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J.D. David

Sternenglanz

Legenden von Valorien

Legenden von Valorien

Sternenglanz

J.D. David


Impressum

© 2021 J.D. David

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-754167-45-8

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Prolog 778 St. Gilbert

Schatten waren für die meisten Wesen etwas Bedrohliches. Sie raubten die Wärme des Lichtes. Sie verdunkelten die Sinne. Sie kündeten von der Ankunft etwas Bösem. Sie verhießen Dunkelheit. Doch nicht für sie. Die Schatten gaben ihr Geborgenheit. Sie legten sich um sie wie ein schützender Mantel, umschlossen sie wärmend, und schirmten sie von der Bosheit der Außenwelt ab. Immer wieder spürte sie die Schatten.

Ihr habt euch dieses Ende selbst ausgesucht. Die kalte Stimme in ihren Gedanken mochte düster wirken. Für sie war sie immer wieder beruhigend. Wieder und wieder hörte sie die Worte und spürte die Präsenz des Mannes, der sie gesprochen hatte. Ein Krieger, entsprungen aus den Schatten, der sie schützte. Gerade wollte sie sich in diesem Gefühl der Sicherheit entspannen, zurückfallen lassen, als es weggerissen wurde. Immer wieder.

Fürst Tanatel. Der laute Ausruf der Menschen hatte etwas Überraschtes, aber auch etwas Schockiertes. Sie hörte wieder die Geräusche eines ungleichen Kampfes. Sie sah das Rot. Das Rot des Blutes, das sie schon umgab, und doch immer mehr wurde, während der Krieger sein blutiges Werk vollendete.

Mama! Ihr flehentlicher Schrei hallte von den Mauern wider. Doch er änderte das Schicksal der Frau nicht, die sie hatte schützen wollen. Die kalte, glänzende Klinge bohrte sich in den Leib. Das Leben wich aus der Mutter, so wie das Blut aus den Wunden floss. So blieb sie als ängstliches Mädchen zurück, in eine Ecke gedrückt, schutzlos, allein.

Verschont sie. Ich flehe euch an. Sie ist doch nur ein Kind. Die verzweifelten Worte einer Mutter. Es war ihr nie um ihr eigenes Leben gegangen. Nur das Leben ihrer Tochter zählte. Das Mädchen blinzelte. Selbst in ihrem Traum wurde sie vom Licht geblendet, als die Krieger die Tür aufschlugen. Es war grell, es ließ keine Schatten zu. Es deckte alles auf. All die Bosheit der Welt trat im Licht erst vollständig hervor.

Wieder und wieder sah sie den Traum. Immer die gleiche Geschichte. Immer die gleichen Bilder. Sie liefen vor ihrem inneren Auge ab, als wäre es gestern gewesen. Das Ende war vorbestimmt. Es war die Rettung. Doch der Weg dahin bestand aus Schmerzen, und so bewegte sich der Traum stets vom Ende zum Anfang. Verängstigt saß sie in der Ecke. Die Mutter umarmte sie, doch sie spürte kaum ihre Wärme. Stattdessen hörte sie nur die bedrohlichen Laute von draußen. Die Schritte von Marschierenden. Die Rufe von Befehlen. Die verzweifelten Kämpfe der Verteidiger. Doch immer wieder schallte ein Ruf an ihre Ohren. Treu und Ehr. Valorien!

Der Anfang war das Ende. Und das Ende der erneute Anfang des Traumes. Groß stand der Krieger über ihr und reichte ihr die Hand. Du bist jetzt sicher, Yatane. Die Worte waren sanft, beruhigend. Sie griff die Hand. Der Schatten umschloss sie. Und sie wollte nie wieder davon weggehen. Ihr Leben sollte mit ihm verwoben sein. Doch dann wurde sie aus der Geborgenheit hinausgerissen und wieder in die Schrecken des Traums geworfen.

