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König Oriand

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König Oriand
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

I

In alten ritterlichen Zeiten herrschte über die Länder zwischen der Schelde und der See ein mächtiger und tapferer König. Er hielt seinen Hof in einem prächtigen Palast, Sonnenburg genannt und an der östlichen Seite von Harlebeka liegend, das damals eine große und starke Stadt war.

Als er einst im Walde-ohne-Gnade1 auf der Jagd war, wurde er von einem Eber angefallen und starb an der Wunde.

Bei seinem Tode empfahl er seinen zwölfjährigen Sohn Oriand der liebreichen Pflege seiner Gemahlin Mattabruna, die als Vormünderin das Land bis zu seiner Volljährigkeit regieren sollte.

Der junge Oriand wuchs schnell heran und ward in wenigen Jahren sehr groß und von ungemein starkem Gliederbau. Kanne konnte sein Arm Spieß und Schwerdt tragen, so lief er vom Morgen bis zur Nacht in den Gebüschen umher, um wilde Thiere aufzusuchen, zu bekämpfen und zu tödten. Weder Regen, noch Sturm, noch Schnee konnte ihn zurückhalten. Alles was nicht auf die Uebung der Leibeskräfte hinzielte, flößte ihm Abscheu ein; er wollte von nichts hören, als von Jagd, von Waffenhändeln und vorn Krieg.

Suchte zuweilen ein alter, treuer Diener seines Vaters ihm begreiflich zu machen, daß er noch andere Dinge zu lernen brauchte, um als ein guter und weiser König sein Land regieren zu können, so wies Oriand diesen Rath mit Unwillen und Geringschätzung von sich.

Mattabruna, die ein herrschsüchtiges Weib war, hatte schon früh berechnet, daß ihr Sohn, wenn er so allen Staatsangelegenheiten fern bliebe, ungeeignet sein würde, wirklich zu herrschen und sie folglich in seinem Namen das Scepter tragen würde. Sie schmeichelte daher dem jungen Fürsten in seinen Neigungen, bewunderte zum Schein seine Leibesstärke und lobte himmelhoch seine energische Natur, als etwas, das von seiner königlichen Abkunft zeugte.

Um ihn noch mehr darin zu bestärken, stellte sie einen gewissen Ritter Markus an seine Seite, der ihr von ganzem Herzen ergeben war. Diesem vertraute sie ihre geheime Hoffnung und Versprach ihm die höchsten Aemter wenn er ihr zum Erreichen ihres Ziele beistände. Dazu brauchte er nicht anderes zu thun als den König zu begleiten, ihm immer zu schmeicheln und ihm Abneigung gegen alle friedliche Beschäftigung einzuflößen.

Solch wüsten und materielles Leben machte Oriand roh und leidenschaftlich; ja, seine Gemüthsart wurde allmählich so wild, daß er bei dem geringsten Widerstreben in ungestümen Zorn ausbrach, und jeder dann vor dem flammenden Blick seiner Augen erschrocken zurückweichen mußte.

Mattabruna allein behielt einen großen Einfluß auf ihn und vermochte es, ihn zu besänftigen, wenn etwas seine Wirth entzündet hatte.

Es ging so, wie die ehrgeizige Frau es gehofft hatte. Als Oriand mündig geworden war, ließ er sich krönen; doch ersuchte er seine Mutter, die Regierung des Landes in der Hand zu behalten, um ihm Sorgen zu ersparen, welche er nicht auf sich nehmen konnte und wollte, um so mehr, da der Kaiser, dessen Lehnsmann er war, ihn zur Hilfe gerufen hatte, und er mit den meisten seiner Ritter und Gewaffneten nach Deutschland in den Krieg ziehen sollte.

Mattabruna blieb so ganz Herrin. Nur eine Furcht beunruhigte sie; Oriand hatte setzt die Mannesjahre erreicht; Wenn einmal ein Weib ihn bezauberte und er eine Gemahlin auf den Thron setzte? Würde diese ihr nicht den Einfluß auf das Gemüth ihres Sohnes entziehen, und damit die Herrschaft über das Land?

Wohl hatte Mattabruna seit langem in Bezug darauf Vorsorge getroffen, indem sie ihrem Sohne Abneigung gegen alle Frauenspersonen einflößte; und sie meinte, es sei ihr damit hinlänglich geglückt, um hoffen zu dürfen, daß das rauhe Gemüth Oriand’s für das zarte Gefühl der Liebe verschlossen bleiben dürfte; . . . aber wer konnte es dennoch wissen?

