Im Schlaraffenland

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Im Schlaraffenland
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Heinrich Mann

Im Schlaraffenland

Ein Roman unter feinen Leuten

Heinrich Mann

Im Schlaraffenland

Ein Roman unter feinen Leuten

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

EV: Albert Langen, München, 1900

1. Auflage, ISBN 978-3-962818-35-7

null-papier.de/710


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Inhaltsverzeichnis

An­mer­kun­gen zur Be­ar­bei­tung

I. Der Gum­pla­cher Schul­meis­ter

II. Das »Café Hur­ra«

III. Die deut­sche Geis­tes­kul­tur

IV. Türk­hei­mers

V. Ein de­mo­kra­ti­scher Adel

VI. Die Mit­tel, mit de­nen man was wird

VII. Eine Marot­te

VIII. »Ra­che!«

IX. Po­li­tik und Volks­wirt­schaft im Schla­raf­fen­land

X. Das Ver­gnü­gen, die Men­schen zu durch­schau­en

XI. Die klei­ne Matz­ke

XII. Die le­ben, die ge­nie­ßen!

XIII. Die hohe Kor­rup­ti­on

XIV. Fa­mi­li­en­rat

XV. Lieb­ling

XVI. Das Be­dürf­nis nach Rein­heit

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Jür­gen Schul­ze

Anmerkungen zur Bearbeitung

Schreib­wei­se und In­ter­punk­ti­on des Ori­gi­nal­tex­tes wur­den über­nom­men; of­fen­sicht­li­che Druck­feh­ler wur­den kor­ri­giert.

Die Or­tho­gra­fie wur­de der heu­ti­gen Schreib­wei­se be­hut­sam an­ge­gli­chen.

Grund­la­ge die­ser Ver­öf­fent­li­chun­gen bil­den fol­gen­de Aus­ga­ben:

 Al­bert Lan­gen, Mün­chen, 1900

 Ver­lag Kul­tur und Fort­schritt, 1962

Rom, Ja­nu­ar 1898 – Riva, März 1900

I. Der Gumplacher Schulmeister

Im Win­ter 1893 ar­bei­te­te An­dre­as. Er war flei­ßig wie ein ar­mer Stu­dent, der nicht in alle Ewig­keit auf den Wech­sel von zu Hau­se rech­nen kann. Als es aber Früh­ling ward, ging eine Ver­än­de­rung mit ihm vor. Wäh­rend der Os­ter­fe­ri­en, die er aus Man­gel an Rei­se­geld in Ber­lin ver­brach­te, muss­te er im­mer­fort an die Freun­de den­ken und an die Fahr­ten, den Rhein zu Ber­ge. Ein aus­gie­bi­ger Vor­rat von des Va­ters pri­ckeln­dem Fe­der­wei­ßen be­fand sich im Boot.

Das Heim­weh ver­an­lass­te den jun­gen Mann zum Nach­den­ken. Er über­leg­te sich die große Zahl der Ge­schwis­ter und die schlech­te Ern­te des vo­ri­gen Jah­res. Nun, mit dem Wein­berg, der nur noch alle sie­ben Jah­re ein­mal or­dent­lich trug, wür­de er nichts mehr zu tun ha­ben. Sein zu­künf­ti­ges Erb­teil ging bei sei­nem Stu­di­um im Voraus drauf. Merk­wür­di­ger­wei­se schloss An­dre­as hieraus nicht, dass er umso schnel­ler auf das Ex­amen los­zu­ar­bei­ten habe, son­dern dass sei­ne An­stren­gun­gen gar zu we­nig loh­nend sei­en. Als mit­tel­lo­ser Schul­amts­kan­di­dat war al­les, was er tun konn­te: nach Gum­plach zu­rück­keh­ren und auf eine An­stel­lung am Pro­gym­na­si­um war­ten. War das eine Zu­kunft für ihn, An­dre­as Zum­see, des­sen Ta­lent, nach An­sicht al­ler, zu großen Hoff­nun­gen be­rech­tigt hat­te? Mit acht­zehn Jah­ren hat­te er Ge­dich­te ge­macht, mit de­nen sei­ne Freun­de und so­gar er selbst voll­kom­men zu­frie­den ge­we­sen wa­ren. Seit­dem hat­te der »Gum­pla­cher An­zei­ger« eine No­vel­le von ihm ge­bracht, die ihm die Gunst des Mä­zens von Gum­plach ein­ge­tra­gen hat­te. Es war der alte Herr, den es in je­der klei­nen Stadt gibt, und der bei sei­nen Mit­bür­gern als harm­lo­ser Son­der­ling gilt, weil er sich mit Li­te­ra­tur be­fasst.

Am Os­ter­sonn­tag be­such­te An­dre­as das Kö­nig­li­che Schau­spiel­haus, um den ers­ten Teil des Faust zu se­hen. Auf der Ga­le­rie zog er sich hin­ter einen Pfei­ler zu­rück. Er hat­te kei­nen Be­kann­ten in Ber­lin, schäm­te sich aber sei­nes bil­li­gen Plat­zes. Sei­ne Ei­tel­keit leg­te ihm Op­fer auf. Im Zwi­schen­akt stieg er, nicht weil es ihm Freu­de mach­te, son­dern weil die Selb­st­ach­tung es ihm ge­bot, ins Par­kett hin­ab und dräng­te sich auf dem Kor­ri­dor in der gu­ten Ge­sell­schaft um­her.

