Geist Gottes - Quelle des Lebens

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Sari: Edition IGW #5
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b.Person und Kraft

Ganz „begeistert“ war ich, im wahrsten Sinn des Wortes. Ich hatte meine ersten Bücher über das Wirken des Heiligen Geistes gelesen. Nachdem ich selber so etwas wie eine Taufe mit dem Heiligen Geist erfahren hatte, suchte ich nun händeringend nach mehr biblischer Orientierung und griff an dem kleinen Büchertisch meiner Heimatgemeinde zu dem Buch von Ruben A. Torrey mit dem schönen Titel „Der Heilige Geist. Sein Wesen und Wirken“.103 Kurze Zeit später fragte mich unser Pastor, ob ich eine Bibelstunde in der Gemeinde leiten würde. Das Thema brauchte ich nicht lange suchen; selbstverständlich würde es um den Heiligen Geist gehen, um diese Kraft, die mein ganzes Leben so veränderte. Wir lasen unterschiedliche Texte aus der Apostelgeschichte und mit großem Nachdruck und sehr viel jugendlichem Enthusiasmus forderte ich die etwa 30 Teilnehmer des Bibelgesprächsabends am Ende auf, dass sie doch alle neu um die Kraft des Heiligen Geistes beten sollten. Um die Dringlichkeit meines Aufrufes zu unterstreichen, zitierte ich noch den Gründer der ersten deutschen Baptistengemeinden, J. G. Oncken, mit den Worten „Wo der Heilige Geist fehlt, da fehlt wirklich alles!“. Eine gute Gebetsgemeinschaft schloss sich an und ich hatte den Eindruck, dass Gottes Geist die Herzen neu berührte. Beim Abschied an der Tür sprach mich eine der älteren Teilnehmerinnen dieser Abendveranstaltung freundlich an. „Habe ich das richtig verstanden, dass du uns sagen wolltest, wie wichtig es ist, dass wir den Heiligen Geist haben?“ Freudig bejahte ich diese Frage, denn besser hätte ich es nicht auf den Punkt bringen können. „Ich glaube es gibt da etwas, das scheint mir noch wichtiger zu sein“, erwiderte sie zu meiner Überraschung. „Es ist wichtig, dass wir den Heiligen Geist haben, aber noch wichtiger scheint es mir zu sein, dass der Heilige Geist uns hat!“, erklärte sie. Wer hat hier wen? Wer „besitzt“ wen?

Diese Fragestellung klingt wie eine ständige Begleitmusik im Leben der Christen. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob der Geist Gottes denn nun eine göttliche Person sei, oder anders gesagt, das handelnde Subjekt, oder ob es sich um eine dynamische Kraft, eine Energie handelt, die ich empfangen muss, um Christus nachzufolgen und ein Zeuge für ihn sein zu können. Nun ist bereits in den Ausführungen zur trinitarischen Pneumatologie deutlich geworden, dass der Geist eben nicht nur eine Kraft ist, die der Mensch sich „zueigen“ machen könnte. Wir könnten – übertragen auf die Christologie – fragen: „Was ist wichtiger: dass Jesus mich hat oder ich ihn?“.

Jeder, der Jesus Christus nachfolgt, wird spüren, dass diese Alternative so nicht gegeben ist. Es geht um eine gegenseitige Abhängigkeit, die von Liebe geprägt ist. Jesus Christus ist „in mir“ und ich bin „in ihm“ (Joh 15). Es handelt sich um die eine Erfahrung der für die Trinität üblichen perichoretischen Einheit in der Verschiedenheit. Ebenso haben wir in der pneumatologischen Christologie aufzeigen können, dass Jesus sein Leben und sein Werk nur in der Kraft und Leitung des Heiligen Geistes tun konnte, dass dieser Geist jedoch von ihm gesandt wird und sich in eine Abhängigkeit und Unterordnung zu Jesus begibt (Joh 16,12f). Der Geist hat Jesus und Jesus hat den Geist. Diese duale Redeweise spiegelt jedoch eine nonduale Lebensweise wieder, eine Einheit, die Verschiedenheit und Individualität stärkt, die empfängt, wenn sie loslässt. So finden wir im Zeugnis des NT beide Aussagelinien. „Der Geist ist der Herr“ (2Kor 3,17); der Geist agiert und leitet, er führt, er spricht, er beruft, er erinnert und offenbart (Joh 16,15, Apg 13,2; 16,6; Offb 2,7; 22,17). Er kann belogen und betrübt werden (Apg 5,3; Eph 4,30) und er kann angebetet werden (Joh 4,24). In dieser Redeweise wird der Heilige Geist als personhafte handelnde Größe gesehen.

