DSA: Rabenerbe

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Oderin machte eine auffordernde Geste. »Sprecht.«

»Was treibt Euch dazu, ausgerechnet einen Paligan zu Eurem Adjutanten zu machen?« Rezzan Zornbrecht hob die Oberlippe, sodass es fast aussah, als fletsche er die Zähne. »Ihr habt eine Paligankreatur in Eurem Rat. Warum eine zweite? Oder hat sich der Großartige dafür auf Euren Kartentisch gehockt und einen dicken Haufen Gold auf Eure Berggipfel geschissen?«

Esmeraldo hob eine Augenbraue, sagte aber nichts, solange der General ihn nicht vorstellte. Er kannte Rezzan Zornbrecht nur flüchtig, aber dem Granden eilte sein Ruf voraus. Anders als sein verstorbener Großonkel Nareb, der alle Probleme mit der Feinfühligkeit eines Waldelefanten angegangen war, versuchte sich sein Erbe bisweilen auch in anderen Tönen der Diplomatie – was ihn nicht weniger zum Zornbrecht machte. Wie fast alle Angehörigen dieses Hauses war Rezzan machtbesessen, grausam und gefährlich, ein Erbe des großen Walkir Zornbrecht, dessen Nachkommen auch nach Jahrhunderten noch ein Tropfen walwütigen Thorwalerbluts innezuwohnen schien. Aber wo Nareb alt und unbeweglich gewesen war, stand Rezzan in der Blüte seiner Jahre, ein hochgewachsener, kraftvoller Mann, dem man abnahm, dass er einen aufsässigen Fana notfalls auch mit Gewalt aus dem Raum befördern würde.

»Es gibt ein Dutzend guter Gründe, Don Rezzan«, sagte Oderin du Metuant. »Ich fühle mich jedoch nicht genötigt, Euch jeden einzelnen auszuführen. Commandante Esmeraldo Paligan ist ein bewährter und überaus fähiger Soldat, der bereits in Port Corrad unter mir gedient hat. Das – und allein das – ist Grund genug, ihn für diesen Feldzug an meine Seite zu holen, ohne Euch oder irgendeinem anderen Granden Rechenschaft abzulegen.« Seine Stimme gewann an Schärfe. »Ich habe vor, einen Krieg zu gewinnen. Da kann ich kein eitles Geschacher um Posten und Ränge brauchen. Ich habe Euch zugestanden, die Interessen Eures Hauses als Berater an meiner Seite zu vertreten, da ich Eure Entschlossenheit schätze. Aber ich habe Kriege nicht gewonnen, weil ich alle Beteiligten um ihre Meinung gefragt habe. Im Feld und bei allem, was damit im Zusammenhang steht, liegt die Befehlsgewalt bei mir. Allein bei mir. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Der Mund des Zornbrecht zuckte, und für einen Moment schien es, als wollte er widersprechen. Doch dann richtete er sich auf. Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen. »Sicher. Eure Worte sind so unmissverständlich, wie man es von Euch erwartet. Auch wenn ich bezweifle, dass Don Goldo Eure Auffassung von Entscheidungshoheit teilt. Aber nun gut«, er drehte sich um und sah Esmeraldo geradewegs ins Gesicht. »Commandante Esmeraldo Paligan ... Ich hoffe, Ihr seid Euch bewusst, was Ihr Eurem Onkel wert seid.«

»Eine Menge, denke ich.« Esmeraldo erwiderte den Blick mit einem sachten Schmunzeln. »Ich bin auch erfreut, Euch kennenzulernen, Don Rezzan. Wenn ich das richtig sehe, werden wir in Zukunft häufiger miteinander zu tun haben.«

»Das wird sich zeigen.« Der Zornbrecht wandte sich wieder ab und nickte Oderin zu. »Seid gewiss, dass ich dieser Paligankreatur die Finger abschlagen werde, wenn sie versucht, Don Goldos Interessen durchzusetzen.«

»Das sei Euch unbenommen. In meinem Beraterkreis werden keine Interessen vertreten außer denjenigen, die dem Imperium dienen. Das gilt für Goldo Paligan ebenso wie für Euch, Donna Shantalla oder sonst jemandem. Gibt es sonst noch etwas?«

»Nein, das war in der Tat mein einziges Anliegen.« Rezzan straffte die Schultern und machte einen Schritt zurück. »Da nun alles geklärt ist, überlasse ich Euch wieder Euren Besprechungen. Boron mit Euch, Procurator. Euch ebenfalls einen angenehmen Tag, Donna Shantalla.« Er deutete ein knappes Nicken in Richtung der Grandessa an und drehte sich um. Die Türen schlossen sich nahezu geräuschlos hinter ihm.

