Düsseldorf Crime: Ganz alleine gegen die Mafia

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Düsseldorf Crime: Ganz alleine gegen die Mafia
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Inhaltsverzeichnis

Die Bruderschaft - Allein gegen die Mafia

Dicke Muskeln, dreckige Spritzen - Doping von der russischen Mafia

Bordsteinschwalben - Zwangsprostituiert von der russischen Mafia

Jack Night

Düsseldorf Crime: Ganz alleine gegen die Mafia - Hardboiled Krimis aus NRWs Hauptstadt (Heftroman Sammelband - 3 Storys in einem Band)

Die Bruderschaft - Allein gegen die Mafia

Der schwarze Mercedes fuhr in die Tiefgarage, und sein Fahrer lenkte die schwere Limousine in eine der vielen freien Parkbuchten. Der Fahrer, ein schweigsamer Usbeke namens Pjotre, drehte den Schlüssel, und der Motor erstarb. Er griff nach seiner Glock 18 und steckte sie in das Schulterholster, das unter dem dunkelblauen Jackett verborgen war. Auf dem Beifahrersitz nickte Sergey Illianow ihm zu, und die beiden stiegen aus. Sergeys stahlgrauer Anzug spannte über seinen prallen Oberarmen, und über seinen kahlrasierten Schädel verlief eine lange, hellrosane Narbe. Er war 1999 in Dagestan gewesen, hatte den Ausbruch des zweiten Tschetschenienkriegs erlebt, und dort hatte ein Streifschuss eines jungen, islamistischen Rebellen ihm dieses Souvenier verpasst. Er hatte den Jungen erschossen, bevor er gesehen hatte, dass der fast noch ein Kind war, vielleicht gerade mal ein Teenager. Damals, in einer ausgebombten Ruine, neben der Leiche seines Kameraden Dimitri, hatte er sich eines geschworen: Er würde nie wieder eine Marionette sein, die von den Mächtigen losgeschickt wurde, um die Drecksarbeit zu machen. Im Gegenteil, er wollte irgendwann einer der Mächtigen sein, die andere Leute losschickten, wenn es brenzlig wurde. Und jetzt, vierzehn Jahre später, im Alter von gerade einmal 35 Jahren, hatte er es geschafft. Er hatte eine kleine Armee unter sich, immerhin ein Dutzend treuer, skrupelloser Soldaten. Die meisten davon waren mit ihm gemeinsam in Tschetschenien gewesen, wie sein Fahrer und Bodyguard Pjotre. Und jetzt, nach fünf Jahren in Deutschland, schickten sie sich an, die Unterwelt von Düsseldorf zu erobern. In der dunklen Garage flackerte eine kümmerliche Leuchtstoffröhre, die es nicht schaffte, auch nur ein bisschen Licht in die Gänge zu zaubern. Stattdessen erschuf sie ein diffuses Gemisch aus Dunkelheit und Halbdunkel, das eigentlich nur aus Schatten bestand. Außer dem schwarzen SLK war nur noch ein anderes Auto in der Garage, ein Audi TT Cabrio. Daran gelehnt stand ein junger Mann, der eine Sonnenbrille trug. Sergey fragte sich, ob dieser Clown überhaupt etwas sehen konnte. Verdammte Kids, die versuchten, um jeden Preis cool zu sein, egal wie sehr sie sich lächerlich machten. Auch das bunte, golden glitzernde T-Shirt und die enge weiße Jeans ließen Sergey schnauben. Zuhause in Moskau verprügelte man Homosexuelle, und hier machte er Geschäfte mit ihnen. Verrückte Welt. Zum Glück würde die geschäftliche Beziehung mit dieser Tunte nicht allzu lange währen. Gemeinsam gingen sie auf den Jungen zu. „Guten Tag. Sie und ich, wir haben etwas zu besprechen?“ Sein Akzent war immer noch schwer und ausgeprägt. Er hatte aber auch nicht vor, das zu ändern. Schnell hatte er die Erfahrung gemacht, dass in seiner Branche ein starker, russischer Akzent etwas war, was seine Gegenüber zu beeindrucken schien. Seltsam. Der glitzernde Kerl streckte ihm die Hand entgegen. An seinen Fingern blitzten goldene und silberne Ringe.

