Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit

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2.5Fazit: Spezifika von Organisationen der Sozialen Arbeit und deren Bedeutung für Management

1)Die in der Fachliteratur häufige Ausrichtung am »Nonprofit-Bereich« vereint in diesem Begriff sehr unterschiedliche Organisationstypen und -zwecke. Da Relevanzstrukturen für das Management handlungsfeldspezifischer erfasst werden müssen, ist es angemessener, sich zu diesem Zweck auf den Typus »Organisationen der Sozialen Arbeit« zu konzentrieren, deren Zweck im Erbringen sozialer Dienstleistungen besteht.

2)Soziale Dienstleistungen werden als »öffentliche Güter« hochgradig politisch gesteuert. Ihre Existenz ist unmittelbar abhängig von politischen Entscheidungen, und für die organisationalen Handlungsprogramme werden politische Vorgaben gesetzt. Dies macht es erforderlich, politische Entwicklungen frühzeitig und kontinuierlich zu beobachten. Ferner wird dadurch sozialpolitisch ausgerichtetes Handeln (nicht ausschließlich, aber verstärkt im lokalen, kommunalpolitischen Bezug) zu einem integralen Bestandteil der erforderlichen Managementaktivitäten.

3)Im Zentrum sozialer Dienstleistungen stehen Interaktionen:

–Die Kernleistung ist immateriell.

–Produktion und Konsum fallen zusammen; daher sind sie in der Regel standortgebunden.

–Die Effektivität der Dienstleistung ist gebunden an die Koproduktionsbereitschaft der Leistungsadressaten.

–Die Dienstleistungen sind nur begrenzt standardisierbar, sondern müssen individuell ausgerichtet werden.

Es handelt sich somit um »Vertrauensgüter«.

Als Konsequenzen für das Managementhandeln sind insbesondere folgende Leitorientierungen zu verfolgen:

–»Interaktionsqualität« in den Mittelpunkt stellen

–Räumliche und mentale Distanz zum Nutzer reduzieren

–Das Herstellen von Koproduktionsbereitschaft als Teil der Leistungserbringung profilieren

–Individuelle Leistungserstellung ermöglichen und herausfordern, keine oder wenig unflexible »Standardprogramme«

–Vertrauen erzeugen, insbesondere durch Marketing und Qualitätsbewertung

4)Das Erbringen sozialer Dienstleistungen ist geprägt durch einen hohen Grad an Unsicherheit bei Anforderungen und Handlungsprogrammen sowie entsprechend durch eine Dominanz des Typus »Zweckprogrammierung«, der jedoch nur sehr begrenzt Unsicherheit zu absorbieren vermag. Es bedarf daher der Installierung kontinuierlich inszenierter und methodisch tragfähiger Reflexionsmodalitäten in der Organisation.

5)Bei Organisationen der Sozialen Arbeit als »front-line organizations« sind die für die Leistungserbringung wesentlichen Handlungsmodalitäten nur begrenzt und kaum intentional durch Managementhandeln steuerbar. Managementakteure müssen daher besonders Wert legen auf die Modalitäten Personalauswahl, Personalentwicklung und Personalbindung. Da sich die zentralen Prozesse im unmittelbaren Kontakt mit den Leistungsadressaten ereignen, also an den Schnittstellen von Organisation und äußerer Umwelt, und da diese Prozesse nicht der unmittelbaren Beobachtung und Steuerung durch Leitungspersonen zugänglich sind, muss Managementhandeln sich insbesondere auf »intelligente« (gut beobachtete und anschlussfähige) Formen der Kontextsteuerung ausrichten.

6)Als hochgradig politisch gesteuerte Organisationen kommt der Legitimation organisationalen Handelns gegenüber den jeweils relevanten Umweltsegmenten eine zentrale Bedeutung zu: Legitimation über Prozesse der Leistungserstellung, über durch die Leistungen ausgelösten Effekte, über eine normative Ausrichtung des Managements. Managementakteure sollten daher ein glaubwürdiges »Schaufenstermanagement« aufbauen: als anschlussfähiges Kommunikationsangebot an relevante Umweltsegmente bzw. Stakeholder. Ferner sind Erwartungen der institutionalisierten Umwelt im Organisationshandeln zu beobachten und bei der organisationsinternen Strukturbildung in einer für die jeweilige Organisation passenden Weise zu verarbeiten.

