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Loe raamatut: «Neu-Land», lehekülg 20

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– Im Kreise S., wie ich gehört habe.

– Von wem haben Sie es gehört?

– Von . . . von einem Menschen. . .

– Natürlich von keinem Vogel. – Aber was ist das für ein Mensch?

– Von . . . von einem Gehilfen des Geschäftsführers der Gouverneurs-Kanzlei.

– Wie heißt er?

– Der Geschäftsführer?

– Nein! Der Gehilfe.

– Er er heißt Uljaschewitsch. Es ist ein sehr guter Beamter, Ew. Excellenz. Als ich von diesem Vorfall Kunde erhielt, eilte ich gleich zu Ihnen.

– Nun ja, nun ja! – Und ich wiederhole, daß ich Ihnen dafür sehr verbunden bin. – Aber welche Thorheit! Es ist doch eine Thorheit! Wie? Herr Paklin? he?

– Eine grenzenlose Thorheit! – rief Paklin, – und dabei fühlte er wie der heiße Schweiß ihm schlangenartig den Rücken herab rieselte. – Das heißt, – fuhr er fort, – den russischen Bauern gar nicht verstehen. Herr Markelow hat, so weit ich ihn kenne, ein gutes und edles Herz; den russischen Bauer aber hat er niemals verstanden (Paklin blickte auf Ssipjagin, der ihn, halb zu ihm gewandt, mit kalten, aber nicht feindseligen Blicken ansah). – Den russischen Bauer kann man aber nicht anders in eine Verschwörung hineinziehen, als wenn man sich seine Ergebenheit gegen die höchste Macht, seine Anhänglichkeit an das Kaiserhaus zu Nutze macht. Man muß irgend eine Legende ersinnen – denken Sie an den falschen Demetrius – mit glühenden Münzen auf der Brust eingebrannte Zeichen zeigen. . .

– Ja, ja, wie Pugatschew, – unterbrach ihn Ssipjagin in einem Tone, als wollte er sagen: »Wir haben die Geschichte noch nicht vergessen brauchst nicht so umständlich zu schwatzen!« – und vertiefte sich mit dem wiederholten Ausruf: – Es ist eine Thorheit! eine Thorheit! – in den Anblick der von der brennenden Cigarre rasch aufsteigenden Rauchwölkchen.

– Ew. Excellenz! – faßte Paklin Muth zu bemerken – ich sagte Ihnen vorhin, daß ich nicht rauche aber das ist nicht wahr – ich rauche doch, und Ihre Cigarre duftet so herrlich . . .

– Wie! was? was sagten Sie? – fragte Ssipjagin, als fahre er aus dem Schlafe empor. – und reichte Paklin, bevor er ihm Zeit gelassen, das Gesagte zu wiederholen, die offene Cigarrendose – wodurch er unzweifelhaft bewies, daß er dessen Worte sehr gut gehört und nur der Wichtigkeit halber gefragt habe.

Paklin rauchte die Cigarre behutsam und dankbar an. »Jetzt ist vielleicht der geeignete Moment,« dachte er; Ssipjagin kam ihm jedoch zuvor.

– Sie sprachen, glaube ich, – warf er, sich selbst unterbrechend, nachlässig hin, indem er bald die Cigarre aufmerksam betrachtete, bald den Hut von dem Nacken in die Stirn rutschen ließ, – Sie sprachen von . . . von Ihrem Freunde, der eine . . . Verwandte von mir geheirathet hat. Sehen Sie sie zuweilen? – Haben sie, sich weit von hier niedergelassen?

(»Eh!« – dachte Paklin – »Ssila, sei auf der Hut!«)

– Ich habe sie überhaupt nur ein Mal gesehen, Ew. Excellenz! Sie wohnen in der That nicht sehr weit von hier.

– Sie begreifen natürlich – fuhr Ssipjagin in derselben Weise fort – daß ich mich, wie ich Ihnen bereits gesagt, in keiner Weise mehr ernstlich für sie interessiren kann – weder für jenes leichtsinnige Mädchen, noch für Ihren Freund. – Mein Gott! ich bin vorurtheilsfrei, aber – Sie werden zugeben, das übersteigt alle Grenzen! – Es ist dumm, wissen Sie. Uebrigens – ich glaube, daß sie mehr die Politik aneinandergefesselt hat . . . (die Politik!,– wiederholte er achselzuckend) – als irgend ein, anderes Gefühl.

– Auch ich bin derselben Meinung, Ew. Excellenz!

– Ja, Herr Neshdanow ist durch und durch ein Rother. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen: er hat mit seinen Ansichten nie zurückgehalten.

– Neshdanow – wagte Paklin zu bemerken – hat sich vielleicht hinreißen lassen; aber sein Herz . . .