„Ja. Hi, ich bin Kevin. Ich versorge die Diskotheken hier in der Stadt und ein paar in Köln mit Stoff. Ihr könnt gerne einsteigen in mein Geschäft.“ Die Hände locker vor dem Körper verschränkt, sah Sergey runter auf die Rechte, die ratlos in der Luft hing. „Okay, Kevin. Wir steigen nirgendwo ein, wir haben eigenes Geschäft. Aber wir nehmen ihnen Ware ab. Also, sie haben etwas für uns?“

„Naja, gut, dann nicht. Ja, habe ich. Gutes Zeug, das beste. Wartet eine Sekunde.“ Er ging um den Wagen herum und öffnete den kleinen Kofferraum des Cabrio. Im nächsten Moment kam er zurück, zwei graue Samsonite-Koffer in der Hand. Er wuchtete sie auf die Motorhaube des Mercedes‹. Mit einem Knirschen landeten sie auf dem Lack. Pjotre machte einen Schritt nach vorne, aber Sergey hielt ihn zurück.

„Еще нет!“ flüsterte er, und Kevin sah verwirrt zu ihnen herüber. „Sie zerkratzen unseren Lack!“ sagte Sergey. Dass das nicht die Übersetzung von dem war, was er Pjotre gesagt hatte, das musste der Dealer ja nicht wissen. „Ach so, das... Das tut mir leid“ stammelte er. Mit flinken Fingern gab er die Kombination an einem Koffer ein und ließ das Schloß aufschnappen. „Hier, bitte sehr. Zehn Kilo Kokain, direkt aus Amsterdam. So reinen Stoff finden sie hier nicht, den können sie locker strecken, und keiner beschwert sich.“ Er klang begeistert. Ein geborener Verkäufer, der in einem anderen Leben so vielleicht Fernseher oder Gebrauchtwagen hätte anbieten können. So brachte er halt Rauschgift an den Mann, seit er 18 Jahre alt war. „Sehr gut. Das nehmen wir!“ Sergey ließ sich von der Begeisterung nicht anstecken. Stattdessen nickte er nur leicht, und Pjotre griff nach den Koffern. „Was denn, was denn, sie wollen nichtmal probieren?“

Kevin klang ehrlich überrascht. „Was sollen wir probieren? Glauben sie, wir nehmen hier Drogen? Wir sind biznezmeni, wie man bei uns sagt, keine Junkies!“ Er nahm die beiden Koffer von Pjotre entgegen und drehte sich zu seinem Mercedes um. „Außerdem...“ Er wandte sich noch einmal zu Kevin um, und das Funkeln in Sergeys eisig blauen Augen würde das letzte sein, was der Junge jemals sehen würde, „würde es niemand wagen, uns über den Tisch zu ziehen! Niemand!“ Kevin hatte nicht bemerkt, das Pjotre seine Glock gezogen hatte. Er zielte auf einen Punkt genau zwischen den Gläsern der Sonnenbrille, und drückte ab. Das laute Bellen der Knarre erzeugte ein Echo in der leeren Tiefgarage, und das Mündungsfeuer warf wilde, abstrakte Schatten an die Wände. Als der tote Körper auf dem Boden aufschlug schoss Pjotre noch einmal, nur zur Sicherheit, diesmal genau in das rechte Glas der dunklen Brille. Mit einem Satz war er neben der Leiche, ging in die Hocke und griff in die Tasche der engen, weißen Jeans. Das Telefon des Jungen nahm er an sich, die Kohle ließ er stecken. Waren wahrscheinlich sowieso nur Peanuts. Dann eilte er um den Mercedes herum, sprang auf den Fahrersitz und startete den Motor. Mit quietschenden Reifen schoss der Wagen aus der Tiefgarage. Zurück blieb nur der Audi und daneben die Leiche eines jungen Mannes, der sich mit Leuten eingelassen hatte, mit denen man sich niemals einlassen sollte. Sergey hatte seinen Namen schon vergessen.

Der erste Arbeitstag in einer neuen Behörde war nie leicht. Kriminaloberkommissar David Krieger trug einen hellen Anzug aus leichten Leinen, und die Aktentasche in seiner Hand war eigentlich nur Requisite. Er hatte sich herausgeputzt, weil er dachte, dass die Zusammenkunft der neuen Arbeitsgruppe „Organisierte Kriminalität“ etwas Besonderes werden würde. Und weil er sich mit 28 Jahren selbst noch zu jung fühlte, um in einer eigens eingerichteten Arbeitsgruppe zu sitzen, hatte er sich Mühe gegeben, besonders kompetent auszusehen. Die Aktentasche war leer, bis auf eine Tageszeitung, die er noch schnell an einem Kiosk gekauft hatte. Aber so formell oder besonders sah es hier gar nicht aus. Stattdessen war in den Räumen des Polizeipräsidiums Düsseldorf ein Durcheinander, wie David es noch nie gesehen hatte. Techniker bauten Computer auf weiße Schreibtische, Sekretärinnen trugen Ordner und Mappen hin und her, und zwischen all dem Chaos versuchten ein paar Cops, sich in Ruhe zu unterhalten – ein unmögliches Unterfangen. David sprach einen der Anwesenden an.

