Versuche über die soziale Kunst

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Versuche über die soziale Kunst
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Joachim Stiller

Versuche über die soziale Kunst

Sozialwissenschaften und Philosophie

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Versuch über die Kunst

Versuch über den Tod

Versuch über den Stein

Versuch über die Phänomenologie

Versuch über die Philosophie

Versuch über die soziale Kunst

Der erweiterte Kunstbegriff

Zur sozialen Kunst

Aphorismen zur Ästhetik und zur Kunst

Impressum neobooks

Versuch über die Kunst

Du wolltest einen Versuch über die Kunst schreiben. Wie kam es dazu?

Als Schriftsteller habe ich noch drei Romancluster (Romanideen) im Kopf. Aber ich traue mich noch nicht so recht, diese Projekte endlich in Angriff zu nehmen. Da habe ich mir überlegt, zunächst über etwas zu schreiben, was mir persönlich näher liegt und wo ich mehr Freiraum habe. Peter Handke hat auch drei Versuche geschrieben, die ich mit großem Interesse mehrmals gelesen habe. Dabei kam mir die Idee, selber drei Versuche zu schreiben. Der Versuch über die Kunst soll der erste sein, dann habe ich mir noch einen Versuch über den Tod und einen über den Stein vorgenommen, und wenn ich sie nicht selber schreibe, muss sie halt jemand anderes zu Papier bringen.

Ich nehme an, Du hast eine besondere Beziehung zu diesem Thema, ich meine jetzt, „Kunst“. Du bist ja auch selber Künstler.

Ja, mit Kunst habe ich zeit meines Lebens zu tun. In meiner Kindheit habe ich viele Jahre die Kindermalschule besucht. Später, nach meinem Abitur – ich hatte Kunst als drittes Fach – wollte ich dann Malerei studieren. Ich ging ins Atelier der Wilhelmsuniversität und habe dort meine Mappe zusammengestellt und mich an der Akademie beworben. Doch leider wurde meine Mappe knapp abgelehnt.

Zu einem Kunststudium ist es dann auch nicht gekommen?

Ich wurde psychisch krank und musste sogar mehrmals in die Psychiatrie. In der Zwischenzeit hatte ich mich für Soziologie, Philosophie und neuere Geschichte eingeschrieben, musste das Studium aber auf Grund meiner Erkrankung abbrechen. Kurze Zeit später starb mein Vater an einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und ich fing an zu trinken. Ergo, die Psychose kehrte zurück. Nach erneutem Krankenhausaufenthalt habe ich dann eine intensive medizinische und berufliche Reha in Lippstadt gemacht. Dort hat mich der behandelnde Arzt wieder hingekriegt. Zum Glück habe ich durch meine Krankheit nichts eingebüßt, wie das sonst oft der Fall ist. Mit dem Beginn der Reha 1995, ich war gerade 27 Jahre alt, begann meine zweite Sturm-und-Drang-Zeit. Ich fing an, Objekte zu machen und diese auch zu fotografieren. Mit der Malerei hatte ich abgeschlossen.

Warum wolltest Du jetzt Objektkünstler werden? Gab es dafür einen Auslöser?

Ja, Während meines Zivildienstes hatte ich eine Freundin in Berlin, die Psychologie studierte. Ich bin damals regelmäßig in der geteilten Stadt gewesen. Bei einem Besuch habe ich dann die große Beuys-Retrospektive im Groupius-Bau gesehen. Das war wie eine Initialzündung für mich. Ich wusste nun, du musst was mit Objekten machen. Ich habe mich lange mit Beuys auseinandergesetzt und bin so auch zur Anthroposophie gekommen. Jedenfalls hat Beuys mich auf die Objektkunst gebracht. An Beuys hat mich immer sein ausgesprochen ausgeprägtes ästhetisches Gespür interessiert. In diesem Sinne kann man viel von Beuys lernen. Seine Objekte und Installationen sind absolut stimmig, etwa von den Kräften her. Beuys ist so eine Art Alchimist des Ästhetischen, möchte ich einmal sagen.

Aber Beuys hat sich auch als sozialer Künstler verstanden.

Ja, aber das bezieht sich in meinen Augen nur auf seine gesellschaftspolitischen Projekte, wie sein Engagement für Direkte Demokratie und die Parteiengründungen, etwa die der Grünen Partei. Wer heute seine Objekte und Installationen sieht, sieht eigentlich nur tote Skulpturen. Die Verbindung mit dem Sozialen als solches, oder den gesellschaftspolitischen Forderungen, ist weitestgehend verloren gegangen. Und das ist vielleicht auch gut so. Ich würde da nicht so viel mystifizieren, wie manche Beuysianer das vielleicht tun. Aber die beuysschen Objekte, seine Installationen und nicht zuletzt seine Zeichnungen haben einen ungeheuren ästhetischen Stellenwert. Nicht umsonst ist Beuys der vielleicht bedeutendste deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts. Auf die soziale Kunst und den erweiterten Kunstbegriff können wir gern später noch einmal eingehen.

