Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten

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4. Spaltung

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Neben dem Zusammenschluss ist auch die Spaltung eines Betriebs gemäß § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG als beteiligungsbedürftige Betriebsänderung zu qualifizieren. Auch hier ist auf die betrieblichen Strukturen abzustellen, allein die gesellschaftsrechtliche Spaltung eines Unternehmens, etwa durch die Gründung eines Tochterunternehmens, fällt nicht unter den Begriff der Betriebsänderung.

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Die Spaltung eines Betriebs setzt voraus, dass durch die Umstrukturierung aus einer organisatorischen Einheit mindestens zwei neue, eigenständige Betriebe entstehen.52 Ob eine solche Spaltung vorliegt, ist ausschließlich aus betrieblicher Sicht zu beurteilen. Eine Betriebsspaltung kann sowohl in einer Auf- als auch in einer Abspaltung bestehen. Während sich die Aufspaltung dadurch kennzeichnet, dass der ursprüngliche Betrieb in zwei eigenständige Betriebe geteilt und damit aufgelöst wird, bleibt der Ursprungsbetrieb bei einer Abspaltung bestehen.53 Da sowohl die Auf- als auch die Abspaltung beteiligungspflichtig sind, kommt der Unterscheidung im Hinblick auf die Betriebsänderung in der Praxis keine große Bedeutung zu. Im Hinblick auf das Schicksal des Betriebsrats ist dies hingegen von erheblicher Bedeutung. Im Falle einer Abspaltung bleibt der Betriebsrat, mit dem die Betriebsänderung in Form der Spaltung verhandelt wurde, für den „Ursprungsbetrieb“, der seine betriebliche Identität behält, im Amt. Sollte eine Aufspaltung vorliegen, verbleibt dem Betriebsrat „nur“ ein Übergangsmandat gemäß § 21b BetrVG für die sodann getrennten Betriebsteile.

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Trotz des fehlenden Erfordernisses der Betroffenheit eines wesentlichen Betriebsteils in § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG im Unterschied zu Nr. 1 und Nr. 2 setzt eine Betriebsänderung im Form der Spaltung voraus, dass der abgespaltene Teil eine eigenständige organisatorische Struktur aufweist.54 Die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG finden für die Qualifizierung der Maßnahme als mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung zwar keine Anwendung. Dennoch muss der abzuspaltende Teil nach der Rechtsprechung des BAG eine wirtschaftlich relevante Größe haben und damit eine „veräußerungsfähige Einheit“ darstellen, damit die Umstrukturierungsmaßnahme als Betriebsänderung zu qualifizieren ist.55

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In Abgrenzung zur Stilllegung eines Betriebsteils wird die betriebliche Tätigkeit eines abgespaltenen Teils nicht beendet, sondern innerhalb einer neuen betrieblichen Organisation fortgesetzt. Eine räumliche Veränderung stellt dabei keine Voraussetzung für die Annahme einer Betriebsänderung dar, wenngleich diese der Regelfall ist. Eine Betriebsänderung in Form der Spaltung wurde aber etwa auch bei der Übertragung einer Abteilung durch ein neu gegründetes Unternehmen bejaht, obwohl die Abteilung in den alten Arbeitsräumen verblieb, jedoch unter eine neue, eigenständige organisatorische Leitung des neuen Inhabers gestellt wurde.56

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Die Tatbestände der Stilllegung und der Spaltung eines Betriebsteils schließen sich dementsprechend gegenseitig aus. Eine Abspaltung steht oftmals in Verbindung mit einem Betriebsübergang. Dies ist der Fall, wenn der ursprüngliche Inhaber des gesamten Betriebs lediglich einen Teil an einen neuen Inhaber überträgt.

