Tasuta

Die beiden Freunde

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

seinem Geschmack und weigerte sich, meine Rechnung zu

bezahlen. Heute nun schreibt er mir daß er seine Ansicht

geändert hat und die Summe von fünfhundert Franken zu

meiner Verfügung hält.«

Sie haben, fuhr mein Principal nach einer kurzen Pause fort, »hin und wieder eine Kleinigkeit außer der Zeit für mich gearbeitet; es war zu unbedeutend, Sie dafür zu bezahlen, aber Recht ist Recht, und ich habe es Ihnen nicht vergessen, wenn ich auch zuweilen ein wenig barsch auftrete, so weiß ich doch, daß Sie ein braver, fleißiger Mensch sind. Da bin ich denn nun auf den Gedanken gekommen, Ihnen einen Beweis meines Vertrauens zu geben. Zwar kann ich mir die fünfhundert Franken von Lüttich schicken lassen, aber besser scheint es mir, Sie machen zu ihrer Erholung und Aufmunterung die Reise dahin. Was meinen Sie dazu.«

»Meine Antwort ist nicht schwer zu errathen.«

»Sehen Sie hier,« unterbrach er die Versicherungen meiner Dankbarkeit, »gegen diese Quittung wird man Ihnen die besagte Summe einhändigen. Von mir erhalten Sie sechzig Franken als Reisekosten und einen Urlaub von acht

Tagen, wenn sie es etwas sparsam einrichten, können

Sie nicht allein die schöne Stadt Lüttich, sondern ihre malerische Umgebung, wie zum Beispiel Chaudfontaine und selbst Verviers kennen lernen. O, für Jemandem der noch keine größere Berglandschaften gesehn hat, ist das Vesdre-Thal von wunderbarer Schönheit. – Hinsichtlich des Ihnen anvertrauten Geldes brauche ich Ihnen wohl keine Vorsicht zu empfehlen, Sie sind ja ein verständiger und besonnener junger Mann. Gehn Sie nun sogleich nach Haus und machen sich reisefertig, wir haben schönes Wetter, das müssen

Sie benutzen, ehe es umschlägt.«

»Noch einmal dankte ich ihm aus Herzensgrund und eilte dann fort, meiner Mutter die frohe Kunde zu überbringen. »Ich sagte ihr, daß ich nur bin und zurück nach Lüttich reisen und so von den sechzig Franken zwanzig bis dreißig sparen würde. Von den acht Tagen Urlaub erübrigte ich dadurch vier, die ich zu meinen Privatarbeiten verwenden könnte. »War es doch des Glücks genug, Lüttich und die Berge zu sehen und noch vierzig Franken wenigstens zu verdienen. So viel schuldeten wir etwa noch dem Bäcker und Metzger und konnten den Betrag nun mit einmal mal decken.«

»Meine Mutter aber wollte nichts davon wissen, sie behauptete, daß wir die edle Absicht meines Principals nicht um unserer Sparsamkeit willen durchkreuzen dürfen, das mir geschenkte Geld müßte ich zu dem Zwecke gebrauchen, den der gütige Geber bestimmt habe. Ich könnte nicht anders, sagte sie, als dankbar die Gelegenheit, das schöne Bergland zu sehen, benutzen, und nach beinah zehnjähriger, ununterbrochener Arbeit sei die Ausspannung von acht Tagen mir wohl zu gönnen. Sie begleitete mich dann zum Postwagen und wenn sie auch Tränen vergoß bei der ersten Trennung von dem geliebten Sohn, so war sie doch eben so glücklich in dem Gedanken an die Genüsse, welche mich erwarteten.« —

»In Lüttich stieg ich in einem sehr bescheidenen Wirtshaus ab und begab mich dann zu dem betreffenden Edelmann, um meine Quittung vorzuzeigen. Die fünfhundert Franken wurden mir in goldenen Napoleons ausbezahlt, ich steckte sie in ein Leinwandsäckchen und verbarg dieses in meiner Brusttasche. Auf der Straße schloß ich letztere mit drei Stecknadeln, die ich zu dem Zwecke extra mitgebracht hatte und begann dann und und unbesorgt meinen Rundgang durch die Stadt, in vollen Zügen die Freude der Gegenwart genießend.«