7)Organisationen der Sozialen Arbeit sind einer Vielzahl von Interessenträgern mit heterogenen Erwartungen ausgesetzt – mit der Folge, dass sie unterschiedliche, in Spannungen oder gar in Widersprüchen zueinander befindliche Handlungslogiken aufnehmen und balancierend verarbeiten müssen. Als Anforderung an Managementhandeln ist entsprechend festzuhalten: das Bemühen, Balancen zu erzeugen und aufrechtzuerhalten – Dynamiken beobachten und im Rahmen eines balancierenden »Spannungs- oder Paradoxiemanagements« reflexiv verarbeiten.

3Steuerung als Managementfunktion und Leitungsaufgabe
3.1Anspruch »Steuerung«: Selbstverständlich und fragwürdig zugleich

Dass Organisationen »Steuerung« benötigen, sich also nicht nur im Vertrauen auf die eigenen Selbststeuerungspotenziale gleichsam »natürlich« so entwickeln, dass sie ihre Fortexistenz gewährleisten, ist selbstverständlich und gehört zum Alltagserleben einer jeden Person, die mit Organisationen zu tun hat, also eigentlich aller Menschen, die in einer »Organisationsgesellschaft« (Schimank 2005) wie der unseren leben.

Der Steuerungsanspruch ist dem Managementbegriff inhärent: Es geht um eine betriebliche bzw. auf die Organisation bezogene Strukturierungsleistung. Der Begriff »Management« zielt auf die Steuerung von finanziellen, sachlichen und personellen Ressourcen einer Organisation oder einer betrieblichen Organisationseinheit, damit sie diejenigen Leistungen erbringen und diejenigen Zwecke realisieren kann, die der Organisation eine weitere Ressourcenzufuhr und damit die weitere Existenz ermöglichen. Damit die Strukturierung der Leistungserbringung und damit die Erzeugung von Wahrscheinlichkeit der Ressourcenzufuhr aus der Umwelt nicht der zufälligen Dynamik einer Organisation und ihrer Umweltbeziehungen ausgesetzt bleiben, muss eine Organisation in eine bestimmte Richtung gelenkt und bisweilen angesichts veränderter Bedingungen in eine andere Richtung geleitet, also »gesteuert« werden. »Steuerung« als bewusste Einflussnahme auf die Dynamik in einer Organisation und auf die Dynamik der Organisation-Umwelt-Bezüge ist eine zentrale Managementfunktion.

Organisationen »institutionalisieren« diese Funktion in der Regel in bestimmten personellen Konstellationen. Sie schaffen für die Wahrnehmung von Managementaufgaben bestimmte Positionen (Strukturen) und ordnen ihnen Personen zu, denen sie Steuerungszuständigkeit und damit Leitungsverantwortung zusprechen. In personeller Hinsicht wird »Management« mit der entsprechenden Steuerungsfunktion als ein System gestufter Leitungsaufgaben verstanden, die positional dafür verantwortliche Management- bzw. Leitungspersonen realisieren müssen (Steinmann, Schreyögg u. Koch 2013, S. 6 f.).

Die Selbstverständlichkeit des Steuerungsanspruchs wird vielfach begleitet von einem steuerungsoptimistischen Grundverständnis, in dessen Gefolge die Erwartung an Leitungspersonen adressiert wird, sie sollten solche Steuerungskompetenzen entwickeln und zur Geltung bringen, dass sie im Grundsatz »ihren Laden im Griff« haben. Sie sollen durch ihr »Steuerungshandeln«, durch das Definieren von Regelungen und durch das offensive Durchsetzen dieser Regelungen dafür sorgen, dass eine Organisation verlässlich ihre Aufgaben erfüllt und dass die Aufgabenerfüllung der einzelnen Teilbereiche nach innen und nach außen kalkulierbar erfolgt. Zwar wird zugestanden, dass der Leitungsstil auch partizipativ geprägt sein soll, aber »unter dem Strich« besteht die Erwartung, dass die Leitungspersonen (unter Einbezug ihrer Mitarbeiter) Vorstellungen von adäquater Aufgabenerfüllung entwickeln und im Grundsatz in der Lage sind, mit geeigneten »Führungsmethoden« die Organisationsmitglieder und deren Handeln an solchen Vorstellungen auszurichten. Eine solche an »Steuerung« gebundene Erwartung wird nicht nur von außen oder von Vorgesetzten an Leitungspersonen gerichtet, sie entspricht auch dem individuellen Wunsch der meisten Leitungspersonen: Diese möchten die Organisation in einer bestimmten Weise prägen, »die Fäden ziehen«, »bestimmen, wo es langgehen soll«. Die skizzierte Erwartung an Steuerungshandeln steht in Zusammenhang mit einem in Kapitel 1.1 charakterisierten zweckrationalen Organisationsverständnis, das die Annahme einer grundlegenden intentionalen Steuerbarkeit einschließt.