5. Grundlegende Änderungen

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Als grundlegende Änderung des Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG gilt jede Maßnahme des Unternehmers, die eine gravierende Änderung der betrieblichen Organisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen bewirkt.

a) Betriebsorganisation

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Unter einer Änderung der Betriebsorganisation sind Maßnahmen zu verstehen, die sich erheblich auf den bisher üblichen Betriebsablauf, insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeiten und der Verteilung von Verantwortung auswirken.57 Die Umstrukturierung muss eine einschneidende Wirkung auf die Arbeitsabläufe und -bedingungen der betroffenen Beschäftigten haben. So stellt in der Regel etwa die Beseitigung einer hierarchischen Ebene innerhalb der Leitungsstruktur eines Betriebs eine Maßnahme dar, die als Betriebsänderung und damit als beteiligungspflichtig anzusehen ist.58

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Die Auswirkungen der Umstrukturierung auf die Arbeitsabläufe innerhalb des Betriebs müssen von grundlegender Bedeutung sein. An dieses Merkmal sind hohe Anforderungen zu stellen, sodass viele Arbeitsanweisungen, die von den betroffenen Beschäftigten als einschneidende und nachteilige Veränderung der bisher praktizierten Arbeitsweise wahrgenommen werden, nicht als Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 Var. 1 BetrVG zu qualifizieren sind. Nach der Rechtsprechung des BAG stellt etwa die Einführung eines der Verbesserung und Perfektionierung von Arbeitsprozessen dienenden Systems, das die Arbeitsabläufe der Beschäftigten erfasst, analysiert und zu ihrer Optimierung neu strukturiert, keine Betriebsänderung in Form der Änderung der Betriebsorganisation dar.59 Bei der Qualifizierung einer Maßnahme als Betriebsänderung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die betriebliche Organisation ständigen Anpassungen und einem notwendigen Wandel unterliegt, sodass eine restriktive Handhabung geboten ist.

b) Betriebszweck

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Eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 Var. 2 BetrVG liegt vor, sollte die Umstrukturierungsmaßnahme zu einer Änderung des arbeitstechnischen Zwecks führen, während die Identität des Betriebs und der wirtschaftliche Zweck gleichbleiben.60

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Eine Änderung des Betriebszwecks liegt damit etwa vor, sollten im Rahmen eines Dienstleistungsbetriebs andere Dienstleistungen als die bisher ausgeführten angeboten werden. Die Änderung des arbeitstechnischen Zwecks muss bei einem Vergleich des Betriebs vor und nach der Maßnahme als grundlegend eingestuft werden können.

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Der Betriebszweck kann sich auch in der Gestalt ändern, dass dem ursprünglichen Betrieb ein Bereich angeschlossen wird, der einen neuen arbeitstechnischen Zweck hinzufügt. Dementsprechend muss der bestehende Betriebszweck nicht aufgegeben werden, vielmehr kann die Umstrukturierungsmaßnahme dazu führen, dass nach der Betriebsänderung anstelle eines mehrere Betriebszwecke verfolgt werden.61

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In der Praxis kommt dieser Form der mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung bislang kaum Bedeutung zu. Dies mag vor allem daran liegen, dass im Falle einer grundlegenden Änderung des arbeitstechnischen Zwecks in der Regel weitere Formen der mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung vorliegen, insbesondere eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, die von den Arbeitnehmervertretungen zur Begründung ihres Beteiligungsrechts bemüht werden, da sie für die Beschäftigten relevanter erscheinen.

c) Betriebsanlagen

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Die grundlegende Änderung der Betriebsanlagen gemäß § 111 Satz 3 Nr. 4 Var. 3 BetrVG stellt einen weiteren Tatbestand der mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung dar. Unter Betriebsanlagen sind alle Anlagen zu verstehen, die dem arbeitstechnischen Produktions- und Leistungsprozess dienen.62 Daher können unter diesen Begriff neben Maschinen und sonstigen in der Produktion eingesetzten Einrichtungen etwa auch die Einführung neuer EDV-Programme fallen,63 soweit dies einschneidende und weitgehende Änderungen für die Arbeitsabläufe zur Folge hat.64 Die Änderung der Betriebsanlagen braucht zwar nicht die Gesamtheit der Betriebsanlagen zu erfassen, die sächlichen Betriebsmittel, auf die sich die Änderung bezieht, müssen aber im Verhältnis zu den Anlagen des gesamten Betriebs und damit für das betriebliche Gesamtgeschehen von erheblicher Bedeutung sein.65

52

Der Beteiligungstatbestand nach § 111 Satz 3 Nr. 4 Var. 3 BetrVG setzt ferner voraus, dass es sich um eine grundlegende Änderung handelt, weshalb die laufende Umgestaltung der betrieblichen Einrichtungen, wie sie bei jedem Betrieb an der Tagesordnung ist, etwa die Ersatzbeschaffung veralteter Maschinen, als Beteiligungstatbestand ausscheidet.

6. Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren

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Gemäß § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG gilt auch die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren als mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung. Unter Arbeitsmethoden ist die Art der menschlichen Arbeitsweise wie etwa Team- oder Gruppenarbeit zu verstehen.66 In der Praxis etablieren sich zunehmend neue, innovative Arbeitsweisen wie etwa Co-Working-Spaces, weshalb dieser Tatbestand zuletzt an Bedeutung gewonnen hat. Unter den Tatbestand des § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG fällt ferner die Einführung neuer Fertigungsverfahren. Hierbei handelt es sich um die Änderung des technischen Verfahrens zur Herstellung der Produkte, wobei eine Überschneidung mit dem Begriff der Betriebsanlagen gegeben ist.67

54

Die mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderungen nach § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG überschneiden sich mit denen des § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG. Insbesondere die grundlegende Änderung der Betriebsanlagen geht regelmäßig mit der Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren einher, weshalb häufig beide Tatbestände erfüllt sind. Während es bei § 111 Satz 3 Nr. 4 Var. 3 BetrVG jedoch auf technische Änderungen der Betriebsmittel, also die sachlichen Arbeitsmittel ankommt, betrifft § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG die Gestaltung der Arbeit selbst, also die menschliche Arbeitskraft. Demnach sind alle Maßnahmen, die auf den veränderten Einsatz von Beschäftigten sowie die Gestaltung von Arbeitsabläufen gerichtet sind, unter den Tatbeständen des § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG zu prüfen.

 

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Auch die Einführung neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren setzt eine grundlegende Änderung an den bisherigen betrieblichen Abläufen voraus. Indiz dafür, ob eine grundlegende Änderung vorliegt, ist auch hier wieder die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer.

IV. Weitere Maßnahmen als beteiligungspflichtige Betriebsänderungen

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Ob neben den in § 111 Satz 3 BetrVG genannten Tatbeständen weitere beteiligungspflichtige Betriebsänderungen in Betracht kommen oder ob es sich bei den in § 111 Satz 3 BetrVG genannten Tatbeständen um eine abschließende Aufzählung handelt, ist umstritten. Das BAG hat diese Frage bislang nicht entschieden.68 Gewichtige Stimmen in der Literatur gehen zutreffend davon aus, dass es sich bei dem Katalog des § 111 Satz 3 BetrVG um eine abschließende Aufzählung handelt. § 111 Satz 3 BetrVG regelt ohne jeglichen Vorbehalt dahingehend, dass es sich um eine beispielhafte Aufzählung handelt, welche Maßnahmen als Betriebsänderungen i.S.d. § 111 Satz 1 BetrVG gelten. Hierdurch werden die beteiligungspflichtigen Maßnahmen klar von etwaigen mitbestimmungsfreien Maßnahmen abgegrenzt. Da in der Praxis alle relevanten Umstrukturierungsmaßnahmen unter einen der in § 111 Satz 3 BetrVG genannten Tatbestände fallen, steht eine entsprechende Klarstellung durch das BAG, die im Sinne der Rechtssicherheit wünschenswert wäre, aktuell allerdings nicht zu erwarten.

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Sollte der Katalog des § 111 Satz 3 BetrVG als nicht abschließend angesehen werden, würde die Qualifizierung einer Umstrukturierungsmaßnahme als Betriebsänderung davon abhängen, ob die geplante Änderung wesentliche Nachteile für einen erheblichen Teil der Belegschaft zur Folge haben kann. Ob der betroffene Teil der Belegschaft als erheblich anzusehen ist, würde vom Erreichen der Schwellenwerten des § 17 Abs. 1 KSchG unter Anwendung der 5 %-Grenze bei Großbetrieben abhängen. Des Weiteren ist zu beachten, dass das Vorliegen von wesentlichen Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer lediglich für die in § 111 Satz 3 BetrVG genannten Betriebsänderungen fingiert wird. Bei einer Umstrukturierung, die nicht unter den Katalog des § 111 Satz 3 BetrVG fällt, müssten die für die betroffenen Beschäftigten folglich wesentliche Nachteile gesondert festgestellt werden, um die Maßnahme als nach den §§ 111ff. BetrVG beteiligungspflichtig zu qualifizieren.