Ein­mal stau­te sich der Zug der Wan­deln­den, weil vie­le gaf­fend und hor­chend zwei be­deu­tend aus­se­hen­de Her­ren um­dräng­ten. Den grö­ße­ren von ih­nen er­kann­te An­dre­as so­fort wie­der; es war der Pro­fes­sor Schwen­ke, ein Aka­de­mi­ker, der sich eine Aus­nah­me­stel­lung ver­schafft hat­te da­durch, dass er al­les Mo­der­ne pro­te­gier­te. Er trug eine Künst­ler­lo­cke auf der Stirn, hielt die Hän­de in den Ta­schen sei­nes hel­len Jacketts und hat­te so große Furcht, pe­dan­tisch zu er­schei­nen, dass er beim Spre­chen den Ober­kör­per stets in ei­nem bur­schi­ko­sen Schwun­ge er­hielt. Sein Ge­gen­über war einen Kopf klei­ner, bart­los, und sein bors­ti­ges schwar­zes Haar hing über ei­nem Hals­kra­gen von zwei­fel­haf­ter Wei­ße. Er hat­te eine Ad­ler­na­se und gelb­le­der­ne Ge­sichts­haut, und sein zu wei­ter Geh­rock reich­te bis un­ter die Knie hin­ab. An­dre­as war sehr be­gie­rig zu wis­sen, wer die­se Per­sön­lich­keit sei, die äu­ßer­lich zwi­schen Cl­er­gy­man und Kon­zert­vir­tuo­sen un­ge­fähr die Mit­te hielt. Ein Herr, der von fern dem Klei­nen wink­te, rief:

»Herr Dok­tor Abell!«

»Soll­te das Abell sein?« dach­te An­dre­as, »der Kri­ti­ker des ›Nacht­ku­rier‹?«

Er konn­te es kaum fas­sen, dass man die großen Män­ner, die im Reich der Be­grif­fe leb­ten, hier in der Wirk­lich­keit wie­der­fand. Sein Herz schlug hö­her, und er schau­te sich arg­wöh­nisch um, ob man ihm et­was an­mer­ke. Denn er woll­te um kei­nen Preis naiv aus­se­hen.

Von sei­nem Ga­le­rie­platz such­te er die bei­den Her­ren wie­der auf; sie sa­ßen dicht hin­ter dem Or­che­s­ter. An­dre­as schiel­te mehr­mals has­tig nach sei­nem Nach­barn, ei­nem blon­den jun­gen Man­ne in be­schei­de­nem schwar­zen Röck­chen. End­lich hielt er es nicht mehr aus:

»Ent­schul­di­gen Sie«, sag­te er, »ich bin kurz­sich­tig. Ich mei­ne dort vorn den Dok­tor Abell zu er­ken­nen?«

Er be­müh­te sich, ganz dia­lekt­frei zu spre­chen. Der jun­ge Mann er­wi­der­te höf­lich:

»Ge­wiss. Das ist Dok­tor Abell. Er sitzt ne­ben Dok­tor Wa­che­les vom ›Ka­bel‹. Zwei Rei­hen hin­ter den Her­ren se­hen Sie auch Dok­tor Bär von der ›A­bend­zei­tung‹ und Dok­tor Thu­nich­gut von der ›Klei­nen Bör­se‹.«

Ne­ben ih­nen mach­te man »Pst!«, und der Vor­hang ging auf. An­dre­as sah nichts an­de­res mehr als die Rücken der Kri­ti­ker. Sie nah­men Plät­ze ein, de­nen auch er sich ge­wach­sen fühl­te. Mit san­gui­ni­scher Fan­ta­sie mal­te er sich schon sei­nen Ein­tritt in den Saal aus. Er schritt ge­las­sen, im Ge­fühl sei­ner Unent­behr­lich­keit, auf den ihm re­ser­vier­ten Ses­sel zu. Er lehn­te sich zu­rück, ver­schränk­te die Arme und lausch­te nach­läs­sig mit mil­dem Lä­cheln den Künst­lern, die mehr für ihn als für tau­send an­de­re spra­chen. Ei­ni­ge Zei­len in der Re­dak­ti­on, wo­hin er nach der Vor­stel­lung fuhr, flüch­tig auf das Pa­pier ge­wor­fen, si­cher­ten ihm Macht, Ein­fluss, ein gu­tes Ein­kom­men und eine an­ge­se­he­ne ge­sell­schaft­li­che Stel­lung in Ber­lin. Der Gum­pla­cher Schul­meis­ter durf­te die­se Zu­kunft nicht durch­kreu­zen. Das be­ru­fe­ne Ta­lent brach sich Bahn.

Um sich selbst in sei­nen Hoff­nun­gen zu be­stär­ken, hät­te er sie gern laut aus­ge­spro­chen. Er sah mehr­mals schnell um sich und schnapp­te vor Er­re­gung nach Luft. Sein Nach­bar, der ihn durch einen schwarzum­ran­de­ten Knei­fer still an­blin­zel­te, sag­te ver­bind­lich:

»Wir sind wohl Kol­le­gen?«

An­dre­as stutz­te und be­sann sich.

»Sie sind auch Schrift­stel­ler?« frag­te er.

Der an­de­re ver­beug­te sich.