Obschon sie seit Wochen keine Nachricht von dem König erhalten hatte, zweifelte sie nicht, daß Alles im Heer gut gehen müßte; denn sie wußte, daß Markus, der sich bei dem Könige befand, ihr einen seiner treuesten Diener – einen gewissen Savary – als geheimen Boten zusenden würde, sobald sich etwas ereignete, das ihre Entwürfe durchkreuzen konnte.

Sie war darüber noch in ihrem Zimmer am Nachdenken, als sie, beim Hören einer bekannten Stimme, mit großer Ueberraschung sich umdrehte und den Ritter Markus selbst vor ihren Augen stehen sah.

»O, Gott Lob, der Euch wieder zu mir führt, mein lieber Markus! rief sie. Welche Botschaft?«

»Gute Botschaft, Fürstin, antwortete er, der König kommt. Ich habe ihn nicht weit von hier verlassen, um Euch von seiner Rückkehr Meldung zu thun.«

»Was bedeutet aber solche Handlungsweise, Herr Ritter? Warum sandtet ihr mir Euren Boten nicht früher, um mir zu gestatten, dem Könige einen feierlichen Empfang zu bereiten?«

»Er hat es streng verboten, Fürstin. Er wünscht, daß man seine Rückkehr erst in einigen Tagen feiere.«

»Sonderbarer Wunsch, Markus!«

»Ja, Fürstin, der König träumt von nichts, als von Jagd. Einige Tage vor seiner Abreise nach Deutschland hat er in dem Walde ohne Gnade einen riesigen Bären verfolgt, der ihm entlaufen ist. Nun will er sofort, von morgen früh an, die Verfolgung wieder aufnehmen.«

»Sei es so; aber was uns betrifft, Markus, steht Alles gut?

»Alles vortrefflich, Fürstin. Ich habe sogar die Ueberzeugung erlangt, daß wir den verlockenden Blick der Frauen nicht mehr zu fürchten haben; der König hat kein Herz mehr für die Liebe.

»Gab er Euch Beweise davon? fragte Mattabruna mit einem Lächeln fröhlicher Hoffnung.

»Seid als Mutter glücklich und stolz, Fürstin,« sagte Markus. »Unser König Oriand hat so viele Heldenthaten vollbracht und den Feind so reichlich niedergemäht, daß der Kaiser ihn als ein Wunder der Kraft und der Unverzagtheit rühmte. Dank seiner unwiderstehlichen Verwegenheit war der Krieg schnell abgemacht. Wir zogen triumphierend nach Augsburg, wo prächtige Ritterspiele und Kämpfe angestellt wurden. Oriand, dessen Ruhm sich bereits rings umher verbreitet hatte, erlangte den Preis in allen Kämpfen, und wurde sechsmal durch die edelsten Jungfrauen Deutschlands gekrönt. Ihr hättet sehen sollen, Fürstin, wie Alle einen Blick von ihm zu erflehen schienen – denn der König ist ach! ein schöner Mann! – ja, selbst des Kaisers jüngste Tochter, die bezaubernde Aleidis, suchte mehr als andere seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Ich erschrak, denn die Liebe sprach aus ihren funkelnden Augen . . . «

»Ihr macht mich beben, Markus!« flüsterte Mattabruna.

»Tiefer noch würde Eure Angst gewesen sein, Fürstin, wenn Ihr wie ich hättet hören müssen, wie der Kaiser selbst in ziemlich unverhüllter Weise unserm König die Hand seiner Tochter anbot.«

»– Und Er?«

Er versicherte mit Worten den Abscheu vor allen Frauen, daß er nie die Bande der Ehe annehmen würde. Die Edelfrauen, erbittert über seine Gefühllosigkeit, nannten ihn den wilden König.

»Gott Dank! Dieser schwere Stein fällt mir vom Herzen!« jauchzte Mattabruna.

»Ihr begreift, Fürstin, daß ich das Meine dazu beigetragen habe, den König vor aller Verführung zu beschützen, indem ich ihm von Freiheit sprach, von männlichen Trotz, und von wilden Jagden; indem ich ihm begreiflich machte, daß er, einmal Sclave einer Ehegattin geworden, würde Lebewohl sagen müssen dem unabhängigen und zufriedenen Leben.«

»Guter, treuer Freund, sagte Mattabruna, seid sicher, ich werde nicht undankbar sein. Die Burg nun Wolweghem ist ein schönes Besitzthum, nicht wahr? Ich werde meinen Sahn antreiben, sie Euch zu schenken.«

Markus verbeugte sich und küßte die Hand seiner Gönnerin mit tiefer Empfindung. Er gedachte durch Worte seine Dankbarkeit zu bezeugen, doch Trompetenstöße, die aus der Ferne erschalltem überraschten ihn.

»Der König nahet!« sagte er.

»Eilen wir ihm entgegen!« rief Mattabruna.

