Herzen der Nacht 2

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„Bestimmt wurde er bei der Geburt vertauscht“, murmelte Drake mit dem Strohhalm zwischen den Lippen. „Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er lieber Ellies Blut trinken würde.“ Drake grinste übers ganze Gesicht.

„Lass Ellie aus dem Spiel.“ Humor hin oder her, ich mochte es nicht, wenn Drake so über meine Freundin sprach.

„Habe ich etwa einen wunden Punkt getroffen?“ Drake hatte seine Blutkonserve weggestellt und funkelte mich angriffslustig an. „Warum machst du sie nicht endlich zu deiner Gefährtin? Was bist du? Ein Waschlappen oder ein Vampir?“

Ich schnellte von meinem Sessel hoch. „Das geht dich gar nichts an“, knurrte ich leise und bemühte mich um Zurückhaltung.

Natürlich wusste ich, dass es dem Dunkelrat nicht gefallen würde, wenn es herauskam, dass ich mich noch gar nicht mit Ellie verbunden hatte. Ich wusste auch, dass ich es sehr wahrscheinlich irgendwann tun würde, aber nicht jetzt. Sie sollte noch mehr Zeit haben und selbst entscheiden können.

„Drake, halt die Klappe.“ Marcus legte ihm die Hand auf den Arm. „Wir haben doch momentan andere Probleme, oder etwa nicht?“

Drake zögerte einen Moment, dann bemerkte ich, wie die Flamme der Wut in seinen Augen langsam erlosch. „Ja, du hast recht, Marcus. Ich benehme mich wieder mal daneben. Sorry, Colin.“

Er setzte sich hin und fuhr fort.

„Ich habe im Moment einfach viel Druck. Wir müssen das Schloss schützen, die Gegend durchsuchen, und noch dazu muss ich mir einen guten Plan für heute Abend ausdenken, damit alles reibungslos über die Bühne gehen kann.“

Ich war verwirrt. „Heute Abend? Was soll denn reibungslos über die Bühne gehen?“

„Na, heute ist doch der Wohltätigkeitsball in Durringham, hast du das etwa vergessen?“ So ein Mist.

„Um ehrlich zu sein… ja“, gab ich kleinlaut zu.

Drake war sauer. „Zum Glück haben wir nochmal darüber gesprochen! Du weißt doch, wie wichtig dieser Ball für uns ist. Wir können es uns nicht leisten, einfach nicht hinzugehen. Außerdem wäre es wohl sehr seltsam, wenn wir dieser Veranstaltung, die wir selbst ins Leben gerufen haben, fernbleiben würden, findest du nicht? Eine negative Berichterstattung in der Presse können wir in der momentanen Situation gar nicht gebrauchen.“ Er räusperte sich. „Außerdem halte ich heute Abend eine eine Rede, an welcher ich immerhin mehrere Tage geschrieben habe.“

„Du hältst eine Rede - auf dem Wohltätigkeitsball?“ Ich grinste belustigt. „Das muss ich mir unbedingt ansehen!“

Eine Idee formierte sich in meinem Kopf und nahm Gestalt an. Bevor Drake mir eine dumme Antwort geben konnte, erhob ich mich und eilte zur Tür. „Ich muss noch schnell was erledigen. Bis später dann!“

Gerade war mir eingefallen, wie ich meine Ellie ein wenig aufmuntern konnte.

Kapitel 3: Ellie

Als Colin gegangen war, setzte ich mich an den Schreibtisch und versuchte, mich ein wenig zu entspannen. Es ging mir nicht sehr gut, seit die Wölfe in der Gegend aufgetaucht waren. Meine Nerven waren hochgradig gespannt, ich schlief schlecht und hatte schlimme Träume.

Ich musste mich unbedingt etwas ablenken, und der Aufenthalt hier in der Schlossbibliothek war dafür bestens geeignet.

Schon als Kind hatte ich mich stets darauf gefreut, meine Mutter in die Bücherei begleiten zu dürfen. Die großen Regale mit den vielen bunten Büchern hatten früher schon eine große Faszination auf mich ausgeübt.

Nach dem Tod meiner Eltern hatte ich oft die Bibliothek aufgesucht, um allein zu sein. In dieser Zeit hatte ich die fast schon andächtige Ruhe, die in diesen Räumen herrschte, zu schätzen gelernt.

