Der kurdische Fürst MĪR MUHAMMAD AL-RAWĀNDIZĪ genannt MĪR-Ī KŌRA

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5. Türkische Texte

Aus der osmanisch-türkischen Literatur habe ich verwendet:

 „Sālnāme-i Vilāyet-i Muṣul (Jahrbuch der Provinz Mossul)”. Der Verfasser Tevfiq Fikret119 (geb. 1867) erzählt die Geschichte der Beseitigung Mīr-ī Kōras. Diese Quelle ist insofern wichtig, als sie die Ereignisse gestützt auf offizielle Quellen der osmanischen Regierung darstellt.

 Das „Siğill-i ‘Uṯmānī (Osmanisches Verzeichnis)“ ist ein wichtiges biographisches Lexikon über osmanische Persönlichkeiten. Darin ist jedoch nur eine kurze, allerdings wichtige Angabe über Sturz und „Absetzung“ von Mīr-ī Kōra, nämlich das Jahr des Sturzes bzw. der „Absetzung“ Mīr-ī Kōras. Der Verfasser dieses Lexikons war Mitglied der osmanischen höheren „Ma‘ārif Meğlisi“. Es ist in 4 Bänden in Istanbul erschienen.120

 Das „Siyāḥetnāme“ von Evliyā Čelebi121, der 1065h. (1654) Kurdistan bereiste, enthält verschiedene Berichte über die Politik des osmanischen Reiches gegenüber den kurdischen Emiraten. Das Werk stellt ferner eine gute Information über das osmanische Verwaltungssystem in Kurdistan dar und ist ein geographischer Führer für viele kurdische Gbiete. Als Reisebericht enthält es eine Menge wichtiger und interessanter Informationen.

 In diesem Zusammenhang ist das Werk „Ta’rīḫ-i Ğevdet (Geschichte Ğevdets)“ des bekannten osmanischen Wesir Aḥmed Ğevdet Pāšā (1822-1895) zu erwähnen. Es ist eine gute Quelle für die Beziehungen zwischen Osmanen und Qāğāren im 19. Jh. Aus diesem Werk habe ich einige Nachrichten über die erwähnte Zeit herausgezogen.122

 Ferner zitiere ich aus dem bekannten Lexikon „Qāmūs al-a’lām (Wörterbuch der hervorragenden Persönlichkeiten)“123 einige Male, ebenso aus „Ta’rīḫ-i Na‘īmā (Na‘īmās Geschichte)“124 einige Nachrichten, die sich auf das Sōrān-Emirat im 18. Jh. beziehen.

6. Persische Texte

Eine der persischen Quellen, die aus der Regierungszeit der Qāğāren stammt und für diese Arbeit in Frage kommt, ist das bekannte „Nāsiḫ al-tawārīḫ-i –qāğāriyyah“ von Mīrzā Moḥammad-i Kāšānī لسان الملك 125. Diese Quelle enthält einige Nachrichten über die Beziehungen zwischen dem Qāğāren-Staat und dem Sōrān-Fürstentum. Sie ist leider nicht besonders zuverlässig. Da solche Kompilationen von denjenigen geschrieben wurden, denen vor allem daran lag, den Herrschern zu schmeicheln, ist der tatsächliche Ablauf der Ereignisse dabei oft verloren gegangen. Auf jeden Fall habe ich einige Angaben dieses Werkes, allerdings sehr vorsichtig und kritisch, mit aufgenommen.

Auch das Werk von Maḥmud Maḥmud126 über die Beziehungen zwischen England und Iran im 19. Jh. ist für den Erforscher des Sōrān-Emirates im 19. Jh. interessant. Der Verfasser dieses Buches stellt diese Beziehungen dokumentarisch dar und zieht daraus ein Fazit. Einige dieser Auffassungen halte ich für nicht zutreffend und gefühlsmäßig. Jedoch ist das Buch als Ganzes eine schätzenswerte Arbeit über den Qāğāren-Staat in der betreffenden Zeit.