Als Beide das Thor des Palastes erreichten, erschien Oriand gerade auf dem Vorhof an der Spitze seiner Ritter und Waffenknechte, die in der Stille herangeschritten kamen und nicht zu jubeln wagten, aus Furcht, es möchte dem König mißfallen.

Mattabruna eilte zu ihrem Sohne, und als er von, seinem Pferde gestiegen war, flog sie ihm an den Hals. Er drückte sie zärtlich in seine Arme, denn seine Mutter ehrte und liebte er.

Dann naheten seine Hofbeamten und vornehmen Diener, um ihren Fürsten und Herrn zu bewillkommnen.

Oriand horchte eine kurze Weile auf ihre Glückwünsche, er wurde aber schnell ungeduldig und wies sie mit, kühlen Worten zurück.

Er hatte Durst nach einem Vergnügen, das er so lange hatte entbehren müssen. Nichts ging ihm im Kopf herum, als seine große Jagd morgen.

Weil seine Ritter und Waffenknechte ermüdet sein mußten, gebot er, daß sie diese Nacht im Palaste und um denselben ausruhen sollten. Man sollte sie mit leckeren Speisen und gutem Weine bewirthen, und nichts sparen, um sie recht herrlich zu pflegen.

Was ihn selbst betraf, so beschäftigte er sich unverweilt mit Dingen, die ihm so nahe am Herzen lagen. Er ließ alle seine Jagdbedienten; die Förster, die Hornbläser, die Hundeführer, die Buschklopfer, die Wildträger zu sich rufen und theilte ihnen seine Befehle aus, um morgen mit Tagesanbruch zur Abreise nach dem Walde ohne Gnade bereit zu stehen.

 

Als einer der Förster ihm sagte, daß der furchtbare Bär noch in voriger Woche, die Ziege eines armen Holzhauers geraubt hätte, wurde die Leidenschaft des Königs dermaßen erhitzt, daß er einen Augenblick Willens war, sofort das Unthier aufzusuchen; aber dem Rath seiner Mutter Gehör gebend, beschloß er seine Ungeduld bis auf morgen zu bezwingen.

Er ertheilte hierauf einem jeden Urlaub, um den Willkommen-Wein mit seinen Freunden zu trinken; und gedachte selbst mit seiner Mutter in den Palast zu treten, als fünf oder sechs Ritter auf den Vorhof gesprengt kamen und bereits aus der Ferne den Hilferuf: »Harop! Harop!« hören ließen.

Der König blieb verwundert stehen. Diese Ritter schienen in großer Noth; denn ihre theilweise zerbrochene Waffenrüstung war mit Koth oder Blut beschmutzt, und die Pferde, worauf sie saßen, dampften von Schweiß und waren weiß von Schaum.

Einige Schritte vor dem König sprangen Alle herab, kamen mit gebeugten Häuptern näher, ließen sich auf ihre Kniee nieder und riefen mit erhobenen Händen:

»Hilfe, Hilfe, erbarmet Euch unser, mächtiger Fürst! Wir sind Eure treuen Vasallen, rächet das gräuliche Unrecht, das uns angethan wird durch einen Feind, der es wagt Euch zu verachten . . . «

Durch diese letzten Worte erbittert, gebot der König sehr barsch:

»Steht auf! Wer seid Ihr, Vermessene, die Ihr nicht fürchtet meine Wuth zu entflammen?«

Ein sehr alter Ritter mit weißen Haaren antwortete ihm:

»Euch sei alle Ehre und Ruhm, Herr König. Ihr kennt Euren demüthigen Diener, ich bin der Haushofmeister Eurer Pathin, der Frau Wittwe van Halkiyn.«

»Wirklich! Und für sie ruft ihr meine Hilfe an?«

»Für sie, mächtiger Herr!«

»Nun, sprecht, was ist ihr widerfahren?«

»Ihr wißt, Herr König, begann der Greis unter Thränenströmen, daß mein Gebieter, der Herr van Halkiyn, im Dienste- Eures Vaters sein Leben ließ. Seine Wittwe hat seit diesem Unglück sehr einsam und wie eingeschlossen gelebt, alle ihre Sorgen der christlichen und standesgemäßen Erziehung ihres einzigen Kindes widmend. Dieses Kind ist eine tugendsame Jungfrau geworden und weil sie eine reiche Erbin sein wird und Gott ihr in reichem Maaße Anmuth schenkte, so haben bereits viele Ritter nach ihrer Hand getrachtet; aber sie will ihre Mutter nicht verlassen . . . «

»Was seid Ihr langweilig!« murrte der Fürst.