Oderins Plattenrüstung hob sich unter einem tiefen Atemzug, nachdem die Schritte verklungen waren. Er wandte den Blick zu Shantalla. »Wir werden diese Beratung an dieser Stelle beenden. Habt Ihr noch etwas anzumerken?«

»Einiges, aber ich befürchte, dafür ist nun kein guter Zeitpunkt.« Shantalla maß ihr halbvolles Weinglas mit einem bedauernden Blick und erhob sich. »Ich werde mich verabschieden und Euch Euren tapferen Offizieren überlassen. Bei all dem Soldatischen hier störe ich ja doch nur. Ach, und wegen der Schiffe, die werdet Ihr bekommen. Sobald sie fertig gestellt sind.« Sie lächelte sacht. »Ich halte schließlich mein Wort. Boron mit Euch, General.« Huldvoll neigte sie zum Abschied den Kopf in Oderins Richtung, ehe sie nach draußen entschwebte, nicht ohne die Fingerspitzen im Vorbeigehen über Esmeraldos Brustpanzer gleiten zu lassen und ihm einen flüchtigen, aber glutäugigen Blick zu schenken. Überrascht sah er ihr nach.

»Senhor ter Ubrecht?« Die Stimme des Generals klang ungeduldig, als wollte er sich nicht länger mit Verabschiedungen aufhalten. »Habt Dank für Eure Anwesenheit. Haltet mich auf dem Laufenden, was die Stimmung am Hafen angeht, und ergreift Maßnahmen, sollte es notwendig sein. Commandanta Alena, ich will, dass Ihr zu Amato Paligan geht. Er soll mit dem Patriarchen sprechen. Vielleicht erreicht er mehr als meine Boten. Sorgt außerdem dafür, dass mir bis heute Abend eine Aufstellung der Garden und ihrer Befehlshaber vorliegt.« Er machte eine Bewegung mit der Hand. »Ihr könnt gehen.«

»Jawohl, General.« Alenas Faust fuhr zur Brust, bevor sie sich kurz Esmeraldo zuwandte. »Willkommen zurück«, sagte sie mit ruhiger Stimme und nickte ihm zu. Dann verließ sie festen Schrittes den Besprechungsraum. Auch Lucio erhob sich, doch als sich Esmeraldo ebenfalls zum Ausgang wenden wollte, hielt Oderin ihn mit einem Kopfschütteln zurück. »Ihr bleibt, Paligan. Wir haben zu reden.«

Esmeraldo wartete, bis sich die Tür hinter dem Fana geschlossen hatte. Kein Laut drang von den Fenstern, an denen man vermutlich entsprechende Zaubersigillen angebracht hatte. Nur das Surren eines Insekts und das leise Scharren der Rüstung, als Oderin an das Tischchen trat und sich ein Glas Wasser einschenkte. »Ihr auch?«

Esmeraldo schüttelte den Kopf und trat an den Kartentisch. Andächtig ließ er die Finger über das fein gearbeitete Relief der Spinnenberge gleiten. »Ich habe das Gefühl, dass sich einiges geändert hat, seit ich nach Sylla gegangen bin«, stellte er fest.

Oderin nickte langsam. »Ihr meint, wegen Rezzan Zornbrecht?«

»Als ich ging, habt Ihr noch mit dem Gedanken gespielt, ihn auf irgendeine Waldinsel zu verbannen. Ich bin überrascht, ihn hier zu sehen.«

»Vermutlich ebenso überrascht wie er, dass Ihr hier seid.« Oderin schmunzelte, ein ungewohnter Zug in seinem harten Gesicht. Er trank einen Schluck und wandte den Blick dann ebenfalls zum Tisch, wo kunstfertige Figürchen aus schwarzem Holz die Schiffe markierten, die sich sammelten. »Es fällt einem Zornbrecht schwer zu glauben, dass es für mich zweitrangig ist, welchen Namen Ihr tragt. Als ich damals nach Al’Anfa zurückgekehrt bin, um Ordnung zu schaffen, dachte ich daran, die Stadt vollkommen neu zu gestalten.« Sein Blick verharrte bei der Stadt, die sich stolz an den Hängen des Visra erhob. »Im Laufe der Jahre habe ich viele fähige Männer und Frauen gesehen, die Großes geleistet haben. Fana, Granden, sogar ehemalige Sklaven. Und immer wieder habe ich Offiziere erlebt, die sich ihren Rang mit einem wohlklingenden Namen und einer Menge Dublonen erkauft hatten. Solche Anführer sind eine Seuche, wenn man sie im Krieg um sich hat. Sie verbreiten Unruhe, treffen Fehlentscheidungen und sorgen dafür, dass am Ende das Rabenbanner in den Staub getreten wird.«