Entsprechend dem ebenfalls in Kapitel 1 dargestellten systemtheoretischen Verständnis der Organisation als ein soziales System dürfte deutlich sein, dass Steuerung nach dem impliziten mentalen Modell der sozialtechnischen Machbarkeit – intentionale Steuerung durch Definition und Durchsetzen von Organisationsregelungen – nicht funktioniert. Die Eigendynamik sozialer Systeme sorgt dafür, dass Steuerungsimpulse in jeder Organisation und in verschiedenen Konstellationen einer Organisation unterschiedlich aufgenommen und verarbeitet werden. Die Vorstellung einer intentionalen Steuerbarkeit von Organisation bricht sich an der Komplexität und an der damit einhergehenden Eigendynamik von sozialen Systemen. Auch die Alltagserfahrungen lassen die Selbstverständlichkeit von Steuerungserwartungen brüchig erscheinen: Leitungsimpulse gehen bisweilen ins Leere, werden von Organisationsmitgliedern in wesentlichen Teilen ignoriert; Personen widersetzen sich den Steuerungsimpulsen aktiv, oder diese werden durch andersartiges Handeln implizit außer Kraft gesetzt; die mit Steuerungsimpulsen angestrebten Effekte stellen sich nicht oder nur in kleinen Teilen ein; (ungeplante) Nebenwirkungen wirken stärker als der eigentliche Steuerungsimpuls; in einer bestimmten Situation (z. B. bei dem einen Team) und zu einem bestimmten Zeitpunkt treten bei einem ähnlichen Impuls andere Effekte ein als in einer anderen Situation (bei einem anderen Team) oder zu einem leicht veränderten Zeitpunkt u. a. m. Die Reaktion auf solche als Unzulänglichkeit des Steuerungshandelns interpretierten Erfahrungen besteht häufig darin, dass Leitungspersonen nach »besseren Hebeln« suchen, genauer planen, wirkungsvollere Impulse installieren, also insgesamt gezielter »nachsteuern« wollen. Auch wenn die Erwartung intentionaler Steuerbarkeit von Organisationen durch Alltagserfahrungen unterlaufen wird, so bleibt doch die Illusion von Wirkmächtigkeit – die »Illusion, Organisationen ließen sich nach systematischer Planung mit überdurchschnittlichem Engagement, hoher professioneller Kompetenz, geeigneter Beratung und konsequenter Kontrolle zweckrational steuern« (Schmidt 2017, S. 76) – für Leitungspersonen verführerisch, aber eben nur eine Illusion.

 

Selbstverständlichkeit und Fragwürdigkeit von Steuerungserwartungen gehen also Hand in Hand, sind in- und miteinander verfangen. Steuerungsanspruch und Steuerungserwartungen lassen sich nicht einfach ablehnen, weil dies eine Kapitulation gegenüber zufälligen Ereignissen und Entwicklungen wäre und weil eine Organisation sich dann als reiner Spielball von emergenten Entwicklungen darstellen würde, die sie kaum beeinflussen könnte. Andererseits bricht sich ein intensiv behaupteter Steuerungsoptimismus an dem erfahrungsgesättigten Wissen, dass zielgerichtete Steuerung in Organisationen nur sehr begrenzt möglich ist. Leitungspersonen müssen gestalten, intervenieren, Entscheidungen mit einer bestimmten Absicht bzw. mit bestimmten Zielen treffen, für Verlässlichkeit der Leistungserbringung sorgen, Zufälligkeiten in ihrer Bedeutung begrenzen, also steuern und sich nicht dem Fatalismus des »Es kommt, wie es eben kommt …« aussetzen. Aber welches Verständnis und welcher generelle Modus von Steuerung erscheint für komplexe soziale Organisationen angemessen?