Sodann lesen wir von der „Kraft“ des Heiligen Geistes, die an und in dem Menschen und in der Natur wirkt, die Menschen „erfüllt“, mit der Menschen „getauft“ werden und die empfangen wird. Wenn in den neutestamentlichen Zeugnissen von dieser Kraft des Geistes gesprochen wird, finden wir vorwiegend den Begriff Dynamis (Mt 6,13; Mk 5,30; Lk 4,14; 5,17; Apg 1,8; 1Kor 2,4; 2Tim 1,7). Es handelt sich um eine Kraft, die nicht aus einem selber hervorgeht, sondern die einem zukommt und zufließt. Die griechischen Begriffe energeia oder ischys kennzeichnen vorwiegend eine Energie oder Stärke, die jemand aus sich heraus entfaltet. Sie bestimmen den Empfänger dieser Stärke vorwiegend als den Träger und Ursprung dieser Kraft.104 Dynamis hingegen betont die Notwendigkeit der lebendigen Beziehung zu der Kraftquelle. Je intensiver und deutlicher eine solche Durchflutung mit den Strömen der Kraft des Geistes geschieht, umso mehr wird sie auch als innewohnende Stärke wahrgenommen (Joh 7,38f).

Als Paulus und Barnabas in Lystra in der Dynamis des Geistes Gottes Wundertaten wirkten, wollte die Volksmenge sie als Götter verehren, weil sie meinte, dass die Energie direkt von ihnen ausging. Doch die Apostel wiesen diese Annahme mit aller Deutlichkeit zurück: „Wir sind auch nur Menschen aus Fleisch und Blut wie ihr!“ (Apg 14,15). Die Dynamis des Geistes ist nicht durch menschliches Zutun zu erwerben, sondern sie wird im Sinn einer Vollmacht von Gott gegeben und gesetzt (vgl. Apg 8,14ff). Die fließende Kraft Gottes entwickelt ihre Wirksamkeit sogar gerade in der menschlichen Schwäche und wird so als eine Ermächtigung erfahren (2Kor 12,9f).

Wir halten fest: Der Geist wird im Zeugnis des NT sowohl als Kraft (Dynamis) als auch im Sinn einer handelnden personhaften Größe, als „Herr“, gesehen. Jesus verheißt seinen Jüngern die Kraft und kennzeichnet den Geist als Parakleten (Beistand, Tröster). Die Fülle des Geistes und seiner kraftvollen, realen Wirkungen können nicht erschöpfend wahrgenommen, erfahren und vermittelt werden. Ein reduziertes Verständnis des Geistes als Kraft bzw. Kraftfeld105 einerseits oder auch als Person andererseits verzerren die Einzigartigkeit des pneumatischen Geschehens.

c.Herr und Tröster

„Diese charismatischen Gottesdienste sind mir zu weiblich! Ich fühle mich dabei etwas unwohl, wenn ich zwanzigmal hintereinander singen soll, dass ich mich am besten im ‚liebenden Arm des Vaters‘ vorfinde, der mich tröstet und dem ich mein Liebeslied singe. Kann es sein, dass der Heilige Geist eher etwas für Frauen ist?“

Vor mir steht ein junger Student, der sich nach einer tiefen neuen Erfahrung mit dem Geist Gottes sehnt, aber durch die konfessionelle spirituelle Prägung eher die mütterliche Dimension der Geisterfahrung wahrnimmt. Nun ist es heutzutage angesichts der Genderdiskussion sicher nicht mehr so einfach zu benennen, was denn als typisch männlich oder weiblich betrachtet oder empfunden wird. „Die Kirche ist was für alte Frauen und für Weichlinge, die ihr Leben nicht selber in die Hand nehmen können, sondern dabei die Hilfe eines Gottes brauchen, den sie auch noch als Herrn verehren!“ So derbe drücken es wohl eher jene aus, die nur selten oder gar nicht in den christlichen Gottesdiensten zu finden sind.

