NICHT NUR WEIN MUSS ATMEN

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NICHT NUR WEIN MUSS ATMEN
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Ingrid Schmitz

NICHT NUR WEIN MUSS ATMEN

Ingrid Schmitz - Mörderisch liebe Grüße - 1. Teil

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Nicht nur Wein muss atmen

Alle Jahre wieder

Die Moritat der Gebrechlichen

Impressum neobooks

Nicht nur Wein muss atmen

Heinrich Probst, der vergangene Woche fünfundsechzig Jahre alt geworden war, wollte nicht mehr. Er überlegte, ob er die Türen seines Privatmuseums für immer schließen sollte. Bislang hatte es ihm sehr viel Spaß gemacht, all die Dinge für sein privates Weinmuseum zusammenzutragen. Gegen ein kleines Eintrittsgeld stellte er dem interessierten Publikum diese Gegenstände stets persönlich vor. Das Museum hatte in der Anfangszeit, in den Siebziger Jahren, großen Anklang gefunden, war beliebt bei den vielen Touristen. Seine Idee mit der anschließenden Weinprobe, dank verschiedener Winzer aus der Region verwirklicht, sprach sich schnell herum und der Zulauf wurde noch größer.

Aber in letzter Zeit ärgerte er sich sehr darüber, dass die Erwachsenen immer oberflächlicher, die Jugendlichen immer lauter, die Kinder immer dreister wurden. Anscheinend waren die Zeiten vorbei, in denen sonntäglich gekleidete Menschen vor den Ausstellungsstücken stehen blieben und andächtig die Beschriftungen davor lasen oder gespannt seinen Ausführungen lauschten.

Den Rest hatte ihm aber der Montag gegeben – der rabenschwarze Montag. An diesem Tag öffnete er das Museum nur für eine Sonderführung. Schon bevor die Gruppe erschien, schmerzte Heinrich Probsts Narbe am Bein. Das verhieß entweder Unheil oder schlechtes Wetter - draußen schien die Sonne und es war brütendheiß.