„Yatane.“ Die sanfte Stimme einer Frau riss sie aus dem Traum, der für sie schon zur unausweichlichen Ewigkeit geworden war. „Wach auf, Yatane.“

Langsam kehrten ihre Sinne in die Realität zurück. Die Luft um sie herum war frisch, aber nicht kalt. Wie an einem Sommermorgen im Wald. Von draußen hörte sie auch das Zwitschern von Vögeln, aber auch die gedämpften Gespräche der Anwohner. Durch die offenen Fenster strich eine warme Brise in den Raum. Sie war nicht mehr in Valorien.

Vorsichtig öffnete sie die Augen. Erst musste sie blinzeln. Das Licht, die Helligkeit war unerträglich für jemanden, der so lange Zeit in der Dunkelheit des Traumes verbracht hatte. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie geschlafen hatte. Es könnten Stunden gewesen sein. Tage. Monate. Jahre. Oder noch viel länger. Für sie zählte Zeit so wenig, wie für die anderen Einwohner dieses Landes. Denn selbst die ersten, verschwommenen Bilder vor ihrem Auge machten deutlich wo sie war: Alydan. Das Reich der Elfen. Dann öffnete sie ihre tiefgrünen Augen vollständig und blickte sich um.

Sie lag in einem großen, weichen Bett in der Mitte des Raumes. Die Möbel und Verzierungen an den Wänden waren edel, fürstlich. Die Wände verschmolzen mit Baumstämmen, zwischen denen das Haus errichtet worden war. Es bildete eine Symbiose mit der Natur um es herum, und war nicht deplatziert in ihr, wie die Fremdkörper, die die Menschen bauten. Vorsichtig richtete sie ihren erschöpften Körper auf, rutschte nach hinten, und lehnte sich an die Wand hinter dem Bett. Sie blickte auf ihre langen, glatten, schwarzen Haare. Ihr Glanz war etwas gewichen. Wohl auch eine Folge der Erschöpfung. Erst dann drehte sie sich zu der Frau, die sie aufgeweckt hatte.

„Wo bin ich?“, fragte Yatane, obwohl sie die Antwort vermutete.

„Im Palast von Alydan. Im heiligen Reich. Du hast lange geschlafen, Yatane. Doch heute spürte ich, dass es Zeit war, dass du wieder aufwachen würdest.“

Yatane musterte die Frau. Sie hatte lange, hellblonde Haare. Obwohl ihr Gesicht alterslos war wie das aller Elfen, erkannte man in dem Blick der Erfahrung hunderter Jahre. Sie wusste, wer diese Person war.

„Meine Herrin.“, sagte sie und neigte den Kopf, als sie realisierte, dass ihr die erste Fürstin der Elfen, die Herrscherin von Alydan, gegenübersaß. „Wie bin ich hierhergekommen?“

„Weißt du, was du getan hast?“, stellte die Fürstin eine Gegenfrage. Yatane senkte den Kopf. Sie überlegte kurz, wusste aber genau, ihre Erinnerungen einzuordnen. Sie kannte die Grenze zwischen Realität und Traum.

„Ja, meine Fürstin.“, antwortete sie kurz.

„Seit dem Tag sind viele Jahre vergangen. Doch die Verbrechen können nicht vergessen werden. Erhole dich von deinen Strapazen. Aber dann wirst du vor den Rat treten müssen, um dich zu verantworten.“, sprach die Fürstin. Obwohl die Stimme weiterhin sanft war, schwang eine bestimmte Strenge mit.

Yatane nicke. Erschöpft atmete sie aus und schaute aus dem Fenster. Sie musste noch immer leicht blinzeln, als sie so in das grelle Licht der Sonne blickte. Licht, dass alles umgab und alle Geheimnisse offenlegen würde. Sie sehnte sich in diesem Moment nach der wärmenden Umarmung des Schattens. Doch dieser war für immer gewichen. Daran erinnerte sie sich.

