andeutungsweise und fragte dann in einem befehlsgewohnten Ton, den seine Männer kaum kannten: „Was kannst du uns denn für eine Speise anbieten?“

Nils antwortete sofort: „Ein Kohlsuppe, wie jeden Tag und auch vom gebratenen Ochsen. Als Getränk kann ich euch Bier anbieten, Dünnbier und gutes Starkbier.“

So, als ob er ihm eine Gnade gewährte, erwiderte Alvitur: „Dann bringe für mich und meine Männer gutes Bier und vom gebratenen Ochsen.“

Der Betreiber der Herberge war kaum drei Schritte weg, da konnte Hervar nicht mehr an sich halten, prustete los und wollte schon mit der Faust auf den Tisch schlagen, doch Alvitur hielt ihm die Hand in der Luft fest.

„Beherrsche dich, mein Freund. Lass uns diese Rollen spielen, bis wir genügend Wissen gesammelt haben.“

Aber alle am Tisch sahen, dass Alvitur ebenfalls grinste.

Als das gewünschte Essen vor ihnen und vor jedem ein Krug mit Bier standen, sprach Alvitur dem Herbergswirt wieder an: „Nils, einer meiner Männer möchte hier vielleicht einen Handel mit einem exotischen Getränk betreiben, vielleicht bist du auch daran interessiert?“