Oderin leerte das Glas, ehe er es zur Seite stellte. »Ich habe mir geschworen, dass so etwas nicht noch einmal geschehen wird«, fuhr er mit harter Stimme fort. »Nicht der Name oder die Zahl der Dublonen sollen darüber entscheiden, welchen Titel jemand trägt. Ich will die Besten an meiner Seite, und es ist mir gleichgültig, ob Fana- oder Grandenblut in ihren Adern fließt. Als ich nach Al’Anfa kam, haben mir die Massen zugejubelt. Sie erhofften sich eine Zukunft, in der sie wieder stolz darauf sein können, Al’Anfaner zu sein. In der sich nicht Niederlage an Niederlage reiht, sondern das Rabenbanner von Sieg zu Sieg getragen wird. Diese Hoffnung will ich nicht enttäuschen. Aber wenn wir die Horasier und die schwächliche Nisut aus Kemi vertreiben und eine Königin einsetzen wollen, die unseren Befehlen folgt, dann brauche ich die besten Männer und Frauen an meiner Seite. Und deshalb seid Ihr hier. Aber ich erwarte, dass Ihr meine Entscheidungen respektiert. Vor allem, was Rezzan Zornbrecht angeht.« Seine Augen suchten Esmeraldos Blick. »Er ist hochmütig, eingebildet und gefährlich. Aber er ist nicht dumm, und er weiß, dass es ihn viel Kraft gekostet hat, sein Haus zusammenzuhalten und die anderen Löwen wegzubeißen, die sich um das Erbe des alten Nareb gebalgt haben. Er braucht Zeit, und er braucht Erfolge, auch um seinen Anspruch gegenüber den anderen Häusern festzuschreiben. Beides verspricht er sich von diesem Krieg. Er wird mir irgendwann in den Rücken fallen, daran habe ich keinen Zweifel. Aber das wird nicht geschehen, solange er mich braucht und keinen verlässlichen Verbündeten hat, um mir gestärkt die Stirn zu bieten.«

Esmeraldo verzog den Mund. »Wäre es nicht leichter, ihn in die Verbannung zu schicken? Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als Ihr ein Verhalten wie seines gerade nicht hingenommen hättet. Wofür braucht Ihr ihn und eine Shantalla Karinor überhaupt? Die Silberberger haben vor Euch gezittert, als Ihr den alten Rat zerschlagen und ihnen die Macht genommen habt. Jetzt sitzen sie in Euren Besprechungen und stellen Forderungen!«

»Vergesst nicht, dass Ihr selbst ein Paligan seid. Aber Ihr habt recht, es wäre damals tatsächlich ein Leichtes gewesen, sie alle auszulöschen.« Oderin nickte. »Doch das hätten der Patriarch und die Boronkirche nicht hingenommen. Außerdem gibt es Tatsachen, denen man sich beugen muss. Geld und Einfluss sind zwei davon.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung der weitläufigen Plantagen, die sich im Norden an die Stadt anschlossen. »Der Reichtum und der Handel Al’Anfas liegen in der Hand der großen Familien. Natürlich könnte ich sie entmachten und ihren Wohlstand unter meinen Gefolgsleuten verteilen, aber das wäre kurzsichtig und gefährlich. Es sind nicht allein die Dublonen, die die Macht der Grandenhäuser begründen. Über Jahrhunderte haben die Familien ihre Netze geknüpft, Abhängigkeiten geschaffen und loyale Gefolgsleute, Nutznießer oder Speichellecker um sich geschart. Die Stadt wäre unweigerlich ins Chaos gestürzt, hätte ich mich ihrer auf einen Schlag entledigt. Abgesehen davon brauche ich ihr Gold, um die Flotte auszurüsten und die Truppen zu unterhalten. Im Gegenzug gewähre ich Ihnen Zugeständnisse und Schutz.«

 

»Der Schwarze General braucht die Granden, und die Granden brauchen den General, weil sie Angst vor den aufsässigen Volksmassen haben.« Esmeraldo verzog den Mund zu einem ironischen Grinsen. »Welch unerfreuliche Wendung.«

