Der kurdische Fürst MĪR MUHAMMAD AL-RAWĀNDIZĪ genannt MĪR-Ī KŌRA

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2. Kurdische Texte in nichtkurdischen Sprachen des Morgenlandes
a. Manuskripte

Eines der wichtigsten Manuskripte über das Bābān-Emirat und damit die Beziehungen zwischen Bābān und Sōrān bzw. über die Zeit Mīr-ī Kōras ist das Manuskript, das bei den Kurden als „Daftaraka-ī Ḥusain Nāẓim (das Notizheft des Ḥusain Nāẓim)43 bekannt ist. Nāẓim soll Sekretär des Bābān-Fürsten gewesen sein.44 Das Buch ist in einem schönen literarischen Türkisch verfasst. Einige Seiten zu Anfang und einige Seiten am Ende fehlen.45 Viele Nachrichten, die Nāẓim aufgezeichnet hat, decken sich mit anderen Berichten. Diese Quelle verwendete Zakī für sein Buch TS.46

Ein Exemplar davon existiert heute in der Privatbibliothek von Ğalāl Bābān in Bagdad und ein anderes Exemplar bei dem kurdischen Qāzī (Qāḍī) Šēx Muḥammad-ī Xāł in Sulaimānī. Ein drittes Exemplar, das Rōžbayānī besaß, ist verloren gegangen.

b. Gedruckte Werke

Eines der wichtigsten kurdischen Werke, das für die Erforschung der Geschichte des Sōrān-Emirates unumgänglich ist, ist das bekannte Šarafnāma von Šaraf al-Dīn Bidlīsī, das 1005h. (1596) in persischer Sprache abgefasst wurde. Viel über das Šarafnāma zu sagen, halte ich für überflüssig. Ich begnüge mich mit dem, was der russische Gelehrte N. J. Marr darüber geäußert hat. Marr bezeichnete 1912 die Kurden als „ein von der Geschichte unbeachtetes Volk“, jedoch “a thorough study of Sharafnahmah will help to bridge the gap“.47

Für die vorliegende Arbeit habe ich alle bis jetzt erschienenen Ausgaben des Šarafnāma berücksichtigt, da jede Ausgabe gewisse Kommentare des Herausgebers enthält. Als Grundlage habe ich die arabische Übersetzung von Ğamīl Rōžbayānī48 verwendet.

Über die anderen kurdischen Werke, die ich benutzt habe, möchte ich noch einige Worte hinzufügen:

Nach dem ersten Weltkrieg begannen mehrere Kurden, Werke über ihr Volk in fremden Sprachen zu verfassen. Der Hauptzweck dieser Bemühungen war, die kurdische Geschichte, Kultur und die politischen Probleme der Kurden anderen Völkern vertraut zu machen. Diese Bücher enthalten, abgesehen von ihrer politischen Zweckgebundenheit, viele Informationen über die Beziehungen zwischen den kurdischen Fürstentümern des 18. u. 19. Jh. Von solchen Werken, die für meine Arbeit interessant waren, sind zu nennen:

1 ‘al-Qaḍiyyah al kurdiyyah (die kurdische Frage) von Blēğ Šērkō.49 Das Buch erschien als Publikation der kurdischen „Xōyībūn-Partei“50 auf Türkisch und Arabisch. Es enthält einen allgemeinen Überblick über die kurdische Geschichte, Kultur, Geographie Kurdistans und die Ereignisse in den kurdischen Fürstentümern bzw. dem Bōtān-Emirat des Badir Xān Pāšā, eines Rivalen von Mīr-ī Kōra. Man findet darin einige Informationen, die man sonst kaum erhalten kann, da Šērkō aus dem Geschlecht von Badir Xān stammt und dadurch über besondere Informationen verfügt. Die meisten historischen Teile des Buches entsprechen den Berichten anderer Verfasser, sodass das Buch nicht nur als politische Darstellung betrachtet, sondern durchaus auch als geschichtliche Quelle herangezogen werden kann.