Fast täglich hatte ich mich mit einem dicken Wälzer bewaffnet in einem der weichen Sessel regelrecht versteckt und war in der Geschichte eingetaucht. Es gab für mich bis heute definitiv keine bessere Methode, der unschönen Gegenwart zu entfliehen, wenigstens für eine Weile.

Eine Bibliothek war für mich ein Ort, an welchem ich mich auf seltsame Weise geborgen fühlte. Als Kind hatte ich immer daran geglaubt, dass man, egal welches Problem man auch gerade hatte, die Lösung dafür in einem Buch finden konnte.

Genauso ging es mir im Moment. Es war zwar nur ein vages Gefühl, aber ich hatte die Hoffnung, dass es in diesen alten Schriften irgendwo einen Hinweis darauf geben könnte, was die Werwölfe mit ihren Angriffen erreichen wollten… und wie man sie besiegen konnte.

Schnell fuhr ich den Computer hoch und sichtete die Bestandslisten, welche ich seit meinem Aufenthalt hier im Schloss bereits angelegt hatte. Die Datei war nicht allzu groß, was auch kein Wunder war, denn ich hatte erst einen Bruchteil der über vierzigtausend Bücher, die im Laufe der Zeit aus allen möglichen Ecken des Landes zusammengetragen worden waren, katalogisieren können.

Irgendwo in dieser geballten Menge an niedergeschriebenem Wissen musste es doch einen Hinweis darauf geben, wie man die Wölfe besiegen konnte, ich wusste es einfach.

Seufzend ließ ich den Blick über die vollgestopften Regale schweifen. Wo sollte ich nur anfangen, auf was sollte ich achten?

Ich begann, einige Exemplare aus den unteren Reihen hervorzuziehen und die Inhaltsangaben zu überfliegen.

Dann überlegte ich, dass es vielleicht besser wäre, an einer Stelle anzufangen und mich dann Buch um Buch vorzuarbeiten. Ich nahm mir dabei Zeit und achtete auf jede Kleinigkeit, die mir verdächtig erschien.

Die erste Reihe hatte ich relativ schnell durchgesehen, doch außer etlichen Geschichtsbüchern und Bildbänden von Schottlands Küste konnte ich keine relevanten Bücher finden.

Schnell musste ich einsehen, dass diese Methode nicht sehr erfolgreich sein würde. Es fehlte mir einfach die Zeit, um alles gründlich zu prüfen. So hatte das Ganze keinen Zweck, ich musste in diesem Fall anders vorgehen, nicht systematisch, sondern eher intuitiv.

Ich trat einen Schritt zurück und legte meinen Kopf in den Nacken, um besser nach oben sehen zu können. Dann stapelte ich kurzerhand einige große Bildbände übereinander und stieg auf den etwas wackeligen Turm, nicht ohne vorher dessen Stabilität geprüft zu haben. Trotzdem musste ich mich noch auf die Zehenspitzen stellen, um die oberen Regalbretter erreichen zu können.

Ich wollte schon aufgeben, als ich eine Art Reflexion wahrnahm. Hatte da gerade etwas aufgeblitzt? Ich schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich begann ich langsam durchzudrehen.

Dennoch suchte ich mit den Augen die oberste Reihe ab. Da war etwas.

Ein Buch mit einem ledernen Einband erweckte meine Aufmerksamkeit. Es wies bereits starke Gebrauchsspuren auf und war voller Staub. Allerdings konnte man noch gut die kunstvoll ineinander verschlungenen Ornamente erkennen, die in goldener Farbe aufgebracht worden waren.

Ich streckte meine Hand aus und versuchte, das Buch mit den Fingerspitzen zu erreichen, aber ich rutschte ab. Der kleine Bücherturm unter meinen Füßen wackelte ganz gewaltig und ich war knapp davor, das Gleichgewicht zu verlieren, doch es gelang mir im letzten Moment, mich noch abzufangen.

Ich schimpfte vor mich hin, beschloss aber, noch einen Versuch zu wagen. Wenn es diesmal nicht klappen sollte, musste ich Colin bitten, mir zu helfen.

Ich streckte mich erneut und bekam das Buch endlich zu fassen. Als ich es herauszog, rieselte Staub auf meinen Kopf und ich musste niesen. Dies brachte mich endgültig aus dem Gleichgewicht und ich fiel.