»Die aufsässigen Volksmassen sind ruhig geworden. Die Angst schwindet daher allmählich«, sagte Oderin trocken. »Dennoch fürchten die Granden mich, und das ist gut so. Ich würde nicht zögern, die Häuser zu zerschlagen, sollten sie sich gegen mich erheben. Sie müssen sich damit abfinden, dass ich ihnen den Frieden auf den Straßen erkaufe, indem ich einen Lucio ter Ubrecht in meinen Rat setze und Offiziere, die hervorragende Befähigungen, aber kein Grandenblut vorzuweisen haben, ihnen Befehle erteilen dürfen.«

Esmeraldo nickte. Nachdenklich blickte er auf den Kartentisch, auf dem er inzwischen immer mehr schmückende Details entdeckte, die die Künstler als filigrane Miniaturen hervorgehoben hatten, die Arena von Sylla etwa, in der er selbst Spiele abgehalten hatte. Und den Koloss, der winzig klein über der Hafeneinfahrt von Al’Anfa stand und die vergoldete Feuerschale emporhielt. Es hatte sich in der Tat vieles verändert, seitdem er fortgegangen war, aber das neue Machtgefüge eröffnete Möglichkeiten, die ihm zuvor nicht in den Sinn gekommen waren. Zumal der General fast ebenso alt war wie der großartige Goldo und ihm wenig Zeit blieb, einen Nachfolger aufzubauen.

»Ich verstehe jetzt einiges besser«, sagte er langsam und sah wieder auf, um Oderins Blick zu suchen. »Eine Sache ist mir jedoch noch unklar. Warum habt Ihr meinen Vetter Amato in Euren Rat geholt? Er ist kein Soldat. Die Tatsache, dass er leidlich mit einem Rapier umgehen kann und sich dabei nicht selbst verletzt, nutzt Euch im Feld vermutlich wenig.«

»Ich hätte ihn nicht in den Kreis meiner Berater berufen, wenn er ein Kämpfer wäre. Dafür habe ich eine Alena Karinor. Sie ist gradlinig, loyal und eine fähige Strategin, die nicht zögert, sich selbst in die Bresche zu werfen, sollte es notwendig sein. Lucio ter Ubrecht ist die Stimme des Volkes. Einer von ihnen, ein Fana aus der Gosse, der sich nicht scheut, einem Zornbrecht die Stirn zu bieten. Ich persönlich kann den Kerl nicht ausstehen, aber er ist nützlich und hält mir die Massen ruhig.« Oderins Mundwinkel zuckte kurz unwillig. »Euer Vetter Amato hingegen ist meine Stimme auf dem Silberberg und am Ohr des Patriarchen. Die meisten unterschätzen ihn, aber er kann etwas, was viele andere nicht können: zuhören und vermitteln. Das macht ihn für mich wertvoll, denn mit einem der ihren sprechen die Granden freier als sie es mit mir täten.«

Esmeraldo runzelte die Stirn. »Und welche Rolle habt Ihr für mich ausersehen?«

»Ihr seid hier, weil ich Euch für den Krieg brauche.« Oderin trat neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Seine grauen Augen suchten seinen Blick, eindringlich mit einem Mal. »Ich will, dass Ihr mir helft, das Imperium zu der Größe zurückzuführen, die es einst hatte. Ich will, dass Ihr Euer Bestes gebt, was immer Ihr auch tut. Und ich will, dass Ihr Euch nicht als Spielstein Eures Großonkels versteht.« Er senkte die Stimme. »Eure Treue gilt mir, dem Imperium und Euch selbst. Niemandem sonst, habt Ihr verstanden?«

»Niemandem sonst«, bekräftigte Esmeraldo. Noch nie war ihm ein Ausspruch so leichtgefallen.

Said

Das Licht der erwachenden Sonne sickerte durch die Läden, die den Fensterspalt gegen die Hitze verschlossen. Das Quieken eines Selemferkels und die aufgeregten Rufe mehrerer Kinder drangen hinauf, das gleichmäßige Schlagen einer Axt, die alte Fässer und Kisten zu Brennholz verarbeitete. Stimmen erklangen unter dem Fenster, entfernten sich wieder, und der Duft nach frischgebackenem Reisbrot mischte sich unter die abgestandene Luft in der winzigen Kammer, die Said mit Rurescha teilte. Eigentlich war es längst an der Zeit aufzustehen, aber noch trieb sie nichts aus dem Bett. Sie hatte am Vorabend bereits auf ihn gewartet, nachdem er Meister Darjin verlassen hatte, und ihn wortlos in ihre Kammer gezogen. Es war eine leidenschaftliche, hungrige Nacht gewesen, die nachholen wollte, worauf sie während seiner Zeit im Durstigen Hai verzichten mussten. Immer wieder hatte Rurescha ihm versichert, wie sehr sie ihn vermisst hatte, nur um das Feuer ihrer Leidenschaft von neuem anzufachen. Als sie schließlich zur Ruhe gekommen waren, hatte Said noch lange wachgelegen und ihren Atemzügen gelauscht, und erst in den frühen Morgenstunden war er in einen unruhigen Schlaf gesunken.