»Fried­rich Köpf, Schrift­stel­ler.«

Er sprach mit ge­spitz­ten Lip­pen, als sei es ihm eher pein­lich, dies ein­zu­ge­ste­hen. An­dre­as wur­de im Ge­gen­teil rot vor Ver­gnü­gen, wäh­rend er sich vor­stell­te. Es war das ers­te Mal, dass er sich als Li­te­rat be­zeich­ne­te. Er mein­te sei­ne Lauf­bahn hier­mit in al­ler Form zu be­gin­nen.

»Ich ma­che al­ler­dings ge­ra­de die ers­ten Schrit­te in mei­nem Be­ruf«, setz­te er hin­zu.

»Oh, das be­ru­fe­ne Ta­lent bricht sich Bahn«, ver­si­cher­te der jun­ge Mann.

 

An­dre­as rich­te­te sich auf und sah ihn dro­hend an; aber er über­zeug­te sich, dass der an­de­re ganz harm­los lä­chel­te. Er ver­setz­te dar­auf:

»Ich bin bis­her bloß Mit­ar­bei­ter ei­nes Pro­vinz­blat­tes ge­we­sen.«

»Ah, Sie sind be­reits jour­na­lis­tisch tä­tig?«

»Ich habe am Feuil­le­ton mit­ge­ar­bei­tet.«

An­dre­as ver­mied es, das un­be­rühm­te Blätt­chen zu nen­nen, das sei­ne jun­ge Kraft ge­won­nen hat­te, und sein neu­er Be­kann­ter war dis­kret ge­nug, nicht da­nach zu fra­gen. Er sag­te über­haupt nichts mehr, son­dern hör­te voll Teil­nah­me zu, wie An­dre­as die Ge­dich­te zu­sam­men­rech­ne­te, die der »Gum­pla­cher An­zei­ger« ge­bracht hat­te, und von dem er­mu­ti­gen­den Er­fol­ge sei­ner No­vel­le er­zähl­te.

Das Ge­spräch ward un­ter­bro­chen. Nach Schluss des Ak­tes be­gann An­dre­as wie­der:

»Aber in Ber­lin bin ich bis­her ganz fremd.«

»Wirk­lich?« sag­te Köpf zwei­felnd.

»Ich wür­de mich ja gern hier jour­na­lis­tisch be­tä­ti­gen, aber es ist so schwer, An­schluss zu fin­den.«

»Oh, was das an­be­langt, man wird über­all mit of­fe­nen Ar­men auf­ge­nom­men.«

»Wirk­lich?« frag­te An­dre­as sei­ner­seits.

Merk­wür­dig, er wuss­te nie­mals, was er aus den Wor­ten des Kol­le­gen ma­chen soll­te, ob­wohl al­les, was die­ser sag­te, un­ge­mein gut­mü­tig klang. Köpf schi­en das Miss­trau­en des jun­gen Man­nes zu be­mer­ken und es be­sei­ti­gen zu wol­len. Er ver­setz­te:

»Ich kann Sie zum Bei­spiel in das ›Café Hur­ra‹ ein­füh­ren, wenn Ih­nen dar­an liegt.«

»›Café Hur­ra‹?« frag­te An­dre­as.

»Ei­gent­lich Café Küh­le­mann, Pots­da­mer Stra­ße. Sie tref­fen dort ver­schie­de­ne Mit­ar­bei­ter an­ge­se­he­ner Zei­tun­gen.«

»Ah!« rief An­dre­as dank­bar und voll Hoff­nung. »Das wäre ja au­ßer­or­dent­lich freund­lich von Ih­nen.«

»Also kom­men Sie nächs­ten Don­ners­tag. Dann fin­den Sie mich wahr­schein­lich dort.«

Köpf emp­fahl sich gleich nach be­en­de­ter Vor­stel­lung. An­dre­as such­te, höchst zu­frie­den und den Schlag­ring kamp­fes­mu­tig in der Faust, sei­ne Woh­nung in der Li­ni­en­stra­ße auf. Der Gum­pla­cher Schul­meis­ter lag weit hin­ter ihm, es be­gann ein neu­es Le­ben.

II. Das »Café Hurra«

»Herr …?« frag­te Köpf zö­gernd.

»An­dre­as Zum­see.«

Köpf stell­te der Ta­fel­run­de im »Café Hur­ra« den neu­en Kol­le­gen vor. Die­ser ward mit Wär­me auf­ge­nom­men. Der an­ge­se­hens­te der Her­ren ließ ihn an sei­ner Sei­te sit­zen und zog ihn in die Un­ter­hal­tung. Als er den jun­gen Mann nach Stu­di­en und Ab­sich­ten be­fragt hat­te, sag­te Dok­tor Lib­be­now mit ei­nem viel­leicht be­schei­de­nen, viel­leicht auch stol­zen Seuf­zer:

»Ach ja, ich habe ei­gent­lich seit zehn Jah­ren kein Buch ge­le­sen.«

Man schi­en dies als eine be­ach­tens­wer­te Leis­tung an­zu­se­hen, und auch An­dre­as emp­fand, er wuss­te nicht warum, Be­wun­de­rung für Dok­tor Lib­be­now.

Es war die Rede von den miss­li­chen fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­sen des Schau­spie­ler­paa­res Be­cken­ber­ger. Der Mann war in der Gunst des Pub­li­kums ra­pi­de ge­sun­ken, von sei­nem Di­rek­tor be­kam er nur noch ein Ta­schen­geld, und er ver­schwen­de­te das­je­ni­ge, was sich die Frau in ar­beit­sa­men Näch­ten, gleich­falls ohne Zu­tun des Büh­nen­lei­ters, ver­dien­te. Vor sechs Jah­ren hat­ten sie je­der zehn­tau­send Mark ge­habt.