Doch kurz bevor ich auf dem Boden aufschlug, wurde ich sanft abgebremst.

„Hoppla! Man kann dich wirklich keine fünf Minuten alleine lassen!“ Colin stellte mich ab und grinste mich breit an. Ich sah das Leuchten in seinen blauen Augen und wusste, dass ich ihm hoffnungslos verfallen war.

„Langsam wird es wohl Tradition, dass ich dich auffangen muss. Du musst dich aber nicht irgendwo hinunterstürzen, nur damit ich komme, um dich zu retten“, hauchte er verführerisch in mein Ohr und küsste mich auf die zarte Haut darunter.

„Ein Wort von dir genügt, und ich weiche Tag und Nacht nicht mehr von deiner Seite.“

Er drückte mich fest an seinen muskulösen Körper und ich konnte seine Hände spüren, die noch immer auf meinem Rücken ruhten.

Augenblicklich musste ich daran denken, wie er mich kurz nach meiner Ankunft hier im Schloss in der Bibliothek aufgesucht und heftig mit mir geflirtet hatte. Bei dem Gedanken daran wurde es mir selbst jetzt noch ganz heiß.

„Und jetzt verrat mir mal bitte, warum du diese waghalsige Klettertour hier veranstaltet hast.“ Sein intensiver Blick ruhte auf mir, offenbar wartete er auf eine Antwort.

Ich wollte ihm gerade das Buch mit den goldenen Ornamenten präsentieren, als ich bemerkte, dass ich es gar nicht mehr in der Hand hielt. Während es Sturzes war es heruntergefallen und ich musste halb unter den Schreibtisch kriechen, um es aufzuheben.

„Deshalb“, meinte ich und entfernte mit der Hand den restlichen Staub vom Einband. Colin machte ein erstauntes Gesicht, als ihm die Zeichnungen auf dem Cover auffielen. „Ist das da etwa dein Amulett?“

Im Bruchteil einer Sekunde hatte er sich das Buch geschnappt und setzte sich damit in den großen Ledersessel am anderen Ende des Raumes.

„Warum kann ich mich nicht so schnell bewegen? Ich möchte das auch können“, meinte ich schmollend.

„Vielleicht eines Tages“, erwiderte er mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Weißt du, wie man das Buch öffnet? Ich kriege es nicht auf.“

„Keine Ahnung, ich hatte ja noch keine Gelegenheit dazu, es herauszufinden. Du musstest es mir ja aus der Hand reißen.“

 

Lachend bewegte ich mich auf Colin zu und betrachtete mir den Ledereinband einmal genauer. Tatsächlich, zwischen den Ornamenten meinte ich, eine Abbildung meines Anhängers erkennen zu können.

Der Deckel ließ sich nicht öffnen, obwohl man von außen nicht ersehen konnte, wie das Buch zusammengehalten wurde. Es gab weder ein Schloss noch irgendeinen erkennbaren Mechanismus.

„Das gibt es doch nicht, warum lässt es sich denn nicht aufklappen?“, wunderte ich mich.

„Vielleicht wurde das Buch durch Magie verschlossen“, überlegte Colin.

„Magie? Wie soll das gehen? Und wer sollte dies getan haben?“ Ich war ratlos.

„Ganz einfach. Jemand, der das Buch nur demjenigen zugänglich machen möchte, der mit dem Inhalt etwas anzufangen weiß.“ Colin lehnte sich im Sessel zurück und sah mich eindringlich an. „Wie hast du dieses Buch überhaupt gefunden?"

„Ich weiß nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich nach etwas Bestimmtem suchen müsste. Und dann sah ich es oben auf dem Regal stehen.“

„Das ist in der Tat sehr seltsam.“ Colin wirkte plötzlich sehr nachdenklich.

„Ich frage mich, was das Ganze zu bedeuten hat. Es scheint fast, als habe es dich zu ihm geführt.“

Ich runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“

„Ellie, bitte gib mir dein Medaillon. Ich möchte etwas ausprobieren.“

Ich entsprach Colins Bitte, nahm die Kette ab und reichte sie ihm. Er platzierte den Anhänger genau auf der Abbildung und sofort begann der Stein darin bläulich zu leuchten. Erst geschah nichts, dann gab es auf einmal einen kleinen Blitz.