7. Sonstige Texte

In diesem Abschnitt folgen einige Quellen, die sich auf Völker beziehen, die nicht wie die Araber, Perser oder Türken staatspolitische Beziehungen zu den Kurden hatten. Drei von diesen Texten sind hier erwähnenswert:

1 “The Kurds and their country” von Captain Waheed.127 Der pakistanische Oberst Waheed besuchte Kurdistan 1953 und gibt an, dass sein Interesse für die Kurden und ihr Land “purely academic“ sei.128 In seinem Buch sammelte er viele historische Tatsachen, aber sein fanatisch-islamischer Blickwinkel ist deutlich erkennbar. Waheed betrachtet alle kurdischen Aufstände im 19. Jh., darunter natürlich auch die Bewegung Mīr-ī Kōras, als gegen das Osmanische Reich, und auch die im 20. Jh., als „antimuslimische Pläne“: ”The increased and well planned activities of the enemies of the Mussalmans to great friction among Muslim people, thus dissipate their strength by making them fight between themselves“. Dies ist bei Waheed einer der vier wichtigsten “Faktoren”, der die kurdische Geschichte in der fraglichen Periode gekennzeichnet hat: ”… more important basic factors shape the history of the Kurdish people during the nineteenth and the early part of the twentieth century”.129 Dieses Urteil ist meiner Ansicht nach nicht zutreffend, da die Engländer das Osmanische Reich gegen Mīr-ī Kōra130, die europäischen Regierungen aber das Osmanische Reich gegen den Fürsten Badir Xān unterstützten.131 Es ist klar, dass sich die kurdischen Aufstände im 20. Jh. teilweise wie Šēx Maḥmuds Aufstände, gegen die Engländer richteten und mit Hilfe der Engländer niedergeschlagen wurden, wie die Sekretärin des englischen Konsulats in Bagdad, Gertrude Bell, bestätigt.132

2 ”Kurds and Kurdistan“ von Arshak Safrastian.133 Der armenische Wissenschaftler und Politiker Safrastian hat versucht, seine langjährigen Erfahrungen mit den Kurden und eigene Forschungen niederzuschreiben. Als ein national und religiös unterjochter Armenier findet er nur bei den kurdischen Nachbarn, die Jahrtausende mit den Armeniern zusammengelebt hatten, Ansätze für eine produktive Zusammenarbeit. Deshalb ist sein Buch durchaus mit Sympathie für die Kurden geschrieben, wobei seine Feststellungen durchaus mit Sachargumenten belegt werden. Dieses Buch, das auch einige Nachrichten über Mīr-ī Kōra enthält, ist unerlässlich für jeden der über die Kurden forschen will.

3 “The Kurds“ von Hassan Arfa.134 Der Verfasser war 1944-1946 Stabschef der iranischen Armee. Er kämpfte gegen jene Kurden, die am 22.1.1946 die Mahābād-Republik bzw. die Republik Kurdistan gegründet hatten. Als Aserbaidschaner hatte er wegen der geographischen Nachbarschaft mehr Kontakt zu den Kurden. Die geschichtlichen Informationen, die er in seinem Buch gesammelt hat, entsprechen zwar zum Teil historischen Tatsachen, jedoch sind einige seiner Stellungnahmen nicht objektiv, z. B. die auch hier auftauchende „freudige Bekehrung der Kurden zum Islam“.135 Die Behandlung politischer Probleme der Kurden ist teilweise einseitig und lässt teilweise ein abschließendes Urteil vermissen. Die Nachrichten über Mīr-ī Kōra sind knapp.