»Als ich am Ende des Tages in meinen Gasthof zurückkehrte um zu Abend zu essen, traf ich dort einen jungen Herrn ans Antwerpen, welcher durch sein freundliches Entgegenkommen und durch sein heiteres Wesen alsbald meine Zuneigung gewann. Wir plauderten mit einander über die Anmuth der Gegend und die wunderbar schöne Lage der Stadt, bis es Zeit wurde schlafen zu gehn.«

»Der junge Mann war ein Handlungsreisender; wollte am andern Morgen nach Spaa, wo er einige Geschäfte abzuwickeln hatte. Was er mir den diesem Ort und seiner reizenden Umgebung erzählte, weckte meine Neugierde in so hohem Grade, das; wir, bevor wir uns zur Ruhe legten, beschlossen gemeinschaftlich die Reise dahin zu unternehmen. Er wollte seine Angelegenheiten dort möglichst rasch besorgen und dann mit mir gehn und mir alles Sehenswerthe zeigen, da er bereits wiederholt in Spaa gewesen war.«

»In aller Frühe reisten wir ab und erreichten noch vor Mittag den Badeort. Hier beschlossen wir nur einen kleinen Imbiß einzunehmen und die Hauptmahlzeit auf den Abend zu verschieben, um dadurch Zeit für unsere Spaziergänge zu gewinnen. Mein neuer Freund begab sich hierauf in die Stadt, um vorerst seine Geschäfte zu erledigen.«

»Als er mich nach zwei Stunden wieder aufsuchte schien er sehr erfreut zu sein. Er hatte Glück gehabt, sagte er, und für sich selbst über siebzig Franken gewonnen.«

»An einem solchen Tage wollte er nicht sparsam leben,« fügte er hinzu, und schlug mir vor, in einem großen Hotel an der Wirthstafel zu speisen. Vor den Kosten brauche ich nicht zurückzuscheuen, da er Alles von seinem Gewinn bezahle.«

Nach einigem Widerstreben ließ ich mich überreden, der Antwerpner war ein so lebensfroher, liebenswürdiger Gesell, daß man ihm unmöglich Etwas abschlagen konnte.«

»So kamen wir nach einer äußerst angenehmen Wanderung an einen prächtig gedeckten Tisch. Ich wagte vor Verlegenheit kaum die Augen aufzuschlagen in Gegenwart der vornehmen Herren und Damen, welche die Gesellschaft bildeten. Mein Freund dagegen mußte an derartigen Umgang gewohnt zu sein denn er redete was und wie es ihm einfiel und schien nicht im mindesten befangen.«

»Natürlich wurde nichts anderes als Wein getrunken und ich mußte auf Andringen des Antwerpeners einige Gläser mit ihm leeren. Da ich zu Haus nur Wasser oder kalten Kaffee trank, hielt ich dem Wein nicht stand; der Kopf wurde mir heiß, meine Zunge löste sich, schwätzte, lachte, versuchte witzig zu sein und kümmerte mich durchaus nicht mehr um die Anwesenden. Mein Freund bestellte die zweite Flasche, einen rothen erhitzenden Wein, der mir wie Feuer durch die Adern lief . . . «

»Wahrscheinlich Burgunder,« fiel der Doktor ein der mit gespannter Aufmerksamkeit der Erzählung lauschte.

»Ach den Namen dieses höllischen Giftes kenne ich nicht,« seufzte Wilhelm, »ich weiß nur, daß diese zweite Flasche für mich ein Fluch war, der mich unaufhaltsam dem Verbrechen, der Schande entgegen trieb. Als ich auch hiervon einige Gläser getrunken hatte, fühlte ich mich wie verzaubert: ich war groß und stark, stolz und glücklich, Alles um mich her strahlte in verlockendem Glanz, ich lauschte erstaunt dem Klange meiner eignen Stimme, den Ausbrüchen einer bis dahin ungeahnten Beredsamkeit.«

»Aus einer Flasche Burgunder, – wie sie es nennen – wurden zwei; mein Freund aber, dem der Wein weniger anhaben konnte, hinderte mich, mehr als ein paar Gläser zu trinken und behielt den Rest für sich allein . . . Dann folgte ich ihm zu einem Gebäude, aus dem eine rauschende Musik uns entgegen klang.«