„Das Verbrechen des Verrates zieht nur eine Strafe nach sich, mit der wir aller belegten, die es begingen.“ Die Stimme des Herrn des Feuers ließ Yatane leicht zusammenfahren. Zu entschlossen, ja fast hasserfüllt, waren die Worte gesprochen. Gerade von Fürst Kailan hatte sie Unterstützung erhofft. War er nicht seit jeher Befürworter ihres Kampfes gewesen? Doch noch stärker schien seine Loyalität und Prinzipientreue gegenüber dem heiligen Reich zu sein. „Sie sollte verbannt werden, auf ewig Alydan zu verlassen. Kein Elf soll sie mehr als einer der Unseren willkommen heißen. Von diesem Tage, bis zum Ende der Welt.“

„Kailan, du musst schon zugeben, dass dieser Fall etwas anders gelagert ist als jene, die du ansprichst.“ Yatane blickte zu der Elfenfürstin, die widersprach. Siliva. Eine für eine Fürstin der Elfen geradezu fröhliche und offene Persönlichkeit. „Yatane hat ihre Schuld eingestanden und Reue gezeigt. Sie wurde zum Verrat verführt und hat diesen nicht aus eigenem Antrieb begangen, sondern im Glauben etwas Gutes zu tun.“

„Ich stimme Siliva zu.“ Arkas, der Herr des Eisens, genoss selbst unter den Fürsten großen Respekt, doch stand er auch immer schon den Menschen recht nahe. Eine Eigenschaft, die ihm manche als Schwäche auslegten. „Es ist unabdingbar, dass die junge Kriegerin bestraft wird. Doch ein Ausschluss aus unserer Mitte für die Ewigkeit erscheint mir ein unangemessenes Urteil.“, fügte er hinzu, doch schaute nicht in den Rat zu den anderen Fürsten, sondern nur zu Yatane. Fast schüchtern lächelte diese leicht und nickte dem Fürsten dankend zu. Dann blickte sie sich im Rat um, wartete auf weitere Reaktionen.

Der Rat des heiligen Reiches bestand aus den fünfzehn Fürsten der Elfen, die seit Anbeginn der Zeit über diese Welt wachten. Doch nun saßen nur zwölf der Fürsten vor Yatane. Das Fehlen einiger Fürsten hatte gravierende Gründe. Jeder Elf kannte sie. Fast jeder der Fürsten hatte sich vor ihr zu ihrem Fall geäußert, nachdem sie detailliert ihre Verfehlungen eingestanden hatte. Lediglich der dritte Fürst, Richter des Rates, wartete auf das Votum der anderen. Und ein Fürst schwieg beharrlich: Elian, Herr der Stürme. Sein Blick war stoisch auf Yatane gerichtet, selbst als jeder der anderen Fürsten sprach. Sie versuchte den Blick zu deuten. War es Enttäuschung? Verachtung? Trauer? Doch sie vermochte die Gedanken des Elfen nicht zu entschlüsseln.

„Ich habe eure Worte vernommen, Fürsten.“, setzte dann der Richter zum Spruch an, der dritte Fürst und mit seinen Geschwistern Herrscher Alydans. „Eine Kriegerin wurde auf den falschen Weg geführt, und hat schwere Verbrechen begangen. Gegen das heilige Reich, gegen jeden Elfen, und gegen unsere Welt selbst. Ihre Schuld steht außer Frage, doch auch ihre Reue ist nicht zu bestreiten.“, begann er zu sprechen. Yatane spürte ihren Herzschlag. Egal welcher Spruch folgen würde, sie würde das Urteil akzeptieren müssen. „Doch die Umstände mildern die Schuld. Ich bin nicht bereit, sie aus unserer Mitte zu vertreiben. Sie ist und bleibt Teil unseres Volkes, mit allen verbundenen Rechten und Pflichten. Doch ich verfüge, dass Yatane Alydan nie wieder verlassen darf. Sie soll in diesem Land in alle Ewigkeit verweilen, um es zu schützen, und der Gemeinschaft zu dienen, auf dass sie ihre Verfehlung nicht mehr wiederholen kann.“

 

Alle Fürsten nickten. Auch wenn einige der Elfen eine andere Meinung vertreten hatten, fügten sie sich ohne Widerspruch dem Urteil. Es war endgültig. Yatane atmete erleichtert aus.