Die generelle Perspektive eines systemisch ausgerichteten Steuerungsverständnisses, das die skizzierte Spannung zwischen »Selbstverständlichkeit« und »Fragwürdigkeit« aufnimmt, hat Wimmer (2011) als einen kompetenten Umgang mit der Steuerungsparadoxie markiert und Management als »Steuerung des Unsteuerbaren« charakterisiert (ebd., S. 522):

»Es geht letztlich immer darum, das Unsteuerbare zu steuern. Wir müssen gezielt Ergebnisse herbeiführen, ohne die Bedingungen des Erfolgs ernsthaft kontrollieren zu können – eine im Grunde unlösbare Aufgabe. Dafür braucht es eine Haltung kontinuierlicher Selbstbeobachtung und der kritischen Reflexion des Tuns, die Bereitschaft, eingespielte Routinen zu verlassen, zementierte Glaubenssätze und Denkinstrumente aufzubrechen … und verlässliche Muster für das Aufbrechen von Mustern zu etablieren.«

Komplexität und Dynamik von und in Organisationen erzeugen eine Steuerungskomplexität, bei der unklar bleibt, zu welchem Zeitpunkt welche Impulse bei welchen Akteuren in welcher Weise aufgenommen, interpretiert und verarbeitet werden. Damit ist zwar die Erwartung, »die Organisation in den Griff zu bekommen«, obsolet, aber nicht der Steuerungsanspruch. Welche Implikationen die Formel der »Steuerung des Unsteuerbaren« beinhaltet und welche Interventionsmöglichkeiten mit Steuerungsoptionen entfaltet werden können, wird in den weiteren Ausführungen näher zu entfalten sein.

3.2Das »traditionelle« Steuerungsverständnis – und dessen fehlleitende Orientierungen

Die »klassische Managementlehre« folgt der »Idee der plandeterminierten Unternehmenssteuerung« (Steinmann u. Schreyögg 2005, S. 131). Planung hat in diesen Steuerungsvorstellungen eine dominante Bedeutung: als »geistiger Entwurf der zukünftig zu erreichenden Ziele und der hierzu zu ergreifenden Maßnahmen« (ebd.). Steuerung umfasst zum einen die Entscheidung über Zwecke und Ziele und zum anderen die Festlegung von Modalitäten zu ihrer Umsetzung (Strukturen, Programme, Abläufe); dabei sollen die Maßnahmen logisch mit den Zwecken verkoppelt sein (rationale Zweck-Mittel-Bezüge) und als Soll-Vorgaben das Verhalten der Organisationsmitglieder individuell und als Bestandteile von Organisationssegmenten (Teams, Abteilungen, Arbeitsgruppen etc.) lenken. Sicherlich müssen Steuerungsakteure immer mit der »Organisationswirklichkeit« rechnen: dass Organisationsmitglieder Programme unzulänglich umsetzen, sich also nicht ausreichend an Soll-Vorgaben halten, dass Ziele nicht ausreichend im Blick behalten werden oder im Alltag von anderen Dynamiken überlagert werden, dass in Umsetzungsprozessen Störungen deutlich werden und geplante Abläufe behindern etc. Hier gilt es eben, über Formen der Kontrolle das Verhalten von Organisationsmitgliedern plangerecht zu korrigieren. Steuerung vollzieht sich in einem plandeterminierten Verständnis vor allem

in der Konzipierung von Zielen und darauf bezogenen Umsetzungsmodalitäten als in Soll-Vorgaben gesetzte Entscheidungen sowie

in der Umsetzungskontrolle und in der damit einhergehenden zielgerichteten Beeinflussung von Organisationsmitgliedern hin zu einem planungsadäquaten Verhalten.

Planung und Differenzminimierung durch Leitungspersonen sind die zentralen Bezugspunkte dieses Verständnisses von Steuerung. Berechenbare und kontrollierbare Abläufe werden konzipiert, Differenzen zu den geplanten Abläufen werden festgestellt, und durch gezielte Interventionen wird dafür gesorgt, dass die Differenz zwischen Plan und Realität verkleinert, im Idealfall auf null gebracht wird. Leitungspersonen können – so die Annahme – gezielt steuern (und verändern), weil sie sich als »Gegenüber« zur Organisation betrachten, weil sie die Organisation als Objekt ihres Steuerungshandelns konzipieren. »Diese Auffassung von Management stellt die Beherrschung der Aufgaben und Menschen in den Mittelpunkt und agiert nach dem Prinzip ›predict and control‹.« (Boos u. Mitterer 2014, S. 86.)