Dennoch gibt es auch einen offensichtlichen inneren Rückzug aus einer Spiritualität, die zu sehr auf Emotionen oder Beziehungen achtet, die sich in Tränen ergießt und ein Liebeslied nach dem anderen anstimmt. Darüber kann auch der geradezu in religiösen Kreisen inflationär verwandte Appell zur notwendigen „Achtsamkeit“ nicht hinwegtäuschen. Die westliche christliche Spiritualität war und ist immer noch sehr männlich dominiert, weil Gott als Vater, sprich Mann, gesehen wird und auch Jesus von Nazareth ein Mann ist. Da bliebe die weibliche Rolle eher noch für den Heiligen Geist übrig. Dieser wurde aber durch die Entwicklung der Trinitätslehre, die Einführung des „filioque“, die Redeweise von der „Dritten Person“ des Heiligen Geistes geradezu als etwas Nebensächliches, etwas Drittrangiges aufgefasst. Es gab zwar die theologischen Akzente einzelner Mystiker, welche die Mütterlichkeit Gottes herausstellten, und auch die Ansätze der feministischen Theologie. Sie werden jedoch immer noch von dem Großteil westlicher Christen wie eine blumenhafte, geradezu befremdliche Ausschmückung der ansonsten maskulin auftretenden Gottheit zugeordnet.

Eine komplementäre Wahrnehmung der Eigenschaften und des Wesens Gottes wäre zumindest schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich auch hier das Empfinden einer reduktiven Sicht bleibt.106 Es geht ja nicht nur um eine duale Komplementarität, sondern um das bewusste Erfassen einer trinitarischen Komplexität. Wenn es denn wirklich so ist, dass der Geist Gottes die mütterliche und weibliche Komponente der Trinität am klarsten herausstellt, so hat das angesichts einer eher binitarischen Gottesauffassung konsequenterweise auch nur den Charakter einer Anmerkung, aber nicht einer substantiellen Aussage über Gott. Die Metapher von der Wieder- oder Neugeburt legt nahe, von einer „gebärenden Gottheit“107 zu sprechen. Ist der Heilige Geist der Tröster, dann tröstet er auch, wie eine Mutter tröstet. Sprachlich erinnert das an die Züge der hebräischen Redeweise von der Ruach Jahwe. Bei den syrischen Wüstenvätern (Symeon von Mesopotamien) finden wir das „Mutteramt des Heiligen Geistes“108. Graf von Zinzendorf ließ das Mutteramt des Heiligen Geistes sogar 1744 in den Rang einer Gemeindedoktrin für die Brüdergemeine erheben.109. Das Mütterliche der Geistwirkung wird in ihrer Zartheit, Sanftheit und Sympathie bestimmt.

Die Erfahrung der mütterlich, tröstenden Seite des Geistes muss allerdings auch durch die Metapher und die Erfahrung des „Herr-Seins“ des Geistes ergänzt werden. „Der Herr aber ist der Geist. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17). Paulus weist auf den Auferstehungsgeist hin, der aus der Macht des Todes befreit. Er ist der Geist, der Befreiung, der eine neue Gerechtigkeit schenkt. Das „Herr-Sein“ wird dabei akzentuiert durch den Freiheits- und Gerechtigkeitsbegriff, jedoch nicht durch ein männliches Herrschaftsdenken.

 

Die Metaphern Vater, Mutter, Herr oder auch Richter sind jedoch angesichts der gegenwärtigen Genderdiskussion schwammiger geworden. Die Väter sind weiblicher und die Mütter sind männlicher, wenn man etwa das Trösten als etwas typisch Weibliches betrachten will oder das Befreien und Recht schaffen als etwas typisch Männliches. Die Zuordnung von Emotionalität zur Mütterlichkeit halte ich auch für eine geradezu naive Reduktion. Der Kampf der Freiheit, die ruhende Souveränität, die leidenschaftliche Liebe ist ebenso im Wesen des Geistes auszumachen, er ist nicht ein Geist der Traurigkeit, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit bzw. Selbstbeherrschung (2Tim 1,7).