Wasser umspülte ihre Füße, als sie am Strand saß und die Wellen beobachtete, die auf das Land trafen. Es war ein warmer Tag. Es waren stets warme Tage hier in Alydan. Während in vielen Ländern der Menschen die Jahreszeiten wechselten, war es hier im heiligen Reich der Elfen stets Sommer. Yatane hatte schon viele Länder bereits, und wusste, dass sie es mit ihrem ewigen Aufenthalt in Alydan nicht schlecht getroffen hatte. Eine Erkenntnis, die sie über die letzten Monate aufgebaut hatte. Sie versuchte dabei auch sich selbst zu überzeugen. Doch immer, wenn sie wie jetzt am Strand saß und auf das Meer schaute, bekam sie auch ein bisschen Fernweh. Neue Länder zu sehen. Weit weg von dem heiligen Reich der Elfen im Schatten des Weltenbaumes. Und auch um ihre eigentliche Heimat wieder zu sehen. Doch das Urteil war eindeutig gewesen. In alle Ewigkeit.

Sie ließ sich fallen und sank in den feinen Sand des Strandes. Seufzend atmete sie aus und blickte in den Himmel. Viele Menschen würden Alydan wohl als Paradies bezeichnen. Sie würden nie verstehen, dass man auch in einem Paradies seiner Freiheit beraubt sein konnte. Wie schön wäre es wohl fliegen zu können. Dann könnte sie überall hinreisen, wo sie wollte. Denn in dieser Hinsicht war Alydan das ideale Gefängnis: ohne ein Schiff konnte man überhaupt nirgendwo hin. So hatte man Yatane auch keinen Bewacher zur Seite gestellt. Es war nicht nötig.

„Los Anna, komm schon.“ Die fröhliche Stimme eines Kindes riss Yatane aus ihren Gedanken. Denn es war in der Tat ein ungewöhnlicher Klang, den man in Alydan nicht oft hörte. Elfen hatten auch Kinder, doch aufgrund ihrer langen Lebensdauer gab es auf die Bevölkerung bezogen deutlich weniger Kinder als bei Menschen. Doch Yatane hatte eine andere Vermutung, um wen es sich handeln konnte. Sie stand auf und klopfte sich den Sand von der Kleidung, um zur Quelle der Stimme zu gehen. Sie musste nicht lange suchen.

Direkt vor ihr lief das Mädchen aus dem Wald hinaus auf den Strand und schnell hin zum Wasser. Ihr folgte eine etwas ältere Magd, die einen Korb trug. Beide waren, wie Yatane vorher vermutet hatte, Menschen. Wohl zwei der einzigen drei Menschen, die zurzeit in Alydan weilten.

Das Mädchen hatte das Wasser fast erreicht, als sie Yatane bemerkte. Sie hielt inne und drehte sich zur Elfe. Yatane musterte das Kind. Sie war acht, vielleicht neun Jahre alt, hatte hellblonde Haare, die allerdings durch eine schwarze Strähne durchbrochen wurden. Und sie blickte Yatane mit großen Augen an.

„Hallo.“, sagte das Mädchen.

„Hallo.“, erwiderte Yatane lächelnd. „Dann bist du wohl die junge Königin Valoriens, von der man so viel hört.“, fügte sie hinzu.

„Ja. Ich bin Luna.“, antwortete das Mädchen stolz und stützte die Hände in die Seiten.

„Luna, wo bleiben deine Manieren.“, maßregelte sie die Amme, als sie die beiden erreichte.