„Hallo, ich bin KOK Krieger, und ich soll mich heute hier melden zur gemeinsamen Arbeitsgruppe ›Organisierte Kriminalität‹. Ist das hier das erste Koordinationstreffen?“

Der andere Polizist, etwa 50 Jahre alt, untersetzt und mit einem altmodisch karierten Anzug bekleidet, seufzte. „Ja, das ist es. Suchen sie sich nen Platz, nehmen sie sich eines der Namensschilder auf dem Tisch und hoffen sie, dass dieses Theater bald vorbei ist. Ich platze gleich vor Wut!“ Dann stürmte er davon, und David setzte sich auf den ersten Stuhl, der frei war. Dann beobachtete er das Durcheinander und musste lächeln. Irgendwie hatte dieses Theater was sympathisches.

Der Leiter der Einsatzgruppe, Kriminalrat Dieter Reuters, war lange Zeit beim BKA gewesen und hatte dort viele Erfahrungen mit der organisierten Kriminalität gesammelt. Die Russenmafia in Berlin, die Albaner in Hamburg, Rockerbanden im Ruhrgebiet, polnische Zuhälterbanden in München, er hatte gegen sie alle gekämpft.

Jetzt stand er am Kopf des Konferenztisches und sah in die Gesichter seiner neuen Mitarbeiter, den Mitgliedern der behördenübergreifenden Arbeitsgruppe „Organisierte Kriminalität“. Er sah den Generalstaatsanwalt Steffen Siebert, ein erfahrener Kämpfer gegen das Verbrechen, er sah Polizisten aus lokalen Kripo-Stellen und der Bundespolizei, und er sah den Analytiker Kai Lorenzen, der bis vor ein paar Wochen beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) gearbeitet hatte. Und er sah ein paar Sekretärinnen, die der Arbeitsgruppe permanent zur Verfügung gestellt wurden. „Meine Damen und Herren, ich begrüße sie zur ersten Besprechung der Arbeitsgruppe Organisierte Kriminalität. Wir werden in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren, einen Kampf führen, den die Politik scheinbar verloren gegeben hat: Immer weniger Geld für Polizei und Staatsanwaltschaft, immer mehr Streichungen, während gleichzeitig das organisierte Verbrechen auf dem Vormarsch ist. Wir sind ein gemeinsames Projekt des LKA und der Kriminalpolizeibehörden in Düsseldorf, Köln und den großen Ruhrgebietsstädten Dortmund, Bochum, Essen und Gelsenkirchen.“ Er machte einen Schritt vom Tisch weg und deutete auf eine Stellwand, an der mit Reißzwecken ein großer Zettel befestigt war. „Unsere Ziele sind bandenmäßige Kriminalität in den folgenden Bereichen: Kapitalverbrechen jeder Art, Eigentumsdelikte, Fälschungskriminalität, Prostitution und alle begleitenden Verbrechen.“ Er lächelte bitter.

 

„Sie sehen also: Wir haben eine ganze Menge zu tun.“ Auch die anderen im Raum sahen grimmig in die Runde. Tatsächlich, ein scheinbar aussichtsloser Kampf...

Das „Paradise“ war ein kleiner Laden in der Seitenstraße eines Gewerbegebiets am Rand der Innenstadt. Der Name war eine maßlose Übertreibung, es war dunkel, eng, und die Zimmer waren lieblos eingerichtet, mit billigen Betten, geschmackloser Deko und großen Spiegeln an den Wänden, damit die Freier alles sehen konnten, was sie wollten, wenn es zur Sache ging. Im großen Hauptraum saßen etwa zehn Frauen verteilt auf roten Kunstledersesseln und warteten auf Kundschaft. Sie waren allesamt jung, auffällig geschminkt, in knappen Dessous, die mehr zeigten, als sie verdeckten und auf hochhackigen Schuhen, und sie alle kamen aus der ehemaligen Sowjetunion. Hinter der Theke stand einer von Sergeys Soldaten, ein großer, breit gebauter Russe namens Nikolai. Sein beeindruckend massiger Brustkorb steckte in einem engen schwarzen T-Shirt, und aus den Ärmeln ragten muskulöse, tätowierte Oberarme. An der Tür stand ebenfalls einer von Sergeys Handlangern, der aussah, als wäre er ein Klon von Nikolai, nur dass seine Haare nicht neun Millimeter lang waren, sondern nur drei. Und er hatte eine kleine Narbe über dem rechten Auge, die seine Braue teilte. Wachsam beobachtete er die Szenerie. Mit Ärger war nicht zu rechnen, es war kein einziger Kunde im Haus. Das würde erst später kommen, in ein, vielleicht zwei Stunden. Um diese Uhrzeit verirrte sich nur selten jemand ins „Paradise“.