III. EINLEITUNG
1. Überblick über die Geschichte von Sōrān bis Muṣṭafā Beg

Nach den Quellenberichten zerfällt die Geschichte des Sōrān-Emirates in drei Abschnitte:

Der erste reicht von der Gründung bis zur Regierungszeit von ‘Alī Beg (also 1005h. = 1596/7). Dieser Abschnitt wird im zurzeit ‘Alī Begs verfassten Šarafnāma136 ausführlich beschrieben. In diesem Šarafnāma, das die älteste Quelle sein dürfte, die über die frühe Zeit dieses Emirates berichtet, wird die Gründung behandelt und der Name „Sōrān“ volksetymologisch erklärt. Danach soll ein adliger Araber aus Bagdad namens „Kalōs“137, der in dieses Gebiet flüchtete und dort als Schäfer sein Leben fristete, drei Söhne gehabt haben. Einer davon namens ‘Īsā soll die Gelegenheit ausgenützt haben, sich zum Mīr zu erklären. Da die Umgebung der Festung Rawāndiz138 aus rotem Stein bestand und ‘Īsā und seine Anhänger zu Anfang deren Mauern durch Überklettern bezwangen, erhielten sie den Namen „Sang sōrḫī سنگ سرخی (die Männer der roten Steine)“.139 Dass die Kurden ihren Stämmen und ihre Führer, oft auch Nichtkurden (wie Persern), arabische Herkunft beigelegt haben, ist eine bekannte Tatsache.140

Die Angaben bei anderen Geschichtsschreibern wie Zakī141, Mukriyānī142, Durrah143, Nikitine144 sind lediglich Wiederholungen des Šarafnāma, woraus zu schließen ist, dass auch diese Geschichtsschreiber und Autoren sich in Ermangelung anderer Berichte allein auf das Šarafnāma stützen konnten.

Rōžbayānī äußert eine andere Meinung über die Herkunft des Wortes Sōrān: „Sang sōrḫī سنگ سرخی“ sei ursprünglich „Sing sōrḫī سنگ سرخ (rotbrüstig)“. „Sing سنگ “ bedeutet auf Kurdisch (Brust) und suhr oder sōr سهر سۆر (rot). „Sing سنگ“ wurde orthographisch ins Persische übertragen, aber nicht nach der Bedeutung; in diesem Falle hätte Sīna سینە gesagt werden müssen. Dieser Ausdruck ist darauf zurückzuführen, dass die Kurden gerne rote Kleidungen145 tragen. Auch dies ist eine volksetymologische Deutung, die sich auf ein Wortspiel stützt.

 

Die erste Sōrān-Periode stellt sich wie folgt dar:

1 Die familiären Auseinandersetzungen unter den Sōrān-Fürstenfamilien waren sehr stark, genau wie bei anderen kurdischen Fürstenfamilien. Sogar Durrah betrachtet, etwas übertreibend, diesen Kampf zwischen den Mitgliedern einer einzigen regierenden Familie als „entscheidendes Merkmal der gesamten Geschichte Kurdistans“.146Dies war einer der größten Faktoren für die Schwäche des Sōrān-Emirates in dieser Periode, d. h. in der Zeit der Regierung von ‘Alī Beg bzw. in der Zeit um 1005h. = 1596/7.

2 Als Folge einer wenig durchdachten Politik Sultan Sulaimāns II. kam es im Sōrān-Emirat zwischen Muslimen und Yazīdī zu einer Auseinandersetzung, die dann von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Sultan Sulaimān II kehrte 941h. (1534/5) nach der Eroberung Bagdads über Hawlēr (Erbil) zurück, ordnete die Hinrichtung des Fürsten ‘Izz ad-Dīn Šēr an und verschenkte dessen Emirat an Ḥusain Beg Dāsanī, Sohn eines Yazīdī-Fürsten. Außerdem verleibte der Sultan die Provinz Erbil dem Sōrān-Emirat ein.147 Diese Maßnahme des Sultans führte zu einer hartnäckigen und blutigen Konfrontation zwischen Muslimen und Yazīdī, die am Ende zur Schwächung des Sōrān-Emirates führte, zum Nutzen der osmanischen Eroberer.