»Entschuldigt mich, Herr König,« stammelte der Greis erschrocken, »ich bin schon hochbetagt . . . «

Wohlan, macht’s kurz!«

»Ja, Herr, so kurz wie möglich! Ein Ritter ist da, der meine Gebieterin, Eure unglückliche Pathin, mit Gewalt zwingen wollte, ihm die Hand ihrer Tochter abzutreten; aber die Anhänglichkeit aller ihrer Unterthanen, die Tag und Nacht gewaffnet blieben, um sie zu vertheidigen, hinderte ihn daran. Da hat er nun seine Zuflucht zu der Verläumdung genommen und ausgestreut, daß die Frau van Halkiyn eine Zauberin sei.«

»Ha, ha, meine Pathin, die gute Frau van Halkiyn, eine Zauberin! lachte der Fürst. Welche Dummheit!

»Aber, Herr König, das abgesonderte Leben meiner Gebieterin hat den häßlichen Beschuldigungen einigen Schein von Wahrheit verliehen und das Volk hat diese Dummheit geglaubt.

»Und weiter, weiter; beeilt Euch!

»Und weiter, Herr König? Als der böse Ritter meinte, daß meine Gebieterin hinlänglich von ihren verführten Unterthanen gehaßt würde und wenig auf ihre Hälse zählen könnte, ist er zu Felde gezogen, um die Burg van Halkiyn zu bestürmen, die vermeintliche Zauberin, wie er sagte, lebendig verbrennen zu lassen und ihre Tochter über die Schelde nach Celles zu führen.

»Was? Dieser Räuber ist Walram van Celles?

»Ja, Herr, er belagert jetzt die Burg van Halkiyn, worin nur noch sechzig treue Ritter und Waffenknechte; ihr Blut hingeben wollen zur Vertheidigung von zwei unschuldigen Edelfrauen. Sicher wohl werden sie es nicht lange gegen die Uebermacht des Feindes aushalten können. Ihr allein, Herr König, könnt sie noch retten, die Frau, welche die Ehre hatte, Euch als Kind über den Taufbrunnen zu halten und die nun aus der Ferne die Hände um Hilfe nach Euch ausstreckt.

»So, so, murrte der König mit hohler Stimme. Walram wagt auf meinem Grundgebiet, eine meiner Vasallen, meine Pathin sogar, in ihrer Burg zu bestürmen! Er fürchtet also weder meine Macht noch meine Wuth?

»Wir haben in unserer Noth Euren Namen angerufen, Herr Fürst; aber er, der auf den Beistand des Grafen van Hennegau hofft, hat Eurer gespottet.

»Der Unverschämte, er soll sterben!

»Ja, aber Herr, erbarmet Euch ihrer; sie schweben in Lebensgefahr; morgen ist es vielleicht zu spät! flehte der Greis.

»Wer spricht Euch von morgen? murmelte der König. Geht alle schnell in die Küche; eßt und trinkt und macht Euch bereit, mir zu folgen! Und sich nach dem Palaste wendend, rief er mit einer Riesenstimme, die über den großen Vorhof schallte: Erhebt Euch, stimmt an die Trompeten! . . . Man blase alle zu den Waffen und auf’s Pferd!

Weil, ungeachtet der größten Eile, die Sache nicht schnell genug nach seinem Wunsche ging, polterte er zornige Worte heraus und stampfte mit den Füßen.

Die Ritter und Waffenknechte, dieses von Ferne sehend, kamen in aller Eile herzugelaufen und ordneten sich unter ihre Obersten, jeder in seiner Schaar.

Nachdem der König seine Mutter umarmt hatte, sprang er zu Pferde, schwenkte seinen Degen in der Luft und rief seinen Mannen zu:

»Männer von Scheldegau, Leyegau und Isergau! Vermessene Feinde verletzten unser Grundgebiet; sie verspotten Euren König; wir gehen, sie bis auf den letzten Mann zu zermalmen. Hoch die Herzen! Vorwärts! Vorwärts!

Und unter dem Schall der Trompeten, dem Wiehern der Rosse, und dem Jauchzen der kriegslustigen Schaaren zog das Heer aus dem Vorhof und verschwand bald nach Osten zu hinter den Bäumen des nächsten Waldes.

II

Schon seit acht Tagen war König Oriand mit seinem Heer nach den Grenzen von Hennegau gezogen, und noch hatte Mattabruna keine Nachricht von ihm erhalten.

Dieß wunderte sie wohl ein wenig, betrübte sie jedoch nicht; denn so lange ihr Sohn wegblieb, herrschte sie ganz allein und verfügte nach Willkür über die Regierungs-Angelegenheiten des Landes. Ihr wurden die schwersten Rechtssachen vorgelegt, an sie wurden die Bitten der Unterthanen gerichtet; ihr wurde in Allem königliche Ehre erwiesen. Das genügte für ihr kaltes und herrschsüchtiges Herz; das Uebrige war ihr im Grunde gleichgültig.