Die Zurückhaltung gegenüber einer ganzheitlichen Spiritualität, die auch der Emotion oder Ekstase Raum gibt, ist wohl eher in einer Fokussierung auf das Wort (griech. logos) begründet, das durch den Verstand ergründet und durch den Willen umgesetzt werden soll. Der Geist hat sowohl mütterliche als auch väterliche Züge. Er ist der in der Liebe sich verlierende und die Sünde und den Tod überwindende Geist. Er ist tröstender und mitleidender Geist,110 aber auch der Geist der Überwindung und Vollendung und Verherrlichung. Die Zuordnung des Geistes zu lediglich einem dieser Wesenszüge ist problematisch. Bereits Thomas von Aquin hat in seiner Appropriationslehre (lat. appropriatio = Aneignung) die Zuordnung verschiedener Wesenszüge und Eigenschaften zu einer der drei Personen der Gottheit vorgenommen. Die Einmaligkeit des Wesens des Geistes Gottes kann jedoch niemals appropriatorisch erschlossen werden, weil jeder Wesenszug, der in einer der drei Personen der Gottheit aufleuchtet, immer auch zugleich auf die trinitarische Gemeinschaft hinweist. Die „Frucht des Geistes“, wie sie in Gal 5,22 beschrieben wird, weist in aller Klarheit aus, dass Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit eben nicht nur aus dem Wesen des Geistes hervorwachsen, sondern aus dem Wesen der trinitarischen Einheit.111 Im Wesen lassen sich Vater, Sohn und Heiliger Geist nicht voneinander unterscheiden, sondern sie weisen vielmehr zueinander. Der Geist Gottes ist nicht mütterlicher, weiblicher oder emotionaler als Gott-Vater und Gott-Sohn. Die neutestamentliche Begrifflichkeit zeigt in der Pneumatologie allerdings diese weiblich klingenden Attribute göttlichen Wesens deutlich auf.

2.Der Geist der Offenbarung – Zugänge zum Geist Gottes

Gottes Geist, die Quelle des Lebens, ist in den vorherrschenden theologischen Denkformen nur schwerlich erfassbar, geschweige denn definierbar. Dieser Geist Gottes ist es, der alles Leben, alles Erfahren prägt und beeinflusst. Der Geist der Schöpfung, der Erlösung und Berufung, der Neuschöpfung und Vollendung kommt uns in seinem Wirken fremd vor. Und zugleich ist er der Geist, der uns die Freude am Leben erhält und der Glaube, Liebe und Hoffnung in uns ausgießt.

Ist es überhaupt möglich, dieses Wirken des Geistes in Sprache zu gießen und ihm eine Denkfigur zu geben, die geisteswissenschaftlich und im praktischen Lebensvollzug förderlich ist? Was ist aus all den großen Appellen geworden, die ein neues Zeitalter des Geistes proklamierten und die Notwendigkeit einer Pneumatologie anmahnten?112 Inwieweit ist die Notwendigkeit für ein neues Nachdenken über den Heiligen Geist, wie sie von Karl Barth in seinem Nachwort zur Schleiermacher-Auswahl (1968) zum Ausdruck kommt, auch wahrgenommen worden?

„Ich denke, wir alle, in allen Konfessionen und Kirchen haben es dringend nötig, auch diese dritte Person, den Heiligen Geist, viel ernster zu nehmen, als es in der Regel geschieht … Alles, was von Gott dem Vater und Gott dem Sohn im Verständnis des ersten und zweiten Artikels zu glauben, zu denken und zu sagen ist, wäre in seiner Grundlegung durch Gott den Heiligen Geist, das vinculum pacis inter Patrem et Filium, aufzuzeigen und zu beleuchten.“113

Warum haben die guten Ansätze, wie wir sie bei Karl Barth, Karl Rahner, Hendrikus Berkhof, Otto A. Dillschneider und schließlich auch in jüngerer Zeit bei Jürgen Moltmann, Lyle Dabney, Michael Welker u. a. finden, kein stärkeres Echo ausgelöst? Sind die Theologie und die Kirche so sehr gefangen in den Denk- und Handlungsmustern einer vergangenen Epoche, dass ein Umdenken nur schwerlich möglich ist?

Es liegt sicher nicht nur in der „Natur der Sache“ bzw. an der so schwer fassbaren „Natur des Geistes“, sondern daran, dass die Pneumatologie viele bewährte Formen des kirchlichen Lebens infrage stellen könnte. Die großen Worte des Vatikanum II wurden doch sehr schnell wieder theologisch zurechtgefeilt zugunsten der Kirche und des Amtes, aber wohl kaum zugunsten des Lebens.114 Sicher zeigt sich hier vorrangig der sprachliche und auch wissenschaftliche Analphabetismus angesichts einer Wirklichkeit, die immer zugleich Subjekt und Objekt ist, die Transzendenz und Immanenz ineinander schiebt und die sich eben nicht nur durch Worte oder in der menschlichen Vernunft ausdrückt.