3 Außerdem bestand in dieser Periode eine erbitterte Rivalität zwischen dem Sōrān- und dem Bābān-Emirat148, die ebenfalls zur Schwächung beider Emirate führte.

4 Trotzdem konnte schon bald ein Sōrān-Fürst namens Saif ad-Dīn149 die Osmanen besiegen und die Unabhängigkeit des Emirates erklären.150 Aber die Osmanen nutzten die fortbestehende Rivalität der kurdischen Fürsten untereinander aus. Saif ad-Dīn wurde durch die List des osmanischen Vermittlers Gāzī Qirān, eines kurdischen Fürsten, festgenommen und am 4. Ḏī al-Ḥiğğah 966h. (7. September 1559) hingerichtet.

Der zweite Abschnitt der Geschichte des Sōrān-Emirates beginnt mit der Regierungszeit ‘Alī Begs (um 1005h., sehr ungefähr)151 bis zum Beginn der Regierungszeit Mīr-ī Kōras (1223 bzw. 1229h. oder 1808/9 bzw. 1813/14). Dieser Abschnitt ist durch Quellenmaterial nur schwach belegt. Die einzige in Frage kommende Quelle dafür sind die Memoiren und geschichtlichen Eindrücke von Xēlānī, die diese Periode allerdings nur kursorisch behandeln. Deshalb muss man sich Zakī anschließen, wenn er sagt, dass „diese Periode ungenügend durchforscht ist“.152

Der kraftvollste Fürst dieser Epoche ist ‘Alī Beg. Bis heute sind Reste von Anlagen, die er schuf, wie die Festung in der ‘Alī-Beg-Schlucht (Galī-ī ‘Alī Beg) erhalten.153 Für diese Periode (um 1159h./1746) gibt es Nachrichten über die Zusammenarbeit der kurdischen Sōrān-Fürsten mit den osmanischen Wālīs.154 Die Berichte über die Emire, die zwischen ‘Alī Beg und Muṣṭafa Beg regierten, sind dürftig. Doch sind mehrere Berichte über die Regierungszeit von Muṣṭafa Beg erhalten. Zu seiner Zeit befand sich das Sōrān-Emirat in einer Lage, aus der es entweder ein starker Fürst retten (wie es geschah) oder in der es einen Niedergang erleiden musste. Darum halte ich es für notwendig, der Regierungszeit Muṣṭafa Begs ein eigenes Kapitel zu widmen.

2. Die Regierungszeit Muṣṭafā Begs

Die Rivalität in der herrschenden Familie von Sōrān und die Feindseligkeit zwischen dem Sōrān- und dem Bābān-Emirat erreichten in der Zeit von Muṣṭafā Beg ihren Höhepunkt. Er kam um 1780 an die Regierung.155 Die verworrenen Zustände brachten ihn dazu, seine Regierung seinem Sohn Mīr Muḥammad zu übergeben. Mīr Muḥammad Beg stand zwischen zwei Rivalen. Auf der einen Seite seine Brüder, die des Öfteren gegen ihn rebellierten, doch gelang es ihm jedes Mal, ihre Rebellion niederzuschlagen.156 Andererseits benutzten die Bābān-Emire den Kampf Mīr Muḥammad Begs gegen die rebellierenden Brüder, um 1198h. (1783/4) das Sōrān-Emirat anzugreifen. Sie konnten Rānya, Kōya (Kōysanğaq) und Harīr besetzen und ihrem Emirat eingliedern.157 Muṣṭafā Beg wurde gezwungen, einen Kompromiss mit Sulaimān Pāšā von Bābān zu suchen. Dies gelang ihm dadurch, dass er seine Tochter mit dem Sohne des Bābān-Fürsten verheiratete.158