»Armer Mensch, Sie waren betrunken,« unterbrach ihn der Doktor. »O, ich sehe Alles kommen, Sie haben sich zum Spiel verführen lassen, dem höllischen Abgrund, in dem so viele auf ewig versinken.«

»Leider ist es so, Herr Doktor.«

»Und haben sie viel verloren?«

»Alles!«

»Großer Gott! Fünfhundert Franken?«

»Und mein Reisegeld.«

»Unseliger! Das Geld Ihres Principals!«

Der junge Mann ließ den Kopf tief auf die Brust sinken und schwieg.

»Aber waren Sie denn wirklich von Sinnen?« rief der Doktor entrüstet.

»Vollständig, und geblendet durch den Wein, der mir zum Gift ward.«

»Vielleicht bat man Sie in diesem Zustande bestohlen?«

»Nein nein, bestohlen nicht; ich allein bin schuldig.«

»Und Ihr Gewissen schwieg? Ihrer Mutter gedachten Sie nicht? Ein Diebstahl war es, den Sie begingen!«

»Ja ja ich weiß es, ein schändliches, gemeines Verbrechen.«

»Sie, bis dahin so ehrlich, so brav! . . . Es ist kaum zu glauben! Wie in aller Welt konnten Sie nur so tief sinken!«

»Wie ein schwerer, düsterer Traum, wie ein unheimlicher Spuk schwebt mir der Abend vor Augen,« antwortete der Jüngling traurig. Ich erinnere mich, dass ich anfangs dem Vorbilde meines Freundes folgend, nur ein de Fünffrankstück setzte, fest entschlossen, nicht mehr zu wagen. Unglücklicherweise gewann ich, ein-, zwei-, dreimal; dann aber verlor ich wieder, durch diese Wechselfälle wurde der Eifer, die Leidenschaft des Spieles in mir geweckt, der Teufel nahm Besitz von meiner Seele. Als ich mein Reisegeld verloren hatte, kämpfte ich lange gegen seine Einflüsterungen. Einer der spielenden Herren versicherte mich, daß man gewiß sei zu gewinnen, wenn man lange auf dieselbe Farbe setzte und den Verlust jedesmal verdoppelte. Einmal müßte ja doch diese Farbe kommen, behauptete er, und man bekäme dann mit einem Schlage all’ sein Geld zurück.«

»Von blinder Spielwuth erfaßt, zog ich die Stecknadeln aus meiner Brusttasche und setzte einen Napoleon . . . dann fuhr ich zu spielen fort, bis das Leinwandsäckchen völlig geleert war. Mit einem Fluch warf ich es auf die Erde und stampfte mit meinen Füßen darauf.«

»Mein Freunde welcher gleichfalls aber nicht viel als ich verloren hatte, führte mich in unser Wirtshaus zurück und versuchte sein Bestes, mich zu trösten. Ich solle den Muth nicht sinken lassen,« sagte er, die Rechnung des Wirths würde er bezahlen, er habe noch Geld und wolle am morgen von Neuem spielen. Er wisse jetzt, wie man die Sache anfassen müsse und er wurde ganz gewiss gewinnen; ohne Zweifel könne er mir dann die verlorenen fünfhundert Franken wiederverschaffen.«

»Mir schwindelte der Kopf; die Luft, die Aufregung ihn vermehrte noch meine Betrunkenheit. Den Worten meines Gefährten trauend ging ich ohne großen Kummer zu Bette und schlief wie ein Thier bis die Sonne schon hoch am Himmel stand und der Antwerpener mich wach rüttelte.

 

»Ich hatte heftige Kopfschmerzen und konnte die Tageshelle nicht ertragen. Mein Gehirn brannte wie Feuer.«

»Sobald ich durch die Aufklärungen meines Freundes zum vollen Bewußtsein meines Verbrechens gekommen war, brach ich in Thränen aus, und wünschte zu sterben, um im Grabe von dem Wurm befreit zu werden, der an meinem Gewissen nagte.