„Eine Theologie des Geistes … müsste vom Geist selbst zu reden wissen. Doch dazu bedürfte es einer Spontaneität, die sicherlich auch heute anzutreffen ist, aber schwerlich unserer Erörterung schon zugrunde gelegt werden kann. Es gehört zu den unaufgebbaren Paradoxien des Redens vom Geist, dass der Geist sich jeder direkten sprachlichen Festlegung entzieht.“115

Mit was für einer Wirklichkeit haben wir es hier zu tun? Erschließt sich diese Wirklichkeit durch den Verstand oder durch eine sinnliche Erfahrung? Gibt es im biblischen Zeugnis über den Heiligen Geist auch Ansätze für eine Erkenntnistheorie, die als Basis für eine Wissenschaftstheorie und Theologie dienen kann? Befindet sich die Theologie, wenn sie in den Gängen gegenwärtiger Wissenschaftstheorie läuft, auf einem Holzweg, einem Weg, der weder zur Gotteserkenntnis führt noch dem Leben dienlich ist? Wie viele „hölzerne“, trockene Worte von Theologen ersticken geradezu das Feuer des Geistes, anstatt es zu beleben!

Das Nachdenken über eine missionale Pneumatologie setzt jedoch nicht nur wegweisende Akzente in der Theologie. Missionale Pneumatologie geht von einer kosmischen Wirksamkeit und auch Erfahrbarkeit des Geistes aus, sie ist somit nicht nur auf Kirche oder Theologie beschränkt. Auch andere Wissenschaften werden von einer missionalen Pneumatologie neue Formen der Wahrnehmung und Deutung aufnehmen können. Missionale Pneumatologie ist von der Sache her dialogisch. In den Ausführungen über das Wesen des Geistes (Kapitel 1.3) haben wir die komplementäre Dimension benannt, die nur in einer nondualen Denkstruktur zu benennen und zu erfassen ist. Da, wo sich heute noch Natur-, Geistes- und Humanwissenschaftler um die Führung im Wirklichkeitsverständnis bemühen, könnte der viel beschworene Dialog der Wissenschaften durch eine missionale Pneumatologie gefördert werden, denn sie zeigt die komplexen Wirklichkeitsspuren in allen Disziplinen auf.

M. Welker geht in seinem 1992 veröffentlichten Werk „Gottes Geist“ bereits auf die „postmodernen Theorien und Denkhaltungen“ ein, die dieser Komplexität des Lebens und Denkens entsprechen wollen, indem sie von einer Pluralität der Wirklichkeiten ausgehen. „Das postmoderne Bewusstsein ist nicht nur an der komplexen Einheit, sondern ebenso an der Erkenntnis von Differenz interessiert.“.116 Allerdings ist nicht alles, was in dieser aufbrechenden Postmoderne als Spiritualität deklariert wird, auch im gleichen Atemzug mit einer Pneumatologie zu nennen. Auch die Aufklärung wurde von den klassischen deutschen Philosophen Lessing, Kant, Fichte und Hegel als „Zeitalter des Geistes“ gedeutet; gemeint war hier jedoch der von der Vernunft gesteuerte menschliche Geist. Wenn heute die spirituelle Dimension in der Erkenntnistheorie gefordert wird,117 so gilt es auch hier nachzufragen, von welchem „Spirit“ denn die Rede ist. Es wäre wünschenswert, mit einer klaren missionalen Pneumatologie nicht nur die Spuren des Geistes Gottes in den Religionen und Lebenskulturen aufzuzeigen, sondern wenn zugleich auch die Geistesgabe der Geisterunterscheidung (1Kor 12,10) zum Einsatz käme.

2.1Erfahrung und Offenbarung

Die Fremdheit der pneumatischen Offenbarung wird von Paulus herausgestellt, zugleich wird allerdings die Dimension der Weisheit, die in diesem Geschehen liegt, in der Begrifflichkeit des Geheimnisses (Mysterion) eingeführt. Das pneumatische Geschehen ist also nicht jedem „wachen Denker“ zugänglich, sondern es wird selber durch den Geist offenbart und gedeutet.