Als es schließlich klopfte war er überrascht. Er warf einen Blick durch das kleine Guckloch in der schweren Tür, doch als er sah, wer geklopft hatte, öffnete er mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Es war zwar selten, aber manchmal benutzte der Chef den Haupteingang, wenn er Lust hatte, die Leute im Laden zu begrüßen.

„Sergey, Bruder, schön dich zu sehen.“ Sie gaben sich die Hand, und der Boss legte seinen Arm um die breiten Schultern des Türstehers. Sie waren keine Brüder, aber sie hatten gemeinsam im Krieg gekämpft, und auch nach der Entlassung aus dem Militärdienst hatten sie so viel durchgemacht, dass sie sich so nahe standen wie sonst nur Brüder. „Kolja, es ist auch schön, dich zu sehen. Alles ruhig hier?“ „Ja, wie immer.“ Sergey nickte. Hinter ihm trat Pjotre ein, und auch er gab dem Rausschmeißer die Hand. „Pjotre, amüsier dich ein bisschen. Ich bin oben im Büro. In einer Stunde kommt ein Mann, der mich sprechen will. Begleite ihn nach oben, ja?“ „Natürlich, Boss.“ Kolja verschränkte die Arme vor der Brust und ließ seinen Blick wieder aufmerksam durch den Raum pendeln. Pjotre setzte sich zu einem der Mädchen, und Sergey musste lächeln. Ja, es lief alles so, wie er sich das vorgestellt hatte.

Die erste Einsatzbesprechung war genauso langweilig gewesen wie alle Besprechungen in allen Behörde der Welt, aber es war nichts gegen die Langeweile, die danach folgte: David Krieger saß zusammen mit einem Kollegen aus der Arbeitsgruppe vor einem Computer und klickte sich durch Fallakten um herauszufinden, ob einer der vielen tausend offenen Fällen in einem Zusammenhang zum organisierten Verbrechen stehen könnte. „Wie wäre es hiermit: Hinter der Kö‹, vor einem kleinen Wettbüro hat irgendwer letzte Woche einen Jugoslawen erschossen.“ David sah sich zu seinem Kollegen um. Christian Schmidt war ein Jahr jünger als er selbst, 27, und ebenfalls Kriminaloberkommissar. Er hatte sich auf diese Stelle beworben, weil seine Frau der Meinung war, er solle sich beruflich nach oben orientieren, und das hier klang nach „oben“. Also war er von der ständigen Mordkommission in Münster nach Düsseldorf gekommen.

„Ich weiß nicht“ sagte David. „Das kann auch genauso gut ein Streit zwischen frustrierten Zockern gewesen sein, der tödlich geendet ist.“ „Naja, haben wir was besseres?“ Schmidt sah ihn an. „Nein, du hast recht. Schreib es auf die Liste.“ Die „Liste“ bestand bis jetzt aus einem einzigen Fall. Und sie klickten sich jetzt schon seit zwei Stunden durch die Dateien. Den Kampf gegen das organisierte Verbrechen hatte sich David wirklich anders vorgestellt. Aber das Leben eines Bullen war eben nicht wie im Fernsehen...