2 „Min ‘Ammān ilā al-‘Imādiyyah au ğawlah fī Kurdistān al- ğanūbiyyah (Von Ammān bis ‘Imādiyyah oder eine Reise in Süd-Kurdistān)“ von ‘Alī Saydō al-Gōrānī.51 Hierbei handelt es sich um den Reisebericht eines jordanischen Kurden, der seinerzeit Sekretär der jordanischen Legislative war. Außer vielen informativen Berichten, die ich darin über das Sōrān-Emirat und Mīr-ī Kōra gefunden habe, betrachte ich das Buch als historische und politische Studie eines kurdischen Akademikers. Gōrānī, der sein Studium 1928 an der amerikanischen Universität in Beirut abgeschlossen hatte52, war in der Lage, intensiv abendländische und morgenländische Quellen für seine Arbeit heranzuziehen. Einige Nachrichten, die er vermittelt hat bzw. das, was er von Einheimischen erfahren und weitergegeben hat, sind einmalig.

3 „al-Qawmiyyah al-kurdiyyah wa tura ṯuhā al-ta’rīhī (Der kurdische Nationalismus und sein geschichtliches Erbe)“ von Hādī al-Čāwašlī.53 Dieses Buch enthält viele Nachrichten und Meinungen über die Kurden, bzw. ihre Geschichte, ihre Kultur und ihre Fürstentümer. Es enthält auch ein Kapitel über Mīr-ī Kōra und seinen Staat.54 Was ich an seinem Buch kritisiere, ist, dass der Verfasser unter dem Einfluss der politischen Situation im Irak und der islamischen Religion wie auch aus persönlichen Motiven viele Tatsachen oberflächlich oder emotional interpretierte oder gar keine Erklärung beifügte. Er behauptete z. B., dass die Kurden gewaltlos zum Islam bekehrt wurden55, was meiner Ansicht nach nicht den Tatsachen entspricht. Wer die Berichte der islamischen Geschichtsschreiber über die „Futūḥat“ in Betracht zieht56 und die zahlreichen Friedhöfe57 in Kurdistan besichtigt, die bis heute durch ihren Namen „Friedhöfe der Ṣaḥābah“ oder „Friedhöfe der Ungläubigen“, als Ruhestätte von Opfern der Religionskämpfe ausgewiesen sind, der kann auf die Wahrheit schließen. Außerdem hat der Verfasser überhaupt keine Ursache für den Sturz des Mīr-ī Kōra-Emirates erwähnt.Trotz dieser Kritik ist sein Buch eine Quelle für das Sōrān-Emirat und die Zeit Mīr-ī Kōras.

3. Abendländische Texte
a. Wissenschaftliche Untersuchungen

Die kurdischen Zeugnisse repräsentieren zumeist die Auffassung der Kurden über ihre Geschichte und ihre Reaktion auf die Anschauungen der Nichtkurden über sie. Den abendländischen Zeugnissen kommen insofern Bedeutung zu, als sie teilweise versuchen, verschiedene Auffassungen der Kurden und Nichtkurden über die kurdische Geschichte wissenschaftlich darzustellen. Von den abendländischen Werken, aus denen ich einige Berichte und Informationen über Mīr-ī Kōra entnommen habe, sind folgende Werke erwähnenswert.

1 Der Artikel „Die Kurden“ von Minorsky in EI: Dieser Artikel ist eines der bis jetzt (1968/69) bedeutendsten Werke über die Kurden. Minorsky (1877-1966), der berühmte russische Orientalist, lebte längere Zeit unter Kurden und studierte ihre Sprache und Literatur. 1915 übergab er der Russischen Akademie der Wissenschaften einen Bericht über die Kurden unter dem Titel „Notizen und Eindrücke“.58 Dieser Bericht wurde zu einer Basis für seine gesamten zukünftigen Werke über die Kurden.Minorskys historische Werke bauen auf mannigfaltigen Dokumenten auf und zeichnen sich dadurch aus, dass sie methodisch einwandfrei aufgebaut sind. Ich glaube, Wolfgang Lentz hatte in gewisser Hinsicht Recht, als er 1960 sagte: „Die knappste und zuverlässigste Einführung in die vielfältigen Probleme, die uns die zahlreichen Stämme dieses Volkes aufgeben, ist noch immer Vladimir Minorskys Beitrag „Kurden“ in der „Enzyklopädie des Islam“.59Dazu kann noch hinzugefügt werden, dass zwischen 1960-69 noch einige zuverlässige Beiträge über die Kurden erschienen sind, vor allem die Werke von Wahby60, Blau61, Chalfin62, Ghassemlou63, Nebez64.