Diesen Morgen jedoch – wahrscheinlich durch ein Gefühl von Neugier getrieben – sandte sie einen Boten zu Pferd nach dem Heer mit einem Briefe für ihren Sohn.

Dann begab sie sich nach dem großen Audienzsaal, wo zu dieser Stunde viele Ritter, Bürger und Dorfbewohner ihre Ankunft erwarteten, um ihre Bitten oder Klagen an sie zu richten.

Mattabruna bestieg den Königlichen Thron und ließ abwechselnd die Kläger oder Bittsteller vor sich niederknieen, einen jeden mit einer Gnadenbezeugung, oder mit einer Weigerung, mit einem Worte der Hoffnung oder mit einer Verurtheilung entlassend.

Sie hatte bereits eine ganze Stunde lang so ihre unwiderruflichen Urtheile ausgesprochen, als ein Gewaffneter in den Audienzsaal trat und dem Throne nahend, das Kniee vor ihr bog.

»Ha, du bist Savary, der Jäger des Markus, nicht wahr?« fragte sie.

»Und Euer unterthänigster Knecht, Fürstin. Ich komme vom Heer und bin durch meinen Herrn Markus zu Euch gesandt,« antwortete der Jäger.

»Wohlan, was für Botschaft bringst du mir?«

»Unser König hat alle seine Feinde zerschmettert; keiner blieb übrig, aber . . . aber . . . «

»Sprich denn! gebot Mattabruna mit Ungeduld. Dieser Sieg scheint dich zu betrüben?«

»Weil, Fürstin, stammelte Savary, mein Herr mir Dinge anvertraute, die . . . «

Und er hob bedenklich die Schultern in die Höhe die Augen nach den Umstehenden gerichtet.

»Wachen!« rief Mattabruna, »laßt den Saal räumen! Das Verhör soll morgen fortgesetzt werden.«

Von dem Thron steigend, flüsterte sie dem Jäger in’s Ohr:

»Ich verstehe, du hast eine geheime Botschaft; folge mir.«

Sie führte Savary in ein Zimmer, schloß die Thüre zu und sagte:

»Nun darfst du frei und ohne Furcht sprechen . . . Du zögerst? Es ist also wohl schrecklich? Ist dem König ein Unglück widerfahren?«

Der Jäger nickte bestätigend.

»Welches Unglück denn?« schrie Mattabruna, über das Zaudern des Boten erbittert.

Dieser holte einen verschlossenen Brief aus seiner Tasche und überreichte ihn Mattabruna, die das Pergament auf den Tisch legte.

»Eine Botschaft von meinem Sohne?« sagte sie. »Ich werde sie mir sogleich vorlesen lassen. Du weißt, was sie enthält? Sag es mir.«

»Fürstin, der König ist verheirathet . . . «

»Verheirathet? Der König verheirathet?« wiederholte Mattabruna, bleich vor ängstlicher Ueberraschung und einen Schritt zurückweichend. »Treibst du Spott mit mir, Unseliger? Mein Sohn vermählt?«

»Vor Gott und mit des Priesters Segen, Fürstin.«

Mattabruna sank nieder auf einen Stuhl und bebte sichtbar vor Schreck und Wuth zugleich; aber der mitleidige Blick Savarh's brachte sie zum Bewußtsein ihres Zustandes. Er war nur ein Diener ihres Dieners, und wahrscheinlich selbst nicht freigeboren. Sie durfte ihn nicht in ihrem Herzen lesen lassen; denn sie kannte ihn nicht genug, um seiner Treue und seiner Verschwiegenheit sicher zu sein.

Durch eine äußerste Gewalt über sich selbst bezwang sie ihre Bestürzung und sagte scheinbar gelassen:

»Der König ist zu den Jahren gelangt, wo man eine Frau nehmen muß. Was mich betrübt hat, ist das Unerwartete der Nachricht; denn wenn mein Sohn eine edelgeborene Gemahlin erkoren hat, werden wir sie mit Ehren empfangen und wie eine Tochter lieben . . . Du lachst? Bist du deines Lebens müde, unverschämter Knecht?«

»Ich sollte lachen, Fürstin? Wäre ich solcher Unehrbietigkeit schuldig, ich durchbohrte mich selbst zur Strafe!«

»Es sei so; gleichwohl glaubte ich ein Lächeln auf deinen Lippen überrascht zu haben . . . Und wer ist denn ist die glückliche Braut meines Sohnes?