Das Büro des „Paradise“ war der Ort, von dem Sergey Illianow seine Geschäfte tätigte. Er saß in seinem Stuhl hinter einem eindrucksvollen Mahagonischreibtisch und empfing Geschäftspartner, beriet sich mit Pjotre oder traf strategische Entscheidungen, um die Vormachtsstellung in Düsseldorfs Unterwelt zu erkämpfen. In dem großen Safe, der hinter dem großen, ledernen Bürostuhl stand, befanden sich jederzeit etwa 250.000 Euro. Offiziell waren das die Einnahmen aus dem „Paradise“ und ein paar anderen Läden, aber in Wirklichkeit war die Summe um einiges höher, als die legalen Läden in zwei Monaten erwirtschafteten. Es waren die Einnahmen aus den anderen Geschäften, aus Schutzgelderpressung, Überfällen, Rauschgifthandel und dem Verkauf gefälschter Markenartikel überall in der Stadt. Das Geld aus diesen illegalen Aktivitäten floss in das „Paradise“ und wurde von hier aus gewaschen. Frisierte Bücher und gefälschte Abrechnungen machten es möglich. „...dann sind wir uns ja einig. Noch etwas zu trinken?“ Er stand auf und griff nach der Flasche aus geschliffenem Kristallglas, die auf dem Schreibtisch stand. Er goß sich einen Wodka ein, teuren, den man trinken konnte wie Wasser. „Ja, gerne.“ Arkadiusz Bloch sah sich nervös um. Er hatte immer für jemanden wie Sergey Illianow arbeiten wollen, aber jetzt, wo er ihm gegenüber stand, war sich der junge Pole nicht mehr so sicher, ob er es wirklich konnte. Vor allem nicht das, was Sergey von ihm verlangte. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. Er griff nach dem Bündel Hunderter, das auf dem Tisch lag, und steckte es in die Seitentasche seiner Trainingsjacke. Der Boss reichte ihm das Glas, und sie stießen an. „Auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Weißt du, mein Freund, ich habe auch mal so angefangen wie du, klein, die Drecksarbeit machen.“ Sein Blick verschwamm, als er sich erinnerte. „Aber jetzt, jetzt bin ich reicher Mann. Du siehst, man kann auch in unserer Bruderschaft alles werden, was man will, wenn man sich nur anstrengt!“ Das konnte Arkadiusz nicht abstreiten. Er hatte schon Geschichten gehört darüber, wie sich Sergey nach oben gearbeitet hatte. Und genau das machte ihm Angst. Der Russe war skrupellos und eiskalt. Er leerte seinen Drink, dann verabschiedete er sich. Seine Knie zitterten noch, als er vor seinem alten Opel Astra stand. Morgen würde Arkadiusz Bloch seinen ersten Mord begehen.

„...haben wir eine Liste von 35 Verbrechen zusammengetragen, die wir auf Verbindungen zur organisierten Kriminalität untersuchen.“ David und Christian präsentierten die Ergebnisse ihres ersten Arbeitstags vor der Einsatzgruppe. „Besonders überrascht hat uns, dass wir nichts gefunden haben, was auf Verbindungen zum Rotlichtmilieu hindeutet. Und nur einer der Fälle hatte eine Verbindung zur Drogenszene.“ Christian zeigte mit dem Finger auf das Foto eines jungen Mannes, das er an die Stellwand gepinnt hatte: Kevin Streicher, 24 Jahre jung, vor zwei Wochen in einer Tiefgarage in Oberbilk erschossen. David fuhr fort:

„Dieser bedauernswerte junge Mann hat schonmal gesessen, ein Jahr für Handel mit Betäubungsmitteln. Vor 14 Tagen hat irgendwer ihm die Lichter ausgeblasen. An seinen Fingern fanden wir Spuren von Kokain, und in seiner Hosentasche 3500 Euro, ein massives Bündel 50er. Also offensichtlich kein Raubmord.“ Kriminalrat Reuters sah zufrieden aus. „Danke meine Herren.“ Er erhob sich, und David und Christian setzten sich an den Konferenztisch. „Dann haben wir doch einen Fall, mit dem wir anfangen können. Kevin...“ Er musste sich zur Stellwand umdrehen, um sich an den Nachnamen zu erinnern. „Kevin Streicher. Schmidt, Krieger, sie fahren los und finden raus, warum irgendwer diesen... Geschäftsmann aus dem Verkehr ziehen wollte. Herr Lorenzen wird weiter in den Akten nach Fällen suchen, die vielleicht etwas mit dem Mord an Streicher zu tun haben. Die Akten können sie sich vorne bei der netten Frau...“ Er kratzte sich am Kopf. Generalstaatsanwalt Siebert sprang ein. „Die Akten liegen vorne bei der Frau Baumeister, einer unserer liebreizenden Sekretärinnen.“