2 Das zweite bedeutendste umfassende Werk über die Kurden, worin man einige informative Berichte über Mīr-ī Kōra findet, ist das Buch „Les Kurdes“ des russischen Wissenschaftlers und Diplomaten Basil Nikitine (1885-1960).65Nikitine war von 1915-1918 russischer Konsul in Urmia (Iran), lebte längere Zeit unter den Kurden und erlernte ihre Sprache.66 Er nahm Kontakt mit ihren Gelehrten auf. Sein Werk behandelt verschiedene Abschnitte der kurdischen Kultur, Geschichte, ferner den Ursprung, Ansiedlungsgebiete, wirtschaftliche Lage, Volkskunst, soziales Leben, die Fürstentümer und die Stämme. Das Buch berichtet kurz über die kurdische Geschichte von der Vorzeit bis zu der Zeit, in der die Kurden im 9. Jh. ihre Freiheitsbewegungen begannen. Im Anhang sind einige statistische Tabellen und politische Dokumente, die in die Zeit zwischen dem I. und II. Weltkrieg gehören, hinzugefügt. Nikitine verwendet für sein Werk umfangreiche Literatur aus Orient und Okzident. „Les Kurdes“ ist meiner Ansicht nach die Grundlage für jedes eingehendere Studium über die Kurden.67 Dieses Buch wurde ins Arabische übersetzt. Die Übersetzung erschien 1957 in Beirut, nachdem die Verleger, gemäß ihren Interessen verschiedene Änderungen vorgenommen hatten.68Nikitine verfasste außer dem genannten zahlreiche weitere Werke über die Kurden. Was für meine Arbeit besonders interessant war, ist Nikitines Artikel über Rawāndiz in der EI.69Dieser Artikel enthält wertvolle Nachrichten über das Sōrān-Emirat im Allgemeinen und über die Zeit Mīr-ī Kōras im Besonderen. Darin hat Nikitine kurdische Literatur, wie z. B. das Werk von Ḥuzni Mukriyānī, sowie auch nichtkurdische Werke, vor allem abendländische Werke, herangezogen.

 

3 Das Buch “The Kurds and Kurdistan“ von Derk Kinnane70 ist meiner Ansicht nach ein knappes, aber dennoch erwähnenswertes Werk. Der Verfasser vertiefte seine Kenntnisse der kurdischen Geschichte und der Probleme dieses Volkes durch seinen engen Kontakt mit den Kurden während seiner Lehrtätigkeit an der Bagdader Universität.71 Deshalb darf man sein Buch als eine der wenigen, durchaus sachverständigen Schriften über die allgemeine Geschichte, das soziale Leben und die politische Situation der Kurden ansehen.

b. Reiseberichte

Aufschlussreiches Material liefern die Reiseberichte der Europäer, die entweder aus persönlichem Interesse, als Diplomaten und politische Agenten oder auch als reine Wissenschaftler im 18., 19. und 20. Jh. Kurdistan besuchten und über die kurdischen Emirate und das soziale und politische Leben der Kurden berichteten.

Aus einem Bericht des englischen Arztes Dr. Roos, der zur Behandlung Muṣṭafā Begs, des Vaters Mīr-ī Kōras 1833 das Sōrān-Emirat besuchte72 und dadurch Gelegenheit hatte, mit Mīr-ī Kōra selbst ein Gespräch zu führen, kann man vieles über diese bemerkenswerte kurdische Persönlichkeit erfahren und mit den kurdischen Berichten über Mīr-ī Kōra vergleichen. Obwohl Roos aus persönlichen Gründen keinen guten Eindruck von den Kurden hatte73, berichtet er weitgehend objektiv.