V. Sonderfall Betriebsübergang

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Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil den Inhaber wechselt und dabei in seiner wirtschaftlichen und organisatorischen Einheit bestehen bleibt.69 Für den Unternehmer, der den Betrieb übergibt, stellt sich die Frage, ob ein solcher Betriebsübergang als Betriebsänderung zu qualifizieren ist, sodass der Betriebsrat zu beteiligen ist.

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Das Rechtsgeschäft zwischen Veräußerer und Erwerber, welches zum Betriebsübergang führt, stellt als solches nach der ständigen Rechtsprechung des BAG richtigerweise keine Betriebsänderung dar, sodass dem Betriebsrat insoweit keine Beteiligungsrechte zustehen.70 Diese rein wirtschaftliche Entscheidung unterliegt der unternehmerischen Freiheit und ist damit nicht mitbestimmungspflichtig. Dementsprechend kann der Betriebsrat einen vom Unternehmer geplanten Betriebsübergang nicht verhindern.

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Ein Betriebsübergang ist in der Praxis jedoch häufig mit Maßnahmen verbunden, die als Betriebsänderung zu qualifizieren sind.71 So wird regelmäßig nur ein Betriebsteil auf den Erwerber übertragen, der vorher durch den Veräußerer abgespalten wird. Eine solche Abspaltung zum Zweck eines Teilbetriebsübergangs stellt eine Betriebsänderung und damit eine beteiligungs- und mithin sozialplanpflichtige Maßnahme dar.72 Im Hinblick auf die mit einem Sozialplan auszugleichenden Nachteile ist jedoch zwischen solchen, die den betroffenen Beschäftigten durch den Betriebsübergang entstehen, und denjenigen, die aus der Betriebsänderung resultieren, zu unterscheiden. Ausschließlich letztgenannte stellen durch einen Sozialplan auszugleichende Nachteile dar.73 Sollte etwa ein Beschäftigter dem nach einer Betriebsspaltung durchgeführten Betriebsübergang widersprechen und infolgedessen vom Veräußerer wirksam betriebsbedingt gekündigt werden, weil dieser keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr hat, ist der Arbeitsplatzverlust nicht auf die Betriebsänderung in Form der Spaltung, sondern auf den Widerspruch des Beschäftigten zurückzuführen.74 Der Arbeitsplatzverlust stellt in diesem Fall keinen ausgleichspflichtigen Nachteil dar.

61

Bei einem identitätswahrenden Übergang bleibt der dem Betrieb angehörende Betriebsrat bestehen und übt seine Mitbestimmungsrechte nach dem Übergang gegenüber dem neuen Inhaber aus. Maßgeblich für die Frage, wen die Pflicht zur Beteiligung des Betriebsrats im Hinblick auf eine etwaige Umstrukturierung trifft, ist demnach, wer den Entschluss zu der Umstrukturierungsmaßnahme fasst. Zu diesem Zeitpunkt entstehen die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, sodass auch derjenige, der die Betriebsänderung plant und vorbereitet, den Betriebsrat zu beteiligen hat.

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Zudem stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche Bindungswirkung ein durch den Veräußerer mit dem Betriebsrat verhandelter Interessenausgleich und Sozialplan für den Erwerber hat. In der Praxis kann die Planung der Betriebsänderung durch den Veräußerer erheblich von der tatsächlichen Durchführung durch den Erwerber abweichen. So kann etwa der Erwerber bereit sein, im Zuge der begonnenen Durchführung einer Betriebsänderung durch den Veräußerer bereits gekündigte Beschäftigte zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen. Zwar tritt der Erwerber eines Betriebs gemäß § 613a BGB grundsätzlich in alle Rechte und Pflichten des Veräußerers ein, weshalb die Bindungswirkung eines Sozialplans grundsätzlich ebenfalls den Erwerber trifft. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung aber dann, wenn die Geschäftsgrundlage für den Sozialplan wegfällt.75 Dies wäre im vorgenannten Beispiel der Fall. Dem Erwerber kann in diesem Fall nicht zugemutet werden, an dem zwischen dem Veräußerer und dem Betriebsrat verhandelten Sozialplan festzuhalten, weshalb ihm ein Anspruch auf Anpassung zusteht. Dies gilt etwa auch dann, wenn ein Unternehmer den Entschluss zu einer Betriebsstillegung fasst, hierfür einen Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat abschließt und erst später einen Erwerber findet, der den Betrieb identitätswahrend weiterführt, sodass keine Stilllegung, sondern lediglich ein nicht beteiligungspflichtiger Betriebsübergang vorliegt. Auch in diesem praxisrelevanten Fall ist die Geschäftsgrundlage, also die Durchführung der Betriebsänderung in Form der Stilllegung weggefallen, sodass dem Erwerber nicht zugemutet werden kann, den Sozialplan zu erfüllen, obwohl der Betrieb identitätswahrend fortgeführt wird.