„Genau.“ Reuters übernahm wieder. „Danke sehr.“ Allgemeines Stühlerücken, der erste Arbeitstag war beendet. „Hey Christian, gehen wir noch raus auf ein Bier? Ich muss die Stadt kennen lernen, und wie könnte man das besser machen, als etwas um die Häuser zu ziehen?“ David zog sein Jackett an. Der Kragen seines Hemds kratzte ihn schon seit Stunden am Hals. Morgen würde er mit Jeans und T-Shirt zur Arbeit kommen. „Ich würde gerne, aber meine Frau wartet auf mich. Neue Wohnung, wir müssen noch einrichten, du kennst das bestimmt.“ „Kenne ich nicht, aber verstehe ich. Dann ein anderes Mal.“ Auf dem großen Parkplatz vor dem Präsidium trennten sich ihre Wege, und David stieg in seinen kleinen, blauen Mazda, das MX-5 Cabrio. Als er den Schlüssel im Schloss drehte sprang die Anlage an, und lauter Heavy Metal dröhnte aus den Boxen. Ein paar übereifrige Beamte, die auch nach Feierabend noch im Büro saßen, stürzten an die Fenster und sahen sich nach der Quelle des Lärms um, während er mit quietschenden Reifen den Parkplatz verließ.

Die Gasse hinter der kleinen Kneipe war dreckig und dunkel. Müllcontainer standen dicht an dicht, und der Abfall der Restaurants und Bars in der Straße stank höllisch. Arkadiusz drückte sich in die Schatten und hielt den Blick immer auf den Hintereingang der Kaschemme gerichtet, aus der irgendwann sein Opfer getorkelt kommen sollte. Er hatte die Hände in den Seitentaschen seiner Sportjacke, und seine Finger umschlossen den Griff der klobigen, schwarzen Knarre, die Sergeys Bodyguard ihm gegeben hatte. Er hatte ihm kurz die Handhabung erklärt und ihm dann noch einmal ins Gedächtnis gerufen, dass er sich besser nicht erwischen lassen sollte – und falls doch, dann sollte er vergessen, von wem er die Knarre hatte oder wer ihm den Auftrag gegeben hatte, den Wirt zu erschießen. Er zeigte ihm Polaroids, auf denen ein gefesselter Mann auf einem Stuhl saß, nackt, blutüberströmt. Da, wo einmal seine Genitalien gewesen waren, war jetzt nur noch eine riesige, hässliche, rotbraune Wunde. Mehr an Überzeugungskunst brauchte es nicht. Arkadiusz hatte genickt, die Knarre eingesteckt und war verschwunden. Jetzt stand er hier und wartete darauf, dass die Kneipe geschlossen wurde und der Wirt auftauchte. Der junge Pole hatte nicht gefragt, warum Sergey den Tod des Mannes wollte, und es war eigentlich auch egal. Er hatte sich den Russen als Handlanger angeboten, und sie waren auf sein Angebot eingegangen. Jetzt musste er die Sache durchziehen, sonst war er der Nächste, den man tot in einem Müllcontainer oder dem Kofferraum eines ausgebrannten Autos finden würde. Die Kälte stieg ihm in die Glieder, und er tänzelte auf der Stelle. Es war gleich Mitternacht, die anderen Läden in der Gegend hatten schon zu, es war Dienstag Nacht, da war nicht viel los. Endlich knipste jemand die kleine Lampe über der Hintertür an und erfüllte damit die Gasse mit einem dreckigen, gelben Leuchten. Die Metalltür wurde aufgestoßen, und ein kleiner Mann in einem verwaschenen Flanellhemd trug ein paar blaue Müllsäcke in der Hand. Das war seine Gelegenheit! Arkadiusz zog die Glock aus der Tasche. Er hielt sie jetzt in beiden Händen, wie Pjotre es ihm erklärt hatte, und zog den Abzug. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt, um den Rückstoß abzufangen, aber außer einem metallischen Klicken hörte er nichts. Die Sicherung! Verfluchte Hölle! Zum Glück hatte der Kerl mit den Mülltüten nichts gehört. Er stand mit dem Rücken zu seinem Mörder an einem der Müllcontainer und warf der Reihe nach die Tüten hinein. Schnell suchte der mit seinem Daumen nach dem kleinen Hebel rechts auf der Pistole. Er schob ihn nach unten und zog dann mit zittrigen Fingern den Abzug durch. Das Krachen war lauter, als er erwartet hatte, und vor Schreck krümmten sich seine Finger gleich ein zweites Mal. Jetzt erschien ihm der Schuss schon nicht mehr so laut, und er zielte auf den Körper, der langsam, an den Container gelehnt, zu Boden rutschte. Erschrocken stellte er fest, dass es ihm nichts ausmachte, dass er gerade einen Menschen umbrachte. Im Gegenteil, der Adrenalinrausch gefiel ihm. Er pumpte noch zwei weitere Kugeln in den Leib, der vor ihm lag, hilflos und blutig, dann steckte er die Pistole in die Tasche und drehte sich um. Der Kellner, der für seinen Chef den Müll rausgebracht hatte, starb, bevor sein Killer aus der Gasse verschwunden war. Als das Martinshorn von Polizei und Krankenwagen erklang war Arkadiusz schon wieder zuhause und kippte billigen Wodka in ein schmutziges Glas...