»Worüber denkst du nach?« Rurescha räkelte sich wie eine zufriedene Katze und vergrub die Zähne spielerisch in seiner Schulter. »Ist es Khunchom?«

Said hob den Kopf und begegnete ihrem Blick kurz, ehe er sich wieder zurücksinken ließ. »Auch«, sagte er wahrheitsgemäß. Er seufzte leise. »Wundert es dich?«

»Es gibt keinen Grund zum Grübeln. Schließlich ändert sich doch nichts.« Rurescha lächelte und schob sich an ihm hoch, um einen kleinen Kuss von seinen Lippen zu stehlen. »Du kehrst bald zurück, und dann bist du wieder bei mir. Oder ich bitte Meister Darjin, dass ich dich begleiten darf. Schließlich sollte niemand alleine auf eine solche Reise gehen.«

»Preise die Schönheit! Wenn du ihm das sagst, kann er unmöglich ablehnen.« Ein flüchtiges Grinsen strich über Saids Lippen, ehe er einen Arm hinter dem Kopf hervorzog und um Rureschas schmale Schultern legte. Sie war keine Schönheit, dazu war sie zu dünn und sehnig und ihr Gesicht zu gewöhnlich, aber er schätzte ihre Nähe. Eine Weile hatte er geglaubt, er würde sie lieben, aber wenn er tief in sich hineinlauschte, blieben nur Zuneigung und Achtung. Und die Flucht vor der Einsamkeit. Nach maraskanischer Weltsicht war die Welt schön, weil sie von dem Schöpfergott Rur als Geschenk für seine Bruderschwester Gror geschaffen wurde. Es mochte sein, dass man diese Schönheit nicht immer verstand, aber sie folgte dem Prinzip, dass alles ausgewogen war und es immer zwei gab, die einander ergänzten. Das Einzelne hingegen galt als schlecht und im schlimmsten Fall bruderlos. Der unumstößliche Glaube der Maraskaner an die Schönheit der Welt hatte Said anfangs amüsiert, aber je länger er bei ihnen gelebt hatte, desto mehr hatte er es sich selbst zu eigen gemacht. Es fühlte sich besser an zu zweit.

Die Maraskanerin lachte leise und legte die Hand an seine Wange, um eine Strähne seines dunklen Haars beiseite zu streichen. »Natürlich«, bestätigte sie neckend und küsste ihn erneut. »Wie solltest du dich auch allein zurechtfinden?«

»Gar nicht«, murmelte Said, obwohl das sicher nicht der Wahrheit entsprach. Tatsächlich hatte er keine Zweifel, dass er sich auch in Khunchom zurechtfinden würde. Das Leben hatte ihn gelehrt, sich anzupassen, und wahrscheinlich käme er inzwischen selbst im fernen Gareth zurecht. Aber darum ging es nicht. In der Nacht war der Entschluss in ihm gereift. Er würde nicht nach Khunchom gehen. Doch das konnte er Rurescha unmöglich sagen.

Vor der Tür polterten Schritte, eine Stimme rief etwas, während sie sich bereits wieder entfernte. Irgendwo plärrte ein Kind, polterten ein paar Töpfe.

Rurescha hob die Fingerspitzen an seine Lippen und blickte ihn mit einem versonnenen Lächeln an. »Ich werde auf dich achtgeben, Saidjian. Der Ast in Khunchom ist stark. Wir werden dort viel lernen. Mehr als Meister Darjin uns beibringen kann.«

Said nickte leicht und griff nach ihrer Hand. »Ich weiß.«, sagte er geistesabwesend. Er sah einen Moment lang stumm zu der niedrigen Decke, von der eilige Schritte klangen. »Wir sollten aufstehen«, murmelte er. »Es gibt einiges zu tun, und du musst mit Meister Darjin sprechen.«

Rurescha lachte leise und entwand sich seinem Griff, um sein Handgelenk zu packen und neben dem Kopf auf das Kissen zu drücken. »Was hast du denn zu tun, was wichtiger sein sollte als ich?«, fragte sie und rutschte über ihn, sodass sie auf seinen Hüften zum Sitzen kam und auch die zweite Hand fassen konnte. »Musst du dich von deinen zahlreichen Geliebten verabschieden?«