»Auch der Antwerpener war heute trübe gestimmt und bereute unsern Fehltritt. Er verwünschte gleich mir den Wein und das Spiel, vergaß jedoch angesichts meiner Verzweiflung seine eignen Verluste. Vergebens versuchte er, mich zu trösten; was vermochten Worte, der furchtbaren Wirklichkeit gegenüber?!

»Ich war inzwischen aufgestanden und legte in fieberhafter Hast meine Kleider an. Meinen Gefährten ängstigten meine verworrenen, nichts gutes verheißenden Worte. Ich wollte entfliehn, rief ich, weit, weit fort in die Einsamkeit und da Rache an mir selbst nehmen für meine Schändlichkeit. Er hielt mich zurück, suchte durch Bitten und Tröstungen mich zu beruhigen und drohte endlich Gewalt anwenden zu wollen, um mich zu hindern, mir ein Leid zu thun. Wenn ich mich weigere ihm Gehör zu schenken, so würde er die Wirthsleute, schlimmsten Falls sogar die Polizei zu Hilfe rufen.

»Das hätte gerade noch gefehlt! Es wäre auf diese Weise öffentlich bekannt geworden, das; ich, Wilhelm Hoofs, ich der einzige Sohn einer Wittwe meinem Prinzipal zu Brüssel fünfhundert Franken unterschlagen und am Spieltisch zu Spaa vergeudet hatte.

»Der Gedanke schlug mich völlig nieder. Ein Thränenstrom brach aus meinen Augen hervor, wie vernichtet sank ich auf einen Stuhl und versprach meinem Gefährten gleich einem Sclaven zu gehorchen. Verzweiflung umfing mich, ich hörte kaum noch was Jener sprach.«

»Der Antwerpener mußte nach Lüttich und von da nach Dinant zurück; er wollte mich bis Namen mitnehmen und die Post für mich bezahlen, wiewohl ein solches Opfer unter den obwaltenden Umständen keine Kleinigkeit für ihn war. Von Namen sollte ich dann zu Fuß nach Brüssel zurückkehren.

»Widerstand wagte ich nicht zu bieten; die Vorstellung, mein Verbrechen könnte bekannt werden, machte mich lenksam wie ein Kind. Schweigend folgte ich ihm, wohin er mich führte.

»Es war Nacht, als wir uns der Stadt Namen näherten. Da mein Gefährte nicht mehr Geld genug übrig hatte, mich in einem Wirtshaus frei zu halten, so rieth er mir, vor dem Thore auszusteigen und während der Nacht meinen Weg nach Brüssel fortzusetzen; gegen Morgen könnte ich bereits zu Wavre sein.

»Ich that wie er sagte und befand mich im nächsten Augenblick ganz allein auf dem einsamen, finsteren Wege, inmitten einer furchtbaren Stille.

»Wohl eine halbe Stunde blieb ich mit über der Brust gekreuzten Armen bewegungslos stehn; konnte ich doch jetzt ungestört meinen Fehltritt und seine unausbleiblichen Folgen erwägen. Dies düstere Träumen brachte mich fast von Sinnen. Ich lief hastig eine kleine Strecke Wegs zurück und erreichte die Maas.«

»Das Auge auf den rauschenden Strom gerichtet kniete ich auf dem Boden nieder und flehte zu Gott um Vergebung für das neue Verbrechen, das ich zu begehen im Begriff stand. Dann sprang ich auf und rannte mit einem entsetzlichen Angstschrei auf das Wasser zu, um mit einem Satze, vor den Menschen wenigstens, Schuld und Schande in den Wellen zu begraben.«

»Ach da schwebte das Bild meiner Mutter vor mir, wie sie mir flehend die Hände entgegenstreckte. Ich sah ihre Thränen fließen hörte ihre sanfte, liebe Stimme und doch wollte ich an ihr vorüber und näherte mich noch um einige Schritte dem Bette des Flusses. Aber aus seinen Fluthen glaubte ich meinen seligen Vater emportauchen zu sehn, wie er mit flammenden Augen, die Hand drohend erhoben, da s mich zurückwies. Ich bebte an allen Gliedern, ein unaussprechliches Entsetzen bemächtigte sich meiner und ich floh quer durch dass Feld, ohne zu wissen wohin.