Colin wartete noch kurz, dann zog er das Amulett vorsichtig zurück. Er probierte erneut, den Buchdeckel zu öffnen, und diesmal war er erfolgreich. Triumphierend sah er mich an und er konnte die Neugier in seinen Augen kaum verbergen. Gespannt beugten wir uns beide vor, allerdings wurden unsere Erwartungen enttäuscht. Die erste Seite war leer, ebenso wie alle anderen, wie wir beim Durchblättern feststellen konnten.

„Da steht ja gar nichts drin.“ In meinem Kopf drehte sich alles.

„Warum sollte sich jemand die Mühe machen, ein leeres Buch extra mit einem Zauber zu verschlüsseln?“, fragte ich mich.

Colin wirkte genauso hilflos wie ich. „Vielleicht haben wir ja etwas übersehen?“

Wir untersuchten nochmal genau alle Blätter auf versteckte Zeichen, konnten aber nichts finden. Die Seiten waren leer und blieben es auch.

„Das ist in der Tat merkwürdig.“ Colin erhob sich aus dem Sessel und lief im Zimmer auf und ab. „Ich denke nicht, dass das Buch wirklich leer ist. Vielleicht ist ja Magie notwendig, um die Schrift sichtbar zu machen.“

Ich begann zu verzweifeln. Anstatt Antworten zu bekommen, tauchten immer neue Fragen auf. Diese Tatsache löste ein unangenehmes Gefühl in mir aus.

„Meinst du? Aber wer könnte einen solchen Zauber aufheben? Jemand aus deiner Familie?“

„Nein“, entgegnete Colin schnell, „wir Greyboroughs haben viele Fähigkeiten, aber zaubern gehört nicht zu unserem Repertoire. Es muss jemand sein, der eine mächtige Gabe hat. Ich nehme an, dass es ein Hexenmeister tun könnte.“

„Und was sollen wir jetzt machen?“ Colin kam auf mich zu und nahm mich in den Arm.

„Hab keine Angst, Ellie. Wir werden eine Lösung finden, alles wird gut werden“, versprach er. „Ich weiß vielleicht jemanden, der uns helfen kann.“

Ich horchte auf. „Ach ja? Wen denn?“

„Einen guten Bekannten meines Vaters. Ich habe gehört, dass er heute Abend auf der Gästeliste der Spendengala steht, zu der wir gehen.“

„Spendengala? Davon weiß ich ja gar nichts?“ Colin grinste wie ein Schuljunge.

„Ich wollte dir vorhin gerade Bescheid sagen, als ich zu dir kam. Ich dachte, vielleicht würde es dir ja guttun, wenn du mal rauskommst.“ Er küsste mich zärtlich aufs Haar.

„Und was ist das für eine Veranstaltung?“, wollte ich wissen.

Colin zögerte kurz, bevor er weitersprach.

„Wir unterstützen damit das Krankenhaus, von welchem wir immer unsere Blutkonserven beziehen. Wir haben eine Abmachung mit dem Arzt. Er besorgt die gewünschte Ware, und wir sammeln im Gegenzug Spendengelder.“

„Oh… so ist das also.“

Obwohl ich nun schon einige Wochen darüber Bescheid wusste, dass Colin und seine Familie Vampire waren, schockierte es mich dennoch immer wieder aufs Neue, wenn ich dabei zusah, wie sie Blut konsumierten. Ich hatte keine Ahnung, ob ich mich je daran gewöhnen würde. Es war irgendwie… widerlich.

„Es handelt sich dabei übrigens nur um solche Blutkonserven, die aufgrund einer Krankheit des Spenders nicht verwendet werden können. Diese Beutel werden normalerweise vernichtet. Wir Vampire hingegen können das Blut gut gebrauchen, und kein Mensch oder Tier muss mehr sterben, weil wir Nahrung benötigen“, erklärte er weiter.

„Und die Krankheitserreger können euch dabei nichts anhaben?“

„Nein, unsere Selbstheilungskräfte verhindern eine Ansteckung.“

„Aha.“ Diese Blut-Sache hörte sich ziemlich abstoßend an und es wurde mir leicht übel, wenn ich nur daran dachte.