»Zahlreich? Du meinst unzählig.« Saids Mundwinkel formten ein schiefes Lächeln. »Bist du eifersüchtig?«

Die Maraskanerin lehnte sich vor, schmiegte ihre festen Brüste gegen seine Haut. »Ja, auf jede einzelne«, flüsterte sie an seinem Ohr und senkte die Stimme zu einem dunklen Raunen. »Ich werde jeder Einzelnen das Herz herausschneiden und an meine Türpfosten nageln.«

»Das klingt ziemlich unversöhnlich«, erwiderte Said, während er versuchte, nach ihren Lippen zu haschen. »Wie gut, dass ich der Damenwelt dieses Schicksal erspare.«

Rurescha lachte leise und küsste ihn, hart und leidenschaftlich, als wollte sie ihrer Drohung Nachdruck verleihen. Dabei wusste sie so gut wie er, dass sie keinen Grund zur Eifersucht hatte. Meister Darjin ließ ihm keine Zeit für Liebschaften, und abgesehen davon verspürte Said auch kaum das Bedürfnis, sich in flüchtigen Bettgeschichten zu verlieren. Eine Zeitlang hatte er mitgenommen, was sich ergab, aber außer schneller Befriedigung war nur Ernüchterung geblieben.

»Ich will zum Boronanger«, flüsterte er, als Rurescha für einen Moment von ihm abließ, um seinen Hals mit gierigen Küssen zu bedecken.

Sie hielt kurz inne, hob den Kopf. »Zum Grabmal deiner Mutter?« Ihre Lippen verzogen sich zu einem wölfischen Grinsen. »Das will ich dir gestatten, Saidjian. Ihr Herz kann ich schlecht an meine Türpfosten nageln.«

»Ich würde dir deins nehmen, wenn du es versuchtest.« Er schloss mit einem leisen Seufzer die Augen, als sich ihre Zähne aufreizend in seine Schulter gruben. Sie lachte, als habe er einen Scherz gemacht, während sie sein Handgelenk fahren ließ und ihre Finger langsam über seinen Bauch hinabstrichen. Dabei gab es kaum etwas, was er so ernst meinte.

***

Mittags, wenn die Hitze am größten war und die Schwüle von der Goldenen Bucht die Hänge des Visra hinaufzog, kam der Regen. Kein Gewitter, das sich grollend ankündigte, und auch kein leichter Sommerregen, sondern ein plötzlicher Sturzbach, als rissen die Götter die Schleusen zum Himmel auf und ließen das Wasser prasselnd auf die Stadt niedergehen. Man hatte es sich daher zur Gewohnheit gemacht, in dieser Stunde die Arbeit ruhen zu lassen und Schutz zu suchen, bis die Fluten nachließen und den Dreck und die Schwüle von den Hängen hinab ins Meer gewaschen hatten.

Said mochte die Stunde des Regens, in der die Straßen menschenleer waren und erfrischende Kühle für eine kurze Weile den Gestank vertrieb, der sonst über der Stadt lag. Das Hemd klebte ihm bereits nach wenigen Schritten am Körper, und seine bloßen Füße schritten durch den dahinströmenden Schlamm, aber das störte ihn nicht. Es tat gut, hinaus zu kommen und das Wasser auf der Haut zu spüren. Es half, klar zu denken.

Es war nicht allein Rurescha, die ihn an Al’Anfa band. Said war sich sicher, dass sie Meister Darjin ohne Schwierigkeiten überzeugen könnte, mit ihm zu gehen. Sie war stolz darauf, eine Schülerin der Bruderschaft zu sein und den Meister dabei zu unterstützen, den Ast, den die Hand Borons abgeschlagen hatte, wieder wachsen zu lassen. Für sie war die Reise nach Khunchom ein Abenteuer, bei dem sie Vertrautes unter den Exilmaraskanern erwartete, Verwandte und Freunde von Verwandten, und eine Rückkehr mit einem Beutel voller neuer Erfahrungen und Bekanntschaften. Aber Said war kein Maraskaner, und auch, wenn Meister Darjin ihn als ehrenwertes Mitglied der Bruderschaft begrüßt hatte, würde er nie Teil der Gemeinschaft sein, gleichgültig, ob er nach Khunchom ging oder blieb. Es war nie vorgesehen gewesen. Sein Vater hatte ihn Meister Darjin überlassen, um aus ihm einen loyalen Meuchler und Attentäter zu machen, nicht für die Bruderschaft, sondern für seine eigenen Interessen. Es war das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass Said seinem Vater dankbar gewesen war, weil er ihm eine Rolle zudachte, die über die eines beliebigen Sklaven hinausging. Diese Pläne hatten jedoch ein abruptes Ende gefunden, als sein Vater gemeinsam mit Großexecutor Irschan Perval die Macht über Al’Anfa an sich gerissen hatte, eine kurze, blutige Episode, die mit dem Einmarsch des Schwarzen Generals ein Ende gefunden hatte.