»I wo«, sag­te Dok­tor Pohl­atz.

»Sie glau­ben das doch nicht?« frag­te er An­dre­as.

Die­ser lä­chel­te ver­bind­lich.

Pohl­atz er­läu­ter­te:

»Die Wei­ber be­kom­men näm­lich über­haupt nie was, dar­auf gebe ich Ih­nen mein klei­nes Ehren­wort.«

»Wa­rum denn nicht?« rie­fen die an­de­ren.

»Liz­zi Laffé hat noch heu­te ihre zehn­tau­send, und sie geht auf fünf­zig.«

»Re­den Sie doch kei­ne Ma­ku­la­tur!« ver­setz­te Pohl­atz schroff. »Was Liz­zi hat, hat sie von Türk­hei­mer.«

Die Na­men, die An­dre­as hör­te, präg­ten sich ihm ein, al­les, was ge­spro­chen wur­de, schi­en ihm be­deu­tend, am be­deu­tends­ten aber Dok­tor Pohl­atz. Er wuss­te al­les, er wi­der­sprach al­len, er kann­te die Ein­nah­men je­des Schau­spie­lers bes­ser als die­ser selbst. Aber als er end­lich fort­ging, ward es noch ge­müt­li­cher. An­dre­as er­laub­te sich die Fra­ge:

»Wel­cher Zei­tung ge­hört Herr Dok­tor Pohl­atz an?«

»Dok­tor?« sag­te je­mand, »der Kerl ist ja zum Ster­ben zu däm­lich.«

»Ei­nen Ko­gnak und das Adress­buch!« rief Dok­tor Lib­be­now.

»Das ist untrüg­lich«, sag­te er, in­dem er den Fin­ger auf Pohl­atz’ Na­men leg­te. »Hier sind dem Dok­tor sei­ne Gren­zen ge­setzt.«

»Wer ist denn über­haupt noch Dok­tor?« be­merk­te ein di­cker, schä­big aus­se­hen­der Herr mit wol­li­gem schwar­zen Voll­bart.

»Wenn man nur sonst ge­sund ist«, füg­te er hin­zu.

»Dok­tor Buhl? Dok­tor Reb­bi­ner?«

Ein Dok­tor nach dem an­de­ren ward im Ka­len­der auf­ge­schla­gen, und kei­ner ver­trug die Stich­pro­be. Nur Dok­tor Lib­be­now ver­schon­te man aus Höf­lich­keit.

Dass auch Dok­tor Wa­che­les vom »Ka­bel« und der große Abell ih­ren Ti­tel nur der Ge­fäl­lig­keit der Kol­le­gen ver­dank­ten, mach­te auf An­dre­as im­mer­hin Ein­druck, aber ge­wis­ser­ma­ßen brach­te der Um­stand sie ihm mensch­lich nä­her, in­dem er ihn mit ih­rer Grö­ße aus­söhn­te.

Köpf war be­reits ver­schwun­den, als die an­de­ren auf­bra­chen. Dok­tor Lib­be­now sag­te zu An­dre­as, der sich von ihm ver­ab­schie­de­te:

»Neh­men Sie sich vor Go­lem in acht; er will Sie an­pum­pen.«

An­dre­as be­merk­te, wie der di­cke Schä­bi­ge mit dem wol­li­gen, schwar­zen Voll­bart sich ei­lig nach der an­de­ren Sei­te ent­fern­te.

Zwei Tage spä­ter er­schi­en der jun­ge Mann wie­der im »Café Hur­ra«, und von da an kam er re­gel­mä­ßig. Es schmei­chel­te ihm, sei­ne Aben­de in der Ge­sell­schaft von Mit­ar­bei­tern an­ge­se­he­ner Zei­tun­gen zu ver­brin­gen, und das Ur­teil sei­ner neu­en Freun­de über ihn lau­te­te güns­tig. Wie er ein­mal un­be­merkt in die Tür trat, hör­te er Dok­tor Lib­be­now sa­gen:

»Der jun­ge Zum­see? Das ist so’n Ben­gel, der Ta­lent zum Glück­ma­chen hat.«

Er zeig­te ge­ra­de ge­nug Nai­vi­tät, um der Ei­tel­keit der an­de­ren zu schmei­cheln, und ge­ra­de ge­nug Schar­la­ta­nis­mus, um nicht durch Ein­falt zu be­lei­di­gen. Er sag­te: »Och, han ich’n Freud ge­habt«, wenn er froh war, nann­te »Knatsch geck« je­der­mann, der ihm miss­fiel, und nahm es nicht übel, wenn man sei­nen Dia­lekt be­lä­chel­te. Zum Lohn da­für durf­te er Mei­nun­gen, die er nicht ein­mal hat­te, so­gar dem stren­gen Dok­tor Pohl­atz ge­gen­über ver­tre­ten. Ein­mal ließ er es sich ein­fal­len, den So­zia­lis­mus, der ihm durch­aus gleich­gül­tig war, nur dar­um her­aus­zu­strei­chen, weil er dies für et­was Be­son­de­res hielt. Er irr­te sich, aber Pohl­atz, der je­den an­de­ren un­sanft zu­recht­ge­wie­sen hät­te, be­gnüg­te sich da­mit, ihm zu er­wi­dern:

»Das ver­ste­hen Sie nicht, jun­ger Mann, das ver­ste­he ich ja kaum, und ich habe stu­diert.«

Bei die­ser Ge­le­gen­heit er­fuhr An­dre­as den Grund, wes­halb das »Café Hur­ra« die­sen Na­men führ­te. Die Her­ren von der Ta­fel­run­de hat­ten frü­her staats­um­wäl­zen­den Grund­sät­zen ge­hul­digt, bis im März 1890 sich die So­zi­al­de­mo­kra­tie als nicht mehr zeit­ge­mäß her­aus­stell­te. Da­mals hat­ten alle ei­nem Be­dürf­nis der Epo­che nach­ge­ge­ben, sie wa­ren ih­ren frei­sin­ni­gen Prin­zi­pa­len ein Stück­chen We­ges nach rechts ge­folgt und be­kann­ten sich seit­her zum Re­gie­rungs­li­be­ra­lis­mus und Hur­ra­pa­trio­tis­mus. Der Name des Lo­kals be­wahr­te die Erin­ne­rung an die­se Evo­lu­ti­on.

An­dre­as be­weg­te sich den gan­zen Som­mer in die­sem Krei­se, voll des hei­te­ren Be­wusst­seins, nun­mehr der Ber­li­ner Li­te­ra­tur­welt an­zu­ge­hö­ren. Seit­dem er sein Stu­di­um auf­ge­ge­ben hat­te, war­te­te er die Er­eig­nis­se ab, um eine neue Ar­beit zu be­gin­nen. Bei sei­nen jet­zi­gen Ver­bin­dun­gen konn­te es ihm auf die Dau­er gar nicht feh­len. In Ver­tre­tung des di­cken Go­lem, der un­mä­ßig faul war, hat­te er be­reits mehr­mals im Ge­richts­saal als Be­richt­er­stat­ter fun­giert. Wenn er spät abends nach dem Ge­nus­se von zwei Tas­sen schwar­zen Kaf­fee und zwei Ko­gnaks heim­ging, blick­te er in eine glän­zen­de Zu­kunft ge­ra­de hin­ein. Frü­her hat­te er »geochst«, ohne an et­was zu den­ken, jetzt tat er nichts und war da­bei von ho­hem Ehr­geiz be­seelt.

Wohl blie­ben auch trübe­re, we­ni­ger zu­ver­sicht­li­che Stun­den nicht aus. An­dre­as konn­te manch­mal ein Ge­fühl der Lee­re nicht ver­leug­nen, wenn er den Tisch ver­ließ, an dem von zehn bis zwölf Schau­spiel­er­ge­häl­tern und schlecht zah­len­den Ver­le­gern ge­spro­chen wor­den war. Go­lem ver­schwand ein­mal auf acht Tage, und bei sei­ner Rück­kehr er­zähl­te er den er­staun­ten Kol­le­gen, dass er sein ers­tes Feuil­le­ton ge­schrie­ben habe. Seit zehn Jah­ren mach­te er nur Ge­richts­be­rich­te, jetzt aber hat­te ihn sei­ne Zei­tung nach Bay­reuth ge­schickt. Dies hat­te nichts Auf­fäl­li­ges an sich, über Wa­gner schrieb nach­ge­ra­de je­der. Aber An­dre­as mein­te, im »Gum­pla­cher An­zei­ger« zu­wei­len we­ni­ger schlech­te Ar­ti­kel ge­le­sen zu ha­ben.

Die­ser Go­lem er­füll­te ihn über­haupt mit Be­sorg­nis. Dok­tor Lib­be­nows Voraus­sicht, dass der Di­cke ihn an­pum­pen wer­de, war nicht un­er­füllt ge­blie­ben, und An­dre­as wag­te bis­her kei­ne ab­schlä­gi­ge Ant­wort zu ge­ben. Er fürch­te­te noch zu sehr, das Wohl­wol­len der Kol­le­gen zu ver­scher­zen. Vi­el­leicht war er nicht kräf­tig ge­nug der öf­fent­li­chen Mei­nung ent­ge­gen­ge­tre­ten, die ihn für einen be­gü­ter­ten Di­let­tan­ten zu hal­ten schi­en. Vor­läu­fig er­hielt nun Go­lem bald fünf und bald zehn Mark. Und in letz­ter Zeit ging der Un­glück­li­che, den der Ge­richts­voll­zie­her über­all­hin ver­folg­te, mit dem Pla­ne um, ein Zim­mer zu be­zie­hen, das in An­dre­as’ Woh­nung frei­stand.

Auch in an­de­rer Be­zie­hung stell­te sich das neue Le­ben als kost­spie­li­ger her­aus, als An­dre­as vor­aus­ge­se­hen hat­te. Die Ge­sell­schaft aus dem »Café Hur­ra« speis­te häu­fig zu­sam­men zu Abend, hier und da ließ sich je­mand, der sei­ne Bör­se ver­ges­sen hat­te, von dem jun­gen Freun­de be­wir­ten. Im Thea­ter wäre An­dre­as jetzt um kei­nen Preis mehr auf die Ga­le­rie ge­gan­gen. Aber alle die­se Ver­pflich­tun­gen, die ihm sei­ne ge­sell­schaft­li­che Stel­lung auf­er­leg­te, über­stie­gen die Kräf­te ei­nes ar­men Stu­den­ten­wech­sels. So kam es, dass An­dre­as sich um die Mit­te des Mo­nats ge­wöhn­lich in ein ve­ge­ta­ri­sches Re­stau­rant schlich. Ei­ni­ge Tage spä­ter bil­de­te dann der schwar­ze Kaf­fee sein haupt­säch­li­ches Er­näh­rungs­mit­tel. Das Mit­ta­ges­sen muss­te nur zu häu­fig, wie Pohl­atz sich aus­drück­te, durch stram­me Hal­tung er­setzt wer­den.