Colin nahm meine Hand. „Also, wie sieht es aus… möchtest du mich heute Abend begleiten? Sozusagen… offiziell, als meine Partnerin?“

Er hatte den Kopf leicht gebeugt und sein Blick reichte aus, um mein Herz vor Freude springen zu lassen. Colin wollte mit mir zusammen sein und unsere Beziehung öffentlich machen. Was wollte ich mehr?

„Ja, natürlich begleite ich dich!“, erwiderte ich überglücklich, „aber geht das denn überhaupt? Ist es nicht gefährlich, bei der momentanen Situation rauszugehen?“

„Drake und Marcus arbeiten gerade an einem Sicherheitsplan für heute Abend. Es wird bestimmt alles gutgehen. Außerdem können wir der Veranstaltung unmöglich fernbleiben, die Gala ist nur einmal im Jahr, und man erwartet von den Greyboroughs, dass sie anwesend sind. Drake wird sogar eine Rede halten… und ich kann dich auch nicht alleine hierlassen. Ich hätte keine ruhige Minute…“ Er drückte meine Hand fester und ich verstand, was er meinte.

„Also gut“, meinte ich schließlich, „wann geht es los?“

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Einige Stunden später befand ich mich auf dem Weg in den oberen Bereich des Schlosses. Langsam überwand ich die letzten Stufen und stand dann vor den Privatgemächern der adligen Familie.

Bevor ich klopfte, atmete ich nochmal tief durch. Die Tür öffnete sich und Drake stand vor mir. Oh nein, warum ausgerechnet er?

„Hi“, meinte ich und zeigte ein strahlendes Lächeln.

Drake sah mich düster an. „Kann ich dir irgendwie helfen, Mensch?“, knurrte er ohne weitere Begrüßung und musterte mich von oben bis unten. Sein Blick war unangenehm. Bestimmt dachte er gerade darüber nach, wie es wohl wäre, mein Blut zu kosten.

Ich vermied es normalerweise, in diese Etage zu kommen, aber heute ging es nicht anders. Obwohl die Räume relativ hell und modern eingerichtet waren, beschlich mich immer ein äußerst ungutes Gefühl, wenn ich diese betrat.

Außerdem war Drake mir unheimlich und auch mit seiner Mutter Mary, die erst kürzlich von einem Aufenthalt im Sanatorium zurückgekehrt war, hatte ich bereits so meine Erfahrungen gemacht. Nun wusste ich wenigstens, woher Drake seine unglaublich unsympathische Art hatte.

Ich lächelte tapfer weiter. „Ist Mirja zufällig da?“

Mein Gegenüber zog eine Augenbraue hoch. „Mirja? Was willst du denn von ihr?“

Ich nahm all meinen Mut zusammen. „Ich muss sie etwas fragen und es ist dringend. Kann ich mit ihr reden? Bitte.“

Ohne mich aus den Augen zu lassen, wich er langsam zurück. Dann machte er eine theatralische Verbeugung und bedeutete mir mit einer Handbewegung, einzutreten. „Hereinspaziert!“, meinte er mit einem unangenehmen Grinsen, dann drehte er sich um. „Mirja, du hast Besuch!“, schrie er so laut, dass ich regelrecht zusammenzuckte.

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis sie erschien. „Ellie! Schön dich zu sehen!“ Sie umarmte mich und drückte mich fest. „Was kann ich für dich tun, meine Liebe?“

„Kannst du mir ein Kleid für heute Abend leihen? Ich habe keine eleganten Sachen und möchte nicht in Jeans zu dem Wohltätigkeitsball gehen.“

„Warum fahren wir denn nicht einfach in die Stadt und kaufen eines?“, schlug sie vor.

Ich dachte kurz nach. „Lieber nicht.“ Die Gefahr, auf die Wölfe zu treffen, war mir einfach zu groß.

„Ich verstehe… dann komm mal mit!“

Wir betraten ein riesengroßes Zimmer, das augenscheinlich als begehbarer Kleiderschrank fungierte. Der Raum war vollgestopft mit Kleidern, Schuhen, Taschen und sogar Hüten. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Überall glitzerte und blinkte es.