– Ist gut – fiel Ssipjagin ein – natürlich natürlich, wie bei Markelow. – Sie haben ja Alle gute Herzen. Er hat wohl auch an der Sache theilgenonnnen . . . und wird auch zur Verantwortung gezogen werden . . . Man wird sich auch noch für Den verwenden müssen! V

Paklin faltete die Hände über die Brust. – Ach ja, ja, Ew. Excellenz! – Gewähren Sie ihm Ihren Schutz! Wahrhaftig . . . er verdient . . . er verdient Ihre Theilnahme.

Ssipjagin räusperte sich.

– Sie meinen?

– Oder, wenn Sie es nicht für ihn thun wollen . . . so doch für Ihre Nichte, für seine Gemahlin! – (»Mein Gott! mein Gott! – dachte Paklin – »wie ich lüge!«)

Ssipjagin kniff die Augen zusammen.

– Sie sind, wie ich sehe, ein treu ergebener Freund. Das ist gut, das ist lobenswerth, junger Mensch. – Und sie leben also, wie Sie sagen, nicht weit von hier?

– Ja, Ew. Excellenz; auf einer großen . . . Anstalt . . . Paklin biß sich auf die Lippen. Ssipjagin schnalzte mit der Zunge.

– Ta, ta, ta, ta bei Ssolomin! Also dort! – Ich wußte es übrigens man hat es mir gesagt; man hat mir davon gesprochen . . . Ja. – (Herr Ssipjagin wußte es keineswegs und es hatte ihm auch Niemand davon gesprochen, aber des Besuchs von Ssolomin gedenkend, ihrer nächtlichen Unterredung, versuchte er diesen Paklin auf das Glatteis zu führen. . . Und dieser Paklin ging auch gleich in die Falle.)

– Wenn Sie das wissen – begann er und biß sich zum zweiten Male auf die Lippen. . . – Aber es war schon zu spät. . . Aus dem einen Blick, den Ssipjagin ihm zuwarf, ersah er, daß Jener mit ihm die ganze Zeit über gespielt hatte, wie die Katze mit der Maus.

– Uebrigens, Ew. Excellenz, – stammelte der Unglückliche, – muß ich Ihnen sagen, daß ich gar nichts weiß. . .

– Aber ich frage Sie ja gar nicht, ich bitte Sie! Was fällt Ihnen ein?! – Für wen halten Sie mich? – versetzte Ssipjagin hochmüthig – und zog sich sofort in die ministerielle Erhabenheit seines Selbst zurück.

Paklin aber fühlte von Neuem, wie kläglich und klein er war, wie er in die Schlinge gerathen . . . Bis dahin hatte er rauchend die Cigarre auf der, Ssipjagin abgewandten Seite des Mundes gehalten und den Rauch vorsichtig auf die entgegengesetzte Seite geblasen; jetzt nahm er sie ganz aus dem Munde und hörte auf zu rauchen.

– »Mein Gott!« – stöhnte er innerlich – und heißer Schweiß rieselte noch stärker als zuvor seinen Rücken entlang. – »Was habe ich gethan! Ich habe Alle und Alles verrathen. . . Ich habe mich bethören, mich durch eine gute Cigarre erkaufen lassen!! . . . Ich bin ein Denunciant und wie soll man das Unheil abwenden! O Gott!

Das Unheil abzuwenden war unmöglich. Ssipjagin schien würdevoll und wichtig zu schlummern, gleichfalls wie ein Minister, der sich in seinen »ehrsamen« Mantel gehüllt. . . Es verging übrigens kaum eine Viertelstunde, als beide Equipagen vor dem Hause des Gouverneurs anhielten.

Fünfunddreißigstes Capitel,

Der Gouverneur der Stadt S. gehörte zu der Zahl jener gutmüthigen, sorglosen Generale aus der großen Welt, denen die Natur einen schön geformten, weißen Körper verliehen und eine fast eben so reine Seele, die von gutem Schlage, gut erzogen und so zu sagen aus feinstem Mehl gebacken sind, die, ohne sich jemals zu dem Amt eines »Hirten ihres Volks« vorbereitet zu haben, eine ganz anständige administrative Befähigung besitzen, die sehr wenig arbeiten, beständig mit Petersburg liebäugeln, allen hübschen Damen der Provinz den Hof machen, ihrem Gouvernement aber dennoch unzweifelhaft Nutzen bringen und sich ein gutes Andenken zu bewahren wissen. – Er war eben ausgestanden und rieb sich, in einem seidenen Schlafrock und offenem Nachthemd vor dem Toilettenspiegel sitzend, nachdem er eine ganze Collection von kleinen Heiligenbildern und Amulets, die an seinem Halse hingen, abgelegt, Gesicht und Hals mit einem Gemisch von Eau-de-Cologne und Wasser – als ihm die Ankunft Ssipjagin und Kallomeyzew’s, in einer wichtigen und eiligen Angelegenheit gemeldet wurde. Mit Ssipjagin stand er auf vertraulichem Fuße, sie nannten sich »Du« – er kannte ihn von Jugend auf, war in den Petersburger Salons oft mit ihm zusammengetroffen, und hatte in der letzten Zeit angefangen, seinem Namen, jedes Mal, wenn ihm derselbe in den Sinn kam, als dem eines künftigen Würdenträgers, in Gedanken ein achtungsvolles: Ah! Hinzuzufügen. Kallomeyzew kannte er nicht so gut, achtete ihn auch viel weniger, da seit einiger Zeit »häßliche« Klagen über ihn zu ihm drangen; er hielt ihn jedoch für einen Menschen – qui fera son chemin – so oder anders.