An­dre­as schul­de­te seit ge­rau­mer Zeit die Zim­mer­mie­te, und es war ein Glück für ihn, dass es auch mit der Ent­loh­nung der Wä­sche­rin nicht eil­te. Er hat­te Kre­dit er­langt da­durch, dass das jun­ge Mäd­chen, das ihm sei­ne fri­schen Hem­den brach­te, sich durch sei­ne Lie­be be­ste­chen ließ. Sie bat nur um Frei­bil­letts für das Thea­ter, die ein Schrift­stel­ler wie An­dre­as ihr doch wohl ver­schaf­fen kön­ne. An­dre­as er­klär­te, dass nichts leich­ter sei, aber Lib­be­now so­wohl wie Go­lem, der ihm doch viel­fach ver­pflich­tet war, ver­trös­te­ten ihn. Als nach vier­zehn Ta­gen noch kei­ne Frei­kar­te zur Stel­le war, ver­ließ ihn die jun­ge Wä­sche­rin mit dem Aus­druck ih­rer Ge­ring­schät­zung und nicht, ohne die Rech­nung auf sei­nen Tisch zu le­gen.

Im Ok­to­ber mach­te An­dre­as, ent­ge­gen sei­ner Ge­wohn­heit, ein­sa­me Spa­zier­gän­ge im Tier­gar­ten, wo die Blät­ter fie­len. Das »Café Hur­ra« ver­nach­läs­sig­te er. Moch­ten sie doch mer­ken, dass er sie ver­ach­te­te! Denn nach­ge­ra­de fühl­te er sich hier­zu ver­sucht. Wa­ren sie denn ei­gent­lich ein wür­di­ger Ver­kehr für ihn, die­se Leu­te, die meis­tens nicht ein­mal rich­tig Deutsch schrie­ben – so­weit sie über­haupt et­was schrie­ben. Es ward ihm im­mer kla­rer: ihre Bla­siert­heit, die ihm an­fangs als Über­le­gen­heit ge­gol­ten hat­te, war im Grun­de nur der Aus­druck von Un­wis­sen­heit und Im­po­tenz. Aber der gan­ze Ber­li­ner Ton kam schließ­lich bloß von Man­gel an Tie­fe. Sie ulk­ten, weil sie zu faul wa­ren, auf die Din­ge ein­zu­ge­hen. Er hat­te ge­nug da­von. Das »Café Hur­ra« war für ihn eine Sack­gas­se, die nie­mals zu ir­gend­ei­nem Zie­le füh­ren konn­te. Kei­ner der dort ken­nen­ge­lern­ten Her­ren schi­en ge­nug Ein­fluss zu be­sit­zen, um ihn jour­na­lis­tisch zu för­dern. Am Ende fehl­te auch der gute Wil­le. Au­ßer Go­lem, des­sen schlech­ter Ruf sei­ne Emp­feh­lun­gen ge­fähr­lich mach­te, ließ kei­ner einen Neu­ling an sei­ne Zei­tung her­an­kom­men. In sechs Mo­na­ten hat­te An­dre­as ge­nau vier­zehn Mark und fünf­und­sech­zig Pfen­nig ver­dient, was ihm nicht hin­rei­chend zur Be­grün­dung ei­ner Zu­kunft deuch­te. Das ers­te Stu­dien­jahr war dar­über hin­ge­gan­gen, sein Wech­sel lief jetzt noch zwei Jah­re. In­ner­halb des ge­ge­be­nen Zeit­rau­mes muss­te er es zu et­was brin­gen. Von die­ser Not­wen­dig­keit her­aus­ge­stört, tauch­te das Ge­s­penst des Gum­pla­cher Schul­meis­ters noch ein­mal vor ihm auf. Er wehr­te es ent­rüs­tet ab. Aber was dann? An­dre­as ver­moch­te auf die­se Fra­ge nur mit ei­nem Seuf­zer zu ant­wor­ten, und er hät­te sich zwei­fel­los sei­ner leicht­sin­ni­gen Un­tä­tig­keit aufs neue über­las­sen, wenn nicht eine krän­ken­de Er­fah­rung ihn vollends auf­ge­rüt­telt hät­te.

 

Er be­trat am sel­ben Abend das »Café Hur­ra« frü­her als die an­de­ren und das Haupt umso hö­her er­ho­ben, je tiefer ihm der Mut stand. Er mach­te die Run­de um das fast lee­re Lo­kal und be­grüß­te das Fräu­lein am Bü­fett. Es war eine fade Blon­di­ne, An­dre­as hat­te noch nie das Be­dürf­nis ge­fühlt, einen An­griff auf sie aus­zuü­ben. Heu­te aber glaub­te er, dies sei­ner Wür­de schul­dig zu sein. Kurz ent­schlos­sen leg­te er ihr den Arm um die Hüf­ten. Das Mäd­chen, das sich hier­durch nicht an­ge­spro­chen füh­len moch­te, ver­zog die Mund­win­kel in böse, schar­fe Fal­ten, sie ver­setz­te dem jun­gen Mann einen hef­ti­gen Stoß ge­gen die Schul­ter und sag­te mit Nach­druck:

»Jüng­ling, wie kom­men Sie mir vor?«

An­dre­as sah sie eine Se­kun­de lang an, er war au­ßer­or­dent­lich blass ge­wor­den. Da­rauf pfiff er durch die Zäh­ne, dreh­te sich auf den Ab­sät­zen um und ver­ließ ge­mes­se­nen Schrit­tes den Raum.