Fraser, der zur Zeit Mīr-ī Kōras in Ušnōyah (kurd. Šinō)74 war, versuchte ohne Erfolg, das Sōrān-Emirat zu besuchen. Er erzählt vieles über den Charakter dieses Fürsten, über die sozialen und politischen Umstände im Sōrān-Emirat und von den Sōrān-Rivalen, d. h. den Bābāniden. Seine Berichte stimmen häufig mit anderen Berichten überein.

Cl. J. Rich75, der bekannte englische Diplomat, der 1820 Süd-Kurdistan bereiste und das Bābān-Emirat und einen Teil des Sōrān-Emirates besuchte, zeichnete viele Nachrichten, Daten und Volkserzählungen auf. Diese tragen dazu bei, dass die Verhältnisse im größten der rivalisierenden Emirate, d. h. im Bābān-Emirat, klare Gestalt gewinnen.

Helmuth von Moltke76, der zurzeit Mīr-ī Kōras in der osmanischen Armee als Offizier tätig war, erlebte die Zusammenstöße zwischen den kurdischen Fürsten und der Zentralregierung der Osmanen. Er berichtet sachverständig über „das Land und Volk der Kurden“.77 Seine Berichte über das soziale und politische Leben der Kurden im 19. Jh. sind meiner Ansicht nach ein wertvolles Dokument.

Frederick Millingen78, ein englischer Major in der osmanischen Armee, bereiste Kurdistan um 1870 und schrieb seine Eindrücke über die Kurden nieder. Obwohl einige seiner Äußerungen durch seine Stellung als osmanischer Beamter beeinflusst sind79, ist sein Interview mit Rasūł Pāšā, dem Bruder Mīr-ī Kōras und Generalstabschef der Sōrān-Armee, ein Dokument für die Ursache des Sturzes des Emirates. Im Vergleich zu anderen Berichten ist dieser besonders aufschlussreich.

Ein französischer Militär und Journalist80, der in der Zeit des Sturzes Mīr-ī Kōras in der Türkei war, berichtet über dessen Festnahme und dessen Verbannung nach Istanbul. Sein Bericht ist kurz, aber immerhin zeigt er uns das Schicksal Mīr-ī Kōras.

Major E. B. Soane81, der bekannte englische Reisende, Orientalist und spätere Gouverneur der englischen Besatzungsmacht in Kurdistan, lebte jahrelang unter den Kurden und erlernte ihre Sprache perfekt. Soane hinterließ uns unter anderem seinen Reisebericht82, der großes Wissen und Sachverstand zeigt.83

Dies war die positive Seite der Reiseberichte. Andererseits stellt man fest, dass manche Reisende aus schlechten persönlichen Erfahrungen mit einigen Kurden über das gesamte Volk urteilen, ohne dass sie eine ausreichend lange Zeit dort gelebt hätten. Z. B. beklage sich Dr. Roos, der vielleicht von einigen Kurden nicht gastfreundlich genug aufgenommen worden war, dass die Kurden keine „richtige Gastfreundschaft“ und keine „richtige Freigebigkeit“ besäßen oder, dass „das Element der Kurden Krieg ist“; die Kurden sind “sulky savages“.84

Ich weiß nicht, welche Begriffe von „Gastfreundschaft“ und „Freigebigkeit“ Dr. Roos hatte. Aber auf jeden Fall steht seine Meinung im Gegensatz zu der allgemeinen Meinung über die Kurden in dieser Hinsicht.85

Andere Beispiele für Vorurteile ähnlich denen von Dr. Roos findet man bei Moritz Wagner 86, Fowler 87, Layard 88, Millingen 89, Ritter 90 u.a.