Mirja musste meinen Blick bemerkt haben. „Na ja, es hat sich wirklich so einiges angesammelt, im Laufe der Jahre. Ich habe mir schon lange vorgenommen, mal auszumisten, aber irgendwie bin ich noch nicht dazu gekommen…“

„Ich möchte ja nicht neugierig sein, aber darf ich fragen, wie alt du bist?“

„Ich bin einhundertachtundvierzig Jahre alt. Und seit zweiundachtzig Jahren bin ich Drakes Gefährtin.“

„Wow.“ So lange würden Colin und ich das wahrscheinlich nicht schaffen, was hauptsächlich daran lag, dass ich als Mensch nur ein beschränktes Lebensalter hatte. Dieses Wissen stimmte mich traurig.

Mirja stemmte die Hände in die Hüften. „Wir finden bestimmt gleich etwas Hübsches für dich, warte einen Moment.“

Sie huschte so schnell umher, dass ich nur noch ihren dunklen Schatten wahrnahm. Einen Augenblick später hielt mir Mirja einen riesigen Stapel Klamotten hin. „Anprobieren, bitte.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich ein Kleid gefunden hatte, welches für mich auch tragbar war. Der größte Teil von Mirjas Garderobe war einfach viel zu gewagt. Nie im Leben würde ich in so kurzen Sachen vor die Tür gehen, das war einfach nicht mein Stil.

Am Ende entschied ich mich für ein schwarzes Kleid, welches an der Rückseite geschnürt wurde. Der Rock war knielang und ausgestellt, was mir sehr gut gefiel.

Mirja holte ein paar schicke High-Heels hervor und reichte sie mir. „Die müssten passen“, meinte sie.

Ich warf einen Blick in den Spiegel und erkannte mich fast nicht mehr wieder. Zweifel überkamen mich.

„Ist das nicht zu sexy?“ Bestimmt war auch die Presse auf der Veranstaltung anwesend und ich wollte auf gar keinen Fall mit einem unpassenden Outfit negativ auffallen.

„Nein!“, entgegnete Mirja entrüstet, „natürlich nicht! Und außerdem willst du doch bei Colin punkten, oder?“

Sie lächelte wissend und beugte sich zu mir, um mir etwas ins Ohr zu flüstern.

„Und soweit ich weiß, steht er auf sowas.“ Sie lachte laut und begann, die unzähligen Schuhe auf den Regalen nach Farben zu ordnen.

Ich versuchte, das Kleid zuzuschnüren, aber ich bekam es nicht hin.

„Komm, ich helfe dir.“ Geschickt und in erhöhtem Tempo nestelte die rothaarige Vampirin die Schnüre ein.

„Mirja, kann ich dich mal was fragen?“

„Ja, klar.“ Sie war mit dem Kleid fertig und begann, Schminksachen zusammenzusuchen.

„Was denkst du? Ist es die richtige Entscheidung, Colins Gefährtin zu werden?“

Sie hielt kurz inne und kam dann auf mich zu.

„Da kann ich dir nicht weiterhelfen, das musst du selbst wissen, Schätzchen. Aber denk daran, wenn du dich einmal für ihn entschieden hast, kannst du nicht mehr zurück.“

Eine Frage brannte mir auf der Zunge, und ich sprach sie einfach aus. „Hast du es denn bereut, Drakes Gefährtin geworden zu sein?“

Sie lachte belustigt auf. „Nein! Natürlich nicht!“

Ich verstand zwar nicht, warum sie sich für den Rest ihres Lebens ausgerechnet an den unangenehmen Drake gebunden hatte, aber sie musste es ja wissen. Außerdem schien sie tatsächlich glücklich mit ihm zu sein. Aber vielleicht kannte ich ihn ja nicht so, wie sie ihn kannte.

„Was lässt dich zweifeln, Ellie? Du liebst ihn doch, oder? Und soweit ich das beurteilen kann, ist Colin ebenfalls total vernarrt in dich. Ich habe ihn jedenfalls noch nie so erlebt, das kannst du mir glauben, und ich kenne ihn schon eine halbe Ewigkeit.“

„Oh, ich zweifle nicht an ihm, sondern er eher an mir.“ Mirja bedeutete mir, mich zu setzen. Dann begann sie damit, mich zu schminken.

„Warum denkst du das?“

„Ich weiß nicht. Er sagt, dass er mir Zeit lassen möchte, um mich an all das zu gewöhnen. Und daran, dass ihr… na ja, dass ihr Vampire seid.“

 

„Aber das ist doch gut, oder nicht? Ein Vampir fragt normalerweise nicht, ob die Frau ihn will, er nimmt sie sich einfach. Dass Colin dir die Wahl lässt, beweist doch, dass er sehr sensibel ist.“

Sie nahm einen großen Pinsel und begann, mir das Gesicht zu pudern.