VI. Schlussbemerkung

63

Eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung liegt keinesfalls nur in Fällen der klassischen Umstrukturierung vor, die einen Personalabbau beinhaltet. Insbesondere Maßnahmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und Änderungen in der Art und Weise der Zusammenarbeit stellen in der Praxis häufig mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen dar, die von Unternehmern nicht als solche erkannt werden, weshalb die Beteiligung des Betriebsrats ausbleibt Dies kann – sofern denn der Betriebsrat die Betriebsänderung als eine solche erkennt – erhebliche Nachteile mit sich bringen.

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Neben den wirtschaftlichen Folgen, etwa Nachteilsausgleichsansprüchen, und einer teilweise erheblichen Verzögerung der Umsetzung der beabsichtigten Maßnahmen, die in der Regel ebenfalls erhebliche wirtschaftliche Folgen hat, zerstört die (mehrfach) unterlassene Beteiligung des Betriebsrats häufig das Vertrauen der Betriebsparteien, welches bei der Umsetzung von relevanteren Umstrukturierungsmaßnahmen erforderlich, jedenfalls aber von großem Vorteil ist.

65

Der Unternehmer sollte sich zweifelsfrei die notwendige Zeit nehmen, eine in Betracht kommende Änderung seines Betriebs sorgfältig zu prüfen und zu entwickeln, in einem weiteren Schritt sollte sodann aber ebenso sorgfältig abgewogen werden, ob und in welchem Umfang der Betriebsrat bei den in Betracht kommenden Maßnahmen zu beteiligen ist. Insbesondere in dieser Phase besteht noch ein ganz erheblicher Gestaltungsspielraum des Unternehmers, der genutzt werden sollte.