„Die Weisheit, die wir verkünden, ist Gottes Weisheit. Sie bleibt ein Geheimnis und vor den Augen der Welt verborgen. Und doch hat Gott, noch ehe er die Welt schuf, beschlossen, uns an seiner Weisheit und Herrlichkeit teilhaben zu lassen.

Von den Herrschern dieser Welt hat das keiner erkannt. Sonst hätten sie Christus, den Herrn der Herrlichkeit, nicht ans Kreuz geschlagen. Es ist vielmehr das eingetreten, was schon in der Heiligen Schrift vorausgesagt ist: ‚Was kein Auge jemals sah, was kein Ohr jemals hörte und was sich kein Mensch vorstellen kann, das hält Gott für die bereit, die ihn lieben.‘

Uns aber hat Gott durch seinen Geist sein Geheimnis enthüllt. Denn der Geist Gottes weiß alles, er kennt auch Gottes tiefste Gedanken. So wie jeder Mensch nur ganz allein weiß, was in ihm vorgeht, so weiß auch nur der Geist Gottes, was Gottes Gedanken sind.

Wir haben nicht den Geist dieser Welt bekommen, sondern den Geist Gottes. Und deshalb können wir auch erkennen, was Gott für uns getan hat. Was wir euch verkünden, kommt nicht aus menschlicher Klugheit, sondern wird uns vom Geist Gottes eingegeben. Und so können wir Gottes Geheimnisse verstehen, weil wir uns von seinem Geist leiten lassen. Der Mensch kann mit seinen natürlichen Fähigkeiten nicht erfassen, was Gottes Geist sagt. Für ihn ist das alles Unsinn, denn Gottes Geheimnisse erschließen sich nur durch Gottes Geist.

Der von Gottes Geist erfüllte Mensch kann alles beurteilen, er selbst aber ist keinem menschlichen Urteil unterworfen. Es steht ja schon in der Heiligen Schrift: ‚Wer kann die Gedanken des Herrn erkennen, oder wer könnte gar Gottes Ratgeber sein?‘ Nun, wir haben den Geist Christi empfangen und können ihn verstehen“ (1Kor 2,7–15).

In diesen Ausführungen wird das „Objekt“ des Erkennens benannt: Es ist Gott selber, es ist der Geist und auch das, was Inhalt der Verkündigung ist. Das Subjekt des Erkennens wird ebenso betrachtet: Nur Menschen, die den Geist Gottes empfangen haben, können ihn auch verstehen. „Ein Mensch kann mit seinen natürlichen Fähigkeiten (griech. psychicos) nicht erfassen, was Gottes Geist sagt.“

Eine solche Aussage markiert zugleich die Grenzen des Dialogs mit Menschen, welche die Gabe des Geistes nicht empfangen haben. Sie werden immer die Grenzen des Erkennens spüren, auch wenn sie „spirituell“ unterwegs sind. Sie können wohl tiefe Gotteserfahrungen haben, die sie jedoch ohne den Heiligen Geist nicht in Beziehung zum Erlösungswerk Christi deuten. Darin wird aber erst die Weisheit Gottes offenbar. Spirituelle Erfahrungen sind jedem Menschen möglich, sie führen aber nicht unbedingt zur Christuserkenntnis, wenn der Geist Gottes keine Offenbarung gibt.

Jürgen Moltmann beschreibt die unterschiedlichen und vielschichtigen Dimensionen der Lebenserfahrung wie z. B. die Erfahrung von Schmerz und Leid, von Angst oder auch von Glück als Möglichkeiten, die auf die Liebe Gottes hinweisen können. So gesehen werden sie von ihm als „Erfahrung des Geistes“ gekennzeichnet.118 Diese alltäglichen Dimensionen der Lebenserfahrung neu als Geisterfahrung zu deuten, ist nur möglich durch die Annahme der „immanenten Transzendenz“ Gottes. Der Geist Gottes hat sich eben nicht aus dieser Welt zurückgezogen, sondern er ist zugleich in ihr wirksam und drängt auf die Vollendung des angebrochenen Reiches Gottes. Wie umfangreich diese Lebenserfahrungen als Geisterfahrungen sein können, bleibt dabei jedoch offen. Eine „natürliche Gotteserkenntnis“ (vgl. Röm 2,14–16) ist begrenzt, wenn nicht das Licht der Christusoffenbarung darin aufleuchtet. In der missionalen Pneumatologie bieten die vielfältigen Lebenserfahrungen und auch die zunehmenden religiös-spirituellen Transzendenzerfahrungen Anknüpfungspunkte im Dialog, um auf die Christusoffenbarung hinzuweisen. Der Geist ist es, der von Sünde überführt, wo kein Christusglaube vorhanden ist (Joh 16,8–9). Die Strahlen des Christuslichtes können alle Menschen berühren; Gott lässt seine Sonne scheinen über Gute und Böse (Mt 5,45), aber nicht jeder Empfänger der Segnungen Gottes wird zugleich auch zum Anbeter des Gekreuzigten und Auferstandenen, zum Nachfolger Jesu Christi. Die Erfahrung ersetzt also nicht die Offenbarung.