„Aber… kann es denn nicht sein, dass es noch einen anderen Grund gibt, warum er mich nicht zu seiner Gefährtin machen will? Noch dazu haben wir den Dunkelrat angeflunkert und ich habe Angst vor der Reaktion, falls jemand dort herausfinden sollte, dass wir die Vereinigung gar nicht vollzogen haben. Wäre es denn dann eigentlich nicht logisch, es bald zu tun, schon allein um die Ratsmitglieder nicht zu verärgern?“

Mirjas Blick ruhte auf mir und ich hatte auf einmal Angst, etwas Falsches gesagt zu haben.

„Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, wenn ich dir einige Fragen stelle, aber ich kenne mich mit Vampiren nicht so gut aus und ich brauche jemanden, der mir hilft, mich an die ganzen Gebräuche hier zu gewöhnen“, ergänzte ich schnell.

Mirja bat mich, die Augen zu schließen, damit sie den Lidschatten auftragen konnte.

„Ich verstehe dich. Ich denke nicht, dass es einen anderen Grund gibt. Sieh mal, Colin nimmt dich doch heute Abend mit auf diesen offiziellen Empfang, oder? Dies bedeutet, dass er sich vor allen Anwesenden zu dir bekennt. Er hat bestimmt keine andere Frau am Start, diesbezüglich brauchst du dir keine Sorgen zu machen, davon wüsste ich. Wahrscheinlich will er dich in Wirklichkeit nur beschützen.“ Sie legte den Lidschatten weg und begutachtete das Ergebnis, bevor sie fortfuhr. „Das Leben an der Seite eines Vampirs kann sehr aufregend und auch extrem gefährlich sein. Er will bestimmt, dass du gut darüber nachdenkst, ob du das hier in der Tat alles willst. Ob der Dunkelrat sich von eurer Entscheidung angegriffen fühlt oder nicht, ist ihm dabei vermutlich ziemlich egal.“

„Aber ich habe mich doch schon entschieden“, meinte ich schnell.

„Ja, aber bist du dir wirklich aller Konsequenzen bewusst?“ Mirja musterte mich kritisch. Als ich nicht antwortete, fuhr sie fort.

„Bei der Zeremonie zum Beispiel, weißt du, dass du dann auch Colins Blut trinken wirst? Und jedes Mal, wenn du Vampirblut zu dir nimmst, wirst du Stück für Stück auch die Vampir-DNA verinnerlichen. Die dann folgenden körperlichen Veränderungen geschehen nicht, wie allgemein angenommen, auf einen Schlag, sondern langsam mit der Zeit. Du wirst vielleicht nicht mehr so gut in die Sonne gehen können oder auf einmal Lust auf Blut bekommen. So fängt es an. Ich finde, du solltest das alles bedenken, bevor du dich entscheidest. Ich war bereits ein Vampir, als ich eingewilligt habe, Drakes Gefährtin zu werden. Aber du bist ein Mensch. Bei dir liegt der Fall anders.“

So hatte ich das Ganze tatsächlich noch nicht gesehen. Mirjas Worte hatten Eindruck auf mich gemacht und ich nahm mir vor, so schnell es ging darüber mit Colin zu sprechen.

Die Vampirin packte die Schminkutensilien wieder zurück in einen Beutel. „So, fertig. Du kannst einen Blick riskieren.“

Die Frau, die mich jetzt aus dem Spiegel anblickte, war so anders als sonst. Mirja hatte sich wirklich viel Mühe gegeben und ich fand das Ergebnis wunderschön.

„Na, gefällt es dir?“ Sie schien stolz auf ihre Arbeit zu sein.

„Es ist überwältigend“, gab ich zur Antwort.

„Wenn Colin bei deinem Anblick nachher nicht ausflippt, dann weiß ich auch nicht.“ Sie lachte und drückte mich fest.

„Danke, Mirja. Für alles.“

„Kein Problem, Schätzchen.“

„Kommst du denn auch heute Abend mit?“, erkundigte ich mich.

„Ja, kurz. Dann muss ich zurück zum Schloss, mein Dienst fängt um Mitternacht an. Du weißt ja… irgendwer muss schließlich hier aufpassen.“

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