1 Moll/Liebers, in: Moll, MAH ArbR, § 56 Rn. 10; Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, C Rn. 7; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 111 Rn. 23. 2 BAG, 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420, 421 – Sozialplanpflicht beim nachträglich gewählten Betriebsrat. 3 BAG, 18.7.2017 – 1 AZR 546/15, NZA 2017, 1618, 1620 – Nachteilsausgleich bei Betriebsstilllegung. 4 BAG, 22.2.1983 – 1 AZR 260/81, NJW 1984, 323, 323 – Geltendmachung eines Abfindungsanspruchs. 5 BAG, 16.11.2004 – 1 AZR 642/03, NJOZ 2005, 4140, 4142 – Zahl der in der Regel beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer. 6 BAG, 16.11.2004 – 1 AZR 642/03, NJOZ 2005, 4140, 4142 – Zahl der in der Regel beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer. 7 BAG, 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, NZA 2012, 221, 222 – Interessenausgleich und Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern. 8 LAG Berlin, 23.1.2003 – 18 TaBV 2141/02, NZA-RR 2003, 477, 478 – Schwellenwert Betriebsänderung. 9 BT-Drs. 14/5741, S. 51. 10 So auch Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 111 Rn. 26. 11 BAG, 29.9.2004 – 1 ABR 39/03, NZA 2005, 420, 422 – Mitbestimmung bei Versetzungen im Gemeinschaftsbetrieb. 12 BAG, 21.9.1999 – 9 AZR 912/98, NZI 2000, 337, 338 – Interessenausgleich und Sozialplan im Konkurs. 13 BAG, 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, NZA 2004, 220, 221 – Interessenausgleich in der Insolvenz; LAG Köln, 16.3.2000 – 5 Sa 1591/99, BeckRS 2000, 41019 – Sozialplan; LAG Thüringen, 5.12.2002 – 3 Sa 151/2002, BeckRS 2002, 16562 – Nachteilsausgleich in der Insolvenz; kritisch: LAG Saarland, 14.5.2003 – 2 TaBV 7/03, NZA-RR 2003, 639, 640 – Unzuständigkeit der Einigungsstelle. 14 BAG, 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, 570, 574 – Abgrenzung Betriebsstillegung zum Betriebsübergang. 15 BAG, 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, NZA 2011, 466, 467 – Betriebsänderung im Kleinbetrieb. 16 BAG, 19.7.2012 – 2 AZR 386/11, NZA 2013, 333, 334 – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für Interessenausgleich mit Namensliste. 17 BAG, 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, NZA 2011, 466, 467 – Betriebsänderung im Kleinbetrieb. 18 BAG, 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932, 933 – Betriebsänderung durch Personalabbau. 19 BAG, 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, NZA 2011, 466, 468 – Betriebsänderung im Kleinbetrieb. 20 BAG, 26.10.1982 – 1 ABR 11/81, NJW 1983, 2838, 2839 – Einführung von Bildschirmgeräten als Betriebsänderung. 21 BAG, 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, NZA 2011, 466, 467 – Betriebsänderung im Kleinbetrieb. 22 BAG, 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932, 934 – Betriebsänderung durch Personalabbau. 23 BAG, 6.12.1988 – 1 ABR 47/87, NZA 1989, 557, 558 – Teilbetriebsstillegung und Sozialplan. 24 BAG, 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957, 959 – Grundlegende Änderung der Betriebsorganisation. 25 BAG, 17.8.1982 – 1 ABR 40/80, NJW 1983, 1870, 1871 – Mitbestimmung bei Betriebsverlegung um 4 km. 26 BAG, 18.7.2017 – 1 AZR 546/15, NZA 2017, 1618, 1621 – Nachteilsausgleich bei Betriebsstilllegung. 27 BAG, 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, 468 – Betriebsbedingte Kündigung bei Betriebsstilllegung. 28 BAG, 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 381, 381 – Konzernbezogenheit des Kündigungsschutzgesetzes. 29 BAG, 22.11.2005 – 1 AZR 407/04, NZA 2006, 736, 739 – Verzugslohn bei anderweitigem Verdienst. 30 BAG, 22.11.2005 – 1 AZR 407/04, NZA 2006, 736, 739 – Verzugslohn bei anderweitigem Verdienst. 31 BAG, 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, NZA 2007, 1431, 1435 – Identität der wirtschaftlichen Einheit bei veränderter Organisation. 32 BAG, 14.4.2015 – 1 AZR 794/13, NZA 2015, 1147, 1149 – Betriebsänderung und Nachteilsausgleich. 33 BAG, 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, NZA 2006, 1122, 1124 – Durchführung einer Betriebsstilllegung. 34 BAG, 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170, 171 – Betriebsstillegung bei Betriebsveräußerung unter gleichzeitiger Betriebsverlegung. 35 BAG, 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, NZA-RR 2012, 465, 468 – Betriebsbedingte Kündigung bei Betriebsstilllegung. 36 BAG, 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720, 722 – Beabsichtigte Betriebsstilllegung und Betriebsübergang. 