Er ließ die Herren in sein Cabinet bitten – und kam in demselben seidenen Schlafrock sogleich zu ihnen heraus, sogar ohne sich zu entschuldigen, daß er sie in einem so wenig offiziellen Costüme empfange. – Im Cabinet befanden sich übrigens nur Ssipjagin und Kallomeyzew, Paklin war im Salon geblieben. Als er aus der Kalesche stieg, versuchte er zu entschlüpfen, indem er vorgab, daß er zu Hause zu thun habe, Ssipjagin hielt ihn aber mit höflicher Festigkeit zurück – (auch Kallomeyzew sprang herzu und flüsterte Ssipjagin in’s Ohr: Ne le lachez pas! Tonnerre de tonnerres!) – und führte ihn mit sich hinauf. Er unterließ es jedoch, ihn in’s Cabinet zu führen und bat ihn mit derselben höflichen Festigkeit im Salon zu warten, bis man ihn rufen werde. Paklin hoffte auch jetzt noch entschlüpfen zu können . . . aber an der Thür zeigte sich, von Kallomeyzew insgeheim gerufen, ein handfester Gendarm . . . Paklin blieb im Salon.

– Du erräthst gewiß, was mich zu Dir geführt hat, Woldemar? – begann Ssipjagin.

– Nein, liebes Herz, ich weiß wirklich nicht, – antwortete der liebenswürdige Epikuräer, während sich in Folge eines anmuthigen Lächelns die rosigen Wangen rundeten und die glänzenden, durch den seidenweichen Schnurrbart halb verdeckten Zähne sichtbar wurden.

– Wie? Und Markelow?

– Was heißt das: Markelow? wiederholte der Gouverneur mit demselben Lächeln auf den Lippen. Er erinnerte sich erstens nicht mehr ganz deutlich, daß der gestrige Arrestant Markelow hieß; – dann aber hatte er ganz vergessen, daß Ssipjagin’s Frau einen Bruder dieses Namens besaß. – Was stehst Du denn, Boris – setz Dich doch; willst Du nicht ein Glas Thee trinken?

Aber Ssipjagin war es jetzt nicht um Thee zu thun.

Als er endlich auseinandergesetzt hatte, weshalb er und Kallomeyzew gekommen seien, schlug sich der Gouverneur mit einem betrübten Ausruf auf die Stirn und sein Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an.

– Ja ja . . . ja! – wiederholte er; – was für ein Unglück! Und er sitzt hier bei mir – heute – bis auf Weiteres; Du weißt, daß wir solche Leute niemals länger als nur eine Nacht bei uns behalten; aber der Chef der Gendarmen ist nicht in der Stadt; so ist! Dein Schwager sitzen geblieben . . . Morgen wird er jedoch abgeführt. Mein Gott, wie das unangenehm ist! – Wie Deine Frau betrübt sein mußt! Was willst Du aber eigentlich?

– Ich möchte ihn hier bei Dir sehen, – wenn es nicht gegen das Gesetz verstößt.

– Ich bitte Dich, liebes Herz! – Für Leute, wie Du, existirt das Gesetz nicht. – Ich empfinde eine solche Theilnahme für Dich. . . C’est- affreux, tu sais.

Er schellte in besonderer Weise. Ein Adjutant trat in’s Zimmer.

– Lieber Baron, seien Sie so gut – arrangiren Sie die Sache! – Er sagte ihm, wie und was er thun solle. Der Baron verschwand. – Denke dir, mon cher ami: die Bauern hätten ihn fast getödtet. Die Hände auf den Rücken, in den Karren – und marsch! – Und er – denke Dir! – erzürnt ihnen gar nicht – und ist nicht im Geringsten aufgebracht gegen sie, bei Gott! er ist überhaupt so ruhig . . . Ich bin ganz erstaunt darüber! Du wirst selbst sehen. – C’est un fanatiqae tranquille.