»Sie heißt Beatrix van Halkiyn.«

»Beatrix van Halkiyn! murrte Mattabruna. Die Tochter einer Zauberin, die mit Lucifer . . . «

»O, das war ein abscheuliche Lüge, Fürstin!« rief Savary mit Entrüstung.

Mattabruna griff ihn krampfhaft bei der Hand und fragte ihn zähneknirschend:

»Eine Lüge, Dummkopf? Eine Lüge? Wie kannst du es wissen?«

»Ich weiß es nicht, edle Fürstin, stammelte der Jäger zitternd. Wenn Ihr es für wahr haltet, dann wird es wahr sein und ich glaube nun auch, daß es wahr ist; aber ich bitte euch, meine Botschaft ist vollbracht, gewährt mir die Erlaubniß, nach Hause zu gehen.«

»Und dein Gebieter Markus gab dir keine fernere Botschaft? Du hast mir nichts mehr zu sagen?«

»Nichts mehr, Fürstin.«

»Das ist nun eine Lüge; du bist es, der lügt!« schnaubte Mattabruna ihn an. »Sprich, entledige dich vollständig deines Auftrags, oder du verwirkst dein Lebens!«

Aber der Mann war dermaßen durch Schreck bestürzt, daß er sich vergeblich anstrengte, deutliche Worte zu äußern.

Mattabruna trat zu einem Kästchen, das auf einem Tische stand. Zu Savary zurückkehrend, legte sie ihm zu seinem großen Erstaunen, einige Goldstücke in die Hand und sagte lächelnd:

»Du hältst mich für böse? Sieh, da ist ein Beweis meines Wohlwollens. Sei nicht länger bange.«

»Bange! ich bange?« rief der Jäger, der das Geld in seine Tasche steckte und die freie Sprache wieder erhielt. »Was mir Schreck einflößte, Fürstin, war der verzweifelte Gedanke, ich würde bei Euch in ewige Ungnade fallen. Verlangt mein Blut, mit Freuden werde ich mein Leben für Euch aufopfern . . . «

»Genug, genug, so viel begehr ich nicht von dir! Setze dich da wieder vor mir, und theile mir mit, was Markus dir geboten hat mir zu sagen.«

»Er hat mich beauftragt,« Fürstin, »Euch zu erzählen, wie die Sache mit dieser unerwarteten Heirath zugegangen ist.«

»Wohlan, das ist’s gerade, was ich zu wissen wünsche. Erzähle mir deine Botschaft ganz.«

»Fürstin, als wir mit dem Heer nach Halkiyn kamen, hatte Walram van Celles die Burg bereits gestürmt und eingenommen. Seine Waffenknechte und das aufrührerische Volk hatten die Frau van Halkiyn zu Tode gebracht durch das Feuer . . . «

»Natürlich, als Zauberin,« murmelte Mattabruna mit dem Kopf nickend.

»Als Zauberin? Ja, falls Ihr es so meint, Fürstin . . . Wir kamen vor die Burg van Halkiyn, liefen Sturm, gelangten über die Mauern, und fällten Alles nieder, was uns Widerstand zu bieten wagte. Wir glaubten den Feind innerhalb der Burg ganz vertilgt zu haben, und unser König hatte sich in’s Freie begeben, um den Flüchtigen nachzusetzen, als er plötzlich einen Ritter sah, der mit einem jammernden Weibe auf seinem Pferde aus einer Nebenpforte auf einen Landweg eilte und durch blitzesschnellen Ritt mit seinem Schlachtopfer zu entkommen dachte. Aber unser König drückte seinem Pferde die Sporen in die Weichen, erreichte Walram, spaltete ihm den Kopf und erlöste so das Fräulein van Halkiyn aus des Räubers Händen. Unser König wollte nicht, daß Jemand ihr helfe; sie lag in Ohnmacht; er selbst trug sie auf seinen Armen in die Burg hinein, und wusch ihr bleiches Angesicht mit kaltem Wasser, bis sie die Augen öffnete. Was für eine Zauberkraft in diesen himmelblauen Augen lag, das kann ich Euch nicht sagen . . . «

 

»Ja, ja, Zauberkraft, natürlich!« flüsterte Mattabruna.

»Wenigstens Fürstin, wich von dieser Stunde an unser Herr König nicht mehr von der Seite der schönen Beatrix, und er zeigte sich so sanft, so freundlich und so heiter gegen sie, als wäre er ein Kind neben einem andern Kinde geworden. Das geringste Lächeln von ihr entzückte ihn aufs Höchste; und hatte er manchmal noch einen Anfall von Unzufriedenheit, so genügte ein Blick von Beatrix, um ihn sanft wie ein Lamm zu machen; ja um ihn auf den Knieen um Vergebung für sein aufbrausendes Wesen flehen zu lassen. Unser König war nicht mehr kenntlich.«

»Bezaubert!« murmelte Mattabruna.