Jeder von diesen hatte eigene Erlebnisse oder kannte die Kurden vom Hörensagen als „Räuber“ und verurteilte dadurch alle als “treacherous“ oder „Räuber“ oder „Diebe“ … usw.91

Im Gegensatz dazu hatten einige andere Reisende nur gute Erfahrungen mit den Kurden gemacht. Sie beschreiben die Kurden ganz anders. Z. B. sagt Rich: “I quit Koordistan with unfeigned regret. I, most unexpectedly, found in it the best people that I ever met with in the East. I have formed friendships, and been uniformly treated with a degree of sincerity, kindness and unbounded hospitality, which I fear I must not again look for in the course of my weary pilgrimage; and the remembrance of which will last as long as life itself endures”.92

Einige andere abendländische Reisende wie z. b. Moritz Wagner verurteilten die Kurden nicht nur wegen „Räuberei“, sondern auch wegen der „Brutalität“ der kurdischen Muslime gegen nichtmuslimische Nachbarn93, d. h. Christen wie Armenier und Assyrer, und belegten die Kurden aus Fanatismus oder Unwissenheit mit allen schlechten Eigenschaften.94

Vor allem möchte ich hier betonen, dass ich auf keinen Fall die brutalen Maßnahmen der Muslime gegen die schutzlosen Nichtmuslime rechtfertigen will. Aber ich muss hier erwähnen, dass die Reisenden, die die Kurden verurteilten, folgendes nicht in Betracht gezogen haben:

1 Das Land der Kurden seit Jahrhunderten an zwei Reiche annektiert: dem Osmanischen und Iranischen. Jeder Staat bekannte sich fanatisch zu einer islamischen Konfession als Staatsreligion und nannte alle Andersgläubigen „Kāfir (Ungläubige)“. Dies ermutigte natürlich die primitiven und einfältigen Bürger zu Aggressionen gegen die Christen und andere Minderheiten. Ein nicht richtig aufgeklärtes Volk wie die Kurden, das durch die Besatzungsmächte genügend feindselige Beispiele erhielt, mischte sich in die Angelegenheiten der Christen und anderer Minderheiten, nicht aus besonderem Fanatismus, sondern aus Einfalt oder Drang nach Beute. Der christliche Missionar Wigram, der Leiter der anglikanischen Mission bei den assyrischen Christen, schildert diese Tatsache sehr richtig: “A Kurd is a Mussulman, but no fanatic, though sometimes represented as such. He is not very zealous in any direction, except that of plundering his neighbour’s goods; and he is not especially efficient, even as a brigand“.95

2 Die christlichen Missionare trugen meiner Ansicht nach auch eine nicht geringe Schuld an den Zusammenstößen. Die Missionen sahen sich nicht in der Lage, ihre Sendung zu verwirklichen. Um eine Missionarstätigkeit ausüben zu können, sind besondere Voraussetzungen zu erfüllen. Der Missionar muss sich mit der Mentalität des Volkes sehr gut vertraut machen. Es muss seinen Worten durch Taten Nachdruck verleihen. Da es der Kirche anscheinend an ausreichend fähigen Missionaren gemangelt hat, war das missionarische Wirken zum Scheitern verurteilt und man gab dem „Fanatismus“ der Kurden die Schuld. So versuchte man aus Hoffnungslosigkeit diesem „Fanatismus“ durch Aufhetzung der christlichen Minderheit gegen die Mehrheit zu begegnen. Z. B. verfolgte der englische Priester Krant, der im Dorf Tikōma in Hakārī lebte, insgeheim politische Zwecke. Er hetzte die Assyrer gegen die Kurden auf: nicht aus Gottesliebe, sondern aus politischen Gründen.96 Der amerikanische Missionar und Arzt Dr. Cochran verschwor sich mit der Qāğāren-Regierung gegen den kurdischen sunnitischen Führer Šēx ‘Ubaid allāh-ī Nahrī (starb 1883).97 Nahrī hatte dagegen eine andere Haltung gegenüber den Christen eingenommen. Als seine Anhänger ihm vorgeschlagen hatten, eine Vernichtungsoffensive gegen die Christen zu beginnen, antwortete Nahrī: „Jetzt brauchen die Osmanen uns, die Kurden, um die Christen zu vernichten, aber wenn wir die Christen vernichtet haben, dann vernichten sie (die Osmanen) uns“.98 Diese Einstellung Nahrīs wurde von Minorsky als eine ausgezeichnete Haltung bezeichnet.99 Auch die Söhne Nahrīs nahmen keine Rache an Dr. Cochran.100 Eagelton berichtet über die Haltung von Nahrīs Söhnen; verwunderlich ist dabei aber, dass Eagelton nur den Kurden die Schuld zuspricht und die Haltung von “good Cochran“ lobt: “This the good doctor did to protect the many Christians of the area who would be pillaged or killed in any general attack by the wild Kurdish tribesmen“.101 Es ist zu erwähnen, dass Eagelton selbst bestätigt, dass der Nahrī-Aufstand eine Reaktion auf das qāğārische Vorgehen gegen die Kurden war.102