– Ce sont les pires, – rief Kallomeyzew sententiös. Der Gouverneur blickte ihn ernst an.

– A propos, Ssemen Petrowitsch, ich habe mit Ihnen zu reden.

– Worüber?

– Nun . . . es steht nicht gut.

– Was denn eigentlich? – Ihr Schuldner, jener Bauer, wissen Sie, der sich bei mir über Sie beklagt hat . . .

– Nun?

– Der hat sich erhängt.

– Wann?

– Das bleibt sich gleich: wann – aber es steht nicht gut.

Kallomeyzew zuckte die Achseln und wandte sich stutzerhaften Ganges zum Fenster. In diesem Augenblicke führte der Adjutant Markelow herein.

Der Gouverneur hatte die Wahrheit gesagt: er war unnatürlich ruhig. Sogar die gewohnte Düsterkeit war von seinem Antlitz gewichen und hatte einer gewissen gleichgültigen Abspannung Platz gemacht. Er blieb ebenso ruhig, als er den Schwager erblickte und nur in dem flüchtigen Blicke, den er auf den deutschen Adjutanten warf, blitzte auf einen Moment ein Rest von jenem alten Haß auf, den er gegen Leute dieser Art empfand. Sein Paletot war an zwei Stellen zerrissen und in der Eile mit grobem Zwirn wieder zugenäht worden; auf der Stirn, über dem Auge und auf dem Nasenbein waren ein paar kleine, mit geronnenem Blut bedeckte Schrammen sichtbar. Er hatte sich nicht gewaschen, sondern nur das Haar gekämmt. Die übereinandergelegten Hände tief in den Aermeln bergend, blieb er an der Thür stehen. Sein Athem war ruhig.

– Ssergei Michailowitsch! – begann Ssipjagin mit aufgeregter Stimme, indem er sich ihm auf ein paar Schritte näherte und die rechte Hand so weit ausstreckte, daß sie ihn hätte berühren – oder zurückhalten können, wenn er vorgetreten wäre. – Ssergei Michailowitsch! ich bin nicht blos deswegen gekommen, um Dich unseres Erstaunens, unserer tiefen Betrübniß zu versichern, daran kannst Du nicht zweifeln! – Du wolltest Dich selbst in’s Verderben stürzen! und Du hast Dich in’s Verderben gestürzt!! – Aber ich wollte Dich sehen, um Dir zu sagen . . . die . . . die daß Du . . . um Dir die Möglichkeit zu geben, die Stimme der Vernunft, der Ehre, der Freundschaft zu vernehmen! Du kannst Dir Dein Schicksal erleichtern, und, glaube mir, auch ich werde meinerseits Alles dazu thun, was in meinen Kräften steht! Das wird Dir auch der würdige Chef dieses Gouvernements bestätigen. – Hier erhob Ssipjagin die Stimme: – Offenherzige Reue über Deine Verirrungen, rückhaltsloses Geständniß, welches gehörigen Orts zur Mittheilung kommen wird . . .

– Ew. Excellenz – unterbrach ihn plötzlich Markelow, indem er sich zum Gouverneur wandte – und selbst seine Stimme war ruhig, wenn sie auch ein wenig heiser klang, – ich dachte, daß Sie mich sehen wollten, um mich von Neuem zu verhören. . . Wenn Sie mich aber nur haben kommen lassen, weil Herr Ssipjagin mich hat sehen wollen, so lassen Sie mich, bitte, wieder fortführen: wir verstehen einander nicht. Alles, was er da sagt – ist für mich so gut wie Latein.

– Erlauben Sie Latein! – fiel Kallomeyzew herausfordernd kreischend ein. – Ist das – Latein – die Bauern aufwiegeln? – Ist das – Latein? He? Latein? Ja?

– Ist das, Ew. Excellenz, ein Beamter der geheimen Polizei, oder was sonst? So voll Eifer? – fragte Markelow, und um die blassen Lippen zuckte ein schwaches Lächeln der Genugthuung.

Kallomeyzew zischte vor Wuth, stampfte mit den Füßen. . . Der Gouverneur aber that ihm Einhalt.

– Es ist ihre eigene Schuld, Ssemen Petrowitsch. Warum mengen Sie sich in fremde Angelegenheiten?

– Fremde Angelegenheiten . . . fremde . . . Ich glaube, es ist eine allgemeine Angelegenheit . . . die uns Alle betrifft . . . uns Edelleute. . .

