Vom Horizont zum Anfang

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Vom Horizont zum Anfang
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Hawe Preters

Vom Horizont zum Anfang

Zwei phantastische Texte

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zum Horizont

Aller Anfang ist schwer

Impressum neobooks

Zum Horizont

„Ja“, antwortete Elena. Kurz, aber klar. Sie öffnete die Augen, die sie soeben geschlossen hatte. Zuvor hatte sie ewig auf dieses Haus geblickt, gegenüber. Mit starrem Blick auf dieses kleine efeubewachsene Haus, das wie umwuchert wirkte. Eine Rose war weit im Efeu emporgerankt, erste Knospen öffneten sich in weißer Pracht, die die vor dem Haus stehende hutzelige weißhaarige alte Frau lächelnd betrachtete. Die Frau breitete wohlige Wärme in Elena aus, immer dann, wenn Elena sie sah. Immer wollte sie sie sehen, aber sie kam nur manchmal und plötzlich und war auch plötzlich wieder verschwunden, als hätte das Haus sie verschluckt oder als wäre sie ins Haus hineingeschlüpft. So wird es sein, kein Verschlucken, sondern ein freiwilliges Tun, so wie der bunte Vogel so häufig hinter den Efeu hüpfte und verschwand und doch immer wieder auftauchte.

Die weißhaarige alte Frau wird eine Öffnung entdeckt haben hinter dem Efeu, vielleicht war die Wand des kleinen Hauses auch durchlässig, jedenfalls für bunte Vögel und alte weißhaarige Frauen. Warum nicht auch für Elena? Kaum hatte sie daran gedacht, fand sie bereits den schmalen Spalt direkt neben der prächtigsten Rosenblüte, nicht weit entfernt von den Efeublättern, hinter denen der bunte Vogel verschwunden war. Sie musste sich noch nicht einmal anstrengen, um sich durch den Spalt zu zwängen, denn die schmale Öffnung erweiterte sich beim bloßen Berühren und gab den Weg ins Haus frei, als ob das Haus lange erwartungsvoll und mit geöffneten Armen auf Elena gewartet hätte. Sie merkte sofort, dass sie willkommen war. Farbige Kerzen auf von Wachs bedeckten silbernen Ständern erleuchteten einen großen Raum, in dem lustig zwitschernde Vögel über hellrosafarbenen Pfingstrosen in filigran bemalten Porzellanvasen schwirrten. Elena tanzte in den Raum und drehte sich zum Vogelgezwitscher und sah die wie zu Amphoren vergrößerten Vasen, die sich entlang einer mit jungen Bäumen bepflanzten Allee aufreihten.

Der große Raum des Hauses hatte sich zum Garten geöffnet. Schmetterlinge mit bunten Flecken auf den Flügeln, Distelfalter und Tagpfauenauge und der Kleine Fuchs verzauberten über der Blumenwiese und auf den aufrechten und wie schmale Kegel wirkenden Blütenständen des Schmetterlingsstrauches, Bienen und Hummeln summten schwer am Nektar tragend von Blüte zu Blüte. Dort vorne, es war nicht das Ende des Gartens, es war der Horizont, winkte die weißhaarige alte Frau, und obwohl sie doch so weit entfernt war, konnte Elena ihr Lächeln erkennen. Ein stilles, zugewandtes Lächeln, das Elena so sehr mochte und das ihr Geborgenheit vermittelte. Der Horizont war gar nicht so weit weg, dachte Elena und machte sich auf den Weg dahin.

Und alle wollten sie begleiten und folgten ihr: die Schmetterlinge, die Bienen und die Hummeln. Der Gartenrotschwanz wollte nicht allein im Garten bleiben. Die Blaumeise bot Elena piepsend an, sie könnte auf ihr bis zum Horizont mitfliegen, wenn sie unterwegs erschöpft wäre. Aber Elena war nicht erschöpft, keineswegs, sie sang und jubilierte, tanzte und hüpfte und sprang übermütig über Gräben und riesige Maulwurfshügel. Ein Maulwurf lud sie für eine kurze Pause in seinen unterirdischen Bau ein, doch Elena dankte und wollte weiter, den Himmel und die Sonne sehen, den Wind in den Haaren und den warmen Nieselregen auf der Haut spüren. Von überall her kamen zunächst die Tiere und dann einzelne und immer mehr Menschen auf sie zu und schlossen sich Elena an. Junge und ältere Menschen, Frauen und Männer – und alle waren und wurden frohgelaunt in ihrer Bewegung zum Horizont.

***

Der Weg zum Horizont führte sie entlang der langen graden Straße, durch große Städte und kleine Dörfer, über Wiesen, auf denen schwarz-bunte Kühe grasten, durch Wälder, in denen Rehe mit jungen Birkenzweigen im Maul den fröhlich Wandernden zunickten. Sogar die Ameisen hielten auf ihrem Hügel inne, denn jetzt war keine Zeit für Arbeit. Aber in den Städten hetzten noch viele Menschen, manche blickten auf die Uhr, wann denn die Bewegung endlich vorbei gegangen sein würde. Elena erkannte unter den Hetzenden ein Gesicht, das Gesicht einer männlichen Person, die hin und her eilte, dann kurz verweilte und den Blick auf Elena richtete, so dass sich für einen Moment die Blicke kreuzten, um sich dann abrupt abzuwenden. In diesem Augenblick huschte die weißhaarige alte Frau vor dem hetzenden, mit einem weißen Kittel bekleideten Mann vorbei, so schnell, dass Elena sie nicht fixieren konnte. Aber dann wurde es doch wieder warm und das sanfte Fließen der Bewegung rund um und mit Elena setzte sich fort und erfasste viele der hetzenden Städter.

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