 

Der Geist Gottes ist ein Geist der Prophetie (Offb 19,10). Prophetie ist ein Offenbarungsgeschehen. Es zieht den „Vorhang weg“, der uns den Blick für die Wirklichkeit Gottes versperren will. Gottes Geist offenbart uns die sichtbare und unsichtbare Welt und Jesus Christus als den Ursprung dieser Wirklichkeit (Kol 1,15–17). Das Offenbarungsgeschehen öffnet im Menschen die „Augen des Herzens“ für diese Wirklichkeit Gottes. Das Geheimnishafte konzentriert sich dabei nicht nur auf die unsichtbare Wirklichkeit, sondern auch auf die immanente. Hier durchzieht der Atem Gottes alles Lebende. Diese Dimension der Offenbarung wird prägnant im Epheserbrief beschrieben.

„Ihn, den Gott unseres Herrn Jesus Christus, den Vater, dem alle Herrlichkeit gehört, bitte ich darum, euch durch seinen Geist Weisheit zu geben, dass ihr ihn immer besser erkennt und er euch seinen Plan zeigt. Er öffne euch die Augen, damit ihr seht, wozu ihr berufen seid, worauf ihr hoffen könnt und welch unvorstellbar reiches Erbe auf alle wartet, die zu Gott gehören. Ihr sollt erfahren, mit welch unermesslich großer Kraft Gott in uns, den Glaubenden, wirkt. Ist es doch dieselbe Kraft, mit der er Christus von den Toten auferweckte und ihm den Ehrenplatz an seiner rechten Seite gab!“ (Eph 1,17–20).

Weiter heißt es:

„Ich bitte Gott, dass er euch aus seinem unerschöpflichen Reichtum Kraft schenkt, damit ihr durch seinen Geist innerlich stark werdet und Christus durch den Glauben in euch lebt. In seiner Liebe sollt ihr fest verwurzelt sein; auf sie sollt ihr bauen. Denn nur so könnt ihr mit allen anderen Christen das ganze Ausmaß seiner Liebe erfahren, die wir doch mit unserem Verstand niemals fassen können. Dann wird diese göttliche Liebe euch immer mehr erfüllen“ (Eph 3,15–19).

Die Offenbarung des Geistes weist beständig auf das Christusgeschehen hin und lässt somit die spirituellen Lebenserfahrungen im Licht des Evangeliums aufleuchten.

Welches Gewicht haben diese Aussagen hinsichtlich der erkenntnistheoretischen Basis für die Theologie? Eine Theologie, die sich anlehnt an eine Wissenschaftstheorie, die jegliche metaphysische Dimensionen mit Skepsis betrachtet und lediglich von einer realen immanenten Wirklichkeit ausgeht, wird hier nur stümperhaft dem Anspruch der biblischen Aussagen gerecht werden können. Eine Theologie, die ahnungslos die Berichte über das Geistwirken, die Wunderwirkungen, die Engel- und Dämonenwelt und womöglich die gesamte unsichtbare Wirklichkeit als Mythenzauber vergangener Deutungsmuster vom Tisch fegt, wird in den biblischen Zeugnissen nur noch eine Anreihung von menschlichen, zum Teil fehlerhaften oder defizitären Aussagen über Gott und die Welt finden.

Zu lange haben die historischen Wissenschaften mit ihren Methoden darüber entscheiden wollen, was von den biblischen Zeugnissen als lebendiges Wort Gottes zu sehen sei und was lediglich als Zeugnis einer kultur- und zeitbedingten Gottesvorstellung analysiert werden könne.119 Ein solcher Umgang mit dem Zeugnis der Bibel missachtet den Geist der Offenbarung, der die Verfasser biblischer Schriften inspiriert hat. „Die ganze Heilige Schrift ist von Gott eingegeben (griech. theopneustos)“ (2Tim 3,16).