Markelow warf einen bedächtigen, kalten Blick auf Kallomeyzew, als wäre es überhaupt das letzte Mal, daß er ihn eines Blickes würdigte, und wandte sich dann zu Ssipjagin. – Wenn Sie aber, lieber Schwager, meine Ansichten wissen wollen, so will ich sie Ihnen nicht vorenthalten: ich erkenne das Recht der Bauern an, mich zu arretiren und auszuliefern, wenn ihnen das, was ich sprach, mißfiel. Es war das ihr Wille, den ich achte. Ich bin zu ihnen gekommen, nicht sie zu mir. Und auch die Regierung – wenn sie mich nach Sibirien schickt – ich werde nicht murren – wenn ich mich auch nicht für schuldig erklären werde. Sie thut das Ihrige – sie vertheidigt sich. – Sind Sie jetzt befriedigt?

Ssipjagin hob die Hände empor.

– Befriedigt!! Was das für ein Wort ist! – Es ist nicht davon die Rede, was die Regierung thun wird – und wir sind nicht berufen, über sie zu Gericht zu sitzen; – ich will nur wissen, ob Sie . . . ob Du. . . Ssergei – (Ssipjagin entschloß sich herzlichere Saiten anzuschlagen) – das Thörichte, das Sinnlose Deines Unternehmens einsiehst, – ob Du Deine Reue durch die That zu bezeugen bereit bist, und ob ich mich für Dich verbürgen kann – bis zu einem gewissen Grade verbürgen, Ssergei!

Markelow zog die dichten Brauen zusammen.

– Ich habe Alles gesagt . . . und will es nicht wiederholen.

– Aber die Reue! Wo ist die Reue?

Markelow fuhr plötzlich auf.

– So bleiben Sie mir doch mit Ihrer »Reue« vom Leibe! Wollen Sie mir denn durchaus in die Seele dringen? Dieses wenigstens könnten Sie mir selbst überlassen.

Ssipjagin zuckte die Achseln.

– So bist Du immer; niemals willst Du auf die Stimme der Vernunft hören! Du hast die Möglichkeit, Dich in stiller, anständiger Weise abzufinden . . .

– Still, anständig . . . – wiederholte Markelow finster. – Wir kennen den Sinn dieser Wortes Man pflegt sie gewöhnlich an Diejenigen zu richten, welchen man den Antrag macht, eine gemeine Handlung zu begehen. Das ist’s, was diese Worte bedeuten!

– Wir bedauern Euch, – fuhr Ssipjagin fort, Markelow zu ermahnen, – Ihr aber haßt uns.

– Ein schönes Bedauern! Nach Sibirien mit uns, in die Bergwerke – das ist Euer Bedauern! Ach laßt mich . . . laßt mich um Gottes Willen!

Markelow senkte den Kopf.

Sein Gemüth war trübe, wenn er auch äußerlich ruhig schien. Es quälte und schmerzte ihn vor Allem, daß es gerade jener Jeremei aus Golopljok gewesen, der ihn verrathen, jener Jeremei. auf den er so fest gebaut hatte! Daß Mendelei ihm nicht hatte folgen wollen, darüber wunderte er sich im Grunde nicht . . . Mendelei war betrunken und hatte daher die Courage verloren. Aber Jeremei!! In Markelow’s Augen war in Jeremei gleichsam das ganze russische Volk verkörpert . . . Und dieser Jeremei hatte ihn verrathen! – Es war somit Alles, wofür Markelow so sehr geeifert, nicht richtig, war verfehlt? – Kissljakow hatte also in den Wind geschwatzt, die Befehle, die Wassili Nikolajewitsch ertheilt, waren thöricht und inhaltslos, und alle jene Artikel, Bücher und Werke der Sozialisten, der Philosophen, in welchen ihm jeder Buchstabe über allen Zweifel erhaben und unwiderlegbar schien, dies Alles war nur Lug und Trug. Sollte das wirklich möglich sein?? – Und dieser schöne Vergleich mit einem reifen Geschwür, das nur eines Lanzettschnittes bedürfe – auch das wäre nur eine Phrase? Nein! nein! – flüsterte er vor sich hin und auf seinen Bronzewangen zeigte sich ein schwächer ziegelrother Schimmer, – nein; es ist Alles wahr, Alles . . . ich allein bin schuld, ich habe es nicht verstanden, habe nicht das Rechte gesagt, bin nicht in der richtigen Weise vorgegangen! – Ich hätte einfach befehlen sollen, wenn mich aber Jemand hätte hindern oder mir widerstreben wollen – ihm ohne Zaudern eine Kugel in den Leib sagen müssen! Wer nicht mit uns ist, der hat kein Recht zu existiren . . . werden Spione doch wie Hunde getödtet, und schlechter noch als Hunde! Es traten ihm wieder die Einzelheiten seiner Gefangennahme vor die Seele . . . Zuerst allgemeine Stille, mit den blinzelnden Augen zugeworfene Winke, einzelne Rufe in den hinteren Reihen . . . Dann nähert sich ihm Einer von der Seite, als ob er sich vor ihm verbeuge. Darauf dieses plötzliche Getümmel! Und wie er im Nu in die Höhe gehoben und zu Boden geworfen wird . . . »Brüder . . . Brüder was thut Ihr?« – Sie aber: »Einen Gürtelriemen her! Bindet ihn! Alle Knochen krachen . . . machtloser Zorn im Herzen . . . stinkender Staub im Munde, in der Nase . . . »Hinauf mit ihm, hinauf . . . auf den Karren!« Jemand lacht laut auf . . .