„Tut mir leid.“, sagte Luna leise mit gesenktem Kopf zu Anna gerichtet. Dann drehte sie sich wieder zu Yatane, machte einen leichten, etwas unbeholfenen Knicks, und begann dann nochmal von vorne.

„Es ist mir eine Ehre Euch kennen zu lernen. Ich bin Luna I. Amalia von Valorien, Königin von Valorien in den Reichen der Menschen. Mit wem habe ich die Ehre?“, spulte sie dann eine Vorstellung ab, die sie sowohl des Öfteren vortragen musste. Yatane erwiderte mit einem Grinsen, tat der Königin dann aber den Knicks nach.

„Es ist mir eine Ehre Euch kennen zu lernen, königliche Hoheit. Mein Name ist Yatane. Ich bin allerdings nur eine einfache Kriegerin Alydans, also besteht nicht die Notwendigkeit gehobener Etikette.“, antwortete sie. „Außerdem wollte ich Euch natürlich nicht von eurem königlichen Bad abhalten.“, fügte sie mit einem Zwinkern hinzu.

„Was machst du hier?“, fragte Luna dann die Elfe. Eine wohl berechtige Frage, denn die meisten der Elfen hatten klare Aufgaben, denen sie diszipliniert nachgingen.

„Ich denke, dass gleiche wie du, junge Königin. Ein bisschen Durchatmen von den Zwängen und Regeln, die in der Stadt gelten. Hier fühlt man ein bisschen Freiheit.“

„Das ist schön.“, antwortete das Mädchen und zeigte dann auf den Korb, den die Amme trug. „Willst du mit uns essen? Geron hat mich den heutigen Tag von Lektionen freigestellt, nachdem ich alle Könige der letzten 200 Jahre aufzählen konnte.“, sagte sie mit nicht zu verleugnetem Stolz.

„Das würde ich sehr gerne, wenn es deine Wächterin erlaubt.“, sagte Yatane und blickte zu Anna, die nur freundlich nickte.

„Natürlich. Es ist genug da.“

„Und um mir mein Mahl zu verdienen, will ich dir gerne einige Geschichten aus deiner Heimat erzählen.“, sagte Yatane, als sie sich wieder in den Sand setzte. Luna schaute sie mit großen Augen an. Den ursprünglichen Plan, ein Bad im Meer zu nehmen, schien sie bereits wieder verworfen zu haben.

„Du kennst Valorien? Warst du dort? Kennst du meinen Vater?“

Yatane schüttelte den Kopf. „Nein, ich kenne ihn nicht. Aber Valorien und die umliegenden Reiche kenne ich gut. Denn ich weilte einige Jahre in diesem Land. Lass mich dir die Geschichte von Fürst Tanatel erzählen, der einst über Valorien als Elfenfürst wachte.“, sagte sie und wollte gerade zu erzählen beginnen, stockte dann aber kurz. Dann fügte sie leiser hinzu. „Du darfst nur Geron nicht erzählen, dass wir uns getroffen haben. Versprochen?“, sagte sie mit einem Zwinkern.

Luna nickte. „Versprochen.“

Es war eine klare Nacht. Trotz des Neumondes war das Land hell durch das glänzende Licht der Sterne erleuchtet. Yatane atmete ruhig, während sie in den Himmel blickte. Hoch oben, auf einem der Türme Alydans konnte man ungestört in die Nacht schauen, ohne dass der Blick von Dächern oder Baumkronen verdeckt wurde.

„Hast du schon einmal die Sterne gezählt?“ Yatane lächelte ob der Frage der jungen Königin. Das Mädchen stellte häufig derlei Fragen. Ihre Neugier war eine der herausragendsten Eigenschaften des aufgeweckten Kindes. Das hatte die Elfe in den letzten Monaten schnell festgestellt. Auf den einen Tag am Strand waren weitere gefolgt, in denen sie sich getroffen hatte. In denen Luna von ihren Lektionen bei Geron, Elian, Lioras, und Siliva erzählt hatte, und Yatane über ihre Reisen in ferne Länder. Aus den Tagen waren Wochen, waren Monate geworden.