37 BAG, 28.4.1993 – 10 AZR 38/92, NZA 1993, 1142, 1142 – Betriebsänderung bei Änderung des Betriebszweckes. 38 BAG, 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, NZA 2011, 466, 467 – Betriebsänderung im Kleinbetrieb. 39 BAG, 20.4.1994 – 10 AZR 323/93, NZA 1995, 489, 490 – Sozialplanabfindung bei betrieblich veranlasstem Aufhebungsvertrag. 40 BAG, 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932, 934 – Betriebsänderung durch Personalabbau. 41 BAG, 9.5.1995 – 1 ABR 51/94, NZA 1996, 166, 167 – Zahl der in der Regel Beschäftigten. 42 BAG, 17.8.1982 – 1 ABR 40/80, NJW 1983, 1870, 1871 – Mitbestimmung bei Betriebsverlegung um 4 km. 43 BAG, 17.8.1982 – 1 ABR 40/80, NJW 1983, 1870, 1871 – Mitbestimmung bei Betriebsverlegung um 4 km. 44 Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, C Rn. 49; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 111 Rn. 94. 45 BAG, 7.6.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110, 111 – Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten. 46 Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, C Rn. 53 47 BAG, 15.1.2002 – 1 ABR 10/01, NZA 2002, 988, 991 – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bei Restrukturierung. 48 BAG, 11.12.2001 – 1 ABR 193/01, NZA 2002, 688, 690 – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bei Interessenausgleich und Sozialplan. 49 BAG, 11.12.2001 – 1 ABR 193/01, NZA 2002, 688, 690 – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bei Interessenausgleich und Sozialplan. 50 BAG, 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, NZA 2007, 1245, 1247 – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss eines Sozialplans. 51 BAG, 11.12.2001 – 1 ABR 193/01, NZA 2002, 688, 690 – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bei Interessenausgleich und Sozialplan. 52 BAG, 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957, 958 – Grundlegende Änderung der Betriebsorganisation. 53 BAG, 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957, 958 – Grundlegende Änderung der Betriebsorganisation. 54 BAG, 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898, 899 – Auszugleichende Nachteile bei Betriebsänderung durch Spaltung. 55 BAG, 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957, 958 – Grundlegende Änderung der Betriebsorganisation. 56 BAG, 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898, 899 – Auszugleichende Nachteile bei Betriebsänderung durch Spaltung. 57 BAG, 22.3.2016 – 1 ABR 12/14, NZA 2016, 894, 895 – Sozialplan bei Betriebsänderung. 58 BAG, 26.10.2005 – 1 AZR 493/03, NZA 2005, 237, 238 – Nachteilsausgleich bei Betriebsänderung. 59 BAG, 22.3.2016 – 1 ABR 12/14, NZA 2016, 894, 896 – Sozialplan bei Betriebsänderung. 60 BAG, 17.12.1985 – 1 ABR 78/83, NZA 1986, 804, 804 – Betriebsänderung in einer Spielbank. 61 BAG, 17.12.1985 – 1 ABR 78/83, NZA 1986, 804, 804 – Betriebsänderung in einer Spielbank. 62 BAG, 27.6.1989 – 1 ABR 24/88, BeckRS 1989, 31022412 – Grundlegende Änderungen der Betriebsanlagen. 63 LAG Hamburg, 5.2.1986 – 4 TaBV 12/85, BeckRS 1986, 30715826 – Einführung eines EDV-Systems als Betriebsänderung. 64 LAG Niedersachsen, 8.6.2007 – 1 TaBV 27/07, juris, Rn. 19 – Unzuständigkeit einer Einigungsstelle bei der Einführung neuer Software. 65 BAG, 26.10.1982 – 1 ABR 11/81, NJW 1983, 2838, 2839 – Einführung von Bildschirmgeräten als Betriebsänderung. 66 BAG, 22.3.2016 – 1 ABR 12/14, NZA 2016, 894, 896 – Sozialplan bei Betriebsänderung. 67 BAG, 22.3.2016 – 1 ABR 12/14, NZA 2016, 894, 896 – Sozialplan bei Betriebsänderung. 68 BAG, 9.12.2009 – 7 ABR 38/08, NZA 2010, 906, 908 – Bestimmung einer betriebsratsfähigen Organisationseinheit; BAG, 6.12.1988 – 1 ABR 47/87, NZA 1989, 557, 558 – Teilbetriebsstillegung und Sozialplan. 69 EuGH, 6.3.2014 – C-458/12, NZA 2014, 423, 425 – Betriebsübergang – EGRL 23/2001. 70 BAG, 11.11.2010 – 8 AZR 169/09, juris, Rn. 33 – fehlerhafte Unterrichtung bei Betriebsübergang. 71 BAG, 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642, 645 – Schadensersatz Unterrichtung Betriebsübergang. 72 BAG, 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898, 900 – Auszugleichende Nachteile bei Betriebsänderung durch Spaltung. 73 BAG, 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898, 900 – Auszugleichende Nachteile bei Betriebsänderung durch Spaltung. 74 LAG Bremen, 21.10.2004 – 3 Sa 77/04, NZA-RR 2005, 140, 141 – Widerspruch gegen Betriebsübergang. 75 BAG, 28.8.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109, 110 – Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Sozialplans.