Die Anknüpfung dieser Verbindung war ein geschickter Schachzug Muṣṭafā Begs, denn er begann nun in aller Ruhe, sein Emirat aufzubauen. Nach Longrigg konnte Muṣṭafā Beg sein Land vernünftig regieren.159

Aber die Ruhe, die diese politische Heirat brachte, dauerte nicht lange an, da seine Brüder wiederum Sulaimān Pāšā von Bābān gegen ihn aufhetzten. Der Pāšā richtete 1201h. (1786/7) (nach Xēlānī 1207h. bzw. 1792/3) eine große Offensive gegen Muṣṭafā Beg. Aber die Armee von Bābān wurde zurückgeschlagen, und Muṣṭafā Beg konnte noch drei Jahre regieren.160 Rawāndiz blieb trotz der starken Anfeindung unabhängig.161

Aber die Rivalität der Bābāniden und die Streitigkeiten in der eigenen Familie gegen Muṣṭafā Beg waren so groß, dass dessen Stellung untergraben wurde. Das Sōrān-Emirat näherte sich einem entscheidenden Punkt: entweder kam ein starker Fürst, der das Emirat retten konnte, oder der Niedergang stand unmittelbar bevor.

Es kam dann so, dass Sōrān seinen Emir gefunden hatte, als Muṣṭafā Beg sein Amt seinem Sohn Mīr Muḥammad (Mīr-ī Kōra) überließ. Muṣṭafā Beg starb nach 1833. → Das Sōrān-Emirat stieg nach seinem Tode so hoch empor, dass es zum mächtigsten kurdischen Fürstentum wurde.

IV. MĪR-Ī KŌRA UND SEIN EMIRAT IM SPIEGEL DER ZEUGNISSE
A. DIE PERSÖNLICHKEIT MĪR-Ī KŌRAS
1. Erziehung und Bildung

Das Geburtsdatum Mīr-ī Kōras ist umstritten. Nach Mukriyānī162, Gōrānī163 und ‘Awnī164 wurde er 1198h. (1784), nach Rōžbayānī165 und Xēlānī166 1189h. (1775) und nach Barzinğī167 1790 in Rawāndiz geboren.

Der englische Arzt Dr. Roos, der den Mīr am 3. Juni 1833 in Accra168 persönlich kennenlernte, schätzte sein Alter damals auf 45 Jahre.169 Nach seiner Schätzung mag er um 1788 geboren sein, daher kommt Mukriyānīs, Awnīs, Barzinğīs und Gōrānīs Datum eher in Frage.

Die Zweifelhaftigkeit des Geburtsdatums ist verständlich, legt man doch bis heute in der kurdischen wie in der orientalischen Gesellschaft keinen Wert auf das individuelle Geburtsdatum.

Von der Mutter des Mīr ist wenig bekannt. Mukriyānī und Xēlānī erwähnen nur den Namen der Mutter: Būk-Šāzamān.170 Aber Rōžbayānī171 berichtet, dass „die Mutter des Mīr, Būk-Šāzamān, bekannt war für ihre Urteilsfähigkeit und Geisteskraft“.

Obwohl kein anderer Bericht das bestätigt, halte ich diese Aussage nicht für unmöglich. Denn gemäß den gesellschaftlichen Lebensbedingungen in Kurdistan verwaltet die Frau des Stammesführers oder des Mīrs die Angelegenheiten des Stammes oder des Landes. Millingen sagt darüber: “A Koordish woman knows everything about her tribe’s concerns, feuds, plans, and conspiracies; she is often the very soul and moving spirit of them. The wife Omar-Agha, chief of the Milans, used to be the adviser, the secretary, the treasurer of her husband”.172

Die Kindheit des Mīr und seine Bildung dagegen liegen nicht im Dunkeln. Wir wissen, dass Mīr Muḥammad Student der islamischen Theologie war.173 Da die Moschee im damaligen Kurdistan die einzige Schule und die islamischen ‘Ulamā die einzigen Lehrer waren, musste ihn sein Vater, ein bekannter Malā (‘Alim) namens Malā Aḥmad, Sohn von Malā Adamā, aus dem Dorf Dēłza174 nach Rawāndiz bringen und für ihn eine Schule und eine Moschee erbauen.175 Man kann bis heute die Ruinen der Moscheemauern in der Nähe der Festung Lōkān sehen.