„Nein. Wieso?“, fragte die Elfe zurück.

„Ich habe es schon einige Male versucht. Allerdings musste ich immer aufgeben oder habe mich verzählt. Aber wenn man ewig lebt wie ihr Elfen, hat man doch eigentlich Zeit, um irgendwann alle Sterne zu zählen, oder?“

„So habe ich noch nie darüber nachgedacht.“

„Ich habe oft versucht die drei Sterne Valoriens zu finden, bin mir aber nicht sicher, welche es sind.“, sprach Luna weiter.

„Welche Sterne meinst du?“

„Die von meinem Banner. Es trägt doch drei Sterne. Aber sie müssen doch irgendwo am Himmel zu finden sein, oder?“

Yatane lachte leise.

„Wieso lachst du?“, fragte Luna nach.

„Nun, königliche Hoheit.“, sagte Yatane gespielt, „weil Ihr mir Perspektiven auf den Himmel gebt, die ich in meiner langen Lebenszeit nie gehört habe.“

Luna stimmte in das Lachen ein. „Ich bin eben klug.“, sagte sie stolz. Als sie dann wieder leise waren, fügte sie aber noch eine Frage an. „Yatane, Geron sagte mir einst, dass die Sterne einstige Könige, Herzöge, und Ritter sind, die über uns wachen. Stimmt das? Werde ich dann auch eines Tages ein Stern sein?“

Erneut lachte Yatane auf. „Ich weiß es ehrlich nicht. Aber es kann gut sein. Wir Elfen kehren zum Weltenbaum zurück, wenn wir sterben, und werden wieder eins mit ihm. Aber was mit euch Menschen passiert, weiß ich nicht. Es kann gut sein, dass all die Anführer älterer Tage über dich wachen, meine liebe Luna. Auch dein Vater, und dessen Vater. Aber du wirst so schnell kein Stern. Zuerst musst du den Glanz des Sternenbanners wieder in deine Heimat bringen.“

Luna nickte. „Aber das wird noch lange dauern. Sagt Geron.“

„Das ist auch besser so. Hier in Alydan bist du sicher.“

„Sind die Menschen in Valorien denn böse?“, fragte Luna. Nun fehlten Yatane erstmal die Worte. Ja, wie sollte sie darauf antworten? Lag es nicht in der Natur der Menschen, böse zu sein? Würde vielleicht Luna, jetzt noch ein liebes Mädchen, eines Tages herrschen wie ihre Vorgänger? Sie überlegte sich gerade eine Antwort, als ihr Gespräch unterbrochen wurde.

„Luna. Komm hinunter.“ Die tiefe Stimme von Geron durchbrach die Stille der Nacht.

„Gleich.“, rief Luna zurück und stand auf. Doch dann wandte sie sich an Yatane. „Denkst du die Elfenfürsten wären mächtig genug, um zu den Sternen zu fliegen?“

Die Elfe schaute Luna verwundert an. „Ja, vielleicht. Aber ich glaube nicht, dass sie es anstreben.“

„Aber vielleicht könntest du dann von hier weggehen. Du sagtest doch, dass du hier auf Alydan gefangen bist.“

Yatane grinste. „Diesen Vorschlag habe ich wohl noch nie gehört. Ich werde es mir merken.“

„Luna.“, der Ruf des Ritters kam näher und war deutlich schärfer.

„Verdammt, ich muss los.“, sagte das Mädchen noch. Doch dann war es bereits zu spät, und Geron kam die letzten Stufen auf den Wachturm.

„Du sollst kommen, wenn ich dich rufen.“, sagte der Ritter und bemerkte dann Yatane, die ebenfalls aufgestanden war. Er musterte die Elfe kurz, doch dann weiteten sich seine Augen. Er konnte die Überraschung nicht verbergen. Doch der Ausdruck wich schnell einem wütenden, hasserfüllten Blick.