»Als ob meine Füße mehr Besinnung bewahrt hätten als mein Gehirn, trugen sie mich auf die Landstraße nach Brüssel. Ich lief unaufhaltsam die ganze Nacht hindurch; als der Morgen tagte, suchte ich den Schutz der Wälder auf, um mich vor den Menschen zu verbergen.«

»Endlich gelangte ich im Tercameren-Busch zu einer dunklen, dichtbewachsenen Stelle, unweit Boitsfort. Meine Füße waren blutunterlaufen, die Kniee brachen unter mir zusammen, der Athem stockte; ich war am Ende meiner Kräfte und fiel besinnungslos in das Gras.

»Wie lange ich ohnmächtig da gelegen habe weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam, fragte ich mich: was nun beginnen? Nach Brüssel gehn? Warum? Um meinem Prinzipal zu sagen, daß ich die fünfhundert Franken am Spieltische verloren hatte? Was dann mein Schicksal war sah ich klar voraus; der heftige im Punkte der Ehrlichkeit unerbittliche Mann würde mich sofort als Dieb verhaften lassen . . . und meine Mutter! Wenn ich ins Gefängniß mußte, wenn Gottes strafende Hand mich vernichtete, ich hatte es verdient, aber sie die Schuldlose, Reine! Ach das Herz wollte mir brechen bei dem Gedanken und meine Thränen benetzten das Gras . . . Nach, kniete Brüssel gehen! Nicht einmal den Wald wagte ich zu verlassen, aus Furcht einem Menschen zu begegnen. Stand nicht auf meinem bleichen, entstellten Gesichte das Verbrechen deutlich zu lesen?

»Zwischen Lüttich und Namen hatte ich auf das Geheiß des Antwerpners zum letzten Mal ein wenig Nahrung zu mir genommen, seither aber zwei Nächte und einen Tag hindurch nichts gegessen als Kräuter, Gras und Rinde von jungen Bäumen. Erschöpft von Hunger, Thränen und Verzweiflung verfiel ich in ein heftiges Fieber. Welche Phantasien mich in demselben beschäftigten, weiß Gott, aber ich lief jubelnd durch die Finsternis; nach Elsene bis vor das Haus meiner Mutter. Da trat plötzlich wie Blitzstrahl das Bewußtsein meines wahren Zustandes mir vor die Seele; schaudernd sah ich meine Mutter in friedlichem Schlummer liegen, ein Lächeln schwebte um ihre Lippen, sie träumte wohl von dem Sohn, der in Genüssen schwelgte im schönen Gebirgslande; – und ich sollte sie wecken, um ihr zu sagen: dieser Sohn hat gestohlen, fremdes Geld durchgebracht; der Name seines ehenhaften Vaters ist auf ewig mit Schmach bedeckt.!

»Ein Angstschrei entrang sich meiner Brust; ich verfluchte mich selbst und floh wie ein wildes Thier wieder in den Wald zurück.

»Unaufhörlich rief eine innere Stimme mir zu: Stirb, du Feigling aber rette Deine unschuldige Mutter!

»Diese Stimme war es auch, die mir das Messer in die Hand gab und mich Ihnen in den Weg stellte. Spiegelte der böse Feind mir vor, das; ich durch Raub und Mord fünfhundert Franken erwerben und unerkannt bleiben könnte? Ich weiß es nicht, ich war blind, krank, wahnsinnig.

»Das übrige wissen Sie, Herr Doktor . . . Jetzt bin ich nun zu Ihnen gekommen, um den Wunsch des Lebensretters meiner Mutter zu vollziehen. Morgen früh geht mein Urlaub zu Ende, ich muß dann wieder auf dem dem Büreau sein.«

»Und Sie werden hingeben? fragte der Doktor verwundert.