– Ich hätte es anders . . . anders machen sollen Das war es eigentlich, was an ihm nagte, was ihn quälte; daß er selbst unter das Schicksalsrad gekommen, das war sein persönliches Unglück, das zu der allgemeinen Sache in keiner Beziehung stand, das zu ertragen wäre . . . aber Jeremei! Jeremei!

Während Markelow mit gesenktem Haupte dastand, hatte Ssipjagin den Gouverneur bei Seite gezogen und mit ihm leise zu sprechen begonnen, indem er seine Worte mit maßvollen Gesten begleitete, mit zwei Fingern der einen Hand einen kleinen Triller auf seiner Stirn schlug, als wolle er damit sagen, daß es bei diesem Menschen dort nicht ganz richtig sei und sich überhaupt bemühte, wenn auch nicht Mitleid, so doch Nachsicht für den Thörichten zu erwecken. Der Gouverneur zuckte die Achseln, indem er bald zu Boden blickte, bald wieder zu Ssipjagin aufschaute, dann wieder bedauerte, daß er selbst so wenig Macht besäße, – versprach ihm jedoch, irgend etwas zu thun . . . »Tous les égards . . . certainement, tous les égards . . «. – ertönten die angenehm schnarrenden, weich durch den parfümirten Schnurrbart gleitenden Worte . . . »Aber du weißt: das Gesetz!« – Natürlich: das Gesetz! – stimmte Ssipjagin mit einer gewissen rauhen Unterwürfigkeit bei.

Während sie so in der Ecke mit einander sprachen, war es Kallomeyzew sast unmöglich, ruhig aus seinem Platze zu bleiben: er drehte sich nach allen Seiten, schnalzte mit der Zunge, ächzte und war nicht im Stande, seine Ungeduld zu zügeln. Endlich ging er aus Ssipjagin zu und raunte ihm hastig in’s Ohr: – Vous l’onbliez l’antrei.

– Ach ja! – versetzte Ssipjagin laut. – Merdi de me l’avoir rappelé. – Ich muß noch folgende Thatsache zur Kenntniß Ew. Excellenz bringen – wandte er sich zum Gouverneur . . . (Er nannte seinen Freund Woldemar bei diesem Ehrentitel, um das Prestige der Macht in Gegenwart des Revolutionärs aufrecht zu erhalten). Ich habe triftige Gründe zu der Annahme, daß das unsinnige Unternehmen meines Schwagers nicht ohne eine gewisse Verzweigung ist, und daß der eine von diesen Zweigen, d. h. eine der verdächtigen Persönlichkeiten, sich in der Nähe der Stadt aufhält. Laß eintreten – fügte er leiser hinzu – in Deinem Salon befindet sich Jemand . . . Ich habe da Einen mitgebracht.

Der Gouverneur blickte aus Ssipjagin, rief in Gedanken voll Achtung aus: »Was für ein Mann!« und ertheilte den gewünschten Befehl. Einen Augenblick daraus stand der Knecht Gottes, Ssila Paklin vor seinem Angesicht.

Ssila Paklin begann damit, daß er sich tief vor dem Gouverneur verneigte; als er aber Markelow erblickte, blieb er, ohne die Verneigung zu vollenden, in der gebeugten Stellung und drehte voll Verlegenheit die Mütze in seinen Händen. Markelow schaute mit zerstreutem Blicke zu ihm auf, schien ihn jedoch nicht zu erkennen, denn er verfiel von Neuem in’s Brüten.

– Ist das – der Zwerg? – fragte der Gouverneur, mit dem großen, weißen, mit einem Türkis geschmückten Finger aus Paklin weisend.

– O nein! – antwortete Ssipjagin lächelnd. – Wer weiß übrigens? – setzte er, nachdem er ein wenig nachgedacht, hinzu. – Hier, Ew. Excellenz. – begann er laut, – steht ein gewisser Herr Paklin vor Ihnen. Er ist, so viel mir bekannt, ein Einwohner Petersburgs und der intime Freund eines Menschen, der bei mir als Lehrer fungirt und mein Haus verlassen hat, indem er zugleich – ich füge es erröthend hinzu – ein junges Mädchen, meine Verwandte, verlockt hat, ihm zu folgen.