3 Einige Zusammenstöße zwischen muslimischen Kurden und Christen wurden vom osmanischen Staat mit politischem Ziel organisiert. So stachelte die osmanische Regierung die Nestorianer dazu an, dem kurdischen Fürsten Badir Xān (starb 1868) keine Steuern zu zahlen, damit dieser die Christen bekämpfe und die Osmanen die Sympathie der europäischen Kreise indirekt für sich gewinnen könnten.103 Denn Badir Xān war nach allem, was wir wissen, kein besonders fanatischer Muslim. Die amerikanischen Missionare bestätigen ihm seine Neutralität:”His government was reported by American missionaries to have imposed a just rule of law and prosecuted favoritism and graft“.104

Nach den vorherigen Erläuterungen möchte ich dem kurdischen Forscher und Pädagogen Rafīq Ḥilmī (starb 5.8.1960) zustimmen, wenn er sagt: „Die kurdisch-christliche Feindschaft war eine Frucht dessen, was die osmanische Regierung gepflanzt hatte“.105 Was Ḥilmī sagt, deckt sich mit der Ansicht des armenischen Wissenschaftlers Safrastian, der der osmanischen Regierung die ganze Schuld an den Zusammenstößen zwischen Kurden und Armeniern gibt.106

Zusammenfassend möchte ich sagen, wenn man die Reiseberichte und Werke mancher unsachlicher Autoren auswertet, sollte man sehr genau zwischen Tatsachen und gefühlsmäßigen, persönlichen Eindrücken unterscheiden. Eben darum bemühte ich mich hier. Ich glaube daher, dass Chalfin mit Recht sagt: „Eine große Zahl der Quellen abendländischer Herkunft, die über Kurdistan im 19. Jh. berichten, nennen die Kurden „Diebe und Räuber“. Solche Benennungen stimmen nicht immer mit den Tatsachen überein“.107

 

4. Arabische Texte

Im 20. Jh. (besonders nach der Gründung der Staaten Irak und Syrien, wo Kurden und Araber in einem Staat zusammenleben) zeigte sich bald die Notwendigkeit, über die Kurden zu forschen. Als Folge davon wurden viele Bücher über die Kurden in arabischer Sprache von Arabern geschrieben.

Die beiden Bücher von Ṣiddīq al-Damlūğī108 waren für mich wichtige Quellen auch für die Zeit von Mīr-ī Kōra. Damlūğī war osmanischer und später irakischer Beamter, der 15 Jahre lang unter den Bahdīnān-Kurden bzw. den Yazīdī lebte.109 In seinem Buch „al-Yazīdiyyah“ berichtet er ausführlich über die Yazīdī-Religion und führt verschiedene Meinungen dazu an. Er sammelte mehrere muslimische „Fatwās“ gegen diese Sekte. Das Buch enthält Erfahrungen und Eindrücke eines mehrjährigen Lebens unter den Yazīdī und zeugt von dem Interesse al- Damlūğīs für die geschichtlichen Zusammenhänge. Dieses Buch bildet eine Quelle für die Beziehungen zwischen den Yazīdī und Mīr-ī Kōra.

In seinem zweiten Buch vermittelt Damlūğī einen Überblick über die ‘Imādiyyah-Fürstentümer oder das Bahdīnān (kurd. Bādīnān)-Emirat, die Geschichte des Emirates, seinen Fürsten, die Stellung der Osmanen zu dem Emirat, die ‘Ulamā, die Schulen, die Beamten…. usw. Das Buch schildert auch die Beziehungen zwischen Mīr-ī Kōra und dem Bahdīnān-Emirat.