»Nein, ganz gewiß nicht.«

»Was haben Sie denn vor?«

»Todte bringt man nicht in’s Gefängniß,« versetzte der junge Mann entschlossen, »das Urtheil des Richters trifft keine Leiche. Meine Mutter mag den Verlust ihres Sohnes beweinen, um seine Ehre soll sie nicht trauern.«

»Sie sind noch immer von Sinnen,« sagte Christians mitleidig, »fassen Sie Muth und bannen Sie die Verzweiflung, es gibt vielleicht noch Mittel und Wege, Ihnen zu helfen. Wie wenn ich mit Ihrem Prinzipal redete?«

»Das würde zu nichts führen, Herr Doktor, bei dem ersten Wort würde er aufspringen und meine Schande laut auf dem Comtoir, wenn nicht gar auf öffentlicher Straße bekannt machen. Er kann seinen Zorn nicht beherrschen und kennt unredlichen Handlungen gegenüber, keine Nachsicht kein Erbarmen . . . Verzeihen Sie einem Unglücklichen, was er gegen Sie gefrevelt hat, und überlassen Sie ihn seinem traurigen aber wohlverdienten Schicksal.«

Christians blickte nachdenkend zu Boden.

»Sie sind also hierhergekommen, ohne sich Hilfe zu versprechen?« fragte er.

»Fünfhundert Franken!« seufste Wilhelm, »wie sollten Sie einem Unbekannten eine Summe solche anvertrauen?«

»Freilich, es ist keine Kleinigkeit,« murmelte der Doktor, »wie in aller Welt konnten Sie auch solche Streiche machen! »Nein, nein, fünfhundert Franken kann ich Ihnen nicht geben.«

»Das finde ich begreiflich, Herr Doktor.«

»Aber wenn ich sie Ihnen nun lieh?«

»Das wollten Sie thun? Das wäre möglich?« rief Wilhelm, und ein Strahl freudiger Hoffnung leuchtete aus seinen Augen. »Fünfhundert Franken! O mein Gott!«

»Lassen Sie einmal sehn . . . Sie übergeben Ihrem . . . das Prinzipal das Geld, ohne von Ihrem Unglück etwas zu verrathen. Ihre Mutter weiß von nichts, und schließt Sie freudig in die Arme. Ihre Ehre ist gerettet, und eingedenk Ihrer Schuld und der daraus entstehenden Folgen verlassen Sie nie wieder den Pfad der Tugend. Sie sorgen wie früher für ihre Mutter und bewahren nicht Ihren Namen allein, sondern auch Ihr Gewissen unbefleckt. Nicht wahr, Sie wollen ein braver, ehrlicher Mann sein und bleiben?«

»O Herr Doktor!« rief der Jüngling mit überströmenden Augen, »einst retteten Sie meiner Mutter das Leben, heute thun Sie mehr, Sie bewahren uns vor Tod, Sie nehmen den schweren, furchtbaren Fluch von meiner armen Seele!«

Christians ging an sein Schreibpult und nahm eine Rolle Goldstücke heraus, die er vor sich auf den Tisch legte.

»Hier sind sie, die fünfhundert Franken, die ich Ihnen leihen will,« sagte er.

Jetzt vermochte Wilhelm erst an sein Glück zu glauben, mit einem Freudenschrei sank er seinem Wohlthäter zu Füßen.

Dieser suchte sich den leidenschaftlichen Aeußerungen des Dankes zu entziehn, der junge Mann aber ließ ihn nicht los, er umfaßte seine Kniee und benetzte seine Füße mit Thränen.

Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, hieß Christians ihn aufstehn.

»Sobald Sie können werden Sie mir die fünf hundert Franken zurückzahlen . . . « begann er dann doch Wilhelm ließ ihn nicht ausreden.

»Jeden Monat bringe ich ihnen etwas,« rief er »wir wollen arbeiten wie die Sclaven, uns das Brod vom Munde sparen um . . . «

»Nein, nein, das nicht . . . Keine Widerrede, Sie müssen gehorchen . . . Während der ersten zwei Jahre leben Sie einfach und sparsam, ohne Ihrer Mutter und sich Nothwendiges zu entziehn, und legen auf die Seite, was Sie erübrigen können. Merken Sie sich das heutige Datum, ich werde es mir gleichfalls aufzeichnen. Heute über zwei Jahre kommen Sie wieder zu mir und bringen was Sie gespaart haben, und ist die Summe nicht voll so sehen wir weiter. – Gehn Sie jetzt und setzen Sie mit neuem Muthe Ihre Laufbahn fort. Ihr Herz ist im Grunde noch gut, die Liebe zu Ihrer Mutter gibt ihm einen kräftigen Halt. Bleiben Sie ehrlich und thun Sie Ihre Pflicht, so können Sie meine volle Achtung erwerben.«