 

Said wusste nicht, wie sein Vater ums Leben gekommen war. Er hatte nie gefragt, und die Maraskaner sprachen nicht darüber, als ginge es sie nichts an, was in der Stadt geschah. Aber ihn ging es etwas an, und deshalb konnte er nicht einfach fortgehen.

Der Regen ließ nach, als er die Stadtmauern schließlich hinter sich ließ und den Pfad erklomm, der sich den Hang hinauf zum Boronanger zog. Dunst hing zwischen den Grabmonumenten, die hier zwischen üppig wuchernden Büschen und vereinzelten Palmengruppen verstreut standen. Der schwarze Stein glänzte noch vor Nässe, und die Blätter hingen tief beladen von Feuchtigkeit. Über der Bucht brach bereits die Sonne wieder zwischen den Wolken hervor und ließ die Stadt zu seinen Füßen dampfen.

Said kam oft hierher, wenn er allein sein wollte. Nach dem Lärmen der Gassen erschien ihm die Ruhe des Boronangers wie eine Oase der Stille. Aus der Ferne trug der Wind den Schrei eines einzelnen Vogels herüber. Etwas raschelte in den Büschen, und von irgendwoher klang das gleichmäßige Geräusch von Wassertropfen auf Stein.

Das Monument seiner Mutter stand ganz am Rande des Gräberfelds, halb verborgen hinter einem Felsvorsprung. Buschwerk war in den letzten Jahren bis an den Sockel herangewachsen und schmiegte sich um den nachtschwarzen Stein, als wollte es ihn umarmen. Noch ein paar Götterläufe und die Statue wäre ganz unter dem üppigen Grün verschwunden. Verschwunden und vergessen, wie die vielen tausend anderen Sklaven, deren Herren keine Grabmäler setzen ließen.

Said trat näher und hob den Blick zu dem steinernen Gesicht. Sie hielt es gesenkt, halb verborgen unter der Kapuze des Mantels, der die schlanke Gestalt umfloss. Ein einfaches Kleid verhüllte ihren Körper, ohne Schmuck bis auf die Lotusblüte, die sie zwischen den Fingern hielt. Sein Vater hatte das Grabmal errichten lassen. Said hatte ihn einige Male dabei beobachtet, wie er hierhergekommen war, allein und ohne seine Beschützer und Speichellecker. Jedes Mal hatte er eine Lotusblüte dabeigehabt, die er zu Füßen der Statue abgelegt hatte. Dann hatte er sich auf die Stufe unterhalb des Sockels gesetzt und zur Stadt hinabgeschaut. Said hatte sich oft gewünscht zu erfahren, worüber sein Vater nachdachte, aber vermutlich war es gut, dass er es nicht wusste. Auch wenn das, was zwischen seinen Eltern gewesen war, mehr war als das Verhältnis zwischen Herr und Sklavin, hatte er nie den letzten Schritt getan und sie freigelassen. Ebenso wenig wie ihn.

Saids Lippen bewegten sich kaum merklich, als er das kurze Gebet zu Boron sprach. Er wusste, dass viele Sklaven insgeheim an ihrem Glauben festhielten, anstatt den Rabengott anzubeten. Aber seine Mutter hatte Wert darauf gelegt, dass er sich an den Gott ihrer Herren hielt. Sie hatte es nie gesagt, nie darum gebeten, aber sie hatte immer gehofft, dass sein Vater ihn eines Tages an seine Seite holen würde. Nicht als Sklave, sondern als Grande.

»Ich habe getötet. Um frei zu sein.« Saids Hand berührte den steinernen Mantel, der noch feucht war vom Regen. Der Stein fühlte sich unter seinen Fingern warm an, wie lebendig, und auch, wenn er wusste, dass es nur die Sonne war, die ihm Wärme verlieh, bildete er sich gerne ein, sie könnte ihn hören. »Meister Darjin will, dass ich fortgehe. Nach Khunchom.« Er schmeckte die Bitterkeit, die in seinen Worten mitschwang. »Er wird mich nicht freilassen. Das wird er niemals tun.« Said atmete tief ein, lehnte die Stirn gegen den schwarzen Stein. »Ich bitte dich um deinen Segen für das, was ich tun muss. Vielleicht hältst du es für falsch, denn ich werde Menschen verraten müssen, die mir vertrauen. Aber es gibt keinen anderen Weg.« Er hob den Kopf, suchte den Blick der reglosen Augen, die so kunstfertig gearbeitet waren, dass nur der Lidschlag fehlte. Seine Mutter war eine sanfte, stille Frau gewesen, die nichts gefordert hatte. Aber sie hatte Träume gehabt, stumme Träume, die sie mit ihrem Herrn nicht geteilt hatte.