Gut. Sprechen wir über die Kunst – ohne Beuys. Was ist überhaupt Kunst?

Ja, dann sprechen wir wieder über Beuys, denn Beuys hat gerade auch diese Frage aufgeworfen und den erweiterten Kunstbegriff geschaffen.

Und wie war es vor Beuys?

Da müssen wir in der Geschichte weit zurückgehen, über das Mittelalter hinaus, bis zu den alten Griechen. Die Kunst ist ja eigentliche erst in Griechenland entstanden. Wir denken dabei an die griechische Plastik und das griechische Drama. Im Mittelalter kommt dann noch die Tafelmalerei hinzu. Aber die Künstler haben sich nie als Künstler verstanden, sondern als Handwerker. Am deutlichsten wird dies wohl bei Michelangelo, einem der bedeutendsten Künstler der Weltgeschichte. Die Sixtinische Kapelle ist für mich sowieso das größte Kunstwerk der Menschheit. Aber Michelangelo hat sich ganz als Handwerker gesehen. Kunst kam von Können und leitete sich auch daraus ab. Das ändert sich dann mit dem Aufkommen der Moderne nach dem Biedermeier des 19. Jahrhunderts. Die Künstler wollen nicht mehr nur die Natur imitieren oder ein Ideal zur Darstellung bringen, sie wollen etwas neues schaffen, etwas noch nie dagewesenes. Sie emanzipieren (befreien) sich von alten Techniken, Zwängen und Vorgaben und werden selbstbewusst. In der Wissenschaft findet das schon vorher statt, und in der Philosophie auch, nämlich bei Descartes. Die Kunst ist da etwas spät dran. Aber die Kunst wird jetzt auf eine ganz andere Weise schöpferisch. Kunst kommt nun nicht mehr von Können, sondern von Gestalten. Der Mensch ist ein gestaltender Mensch geworden, ein schöpferisches Wesen, das Kunstwerke von nun an sozusagen erdichtet. Der Mensch stellt seine Kunst der Natur entgegen. Damit transzendiert er eigentlich die Natur. Wenn Beuys heute leben würde, dann würde er sicherlich auch sagen, dass Kunst von Gestalten kommt.

Es gibt eine Richtung, etwa in Frankreich, die propagiert den Satz: „Alles ist Kunst.“.

Nicht alles ist Kunst, Natur ist eben keine Kunst. Nur was der Mensch selber schafft, als Ergebnis schöpferischer Tat, ist Kunst. Daher halte ich auch an einem rein anthropologischen Kunstbegriff fest. Richtig ist natürlich, dass alles Plastik ist. Alles ist Skulptur. Das lässt sich an der plastischen Theorie von Beuys ablesen. Alle Phänomene sind Gestaltungsphänomene, die nach der plastischen Theorie beurteilt werden können. Sie müssen erst diskutiert und dann entschieden werden, so Beuys. Alles ist Plastik, aber nicht alles ist Kunst. Die plastische Theorie ist in meinen Augen eine der stärksten Arbeiten von Joseph Beuys. Er hat sie entwickelt, nach Studium der Bienenvorträge von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie. In den Bienenvorträgen deutet Steiner plastische Gestaltungen der Biene an. So sagt er, die einzelne aus Wachs geschaffene Wabe sei ein umgekehrter Bergkristall. Da ist natürlich eine deutliche Verbindung zu Beuys zu erkennen.

Was genau ist die plastische Theorie?

Beuys sagt, dass alles aus dem Chaos kommt und durch Bewegung zur Form oder in eine bestimmte Form gebracht wird. Dies lässt sich in etwa mit einem Klumpen Lehm vergleichen,

der erst noch geformt werden muss. Der Chaospol ist nun der Wärmepol, die Form der Kältepol. Beuys fand also die treibenden Grundkräfte des Plastischen in der Polarität von Wärme und Kälte. Das ist ungeheuer bedeutsam. Wenn man erst einmal so weit ist, dann kann man weitere Begriffe logisch zuordnen, dem Chaospol den Willen, dem Formpol das Denken, usw. Das Ganze wird dann zu einer nicht nur psychologischen oder anthropologischen Theorie, sie at letztendlich universellen Charakter.

Du selber lehnst die plastische Theorie ab. Warum?

Ich lehne sie nicht ab. Manche Anthroposophen lehnen sie aus mir unerfindlichen Gründen ab. Ich feiere die plastische Theorie und habe sie in meine ästhetisch-plastische Formentheorie integriert.

Das bedeutet, Du hast die plastische Theorie erweitert?