 

„Guten Morgen mein Freund.“ Trotz der Runde durch die Kneipen in seiner Gegend war David an diesem Morgen frisch und munter. Er hielt vor der kleinen Doppelhaushälfte, vor der Christian auf ihn wartete. „Schickes Auto.“ Sein neuer Partner ließ sich in die tiefen Sportsitze fallen. „Aber du hast offensichtlich keine Familie, stimmts?“ Er lächelte David an. „Wie kommst du darauf?“ „Weil du weder einen Kindersitz noch die Einkaufstüten einer Frau in diesem Junggesellenschlitten untergebracht kriegst.“ David drehte die Anlage auf. „Gut beobachtet, Partner.“ Jetzt lächelte auch er. „Tja, ich bin ein ziemlich guter Bulle.“ David trat das Gaspedal durch und sie machten sich auf den Weg zur Wohnung von Kevin Streicher, dem toten Drogendealer.

„Er hat den falschen erwischt?“ Sergey schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann stieß er einen unaussprechlichen russischen Fluch aus und goss sich ein neues Glas Wodka ein. Sein Fahrer und Bodyguard hatte eine Morgenzeitung in der Hand. „Sieht so aus. Die Zeitung spricht von einem jungen Mann, und der Wirt ist älter.“

„Wie konnte dieser Idiot den falschen Kerl umlegen?“ Pjotre versuchte, seinen Boss zu beruhigen. „Da hat anscheinend ein Aushilfskellner den Müll rausgebracht, nicht der Wirt.“ Er stieß sich von der Stuhllehne ab, auf der er gesessen hatte. „Aber Sergey, sieh mal die positiven Seiten. Gibt es eine bessere Warnung? Wenn wir den richtigen erwischt hätten, dann hätte niemand mehr Schutzgeld zahlen können. Und glaub mir, der verkauft bestimmt keinen Stoff mehr außer dem Fusel in seinen Flaschen.“ Der grobschlächtige Kerl sah seinen Chef an, wie er nickte und in sein Glas blickte. Ja, sein Bodyguard hatte Recht.

„Trotzdem. Sag diesem Anfänger, dass gefälligst nur die Leute umgelegt werden, die wir umgelegt haben wollen. Verstanden?“ Pjotre knurrte eine Bestätigung auf russisch. Dann zog er sein Handy aus der Tasche und rief Arkadiusz an. Er bestellte ihn in ein kleines Restaurant in der Nähe der Kö‹. Der Pole würde ihnen keine Probleme machen, dafür würde er schon sorgen. Leute zum Schweigen oder zum Gehorsam bringen war seine Spezialität gewesen, damals in Dagestan, später in Grosny, und auch noch heute in Deutschland. Grimmig lächelnd verließ er das „Paradise“ und fuhr zum vereinbarten Treffpunkt.

Die Wohnung des jungen Dealers gab nicht allzu viel her. Sie hatten kleine Päckchen mit weißen Pulver gefunden, einen kleinen Spiegel und weiße Linien darauf, daneben einen zusammengerollten 50er. Ansonsten war nichts zu finden. Ein Adressbuch oder sowas gab es nicht, natürlich nicht, heutzutage hatte jeder alles im Handy. Aber auch ein Telefon fanden sie nicht. Ungewöhnlich, gerade für einen Rauschgifthändler, der immer und überall für die Süchtigen erreichbar sein musste. Immerhin hatte man auch bei der Leiche kein Telefon gefunden. Rechnungen oder Unterlagen, die auf einen bestehenden Mobilfunkvertrag hinwiesen, suchten sie auch vergebens. David und Christian wollten gerade eine Pause einlegen und sich irgendwo einen Döner oder eine Pizza besorgen, als Davids Handy klingelte. Reuters‹ Stimme klang aus dem winzigen Lautsprecher oben über dem Display. „Krieger, Schmidt, ich habe etwas, das sie vielleicht interessieren würde. Ihr kleiner Kokshändler wurde mit einer 9mm Pistole erschossen, die Zugrillen auf den Geschossen aus seinem Kopf deuten auf eine Glock oder eine Heckler und Koch hin. Und jetzt das wirklich Interessante: Kugeln aus der selben Waffe hat heute Morgen die Rechtsmedizin aus einem toten Kellner gezogen, der in Friedrichstadt hinter einer schäbigen Kneipe umgenietet wurde. Wir gehen also davon aus, dass beide vom selben Täter erschossen wurde.“ David nickte. „Hat ein erster Backgroundcheck des Toten irgendwas ergeben?“