Wie jeder Faqē176 erwarb der Knabe Muḥammad dort die Grundlagen seiner Bildung durch „gelbe Bücher“.177 Nach einem umfangreichen Studium setzte ihn sein Vater als Verwalter für einige Gebiete seines Emirates ein.178

Alles in allem hatte Mīr Muḥammad dadurch eine islamische Erziehung und Bildung, natürlich im Sinne der sunnitischen Konfession, erhalten.

2. Aufstieg zum Mīr

Über den Aufstieg Muḥammads (vom Verwalter eines Gebietes zum Mīr) gibt es umstrittene Berichte. Ich möchte sie hier alle anführen:

Zunächst zu Mukriyānī179, der diese fürwahr interessante Geschichte erzählt: „Im Jahre 1228h. (1813/4) war Muṣṭafā Beg (der Vater des M.K., J.N.) über seine Brüder erbittert. Er schickte zu Mīr180 Muḥammad (M.K., J.N.), um ihn zum Mīr von Rāwandiz zu ernennen. Aber Muḥammad stellte drei Bedingungen für die Annahme des Emirates:

"Erstens. Sein Vater, Muṣṭafā Beg, sollte ihm 60.000 Riyal, und seiner Mutter, Būk-Šāzamān, 30.000 Riyal geben.

Zweitens. Muṣṭafā Beg sollte sich nicht in die Angelegenheiten Muḥammad Begs einmischen.

Drittens. Muṣṭafā Beg sollte Rāwandiz verlassen und in der nahegelegenen Festung Ākōyān ansässig werden.“

Nach diesem Bericht soll der Vater mit diesen Bedingungen nicht einverstanden gewesen sein, da er Angst hatte, dass „Mīr Muḥammad alle seine Brüder (Muṣṭafā Begs Brüder) und Verwandte töten würde“. Mīr Muḥammad soll sich dann nach Ğūlāmērg zurückgezogen haben. „Im nächsten Jahr war Muṣṭafā Beg wieder erzürnt. Er schickte erneut nach Mīr Muḥammad, übergab ihm den Schlüssel zu Schatz und Festung mit dem Geld, das Muḥammad verlangt hatte und ernannte ihn in Anwesenheit der Häuptlinge zum Mīr. Muṣṭafā Beg selbst begab sich zur Festung Ākōyān und blieb dort, bis er 1238h. (1822/3) starb.“181

Eine ähnliche Geschichte erzählt auch Xēlānī. Er nennt wiederum das Jahr 1229h. (1813/4) als das Jahr, in dem Muḥammad Mīr wurde.182

Wenn diese Berichte von Mukriyānī und Xēlānī zutreffend sind, bedeutet dies, dass Muḥammad ein weitsichtiger Mensch war, was Fraser bestätigt, wenn er sagt, dass der Mīr “prudent and farsighted“183 gewesen sei. Auch kann man daraus schließen, dass Muṣṭafā Beg durch Familien-Rivalität gezwungen war, sich zurückzuziehen, d. h. Muḥammad wurde ohne Gewaltanwendung gegen seinen Vater zum Mīr, wie auch Gōrānī bestätigt: „Muṣṭafā Beg rief 1229h. (1813/4) seinen Sohn Mīr Muḥammad zu sich, der damals Mīr auf Ğūlāmērg war, und setzte ihn vor einer Gruppe von Adligen und Noblen als Mīr ein. Dann ging Muṣṭafā zum Dorf Ākōyān und lebte in der Festung Dumdum, bis er 1238h. (1822/3) starb“.184