Nein, nicht erweitert, sondern um einen weiteren Aspekt ergänzt. Beuys sah die treibenden Kräfte der Plastik in Wärme und Kälte, also in Chaos und Form. Ich habe nun nach weiteren Gesichtspunkten gesucht, Formen nach ihrem ästhetischen Gehalt zu beurteilen. Und da fand ich den Zusammenhang mit den Planeten: Saturn, Sonne und Mond. Die Zeichen für Saturn, Sonne und Mond sind das Kreuz, der Kreis und der Halbmond. Dies entspricht genau drei Formqualitäten. Ich will es einmal an der menschlichen Hand erklären. Öffnet man die Hand und spreizt die Finger, entsteht eine ausgreifende Form (Saturn). Schließt man die Hand zur Faust, entsteht eine geschlossene Form (Sonne). Die flache Hand, zu einer Mulde geformt, entspricht der umgreifenden Form, etwa einer Schale, einer Schüssel, einer Tasse, einem Eimer, usw. (Mond). Dies ist auch wieder eine anthropologische Theorie, denn die umgreifende Form (Mond) wirkt auf den Willen, die geschlossene Form (Sonne) wirkt auf das Fühlen und die ausgreifende Form, etwa ein Kreuz, eine Gabel, eine Forke, ein Tannenbaum (Saturn), wirkt auf das Denken. Letztere ist intelligibler Natur, könnte man sagen. Die Sonnenform ist animal und die Mondform ist vegetabil. Du erkennst, wie sich die Dinge logisch auseinander herleiten. Die für mich interessanteste Form ist der Tisch. Er ist nicht etwa eine intelligible Form, sondern eine vegetabile. Man setzt sich nicht vor den Tisch, sondern darunter. Der Tisch ist die Abstraktion eines Hohlkörpers. Die Willenskräfte (Mond) fließen unter den Tisch.

 

Arbeitest Du selber mit der ästhetisch-plastischen Formentheorie?

Ja, natürlich. Aber ich arbeite auch mit der plastischen Theorie. Umgekehrt war Beuys nicht nur ein Meister der plastischen Theorie, sondern auch meiner ästhetisch-plastischen Formentheorie, auch wenn er diese noch nicht kannte. Da zeigt sich wieder das ausgesprochen feine ästhetische Gespür von Joseph Beuys. Ich sagte es schon, Beuys war ein Alchemist des Ästhetischen.

Pause

Beuys hat mit seiner Kunst Mythen geschaffen, oder?

Ja, alte wie neue. Kunst sollte immer bemüht sein, Mythen zu schaffen. Ich selber versuche das etwa mit meiner eigenen Kunst. Mir geht es darum, den Christusimpuls zu transportieren. Beuys hat auch Gesamtkunstwerke in diesem Sinne geschaffen. Es war eine Forderung Steiners, dass mythenschaffende Gesamtkunstwerke entstehen sollten. Er bezog dies allerdings auf Wagner, der ja auch Gesamtkunstwerke geschaffen hat, nur ist Wagner dabei irgendwie entgleist, da er zunehmend dem Dämon nationalistischen, antisemitischen und rassendarwinistischen Denkens verfiel. Gesamtkunstwerke finden wir in der Geschichte immer wieder, allein in Deutschland neben den deutschen Sagen Wolfram, den Faust, leider auch Wagner, und nicht zuletzt Joseph Beuys. Beuys hat die „7000 Eichen“ geschaffen oder de Werkstatt auf der Zeitgeistausstellung `82 im Groupius-Bau - „Hirschdenkmäler“, wo er „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ vorbereitet hat. Ich selber träume noch von zwei Gesamtkunstwerken, einmal eine, allerdings spiegelbildliche, Wiederholung der Werkstatt, die es ja nicht mehr gibt, und zum anderen das Bühnenbild zur „Pandora“ von Goethe, wie es von Steiner beschrieben wurde. Leider fehlen mir im Augenblick noch die Mittel dazu. Wir müssen heute Mythen in der Kunst schaffen, alte wie neue. Irgendwann wird es z.B. einen Faust III geben oder das fünfte Evangelium nach Christus. Das sind Beispiele für Dinge, die interessant sind. Wir leben ja heute in der fünften nachatlantischen Kulturepoche, um Steiner zu zitieren. Ägypten war die dritte nachatlantische Kulturepoche. Das Mittelalter steht als vierte Epoche in der Mitte von insgesamt sieben Epochen. Diese spiegeln sich nun karmisch ineinander, also die 1. in der 7. Epoche, die 2. in der 6. und Ägypten spiegelt sich in der Neuzeit, was unsere eigene den, sagt Steiner. Nun wäre es wünschenswert, wenn wir die Ägyptischen Mythen und Mysterien in gewandelter und transformierter Form wieder auferstehen lassen würden. Steiner deutet etwa an, dass der alte Isis-Mythos in gewandelter Form bald wieder auftauchen wird. Das sind Beispiele für Gesamtkunstwerke, die heute interessant und notwendig für die weitere Entwicklung der Menschheit sind.

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