Damit soll nicht die These aufgestellt sein, dass alle Aussagen der Bibel wie ein historisches Lehrbuch unbesehen übernommen werden müssen. Selbstverständlich müssen die Schriften der Bibel in ihrem jeweiligen historisch-kulturellen Kontext gesehen und gedeutet werden. Es geht jedoch darum, sich vom Geist Gottes selber die Schrift deuten zu lassen. Das setzt voraus, dass alle Bewertung biblischer Aussagen, die sich ausschließlich an den Maßstäben gegenwärtiger natur- oder geschichtswissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse orientiert, unzureichend ist und sich dem Vorwurf einer verkürzten erkenntnistheoretischen Grundlage stellen muss.120 Eine Übertragung des gängigen erkenntnistheoretischen Ansatzes der Naturwissenschaften auf die Theologie wird allerdings bis in die jüngste Gegenwart hingenommen. Das biblische Wort verkommt zu einem Fragment menschlicher Zeugnisse über Gotteserfahrungen – und hat damit jedoch keinerlei Anspruch auf Wahrheit. Auch wenn die moderne Physik von einer Nichtobjektivierbarkeit des Wirklichen ausgeht (W. Heisenberg, C. F. v. Weizsäcker121, P. Jordan, T. de Chardin) und damit die Relativität wissenschaftlicher Wahrnehmung benennt, so wird diese geradezu bescheiden klingende Zurückhaltung im theologischen Bereich meines Erachtens zu wenig gesehen. Aber gerade hier wäre sie angebracht, da wir es ja mit einer Wirklichkeit zu tun haben, die als „Geheimnis“ allenfalls im Sinn einer immanenten Transzendenz bzw. einer transzendenten Immanenz aufspürbar ist. Vielleicht wird mit diesem Geheimnis auch das metaphysische „Eigentliche“ beschrieben, nach dem alle Wissenschaft forscht. „Das Eigentliche ist dort zu suchen, wo die wissenschaftliche Interpretation nicht mehr findet, die alles, was ihr Gehege übersteigt, als unwissenschaftlich brandmarkt“ (M. Heidegger).122

Der denkende Glaube, der von diesem „Eigentlichen“ erfasst ist, kann den Widerspruch aushalten, der an der Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz auftritt. „Die Wahrheit ist für die Theologie nicht mehr das schlechthin Gewahrbare. Denken heißt, bis an die Grenze des Unvollziehbaren herandenken, die Grenze des Klärbaren erkennen, wo sie unserem Wunschbild gebietend entgegentritt, im Unklärbaren es aushalten, ohne der Verführung zu erliegen, es dennoch aufzuklären.“123 Der Dialog der modernen Wissenschaften kann somit durch die Theologie bereichert werden, ebenso jedoch auch die Theologie durch die anderen Wissenschaften.124 Dabei ist es mehr als redlich, die jeweiligen erkenntnistheoretischen Ansätze transparent und vergleichend in ein solches Gespräch einzubeziehen. Helmut Thielicke hat auf diesen Zusammenhang in seiner Rede zur Eröffnung der Theologischen Fakultät an der Universität Hamburg im Jahre 1953 hingewiesen: „Die Theologie kann durch das Fremde, das sie dem wissenschaftlichen Wahrheitsbegriff hinzubringt, ihn davor bewahren, sich im Begreifen dessen zu erschöpfen, was als Vorfindliches der Erkenntnis verfügbar bleibt, wie auch die Theologie ihrerseits durch den Einspruch der rationalen Wissenschaften daran erinnert bleibt, dass es der geschichtliche Mensch ist, dem die ‚Erleuchtung durch den Heiligen Geist‘ widerfährt.“125

Physik und Metaphysik, Erfahrung und Offenbarung werden in einer Lehre über den Heiligen Geist nicht als Gegensätze gesehen, da der Geist nicht nur der Metaphysik bzw. der unsichtbaren Welt oder der sichtbaren Wirklichkeit zuzuordnen ist. Erfahrung und Offenbarung verhalten sich wie die beiden Schienenstränge eines Zuggleises, die sodann zu einer Erkenntnis führen können.

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