»In der That, bezaubert durch die unaussprechliche Anmuth des Fräuleins und durch die Sanftheit ihrer großen blauen Augen, Niemand von uns konnte diesem Blick widerstehen; Alle, die ihm begegneten, fühlten sich bewegt durch einen geheimen Einfluß, durch Ehrfurcht, Zuneigung, Bewunderung.«

»Sicher, durch eine geheimnißvolle Kraft, bestätigte Mattabruna. Hast du je Weiber mit solchem Blick gesehen?«

»Niemals, Fürstin.«

»Weißt du, von woher diese verborgene Kraft kommt?«

»Nein. Es ist Zauberei, Teufelskunst.«

»Zauberei? In der That, es ist dem ähnlich!« murmelte Savary mit einem tiefen Seufzer.

»Und der König, mein Sohn, wurde so verliebt in Beatrix van Halkiyn?«

»Ja, Fürstin.«

»Und sie?«

»Sie zeigte gleichfalls eine große Neigung für ihren Retter.«

»Das Uebrige kann ich rathen,« flüsterte die Königin, mit beklommener Wuth und neidischem Spott. Mein Sohn, bezaubert, und durch eine geheime Kraft nach einem bestimmten Ziele hingetrieben, hat ihr seine Hand und Krone angeboten. Ihre Zustimmung war zum Voraus gewiß, und man hat an Ort und Stelle oder in einem nächstgelegenen Dorfe einen Priester gefunden, um die Ehe einzusegnen.

»So, wie Ihr sagt, Fürstin.«

»Und dieses Alles ist geschehen in Gegenwart Eures Gebieters Markus? Er hat also nichts versucht, um den König vor der Vorführung zu bewahren?«

»Ich glaube es, Fürstin, aber ich weiß es nicht.«

»Konnte er denn meinem Sohne nicht begreiflich machen, daß er der Spielball einer verborgenen Macht wäre, einer höllischen Berückung, eines Teufelswerkes?«

»O, Fürstin, beschuldigt deswegen meinen Herrn nicht,« antwortete Savary traurig. »Ein Ritter, der alte Warnfried van Driesthem flüsterte das Wort Zauberei in des Königs Ohr. – Jetzt begreif ich den schrecklichen Sinn dieses Wortes. – Der König sprang auf, als hätte ihn eine giftige Schlange gebissen; er hob tobend sein Schwert in die Höhe und gedachte Warnfried das Haupt zu spalten. Glücklicher Weise hielt Beatrix seinen Arm zurück und besänftigte ihn ganz. Warnfried überzeugte den König, daß er sich über die Bedeutung seiner Worte getäuscht hätte; und der unwiderstehliche Liebreiz der Beatrix brachte es so weit, daß unser Fürst seinen Diener Warnfried um Verzeihung bat und ihn als versöhnten Freund umarmte . . . Ist meine Erzählung Euch peinlich, Fürstin?«

»Solche Macht über meinen Sohn?« seufzte Mattabruna. »Ach, mein Herz zuckt krampfhaft zusammen. Möge er kommen mit seiner höllischen Verführerin; sie soll wissen, wer ich bin!«

»Mit Eurer Erlaubniß, Fürstin, seht hier, was mein Gebieter mir vor Allem Euch zu sagen auftrug. Der König hat, während er Warnfried Gnade schenkte, in Gegenwart vieler Ritter bei einem theuren Eide geschworen, daß er unerbittlich alle diejenigen tödten und martern lassen wird, die noch ein ein einziges Wort zu sprechen wagen, das Beatrix van Halkiyn unangenehm sein kann, oder nicht von einer grenzenlosen Ehrerbietung zeugt. Er schwor, er würde sie vor dem geringsten Verdruß bewahren und sie mit Gefahr seiner Krone und seines Lebens gegen die ganze Welt vertheidigen.«

»Aber gegen mich? Ich bin seine Mutter!«

»Selbst gegen seine Mutter, Fürstin. Er hat es ausdrücklich gesagt, so daß jeder es hörte.«

Mattabruna konnte ihre Wuth nicht mehr bezwingen. Sie brummte Verwünschungen und knirschte mit den Zähnen; aber das Gefühl ihrer Ohnmacht schlug ihren Trotz danieder und sie beugte verzweiflungsvoll den Kopf. Beschämt über ihre Bestürzung im Beisein eines Dieners, rief sie endlich:

»Warum ist dein Gebieten Markus nicht selbst gekommen, um mir diese gräulichen Nachrichten zu bringen?