Vergleicht man das Werk Damlūğīs mit anderen Werken, so stellt man fest, dass er im allgemeinen die Begebenheiten wahrheitsgetreu erzählt, obwohl er manchmal bei einem Urteil über die Fehler seiner sunnitisch-muslimischen Glaubensgenossen ein Auge zudrückt und den Yazīdī fast alle Schuld zuschreibt.110

Das Werk von Ḫaṣbāk111 gehört zu den objektivsten und wissenschaftlich einwandfreiesten Werken, die bis jetzt über die Kurden verfasst wurden. Ḫaṣbāk studierte die kurdische Geschichte von Grund auf und promovierte an der Londoner Universität über Humangeographie des irakischen Kurdistan. Sein Buch enthält einen kurzen Überblick über die kurdische Geschichte und stellt die historisch-geographischen Fragen von Kurdistan dar, beschreibt ferner die kurdischen Fürstentümer und das soziale Leben der Kurden. Auch die kurdische Mentalität und die Meinung anderer Völker über die Kurden werden behandelt. Sein Werk ist m. E. eine knappe und sachliche Studie über die Kurden. Ich habe dieses Werk manchmal zitiert.

Das Buch „al-Qaḍiyyah al kurdiyyah (die kurdische Frage)“ von Maḥmūd al-Durrah enthält viele Tatsachen über das Sōrān-Emirat von Mīr-ī Kōra, die der Verfasser teilweise von anderen Quellen übernommen hat und zu denen er Stellung nimmt. Das Buch ist ein allgemeiner Überblick über die kurdische Geschichte vom Standpunkt eines arabischen Fanatikers.112 Obwohl er versucht, sich als objektiven Wissenschaftler zu geben, konnte er sich von politischer Parteilichkeit nicht freimachen. Er entnahm den europäischen und orientalischen Quellen nur, was in seine Vorstellung passte. Andere Quellen oder Meinungen werden als „imperialistisch“ abgelehnt.

Obwohl dieses Buch eine chauvinistische Tendenz hat, möchte ich es erwähnen, weil es erstens die Vorstellung eines bestimmten Kreises unter den Arabern widerspiegelt, zu denen auch al-Ġāmrāwī113, Aḥmad Fawzī114, Rašīd al-Fīl115 u. a. gehören; zweitens, weil es Vergleichsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Auffassungen über Mīr-ī Kōra und die Kurden im allgemeinen bietet.

Das Buch „Ta’rīḫ al-Mawṣil (Geschichte Mossuls)“, das von dem irakischen Wissenschaftler und der bekannten christlichen Persönlichkeit Sulaimān al-Ṣā‘iġ116 stammt, enthält einige Nachrichten über Mīr-ī Kōra. Ṣā’iġ hat sowohl muslimische als auch christliche Quellen für sein Werk benutzt. Deshalb ist sein Werk nicht einseitig.

Das Buch „al-Ta’rīḫ al-ḥadīt (die neue Geschichte)“, das 1959 in den irakischen Schulen eingeführt wurde, enthält ein Kapitel über Mīr-ī Kōra. Dieses Buch ist mir insofern wichtig, als es die offizielle arabisch-irakische Auffassung über Mīr-ī Kōra vermittelt.

Das Buch „Ta’rīḫ al-ta’līm fī al-‘Irāq fī al-‘ahd al-‘Uṯmānī (Geschichte des Unterrichtswesens im Irak in der osmanischen Zeit)“ des irakisch-schiitischen Pädagogen al-Hiālī117 ist eine Quelle für das Erziehungs- und Schulwesen im Irak und dadurch auch in Kurdistan. Dieses Buch war ein Hilfsmittel, das Hintergrundmaterial für die kulturelle Lage im Sōrān-Emirat liefert.

Das Werk „Ta’rīḫ al-tašrī‘ al-islāmī (Geschichte der islamischen Gesetzgebung)“ des sunnitisch-ägyptischen Gelehrten al-Ḫūḍarī Beg118 stellt einen kurzen Überblick über die Geschichte der islamischen Gesetzgebung dar. Es diente mir als Beleg bei der Zitierung aus diesem Sachgebiet. Dieses Buch ist im Vergleich mit anderen Werken über das gleiche Thema als systematisch und konzentriert zu bezeichnen.