Die skizzierte Denkfigur zur »Steuerung«, die sich an einem zweckrationalen Organisations- und Steuerungsverständnis ausrichtet, ist nicht nur in Lehrbüchern der »klassischen« Betriebswirtschaftslehre zu finden, sondern geht bisweilen auch in solche Darstellungen ein, deren Autoren ihren Ansatz ausdrücklich als einen »systemischen« charakterisieren, so u. a. im »Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen« (Lichtsteiner et al. 2015; insbes. S. 36 ff.), das im Umfeld des Sozialmanagements rezipiert wird (u. a. Maelicke 2013; Schneider u. Minnig 2011; Wöhrle 2009, S. 168). Der Planung wird eine zentrale Funktion zugeordnet für eine »Systemsteuerung« zur »verbindliche(n) Festlegung vereinbarter Soll-Vorgaben und deren Umsetzungskontrolle mit Unterstützung des Controllings« (Lichtsteiner et al. 2015, S. 104). Planung wird konzipiert als

»systematischer Prozess 1) zur inhaltlich, zeitlich und organisatorisch koordinierten, auf der Grundlage von strukturierten Analysen zur Früherkennung von Chancen und Gefahren im Umfeld sowie des Ist-Zustands (Stärken, Schwächen) der NPO im Wettbewerb erfolgenden 2) Festlegung einer Gesamtheit von Entscheidungen, 3) deren Ergebnisse als Soll-Vorgaben das Handeln und Verhalten der NPO in der Zukunft lenken« (ebd.)

»Planung erfolgt auf verschiedenen Ebenen, um ein vollständiges, in sich konsistentes Planungs- und Controlling-System zu schaffen, das mittels Management-Instrumenten … schriftlich festgehalten und fixiert wird.« (ebd., S. 105.)

Deutlicher können das Bestreben und der Optimismus, die Prozesse einer Organisation mittels möglichst präziser Steuerung in den Griff bekommen zu können, kaum formuliert werden – und das ist bemerkenswert: im Rahmen eines selbst proklamierten »System«-Ansatzes und mit einem den Systembegriff verwendenden Vokabular!

Nach den Ausführungen zum Organisationsverständnis in Kapitel 1 dürften die Irrtümer eines Verständnisses von planungsdeterminierter Organisationssteuerung auf der Hand liegen: Weder sind diejenigen bedeutsamen Entwicklungen in der Umwelt einer Organisation, die für die Formulierung von Organisationszielen ausgewertet werden sollen, in verlässlicher Weise verstehbar und prognostizierbar, noch sind organisationsinterne Prozesse programmierbar und dadurch beherrschbar. Im Planungshandeln werden diffuse Signale aufgenommen, die immer wieder situativ gedeutet werden müssen, und bei jedem über Planung transformierten Steuerungsimpuls sind die Folgen nicht präzise absehbar und daher letztlich nicht unter Kontrolle zu bringen. Planung und daraus abgeleitete Steuerungsimpulse setzen a) Deutungsnotwendigkeit voraus und müssen b) situativ ausgerichtet sein, wobei ein situationsadäquates Steuerungshandeln mit dem Dilemma von zu erreichender Kontinuität und Berechenbarkeit einerseits und Situativität und Flexibilität andererseits umgehen muss. Planung als vermeintlicher Ausgangspunkt von Steuerung muss also im Prozess des Organisierens immer wieder in Vorgängen der Selektion, der Retention, des Unterscheidens (Weick 1995) erneuert und mit veränderten Zwischenergebnissen gespeist werden. Planung ist charakterisiert als eine »unsichere Selektion« (Steinmann u. Schreyögg 2005, S. 150), die zur Komplexitätsbewältigung notwendig ist, aber es ist eine »beobachtungsbedürftige Systemaktivität« (ebd., S. 151), weil kontinuierlich beobachtet und bewertet werden muss, welche Folgen die in Planung enthaltenen Selektionsleistungen mit sich bringen und ob die Selektionsleistungen den nachfolgenden Wahrnehmungen zur Entwicklung der Umwelt und der organisationsinternen Prozesse angemessen waren. Planung zum Ausgangspunkt von Steuerung zu deklarieren, und dies mit einem wenig prozessbezogenen und einseitig auf Steuerungsakteure ausgerichteten Planungsverständnis, impliziert ein Konzept von »Steuerung«, das der Eigenkomplexität und der Dynamik von sozialen Systemen nicht gerecht wird und das die vergebliche Suche nach immer besseren und präziser wirkenden »Hebeln« zur intentionalen, zweckrationalen Steuerung der Organisation auslöst, an der die Protagonisten aber letztlich scheitern müssen – eine Suche, die sich der Figur des »Sisyphos im Management« (Kühl 2015b) annähert.