»Er durfte nicht, Fürstin, war die Antwort. Der König hat ihm geboten, immer in der Nähe der Königin zu bleiben, um über sie zu wachen, um dem geringsten Wink ihrer Augen Gehorsam zu verschaffen. Mein Herr zeigt sich dienstfertig und ehrerbietig gegen die Königin; so gewinnt er ihre Gunst und behält des Königs Vertrauen. Er räth Euch ebenso zu handeln, bis . . . «

»Bis wann? murrte Mattabruna, über sein Zögern verwundert.

»Bis mein Gebieter Euch selbst gesprochen habe. Meine Botschaft ist ganz ausgeführt, Fürstin.«

Mattabruna überreichte ihm noch ein paar Goldstücke und wies ihm die Thür.

»Euer unterthänigster und ergebenster Diener,« sagte Savary zurückschreitend. Kann mein Leben jemals Euch zu etwas nützlich sein, fordert es; ich werde Euch mit Freuden mein Blut geben.«

»Es ist gut, geh in Frieden, flüsterte Mattabruna. Wer weiß? Vielleicht werde ich es einmal von dir verlangen. Wenn es dir dann nicht an Muth gebricht . . .

»Für solch eine freigebige Fürstin gehe ich selbst durch das Feuer der Hölle! bekräftigte der Jäger, indem er zur Thüre hinausging.

Lange blieb Mattabruna den Kopf in die Hände gestützt sitzen, und erwog die Gefahr, die sie bedrohte, und die Mittel, um sie abzuwehren. Zuerst träumte sie die gewaltthätigsten und blutigsten Träume; aber allmählich kam sie zu dem Resultate, daß Markus Recht hätte und daß man mit List zu Werke gehen und Verführung gegen Vorführung stellen müßte, um Oriand der Macht seiner Gattin zu entreißen. Das erforderte vielleicht Zeit; man müßte Geduld haben und heimlich handeln; denn bei der geringsten Unvorsichtigkeit konnte des Königs Wuth, wie ein zerschmetterndes Unwetter, Tod und Vernichtung um sich her streuen, ja bis in den Palast, bis auf den Thron! Hatte er nicht geschworen, er würde selbst seine Mutter nicht schonen? Mattabruna rief den Hofschreiber und ließ sich des Königs Brief vorlesen. Dieser enthielt die Nachricht von seiner Vermählung und meldete ihr, daß er erst in acht Tagen mit seiner Braut ankommen würde. Diese Bestimmung wäre getroffen worden, weil die junge Fürstin noch unpäßlich wäre in Folge der ausgestandenen Angst; aber vorzüglich, weil der König seine Gemahlin mit aller Feierlichkeit empfangen sehen und weil er jedermann die nöthige Zeit zu den Vorbereitungen dieses Empfangs gönnen wollte. Er hätte besondere Boten nach allen Grafschaften und nach allen Gauen entsendet, um die Ritter zum Feste einzuladen, und er bäte seine Mutter, ihrerseits weder Mühe noch Geld zu sparen, um seiner Braut einen prächtigen, ehrerbietigen und fröhlichen Willkommen zu bereiten.

Einen Augenblick wurde Mattabruna beim Anhören dieses Briefes gerührt und es erschien ein Lächeln der Zufriedenheit auf ihren Lippen. Die Worte des Briefes waren auch so zärtlich und so lieblich! Wohl sechsmal nannte Oriand sie »liebe Mutter, allerliebste Mutter« und anstatt in rauhem Tone zu gebieten, entschuldigte er sich wegen der Dringlichkeit seines Verlangens und bat und flehte wie jemand, der um eine Gunst ersucht.

Aber dann fuhr ihr der ärgerliche Gedanke durch den Kopf, die ungewöhnliche Sanftmuth ihres Sohnes wäre nichts anderes als der Beweis von der unbegreiflichen Macht der Beatrix über sein Gemüth. Ihr Herz schwoll an von Neid und Rachsucht und jedes fernere Wort des Briefes war wie ein Dolchstich, der ihr das Herz durchbohrte.

Sie schickte den Schreiber mit schlecht verhaltener Erbitterung fort, und verließ das Zimmer, um alle Hofbediente zusammen rufen zu lassen und ihnen Befehle auszutheilen zum feierlichen Empfang ihrer neuen Königin.

1Der Wald-ohne-Gnade (Thoraldi Silva) war ein dunkler Wald, der sich von den Ufern der Leye bis in die Nähe des Meeres über einen großen Teil von Flandern erstreckte und so genannt wurde, wahrscheinlich wegen der Gefahren, welche die Reisenden und Jäger bedrohten. Siehe Alte Geschichte der Belgier, von P. Blommart, S. 14.