»Du wolltest, dass ich kämpfe.« Seine Stimme war nur mehr ein Wispern, wie so oft im Zwiegespräch mit der dunklen Statue. »Dass ich mich nicht damit zufriedengebe, Sklave zu sein.«

Ein Schatten zog über das gesenkte Gesicht, vielleicht ein Wolkenfetzen, der sich vor die Sonne geschoben hatte, aber er schien einen Herzschlag lang in den Mundwinkeln zu verharren und ein Lächeln zu formen. Damals, ehe er das erste Mal fortging, um seinen Vater auf einer seiner Reisen zu begleiten, hatte sie ihn zum Abschied beiseite genommen. Er dürfe sich nicht mit seinem Schicksal zufrieden geben, hatte sie ihm damals gesagt. Er sei kein gewöhnlicher Sklave, sondern der Sohn eines Granden. Ein anerkannter Sohn. Es liege in seiner Hand, sein Schicksal zu gestalten oder Sklave zu bleiben und irgendwann in Vergessenheit zu geraten. Sie hatte ihn damals mit einer Eindringlichkeit angesehen, die Said an ihr nicht gekannt hatte, und er hatte eine Weile gebraucht, bis er verstanden hatte, dass er es war, dem ihre Träume und Hoffnungen galten.

Als sein Vater ihn später Meister Darjin überließ, hatte er ihn ermahnt, ihn nicht zu enttäuschen. Er hatte es nicht ausgesprochen, aber Said war sich sicher gewesen, dass er geplant hatte, ihn freizulassen, und wenn er sich bewährte, als seinen Sohn und Erben in die Familie zu holen. Er hatte sich daran geklammert in den Jahren, in denen Meister Darjin ihn bis an seine Grenzen und darüber hinaus getrieben hatte. Der Tod seines Vaters hatte ihn erschüttert, aber es war ihm auch wie der Wille der Götter erschienen, dass niemand auf den Gedanken gekommen war, auch ihn aufzuspüren und zu beseitigen. So hatte er seine Ausbildung fortgeführt, entschlossener denn je, denn nun war es nicht länger sein Vater, der über sein Schicksal entschied. Dieses Schicksal war längst sein Erbe, und er war entschlossen gewesen, es zu ergreifen und diese junge Grandessa auf dem Silberberg zu zwingen, es ebenfalls anzuerkennen. Er wollte kein namenloser Sklave bleiben, und es gab nur einen Namen, der für ihn in Frage kam. Bonareth.

Said senkte den Blick. Seine Fingerspitzen strichen über den warmen Stein, sanken langsam herab. Sein Vater war tot, und nun war es Meister Darjin, der seine Ketten hielt. Wahrscheinlich hatte der Meister nie wirklich vorgehabt, ihn freizulassen.

Nimm dein Schicksal selbst in die Hand.

Said zuckte zusammen, als die Stimme flüsternd über sein Ohr strich. Hastig sah er sich um, aber er war allein. Nur das Ebenbild seiner Mutter lächelte sanft zu ihm hinab. Wind raschelte in den Büschen, und in der Ferne krächzte ein Rabe.

Du bist kein namenloser Sklave.

Doch, das war er. Kein Sklave eines selbstherrlichen Granden, sondern der eines Maraskaners, der ebenso selbstherrlich und skrupellos war. Und er würde es bleiben, wenn er nicht selbst die Fesseln sprengte.

Said atmete tief ein, legte die Handfläche noch einmal auf den schwarzen Stein des Grabmals. Dann wandte er sich ab und blickte hinab zu der Stadt, die sich an den schwarzen Hängen hinab bis zum Meer zog. Der goldene Kopf des Kolosses über der Hafeneinfahrt funkelte in der Sonne. Al’Anfa war eine Stadt, die Träume töten konnte. Aber sie konnte sie auch gebären. Er hatte viel zu lange anderen die Gewalt über sein Leben zugestanden. Es war an der Zeit, sich davon zu befreien, auch wenn es schmerzhaft werden würde. Aber welche Geburt erfolgte schon ohne Schmerzen.

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