 

Die Daten, die Mukriyānī und Gōrānī für die Berufung Muḥammads zum Mīr von Soran angeben, stimmen überein (1229h. bzw. 1813/4), entsprechen aber nicht dem, was bei Qaftān185 steht und was Durrah angibt, wenn er sagt: „Mīr-ī Kōra hat erst 1826 die Macht übernommen“.186 Die Datierung des Todesjahres von Muṣṭafā Beg, des Vaters von Mīr-ī Kōra, als 1238h. bzw.1822/3 unterscheidet sich auch von dem Jahr, das Longrigg187 angegeben hat: „In 1826 Muṣṭafā died“. Trotzdem ist es meiner Ansicht nach ebenfalls falsch. Denn Dr. Roos188 besuchte Muṣṭafā Beg am 19. Mai 1833, um ihn, vergeblich, zu behandeln. Deshalb kommt die Jahreszahl 1245 h. (1829/30), welche Zakī angibt, auch nicht in Frage. Zakī sagt: „Muṣṭafā Beg bestimmte seinen Sohn Muḥammad Beg zu seinem Nachfolger und starb 1245h.“189 Auf jeden Fall ist nach Zakī festzuhalten, dass der Vater sieben Jahre nach Herrschaftsantritt seines Sohnes Muḥammad starb.

Die vorherigen Berichte bestätigen die Zustimmung Muṣṭafā Begs zur Machtübernahme Mīr-ī Kōras. Rōžbayānī190 bestätigt auch diesen Bericht: „Im Jahre 1223h. (1808/9) rief sein Vater (Muṣṭafā Beg) ihn (Muḥammad) mit seinen drei Brüdern Rasūł Beg, Sulaimān Beg und Aḥmad Beg zu sich, ernannte ihn in ihrer Anwesenheit zum Thronfolger ‚Walī ‘ahd‘ und beauftragte ihn, die Angelegenheiten des Emirates zu verwalten. Er (Muṣṭafā Beg) zog sich zurück“.

Das Datum 1223h. entspricht nicht dem Datum bei Mukriyānī und Gōrānī (1229h, 1813/14). Auch Rōžbayānī erwähnt den Namen des vierten Bruders Mīr-ī Kōras „Tamir Xān“ nicht, der ein Rivale Mīr-ī Kōras war und über dessen Gefangenschaft Dr. Roos berichtete.191

‘Awnī nennt weder Anlass noch Verlauf des Ereignisses, aber er bestätigt das Einverständnis von Muṣṭafā Beg: „Mīr Muḥammad wurde in den letzten Tagen seines Vaters Muṣṭafā Beg und mit dessen Einverständnis Emir von Sōrān“.192

Obwohl „die letzten Tage“ eine vage Angabe sind, fand Dr. Roos am 19. Mai 1833 Muṣṭafā Beg als Blinden und hilflos vor. Da, wie bekannt ist, Mīr-ī Kōra erst 1836 gefangen genommen wurde193, regierte Mīr-ī Kōra mindestens drei Jahre nach dem Besuch von Dr. Roos bei seinem Vater.

Es gibt allerdings Berichte, die angeben, dass Mīr-ī Kōra ein Rivale seines Vaters war und er die Regierung mit Gewalt an sich riss. Zakī sagt z. B.: „Muṣṭafā Beg war ein alter Mann, und die Bābān-Fürsten waren gierig auf seine Herrschaft. Sie störten seine Ruhe, und ebenso auch einer seiner Söhne, namens Muḥammad Beg, der versuchte, die Alleinherrschaft an sich zu reißen und seinem Vater die Macht aus den Händen zu winden. Der Alte starb 1241 h. (1825/6).194 So entstand Platz für Emir Muḥammad, der nachher als der Große Emir bekannt wurde“.195 Dieser Bericht Zakīs steht im Gegensatz zu einem anderen, früher erwähnten Bericht von ihm.196 Auch ist nicht klar, ob Muḥammad während der Herrschaftzeit seines Vaters Mīr wurde oder nicht. Eher könnte man denken, dass er nach dem Tode seines Vaters zum Mīr geworden wäre. Außerdem charakterisiert der Bericht Mīr-ī Kōra als Rivalen seines Vaters. Das Datum 1826 als Todesjahr Muṣṭafā Beg ist, wie weiter oben schon dargelegt wurde, falsch.