„Du…“, sagte Geron nur kalt, wandte sich dann aber an die Königin. „Luna, wir müssen gehen. Siliva will dich sprechen.“, sagte er und schaute dann noch einmal zu Yatane. Dann legte er eine Hand auf Lunas Schulter und führte diese auf die Stufen den Turm hinunter. „Ich werde mit Elian sprechen müssen…“, sagte er dann noch deutlich hörbar, aber weder direkt an Luna noch an Yatane gerichtet.

Yatane wälzte sich unruhig im Bett umher. Doch während ihr Körper in ihrem Zimmer in Alydan war, befand sich ihr Geist in einer anderen Zeit an einem anderen Ort. Die Träume waren weniger geworden, seit sie aus dem langen Schlaf erwacht war. Aber sie waren nie vollständig gewichen. Die Rufe, die Stimmen drangen immer wieder an ihre Ohren. Sie sah das Blut vor ihren Augen, dass vergossen worden war. Und immer, wenn sie von den Schatten gerettet wurde, überkamen sie die Schrecken erneut.

„Yatane.“ Die Stimme war leise, doch sie riss Yatane aus dem Traum und fühlte sich in dem Moment wie ein lauter Schrei an. Sie spürte die Berührung an der Schulter. Blitzschnell fuhr sie herum und griff zu ihrem Dolch, der stets neben ihr im Bett lag. Doch bevor sie die Klinge fassen konnte, umfasste sie jemand fest am Handgelenk. Sie wollte aufschreien, doch die Stimme, die sie geweckt hatte, kam ihr zuvor.

„Schsch! Du musst leise sein.“ Jetzt erst erkannte sie die Stimme und drehte sich zu dem Mädchen um.

„Luna?“, fragte sie verwirrt und schaute dann zu dem Mann, der sie festhielt. „Lioras?!“, stellte sie ebenso verwundert fest. „Was…“, wollte sie gerade fragen, doch Luna legte ihren Finger auf ihren Mund und gebot sie zu schweigen.

„Pssst! Folg uns.“, flüsterte sie. Yatane sprang aus dem Bett. Sie wusste noch immer nicht, was hier genau passierte. Immerhin war es einige Zeit her, seit sie Luna das letzte Mal gesehen hatte. Anscheinend hatte Geron ihr dann weiteren Kontakt verboten. Umso überraschter war sie, dass Lioras nun mit der jungen Königin hier erschien. Immerhin war er treuer Diener von Fürst Elian, dem Freund Gerons. Sie griff zu ihrem Umhang, ihrem Schwert und Bogen. Die wichtigsten Dinge, die sie brauchte. Denn sie hatte die leise Vermutung, dass sie so schnell nicht in das Zimmer zurückkehren würde. Dann deutete Lioras den Weg und Luna ging voraus, gefolgt von Yatane, schließlich der Elfenkrieger.

 

Wortlos schlichen sie nach draußen, durch die Straßen der Elfenstadt, und dann schnell in den Wald hinein. Yatane musste nicht fragen, um den Weg zu kennen. Er führte zum Strand. Jenem Strand, an dem sie Luna das erste Mal getroffen hatte.

„Wir schenken dir deine Freiheit.“, sagte Luna flüsternd, als sie den Pfad durch den Wald erreicht hatten.

„Wieso?“, fragte Yatane, und blickte insbesondere zurück zu Lioras. Doch es war wieder Luna, die antwortete.