– Ah! ouj, ouj! – murmelte der Gouverneur und nickte mit dem Kopf; – ich habe davon gehört. . .Die Gräfin erzählte mir . . .

Ssipjagin erhob die Stimme.

– Dieser Mensch ist ein gewisser Herr Neshdanow, den ich stark im Verdacht habe, daß er unsinnigen Ansichten und Theorien huldigt. . .

– Un rouge à tous crins, – fiel Kallomeyzew ein. . .

– Daß er unsinnigen Ansichten und Theorien huldigt, – wiederholte Ssipjagin mit besonderem Nachdruck, – und dieser Propaganda natürlich nicht fern stehen kann; er befindet sich . . . er verbirgt sich, wie mir Herr Paklin gesagt hat, aus der Fabrik des Kaufmanns Falejew. . .

Bei den Worten: »wie mir Herr Paklin gesagt hat,« warf Markelow zum zweiten Mal einen Blick auf Paklin – und lächelte langsam und gleichgültig – Erlauben Sie, erlauben Sie, Ew. Excellenz, – schrie Paklin, – und auch Sie, Herr Ssipjagin, ich habe niemals . . . niemals. . .

– Du sagst: des Kaufmanns Falejew, – wandte sich der Gouverneur zu Ssipjagin und bewegte blos die Finger in der Richtung zu Paklin hin, als wollte er sagen: – Ruhig, Freundchen, ruhig!« – Was fällt ihnen denn ein, unseren würdigen Graubärten? Gestein ist schon einer in derselben Sache arretirt worden. Du hast den Namen vielleicht gehört: der reiche Goluschkin. Nun, der bringt keine Revolution zu Stande. Der hört nicht auf, seit er sitzt, auf den Knieen zu kriechen.

– Der Kaufmann Falejew hat hiermit nichts zu thun, – versetzte Ssipjagin mit Nachdruck, – ich kenne seine Ansichten nicht; ich spreche nur von seiner Fabrik, auf welcher sich, nach Herrn,Paklin’s Worten, Herr Neshdanow gegenwärtig aufhält.

– Ich habe das nicht gesagt! – schrie Paklin von Neuem. – Sie haben es gesagt.

– Erlauben Sie, Herr Paklin, – fuhr Ssipjagin mit demselben unerbittlichen Nachdruck fort. – Ich achte das Gefühl der Freundschaft, welches Sie zu Ihrer »Denegation« veranlaßt. – (»Dieser . . . Guizot!« dachte der Gouverneur.) – Ich wage es aber, mich selbst Ihnen als Beispiel anzuführen. Glauben Sie denn, daß das verwandtschaftliche Gefühl in mir nicht eben so stark ist, wie das Gefühl der Freundschaft in Ihnen? Aber es giebt noch ein anderes Gefühl, mein Herr, welches noch stärker ist und welches die Richtschnur aller unserer Handlungen und Thaten bilden muß: das Gefühl der Pflicht!

– Le sentiment du devoir! – erklärte Kallomeyzew.

Markelow’s Blick glitt über die beiden Sprechenden hin.

– Herr Gouverneur, – sagte er, – ich wiederhole meine Bitte: lassen Sie mich aus der Gesellschaft dieser beiden Schwätzer fortführen.

Hier kam aber der Gouverneur ein wenig aus der Fassung.

– Herr Markelow! – rief er. – Ich würde Ihnen in Ihrer jetzigen Lage rathen, die Zunge etwas mehr in Zaum zu halten und auch mehr Achtung gegen Höherstehende zu zeigen namentlich wenn sie patriotischen Gefühlen Ausdruck geben in der Art derjenigen, welche Sie soeben aus dem Munde Ihres Schwagers vernommen- haben! – Ich werde es für ein Glück halten, lieber Boris, – setzte der Gouverneur, zu Ssipjagin gewandt, hinzu, – Deine edelmüthige Handlung zur Kenntniß des Ministers bringen zu können. – Bei wem hält sich dieser Herr Neshdanow auf der Fabrik denn eigentlich auf?

Ssipjagin runzelte die Stirn- – Bei einem gewissen Herrn Ssolomin, dem Hauptmechaniker der Fabrik, wie mir derselbe Herr Paklin sagte.

Ssipjagin schien es besonderes Vergnügen zu bereiten, den armen kleinen Ssila zu martern: er rächte sich jetzt an ihn für die ihm im Wagen gereichte Cigarre, für die familiäre Höflichkeit seines Benehmens und sogar für den Versuch, den er gemacht, sich bei ihm einzuschmeicheln.