Auch Longrigg deutet an, dass Mīr Muḥammad das Emirat mit Gewalt übernahm: “Before his (Muṣṭafā Beg’s) death his son Muḥammad Beg - or Mīr Muḥammad - took over the government from his weakening hands“.197 Ferner berichtet Longrigg über eine “Blendung” Muṣṭafā Begs als Folge einer Verschwörung gegen ihn: ”Inevitably, there was suspicion of foul play”.198

Aber dieser Bericht Longriggs ist m. E. unhaltbar. Denn Dr. Roos, der Muṣṭafā Beg gesehen hatte, war nicht sicher über die Ursache seines Rücktritts, d. h. über die Art und Weise, wie Muḥammad (Mīr-ī Kōra) Mīr wurde: “The cause of his (Muṣṭafā Beg’s) resignation in favour of that son (Muḥammad) is less certain. Some assert that his deposition was compulsory; others, that being convinced his son was calculated to become a greater man than himself, he had voluntarily resigned in his favour“.199

Auch das “foul play” gegen Muṣṭafā Beg, von dem Longrigg spricht, ist nicht so sicher, wie er behauptet, da Dr. Roos selbst Muṣṭafā Beg behandelt und diesen Bericht geprüft hatte: “Report had asserted that he (Muṣṭafā Beg) had been blinded by order of his son, by the meel (red hot iron pencil) or the hot iron cup, but this Dr. Roos declared to be assuredly false”.200

Fraser nimmt Stellung zu diesem Bericht: “He (Mīr-ī Kōra) began his career by setting aside his own father, as incapable of conducting the affairs of the tribe in troublesome times. Some say that the old man, being of a peaceable and devout disposition, turned Soofee, or saint, renounced the world and its vanities, and placed his son in his room; I wish for the Meer’s credit that such may be the true version of the story, but it is at best doubtful”.201

Nach der Überprüfung aller dieser Berichte sehe ich die Ereignisse folgendermaßen:

Muḥammad wurde zu Lebzeiten seines Vaters Mīr, dies berichtet Dr. Roos, der seinen Vater behandelte. Das bedeutet, dass Muṣṭafā Beg zurückgetreten war. Wenn Muṣṭafā Beg von seinem Sohn, Mīr Muḥammad, nicht geblendet worden ist, so gab es auch keine Verschwörung gegen Muṣṭafā Beg, wie Dr. Roos berichtet. Wenn es diesen Bericht nicht gäbe, könnte noch mehr der Verdacht entstehen, dass Muṣṭafā Beg absichtlich von Mīr-ī Kōra geblendet worden sei, um ihn nach islamischem Gesetz regierungsunfähig zu machen. Aus diesen Tatsachen schließe ich, dass der ehrgeizige Mīr-ī Kōra aus dem Alter seines Vaters und der Schwäche der Bābān-Fürsten durch innere Rivalitäten Nutzen ziehen konnte, wie Zakī berichtet.202 Er konnte seinen Vater überreden, ihm seinen Platz einzuräumen, um die Angelegenheiten des Stammes in einer “troublesome time“ 203 in die Hand zu nehmen. Das ist m. E. der erste Erfolg Muḥammads, der auf diese Weise das Emirat an sich bringen konnte, obwohl er noch vier Brüder hatte. Zwei von ihnen waren seine großen Nebenbuhler.