„Du hast mir erzählt, dass du dir nichts mehr wünschst, als die fernen Länder wieder zu bereisen, die du schon kennen gelernt hast. Ich fand das immer schön, aber wollte nicht, dass du gehst. Sonst bin ich doch hier so allein. Aber seit Geron uns gesehen hat, hat er mir verboten, dich zu sehen. Also kann ich dir auch helfen, von hier zu fliehen. Lioras hilft mir. Lioras hilft mir immer bei allem.“, sagte sie stolz, wie eine Königin, die führte. Dann erreichten sie schon den Waldrand und den Strand. Zu Yatanes Überraschung war der Strand nicht leer, wie sonst. Stattdessen lag ein kleines Boot aus fast weißem Holz am Strand. Es hatte ein Segel, dass in das Boot gelegt war, und so ideal für eine Person. Obwohl es nur für die Küste ausgelegt war, wusste Yatane, dass die elfische Handwerkskunst, die in das Boot geflossen war, es auch für Seegang tüchtig machen würde. Außerdem gehörte zu jedem Abenteuer ein bisschen Risiko.

„Vorräte und alles, was du brauchst, sind im Boot. Folge dem Sonnenaufgang und den Sternen.“ Es waren die ersten Worte von Lioras, als er auf das Boot zeigte. Yatane lief weiter, überholte Luna, und erreichte als erstes das Boot. In der Tat waren einige Taschen und kleinere Fässer darin abgelegt. Sowieso brauchten die Elfen deutlich weniger Vorräte als vielleicht ein Mensch. Yatane bezweifelte sogar, dass ein Mensch diese Reise auf sich nehmen könnte. Aber sie konnte es, das wusste sie. Sie warf ihren Bogen und Schwert in das Innere und drehte sich dann zu Luna und Lioras.

„Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken kann.“

„Besuch mich irgendwann.“, sagte Luna sofort und kam näher zu Yatane. „Wenn ich wieder in Valorien bin. Dann besuche mich.“

Yatane nickte sofort und umarmte dann das Mädchen, hob Luna leicht nach oben. „Ich werde dich vermissen.“

„Ich dich auch.“

„Wenn du Königin bist, dann werde ich dich in Elorath besuchen.“

„Versprochen?“

„Versprochen.“, sagte Yatane entschlossen und setzte die Königin dann wieder in den Sand ab.

„Du solltest aufbrechen. Noch ist die Nacht dunkel, und wenn du erstmal die offene See erreicht hast, bist du verschwunden.“, mahnte Lioras. Yatane blickte in den Himmel. Es war wieder Neumond, wie in der Nacht, als sie mit Luna die Sterne angeschaut hatte. Doch diesmal hingen Wolken vor den Sternen, und führten so in der Tat zu einer tiefen Dunkelheit.

„Ja. Luna, Lioras, ich danke euch. Wir werden uns wiedersehen.“, sagte sie lächelnd, und schob dann zusammen mit dem Elfenkrieger das Boot ins Meer. Mit dem letzten Schub sprang sie in das Innere und schnappte sich ein Paddel, um die ersten Meter vom Strand wegzukommen. Sie blickte noch einmal zu Luna zurück. Trotz der Dunkelheit erkannte sie, wie die Königin ihr zuwinkte. Ein Abschied, ja. Aber sicher nicht für die Ewigkeit. Dessen war sich Yatane sicher. Dann setzte sie das Segel.

„Du wusstest es, oder?“

Die Herrin von Alydan nickte. „Lioras handelte mit meiner Erlaubnis.“ Ihr Bruder nickte. Sie beide bildeten zurzeit die Herrschaft über das heilige Reich, nun, wo ihr gemeinsamer Bruder andere Aufgaben hatte. Doch immer wieder schaffte es die Fürstin, Dinge zu befehlen, ohne ihn einzubeziehen.

„Ich halte es für einen Fehler.“

„Ja, ich weiß. Deswegen habe ich dich nicht gefragt. Aber die Welt der Menschen steht vor einem großen Wandel, der das Schicksal von uns allen entscheiden kann. Seit dem Angriff auf Anuriel wissen wir das. Und ich spüre, dass diese Elfenkriegerin das Schicksal entscheiden kann. Deswegen ließ ich sie ziehen.“

„Gegen mein Urteil.“

„Gegen dein Urteil.“, bestätigte sie mit einem Lächeln. Dann wandte sie sich ab. „Ich werde mit Elian sprechen.“