Bei OK-Fällen – also Fällen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität – war nicht nur das Verbrechen an sich wichtig, sondern auch der Kontext, der große Zusammenhang. Jemand, der nur tötet, ist ein Mörder, aber kein OK. Aber jemand, der tötet, um den reibungslosen Ablauf eines großangelegten Betrugs zu sichern handelt im Kontext des organisierten Verbrechens. „Negativ, Krieger. Der Kellner war Anfang 20, Student, der zweimal in der Woche dort gearbeitet hat. Keine Vorstrafen, keine Feinde, soweit die Arbeitskollegen wissen. Die Mordkommission hat bis jetzt noch nichts rausgefunden über den Jungen. Interessant war dafür aber der Wirt der Kneipe, in der das Opfer gearbeitet hat: Wilfried Willmer, 52 Jahre alt, vorbestraft wegen Rauschgifthandels, Kokain, wie euer Kandidat. Außerdem das Übliche, was Wirte so haben. Ein paar Mal Körperverletzung, ergebnislos eingestellt, ein paar Bußgelder wegen Lärmbelästigung.“ „Interessant. Danke, Chef.“ Er notierte die Adresse des zweiten Toten und die Eckdaten von Willmer, dann unterbrach er die Verbindung. „Tja Christian, Neuigkeiten: Wir haben einen zweiten Toten, der mit der selben Waffe umgelegt wurde. Wenn wir hier nichts finden fahren wir direkt weiter.“ Sein Partner fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes, blondes Haar. „Scheint, als hätten wir mit unserer Vermutung recht gehabt: Die Sache mit dem Kokainhändler ist was Größeres.“

„Glaub mir, Sergey ist nicht wütend. Diesmal ist nichts schief gegangen. Aber du musst darauf achten, dass du Sachen richtig machst. Wir haben gesagt der Kerl ist über 50. Du hast einen Studenten erschossen. Mach die Augen auf, und denk ein bisschen nach, dann hast du keinen Ärger mit uns!“ Pjotre flüsterte nur, trotzdem hatte seine Stimme genug Nachdruck, um klarzumachen, dass es keinen Zweifel gab. Arkadiusz hatte Glück gehabt, mehr nicht. „Natürlich. Verstehe ich, ich habe einfach... Naja, es ist Mist passiert. Das tut mir leid.“ Mit einer Hand winkte der kantige Russe ab. Er griff in die Innentasche seiner Lederjacke und holte einen weißen Briefumschlag daraus hervor. „Vergiss es. Sowas passiert. Wir haben einen neuen Auftrag für dich. Wenn man bedenkt, dass es das falsche Ziel war, hast du gute Arbeit geleistet. Mach so weiter, dann bringst du es zu was...“ Arkadiusz brummte etwas unhörbares. Vor ein paar Tagen war er noch Feuer und Flamme gewesen, in einer Organisation wie der von Sergey und Pjotre aufzusteigen. Aber mittlerweile war er da gar nicht mehr so sicher. Ob er aus dieser Nummer jemals heile rauskommen würde? Er steckte den Briefumschlag ein, in dem wieder ein Bündel Geldscheine war. Pjotre stand auf und legte einen Zehner für den Kaffee auf den Tisch. Da war das Trinkgeld inklusive. „Komm mit, wir gehen noch ein paar Schritte, dann erkläre ich dir, wie es weiter geht...“ Ein paar Minuten später hatte der junge Pole seine neuen Anweisungen. Und jetzt war er endgültig sicher, dass dieses Leben nichts für ihn war. Wenn er nur nicht so tief drinstecken würde mittlerweile...

Auch die Wohnung des Kellners brachte sie nicht weiter, also fuhren sie als nächstes zum Wirt des „Sansi-Bar“. Von außen sah das Haus sauber und ordentlich aus, doch im Flur stand allerlei Gerümpel herum, eine alte Couch, ein kaputter Kinderwagen, ein Fahrrad ohne Reifen. Laut Klingelschild wohnte Wilfried Willms im zweiten Stock. Die Gerüche im Treppenhaus waren ein buntes Gemisch aus menschlichen Ausdünstungen und internationaler Küche. Vor der Tür auf der linken Seite im zweiten Stock blieben sie stehen. „Willst du?“ Christian sah David an. „Ist das erste Mal, das wir nen Verdächtigen besuchen.“