Neben dem problematischen Planungsverständnis ist die Positionierung der Leitungspersonen als Steuerungsakteure im Verhältnis der zu steuernden Organisation eine weitere Schwachstelle des planungsdeterminierten Steuerungsverständnisses. Die Verortung von Managementakteuren als »das steuernde Gegenüber der Organisation« (Jung u. Wimmer 2014, S. 108) impliziert eine Subjekt-Objekt-Unterscheidung, die die reale Wechselseitigkeit des Steuerungsgeschehens nicht adäquat aufnimmt. Steuerungsimpulse sind kommunikative Vorgänge innerhalb des Organisationssystems, die von Personen ausgehen und von anderen Personen in spezifischer Weise aufgenommen, verarbeitet und kommunikativ beantwortet werden müssen. Die Steuerungsakteure bewegen sich mit ihren Kommunikationsimpulsen somit in dem gleichen sozialen System wie diejenigen, von denen die Impulse aufgenommen und wiederum zu Kommunikationen in der Organisation verarbeitet werden. Es »steuern« also nicht nur Leitungspersonen durch ihre Kommunikation die Mitarbeiter, sondern es steuern auch die Mitarbeiter durch die Verarbeitung der Kommunikationsimpulse und durch ihre Kommunikation sowohl die Prozesse in der Organisation als auch das Verhalten von Leitungspersonen. Insofern ist »Steuerung« ein wechselseitiges Geschehen innerhalb der Kommunikationsdynamik der Organisation. Steuerung der Organisation geht nicht nur von der Position der hierarchisch höher gestellten Leitung aus, sondern kommt auch durch Kommunikationen anderer Organisationsakteure zustande.

Würde man »Steuerung« vornehmlich an der Spitze der Organisation verankern, wäre dies zum einen unter empirischen Gesichtspunkten fragwürdig: Es gehört zum Alltagserleben in Organisationen, dass sich mit zunehmender Komplexität einer Organisation Subsystem herausbilden (dezentrale Organisationeinheiten: Regionalteams, Teams, Arbeitsgruppen, abgegrenzte Arbeitseinheiten etc.), mit deren Selbststeuerung zu rechnen ist und bei denen nicht verlässlich kalkulierbar ist, ob, in welcher Weise und mit welchen Brüchen deren Ankoppelung an das Organisationssystem gewährleistet und herausgefordert werden kann. Zum anderen wäre eine vornehmlich zentrale Steuerung nur begrenzt wünschenswert: Die Organisation ist auf Selbststeuerungsaktivitäten der dezentralen Organisationseinheiten angewiesen: Denn die dezentral vorhandenen (Fach-)Kompetenzen und Interaktionen an den Schnittstellen zur Umwelt sowie die Kompetenzen zur Bearbeitung unvorhergesehener Anforderungen werden dringend für eine adäquate Leistungserstellung der Organisation benötigt. Auch weil in »front-line organizations« die Organisationsmitglieder, die an der Grenze zur Umwelt tätig sind, wesentliche Informationen aus der Umwelt erhalten und für die Organisation verarbeitungsfähig machen können und weil diese Organisationsmitglieder bei der Leistungserbringung eine relativ hohe Autonomie herausbilden müssen, wäre eine Verortung von »Steuerung« vornehmlich an der Spitze der Organisation dysfunktional.

 

Wenn also ein planungsdeterminiertes, primär auf die Organisationsspitze fokussiertes, in einem impliziten Subjekt-Objekt-Verständnis eingebundenes Konzept von Steuerung weder theoretisch und empirisch tragfähig ist, der Anspruch einer Steuerung als einer bewussten Einflussnahme auf die Bewegungsmodalitäten einer Organisation aber nicht aufgegeben werden kann und soll, dann ist genauer zu bestimmen, was ein »systemisches Verständnis« zur Steuerung in Organisationen genauer ausmacht, wie es in der Formel einer »Steuerung des Unsteuerbaren« zum Ausdruck kommt.

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