Gleich den fol­gen­den Mor­gen ging er zu Köpf, um sich mit ihm über sei­ne nächs­ten Schrit­te zu be­ra­ten. Das »Café Hur­ra« war eben­so ab­ge­tan wie der Gum­pla­cher Schul­meis­ter. Wenn selbst je­nes Mäd­chen, das ein hal­b­es Jahr lang Zeu­ge sei­nes ver­trau­ten Um­gan­ges mit den Mit­ar­bei­tern der an­ge­se­hens­ten Zei­tun­gen ge­we­sen war, ihm mit sol­cher em­pö­ren­den Nicht­ach­tung be­geg­nen konn­te, dann muss­te sei­ne ge­sell­schaft­li­che Stel­lung we­ni­ger glän­zend sein, als er ge­wähnt hat­te. Dies aber war das­je­ni­ge Be­wusst­sein, das er am we­nigs­ten zu er­tra­gen ver­moch­te.

Er muss­te in Köpfs Zim­mer, in der un­te­ren Do­ro­theen­stra­ße, ei­ni­ge Zeit war­ten und be­merk­te dar­in eine ge­wis­se Wohl­ha­ben­heit. Der brei­te Schreib­tisch von Ma­ha­go­ni und der be­que­me, mit ro­tem Maro­quin über­zo­ge­ne Lehn­ses­sel wäre in kei­nem mö­blier­ten Zim­mer an­zu­tref­fen ge­we­sen. Die Wän­de wur­den von ho­hen Bü­cher­ge­stel­len ver­deckt, an­ge­füllt mit ei­nem un­glaub­li­chen Plun­der, vor dem An­dre­as stau­nend stand. Zer­fetz­te Papp­bän­de und an­ge­fres­se­ne Le­der­rücken ver­brei­te­ten den Duft al­ler mög­li­chen Tröd­ler­bu­ti­ken. Eine alte Ge­schich­te Lud­wigs XIII. von Le Vas­sor füll­te mit den Denk­wür­dig­kei­ten von Saint-Si­mon ein gan­zes Fach. Wei­ter­hin stan­den so­gar die Kir­chen­vä­ter. An­dre­as be­griff nicht, wel­chen Zweck die­se Din­ge für je­mand ha­ben konn­ten, der Ro­ma­ne schrieb. Köpf be­schäf­tig­te sich, wie Lib­be­now wis­sen woll­te, mit der An­fer­ti­gung von Ro­ma­nen, die je­doch kein Mensch zu se­hen be­kam. Wei­ter wuss­te man von ihm schlech­ter­dings nichts. Er er­schi­en wö­chent­lich kaum ein­mal im »Café Hur­ra«, und die­ser Um­stand flö­ßte An­dre­as in sei­ner jet­zi­gen Lage Ver­trau­en ein, ob­wohl er es in letz­ter Zeit Köpf stark ver­dach­te, dass er ihn über­haupt in je­nen Kreis ein­ge­führt hat­te.

Es frag­te sich jetzt nur, was er ei­gent­lich von Köpf woll­te. An­dre­as, den das War­ten ner­vös mach­te, bau­te im Voraus ei­ni­ge schö­ne Sät­ze.

»Sie ha­ben an der Ent­wi­cke­lung ei­nes Ih­nen völ­lig Un­be­kann­ten gleich an­fangs so freund­li­chen An­teil ge­nom­men, dass ich, von neu­en Zwei­feln be­drängt, es noch­mals wage, Sie um Ihren Rat und Ihre Hil­fe zu bit­ten.«

Als die Pe­ri­ode fer­tig war, fand er sie al­bern. So sprach man nicht, be­son­ders nicht in Ber­lin. Au­ßer­dem klang es falsch; er woll­te Köpf doch nicht an­pum­pen.

Die­ser er­schi­en plötz­lich in der Tür und be­grüß­te den Gast sehr er­freut.

»Ah, lie­ber Kol­le­ge!«

An­dre­as hat­te einen Ein­fall:

»Wis­sen Sie, von dem ›Kol­le­gen‹ hab’ ich schon bald ge­nug«, sag­te er und dreh­te sich halb um.

Köpf lä­chel­te.

»Sie ha­ben im ›Café Hur­ra‹ wohl ein Haar ge­fun­den?«

»Meh­re­re.«

»Ich hät­te Ih­nen das vor­aus­sa­gen kön­nen. Aber es freut mich, dass Sie selbst da­hin­ter­ge­kom­men sind.«

Köpf blin­zel­te un­schul­dig. An­dre­as fand trotz­dem, dass es eine Dreis­tig­keit sei, ihn in die­ser Wei­se auf die Pro­be ge­stellt zu ha­ben und es ihm jetzt ganz of­fen zu sa­gen. Der an­de­re such­te sei­nen Un­mut so­fort zu be­schwich­ti­gen.