Punkt 15 Uhr standen sie vor dem Museum: Heinrich Probst, geschniegelt und gestriegelt im feinen Zwirn und der angemeldete Kegelclub Stief drop aus dem Rheinland, sportlich liderlich gekleidet. Die Männer im mittleren Alter trugen jeder eine Kampftrinkweste, die mit den vielen Taschen für Schnapsfläschchen und scharrten mit den Füßen. Sie beabsichtigten am letzten Tag ihres Ausfluges den Punkt: Kultur auf der Tagesordnung abzuhaken. Irgendetwas mussten sie ja ihren Frauen berichten. Da standen sie also am Eingang des Weinmuseums und grölten Kornblumenblau und Thomas, der lauteste von allen überstimmte mit einem Wein her, Wein her, oder ich fall’ um. Die bereits um diese Zeit nicht mehr ganz nüchternen Männer schenkten der reich geschnitzten antiken Eichentür mit den Motiven aus dem Weinbau keine Beachtung. Sie lauerten nur darauf, wann Heinrich Probst die Tür öffnete. Der ließ sich extra viel Zeit. Er versuchte die Fassung zu bewahren. Mit seinen 1,80m hielt er sich kerzengerade im dunkelgrünen Blazer, was ihm eine stolze Haltung verlieh, dann schloss er langsam die Tür auf. Die Kegelgruppe drängte an ihm vorbei und stürmte in den kühlen Vorraum des Museums, wo sie die Lage peilten. Thomas klopfte Heinrich Probst kameradschaftlich auf die Schulter: „Na, dann zeig’ uns mal deine Schätzchen!“ Er zwinkerte ihm zu. Pflichtbewusst begann er mit seiner Führung: „Ich werde Sie in der nächsten halben Stunde durch die Räume meines 1970 erstmalig eröffneten Weinmuseums führen. Mein Weinmuseum ...“ Heinrich Probst war besonders stolz darauf, mein sagen zu können, „ ... beherbergt eine umfangreiche Sammlung zur Kultur des Weins. Unter Mithilfe zahlreicher Sponsoren und langfristiger Leihgaben ist es mir gelungen, recht imposante Exponate zusammenzustellen. Die Erbmasse ... Es war wieder mal Thomas, der sich nun selbstständig machte. Mit hochrotem Kopf und durch den Alkohol verzückt verkrampften Gesichtszügen, schwankte er zu einer Vitrine: „Kalle! Guck ma!“, schrie er, in den für ihn viel zu trockenen Vortrag hinein, „Wat die hier haben! Nen goldenen Kelch! Dat wär doch wat für unseren Kegelkönig, ne? Da ’nen leckeren Jägermeister rein und ab jeht die Post!“ Heinrich Probst zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. „Es handelt sich hier um einen Kelch aus dem Jahre 1910. Die Goldverzierung macht ihn zu einem der kostbarsten Kelche meiner Sammlung ...“ „Egal, Hauppsache, man kann draus trinken. Wann gibbet denn hier die Weinprobe? Wo is dat dann?“ Denjenigen, die noch etwas Anstand in den Nachmittag hatten retten können, war es nun sichtlich peinlich. Jemand schubste Thomas in Richtung Toilettentür, die aufsprang. Er drehte sich zu seinen Kegelfreunden um und rief: “Boah, die saufen hier den Wein aus Waschbecken.“ Nur noch acht Männer heuchelten Interesse an der Führung durch das Museum und folgten dem unermüdlich bemühten Heinrich Probst, der diesen Tag insgeheim verfluchte. Er hatte wenig Hoffnung, dass die restlichen Kegler mehr kulturelles Verständnis zeigten, da in ihren Gesichtern lediglich die Gier nach Wein zu erkennen war. Sie kamen zu einer Sammlung von Fässern, der Sammlung schlechthin. Er erzählte mehr sich, als den unaufmerksamen Kegelbrüdern, von den alten Holzfässern und den kunstvoll geschnitzten Klemmhölzern zum Verschließen der Fasstürchen. Schilderte, wie schlanke Menschen durch dieses kleine Loch ins Fass kletterten und es reinigten. Sie wurden Fassschlubber genannt und durften keine Probleme in engen Räumen haben. Heinrich Probst konnte sich an diesem Kunsthandwerk der Fassriegel nicht satt sehen. Obwohl er die Exponate mehrmals am Tag sah, entdeckte er immer wieder neue Kleinigkeiten, die sein Herz erfreuten, und er stellte sich in Gedanken die Handwerker vor, wie sie vor langer, langer Zeit, in ihren Werkstätten gesessen und in wochenlanger Kleinarbeit liebevoll das Holzstück zu einem Meisterwerk verarbeitet hatten. In Gedanken versunken, bemerkte er nicht, dass sich bereits sechs Männer aus dem Raum geschlichen hatten und auf eigenen Erkundungsgang zum Weinkeller strebten. Nur noch zwei Exemplare der Spezies: Heute hau’n wir auf die Pauke standen vor Heinrich Probst, die wohl den Anschluss verpasst hatten, weil sie mit etwas völlig anderem beschäftigt waren. Paul drückte ständig auf den