– Und dieser Ssolomin – fügte Kallomeyzew hinzu – ist zweifellos auch einer von den Radikalen und ein Republikaner – es wäre nicht schlecht, wenn Ew. Excellenz auch auf ihn Ihr Augenmerk richten würden.

–– Sie kennen diese Herren . . . Ssolomin . . . und wie hieß er doch? . . . und Neshdanow? – fragte der Gouverneur Markelow halb im Ton eines Vorgesetzten, durch die Nase.

Markelow blies schadenfroh die Nasenflügel auf.

– Und Sie, Ew. Excellenz, kennen Sie Confucius und Titus Livius?

Der Gouverneur wandte sich ab.

– Il n’y a pas moyen de causer avec cet homme, – versetzte er achselzuckend. – Herr Baron, kommen Sie, bitte hierher.

Der Adjutant sprang herzu. Paklin aber näherte sich, den Augenblick benutzend, hinkend und strauchelnd, Ssipjagin.

– Was machen Sie, – flüsterte er, – warum stürzen Sie Ihre Nichte ins Verderben? Sie ist ja bei ihm, bei Neshdanow!

– Ich stütze Niemand in’s Verderben, mein Herr, – antwortete Ssipjagin laut. – Ich thue nur das, was mir die Pflicht befiehlt und . . .

– Und Ihre Gemahlin, meine Schwester, unter deren Pantoffel Sie stehen, – unterbrach ihn Markelow eben so laut.

Ssipjagin verzog nicht einmal eine Miene . . .so tief unter seiner Würde war es, darauf zu antworten!

– Hören Sie, – fuhr Paklin flüsternd fort; er zitterte am ganzen Körper vor Aufregung und vielleicht vor Furcht, aus den Augen aber sprühte Zorn, Thränen erstickten fast seine Stimme – Thränen des Mitleids um Jene und der Erbitterung über sich selbst. – Hören Sie, ich habe Ihnen gesagt, daß sie verehelicht ist – ist nicht wahr – ich habe gelogen! Sie werden sich aber trauen lassen, und wenn Sie dieses verhindern, wenn die Polizei dazwischenkommt, so wird ein Fleck auf Ihrem Gewissen bleiben, den Sie niemals werden abwaschen können – und Sie . . .

– Die Nachricht, die Sie mir mitgetheilt haben, – fiel Ssipjagin noch lauter ein – vorausgesetzt, daß sie richtig ist, woran ich aber zweifle, – diese Nachricht könnte die Maßregeln, die ich zu ergreifen für nöthig finden wurde, nur beschleunigen; was aber die Reinheit meines Gewissens betrifft, so muß ich Sie ersuchen, mein Herr, diese Sorge mir selbst zu überlassen!

– Es ist ein sein polirtes Gewissen, Freund, – fiel Markelow wieder ein, – und mit Petersburger Firniß überzogen, da dringt nichts durch! Du aber, Herr Paklin, Du magst flüstern, so viel Du willst: Du wirst Dich doch nicht »herausflüstern«, es ist verlorene Mühe!

Der Gouverneur fand es für nöthig, diesen Streitigkeiten ein Ende zu machen.

– Ich denke, – begann er, – daß Ihr Euch, meine Herren, zur Genüge ausgesprochen habt; seien Sie daher so gut, lieber Baron, Herrn Markelow fortzuführen. N’est ce pas, Boris, Du bedarfst seiner nicht mehr? . . .

Ssipjagin hob die Hände.

.– Ich habe Alles gesagt, was ich sagen konnte!

– Also gut! – Lieber Baron! . . .

Der Adiutant näherte sich Markelow, schlug mit den Sporen an einander, und machte eine horizontale Bewegung mit der Hand, die da bedeuten sollte: »Seien Sie so freundlich, mir zu folgen!« Markelow drehte sich um und ging hinaus. Paklin drückte ihm die Hand, freilich nur in Gedanken, aber mit herzlichem, bitterem Mitleid.

– Auf die Fabrik aber schicken wir unsere Leute, – fuhr der Gouverneur fort. – Aber noch Eins, Boris: jener Herr – (er wies mit dem Kinn auf Paklin) – hat Dir, glaube ich, Einiges über Deine Anverwandte mitgetheilt . . . daß auch sie auf jener Fabrik sich aufhalte . . . Wie soll man es nun machen. . .

– Sie braucht jedenfalls nicht arretirt zu werden, – bemerkte Ssipjagin mit wichtiger Miene; – sie wird sich vielleicht noch bedenken und zu uns zurückkehren. Wenn Du erlaubst, schreibe ich ihr ein Briefchen.

– Sei so gut. Und sei überhaupt versichert . . . Nous coffrerons le quidam . . . mais nous sommes galants avec les dames . . . et avec celle-là done!

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
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Ilmumiskuupäev Litres'is:
04 detsember 2019
Objętość:
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