»Sie brau­chen es nicht zu be­reu­en, die­se scherz­haf­te Sei­te des Le­bens un­ter Kol­le­gen ken­nen­ge­lernt zu ha­ben. Man muss dies tun, be­vor man zu erns­te­ren Din­gen über­geht. Nun wol­len Sie aber Ernst ma­chen?«

»Aber wie?« frag­te An­dre­as ohne große Zu­ver­sicht.

»Oh, da gibt es ver­schie­de­ne Wege, näm­lich die Pres­se, das Thea­ter und die Ge­sell­schaft.«

»Sie ver­ges­sen die Li­te­ra­tur.«

»Durchaus nicht. Ich habe ge­sagt: das Thea­ter, und eine an­de­re Li­te­ra­tur gibt es bei uns nicht.«

An­dre­as nahm eine über­le­ge­ne Mie­ne an, denn er er­tapp­te Köpf auf dem Är­ger ei­nes, der kei­nen Er­folg hat.

»Sie selbst schrei­ben doch wohl Ro­ma­ne?«

»Oh!« mach­te der an­de­re mit ge­spitz­ten Lip­pen. »Re­den wir lie­ber nicht da­von. Ich schrei­be für mei­nen Pri­vat­be­darf, es fällt mir nicht ein, das Un­glück ei­nes ar­men Ver­le­gers her­bei­füh­ren zu wol­len, der mir nie et­was zu­lei­de ge­tan hat und der etwa auf mei­ne Wer­ke hin­ein­fie­le.«

»Atem ho­len!« dach­te An­dre­as, dem es Spaß mach­te, Köpfs Schwa­che zu be­ob­ach­ten.

»In­mit­ten ei­nes Vol­kes«, fuhr die­ser fort, »das durch alle Prü­gel der Welt nicht dazu be­wo­gen wer­den könn­te, ein Buch in die Hand zu neh­men, wer­den Sie also am bes­ten tun, sich an das Thea­ter zu hal­ten.«

»Aber ich habe noch kein ein­zi­ges Stück ge­schrie­ben!«

»Ist auch gar nicht nö­tig«, ver­si­cher­te Köpf leicht­hin. »Das Thea­ter hat zwei­fel­los auch eine li­te­ra­ri­sche Sei­te, aber die ge­sel­li­ge ist wich­ti­ger. Beim Thea­ter hat man es stets mit Men­schen zu tun, in der ei­gent­li­chen Li­te­ra­tur doch schließ­lich nur mit Bü­chern. In der ei­gent­li­chen Li­te­ra­tur braucht man eine Men­ge Ernst, Ab­ge­schlos­sen­heit und Rück­sichts­lo­sig­keit; al­les Ei­gen­schaf­ten, die beim Thea­ter nur scha­den kön­nen. Hier kommt es vor al­lem auf die ge­sell­schaft­li­chen Ver­bin­dun­gen an. Sie aber, mein Lie­ber, sind ein Ge­sell­schafts­mensch. – Soll ich Ih­nen sa­gen, wel­ches si­che­re Zei­chen ich hier­für habe?«

»Bit­te!«

»Man hat Sie im ›Café Hur­ra‹ nicht ernst ge­nom­men.«

Köpf sah mit sei­nem harm­lo­sen Lä­cheln zu, wie An­dre­as zu­sam­men­zuck­te.

»Sei­en Sie nicht böse!« bat er dar­auf. »Ich wer­de Ih­nen da­für noch man­ches Schmei­chel­haf­te zu sa­gen ha­ben. Was Ihre Freun­de im ›Café Hur­ra‹ be­trifft: hat Pohl­atz Ih­nen je­mals Grob­hei­ten ge­sagt?«

»Nein, warum denn?«

»Nun, se­hen Sie wohl. Wenn er Sie ernst ge­nom­men hät­te, wür­den Sie alle Tage et­was an den Kopf be­kom­men ha­ben. Sie glau­ben nicht, wie fein die Wit­te­rung die­ser Leu­te ist, so­bald sich ein Kon­kur­rent bli­cken lässt. Sie, mein Lie­ber, sind kei­ner. Man hat gleich er­kannt, dass Sie eine viel zu hei­te­re, of­fe­ne Na­tur sind, um sich mit In­grimm und Püf­fen durch Li­te­ra­tur und Pres­se hin­durch­zu­schla­gen.«

»Ich glau­be bei­na­he selbst«, be­merk­te An­dre­as, der sich be­müh­te, bla­siert aus­zu­se­hen.

»Sie ha­ben so et­was Glück­li­ches an sich, das Sie beim Thea­ter, das heißt in der Ge­sell­schaft, un­ge­mein rasch för­dern wird. Man braucht dort näm­lich nur glück­lich zu er­schei­nen, um es sehr bald wirk­lich zu wer­den. Auch Ihre Harm­lo­sig­keit, oder sa­gen wir, wenn Sie es lie­ber hö­ren, Ihre schein­ba­re Harm­lo­sig­keit wird Ih­nen dort gut zu­stat­ten kom­men. Man wird Sie in den rei­chen Sa­lons eben­so­we­nig ernst neh­men wie im ›Café Hur­ra‹, und es ist für Ihren Er­folg be­son­ders wich­tig, dass die Frau­en Sie nicht ernst neh­men! Die­se wer­den al­les mög­li­che, was sie an­de­ren nicht be­wil­li­gen wür­den, bei Ih­nen für harm­los und un­ge­fähr­lich hal­ten. Sie sind da­für ge­schaf­fen, viel Glück bei den Frau­en zu ha­ben, mein Lie­ber!«