Tasten seines Handys herum, Horst schielte ihm über die Schulter. Eigens dafür hatte er sich schnell die Lesebrille auf die rotgeäderte Nase gesetzt. Heinrich Probst war fassungslos. Schweren Schrittes ging er einen Raum weiter. Er dachte darüber nach, den Rundgang sofort abzubrechen. Wozu sollte er sich unnötig aufreiben? Er würde die beiden jetzt zum Weinkeller führen, und Marie Bescheid geben, dass sie nur einfachen Tafelwein zur Probe anbieten sollte. Es wäre Perlen vor die Säue geschmissen, diesen Saufköpfen womöglich eine körperreiche Deidesheimer Maushöhle oder noch schlimmer seinen Lieblingswein eine Mußbacher Eselshaut zu kredenzen, obwohl es vom Namen ja gepasst hätte, aber auch nur vom Namen her. Thomas kam aus der Weinstube zurückgestürmt und lallte: „Ja, wo bleibbsch ihr denn?“ Er hielt Paul die Flasche Wein entgegen, zog den halb hervorschauenden Korken heraus und warf ihn achtlos auf den Boden warf. „Hier. Das issst eine Deidesssheiiimmmer Maussshölle“, aber da hatte Paul schon die Flasche an die Lippen gesetzt und einen kräftigen Schluck genommen. Er schmatzte: „Das macht nix. Hauppsache lecker.“ „Folgen Sie mir bitte“, ächzte der verbitterte Heinrich Probst, obwohl er nicht damit rechnete, dass sie es auch wirklich taten. Und richtig. Thomas torkelte samt Flasche zurück zur Weinstube und Paul, der diesmal eine SMS schrieb, wich dem neugierigen Blick von Horst aus. Er stellte sich an ein schweres Holzgestell. Horst folgte ihm. Heinrich Probst atmete tief durch. Sollten sie sich tatsächlich für die große Kelter interessieren? Er ging zu ihnen und holte zu einer Erklärung über die Funktionsweise aus. Da sah er in die Gesichter der Männer. Sie schauten sich wie zwei Kampfhähne an, die jeden Moment aufeinander losgingen. Horst brach sein Schweigen: „Das war doch meine Frau, der du da eine Nachricht geschrieben hast!“ „Wie kommst du denn darauf?“, versuchte Paul abzuwehren und verdeckte das Display. „Na, nur du nennst sie doch Liebchen - nur du!“ Er bekam dunkelrote Flecken im Gesicht. „Ich nenne viele Frauen Liebchen!“, erklärte Paul in Heinrich Probsts Richtung, der es gar nicht wissen wollte und sich peinlich abwandte. „Ja? Ja, wirklich? Ach hör’ doch auf mit deinen Sprüchen!“, Horst spuckte die Worte verächtlich aus. „Jo, mach doch kää Schbrich!“, übersetzte Heinrich Probst sich leise ins Pfälzische. Horst hysterisch heller werdende Stimme hallte unheimlich wider: „Und was sollte das: Ich möchte dein Prinz sein? Ist es nicht Eva, meine Frau, die für Prinz Charles schwärmt und sämtliche Fotos und Zeitungsausschnitte sammelt, he?“ Heinrich Probst war nun auch ein wenig auf die Antwort gespannt und drehte sich zu den beiden Streithähnen um. Er sah den resignierten Blick von Paul, der sich keine Mühe mehr machte, Ausreden zu erfinden. „Wenn du es nicht mehr bringst!“, war sein letzter Satz, dann bekam er keine Luft mehr, weil Horst ihm an der Kehle hing und mit den Händen zudrückend um seine Ehre kämpfte. Paul befreite sich aus dem Griff. Sie krachten beide auf die Dielen. Wäre Heinrich Probst zwanzig, nein vierzig Jahre jünger gewesen, hätte er eingegriffen, aber so sah er in Anbetracht seiner verkalkten Knochen keine Möglichkeit mehr, dazwischen zu gehen. Er verließ den Raum, um aus der Weinstube Hilfe zu holen. Eilig hatte er es dabei nicht. Heinrich Probst war es so satt! Er schlurfte grüblerisch durch die Räume, dachte dabei an seinen Ruhestand, ans Rasenmähen in seinem bescheidenen Gärtchen. Ihm blieb der Ärger mit den Frauen erspart. Seine Frau, Gott hab sie selig, hatte vor neun Jahren das Zeitliche gesegnet - und die restliche holde Weiblichkeit konnte ihm seitdem gestohlen bleiben. Wie immer, wenn er an den geschnitzten Klemmhölzern der Fasstürchen vorbeikam, blieb er eine Weile fasziniert stehen. Er sah auf die Uhr. Na, eigentlich wäre die Führung jetzt zu Ende gewesen. Heinrich Probst öffnete die Tür zur Weinstube. Hier war die Hölle los. Die Luft warzum Schneiden. Es roch nach verschüttetem Wein, Rauch und Schweiß. Kegelbrüder krakeelten zu den Weinliedern, hier und da klirrte ein Glas. Hinter vorgehaltener Hand raunte er seinem Weinschenk zu, er solle doch mal im Raum mit der großen Kelter nachsehen, da sei ein Handgemenge im Gange.

 
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